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Jutta Assel | Georg Jäger

Erinnerungsblatt
an die Schillerfeier 1859

Erfunden und radiert von Carl Jaeger

Stand: April 2014

Gliederung

1. Erinnerungsblatt an die Schillerfeier 1859. Erfunden und radiert von Carl Jaeger
2. Erläuterungen zum Bild und den Schillerfeiern 1859
3 Kurzbiographie von Carl Jaeger
4. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

 

1. Erinnerungsblatt
an die Schillerfeier 1859.
Erfunden und radiert von Carl Jaeger

 

Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild.

Nürnberger Künstlerverein's Album. Erinnerung an die Schillerfeier 1859. C. H. Zeh'sche Buch- & Kunsthandlung in Nürnberg. Erfunden u. radirt von C. Jäger. Höhe 32,4; Breite 24,1 cm (Druckplatte).

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2. Erläuterungen zum Bild
und den Schillerfeiern 1859

Die junge Frau, die rechts im Vordergrund am Fuße eines alten Eichbaums sitzt, ist durch ihre Attribute als Germania zu identifizieren: die Kaiserkrone zu ihren Füßen, der Schild mit Doppeladler zu ihrer Linken und das umwickelte Schwert, das sie in ihrer Rechten hält und vor sich auf dem Boden abstützt. Ihr Kostüm ist "ideal"; den Mantel zieren stilisierte Doppeladler. Auf ihren hochgesteckten Haarflechten trägt sie einen aus Eicheln und Eichenblättern gewundenen Kranz. In Haltung und dem melancholisch sinnenden Ausdruck erinnert sie an Dürers "Melencolia" - ein Stich, den der junge Nürnberger Künstler Carl Jaeger, der das Blatt entworfen und radiert hat, kannte. Ikonografisch lehnt sich die Germania auf dem Erinnerungsblatt eindeutig an die Bildformulierung der Germania Philipp Veits (Italia und Germania, Fresko 1834-36) an, der sie sitzend vor einer Eiche, mit dem Doppeladler auf dem Schild darstellt.

Die Germania wurde im 19. Jahrhundert verstanden als "die Personifikation des Begriffs der zu einer politischen Gesamtheit vereinigten deutschen Länder". Die Allegorie bildete sich seit der Romantik aus und fand "durch die in den Schützen-, Sänger- und Turnerfesten gipfelnden Einigungsbestrebungen der 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhunderts" ihre "malerische und plastische Erscheinungsform" (Meyers Großes Konversations-Lexikon). Die Eiche galt zeitgenössisch als "der Fürst der Wälder unsers Vaterlandes": "Das schöne Laub dieses vaterländischen Baums bezeichnet in der Blumensprache Vaterlandsliebe, deutschen Sinn und deutsche Kraft." (Damen Conversations-Lexikon) Der kahle Ast, unter dem Jaegers Germania sitzt, weist also auf einen Mangel dieser Eigenschaften in der Gegenwart hin. Der Doppeladler, dessen einer Kopf und Hals nach rechts, dessen anderer nach links gewendet ist, war das Wappenzeichen der deutschen Kaiser.

In einer Gloriole, gerahmt von zwei Eichen, erscheint Schiller geisterhaft. Er trägt teilweise sein zeitgenössisches Kostüm - Rock und Hemd mit Schillerkragen; dazu einen antikischen Mantel. Ihn charakterisieren ferner die typischen Schiller-Locken. Gekrönt ist er mit einem Lorbeerkranz. Er tritt von hinten auf die Germania zu und blickt beschwörend auf sie hinunter. Schiller hält im rechten Arm eine mit Bändchen verschlossene Mappe und weist mit seiner ausgestreckten linken Hand auffordernd auf die Schrift: »Seid einig - einig - einig!«, die halbkreisförmig Schillers Kopf und Hand umschreibt.

Im Rahmen des Bedeutungsaufbaus der Komposition kann dieser Imperativ als Aufforderung zur Wiedergewinnung eines die deutschen Einzelstaaten umfassenden Kaiserreiches verstanden werden.

Literatur mit Zitatnachweisen:
* Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auflage 1905-1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003. Artikel "Germania", S. 69.423 f.
* Damen Conversations Lexikon. Hrsg. von Carl Herloßsohn. Neusatz und Faksimile der 10-bändigen Ausgabe, Leipzig 1834 bis 1838 (Digitale Bibliothek; 118) Berlin: Directmedia 2005. Artikel "Eiche", S. 3048-3050.
* Detlef Hoffmann: Germania zwischen Kaisersaal und Paulskirche - Der Kampf um Vergangenheit und Gegenwart (1830-1848). In: Trophäe oder Leichenstein? Kulturgeschichtliche Aspekte des Geschichtsbewußtseins in Frankfurt im 19. Jahrhundert. Eine Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt. Frankfurt 1978, S. 85-133. Vgl. insbesondere "Germania - Verschiedene Auffassungen über das Aussehen der Nation", S. 128 ff.

