goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Christoph Martin Wieland:
Geschichte des Prinzen Biribinker
mit Illustrationen von Julius Zimpel

Eingestellt: März 2015

*****

Gliederung

1. Einführung
2. Geschichte des Prinzen Biribinker 
rmit Illustrationen von Julius Zimpel
3. Kurzbiographie von Christoph Martin Wieland
mit Bildnis, Denkmal und Illustrationen
4. Wieland über Feen- und Geister-Märchen
5. Julius Zimpel als Illustrator
6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

*****

1. Einführung

"Die 'Geschichte des Prinzen Biribinker' ist ursprünglich nicht separat erschienen, sondern sie ist eine freilich nur lose eingefügte Innenerzählung des ersten großen Wielandschen Romans, der unter dem Titel 'Der Sieg der Natur über die Schwärmerey, oder die Abentheuer des Don Sylvio von Roselva, Eine Geschichte worinn alles Wunderbare natürlich zugeht', im Jahre 1764 zu Ulm erschien. Dass dieser Don Sylvio eine direkte Nachahmung des Don Quixote ist, hat der Dichter selbst später bestätigt; wie Cervantes seinen Helden durch die Ritterromane, so lässt Wieland den Don Sylvio auf dem einsamen Schloss seiner Tante, der Donna Mencia, durch die Lektüre der Feenmärchen den Sinn für die Wirklichkeit verlieren und mit seinem Diener Pedrillo, dem Pendant zum Sancho Pansa, eine Reihe erträumter Abenteuer bestehen, bis er durch die Liebe zu Donna Felicia und die Bemühungen seines Freundes Don Gabriel von seiner Schwärmerei geheilt wird. Ein Radikalmittel des letzeren ist die Geschichte des Prinzen Biribinker, die er an einem schönen Sommerabend in der Laube des Gartens von Schloss Lirias der Gesellschaft, die bereits auf das abenteuerlichste vorbereitet ist, erzählt. [...] Um den Don Sylvio zu kurieren, wählt Don Gabriel das wirksamte Mittel: er sucht den ganzen Feenspuk durch Verspottung ad absurdum zu führen." (1)

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Wieland treibt in dem Roman ein parodistisches Spiel mit Elementen der im 18. Jahrhundert beliebten Feenmärchen. Der gute Zauberer Karamussal gibt dem Prinzen den Namen Biribinker, weil dessen geheime Kräfte die Bezauberungen Padmanabas, des bösen Zauberers, auflöst. Aufgezogen wird Biribinker in einem Bienenkorb, "er spuckte lauter Rosensyrop, er pisste lauter Pomeranzenblüthwasser, und seine Windeln enthielten die köstlichsten Sachen von der Welt". Biribinker, dem "Feenritter", begegnen auf seiner Ritterfahrt die seltsamsten Dinge. Da gibt es himmelblaue und rosenfarbne Ziegen, "die statt der Haare lauter Silberfäden hatten", den Riesen Karakuliamborix, "der anstatt eines Kranzes ein paar junge Eichbäume um den Kopf gebunden hatte, und sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstocherte", singende Fische und einen ungeheuren Walfisch, aus dessen Nasenlöchern Wasserströme ausspritzen, die Platzregen und Wolkenbrüche verursachen u.v.m. Ein Großteil der Handlung spielt im Bauch dieses Wales in einem unsichtbaren Palast, der von Salamandern aus Flammen erbaut wurde. Bevölkert wird die Welt von Feen, Sylphen, Ondinen, Salamandern und Gnomen bzw. hässlichen Zwergen. Biribinker erlöst die Fee Krystalline, die Padmanaba, "der Mann mit dem schneeweißen ellenlangen Barte", in einen Nachttopf (!) verwandelt hatte, so wie er Feen zu Bienen, Gnomen zu Hummeln, einen Salamander zu einem redenden Kürbis usf. verzaubert hatte. Ein Spiel treibt die Erzählung auch mit dem Gegensatz von schwärmerischer idealer und körperlicher Liebe. Denn des Prinzen große Liebe gilt einem Milchmädchen, doch verbringt er die Nächte mit heiß begehrten Feen. Oder wie die die Fee Mirabella ihm vorwirft: "Sie ziehen den ganzen Tag in der Welt herum, ihre Geliebte zu suchen, und bringen die ganze Nacht in den Armen einer andern zu. Den folgenden Morgen geht ihre Liebe wieder an, und den Abend darauf Ihre Untreue.". Dafür soll Biribinker am Ende bestraft werden, doch sorgt Karamussal als Deus ex machina für ein, wiewohl unmotiviertes, Happy End.

Julius Zimpel (1896-1925) hat die Handlung mit meist starkfarbigen Lithographien illustriert; Bildräume und Personen sind äußerst stilisiert. Zimpel weckt Interesse durch Hell-Dunkel-Kontraste, freie flächige Farbigkeit mit raffinierten Zwischentönen, aber auch durch märchenhafte, naiv anmutende Szenen mit pikanten Details. Für die "Geschichte des Prinzen Biribinker" schuf er Illustrationen im artifiziellen Art-déco-Stil, die jedoch auch einen Märchenton anklingen lassen.

Anmerkungen:
(1) Geschichte des Prinzen Biribinker von Wieland. Hrsg. u. eingeleitet von Carl Schüddekopf. 6. Aufl. Berlin, Leipzig: Magazin-Verlag Jacques Hegner (1904). Einleitung, S. VII f.

*****

Christoph Martin Wieland: Don Sylvio von Rosalva. Wien: Kunstverlag Anton Schroll 1922Christoph Martin Wieland: Don Sylvio von Rosalva. Wien: Kunstverlag Anton Schroll 1922Christoph Martin Wieland: Don Sylvio von Rosalva. Wien: Kunstverlag Anton Schroll 1922

C. M. Wieland: Don Sylvio von Rosalva.
Mit 24 Original-Lithographien von Julius Zimpel.
Wien: Kunstverlag Anton Schroll [1922].

*****

2. Geschichte des Prinzen Biribinker
mit Illustrationen von Julius Zimpel

In einem Lande, dessen weder Strabo noch Martiniere Erwähnung thut, lebte einst ein König, der den Geschichtschreibern so wenig zu verdienen gab, dass sie aus Rachbegierde mit einander einig wurden, ihm sogar die Ehre, dagewesen zu seyn, bey der Nachwelt streitig zu machen. Allein alle ihre boshaften Bemühungen haben nicht verhindern können, dass sich nicht einige glaubwürdige Urkunden erhalten hätten, in welchen man alles findet, was sich ungefähr von ihm sagen ließ.

Diesen Urkunden zufolge war er eine gute Art von einem Könige, machte des Tages seine vier Mahlzeiten, hatte einen guten Schlaf, und liebte Ruhe und Frieden so sehr, dass es bei hoher Strafe verboten war, die bloßen Namen Degen, Flinte, Kanone und dergleichen in seiner Gegenwart zu nennen. Das merkwürdigste an seiner Person war ein Wanst von einer so majestätischen Periferie, dass ihm die größten Monarchen seiner Zeit hierin den Vorzug lassen mussten. Ob ihm der Beynahme des Großen, den er bei seinen Lebzeiten geführt haben soll, um dieses nämlichen Wanstes oder einer andern geheimen Ursache willen gegeben worden, davon lässt sich nichts gewisses sagen; so viel aber ist ausgemacht, dass in dem ganzen Umfange seines Reichs niemand war, den dieser Beynahme einen einzigen Tropfen Bluts gekostet hätte; und dies ist mehr als man von Alexander dem Großen, Konstantin dem Großen, Karl dem Großen, Otto dem Großen, Ludwig dem Großen, und zwanzig anderen, welche auf Unkosten des menschlichen Geschlechtes groß gewesen sind, sagen kann.

Wie es darum zu thun war, dass Seine Majestät aus Liebe zu Dero Völkern und zu Erhaltung der Thronfolge in Dero Familie Sich vermählen sollte, so hatte die Akademie der Wissenschaften nicht wenig zu thun, ein genau bestimmtes Modell anzugeben, welchem eine Prinzessin gleich seyn musste, um sich möglicher Weise versprechen zu können, dass sie die Hoffnung der Nazion zu erfüllen fähig seyn würde. Nach einer langen Reihe von akademischen Sitzungen wurde endlich das verlangte Modell, und durch eine große Menge von Gesandtschaften, die an alle Höfe von Asien geschickt wurden, zuletzt auch die Prinzessin ausfündig gemacht, die mit demselben übereinstimmte. Die Freude über ihre Ankunft war außerordentlich, und das Beilager wurde mit so großer Pracht vollzogen, dass sich wenigstens fünfzig tausend Paare von den königlichen Unterthanen entschließen mussten unverheirathet zu bleiben, um Seiner Majestät die Unkosten von Dero Hochzeit bestreiten zu helfen. Der Präsident der Akademie, der, ungeachtet er der schlechteste Geometer seiner Zeit war, sich alle Ehre der obgedachten Erfindung beyzulegen gewusst hatte, glaubte mit gutem Grunde, dass nunmehr sein ganzes Ansehen von der Fruchtbarkeit der Königin abhange; und weil er in der Experimentalfysik ungleich stärker war als in der Geometrie, so fand er man weiß nicht was für ein Mittel, die Berechnungen der AKademie wahr zu machen. Kurz, die Königin gebar zu gehöriger Zeit den schönsten Prinzen, der jemals gesehen worden ist, und der König hatte eine so große Freude darüber, dass er den Präsidenten auf der Stelle zu seinem ersten Wessir ernannte.

