goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Dornröschen
Märchen von Grimm und Bechstein

Engelbert Humperdinck
Dornröschen als Märchenoper

Dornröschen war ein schönes Kind
Märchenspiellied

Stand: Mai 2019

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Das bekannte Märchen von Dornröschen wird in der Fassung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm mit 5 Illustrationen von Ludwig Richter und in der Fassung von Ludwig Bechstein mit 20 Illustrationen auf Bildpostkarten publiziert. Dazu kommen weitere Illustrationen, zumeist Bildpostkarten wie  auch aus der Sammlung von Wikipedia bzw. Wikimedia Commons, so dass diese Seite über 35 Zeugnisse zur bildlichen Rezeption des Märchens in der Hoch- wie Popularkultur bereitstellt. Vorgestellt wird ferner die 1902 uraufgeführte Märchenoper von Engelbert Humperdinck, der heute vor allem durch die häufig gespielte Oper von Hänsel und Gretel bekannt ist. Anhand des Libretto  wird deutlich, wie das Märchen von Dornröschen für die Oper vielfach erweitert und verändert wurde. Bis heute wird auch bei der Erziehung und Beschäftigung der Kinder das 'Bewegungs-' und 'Kreisspiel' "Dornröschen war ein schönes Kind" aufgeführt. Das Goethezeitportal stellt den variantenreichen Text des Kinderliedes mit Melodie vor und druckt einige Spielanleitungen ab. Insgesamt bietet damit diese Seite einen Einblick in die reichhaltige deutsche Märchenkultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

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Alexander Zick (1845-1907)
Dornröschen entdeckt das Turmzimmer
mit der alten Frau an der Handspindel

Aus Wikipedia
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Gliederung

1. Brüder Grimm: Dornröschen
mit Illustrationen von Ludwig Richter
2. Ludwig Bechstein: Das Dornröschen
mit zahlreichen Illustrationen
auf Bildpostkarten
3. Engelbert Humperdinck
Dornröschen als Märchenoper
4. Dornröschen war ein schönes Kind
Kinderspiellied mit Textvarianten
und Spielanleitungen
5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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Einen Überblick über die Märchen- und Sagenmotive
im Goethezeitportal finden sie hier.

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Eugren Napoleon Neureuther:
Dornröschen, 1862

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Eugen Napoleon Neureuther (München 1806 – 1882 München): Dornröschen, 1862. Tusche, Feder über Blei. Höhe 67,5; Breite 51,5 cm. Quelle: Ideal und Natur. Aquarelle und Zeichnungen im Lenbachhaus 1780-1850. Bearbeitet von Dorothee Zanker von Meyer. München: Bruckmann 1993, Nr. 8. Daraus die folgende Beschreibung. - In einer übergreifenden Komposition werden mehrere Episoden des Märchens dargestellt. In der Mitte eine gotisierende Bühnenarchitektur. In der gotischen Halle schlafen der Hofstaat und das Königspaar; darunter im Relief die Episode des bösen Fluchs der gekränkten Fee. Im Türmchen sticht sich die Königstochter in den Finger.

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1. Brüder Grimm: Dornröschen
mit Illustrationen von Ludwig Richter

Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: »Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!«, und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: »Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.« Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheim bleiben. Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: »Die Königstochter soll sich in ihrem funfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.« Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie: »Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt.«

Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, dass alle Spindeln im ganzen Königreiche sollten verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sittsam, freundlich und verständig, dass es jedermann, der es ansah, liebhaben musste. Es geschah, dass an dem Tage, wo es gerade funfzehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren und das Mädchen ganz allein im Schloss zurückblieb. Da ging es allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf und gelangte zu einer kleinen Türe. In dem Schloss steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Türe auf, und saß da in einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs. »Guten Tag, du altes Mütterchen«, sprach die Königstochter, »was machst du da?« »Ich spinne«, sagte die Alte und nickte mit dem Kopf. »Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?« sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit in den Finger.

 

In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie auf das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloss: der König und die Königin, die eben heimgekommen waren und in den Saal getreten waren, fingen an einzuschlafen, und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hofe, die Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Herde flackerte, ward still und schlief ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und der Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, an den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief. Und der Wind legte sich, und auf den Bäumen vor dem Schloss regte sich kein Blättchen mehr.

Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward und endlich das ganze Schloss umzog und darüber hinaus wuchs, dass gar nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf dem Dach. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Dornröschen, denn so ward die Königstochter genannt, also dass von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloss dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jünglinge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder losmachen und starben eines jämmerlichen Todes.

Nach langen, langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloss dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hundert Jahren schliefe, und mit ihr schliefe der König und die Königin und der ganze Hofstaat. Er wusste auch von seinem Großvater, dass schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht hätten, durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängengeblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüngling: »Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne Dornröschen sehen.« Der gute Alte mochte ihm abraten, wie er wollte, er hörte nicht auf seine Worte.

Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter große schöne Blumen, die taten sich von selbst auseinander und ließen ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm taten sie sich wieder als eine Hecke zusammen. Im Schlosshof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf dem Dache saßen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen anpacken und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden. Da ging er weiter und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da ging er noch weiter, und alles war so still, dass einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss. Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte und blickte Ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen; der Braten fing wieder an zu brutzeln; und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, dass er schrie; und die Magd rupfte das Huhn fertig, Und da wurde. die Hochzeit des Königssohns mit dem Dornröschen mit aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.

Quelle:
Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke (Universal-Bibliothek Nr. 3191-3193) 3 Bde. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1980. Hier Bd. 1, S.257-260. Zu KMH 50 siehe Bd. 3.

