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 Jutta Assel | Georg Jäger

Friedrich Schiller
Avanturen des neuen Telemachs

Eine Humoreske für Gottfried Körner 

Stand: März 2019

 

Selbstkarikatur Schillers

 

  • Der lachende Tragiker. Humoristische Bilder von Friedrich Schiller. Hg. zum 150. Todestag von Friedrich Schiller. Reproduktion und Offset: Belserdruck, Stuttgart. Einband von Peter Schneidler. Bindearbeit: Großbuchbinderei H. Wennberg, Stuttgart. Nachwort von Hermann Seyboth. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1955.

Titel des reproduzierten Werkes: Humoristische Zeichnungen Schillers. Avanturen des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Koerners des decenten, consequenten, piquanten etc. von Hogarth (Friedrich von Schiller) in schönen illuminierten Kupfern abgefaßt und mit befriedigenden Erklärungen versehen von Winkelmann (L. F. Huber). Rom 1786. Nach den Original-Zeichnungen Friedrich von Schillers und der Original-Handschrift L. F. Hubers im Einverständnisse mit deren Familien zum ersten Male herausgegeben von Carl Künzel. Leipzig, Englische Kunst-Anstalt von A. H. Payne.

 

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Gliederung 

1. Einführung
2. Avanturen des neuen Telemachs
3. Dietrich Grünewald: Schillers Avanturen des neuen Telemachs.
Die Originalzeichnungen.
4. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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1. Einführung

Das handgeschriebene und illustrierte Buch entstand zum 30jährigen Geburtstag von Gottfried Körner am 2. Juli 1786, in dessen Hause Schiller zu dieser Zeit lebte. Von Schiller stammen die ausgemalten und beschrifteten Federzeichnungen, von Ludwig Ferdinand Huber die Erläuterungen. Auf dem mystifizierenden Titelblatt firmiert Schiller als Hogarth und Huber als Winkelmann; der Erscheinungsort Rom ist fingiert. Die zu Lebzeiten Schillers und Hubers nicht veröffentlichten Blätter wurden von Minna Körner, der Gattin, aufbewahrt. Sie gingen 1837 in den Besitz des Autographensammlers Carl Künzel über, der sie 1862 in der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne publizierte. Zu den wiederaufgefundenen Originalzeichnungen und den Abweichungen der Drucke siehe den Aufsatz von Dietrich Grünewald; Zusammenfassung unter Kap. 3.

Der Titel spielt auf William Hogarths Kupferstichfolgen und auf Fénélons Telemach an.

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William Hogarth, englischer Zeichner, Maler und Kupferstecher, geb. 10. November 1697 in London, gest. 26. Okt. 1764 auf seinem Landgut Chiswick bei London. Er schuf "zyklische Sittenbilder, die, meist in Öl gemalt und in Kupferstich reproduziert, politische und gesellschaftliche Krebsschäden seiner Zeit, mit der absichtlichen, auch in der künstlerischen Darstellung sich äußernden Übertreibung des Satirikers, an den Pranger stellten. Hogarths berühmteste Werke dieser Art sind: The harlot's progress (Das Leben einer Buhlerin), 6 Blätter; The rake's progress (Das Leben eines Liederlichen), in 8 Blättern; Southwark fair (Der Jahrmarkt in Southwark); A modern midnight conversation (Die Punschgesellschaft); The distressed poet (Der unglückliche Dichter) und Strolling actresses in a barn (Die Komödiantinnen in der Scheune)." Unter den Kommentatoren nimmt Georg Christoph Lichtenberg mit seinen Ausführlichen Erklärungen der Hogarthschen Kupferstiche (1794) den ersten Rang ein.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage 1905-1909. Neusatz und Faksimile (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003. Artikel Hogarth, Bd. 9, S. 437f. Neusatz S. 85.958-85.962.

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Fénélon, mit seinem vollständigen Namen Franz von Salignac de la Motte Fénélon, Verfasser des Telemach und vieler andern schätzbaren Schriften, ist gewiß Jedem verehrungswürdig, der nur einigen Anspruch auf wissenschaftliche Kenntnisse macht. Er war 1651 auf dem Schlosse Fénélon geboren, kam in der Folge als Prediger nach Paris, und ward bald an Ludwigs XIV. Hofe Lehrer dreier königlichen Prinzen, der Herzoge von Bourgogne, Anjon und Berry. Da ersterer viel Hoffnung zur Krone hatte, so lehrte er ihn in verschiedenen ihm gewidmeten Schriften, unter denen besonders der Telemach sich auszeichnet, die Regentenpflichten auf die deutlichste und unterhaltendste Art; und es ist sehr zu bedauern, daß eine Cabale des Bischofs Bossuet und der herrschsüchtigen Marquise Maintenon ihn vom Hofe entfernte, wo er so viel Nutzen stiftete. Er wurde der Heterodoxie verdächtig gemacht und in das Erzbisthum Cambray verwiesen, welches er schon als Lehrer der Prinzen erhalten hatte, und lebte hier bis an seinen Tod (1715) als Muster eines rechtschaffenen und in seinem Berufe unermüdeten Mannes. Sein Telemach kann gewiß in jeder Rücksicht als eins der schönsten Producte der Französischen Literatur angesehen werden. Den Stoff zu diesem vortrefflichen heroischen Roman nahm er, wie bekannt, aus der Odyssee des Homer, bildete ihn aber so vortrefflich aus, daß seine Bearbeitung mit Recht ganz neu genannt werden kann. Der Styl ist classisch erhaben, voll Feuer und Anmuth; und die häufig eingewebten Regeln aus dem Gebiete der Moral und Politik sind mit unnachahmlicher Schönheit vorgetragen.