So bald der Prinz geboren war, versammelte man zwanzig tausend junge Mädchen von ungemeiner Schönheit, die man zum voraus aus allen Enden des Reichs zusammen berufen hatte, um eine Säugamme für ihn auszuwählen. Der erste Leibarzt hatte nicht nur verordnet, dass die Wahl auf die Schönste fallen sollte, sondern er hatte sich auch, kraft seines Amtes, ausbedungen, die Wahl in eigner Person vorzunehmen, wiewohl er, seines blöden Gesichts wegen, eine Brille dazu vonnöthen hatte. Dieser Brille ungeachtet hatte der Herr Leibarzt, der ein Kenner war, viele Noth aus zwanzig tausend Schönen die Schönste auszusuchen; und der Tag neigte sich bereits zum Ende, eh' er es so weit gebracht hatte, die Kandidatinnen von zwanzig tausend auf vier und zwanzig zu bringen. Allein, da doch endlich eine Wahl getroffen werden musste, so war er eben im Begriff unter den vier und zwanzig einer großen Brünette den Vorzug zu geben, weil sie unter allen den kleinsten Mund und die schönste Brust hatte - Eigenschaften, die, wie er versicherte, Galenus und Avicenna schlechterdings von einer guten Amme fordern: als man unvermuthet eine gewaltig große dicke Biene nebst einer schwarzen Ziege ankommen sah, welche vor die Königin gelassen zu werden begehrten.

Frau Königin, sprach die Biene, ich höre, Sie suchen eine Amme für Ihren schönen Prinzen. Wenn Sie das Vertrauen zu mir haben wollten, mir vor diesen zweybeinigen Kreaturen den Vorzug zu geben, so sollte es Sie nicht reuen. Ich will den Prinzen mit lauter Honig von Pomeranzenblüthen säugen, und Sie sollen Ihre Lust daran sehen, wie groß und fett er dabey werden soll. Sein Athem soll so lieblich riechen wie Schasmin, sein Speichel soll süßer seyn als Kanariensekt, und seine Windeln -

Gestrenge Frau Königin, fiel ihr die Ziege ins Wort, nehme Sie Sich vor dieser Biene in Acht, ich wills Ihr als eine gute Freundin gerathen haben. Wahr ists, wenn Ihr viel daran gelegen ist, dass Ihr junges Herrchen süß werde, so taugt sie dazu besser als irgend eine andere; aber es lauert eine Schlange unter den Blumen. Sie wird ihn mit einem Stachel begaben, der ihm viel Unglück zuziehen wird. Ich bin nur eine schlechte Ziege; aber bey meinem Bart! meine Milch wird dem Prinzchen weit besser zuschlagen als ihr Honig; und wenn er schon weder Nektar noch Ambrosia machen wird, so versprech' ich Ihr dagegen, dass er der tapferste, klügste und glücklichste unter allen Prinzen seyn soll, die jemahls Ziegenmilch getrunken haben.

Jedermann verwunderte sich, da man die Ziege und die dicke Biene so reden hörte. Allein die Königin merkte gleich dass es Feen seyn müssten, und das machte sie eine ziemliche Weile unschlüssig was sie thun sollte. Endlich erklärte sie sich für die Biene; denn weil sie ein wenig geitzig war, so dachte sie: Wenn die Biene Wort hält, so wird der Prinz allenthalben so viel Süßigkeiten von sich geben, dass man das Konfekt für die Tafel wird ersparen können.

Die Ziege schien es sehr übel zu nehmen, dass sie abgewiesen wurde; sie meckerte dreymal etwas unverständliches in ihren Bart hinein, und siehe, da erschien ein prächtig lackierter und vergoldeter Wagen von acht Fönixen gezogen; die schwarze Ziege verschwand in dem nehmlichen Augenblick, und an ihrer Statt sahe man ein kleines altes Weibchen in dem Wagen sitzen, die mit vielen Drohungen gegen die Königin und den jungen Prinzen durch die Luft davon fuhr.

Der Leibarzt war über eine so seltsame Wahl nicht wenig missvergnügt, und wollte eben der Brünette mit dem schönen Busen den Antrag machen, ob sie nicht Lust hätte die Stelle einer Hausmeisterin bey ihm einzunehmen; aber da ihm, zum Unglück, ein Herr vom Hofe zuvor gekommen war, so musste er sich gefallen lassen mit einer von den übrigen neunzehn tausend neun hundert und sechs und siebzig fürlieb zu nehmen; denn die vier und zwanzig waren alle schon bestellt.

Inzwischen machten die Drohungen der schwarzen Ziege dem Könige so bange, dass er noch an dem nehmlichen Abend seinen Staatsrath versammelte, um sich zu berathen, was bey so gefährlichen Umständen zu thun seyn möchte. Denn weil er gewohnt war sich jede Nacht mit Mährchen einschläfern zu lassen, so wusste er wohl dass die Feen nicht für die lange Weile zu drohen pflegen. Nachdem nun die weisen Männer alle bey einander waren und ein jeder seine Meinung gesagt hatte, so fand sichs, dass sechs und dreyssig Räthe in großen viereckigen Perücken nicht weniger als sechs und dreyssig Vorschläge gethan hatten, wovon jeder wenigstens mit sechs und dreyssig Schwierigkeiten behaftet war. Man stritt in mehr als sechs und dreyssig Sessionen mit vieler Lebhaftigkeit, und der Prinz würde vermuthlich mannbar geworden seyn bevor man eines Schlusses hätte einig werden können; wenn nicht der erste Hofnarr Seiner Majestät den Einfall gehabt hätte, dass man eine Gesandtschaft an den großen Zauberer Karamussal schicken sollte, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnte, und von allen Orten her wie ein Orakel um Rath gefragt wurde. Weil nun der Hofnarr das Herz des Königs hatte, und in der That für den besten Kopf des ganzen Hofes gehalten wurde, so fiel ihm jedermann bey, und in wenig Tagen wurde eine Gesandtschaft abgeschickt, welche (die Tagegelder zu ersparen) mit so großer Geschwindigkeit reiste, dass sie in drey Monaten auf der Spitze des Berges Atlas anlangte, wiewohl er beynahe zwey hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt war.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Sie wurden sogleich vor den großen Karamussal gelassen, der, in einem prächtigen Sahl auf einem Throne von Ebenholz sitzend, den ganzen Tag genug zu thun hatte auf alle die wunderlichen Fragen Antwort zu geben, die aus allen Theilen der Welt an ihn gebracht wurden. Der erste 'Abgesandte, nachdem er sich den Bart gestrichen und dreymal geräuspert hatte, öffnete eben einen ziemlich großen Mund, um eine schöne Anrede herzusagen die ihm sein Sekretär aufgesetzt hatte, als ihn Karamussal unterbrach. - "Herr Abgesandter, sagte er, ich schenke Ihnen Ihre Rede; Sie können sie vielleicht bey einer andern Gelegenheit besser nützen; denn ich habe selbst den- ganzen Tag so viel zu reden, dass mir keine Zeit zum Hören übrig bleibt; und zu dem weiß ich schon voraus, was Sie bey mir anzubringen haben. Sagen Sie dem König Ihrem Herrn, er habe sich an der Fee Kaprosine eine mächtige Feindin gemacht; indessen sey es doch nicht unmöglich, den Zufällen, welche sie dem Prinzen angedroht hat, auszuweichen, wenn man die gehörige Vorsicht gebrauche, dass er vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen zu sehen bekomme. Weil es aber, aller Vorsicht ungeachtet, eine sehr schwere wo nicht unmögliche Sache ist seinem Schicksale zu entgehen, so sey mein Rath, dass man, um auf alle Fälle gefasst zu seyn, dem Prinzen den Nahmen Biribinker gebe, dessen geheime Kräfte allein mächtig genug sind, ihn aus allen den Abenteuern, die ihm zustossen könnten, glücklich heraus zu führen." - Mit diesem Bescheid entliess Karamussal die Gesandtschaft, welche nach Verfluss abermahliger drey Monate unter allgemeinem Zujauchzen des Volks wieder in der Hauptstadt ihres Landes anlangte.

Der König fand. die Antwort des grossen Karamussal so ungereimt, daß er nicht wusste ob er darüber lachen oder ungehalten werden sollte. Bey meinem Bauch! rief er, (denn das war sein Schwur) ich glaube, der grosse Karamussal treibt seinen gnädigen Spaß mit uns. - Biribinker! was für ein verwünschter Nahme das ist! Hat man auch jemahls gehört, dass ein Königssohn Biribinker geheissen hätte? Ich möchte doch wissen, was für eine geheime Kraft in diesem vertrackten Nahmen stecken soll! Und, die Wahrheit zu sagen, das Verbot, ihm vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen sehen zu lassen, ist nicht um ein Haar gescheidter. Warum denn gerade kein Milchmädchen? Seit wann sind die Milchmädchen gefährlicher als andere Mädchen? Wenn er noch gesagt hätte, keine Tänzerin, oder kein Kammerfräulein von der Königin, das wollt' ich noch gelten lassen; denn (unter uns) ich wollte nicht gut. dafür seyn, dass ich nicht selbst gelegentlich eine kleine Anfechtung dieser Art bekommen könnte. Indessen, weil es der große Karamussal nun einmahl so haben will, so mag denn der Prinz meinethalben Biribinker heissen! Er wird wenigstens der Erste dieses Nahmens seyn, und das giebt einem doch immer ein gewisses Ansehen in der Geschichte; und was die Milchmädchen betrifft, so will ich schon Anstalt machen, dass auf funfzig Meilen um meine Residenz weder Kuh noch Ziege, Melkkübel noch Milchmädchen zu finden seyn soll.

