Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Oben links: Rotkäppchen. Im Bild signiert: R. Borrmeister 1919. Verso: Verlag Hermann Wolff Berlin 59 Boppstr. No. T. 3116. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1922. - R. Borrmeister: nicht ermittelt ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Rotkäppchen. Links unten: W. u. H., N. Verso: Signet L&G D. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1902. Adressseite ungeteilt. Prägedruck. ***** "Ich will schon alles gut machen", sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. "Guten Tag, Rotkäppchen", sprach er. "Schönen Dank, Wolf." "Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?" "Zur Großmutter." "Was trägst du unter der Schürze?« "Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugut tun und sich damit stärken." "Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?" "Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen", sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: "Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte: du musst es listig anfangen, damit du beide erschnappst." ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Oben links: Rothkäppchen. Gelaufen. Poststempel unleserlich. Adressseite ungeteilt. - Anderes Exemplar datiert 1899. ***** Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: "Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald." ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Links: [Ohne Titel] Rückseite mit Zierrand. Rotkäppchen. A. Hansa. Amag Kunst. Nr. 126. Gelaufen. Poststempel unleserlich. - Amag = Albrecht & Meister, Aktiengesellschaft Berlin-Reinickendorf. - A. Hansa: nicht ermittelt. ***** Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: "Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme", lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Oben: [Ohne Titel] Im Bild signiert, unleserlich. Verso: W. de Haan, Utrecht - Serie 117 - 6 dessins. Chromotypie Morks en Geuze, Dordrecht. Gelaufen. Poststempel 1910. ***** Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. "Wer ist draußen?" "Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf." "Drück nur auf die Klinke", rief ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Prof. Dr. Seeger. Rotkäppchen. Verso: "Deutsche Meister-Sammlung". Wohlgemuth & Lissner, Kunstverlagsgesellschaft m.b.H., Berlin. Ges. gesch. No. 3032. Nach einem Original von Prof. Dr. Seeger. Primus-Postkarte. Nur echt mit dieser Schutzmarke [Adler vor Sonne, Palette mit W]. Nicht gelaufen. - Hermann Seeger, geb. 1857 in Halberstadt, Todesdatum unbekannt, "Genremaler und Graphiker, lebte in Berlin, wo er Kustos der Akademie war" (Ries). ***** Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, dass die Türe auf stand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: "Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir 's heute zumut, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!" Es rief "Guten Morgen", bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter und hatte die Haube rief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. "Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!" "Dass ich dich besser hören kann." "Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!" "Dass Ich dich besser sehen kann." "Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!" "Dass Ich dich besser packen kann." "Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!" "Dass ich dich besser fressen kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild [Ohne Titel] Verso: Rotkäppchen. Aus Thienemanns Grimm-Märchenbuch. Ill. v. Paul Hey. Signet: M (?) im Sechseck. Nr. 21/121 5. Beschrieben, datiert 1918. Nicht gelaufen. - Carolin Raffelsbauer: Paul Hey - der Maler heiler Welten. Bd. 2. München: Herbert Utz 2007, A3a-020.JPG - Zu Paul Hey siehe die Seite: ***** Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: "Wie die alte Frau schnarcht, du musst doch sehen, ob ihr etwas fehlt." Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er, dass der Wolf darin lag. "Finde ich dich hier, du alter Sünder", sagte er, "ich habe dich lange gesucht." Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben und sie wäre noch zu retten: schoss nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief: "Ach, wie war ich erschrocken, wie war 's so dunkel in dem Wolf seinem Leib!« Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, dass er gleich niedersank und sich totfiel. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Oben: Aus "Rotkäppchen". (Scholz' Künstler-Bilderbücher) Verlag von Jos. Scholz, Mainz. Nicht gelaufen. Verso folgende Werbeanzeige: 1. Dornröschen, 2. Marienkind, Jedes dieser 14 Bücher enthält 8 große farbige Vollbilder im Format 22 x 29 cm und zahlreiche Textillustrationen zum Preise von nur 1 Mark. "Diese Märchenbücher gehören z. Besten, was wir an Bilderbuchkunst besitzen." (Deutsche Schulztg.) Jedem Kinde wird damit wahre Freude bereitet. In allen guten Buchhandlungen vorrätig, wo nicht erhältlich, wende man sich an die Verlagsanstalt Jos. Scholz in Mainz. Unten: [Ohne Titel] Im Bild monogrammiert: H. Sch. Verso: Uit Grimm's Sprookjes door Nora Schnitzler. Gelaufen. Poststempel 1948. ***** Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: "Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vorn Wege ab in den Wald laufen, wenn dir 's die Mutter verboten hat." ***** Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen, Rotkappehen aber hütete sich und ging gerade fort seines Wegs und sagte der Großmutter, dass es dem Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: "Wenn's nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen." "Komm", sagte die Großmutter, "wir ***** Dazu Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den originalen Anmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke (Universal-Bibliothek; 3191-3193). 3 Bde. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1980. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Links: Rotkäppchen. Rotkäppchen wandert durch den Wald / Großmutter zu besuchen. / Bringt schöne Gaben mannigfalt: / Wein, Blumen, Wurst und Kuchen. Signet: KVB [Kleiner Verlag Berlin] 2076/1. Gelaufen. Poststempel 1920. Fotopostkarte. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Links: Rotkäppchen. Verso: 364 II. Gelaufen. Poststempel 1904. Adressseite ungeteilt. Fototypie mit gezeichnetem Wolf und gemalter Landschaft. Text: Kaum ging Rotkäppchen in den Wald hinein, Rechts: Rotkäppchen. Verso: 364 III. Gelaufen. Poststempel 1904. Adressseite ungeteilt. Fototypie mit gezeichnetem Wolf und gemalter Landschaft. Text:
***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild [Ohne Titel] Verso: Oberhaus-Passau. Rotkäppchen im Aussichtsturm. 9583 J. K. August Zerle, München, Viktoriastr. 1. Nachdruck verboten. Stempel: Aussichtsturm Oberhaus. Nicht gelaufen. Kolorierte Fototypie. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Links: [Ohne Titel] Signet: PG im Kreis, im Viereck [Photographische Gesellschaft Wien]1553/54. Gelaufen. Poststempel unleserlich. Kolorierte Fotografie. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild [Ohne Titel] Signet: NPG im Kreis [Neue Photographische Gesellschaft, Berlin-Steglitz] ?01/8. Gelaufen. Poststempel unleserlich. Fotomontage. Text: Und endlich öffnet sich das Haus, ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild Rotkäppchen. Signet: BNK im Dreieck [Berlin-Neuroder Kunstanstalten, Aktiengesellschaft Berlin] 32957/7. Verso, rechts unten: 2669. Gelaufen. Poststempel unleserlich. Fotografie. Text: Der Jäger nahm den Pelz vom Wolf ab. Rotkäppchen aber dachte, Du willst Dein Lebtag nicht wieder vom Weg' ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat. ***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild [Ohne Titel] Verso: Wohlfahrtspostkarte zum Besten des Alice-Frauen-Vereins für Krankenpflege im Grossherzogtum Hessen. Rotkäppchen. Verband Deutscher Papier- u. Schreibwarenhändler Nr. 13. Ortsgruppe Darmstadt. Nicht gelaufen. Fototypie. ***** 2. Ludwig Bechstein: Das Rotkäppchen
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Ha, welch ein Mord In dem stillen Hause! – Von dem Schmause Trieft blutig die Zunge, Da schnell im Sprunge Rafft alles er fort, Was an den Greuel kann mahnen. Niemand soll ahnen, Was hier geschehn. Die Fenster schließt er auf, Damit Waldlüfte wehn; Dann springt er im Lauf Zu Kisten und Fächer, Der arme Schächer, Wirft die blutigen Lumpen, In einen Klumpen Zusammengeschlagen, Zu Nachthäubchen und Kragen. Es ist zum Entsetzen! Dann eilt er zu netzen Mit eau de mille fleurs, Das Bette, die Stühle, Den Teppich umher. Von dumpfiger Schwüle Merkt niemand was mehr; Gemütlich und rein Ist wieder das Zimmerlein klein. |
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Er legt sich selbst, wieder zum jungen Mann verwandelt, mit einem Hemde und Nachtjäckchen der Alten bekleidet, und einem Häubchen auf dem Kopfe ins Bette, nachdem er vorher die Tür geöffnet hat. Als er Rotkäppchen kommen hört, summte er das Lied vor sich hin:
Alte Damen Schmecken nicht übel Mit einer Sauce Von Lattich und Zwiebel. Doch muss Schlüssel und Brillen Man ihnen nehmen, Sonst macht es im Magen Ein hässliches Grämen. Doch will ich nur sagen, Ich war zu rasch. Sie barg' in ihrer Tasch' Noch einen Fingerhut, Den hab' ich verschluckt nun Und das tut nicht gut. Es lässt nicht ruhn, Ich muss mich wenden Von einer Seite zur andern Und möchte nach dem Doktor senden. |
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Indem trat Rotkäppchen ein.