Illustrationen:
(Richter 1) Dornröschens Mutter im Bad und der Frosch. In: Das Ludwig Richter Album. Sämtliche Holzschnitte. Einleitung von Wolf Stubbe. Herrsching: Pawlak o.J.Bd. 2, S. 1170. Höhe 121; Breite 63 mm.
(Richter 2a) Dornröschen bei dem Spinnweiblein. In: Das Ludwig Richter Album. Sämtliche Holzschnitte. Einleitung von Wolf Stubbe. Herrsching: Pawlak o.J. Bd. 2, S. 1171. Höhe 89; Breite 66 mm.
(Richter 2b) Ludwig Richter: Dornröschen bei der Alten im Turmstübchen. Aus Bechsteins Märchenbuch, 1853. Verlag von Georg Wigand in Leipzig. In: Paul Mohn: Ludwig Richter (Künstler-Monographien; 14) Bielefeld: Velhagen & Klasing 1921, Abb. 94.
(Richter 3) Der Königssohn auf dem Weg zum Schloss. In: Das Ludwig Richter Album. Sämtliche Holzschnitte. Einleitung von Wolf Stubbe. Herrsching: Pawlak o.J. Bd. 2,S. 1609. Höhe 55; Breite 75 mm.
(Richter 4) Der Prinz weckt Dornröschen aus dem Schlaf. In: Das Ludwig Richter Album. Sämtliche Holzschnitte. Einleitung von Wolf Stubbe. Herrsching: Pawlak o.J. Bd. 2, S. 1171. Höhe 75: Breite 82 mm.
(Richter 5) [Der Prinz weckt Dornröschen aus dem Schlaf.]  Alte Postkarte. Ludwig Richter. Aus "Grimms Märchen" (Dornröschen). Serie 1 - Verlag von Georg Wigand, Leipzig. Nicht gelaufen.

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Die guten Feen und die böse Fee an Dornröschens Wiege
Die Gartenlaube 1865

Aus Wikipedia
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2. Ludwig Bechstein: Das Dornröschen
mit zahlreichen Illustrationen
auf Bildpostkarten

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder, wünschten sich aber tagtäglich ein Kind. Zu einer Zeit geschah es, dass die Königin badete, und seufzte, als sie so allein war: »Ach hätte ich doch ein Kind!« Da hupfte ein Frosch aus dem Wasser, und sprach: »Was du wünschest, soll dir werden!"- Und darauf hat die Königin ein Töchterlein bekommen, das war schön über alle Maßen, und der König hatte darüber die größte Freude, dass sein liebster Wunsch erfüllt war, und stellte ein großes Fest an, zu dem er alle seine Freunde einlud. Nun lebten in dem Lande auch weise Frauen, die waren begabt mit Zauber- und Wundermacht und genossen große Ehrfurcht von allem Volke; die lud der König auch ein, und sollten auf goldnen Tellern essen. Damals hatten aber die Könige noch nicht so viele goldne Schüsseln und Teller, wie jetzt, und dieser König hatte nur ein Dutzend, das sind zwölf, und der weisen Frauen waren dreizehn, da konnte er auch nur zwölf einladen, und die dreizehnte blieb uneingeladen, was sie aber übel nahm.

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Dornröschen. "Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen." Alte Postkarte. Printed in Germany. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.

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[Bechstein, Fortsetzung] Die weisen Frauen begabten das Königskind mit gar köstlichen Gütern, nicht mit Schönheit, denn die besaß es schon, sondern mit Liebenswürdigkeit, Heiterkeit, Anmut, Sanftmut, Bescheidenheit, Frömmigkeit, Sittsamkeit, Tugend, Aufrichtigkeit, Verstand und Reichtum, und eben wollte die zwölfte weise Frau auch noch ihren Wunsch aussprechen, als die dreizehnte in das Zimmer trat, die nicht eingeladen worden war, und zornig ausrief: "In funfzehn Jahren soll die Königstochter sich in eine Spindel stechen und tot hinfallen!« Mit diesen Worten war die böse Alrune wieder verschwunden und die andern standen starr vor Schrecken, denn die weisen Frauen machten keine vergeblichen Worte. Ein Glück, dass die zwölfte Alrune ihren Wunsch noch nicht ausgesprochen hatte. Sie konnte zwar das, was einmal eine weise Frau gedroht hatte, nicht abändern, aber ihm doch eine mildernde Wendung geben, und rief: "Die Königstochter soll nur in einen tiefen Schlaf fallen, der soll hundert Jahre dauern und nicht länger.« Der König ließ sogleich ein Regierungsmandat im ganzen Land ergehen, kraft dessen alle Spindeln überall abgeschafft, und dafür die Spinnräder eingeführt wurden, indes erwuchs die schöne Königstochter zu einem Fräulein, das an Schönheit, Holdseligkeit, Freundlichkeit, Milde, Demut, Züchtigkeit, Herzensgüte, Tugend und Verstand seinesgleichen suchte, und so kam es zu seinem funfzehnten Jahre, von allen, die es kannten, geliebt, ja angebetet. Und da bekam die Prinzessin gerade Lust, sich im Schloss ein bisschen umzusehen, ging durch mehrere Gemächer und kam an eine Treppe, die zu einem alten Turm führte; diese stieg sie hinan und kam an ein niedrig Kammertürlein, da steckte ein alter verrosteter Schlüssel daran, und neugierig, wie die ganz jungen Mädchen sind, drehte die Prinzessin an dem Schlüssel, und die Türe ging gleich auf.