Der König, dessen geringste Sorge zu seyn pflegte, die Folgen seiner Entschließungen vorher zu überlegen, war eben im Begriff ein Edikt deshalb ergehen zu lassen, als ihm sein Parlament durch eine  zahlreiche Deputazion vorstellen ließ, dass es sehr hart, um nicht gar tyrannisch zu sagen, heraus kommen würde, wenn Seiner Majestät getreue Unterthanen gezwungen werden sollten, ihren Kaffee künftig ohne Milchrahm zu trinken. Und weil die vorläufige Nachricht von diesem Edikt wirklich schon ein großes Murren unter dem Volk erregte: so mussten Sich Seine Majestät endlich entschließen, nach dem Beyspiele so vieler andrer Könige in den Feengeschichten, Dero Kronprinzen unter der Aufsicht seiner Amme, der Biene, von Sich zu entfernen, und es der Klugheit der letztern zu überlassen, wie sie ihn vor den Nachstellungen der Fee Kaprosine und vor den Milchmädchen sicher stellen wollte.

Die Biene brachte den kleinen Prinzen in einen Wald, der wenigstens zwey hundert Meilen im Umfang hatte, und so unbewohnt war, dass man in seinem ganzen Bezirke nicht einen Maulwurf gefunden hätte. Sie baute durch ihre Kunst einen unermesslichen Bienenkorb von rothem Marmor, und legte um denselben einen Park von Pomeranzenbäumen an, der sich über fünf und zwanzig Meilen in die Länge und Breite erstreckte. Ein Schwarm von fünfmahl hundert tausend Bienen, deren Königin sie war, beschäftigte sich für den Prinzen und den Harem der Königin Honig zu machen; und damit man seinetwegen vollkommen sicher seyn könnte, so wurden rings um den Wald alle fünf hundert Schritte Wespennester angelegt, welche Befehl hatten, die Grenzen aufs schärfste zu bewachen.

Indessen wuchs der Prinz heran, und übertraf durch seine Schönheit und wunderbaren Eigenschaften alles, was jemahls gesehen worden ist. Er spuckte lauter Rosensyrop, er pisste lauter Pomeranzenblüthwasser, und seine Windeln enthielten die köstlichsten Sachen von der Welt. So bald er zu reden anfing, lallte er Epigrammen, und sein Witz wurde nach und nach so stachlig, dass ihm keine Biene mehr gewachsen war, obgleich die dümmste im ganzen Korbe zum wenigsten so viel Witz hatte als ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft zu * * *.

Allein kaum hatte er sein siebzehntes Jahr erreicht, so regte sich ein gewisser Instinkt bey ihm, der ihm sagte, dass er nicht dazu gemacht sey sein Leben in einem Bienenkorbe zuzubringen. Die Fee Melisotte (so nannte sich seine Amme) wandte zwar alles an, ihren Zögling aufzumuntern und zu zerstreuen: sie verschrieb ihm eine Anzahl sehr geschickter Katzen, die ihm alle Abend ein Französisches Koncert oder eine Oper von Lulli vormauen mussten; er hatte ein Hündchen, das auf dem Seile tanzte, und ein Dutzend Papagayen und Elstern, die nichts zu thun hatten als ihm Mährchen zu erzählen, und ihn mit ihren Einfällen zu unterhalten. Allein das wollte alles nicht helfen; Biribinker sann Tag und Nacht auf nichts anders, als wie er aus seiner Gefangenschaft entwischen möchte. Die größte Schwierigkeit setzten ihm die verwünschten Wespen entgegen, die den Wald bewachten, und in der That Thierchen waren, die einem Herkules hätten bang machen können. Denn sie waren so groß wie junge Elefanten, und ihr Stachel hatte die Figur und beynahe auch die Größe der Morgensterne, deren sich die alten Schweizer zu Behauptung ihrer Freyheit bedienten. Da er sich nun einsmahls voller Verzweiflung über seine Gefangenschaft unter einen Baum geworfen hatte, näherte sich ihm eine Art von Hummel, welche, wie alle übrigen männlichen Bewohner des Bienenstocks, die Größe eines halb gewachsenen Bären hatte.

"Prinz Biribinker, sagte die Hummel, wenn Sie lange Weile haben, so versichere ich Sie dass es mir noch schlimmer geht. Die Fee Melisotte, unsere Königin, hat mir seit etlichen Wochen die Ehre angethan mich zu ihrem ersten Liebling zu erkiesen; aber ich gestehe Ihnen dass ich der Last meines Amtes nicht gewachsen bin. Wenn Sie wollten, Prinz, so wäre es Ihnen ein leichtes, Sich selbst und mir die Freyheit zu verschaffen." - Was ist denn zu thun? fragte der Prinz. - "Ich bin nicht allezeit eine Hummel gewesen, antwortete der missvergnügte Liebling, und Sie allein sind im Stande mir meine erste Gestalt wieder zu geben. Setzen Sie Sich auf meinen Rücken. Es ist Abend; die Königin ist in ihrer Zelle in Geschäften begriffen; ich will mit Ihnen davon fliegen; aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie thun wollen, was ich von Ihnen verlange."

Der Prinz versprach es, setzte sich ohne Bedenken auf, und die Hummel flog so schnell mit ihm davon, dass sie in sieben Minuten aus dem Walde waren. - "Nunmehr, sprach die Hummel, sind Sie in Sicherheit. Die Macht des alten Zauberers Padmanaba, der mich in diese Umstände gebracht hat, erlaubt mir nicht weiter mit Ihnen zu gehen; aber hören Sie was ich Ihnen sagen werde! Wenn Sie auf diesem Wege linker Hand fortgehen, so werden Sie endlich auf eine große Ebene kommen, wo Sie eine Herde himmelblauer Ziegen sehen werden, die um eine kleine Hütte herum weiden. Nehmen Sie Sich ja in Acht, dass Sie nicht in die Hütte hinein gehen, oder Sie sind verloren! Halten Sie Sich immer linker Hand, und gehen fort, bis Sie endlich zu einem verfallenen Palast kommen, dessen noch übrige Pracht Ihnen beweisen wird was er ehemahls gewesen ist. Sie werden durch etliche Höfe an eine große Treppe von weißem Marmor gelangen, welche Sie in einen langen Gang führen wird, wo Sie zu beiden Seiten eine Menge prächtiger und hell erleuchteter Zimmer finden werden. Gehen Sie ja in keines derselben hinein, sonst schließt es sich augenblicklich von selbst wieder zu, und keine menschliche Gewalt kann Sie wieder heraus bringen. Sie werden aber eines davon verschlossen finden, und dieses wird sich öffnen, so bald sie den Nahmen Biribinker aussprechen. In diesem Zimmer bringen Sie die Nacht zu. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange. Glückliche Reise, gnädiger Herr! und wenn Sie Sich bey meinem Rathe wohl befinden, so vergessen Sie nicht, dass ein Dienst des andern werth ist."

Mit diesen Worten flog die Hummel davon, und ließ den Prinzen in keinem mittelmäßigen Erstaunen über alles was sie ihm gesagt hatte. Voller Ungeduld nach den wundervollen Begebenheiten die ihm bevor standen, ging er die ganze Nacht durch; denn es war Mondschein und mitten im Sommer. Des Morgens erblickte er die Wiese, die Hütte und die himmelblauen Ziegen. Er erinnerte sich des Verbots gar wohl, das die Hummel ihm so nachdrücklich eingeschärft hatte; allein er fühlte beym Anblick der Ziegen und der Hütte eine Art von Anziehung, der nicht zu widerstehen war. Er ging also in die Hütte hinein, fand aber niemand darin als ein junges Milchmädchen in einem schneeweißen Leibchen und Unterrocke. Sie war eben im Begriff, etliche Ziegen zu melken, die an einer diamantenen Krippe angebunden standen. Der Melkkübel. den sie in ihrer schönen Hand hielt, war aus einem einzigen Rubin gemacht, und statt des Strohes war der Stall mit lauter Schasmin- und Pomeranzenblüthen bestreut. Alles das war bewundernswürdig genug; allein der Prinz bemerkte es kaum, so sehr hatte ihn die Schönheit des Milchmädchens geblendet. In der That Venus in dem Augenblicke, da sie von den Zefyrn ans Gestade von Pafos getragen wurde, oder die junge Hebe, wenn sie halb aufgeschürzt den Göttern Nektar einschenkt, waren weder schöner noch reitzender als dieses Mädchen. Ihre Wangen beschämten die frischesten Rosen, und die Perlenschnuren, womit ihre Arme und ihre kleinen netten Füßchen umwunden waren, schienen bloß da zu seyn um die blendende Weiße derselben zu erhöhen. Nichts konnte zierlicher und reitzender seyn als ihre Gesichtszüge und ihr Lächeln; über ihr ganzes Wesen war ein Ausdruck von Zärtlichkeit und Unschuld verbreitet, und ihre kleinsten Bewegungen hatten den nahmenlosen Reitz, dem die Herzen beym ersten Anblick entgegen fliegen. Diese bezaubernde Person schien auf eine eben so angenehme .Art übel' den Prinzen Biribinker betroffen, als er über sie; halb unschlüssig ob sie bleiben oder fliehen wollte, blieb sie stehen und betrachtete ihn mit einem verschämten Blicke, worin Schüchternheit und Vergnügen sich zu mischen schienen. Ja, ja, rief sie endlich aus, indem sich der Prinz zu ihren Füßen warf, er ist es, er ist es! -