"Schönen guten Tag, Großmama!"
"Bon jour, ma petite! Küss mir die Hand."
"Was sangst du denn für ein Lied, Großmama, als ich hereintrat?"
"Hm, es wird wohl ein Lied aus dem Gesangbuch gewesen sein."
"Es klang indes ziemlich fremdartig. Und warum wälzt du dich im Bette herum, Großmama?"
"Warum? warum? alberne Frage; weil ich noch verdammt hitziges Geblüt habe."
"Hier ist der Kuchen, den ich dir mitgebracht."
"Setz ihn vor die Tür. Ich mag keinen so ordinären Kuchen. Wenn's nicht Pastete ist, esse ich's nicht."
"Ei, Großmutter es war doch sonst dein Leibgericht."
"Den Wein gib her, den will ich austrinken."
"Was, Großmama! in einem Zuge hast du die ganze Flasche geleert! Das ist noch nie dagewesen."
"Das glaub' ich; eine alte Frau, wie ich bin, ist auch noch nie dagewesen. Komm, Kleine, setz dich hier auf den Bettrand, und nun gib mir einen Kuss."
Rotkäppchen (aufschreiend): "Großmama! Du hast einen Bart!"
"Kind, Kind! red' nicht so einfältig. Das ist der Schatten, den meine Nase wirst. Aber was hast du da an der Schulter? einen roten Fleck! Ha! was ist das? Du hast doch nicht leichtfertige Bekanntschaften gemacht?"
"Gewiss nicht; wie käme ich dazu?"
"Ach, tu nur nicht so. Wie pflegt denn ein junges Mädchen zu dergleichen zu kommen? Man geht durch den Wald, der Weg ist einsam, da kommt ein junger Herr, nimmt uns beim Kopf, küsst uns, wirft uns nieder – siehst du so!"
Und damit nahm der böse Zauberer das arme Kind, warf sie zu sich ins Bette, und – draußen säuselten die Waldbäume und die Vögel sangen.
Die Vögel sangen und die Waldbäume säuselten.
Nach der zweiten bösen Tat, die der Zauberer jetzt vollführt hatte, nahm er wieder seine Wolfsgestalt an und – es ist entsetzlich zu sagen – verschlang auch das arme Rotkäppchen.
"Auf diese Weise", sagte er sehr selbstzufrieden zu sich, "entgehe ich jeder lästigen Untersuchung, und mein kleines Abenteuer hinterlässt keine Spur."