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Oben: Dornröschen kommt in's Zimmer des alten Mütterchens. Lith. Anstalt Kaufbeuren. General-Repräsentanz F. Siml, Nürnberg. Alleinverkauf bei Fritz Schardt, Nürnberg. Gruss aus Kaufbeuren. Gelaufen. Poststempel 1899.

Unten: Dornröschen. Signiert P.H. Sammelwerk Nr. 4. Deutsche Märchen. Bild Nr. 25. Gruppe 14. Siehe Carolin Raffelsbauer: Paul Hey - der Maler heiler Welten (Kulturgeschichtliche Forschungen; 30) Bd. 2. München: Herbert Utz Verlag 2007, Bild A3a-293. ISBN 978-3-8316-0675-7 - Text auf Adressseite:

Die deutschen Märchen und ihre vertrauten Gestalten sind aus der Welt unserer Kindheit nicht wegzudenken. Aber auch dem erwachsenen Menschen vermitteln sie in Stunden der Erholung reiche Gemütswerte. In dieses Zauberland der Märchenwelt führen uns die 100 Bilder des vorliegenden Werkes, in denen Professor Paul Hey meisterlich das wiedergegeben hat, was in unserer Phantasie durch das Wort 'Märchen' ausgelöst wird. Fünfzig der schönsten deutschen Volksmärchen, die diesen Bildern zugrunde liegen, hat Paul Alverdes für unsere Ausgabe zusammengestellt und bearbeitet und eine Reihe von ihnen den alten Texten nacherzählt. Jund und alt wird sich an dem uns hier aufs neue nahegebrachten unerschöpflichen Schatz unseres Volkstums in gleicher Weise erfreuen.

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[Bechstein, Fortsetzung] Da saß ein uraltes Spinneweiblein und spann emsig mit einer Spindel; es mochte wohl des Königs Gesetz nicht gehört oder gelesen, oder auch es längst vergessen haben. Die umhertanzende, auf und nieder wirbelnde Spindel aber machte der jungen Königstochter viele Freude, sie haschte nach der Spindel, wollte auch spinnen und stach sich damit, denn es war gerade der Tag, an welchem die Prophezeiung der erzürnten weisen Frau in Erfüllung gehen sollte. Und die Königstochter fiel nieder und in einen tiefen Schlaf.

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Links: Dornröschen. Marke des Deutschen Schulvereins. Rückseite: Marke des deutschen Schulvereins. Tretet dem Deutschen Schulverein in Wien, VIII, Florianigasse 39, bei! Mitgliedsbeitrag ... Kunstdruckerei von Josef Eberle, Wien, VIII Schottenfeldg. 38. Als Feldpostkarte gelaufen. Stempel unleserlich.
Rechts: La belle au bois dormant. Gelaufen. Poststempel 1905.

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Konrad Dielitz (1845-1933): Dornröschen
Daheim, 1879, Heft 1

Die Familienzeitschrift "Daheim" bringt "zu jedem Hefte einen Farbendruckumschlag, abwechselnd ein Märchen, einen Sinnspruch, eine Sage oder andre, Jung und Alt anziehende Stoffe darstellend. Diese Farbendrucke, welche nach und nach höchster Vollendung entgegengeführt werden sollen, können entweder mit dem Jahrgange eingebunden oder in ihrer Gesammtheit zu Bilderbüchern zusammengestellt werden." (Daheim-Redaktion, 1879, Heft 1)

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[Bechstein, Fortsetzung] Und da überkam derselbe Schlaf auch den König und die Königin und das ganze Schloss. Da mag es schön langweilig gewesen sein! Der ganze Hofstaat schlief ein vom Hofmarschall bis zum Küchenjungen, den der Koch wegen eines Versehens gerade an den Haaren zauste, und ihm eine Ohrfeige geben wollte, und Koch und Kellner, Kammerfrau und Kammerjungfer, Kind und Kegel, Hund und Katze, ja die Tauben und Sperlinge auf dem Dache, die Pfauen und Papageien und selbst die Fliegen an der Wand, die schliefen alle. Und das Feuer auf dem Herd legte sich und schlief ein, und der Wind legte sich auch, und wurde alles piepstill, dass man kein Mäuschen im ganzen Schloss mehr knuspern hörte, dieweil die Mäuslein auch schliefen. Und da kam kein Mensch mehr in das verzauberte Schlummerschloss, um welches rund herum eine mächtige Dornenhecke emporwuchs, jedes Jahr einige Schuh höher, bis sie den höchsten Turm überwachsen hatte, dass man nicht einmal die Fahne und den Wetterhahn mehr sah, und so dicht, dass kein menschliches Wesen eindringen konnte. Und da wurde das Schloss allmählich ganz vergessen, und es ging nur noch die Sage, hinter den Dornen stehe ein Schloss, darin schlafe das Dornröschen, die verzauberte Prinzessin, wie lange schon und wie lange noch, wisse niemand. Zwar kamen von Zeit zu Zeit Königssöhne, die wollten hindurchdringen durch die Hecke, allein dieselbe war allzudicht und konnten es nicht erlangen, blieben wohl gar in den Dornen verstrickt, und kamen elendiglich darin um.