Wie? rief der entzückte Prinz, der aus diesen Worten schloss dass sie ihn schon kenne und dass er ihr nicht gleichgültig sey; ist der allzu glückliche Biribinker -

Götter! schrie das Milchmädchen, indem sie bestürzt zurück bebte, was für einen verhassten Nahmen hör' ich! Wie sehr haben meine .Augen und mein voreiliges Herz mich betrogen! Fliehe, fliehe, unglückliche Galaktine! - Mit diesen Worten floh sie wirklich so schnell aus der Hütte, als ob sie der Wind davon führte.

Der bestürzte Prinz, der den Abscheu nicht begreifen konnte, in welchen sich die anfängliche Freundlichkeit des schönen Milchmädchens so plötzlich bey Hörung seines Nahmens verwandelte, lief ihr nach so schnell als er konnte; allein sie flog, dass ihre Fußsohlen kaum die Spitzen des Grases berührten. Umsonst beflügelten die Schönheiten, die ihr flatterndes Gewand jeden .Augenblick entdeckte, die Begierden und die Füße des nacheilenden Prinzen; er verlor sie in einem dichten Gebüsche, wo er den ganzen Tag hin und wieder lief, und jedem Rascheln oder Flüstern, das er hörte, nachging, ohne dass er die mindeste Spur von ihr finden konnte.

Indessen war die Sonne untergegangen, und er befand sich unvermerkt an der Pforte eines alten halb eingefallenen Schlosses. Allenthalben ragten Mauerstücke von Marmor und umgestürzte Säulen von den kostbarsten Edelsteinen aus dem Gesträuch hervor, und er stieß sich alle .Augenblicke an Trümmern, wovon der schlechteste eine Insel auf dem festen Lande werth war. Er merkte hieraus, dass er bey dem Palaste sey, wovon ihm sein guter Freund Hummel gesprochen hatte, und hoffte, (wie die Verliebten hoffnungsvolle Leute zu seyn pflegen) sein holdseliges Milchmädchen hier vielleicht wieder zu finden. Er arbeitete sich durch drey Vorhöfe durch, und kam endlich an die Treppe von weißem Marmor. Zu beiden Seiten stand auf jeder Stufe, deren wenigstens sechzig waren, ein großer geflügelter Löwe, welcher bey jedem Athemzuge so viel Feuer aus seinen Nasenlöchern schnaubte, dass es heller als bey Tage davon wurde; aber es versengte ihm auch nicht ein Haar, und die Löwen sahen ihn nicht so bald, so spannten sie ihre Flügel aus und flogen mit großem Gebrülle davon.

Prinz Biribinker ging hinauf, und kam in eine lange Gallerie, wo er die offnen Zimmer fand, vor welchen ihn die HummeI gewarnt hatte. Jedes derselben führte in zwey oder drey andere, und die Pracht,  womit sie eingerichtet und ausgeschmückt waren, übertraf alles was sich seine Einbildungskraft vorstellen konnte, ungeachtet ihm die Feerey nichts neues war. Allein diesmahl nahm er sich wohl in Acht seiner Neugier den Zügel zu lassen, und ging so lange fort, bis er an eine verschlossene Thür von Ebenholz kam, in welcher ein goldener Schlüssel steckte. Er versuchte lange vergeblich ihn umzudrehen; aber so bald er den Nahmen Biribinker ausgesprochen hatte, sprang die Thür von selbst auf, und er befand sich in einem großem Sahle, dessen Wände ganz mit krystallenen Spiegeln überzogen waren. Er wurde von einem diamantenen Kronleuchter erhellt, an welchem in mehr als fünf hundert Lampen lauter Zimmtöhl brannte. In der Mitte stand ein kleiner Tisch von Elfenbein mit smaragdenen Füßen, für zwey Personen gedeckt, und zur Seiten zwey Schenktische von Lasurstein, die mit goldenen Tellern, Bechern, Trinkschalen und anderm Tischgeräthe versehen waren. Nachdem er alles, was sich in diesem Sahle seinen Augen darbot, eine gute Weile mit Erstaunen betrachtet hatte, erblickte er eine Thür, durch die er in verschiedene andere Zimmer kam, wovon immer eines das andere an Pracht der Auszierung überglänzte. Er besah alles Stück für Stück, und wusste nicht was er davon denken sollte. Die Zugänge zu diesem Palast hatten ihm ein zerstörtes Schloss angekündiget; das Inwendige schien keinen Zweifel übrig zu lassen dass es bewohnt sey und doch sah und hörte er keine lebendige Seele. Er durchging alle diese Zimmer noch einmahl, er suchte überall, und entdeckte endlich in dem letzten noch eine kleine Tapetenthür. Er öffnete sie, und befand sich in einem Kabinet, worin die Feerey sich selbst übertroffen hatte. Ein angenehmes Gemisch von Licht und Schatten erheiterte es, ohne dass man die Quelle dieser zauberischen Dämmerung entdecken konnte. Die Wände von poliertem schwarzen Granit stellten, wie eben so viele Spiegel, verschiedene Scenen von der Geschichte des Adonis und der Venus mit einer Lebhaftigkeit vor, die der Natur gleich kam, ohne dass man errathen konnte durch was für eine Kunst diese lebenden Bilder sich dem Stein einverleibet hatten. Liebliche Gerüche, wie von Frühlingswinden aus frisch aufblühenden Blumenstücken herbey geweht, erfüllten das ganze Gemach, ohne dass man sah woher sie kamen; und eine stille Harmonie, wie von einem Koncerte das aus tiefer Ferne gehört wird, umschlich eben so unsichtbar das bezauberte Ohr, und schmelzte das Herz in zärtliche Sehnsucht. Ein weichliches Ruhebett, von welchem ein marmorner Liebesgott, der zu athmen schien, den wallenden Vorhang halb hinweg zog, war das einzige Geräth in diesem anmuthsvollen Ort, und erweckte in dem Herzen unsers Prinzen ein geheimes Verlangen nach etwas, wovon er nur dunkle Begriffe hatte, ob ihm gleich die Tapeten, die er sehr aufmerksam und nicht ohne eine süße Unruhe betrachtete, einiges Licht zu geben anfingen.

In diesen Augenblicken stellte sich ihm das Bild des schönen Milchmädchens mit einer neuen Lebhaftigkeit dar; und nachdem er eine Menge vergeblicher Klagen über ihren Verlust angestimmt hatte, fing er von neuem an zu suchen bis er müde wurde. Weil er nun diesmahl nicht glücklicher war als vorher, so begab er sich wieder in das Kabinet mit dem Ruhebette, zog seine Kleider aus, und war im Begriff sich niederzulegen; als eines der unvermeidlichsten Bedürfnisse der menschlichen Natur ihn nöthigte, sich unter dem Bette umzusehen. Er fand wirklich ein zierliches Gefäß von Krystall, an welchem noch Merkmahle zu sehen waren, dass es vor Zeiten zu einem solchen Gebrauch gedient hatte. Der Prinz fing an es mit Pomeranzenblüthwasser zu begießen, als er, o Wunder! das krystallene Gefäß verschwinden und an dessen Statt - eine junge Nymfe vor sich stehen sah, die so schön war, dass er in einem wundervollen Gemisch von Schrecken und Freude auf etliche Augenblicke das Bewusstseyn seiner selbst verlor. Die Nymfe lachte ihn freundlich an, und ehe er sich noch aus seiner Bestürzung erhohlen konnte, sagte sie zu ihm: "Willkommen Prinz Biribinker! - Lassen Sie Sichs nicht verdrießen, einer jungen Fee einen Dienst gethan zu haben, die ein barbarischer Eifersüchtiger über zwey Jahrhunderte lang zu einen Werkzeuge der niedrigsten Bedürfnisse gemissbraucht hat. Reden Sie aufrichtig, Prinz! finden Sie nicht, dass mich die Natur zu einem edlem Gebrauche bestimmt hat?"