Quelle: Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch. 1. Aufl. 1809-1811. Neusatz und Faksimile (Digitale Bibliothek; 131) Berlin: Directmedia 2005. Artikel Fenelon, Bd. 2, S. 19; Neusatz S. 1567f.

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2. Avanturen des neuen Telemachs

Die Erläuterungen zu einzelnen Blättern sind dem Nachwort von Hermann Seyboth zum oben angegebenen Reprint entnommen und durch eigene Recherchen ergänzt.

 

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3. Dietrich Grünewald:
Schillers Avanturen des neuen Telemachs.
Die Originalzeichnungen

1955 gibt Hermann Seyboth aus Anlass des 150. Todestages Friedrich Schillers in der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart Schillers Bildgeschichte Avanturen des neuen Telemachs unter dem Titel Der lachende Tragiker. Humoristische Bilder von Friedrich Schiller mit einem erläuternden Nachwort heraus. Das Buch ist ein Nachdruck der ursprünglich 1862, im Einverständnis der Körner- und der Schillernachkommen von dem Heilbronner Autographensammler Carl Künzel herausgegebenen Erstpublikation bei Payne in Leipzig. Minna Körner hatte Künzel das Manuskript 1837, sechs Jahre nach Körner Tod, geschenkt. Seyboth merkt im Nachwort an, dass die Originalzeichnungen wohl verschollen seien. Karl Riha, der das Buch in verkleinerter Taschenbuchausgabe 1987 im Insel-Verlag, Frankfurt/Main, neu herausbrachte, vermutet sie dagegen in den USA. Diese Vermutung kann nun bestätigt werden: Die Schillersche Bildgeschichte ist im Original vorhanden und befindet sich in New Haven, USA, in der Beinecke Rare Book & Manuscript Library, dort in der William A. Speck Collection of Goetheana Manuscripts, Box 15, Folder 604. (http://hdl.handle.net/10079/fa/beinecke.speckmss)

Die Original-Bildgeschichte umfasst 15 Papierblätter im Format 21 x 35 cm. Jedes Blatt ist mittig gefaltet, so dass es (mit dem Falz links) vier Seiten im Format 21 x 17,5 cm bildet. Das erste, nicht nummerierte Blatt ist auf der Vorderseite mit dem Titel versehen: „Avanturen des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Koerners des decenten, consequenten, piquanten u.s.f. von Hogarth in schönen illuminierten Kupfern abgefaßt und mit befriedigenden Erklärungen versehen von Winkelmann. Rom, 1786“, in damaliger (deutscher) Schreibschrift. Die anderen Blätter sind auf der jeweiligen Vorderseite oben rechts nummeriert (1 – 14). Auf jeder nummerierten Vorderseite befindet sich eine Zeichnung (aquarellierte Federzeichnungen, jeweils handschriftlich beigefügt der Titel der Episode), die Rückseite ist blank. Auf der dritten Seite (also auf dem wieder aufgeklappten Blatt auf der rechten Bildhälfte) befindet sich der zur Zeichnung zugehörige handgeschriebene Text von Huber. Die Rückseiten sind frei, bis auf das dritte Blatt (nummeriert mit 2); hier benötigte der umfangreiche Text Vorder- und Rückseite. Die 14 gefalteten Blätter sind lose (ungeheftet und auch nicht ineinandergeschachtelt) aufeinander gelegt und in das gefaltete unnummerierte Blatt mit dem Titel eingelegt, das somit als Umschlag fungiert.

Vergleicht man die Originale mit den vorliegenden gedruckten Versionen (neben den genannten gibt es noch eine Publikation des Engelhorn-Verlags, Stuttgart1986), so wird deutlich, dass für die Druckversionen die Zeichnungen wohl bearbeitet wurden. Die Farben sind kräftiger und glatter, haben nicht den leicht blassen und changierenden Ton der Wasserfarben; die Konturen sind wohl nachgezogen worden. Die Originale wirken sehr viel lebendiger, besitzen den Charme des Naiven.