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Links: Dornröschen. Neue Piusvereins-Karten, N. 1 - Preßverein Linz.4556 09. Nicht gelaufen. Text auf Adressseite:

Es spinnet die Spinn voll Tück' und Trug ─ Ihr listiges, dünnes Gewebe, ─ Und harret und horchet, wie bald, wie bald, ─ Ein hilfloses Opfer drin schwebe.─ Das Treiben der Hexe, wie ist's ihr gleich. ─ Wie schnurret und surret ihr Mädchen, ─ Daß dichter der reichliche Rocken sich füllt ─ Mit teuflich ersonnenen Fädchen, ─ Um harmlose Herzen nach Spinnenart ─ Mit tödlichem Garn zu umranken, ─ Seit Dornröschen ruhet im Zauberschlaf, ─ Regieren der Hexe Gedanken.

Dornröschen, du christliches Volk, erwach, ─ Schon nahet der Held, dich zu retten. ─ Sein Schwert, es zerstörte der Presse Gespinst, ─ Befreit dich von geistigen Ketten. ─ Sein Mut, er gewinnt dir dein Reich zurück. ─ Komm, Königskind, tritt in dein Eigen, ─ Nach düsterem Bangen der Schauernacht ─ will siegreich die Sonne sich zeigen.

Rechts: Dornröschen. E. Schütz [Erich Schütz, 1886-1937]. Marke des Deutschen Schulverein. Adressseite mit Werbung für den Schulverein und Spendenmarke mit Motto: Deutsch und Treu. Deutscher Schulverein, Karte Nr. 862. Kunstdruckerei von Josef Eberle, Wien VII, Schottenfeldg. Gelaufen. Poststempel unleserlich.

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[Bechstein, Fortsetzung] Und so waren nun hundert Jahre vergangen, und die Zeit war da, dass das Dornröschen wieder erwachen sollte, es wusste dies aber niemand genau, und da kam auch ein Königssohn, der hörte die Mär von dem schlafenden Dornenröschen aus dem Mund eines Alten, der sie ihm gewiss versicherte, denn sein Vater und Urgroßvater hätten ihm in seiner Jugend oft davon erzählt und der Alte musste den Königssohn hin an die berufene Dornhecke führen. Und das geschah just am hundertsten Jahrestag, seit das Dornröschen in seinen Zauberschlaf gefallen war. Und die Dornhecke stand über und über voll Rosenblumen, das war seit Menschengedenken nicht der Fall gewesen, auch konnte der Königssohn frei durch die Dornhecke gehen, kein Dorn berührte sein Gewand, gleich hinter ihm schloss sich die Hecke wieder.

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Links: Dornröschen. Da erwachten alle im Schloss. Der Braten fing wieder an zu brutzeln, der Koch gab dem Jungen die Ohrfeige und die Magd rupfte das Huhn fertig. Signet: BKN im Dreieck [Berlin-Neuroder Kunstanstalten, Actiengesellschaft] 33029/7. Gelaufen. Poststempel unleserlich.

Rechts: Adressseite: Märchen Nr. 303. Dornröschen. Signet: CCM&S [C.C. Meinhold & Soehne, Dresden] nicht gelaufen.

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[Bechstein, Fortsetzung] Und da fand er alles noch im tiefen Schlummer, und alles unversehrt; kein Wind hatte geweht und kein Regen genässt, das Jahrhundert war über den Häuptern der Schlummernden so leise hinweggeflogen, wie ein Schwan über einen stillen See voll träumender Wasserlilien. Da schliefen noch alle Fliegen und alle Mäuschen, da schliefen Huhn und Hahn, Katz und Hund, Magd und Zofe, Kammerherr und Kammerknecht, und auch König und Königin. Das alles sah der Königssohn mit großer Verwunderung, ging nun hinauf in den Turm, und kam in die Kammer, wo das süße Dornröschen lag und so sanft schlief, hehr umflossen vom Heiligenschein seiner Unschuld und vom Glanze seiner Schönheit.

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1. Bild von oben: Dornröschen. 10 deutsche Märchen. Gruss aus ... Kunstverlag d. A.-G. für Automatischen Verkauf, Berlin. Gelaufen. Poststempel 1893. Adressseite ungeteilt.

2. Bild von oben. [Der Prinz findet das schlafende Dornröschen.] Keine Angaben. Nicht gelaufen. Adressseite ungeteilt.

3. Bild von oben: Dornröschen. A 6055. Adressseite: F. A. Ackermanns Kunstverlag, München. Reihe 606. - Paul Hey: 12 Märchen. II. Nicht gelaufen.- Siehe Carolin Raffelsbauer: Paul Hey - der Maler heiler Welten (Kulturgeschichtliche Forschungen; 30) Bd. 2. München: Herbert Utz Verlag 2007, Bild A3a-397. ISBN 978-3-8316-0675-7

4. Bild von oben: [Der Prinz findet das schlafende Dornröschen.] Correspondenz-Karte mit ungeteilter Adressseite. Gelaufen. Poststempel 1883.

5. Bild von oben: [Der Prinz findet das schlafende Dornröschen.] Im Bild signiert: J.Kränzle Wien. Adressseite: J. Kränzle [Josef Kränzle, 1874-1937] pinx. Dornröschen. Salon-Apart mit Umrahmung. F.H. & S.W. IX. [Verlag Horoschowski & Sohn, Wien IX] 5008. Nicht gelaufen.

6. Bild von oben: [Der Prinz findet das schlafende Dornröschen.] Adressseite: Dornröschen. B.K.W. 1 [Brüder Kohn, Wien I] 398/I. Nicht gelaufen.

7. Bild von oben: M. Liebenwein [Maximilian Liebenwein, 1869-1924] Dornröschen. Adressseite: Wiener Künstler Postkarte. B.K. Wien 1 [Brüder Kohn, Wien 1] Gelaufen. Poststempel 1917.