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»Seid einig - einig - einig!« sind Attinghausens letzte Worte in Schillers "Wilhelm Tell" (Vierter Aufzug, 2. Szene). Das sprichwörtliche Zitat wurde im 19. Jahrhundert politisch aufgeladen. Vgl. Robert Prutz' "Prolog zu Wilhelm Tell. Vorgetragen auf dem Stadttheater zu Leipzig, am Schillerfest, 10. November 1845":

Ihr seht die Zeichen flammen von den Bergen,
Ihr murmelt leis den Schwur des Rütli nach,
Und hört, was Attinghausen sterbend spricht,
Das köstliche: Seid einig, einig, einig -!
O seid gedenk, es hab euch auch gemeint!
Es braucht die Wahrheit ihre Kämpfer auch,
Der Sieg des Geists will auch errungen sein:
O seid denn einig für den Kampf der Zeit,
Seid einig, einig für des Volkes Rechte,
Seid einig, einig, wo die Freiheit ruft!
     So wird in euch der Geist des Dichters wach,
So, Freunde, wird's ein echtes Schillerfest!
     Denn alle Kunst ist Blüte nur und Saat:
Die wahre Frucht des Lebens ist die Tat.

Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. Großbibliothek (Digitale Bibliothek; 125)
Berlin: Directmedia 2005, S. 435.692-435.695. Hier S. 435.695.

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In der Rezeptionsgeschichte Schillers verband sich die Feier idealer Werte, die seinen Dichtungen entnommen oder doch zugeschrieben wurden, mit der Auffassung vom >Deutschtum<. In den beiden folgenden Strophen von Heinrich Künzel (1810-1873; Bibliothekar, Erzieher, Lehrer) wird der Tugendkatalog benannt und dabei die "Germania" als Allegorie der Deutschen aufgerufen (Schillerlieder, S. 173):

Um Germania's sanfte Schläfe, in der blonden Locken Glanz,
Schlingen deine kühnsten Lieder einen ewig grünen Kranz;
Für das gute Recht der Völker, für der Freiheit Heiligthum,
Sangest du in deutscher Zunge laut ein Evangelium.
  
Was den deutschen Mann durchzittert, was der Frauen Herz erhebt,
Ahnungsvoll und frühlingshelle von der Leier Saiten bebt:
Wahrheit, Ehre, Freiheit, Liebe, Tugend, Sittsamkeit, und Pflicht;
Du erhebst die Weltgeschichte, ein Prophet, zum Weltgericht.

In der Restaurationszeit nach der gescheiterten Revolution von 1848 wurden zahlreiche Feiern zum 100. Geburtstag Schillers 1859 zu Demonstrationen einer freiheitlichen und nationalen bürgerlichen Gesinnung. Gefeiert wurde in verschiedenen, häufig kombinierten Formen: in Festgedichten, -artikeln und -schriften, Veranstaltungen mit Festreden, Theateraufführungen, Umzügen u.a.m. Für den Charakter der Schillerfeier als "bürgerliches Oppositionsfest" (Noltenius, S. 74) vgl. das Schreiben von Ernst Keil, Herausgeber der "Gartenlaube", der damals am weitesten verbreiteten Familienzeitschrift, über die Tendenz des Festartikels an den Journalisten und Schriftsteller Max Ring (Schiller in Deutschland, S. 51):

[…] Es muss darin in glühender, begeisterter Sprache geschildert werden, wie wir in Schiller denjenigen Dichter zu verehren haben, der am schönsten und begeistertsten für die höchsten Güter des Volkes, für Freiheit und Nationalität, gekämpft […] Das Ganze muss bei aller Schilderung des Gefeierten als Dichter doch einen politischen Hintergrund haben, und namentlich in bezug auf die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung die betreffenden Konsequenzen in kräftigen begeisterten Worten ziehen. Dass es - den Behörden gegenüber - druckfähig bleibt, dafür werden Sie sorgen.