Diese unerwartete Frage brachte den sittsamen Biribinker ein wenig aus der Fassung. Es fehlte ihm, wie wir wissen, nicht an Witz; er hatte dessen vielmehr unendlich viel: aber weil er zum wenigsten eben so viel Unbesonnenheit hatte, so begegnete ihm nicht selten, dass er gerade in dem Augenblicke, wo eine witzige Antwort das einzige Mittel sich zu helfen gewesen wäre, etwas höchst albernes sagte. So ging es ihm diesmahl, da er sich in dem Falle sah, der Fee auf eine Frage, die ihm in ihrer beider Lage gar zu naiv vorkam, auf der Stelle etwas verbindliches zu antworten. Es ist ein Glück für Sie, schönste Nymfe, antwortete er ihr, dass ich die Absicht nicht haben konnte, Ihnen den seltsamen Dienst zu leisten, den ich Ihnen unwissender Weise geleistet habe; denn ich versichere Sie, dass ich sonst allzu wohl gewusst hätte was der Wohlstand -

O machen Sie nicht so viel Komplimente, erwiederte die Fee; in den Umständen, worin sich unsere Bekanntschaft anfängt, sind sie sehr überflüssig. Ich habe Ihnen nichts geringers als mich selbst zu danken; und da wir nicht länger als diese Nacht beysammen bleiben werden, so müsste ich mir Vorwürfe machen, wenn ich Ihnen Anlass gäbe die Zeit mit Komplimenten zu verderben. Ich weiß dass Sie der Ruhe bedürftig sind; Sie sind schon ausgekleidet, legen Sie Sich immer zu Bette. Es ist zwar das einzige das in diesen Gemächern ist, aber es steht ein Kanapee im großen Sahl, auf dem ich die Nacht ganz bequem werde zubringen können.

Madam, versetzte der Prinz, ohne dass er selbst recht wusste was er sagte, ich würde in diesem Augenblicke - der glücklichste unter allen Sterblichen seyn - wenn ich nicht - der unglücklichste wäre. Ich muss Ihnen gestehen, ich finde - was ich nicht gesucht habe - indem ich suchte was ich verloren hatte; und wenn nicht der Schmerz - Sie gefunden zu haben die Freude meines Verlusts - Nein, die Freude, wollt' ich sagen, Sie gefunden zu haben - -

Ie nun, wahrhaftig, fiel ihm die Fee ins Wort, ich glaube Sie reden im Fieber? Was wollen Sie mit allem dem Galimathias sagen? Kommen Sie, Prinz Biribinker, gestehen Sie mir in guter Prosa, dass Sie in ein Milchmädchen verliebt sind? -

Sie rathen so glücklich, sagte der Prinz, dass ich Ihnen gestehen muss -

O daraus haben Sie Sich gar kein Bedenken zu machen, fuhr die Fee fort; und in ein Milchmädchen, das Sie diesen Morgen in einer schlechten Hütte angetroffen haben, in einem Stalle wie man sagen möchte?

Aber, ich bitte Sie, woher - -

"Und die auf einer Streu von Pomeranzenblüthen im Begriff war eine himmelblaue Ziege in einen Kübel von Rubin zu melken, nicht wahr?"

Wahrhaftig! rief der Prinz, für eine Person, die vor einer Viertelstunde (nehmen Sie mirs nicht ungnädig) noch - ich will nicht sagen was, war, wissen Sie erstaunlich viel -

"Und' das Mädchen lief davon, so bald sie den Nahmen Biribinker hörte?"

Aber, ich bitte Sie, Madam, woher können Sie das alles wissen, da Sie doch, wie Sie sagen, schon zwey hundert Jahre in dem sonderbaren Stande gewesen sind, worin ich die Ehre gehabt habe, Sie so unverhofft kennen zu lernen?

Nicht so unverhofft auf meiner Seite als Sie Sich einbilden, antwortete die Fee. Aber heißen Sie Ihre Neugierde noch einen Augenblick ruhen! Sie sind abgemattet und haben den ganzen Tag nichts gegessen; kommen Sie mit mir in den Sahl, es ist schon für uns beide gedeckt, und ich hoffe, Ihre Treue gegen Ihr schönes Milchmädchen werde Ihnen doch erlauben, mir wenigstens bey Tische Gesellschaft zu leisten. Biribinker merkte den geheimen Verweis sehr wohl der in diesen Worten lag; er that aber nicht so, und begnügte sich mit einer tiefen Verbeugung ihr in den Speisesahl zu folgen.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

So bald sie hinein gekommen waren, ging die schöne Krystalline (so hieß die Fee) zum Kamin, und bemächtigte sich eines kleinen Stabes von Ebenholz, an dessen beiden Enden ein diamantener Talisman befestiget war. Nun hab' ich nichts weiter zu besorgen, sagte sie. Setzen Sie Sich, Prinz Biribinker. Ich bin nun Meisterin von diesem Palast und von vierzig tausend elementarischen Geistern, die der große Zauberer, der ihn vor fünf hundert Jahren erbaute, zum Dienste desselben bestimmt hat.

Mit diesen Worten schlug sie dreymal an den Tisch, und in drey Augenblicken sah Biribinker, dass er sich mit den niedlichsten Speisen besetzte, und die Flaschen auf dem Schenktische sich von selbst mit Wein anfüllten.

Ich weiß, sagte die Fee zum Prinzen, Sie essen nichts als Honig; kosten Sie einmahl von diesem hier, und sagen Sie mir Ihre Meinung von ihm! - Der Prinz aß davon und schwor, dass es nichts geringers als das Ambrosia der Götter seyn könne. - Er wird, sagte sie, aus den reinsten Düften der unverwelklichen Blumen bereitet, die in den Gärten der Sylfen blühen. Und was sagen Sie zu diesem Weine? fuhr sie fort, indem sie ihm eine volle Trinkschale darbot. - Ich schwöre Ihnen, rief der entzückte Prinz, dass die schöne Ariadne dem jungen Bacchus keinen bessern eingeschenkt hat. - Er wird, versetzte sie, aus den Trauben gepresst, die in den Gärten der Sylfen wachsen, und dem Gebrauche desselben haben diese schönen Geister die unsterbliche Jugend zu danken, die in ihren Adern wallt.

Die Fee sagte nichts davon, dass dieser Nektar noch eine andere Eigenschaft hatte, die der Prinz bald genug zu erfahren anfing. Je mehr er davon trank, je reitzender fand er seine schöne Gesellschafterin. Beym ersten Zuge bemerkte er dass sie sehr schönes blondes Haar hatte; beym andern wurde er von der Zierlichkeit ihrer Arme gerührt; beym dritten entdeckte er ein Grübchen in ihrem linken Backen; und beim vierten entzückten ihn andere Reitzungen, die unter dem Nebel eines dünnen Flors seinen Augen nachstellten. Ein so zauberischer Gegenstand und eine Trinkschale, die sich immer wieder von selbst anfüllte, waren mehr als nöthig war, um seine Sinne in ein süßes Vergessen aller Milchmädchen der ganzen Welt einzuwiegen. Was sollen wir sagen? Biribinker war zu höflich eine so schöne Fee auf dem Kanapee schlafen zu lassen, und die schöne Fee zu dankbar, ihm in einem Hause, wo vierzig tausend Geister spukten, ihre Gesellschaft abzuschlagen. Kurz, die Höflichkeit wurde auf der einen und die Dankbarkeit auf der andern Seite so weit getrieben als möglich, und Biribinker schien die günstige Meinung, welche Krystalline beym ersten Anblicke von ihm gefasst hatte, so gut zu rechtfertigen, dass sie sich, mit Hülfe einer eben so guten Meinung von sich selbst, Hoffnung machen konnte, alle ihre Leiden durch ihn geendiget zu sehen.

Die Fee erwachte, wie die Geschichte sagt, zuerst, und konnte den Übelstand nicht ertragen, einen so außerordentlichen Prinzen an ihrer Seite schlafen zu sehen. Prinz Biribinker, sagte sie, nachdem sie ihn endlich aufgerüttelt hatte, ich habe Ihnen keine gemeine Verbindlichkeiten. Sie haben mich von der unanständigsten Bezauberung, die jemahls eine Person meines Standes erlitten hat, befreyt; Sie haben mich an einem Eifersüchtigen gerochen; nun ist nur noch Eins übrig, und Sie können Sich auf die unbegrenzte Dankbarkeit der Fee Krystalline Rechnung machen.

Und was ist denn noch übrig? fragte der Prinz indem er sich die Augen rieb.