8. Bild von oben: Dornröschen. Märchenpostkarte No 3. Kunstanstalt Wilhelm Boehme, Berlin S.O. 26. Nicht gelaufen. Adressseite ungeteilt.

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[Bechstein, Ende] Da beugte der Prinz sich nieder, und küsste das Dornröschen, und alsbald schlug es die Augen auf. Der Königssohn sagte ihm, wie alles sich zugetragen, und führte es herab in das Schloss. Da erwachte alles, König und Königin, Zwerg und Zofe, Hunde und Pferde, Feuer und Wasser, Wind und Wetterhahn, und der Koch gab dem Küchenjungen die Ohrfeige, die er ihm vor hundert Jahren schuldig geblieben war, und alles ging wieder seinen Gang, und wurde eine stattliche Hochzeit ausgerichtet, nämlich des Dornröschens mit dem Königssohn, der es aus dem Schlummer erlöst, und lebten glücklich und zufrieden miteinander, bis an ihr Ende.

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Oben: Dornröschen. Marke des Deutschen Schulvereins. Adressseite: Verlag Deutscher Schulverein Wien, I. Bräunerstraße 9. Deutsche Märchen: Nr. 4, Karte Nr. 60. Gelaufen. Poststempel 1911.

Mitte: [Der Prinz und das erwachende Dornröschen.] Im Bild signiert. E. Veith. Adressseite: Meisterwerke der Kleinkunst. No. 89. Ed. Veith [Eduard Veith, 1858-1925], Dornröschen. Nordwestdeutscher Kunstverlag Hermann A. Wiechmann. Goslar a.H. Verzeichnis von Büchern, Bildern und Karten gratis und franko. Stempel: Kunstverlag Leo Stainer, Innsbruck. Nicht gelaufen. - Siehe Silvia Freimann: Eduard Veith (1858-1925). Kommentierter Werkkatalog mit Werkverzeichnis. Berlin: Logos Verlag 2011. ISBN 978_3_8325-2790-7

Unten: Dornröschen. Da ward die Hochzeit des Königssohns mit Dornröschen in aller Pracht gefeiert und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende. Signet: AL im Kreis [Aristophot, Taucha bei Leipzig] Nicht gelaufen.

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Henry Meynell Rheam (1859-1920)
Dornröschen, Aquarell (1899)

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Wandteppich aus Scherrebeck (Skaerbaek)
mit Motiven aus dem Märchen Dornröschen (1898)
Entwurf von  Heinrich Vogeler (1872-1942)

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3. Engelbert Humperdinck
Dornröschen als Märchenoper

Engelbert Humperdinck (1854-1921), dessen Oper "Hänsel und Gretel" (Uraufführung 1893) bis heute gespielt wird, hat noch weitere Märchen vertont, neben"Schneewittchen" und  "Die sieben Geislein" auch "Dornröschen". Das Libretto der 1902 uraufgeführten Märchenoper erhielt er von seiner Gönnerin Elisabeth Ebeling (1828-1905), die es mit ihrer Freundin  Bertha Lehmann-Filhés (1819-nach 1887) getextet hatte.  Verglichen mit der Märchenfassung der Brüder Grimm ist das Libretto wesentlich erweitert und vielfach verändert. Es besteht aus einem Vorspiel und drei Akten bzw. 7 Bildern mit unterschiedlich vielen Nummern:

1. Orchestervorspiel
Vorspiel
1. Bild: Die goldenen Teller
2. Frohes Ereignis
3. Ankunft der Feen
4. Feenmahl
5. Patenlied
6. Segen und Fluch
7. Schlaf für Tod
8. Orchesternachspiel
2. Bild: Die Spindel (Fünfzehn Jahre später
9. Festklänge
10. Röschen
11. Die Festgäste
12. Das Verhängnis

Dornröschen. Adressseite: Serie 92.6.
Nach Original-Aufn. mit gütiger Erlaubnis des Componisten.
Gelaufen. Poststempel 1904. Adressseite ungeteilt.

3. Bild: Im Ahnensaal (Hundert Jahre später)

 

Links: Prinz Reinhold:
Welch' Engelsantlitz! wie bezaubernd schön!
So holde Züge hab' ich nie gesehn. Ebeling-Filhès.

Rechts: Dass. koloriert
Beide Karten nicht gelaufen.

13. Ballade
14. Das Traumbild
15. Die Enthüllung
16. Dornröschens Bild
17. Mahnung
18. Irrfahrten
(Zwischenspiel)
4. Bild: Dämonia
19. Himmelfahrt
5. Bild: Im Reiche der Sterne
20. Sphärenreigen
21. Sonnenaufgang
22. Sternenspruch
23. Sphärenreigen
6. Bild: Die Ringe
24. Quecksilber
25. Gelöbnis
26. Versuchung
27. Überwindung
28. Schneesturm
29. Sonnenschein
30. Das Dornenschloss
(Zwischenspiel)

Links. Prinz Reinhold:
Wie süss sie schlummert, lächelnd hold im Traum,
mir stockt des Herz, zu atmen wag' ich kaum.
Ebeling-Filhès. Dornröschen. Serie 92. 9.
Nach Original-Aufn. mit gütiger Erlaubnis des Componisten.
Gelaufen. Poststempel 1904. Adressseite ungeteilt.

Rechts. Röschen:
Sei fröhlich, Mütterlein, in dieser Nacht
Geht es zu Ende mit Dämonia's Nacht.
Ebeling-Filhès. Dornröschen. Serie 92. 4.
Nach Original-Aufn. mit gütiger Erlaubnis des Componisten.
Gelaufen. Poststempel 1904. Adressseite ungeteilt.