Vornehme Herrn Amüsieren sich gern, Doch wollen sie nicht, Dass die Leute davon sprechen, Sie ziehen nicht ans Licht, Ihre kleinen Schwächen. Als bestes Mittel, Das Geheimnis zu wahren, Auf mein Wort, Tut sich erweisen, Die Geliebte sofort Aufzuspeisen. |
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Der Zauberer schlich sich jetzt als Wolf aus der Hütte. Er gedachte seinen Palast rasch zu erreichen, allein die Strafe für seine Untaten war noch rascher, sie kam ihm dicht auf dem Fuße nach. Der junge Förster, Rotkäppchens Bräutigam, sah den Wolf schleichen, legte auf ihn an, tötete ihn, und sah noch einen Zipfel von Rotkäppchens Halstuch aus seinem Maule hängen. Sogleich ward ein geschickter Arzt geholt, der auch etwas von der Zauberei verstand, der öffnete dem Wolf den Magen und brachte glücklich die Großmutter und Rotkäppchen lebend aus demselben hervor. Wer war glücklicher als der Förster und die beiden Geretteten. Der Wolf aber blieb tot, und der Wald und die Umgegend waren somit von dem boshaften Zauberer befreit. Man sagt aber, dass die jungen Mädchen damit nicht zufrieden waren; sie hätten es lieber gesehen, wenn der Zauberer lebend geblieben wäre. Es gab sogar ein Lied unter ihnen, das so lautete:
Junge Mädchen Sind dazu geschaffen, Verspeist zu werden. Ein recht hungriger Wolf Ist ihnen das Liebste auf Erden. |
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Alexander von Ungern-Sternberg: Braune Märchen. Bremen: Franz Schlodtmann 1850, S. 180-194 (Digitalisierung durch Google). Die Märchen wurden mehrfach neu publiziert. Sie liegen in digitaler Form vor: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. Großbibliothek (Digitale Bibliothek; 125) Berlin: Directmedia 2005, S. 553.162-553.175. Online bei Zeno org, URL:
http://www.zeno.org/Literatur
Im Vorwort zu den "Braunen Märchen" charakterisiert Ungern-Sternberg das Märchen als "eine ungemein geschmeidige Dichtungsform," beklagt die Verengung auf das "Naturmärchen" im Sinne der Brüder Grimm und rechtfertigt die Spielart des "frivol-witzigen" Märchens. Auszüge aus dem Vorwort:
"Wenn wir der Entwicklungsgeschichte dieser Gattung der Poesie, nämlich des Märchens, folgen, so gewahren wir, dass gerade die Zeiten der Produktion die günstigsten waren, die ihr die meisten Freiheiten gewährten. Das Märchen ist eine ungemein geschmeidige Dichtungsform; sie kann dienen, den einfachen Sinn des Kindes zu erquicken, sie kann aber auch dienen, den feinsten Schmelz über die Produkte der Zivilisation zu bringen."
"Wir Deutschen haben von jeher das Märchen liebgehabt, allein wir haben vorzüglich nur immer eine Richtung desselben gepflegt, es ist dies das einfache Naturmärchen, wie es in den Sammlungen der Gebrüder Grimm zu finden ist. Es ist nicht zu leugnen, dass ein tiefer und gleichsam unerforschlicher Bronnen in diesen Naturmärchen enthalten, und es daher allen Völkern und allen Zeiten wert bleiben wird. Allein man würde dieser lieblichen Tochter der Mutter Poesie sehr unrecht tun, wenn man ihr zumuten wollte, immer nur in diesem Gewande zu erscheinen. Sie hat deren eine Menge."
"Wenn wir nun diese Folge der Verwandlung des Märchens betrachten, so bemerken wir, dass zwei wesentliche Formen fehlen und beharrlich wegbleiben, es sind dies 'das politisch-satirische' und das 'frivol- witzige' Märchen. Beide Gattungen kultivierte das achtzehnte Jahrhundert, und mit großem Glück. In der ersteren war bekanntlich Swift hervorragend, in der zweiten Voltaire, Diderot, Hamilton, Crebillon und noch manche andere."