So hören Sie denn, antwortete die Fee. Dieser Palast gehörte, wie ich Ihnen schon gesagt habe, einem Zauberer, dem seine Wissenschaft eine fast unumschränkte Macht über alle Elemente gab. Allein seine Macht über die Herzen war desto eingeschränkter. Zum Unglück war er, trotz dem schneeweißen Barte, der ihm bis an den Gürtel herab hing, eine der zärtlichsten Seelen die jemahls gewesen sind. Er verliebte sich in mich; und wiewohl er die Gabe nicht hatte sich wieder lieben zu machen, so besaß er doch Macht genug um gefürchtet zu werden. Bewundern Sie die Wunderlichkeit des Schicksals, mein Prinz! Ich versagte ihm mein Herz, welches zu gewinnen er sich alle nur ersinnliche Mühe gab, und überließ ihm meine Person, die ihm zu nichts nütze war. Vor langer Weile wurde er endlich eifersüchtig, aber so eifersüchtig dass es nicht auszustehen war. Er hatte die schönsten Sylfen zu seiner Bedienung, und doch ärgerte er sich über die unschuldigsten Freyheiten die wir uns mit einander nahmen. Er brauchte einen nur in meinem Zimmer oder auf meinem Kanapee anzutreffen, so war ich schon gewiss dass ich ihn nicht wieder zu sehen bekommen würde. Ich verlangte er sollte sich auf meine Tugend verlassen; aber auch diese schien dem Ungläubigen keine hinlängliche Bürgschaft gegen ein Schicksal, das er so wohl zu verdienen sich bewusst war. Kurz, er schaffte alle Sylfen ab, und nahm zu unsrer Bedienung lauter Gnomen an; kleine missgeschaffene Zwerge, bey deren bloßem Anblick ich vor Ekel hätte ohnmächtig werden mögen. Allein wie die Gewohnheit endlich alles erträglich macht, so versöhnte sie mich auch nach und nach mit diesen Gnomen, und machte, dass ich zuletzt possierlich fand, was mir anfangs abscheulich vorgekommen war. Es fand sich keiner unter allen, der nicht etwas übermäßiges in seiner Bildung gehabt hätte. Der eine hatte einen Höcker wie ein Kamel, der andere eine Nase die ihm bis über den Mund herab hing, der dritte Ohren wie eine Horneule. und ein Maul das ihm den Kopf in zwey Halbkugeln spaltete, der vierte einen ungeheuren Wanst; kurz, eine Sinesische Einbildungskraft kann nichts abenteuerlichers erfinden als die Gesichter und Gestalten dieser Zwerge. Allein der alte Padmanaba hatte nicht bemerkt, dass sich unter seinen Aufwärtern einer befand, der in einem gewissen Sinne gefährlicher seyn konnte als der schönste aller Sylfen. Nicht als ob er weniger hässlich gewesen wäre als die übrigen: aber durch ein seltsames Spiel der Natur war bey ihm ein Verdienst, was bey andern zu nichts diente als die Augen zu beleidigen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Prinz Biribinker?

Sehr mittelmäßig, versetzte der Prinz: aber erzählen Sie nur weiter, vielleicht werden Sie in der Folge deutlicher werden.

Es währte nicht lange, fuhr die schöne Krystalline fort, so hatte Grigri (so nannte sieh der Gnom) Ursache zu glauben, dass er mir weniger missfalle als seine Gesellen. Was wollen Sie? Man geräth auf allerley Einfälle wenn man lange Weile hat. - Grigri besaß eine außerordentliche Gabe missvergnügten Damen die Zeit zu vertreiben -- mit Einem Wort, er wusste meine müßigen Stunden (und ich hatte deren in der That sehr viele) auf eine so angenehme Art auszufüllen, dass man nicht zufriedener seyn kann als ich war. Padmanaba bemerkte endlich die ungewohnte Fröhlichkeit, die aus meinem Gesicht und aus meinem ganzen Wesen hervor schimmerte. Er zweifelte nicht, dass sie eine andere Ursache haben müsste als das Vergnügen das er mir selbst machte; aber er konnte nicht gleich errathen, was es für eine seyn möchte. Zu meinem Unglück war er ein großer Meister in derjenigen Art von Schlussreden, die man Kettenschlüsse nennt; und ein solcher Kettenschluss führte ihn endlich auf eine Vermuthung, die ihm das ganze Geheimnis aufzuschließen schien. Er beschloss uns zu beobachten, und nahm seine Zeit so wohl, dass er uns in eben diesem Kabinet überraschte. Hätten Sie geglaubt, mein Prinz, dass man ein so schlimmes Herz haben könnte als der alte Zauberer bey dieser Gelegenheit zeigte? Anstatt (wie es sich für einen Mann wie er geziemte) sich leise wieder wegzuschleichen, erzürnte er sich ohne Maß darüber, dass ich ein Mittel gefunden hatte mir die Zeit ohne ihn zu vertreiben. Er hätte sich immer erzürnen mögen, dass er nicht Grigri war; aber was konnte unbilliger seyn als mich deswegen zu strafen?

In der That, sagte Biribinker, nichts unbilliger! denn ich bin gewiss, wenn er nur in einem einzigen Stücke Grigri gewesen wäre, so hätten Sie ihm, ungeachtet seines langen weißen Bartes, den Vorzug vor einem kleinen hässlichen Zwerge gegeben.

Für einen so witzigen Kopf, als ein Zögling der Fee Melisotte billig seyn sollte, geben Sie (erwiederte Krystalline) so viele Blößen, dass man alle Augenblicke in Streit mit Ihnen gerathen könnte. Was Sie zum Beyspiel da sagten - Doch wir haben keine Zeit um Worte zu streiten. Hören Sie also wie es weiterging. Padmanaba schüttete die ganze Wuth über uns aus, in welche ihn vermuthlich die Betrachtung, wie wenig er Grigri war, gesetzt hatte. Ich schäme mich Ihnen die Komplimente zu wiederholen, die er mir bey dieser Gelegenheit machte. Kurz, er verwandelte mich - Sie wissen wohl worein, und den armen Grigri in eine Hummel.

In eine Hummel? rief Biribinker -

Ja, und mit der Bedingung, fuhr Krystalline fort, dass ich meine Gestalt nicht eher wieder bekommen sollte, bis ich einem Prinzen Nahmens Biribinker- Verzeihen Sie meiner Schamhaftigkeit, dass ich den Umstand nicht nenne, worin ich zuerst das Vergnügen hatte Sie kennen zu lernen; und, in der 'That, so sehr zu ihrem Vortheile -

Sie erweisen mir allzu viel Ehre, fiel ihr Biribinker in die Rede: wenn ich gewusst hätte, dass Ihr Herz für einen so würdigen Gegenstand eingenommen wäre -

Ich bitte Sie, sagte die Fee, gewöhnen Sie Sich doch die unzeitigen Komplimente ab; Sie können nicht glauben, wie gezwungen und wunderlich sie Ihnen lassen. Ich sage Ihnen, dass ich die beste Meinung von Ihrer Bescheidenheit habe; und ich denke ich gebe ihnen eine sehr starke Probe davon, da ich mich so nahe bey Ihnen sicher glaube. Ich erinnere mich zwar nicht allzu wohl, wie es zugegangen ist dass wir so vertraulich mit einander geworden sind; denn ich gestehe, dass ich aus Vergnügen über unsere so lange gewünschte Zusammenkunft ein paar Gläser mehr getrunken habe als ich sonst zu trinken pflege; aber ich hoffe doch Sie werden Sich in den Schranken -

In der That, schöne Krystalline, fiel ihr der Prinz ins Wort, ich finde Ihr Gedächtnis so außerordentlich als die 'Tugend, worauf Sie wollten dass der alte Padmanaba sich verlassen sollte. Aber sagen Sie mir doch, wenn Sie es nicht auch vergessen haben, was wurde denn aus der Hummel?

Sie erinnern mich eben recht daran, antwortete die Fee; der arme Grigri! ich hatte ihm wirklich vergessen - Es thut mir Leid, aber der grausame Padmanaba hat seine Befreyung auf eine so ungereimte Bedingung gesetzt, dass ich nicht weiß, wie ich sie Ihnen werde entdecken können.

Und was kann denn das für eine Bedingung seyn? fragte Biribinker.

Ich begreife nicht, antwortete Krystalline, was Sie dem alten Zauberer gethan haben können, dass er Sie in diese Händel eingemischt hat; denn das ist gewiss, dass damahls, da alle diese Verwandlungen vorgingen, Ihre Ältermutter noch nicht geboren war. Mit Einem Wort, Grigri soll seine vorige Gestalt nicht eher wieder bekommen, bis Sie - Nein, Prinz Biribinker! die Delikatesse meiner Empfindungen erlaubt mir nicht es Ihnen zu sagen, und ich begreife noch weniger wie ich fähig seyn würde mich dazu zu verstehen; denn Sie werden, denke ich, an der Röthe, womit der bloße Gedanke daran mein Gesicht überzieht, schon errathen haben was es ist.

Ich will selbst gleich zu einer dreyfachen Hummel werden. rief Biribinker, wenn ich errathe was Sie haben wollen; ich bitte Sie, machen Sie nicht so viel Umschweife; es ist schon heller Tag, und ich kann mich nicht aufhalten -

Wie? sagte die Fee, wird Ihnen die Zeit so lang bey mir? Bin ich nicht fähig, Ihnen ein Milchmädchen nur für etliche Stunden aus dem Sinne zu bringen? Sie sollten Sich wenigstens aus Eigennutz um meine Gunst bewerben; denn ich kann mehr zu Ihrem Glücke beytragen als Sie Sich einbilden.

So sagen Sie mir denn geschwinde, was ich zu thun habe, erwiederte Biribinker.

Welche Ungeduld! rief die Fee. Wissen Sie also, dass der arme Grigri nicht eher wieder Grigri werden soll, bis der Prinz Biribinker - Nun! so rathen Sie doch I - Aber das versichre ich Ihnen, wenn es nicht um die Wiederherstellung eines alten guten Freundes zu thun wäre, ich könnte mich nimmermehr dazu verstehen, das Opfer der Rache zu werden, welche Padmanaba durch Ihren Beystand an dem armen Grigri nehmen will.