7. Bild: Die Erlösung
31. Dämonias Ende
32. Im Schlossgarten
33. Das Erwachen

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Mehrere Bilder sind neu erfunden und hinzugefügt. Das 3. Bild variiert aus Grimms Märchen die Szene mit dem Alten; es spielt im Ahnensaal eines "altersgrauen Schlosses", in dem Prinz Reinhold das verhängte Bildnis Dornröschens entdeckt, das ein Traumbild ihm gezeigt hatte.

"Reinhold (feurig):
Lippen so wonnig,
Augen so sonnig,
Liebe verheißender,
strahlender Blick!
[...]
Dich aus den bösen
Fesseln zu lösen,
die dich umsponnen,
listig und fein,
will ich mit Freuden
dulden und leiden,
setze mit Freuden
mein Leben ein!"

"Der Vogt berichtet sodann, wie mancher tapfre Held auch ausgezogen wäre, Dornröschen zu befreien, doch keiner von ihnen zurückgekehrt sei; auch die Verlobungsringe, die zum Erlösungswerk gehören, seien spurlos verschwunden. Reinholds Entschluß ist gefaßt; er will fort, Dornröschen befreien."

Das Motiv der verlorenen Verlobungsringe, die Reinhold zu erlangen sich aufmacht,  ist neu eingefügt. Im Rahmen seiner "Irrfahrten" macht er eine "Himmelfahrt", doch können weder der Mond, noch die Sonne oder die Sterne ihm weiterhelfen. Schließlich findet er die Ringe "in der Erde tiefen Schoße", im unterirdischen Reich der Zwerge.

"Reinhold (Ringe betrachtend):
Die Ringe mein!
so ist das Werk gelungen,
der langersehnte Talisman errungen!
(Er drückt einen der Ringe an die Lippen.)
Du goldner Reif, der Liebe Spende,
du ohne Anfang, ohne Ende,
mein reichster Schatz,
mein höchstes Gut!
Endlos wie du,
will stets aufs neue bewähren
Opfermut und Treue ihr,
die mir im Herzen ruht.
Bei diesem Ring
vom reinsten Golde
gelob ich dir, du Reine Holde,
die reinste Liebe stets zu weihn.
Nie soll mich fremder Reiz
betören, dir nur allein
will ich gehören,
bis in den Tod ergeben sein."

"Quecksilber", "der schnelle der hurt'ge Geselle", "hin und herschießend und Purzelbäume schlagend", schließt sich Reinhold an, um ihn ins Land zu führen, "wo Ringold thront und wo Dornröschen wohnt."

Die Rolle der bösen dreizehnte Fee, Dämonia, wird zur Gegenspielerin Reinholds erweitert. Sie ist in "glühender Leidenschaft" zum Prinzen, dem "blühenden Knaben", entbrannt und will ihn "zur Liebe zwingen". Um ihn zu betören, bedient sie sich ihrer Gefolgschaft von Nymphen und Najaden und setzt ihre Zauberkräfte ein. Beinahe erliegt er der Versuchung, erhält jedoch Hilfe durch die Sonne und tötet Dämonia am Dornenschloss mit einem Stich ins Herz.

"Reinhold ist mit Quecksilber am Dornenschlosse angelangt. Racheschnaubend erwartet ihn hier Dämonia. Ein Kampf auf Leben und Tod entspinnt sich hinter der Szene; schon droht Reinhold zu unterliegen.
(Quecksilber entsetzt:)
Der fällt zu Boden - kann nicht widerstehn -
Sie triumphiert; jetzt ist's um ihn geschehn!

Doch nein, er erhebt sich, nimmt kühn und gewandt
das Schwert, das entsunk'ne, noch einmal zur Hand.
Triumph! Jetzt durchbohrt ihr der Kühne das Herz,
da stürzt sie und windet sich jammernd vor Schmerz!"

In einigen Szenen werden die Handlung des Märchens konkretisiert bzw. die Handelnden psychologisiert. So wird Röschen (im ersten Akt, 2. Bild, Nr. 10), deren Hochzeit ansteht, als erblühendes Mädchen in all ihrer Unsicherheit dargestellt:

"Ich fühl' ein leises Bangen,
weiß nicht, was mich bewegt;
ein sehnendes Verlangen
sich mir im Herzen regt.
Noch eben tief versunken
in Kinderspiel und Lust,
wie regt sich wonnetrunken
die süß beklomne Brust!
Verweht ist und entschwunden
der Kindheit Lust und Leid;
was je ich einst empfunden,
liegt ach! so weit, so weit!
Zu neuen, schönen Bahnen
hebt sich der weite Blick,
das Herz beginnt zu ahnen
ein namenloses Glück."

An einigen Stellen werden im Libretto Sachverhalte geklärt, die das Märchen offen gelassen hat: So wird die alte Spinnerin im Schlossturm, deren Spindel Dornröschen sticht, zu einer "Maske" Dämonias.

Am Ende klärt Fee Rosa das Geschehen:

"Ihr sucht umsonst das Rätsel zu ergründen;
was sich begab, Fee Rosa wird es künden.
Es hielt euch hundertjähr'ger Schlaf umfangen,
die mit euch lebten sind zur Ruh gegangen.
Ein neu Geschlecht sitzt auf Reinholds Thron:
der junge Held dort ist sein Enkelsohn.
Wie Frost dem Lenze weichen muß,
entwich der Bann vor seinem Kuß.
Heil euch! Aus dunkler Nacht
seid ihr aufs neu zum Licht erwacht.
Nun waltet Lenz im Rosenland,
nun schlingt die Lieb' ihr zartes Band
um Reinholds und um Dornröschens Herz;
der Sonne Strahl bannt Leid und Schmerz,
und froh, mit glanzerfülltem Blick,
streut Rosen euch das höchste Glück!"