"Seit einiger Zeit hört man mit bedenklicher Miene, wenn von einem neuen Buche die Rede ist: 'Aber wird auch eine Mutter es ihrer Tochter in die Hand geben dürfen?' Es klingt fast, als wenn nur Mütter und Töchter in der Welt existierten. Gibt es nicht auch Männer, ihr Poeten? Und werdet ihr nicht endlich die Männer völlig von der Literatur wegscheuchen, wenn ihr bei diesen kläglichen, prüden und unwahren Darstellungen beharrt? Wehe der feigen Poesie, die sich des Anteils am Beifall der Männer begibt! Und dann sind ja auch Frauen da, edle Frauen, die, das Leben kennend, mit keuschem Sinn einem freien Scherze gern sich hingeben. Sind jene Männer, sind diese Frauen für euch außerhalb der Literatur? Dann seid ihr zu beklagen, und eure Bücher sind's noch mehr. Ihr werdet beide schnell vergessen sein."
"Was diese vorliegenden Märchen nun betrifft, so machen sie keine Ansprüche. Will man sie für frei spielende Geister der Muse gelten lassen, so wird man ihnen ein Stündchen der Muße gern vergönnen. Sie dienen, ohne alle weitere Absicht, nur freier Heiterkeit. Bekannte Märchenkörper sind hier und da genommen, aber ihnen besondere Kleidchen umgehängt; die meisten Produktionen sind jedoch als eigne Erfindungen zu betrachten."
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Über Ungern-Sternberg als "Hauptvertreter des ironischen Märchens in der Biedermeierzeit" siehe Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815-1848. Bd. II. Stuttgart: J. B. Metzler 1972, S. 973-975. Die Umstilisierung bzw. Parodie des Rotkäppchens sei "die alte freche Kavaliersgeschichte, nicht weniger obszön als irgendeine des Rokoko und ebenso überlegen stilisiert und pointiert" (S. 974f.).
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Oben: Rotkäppchen. Signet: RPH im Kreis. 2493/5. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1910. Fotografie.
Unten links: Rotkäppchen. Signet: RPH im Kreis. 1518/3. Gelaufen. Poststempel unleserlich. Fotografie.
Unten rechts: Rotkäppchen. Signet: PFB in Raute [Paul Fink, Kunstanstalt, Berlin] 1069. Gelaufen. Poststempel 1912. Fotografie.
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Rotkäppchen. Im Walde sucht' ich einen Strauß / Und trag' ihn in Großmutters Haus. Signet RPH 4314/1. Gelaufen. Datiert 1914. Poststempel unleserlich.
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Also Kinners, wenn ihr mal fünf Minuten lang das Maul halten könnt, dann will ich euch die Geschichte vom Rotkäppchen erzählen, wenn ich mir das noch zusammenreimen kann. Der alte Kapitän Muckelmann hat mir das vorerzählt, als ich noch so klein und so dumm war, wie ihr jetzt seid. Und Kapitän Muckelmann hat nie gelogen. Also lissen tu mi.
Da war mal ein kleines Mädchen. Das wurde Rotkäppchen angetitelt - genannt heißt das. Weil es Tag und Nacht eine rote Kappe auf dem Kopfe hatte. Das war ein schönes Mädchen, so rot wie Blut und so weiß wie Schnee und so schwarz wie Ebenholz. Mit so große runde Augen und hinten so ganz dicke Beine und vorn - na, kurz eine verflucht schöne, wunderbare, saubere Dirn.
Und eines Tages schickte die Mutter sie durch den Wald zur Großmutter; die war natürlich krank. Und die Mutter gab Rotkäppchen einen Korb mit drei Flaschen spanischem Wein und zwei Flaschen schottischem Whisky und einer Flasche Rostocker Korn und einer Flasche Schwedenpunsch und einer Buttel mit Köm und noch ein paar Flaschen Bier und Kuchen und solchem Kram mit, damit sich Großmutter mal erst stärken sollte.
"Rotkäppchen", sagte die Mutter noch extra, "geh nicht vom Wege ab, denn im Walde gibt's wilde Wölfe!" (Das ganze muss sich bei Nikolajew oder sonstwo in Sibirien abgespielt haben.) Rotkäppchen versprach alles und ging los.