Er will doch nicht, dass ich Ihnen das Leben nehmen soll? sagte der Prinz.

Ich muss gestehen, antwortete Krystalline, dass Sie heute mit einem außerordentlich harten Kopfe aufgewacht sind I Glauben Sie denn nicht, dass es etwas giebt, wogegen sogar der Tod der Geliebten in den Augen eines recht begeisterten Liebhabers das kleinere Übel wäre?

Ha, ha! Nun glaub' ich Euer Gnaden zu verstehen, sagte Biribinker ganz kaltsinnig. In der That Ihre Schamhaftigkeit hätte nicht nöthig gehabt, sich so viel Bedenken zu machen, die Sache gerade heraus zu sagen. Aber erlauben Sie mir Ihrem Gedächtnis ein wenig nachzuhelfen, und Sie zu erinnern -

Ich glaube, Sie haben Zerstreuungen, unterbrach ihn die Fee! - Indessen müssen Sie wissen, dass Padmanaba sehr streng über dem Recht der Wiedervergeltung hält, und dass Grigri nicht eher zu seiner ersten Gestalt gelangen kann, bis Sie ihm alle die Beleidigungen wieder geben, welche der Zauberer von ihm empfangen zu haben glaubt.

O Madam! rief der Prinz, indem er aus dem Ruhebette sprang, ich bin des Herrn Padmanaba gehorsamer Diener: aber wenn es nur auf diesen kleinen Umstand ankommt, so werden Sie unter den zehen tausend Gnomen, die Ihnen zu Diensten stehen, einen neuen Grigri suchen müssen, um den alten Gecken an seinem wunderthätigen Nebenbuhler zu rächen; denn daran wird Ihnen vermuthlich mehr gelegen seyn, als dass Ihr kleiner Zwerg seine vorige Schönheit wieder bekomme. Was mich betrifft, so denke ich, Sie könnten zufrieden seyn dass ich Ihnen die Ihrige wieder gegeben habe. Ich sage das nicht, als ob ich mich durch die Gütigkeiten, die Sie für mich gehabt haben, nicht überflüssig für einen Dienst belohnt hielte, der mir so wenig gekostet hat. Ich wollte Sie nur erinnern, dass die Hauptsache doch immer in dem Umstande liegt, dass Sie, anstatt ein krystallener Nachttopf zu seyn, wieder die Fee Krystalline sind, und dass die Gewalt, die Ihnen der Zauberstab des alten Padmanaba giebt, Sie gar leicht wegen des Verlusts eines einzigen Verehrers sollte trösten können.

Ich hoffe doch nicht, versetzte Krystalline, dass Sie meine Sorge für den armen Grigri irgend einer eigennützigen Absicht beymessen ? Sie müssten in der That weder die Feinheit meiner Empfindungen, noch die Pflichten der Freundschaft kennen, wenn Sie nicht begreifen könnten, dass man sich für einen Freund beeifern kann, ohne einen andern Bewegungsgrund zu haben, als das Beste dieses Freundes; und ich müsste Sie bedauern -

Madam, erwiederte Biribinker, der sich indessen angekleidet hatte, ich bin von der Feinheit Ihrer Empfindungen so überzeugt als Sie es nur verlangen können; aber Sie sehen, wie bequem dieser Morgen zu Fortsetzung meiner Reise ist. Seyn Sie so gütig, Sie, deren Herz einer so uneigennützigen Freundschaft fähig ist, und entdecken mir, auf welchem Weg ich meine geliebte Galaktine wieder finden kann: so will ich gegen alle Welt behaupten, dass Sie die großmüthigste, die uneigennützigste, und, wenn Sie wollen, auch die sprödeste unter allen Feen des Erdkreises sind.

Sie sollen befriediget werden, antwortete Krystalline: gehen Sie, und suchen Ihr Milchmädchen, weil es doch Ihr Schicksal so haben will! Ich hätte vielleicht Ursache mit Ihrer Aufführung nicht allzu sehr zufrieden zu seyn; aber ich sehe wohl dass man es mit Ihnen nicht so genau nehmen muss. Gehen Sie, Prinz; Sie werden im Hof ein Maulthier antreffen, welches so lange mit Ihnen davon trotten wird, bis  Sie Ihre Galaktine gefunden haben; und wofern Ihnen wider Vermuthen etwas unangenehmes zustoßen sollte, so werden Sie in dieser Erbsenschote ein unfehlbares Mittel dagegen finden.

Wie froh bin ich, unterbrach Don Eugenio die Erzählung seines Freundes, dass Sie ihren Biribinker endlich aus dem verwünschten Schlosse heraus führen! Ich gestehe Ihnen, dass ich diese Krystalline nicht einen Augenblick länger aushalten könnte. Was für eine abgeschmackte Kreatur! -

Sagen Sie nur, sie ist eine Fee, versetzte Don Gabriel, das ist alles gesagt.

Sie wollen vermuthlich, sagte Don Sylvio mit großem Ernste, hiermit nicht zu verstehen geben, als ob es keine hochachtungswürdige Feen gebe? denn es ist unläugbar, dass es solche giebt. Indessen ist gewiss, dass vielleicht die meisten irgend etwas seltsames und ungereimtes an sich haben, wodurch sie sich von den Sterblichen unterscheiden wollen; wenn anders der Fehler nicht an uns liegt, dass wir sie nach Regeln beurtheilen, denen sie, als Wesen von einer andern Klasse, nicht unterworfen sind.

Aber ihr Gewäsche, sagte Don Eugenio, die Delikatesse ihrer Empfindungen, ihre Tugend! - Was  sagen Sie dazu?

Ich halte es für eine so kitzliche Sache von Feen zu urtheilen, dass ich lieber nichts davon sagen will, antwortete Don Sylvio; und zwar bey dieser Gelegenheit um so mehr, als in der That die Geschichte  des Prinzen Biribinker in allen Betrachtungen die ausserordentlichste Feengeschichte ist, die ich jemahls gehört habe.

Was den Karakter der Fee Krystalline betrifft, sagte Don Gabriel, so giebt ihn der Geschichtschreiber für nichts besser als er ist; und ich glaube, dass man ihn tadelhaft finden könnte ohne der Ehrfurcht gegen die Feen zu nahe zu treten. Im übrigen werden Sie doch gestehen, Don Eugenio, dass dem Prinzen Biribinker das Gewäsche, welches Sie so abgeschmackt finden, nicht halb so langweilig vorkommen musste als es Ihnen in meinem Munde vorkam. Man hört eine schöne Person allemahl gern, wenn man sie sieht, und wenn sie eine wohlklingende Stimme hat; sie überzeugt und rührt, ohne dass man darauf Acht giebt was sie sagt, und sie würde gemeiniglich nicht viel dabey gewinnen wenn man darauf Acht gäbe.

Wenn Sie unserm Geschlechte keine schönere Komplimente zu machen haben, sagte Donna Felicia, so thäten Sie besser Ihre Erzählung fortzusetzen, so langweilig sie immer seyn mag.

Don Gabriel versprach sein möglichstes zu thun um sie kurzweiliger zu machen, und fuhr also fort: Der Prinz Biribinker steckte die Erbsenschote zu sich, bedankte sich gegen die Fee für alle ihre Gütigkeiten, und stieg in den Hof herab. Sehen Sie hier, sagte Krystalline die ihn begleitete, sehen Sie hier ein Maulthier, das vielleicht wenige seines gleichen hat. Es stammt in gerader Linie von dem berühmten Trojanischen Pferd und der Eselin des Silenus ab. Von der väterlichen Seite hat es die Eigenschaft, dass es von Holz ist und weder Futter noch Streu noch Striegel nöthig hat; und von der mütterlichen, dass es einen überaus sanften Trab geht und so geduldig ist wie ein Schaf. Steigen Sie auf und lassen es gehen wohin es will; es wird Sie zu Ihrem geliebten Milchmädchen bringen; und wenn Sie nicht so glücklich seyn werden als Sie wünschen, so wird die Schuld nur an Ihnen selbst liegen.

Der Prinz besah dieses außerordentliche Thier von allen Seiten, und hatte alle die Wunderdinge, die ihm in diesem Schlosse begegnet waren, vonnöthen, um ihm so viel Gutes zuzutrauen als ihm die Fee nachgerühmt hatte. Während er aufstieg, wollte ihm Krystalline noch eine Probe geben, dass sie nicht zu viel von ihrer Macht gesagt hätte. Sie schlug mit ihrem Stabe dreymal in die Luft, und siehe! auf einmahl erschienen alle zehen tausend Sylfen, welche ihr der Stab des Padmanaba unterthänig machte; der Hof, die Treppe, die Gallerie und sogar die Dächer und die Luft wimmelten von geflügelten Jünglingen, wovon der geringste den Vatikanischen Apollo an Schönheit übertraf. - Bey allen Feen, rief Biribinker, von diesem Anblicke außer sich selbst gesetzt, was für einen glänzenden Hof Sie haben! Lassen Sie den kleinen Grigri immer eine Hummel bleiben, Madam, und halten Sie Sich an diese hier! Es müsste unglücklich seyn, wenn unter allen diesen Liebesgöttern keiner fähig seyn sollte, Ihnen einen Gnomen zu ersetzen, der, Ihrem eigenen Geständnisse nach, keinen andern Vorzug vor seinen missgeschaffnen Gesellen hatte, als dass er auf eine kurzweilige Art ungestalt war. - Sie sehen wenigstens, versetzte Krystalline, dass es mir nicht an Gesellschaft fehlt, die mich wegen Ihrer Unbeständigkeit trösten kann, wenn es mir jemahls einfallen sollte, getröstet seyn zu wollen.