Literatur:
* Engelbert Humperdinck: Dornröschen. Copyright 1902 by Max Brockhaus. Performer's Reprints, siehe die Seite: https://performersedition.com/index.php/catalogsearch/result/?q=Humperdinck
* Peter P. Pachl: Unglücklicher Zwitter, Engelbert Humperdinck: "Dornröschen". In: nmz - neue musikzeitung. Ausgabe 2/2011. Digitalisat:
https://www.nmz.de/artikel/ungluecklicher-zwitter

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Der Prinz findet Dornröschen im Schloss.
Lichtdruck von Joseph Albert (1869)
mit Prinz Otto als Prinz

Aus Wikipedia
URL Lizenz

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4.
Dornröschen war ein schönes Kind
Kinderspiellied

Das Märchen von Dornröschen ist mehrfach - wie die folgenden Beispiele belegen - zu Kreisspielen für Kinder verwendet worden. Wie der Name besagt, bilden dabei die Kinder einen Kreis, in den Hauptpersonen des Märchens eintreten: Dornröschen vor allem, aber auch die böse Fee oder der Prinz. Am Ende kann sich der Kinderkreis in ein Fest mit Tanz auflösen. Die rudimentäre  Kenntnis des Märchens wird dabei vorausgesetzt. Melodie und Text sind einfach, prägen sich durch Wiederholungen ein, laden zum Mitsingen ein und lassen sich durch körperliche Bewegungen der Kinder (z.B. Klatschen, Gesten wie die Warnung vor der bösen Fee, Tanzschritte, Reigen mit Händchenhalten) begleiten. In diesem Sinn ist Dornröschen auch ein Bewegungsspiel. Die Kinder sind zumeist einfach kostümiert, auf Requisiten wie z.B. das Spinnrad kann verzichtet werden. Der hundert Jahre währende Schlaf in einem durch Dornen überwucherten Schloss lässt sich andeuten, indem die Kinder das am Boden liegende Dornröschen eng umstehen und mit erhobenen Händen derart über sie hinaus wachsen, dass es wie eingeschlossen erscheint.

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Lotte Heffter (1889-?): Dornröschen.
Kunst-Verlag H. E. Wilhelm Lorenzen, Freiburg Br.
Alte Postkarte. Nicht gelaufen

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Dornröschen war ein schönes Kind,
schönes Kind, schönes Kind
Dornröschen war ein schönes Kind
schönes Kind.

Dornröschen, nimm Dich ja in acht
ja in acht, ja in acht
Dornröschen, nimm Dich ja in acht
vor einer bösen Fee.

Da kam die böse Fee herein
Fee herein, Fee herein
da kam die böse Fee herein
und rief ihr zu:

Dornröschen schlafe hundert Jahr
hundert Jahr, hundert Jahr
Dornröschen schlafe hundert Jahr
und alle mit.

Und eine Hecke riesengroß
riesengroß, riesengroß
Und eine Hecke riesengroß
umgab das Schloß.

Da kam ein junger Königssohn
Königssohn, Königssohn
Da kam ein junger Königssohn
und sprach zu ihr:

Dornröschen holdes Mägdelein
Mägdelein, Mägdelein
Dornröschen holdes Mägdelein
nun wache auf.

Dornröschen wachte wieder auf
wieder auf, wieder auf
Der ganze Hofstaat wachte auf
wachte auf.

Dornröschen ward nun Königin
Königin, Königin
beglückte hoch den Königssohn
beglückte ihn.

Sie feierten ein großes Fest
großes Fest, großes Fest
Sie feierten ein großes Fest
das Hochzeitsfest.

Da jubelte das ganze Volk
ganze Volk, ganze Volk
da jubelte das ganze Volk
ganze Volk.

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Dornröschen
Postkarte
FRA 2736 Sch.
Druckerei W. Schmidt.
Frankfurt a.M. Textorstraße 93.
Bestell-Nr. 3341.

Nicht gelaufen.

 

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Melodie

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Quelle:
Eintrag "Dornröschen war ein schönes Kind (Lied)" in Wikipedia.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dornröschen_war_ein_schönes_Kind_(Lied)
Beachten Sie die Lizenzbedingungen.

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Dornröschen
Hans Krause (nicht ermittelt). 8 Märchen.
J. Baruch, Berlin W 62. Scherenschnitt.

Nun waren vergangen hundert Jahr,
daß Dornröschen im Schlosse verzaubert war;
vor dem Königssohn sich die Dornen neigten
und ihm den Weg zum Turmstübchen zeigten.
Da lag Dornröschen und war so schön,
daß er sich nicht satt dran konnte sehn.
er bückte sich nieder und küßte sie sacht,
Dornröschen war wieder zum Leben erwacht.

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Dornröschen war ein schönes Kind
Textvarianten, Spielanleitungen

1. Dornröschen war ein schönes Kind.
2. Dornröschen, nimm dich ja in Acht!
3. Da kam die alte Fee herein.
4. Dornröschen ist jetzt riesengroß.
5. Da kam der junge Königssohn.
6. Da ging das junge Königspaar.
7. Da fingen sie an zu tanzen.