Und im Walde begegnete ihr der Wolf. Der fragte: "Rotkäppchen, wo gehst du denn hin?" Und da erzählte sie ihm alles, was ihr schon wisst. Und er fragte: "Wo wohnt denn deine Großmutter?"
Und sie sagte ihm das ganz genau: "Schwiegerstraße dreizehn zur ebenen Erde." Und da zeigte der Wolf dem Kinde saftige Himbeeren und Erdbeeren und lockte sie so vom Wege ab in den tiefen Wald. Und während sie fleißig Beeren pflückte, lief der Wolf mit vollen Segeln nach der Schwiegerstraße Nummero dreizehn und klopfte zur ebenen Erde bei der Großmutter an die Tür.
Die Großmutter war ein misstrauisches, altes Weib mit vielen Zahnlücken. Deshalb fragte sie barsch: "Wer klopft da an mein Häuschen?" Und da antwortete der Wolf draußen mit verstellter Stimme: "Ich bin es, Dornröschen!" Und da rief die Alte: "Herein!" Und da fegte der Wolf ins Zimmer hinein. Und da zog sich die Alte ihre Nachtjacke an und setzte ihre Nachthaube auf und fraß den Wolf mit Haut und Haar auf.
Unterdessen hatte sich Rotkäppchen im Walde verirrt. Und wie so pissdumme Mädel sind, fing sie an, laut zu heulen. Und das hörte der Jäger im tiefen Wald und eilte herbei. Na - und was geht uns das an, was die beiden dort im tiefen Walde mitnander vorgehabt haben, denn es war inzwischen ganz dunkel geworden, jedenfalls brachte er sie auf den richtigen Weg.
Also lief sie nun in die Schwiegerstraße. Und da sah sie, dass ihre Großmutter ganz dick aufgedunsen war. Und Rotkäppchen fragte: "Großmutter, warum hast du denn so große Augen?" Und die Großmutter antwortete: "Damit ich dich besser sehen kann!" Und da fragte Rotkäppchen weiter: "Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?" Und die Großmutter antwortete: "Damit ich dich besser hören kann!" Und da fragte Rotkäppchen weiter: "Großmutter, warum hast du denn so einen großen Mund?" Nun ist das ja auch nicht recht, wenn Kinder so was zu einer erwachsenen Großmutter sagen. Also da wurde die Alte fuchsteufelswild und brachte kein Wort mehr heraus, sondern fraß das arme Rotkäppchen mit Haut und Haar auf. Und dann schnarchte sie wie ein Walfisch.
Und draußen ging gerade der Jäger vorbei. Und der wunderte sich, wieso ein Walfisch in die Schwiegerstraße käme. Und da lud er seine Flinte und zog sein langes Messer aus der Scheide und trat, ohne anzuklopfen, in die Stube. Und da sah' er zu seinem Schrecken statt einem Walfisch die aufgedunsene Großmutter im Bett. Und - diavolo caracho ! - da schlag einer lang an Deck hin ! - Es ist kaum zu glauben ! - Hat doch das alte gefräßige Weib auch noch den Jäger aufgefressen.
Ja, da glotzt ihr Gören und sperrt das Maul auf, als käme da noch was. - Aber schert euch jetzt mal aus dem Wind, sonst mach ich euch Beine.
Mir ist schon sowieso die Kehle ganz trocken von den dummen Geschichten, die doch alle nur erlogen und erstunken sind. Marsch fort! Lasst euren Vater jetzt eins trinken, ihr - überflüssige Fischbrut!
Joachim Ringelnatz: Sämtliche Erzählungen (Diogenes Taschenbuch; 23466) Zürich: Diogenes 2005, S. 293-295. Handschriftlich mit Zeichnungen S. 295-309. Von den 12 Illustrationen werden oben 8 wiedergegeben.
Online im Projekt Gutenberg-DE
http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=6
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Einen Überblick über die Märchen- und Sagenmotive
im Goethezeitportal finden sie hier.
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