Aus nationaler und protestantischer Sicht erlebte Louise Otto (1819-1895; Frauenrechtlerin) die Schillerfeiern 1859 als historische Zäsur (Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 421.494 f.):

Wer es in den Zeiten der schmachvollen Reaction von 1850 - 1860 (man kann sagen: die große Schillerfeier vom November 1859 ward zum segensreichen Wendepunkt, wo die Nation an ihrem Dichter sich begeisternd, wieder an ideale Ziele glauben und danach ringen lernte) gesagt hätte, dass nach aber zehn Jahren Deutschland ein einziges Reich sein würde verbunden mit Elsass-Lothringen, ein Reich mit einem Reichstag, mit einer Heeresführung, mit Freizügigkeit und ohne Pass- und ähnliche Quälereien, ein Staat der die Kirche überwunden, der die Klöster aufgehoben, die Jesuiten verjagt, die er erst gern gehegt, Roms Macht gebrochen, auf die er sich erst so lange gestützt, die Civilehe geboten, die ihm erst als unchristlich, als Concubinat gegolten - wer das prophezeit hätte: was anders wäre ihm als Antwort geworden als Hohngelächter, oder auch, je nach der Form der Prophezeiung, den Hochverratsprozess mit Gefängnis?

Noltenius ermittelte 178 innerdeutsche Schillerfeiern 1859, veranstaltet von Städten (über Comités), Vereinen und Gesellschaften (Literarische Gesellschaften, Gesangsvereine, Künstlervereine, Logen, Schriftstellervereine u.a.), Schulen und Universitäten (S. 244f.). Bei den Rednern, den Verfassern von Gedichten und Festspielen und wohl auch beim Publikum überwog das Bildungsbürgertum.

Literatur:
* Schillerlieder von Goethe, Uhland, Chamisso, Rückert, Schwab, Seume, Pfizer und Anderen. Gesammelt von Ernst Ortlepp. Stuttgart: Rieger 1839.
* Louise Otto: Frauenleben im deutschen Reich. Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft. (1876). Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. Großbibliothek (Digitale Bibliothek; 125) Berlin: Directmedia 2005, S. 421.169-421.509.
* Reiner Noltenius: Dichterfeiern in Deutschland. Rezeptionsgeschichte als Sozialgeschichte am Beispiel der Schiller- und Freiligrath-Feiern. München: Wilhelm Fink 1984. Darin Kap. 2: Das Schillerfest 1859: Deutschland und sein Klassiker.
* Schiller in Deutschland 1781-1970. Materialien zur Schiller-Rezeption, für die Schule hrsg. von Eva D. Becker (Texte und Materialien zum Literaturunterricht) 2. Aufl. Frankfurt a.M.: Moritz Diesterweg 1979, S. 51.

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3. Kurzbiographie von Carl Jaeger

Jaeger, Carl, Historien-, Genre- und Bildnismaler und Radierer, geboren 17. Oktober 1833 zu Nürnberg, gestorben 5. Dezember 1887 ebenda. Schüler des Joh. Andr. Engelhart, der Nürnberger Kunstgewerbeschule (bei A. Reindel u. A. v. Kreling) und der Münchner Akademie. Lehrer an der Kunstgewerbeschule Nürnberg (Zeichnen nach Akt und Antike).

Jaeger schuf 1861 anlässlich des deutschen Sängerfestes in Nürnberg Malereien an Pirckheimers Haus (Blütezeit Nürnbergs) und am Dürerhaus (Geburt Dürers). 1882/86 entstand sein Hauptwerk, das Bild: "Maximilian I. bei Albrecht Dürer", für das damalige Nürnberger Rathaus. Bildnisse. 1865 ff. lieferte Jaeger, zusammen mit A. Müller und Th. Pixis, für die von Fr. Bruckmann, München, herausgegebenen "Illustrationen zu Schillers Werken" 6 Kreidekartons. Für die gleiche Verlagsanstalt schuf er dann in rascher Folge 12 Brustbilder deutscher Komponisten (1870/71 Grisaille-Malereien; erschienen als "Galerie deutscher Tondichter" mit Text von E. Hanslick und Einbandzeichnung und Vignetten von F. Wanderer), 7 Brustbilder deutscher Dichter und 12 weitere deutscher Kaiser. Jaeger betätigte sich gelegentlich auch als Radierer: Erinnerungsblatt an die Nürnberger Schillerfeier 1859.


Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Hrsg. von Hans Vollmer. Bd. 18. Leipzig: E. A. Seemann 1925, S. 327. Redigiert und gekürzt.

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Weitere Seiten zur Schillerfeier 1859
Schillers 100jähriger Geburtstag

Der Schiller-Festzug in Frankfurt am Main 1859
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=4172

Porträt- und Memorialgraphik zu Goethe und Schiller
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2482

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4. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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Kontaktanschrift:

Prof. Dr. Georg Jäger
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
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E-Mail: georg.jaeger07@googlemail.com

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