Tendenziell den Hogarth‘schen Lebensstationen vergleichbar, zeigen die 14 Blätter Stationen aus Körners Leben, die ihn, an Beobachtungen und gemeinsamen Erlebnissen orientiert, bespielhaft charakterisieren. Die Folge ist allerdings eher additiv gereiht, als dass sie sich (wie z. B. in Hogarths A Rakes Progress, 1735) in kontinuierlicher Entwicklung aufbaut. Schiller hat für die Episoden drei unterschiedliche Formen der Bildgeschichte genutzt: mal präsentiert er eine einzelne narrative Szene, mal eine kontinuierliche Folge kleinerer Bilder (Panel), mal ein Tableau, das in einem Raumbild mehrere Szenen versammelt. Jedes Blatt (jedes eine einem Theaterakt vergleichbare Kurzepisode) trägt einen Titel, unter, über oder ins Bild geschrieben; z. T. bezieht Schiller Text als wörtliche Rede oder als Insert ein. Die Erklärungen Hubers geben Sehhilfe, verweisen auf den Kontext, um so Körners Erinnerung zu aktivieren und ihm die Anspielungen verständlich zu machen.

In der Druck-Ausgabe bietet Bl.9 eine Ausnahme, da hier zwei in sich autonome Szenen, „Der Anblick bei’m Koffeetisch“ und „Körner im Salz“ zusammen gezeigt werden. Die Originale zeigen die Szenen allerdings auf je einem eigenen Blatt (9 und 10). Es mag Zufall sein, dennoch ist bemerkenswert, dass die 14 Szenen der Zahl der Monate entsprechen, die sich Schiller und Körner zu dieser Zeit persönlich kannten.

Blatt 2, „Körners Schriftstellerei“, nutzt als Erzählmittel die enge Bildfolge. Fünf nummerierte Szenen, in drei Registern angeordnet, zeigen einen chronologisch verlaufenden Handlungsprozess. Hubers Text beschreibt die einzelnen Bausteine. Bei dieser Geschichte fällt auf, dass in den Druckversionen eine Lücke klafft. Fig. 4 ist eine freie Stelle. Im Originalblatt dagegen ist Fig. 4 sehr wohl vorhanden. Vielleicht hat Künzel sie aus Gründen des Anstands weggelassen? Tatsächlich fügt sie sich satirisch überspitzend wunderbar ins Geschehen ein: Man sieht eine Person, die offenbar gerade die Toilette mit noch herunter gezogenen Hosen verlässt und das kostbare Manuskript Körners als Klopapier missbraucht. Huber beschreibt mehr oder weniger deutlich, worum es geht. In den Druckversionen fehlt auch diese Textstelle:

„Ob Mangel an andern Hülfsmitteln oder wohl des weichen, sanften Papiers, oder Versehen den Herrn bestimmt, welcher hier vorgestellt ist wie er die Geburt vieler Monate in einem Tun zerstört, kann man nicht deutlich absehen. Die Idee des Künstlers scheint gewesen zu sein, in beiden Gesichtern dieser Figur Ungewissheit, schrecklichen Zweifel auszudrücken, ob dieser Frevel geschehen soll.“

Das angesprochene zweite Gesicht der Figur ist wohl ihr Hinterteil. Aber Körner lässt sich nicht unterkriegen. Fig. 5 zeigt ihn am Schreibtisch mit einem beschriebenen Blatt, den Blick sinnend in die Ferne gerichtet.

Die kleine Geschichte spielt bekanntlich darauf an, dass Körner oftmals Schillers Geduld auf eine harte Probe stellte, wenn er ihm einen Beitrag für die Thalia liefern sollte. Körners Gründlichkeit, aber auch seine beruflichen und familiären Verpflichtungen ließen ihm wenig Spielraum für literarische Ambitionen, und wenn, kam es nicht selten zu Verzögerungen. Die Posse, Körners Vormittag oder Ich habe mich rasieren lassen, die die Freunde Körner zum nächsten Geburtstag vorspielten, greift das erneut auf. Sie schildert, wie Körner, der eigentlich den Vormittag literarischen Studien widmen wollte, zu nichts anderem kommt, als sich rasieren zu lassen (s. Herbert Kraft/Claudia Pillng/Gert Vonhoff (Hg.): Schillers Werke. Nationalausgabe. Fünfter Band - Neue Ausgabe. Weimar 2000; (http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/18Jh/Schiller/sch_koe0.html). Hans-Jürgen Hofmann hat das kleine Stück als Fotoroman in 57 Bildern nachgestellt (Fernwald: litblockin 1984).

Für nähere Ausführungen siehe:

* Friedrich Schiller: Avanturen des neuen Telemachs, eine Bildgeschichte von 1786. Hrsg. und mit einer Einführung versehen von Dietrich Grünewald ; ins Englische übertragen von Stephan Packard und Elizabeth Nijdam. Berlin: Christian A. Bachmann Verlag 2018.  Zum ersten Mal nach den Originalbildern. ISBN 978-3-941030-46-6

* Dietrich Grünewald: Freundesgabe. Friedrich Schillers Bildgeschichte Avanturen des neuen Telemachs, 1786. In: Eckart Sackmann (Hg.): Deutsche Comicforschung  Bd. 12 (2016). Leipzig 2015, S. 19 – 34.

E-Mail: d.gruenewald@t-online.de

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4. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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Kontaktanschrift:
Prof. Dr. Georg Jäger
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
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E-Mail: georg.jaeger07@googlemail.com

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