"Die Kinder bilden einen Kreis, in dessen Mitte ein Kind als Dornröschen steht, bei Str. 3 tritt die alte Fee in den Kreis und bei Str. 5 der junge Königssohn. Bei Str. 6 löst sich der Kreis auf und lässt das Königspaar hinausgehen. Bei Str. 7 tanzen alle Kinder."

Quelle:
Deutsche Volkslieder. In Niederhessen aus dem Munde des Volkes gesammelt, mit einfacher Klavierbegleitung, geschichtlichen und vergleichenden Anmerkungen hg. von Johann Lewalter. 5. Heft. Hamburg, Verlag von Gustav Fritzsche 1894. Nr. 16, mit Melodie. Reprint Hildesheim: Georg Olms 1982.

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Dornröschen.
Elsbeth Forck's Schattenbilder.
Reihe VIII. "Zwölf Märchen".
Hermann A. Peters, Kunstverlag, Bonn
Beschrieben und datiert 1925.
Nicht gelaufen.

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1. Dornröschen war ein schönes Kind, schönes Kind, schönes Kind.
Dornröschen war ein schönes Kind, schönes Kind.

2. Dornröschen, nimm dich ja in acht, ja in acht, ja in acht.
Dornröschen, nimm dich ja in acht vor einer bösen Fee!

3. Da kam die böse Fee herein, Fee herein, Fee herein.
Da kam die böse Fee herein, und rief ihr zu:

4. "Dornröschen, schlafe hundert Jahr, hundert Jahr, hundert Jahr,
Dornröschen, schlafe hundert Jahr, und alle mit!"

5. Und eine Hecke riesengroß, riesengroß, riesengroß,
Und eine Hecke riesengroß umgab das Schloss.

6. Da kam ein junger Königssohn, Königssohn, Königssohn,
Da kam ein junger Königssohn und sprach zu ihr:

7. "Dornröschen, holdes Mägdelein, Mägdelein, Mägdelein,
Dornröschen, holdes Mägdelein, nun wache auf!"

8. Dornröschen wachte wieder auf, wieder auf, wieder auf,
Dornröschen macht der Königssohn zur Königin.

9. Sie feierten ein großes Fest, großes Fest, großes Fest,
Sie feierten ein großes Fest: das Hochzeitsfest.

10. Und alle freuten herzlich sich, herzlich sich, herzlich sich
Es freute sich auch herzlich mit das ganze Land.

Quelle:
"Macht auf das Tor!" Alte deutsche Kinderlieder, Reime, Scherze und Singspiele zum Teil mit Melodien. Ausgewählt von Maria Kühn. Königstein im Taunus: Karl Robert Langewiesche o.J., S. 195.

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Vers 8 bis 10 werden auch in folgender Version gesungen:

8. Dornröschen wachte wieder auf, wieder auf, wieder auf,
Der ganze Hofstaat wachte auf, wachte auf.

9. Dornröschen ward nun Königin, Königin, Königin,
Beglückte hoch den Königssohn, beglückte ihn.

10. Sie feierten ein großes Fest, großes Fest, großes Fest,
Sie feierten ein großes Fest: Das Hochzeitsfest.

Quelle:
Lieder und Bewegungsspiele. Für das Pestalozzi-Fröbel-Haus zu Berlin gesammelt, zusammengestellt und bearbeitet von Else Fromm, Leiterin des Kindergartens im Pestalozzi-Fröbel-Hause. Dritte Auflage. Hamburg: Gutenberg-Verlag 1910,  Nr. 142 (Kreisspiel, mit Melodie).

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Werbemarken



"Aecht Franck Märchenserie
Dornröschen. Bild 2,3,4
Breite 3,2; Höhe 4,6 cm (Bild)

Über Werbemarken und die Firma Heinr. Franck Söhne siehe die Seite zu Schneewittchen
http://www.goethezeitportal.de/wissen/illustrationen/brueder-grimm/schneewittchen.html

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Aktuelles Beispiel einer Spielanleitung

Wenn die drei "Hauptrollen" [Dornröschen, böse Fee, Königssohn] verteilt sind, bilden die übrigen Kinder einen Kreis. Dornröschen nimmt in der Mitte Platz, böse Fee und Königssohn treten von außerhalb des Kreises auf. Strophe 4 singt die böse Fee allein, ebenso Strophe 7 der Königssohn.

Quelle:
Ingeborg Weber-Kellermann: Das Buch der Kinderlieder. 235 alte und neue Lieder. Kulturgeschichte, Noten, Texte, Bilder. mit Klavier- und Gitarrenbegleitung. Klaviersätze von Hilger Schallehn und Manfred Schmitz. Mainz: Schott Music, 5. Aufl. 2017. Nr. 214. ISBN 978-3-7957-2063-6

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Zu Dornröschen als Spiel und lebendes Bild siehe auch Ilse Obrig: Kinder, wir wollen Theater spielen! Fröhliche Vorschläge. Stuttgart: Franckh'sche Verlagshandlung 1941, S. 13, 68f. ─ Darin S. 69 Dornröschen als lebendes Bild mit Elementen des Märchens: Koch, im Begriff den Küchenjungen zu ohrfeigen; Frau an der Spindel; Dornröschen, fasziniert von der Spindel.

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Beispiele unterschiedlicher Umsetzungen des Kreisspiels finden Sie in Youtube.
Geben Sie ein: dornroeschen war ein schönes kind.

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Einen Überblick über die Märchen- und Sagenmotive
im Goethezeitportal finden sie hier.

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