Mit diesen Worten wünschte sie ihm eine glückliche Reise, und Biribinker trabte auf seinem hölzernen Maulthiere davon, indem er allem demjenigen nachdachte, was ihm in diesem wundervollen Schlosse begegnet war.

Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker

Ich will Ihnen, fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung fort, die mannigfaltigen Betrachtungen erlassen, welche Biribinker unterwegs mit sich selbst anstellte, um Ihnen zu sagen, dass er gegen Mittag, da die Hitze unerträglich zu werden anfing, an dem Eingang eines Waldes abstieg, wo er sich an den Rand  eines kleinen Baches setzte, der von Bäumen und Gebüschen umschattet war. Nicht lange so erblickte er eine Schäferin, die eine kleine Herde rosenfarbner Ziegen vor sich her trieb, um sie an dem Bache zu tränken, wo Biribinker im Schatten lag.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Denken Sie, Don Sylvio, wie groß sein Entzücken seyn musste, als er in dieser jungen Hirtin sein geliebtes Milchmädchen erkannte! Sie kam ihm noch zehnmahl schöner vor, als da er sie das erste Mahl gesehen hatte; aber was ihn am meisten erfreute, war, dass sie, anstatt vor ihm zu fliehen, immer näher herbey kam, und sich endlich nicht weit von ihm ins Gras setzte. Der Prinz unterstand sich nicht sie anzureden; aber er sah sie mit so durchdringend feurigen Blicken an, dass die Steine im Bache beynahe davon in Glas verwandelt worden wären. Die schöne Schäferin, welche sehr kalter Natur seyn musste um von so kräftigen Blicken nicht geröstet zu werden, flocht indessen ganz gelassen einen Blumenkranz, und unterließ nicht von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf ihn zu werfen, worin er nichts weniger als Unwillen zu entdecken vermeinte. Dies machte ihn so kühn, dass er näher zu ihr rückte, ohne dass sie es wahrnahm; denn sie spielte eben mit einer kleinen Ziege, die statt der Haare lauter Silberfaden hatte, und mit Blumenkränzen und rosenfarbnen Bändern aufs artigste geziert war. Seine Augen sagten ihr aus diesem neuen Standpunkte nicht weniger schönes als zuvor; und die ihrigen antworten von Zeit zu Zeit so höflich, dass er sich endlich nicht länger halten konnte, sich zu ihren Füßen zu werfen, und ihr (nach seiner Gewohnheit) in sehr poetischen Redensarten zu wiederhohlen, was er vorher in einer weit verständlichern und überzeugendem Sprache gesagt hatte.

Nachdem seine zärtliche Elegie zu Ende war, antwortete ihm die schöne Schäferin mit einem Blicke, welcher kaltsinniger anfing als aufhörte: Ich weiß nicht, ob ich Sie recht verstanden habe; wollten Sie mir alle diese Weile her nicht sagen, dass Sie mich liebten? - Himmel, dass ich Sie liebe! rief der entzückte Biribinker; sagen Sie, dass ich Sie anbete, dass ich meine schmachtende Seele zu ihren Füßen aushauche. - Sehen Sie, antwortete die Schäferin, ich bin nur ein ganz einfältiges Mädchen, ich verlange nicht dass Sie mich anbeten sollen, und Sie sollen auch Ihre Seele nicht aushauchen, denn ich denke nicht, dass Sie deren zu viel haben : ich würde zufrieden seyn wenn Sie mich nur liebten. Aber ich gestehe Ihnen, dass ich schwerer zu überzeugen bin als die Fee, mit der Sie die vergangene Nacht zugebracht haben. - Götter! rief der bestürzte Prinz, was höre ich? Wie ist es möglich'? - Wer kann Ihnen? - Woher wissen Sie? - Ich weiss nicht was ich sage - O! unglückseliger Biribinker!

Die schöne Schäferin that einen großen Schrey, eh' er diesen fatalen Nahmen noch ganz ausgesprochen hatte. Ja wohl, unglückseliger Biribinker, rief sie aus, indem sie sich mit großer Hastigkeit vom Boden aufraffte: müssen Sie mein Ohr schon wieder mit diesem schändlichen Nahmen beleidigen? Sie zwingen mich Sie zu hassen und zu fliehen, da ich --

Hier wurde die erzürnte Galaktine plötzlich von einem Anblick unterbrochen, der dem Prinzen und ihr selbst auf einmahl alle andre Gedanken benahm. Sie sahen einen Riesen auf sie zukommen, der anstatt eines Kranzes ein paar junge Eichbäume um den Kopf gebunden hatte, und sich unterm Gehen die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstocherte. Er ging gerade auf die Schäferin zu, und donnerte sie mit einer so entsetzlichen Stimme an, dass mehr als zwey hundert Dolen, die ihre Nester in seinem krausen Barte hatten, mit großem Gekrächz heraus geflogen kamen. Was hast du hier, rief er, mit diesem kleinen Zwerge, Püppchen? Folge mir augenblicklich oder ich hacke dich zu kleinen Pastetchen: und du, sagte er zum Prinzen, indem er ihn in einen großen Sack steckte, herein in meinen Sack! - Nach diesem sehr lakonischen Gruße schnürte er den Sack zu, nahm die Schäferin auf den Arm, und trabte davon.

Biribinker glaubte in den leeren Raum gestürzt worden zu seyn; denn er fiel und fiel immer fort, ohne dass es ein Ende nehmen wollte. Endlich kam er doch auf den Boden, stieß aber den Kopf so stark an einen Weberknopf an, dass er etliche Minuten ganz betäubt da lag und die Hirnschale gebrochen zu haben glaubte. Nach und nach erhohlte er sich wieder, und nun besann er sich auf die Erbsenschote, die ihm Krystalline gegeben hatte; er brach sie auf, fand aber nichts als ein kleines Messer von Diamant mit einem Hefte von einer Greifenklaue, kaum so groß dass man es mit drey Fingern fassen konnte. Ist das alles, dachte er, was die Fee Krystalline für mich thut ? Was will sie dass ich mit diesem Spielzeuge machen soll? Es ist kaum groß genug, dass ich mir die Kehle damit abschneiden könnte, und vielleicht ist dies auch ihre Meinung. Aber man muss doch alles andere vorher versuchen, ehe man sich die Kehle abschneidet. Ich kann mit diesem Messerchen ein Loch in den Sack bohren, ob es gleich Mühe kosten wird, und wenn ich schon einen Sprung wagen muss, so will ich doch lieber alles wagen, als Gefahr laufen, dass dieser verfluchte Popanz kleine Bratwürste für seine Popänzchen aus mir macht.

In dieser großmüthigen Entschließung arbeitete der Prinz Biribinker, oder vielmehr das kleine Messer worauf ein Talisman eingegraben war, so nachdrücklich dass er in kurzer Zeit eine ziemliche Öffnung in den Sack machte, ungeachtet die Fäden des Gewebes so dick waren wie Ankerseile. Er bemerkte, dass die Reise durch einen Wald ging, und dachte seine Zeit so in Acht zu nehmen, dass er, indem er sich aus dem Sack heraus stürzte, an den Wipfel eines hohen Baumes sich halten könnte. Diesen Anschlag setzte er ungesäumt ins Werk ohne dass es der Riese gewahr wurde; allein der Ast, an den er sich halten wollte, brach mit ihm, und der gute Biribinker fiel in ein ziemlich tiefes marmornes Brunnenbecken voll Wassers, welches zu allem Glück unter ihm lag. Denn was er für einen Wald angesehen hatte, war in der That ein sehr schöner Park, der zu einem nicht weit davon gelegenen Schlosse gehörte. Er dachte, indem er untertauchte, zum wenigsten in das Kaspische Meer gefallen zu seyn, oder besser zu sagen, er dachte gar nichts, so betäubt von Schrecken lag er da; und vermuthlich würde er in seinem Leben das Trockne nicht wieder gesehen haben, wenn nicht eine Nymfe, die sich eben in diesem Brunnen badete, zu seiner Rettung herbey geschwommen wäre. Die Gefahr, worin sie einen so schönen jungen Menschen sah, machte sie vergessen, in was für einem Zustande sie selbst war; und in der That hätte er leicht ertrinken können, ehe sie ihre Kleider angezogen hätte. Kurz, Biribinker fühlte, da er zu sich selbst kam, dass sein Gesicht an dem schönsten Busen lag, der jemahls die Stelle eines Küssens vertreten hatte; und als er die Augen aufthat, sah er sich am Rand eines großen Brunnen in den Armen einer Nymfe, die ihm, in dem ungekünstelten Aufzuge, worin er sie sah, beym ersten Anblicke so viel und noch mehr Leben wieder gab als er nöthig hatte.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Dieses Abenteuer setzte ihn in ein so angenehmes Erstaunen, dass er kein Wort hervor bringen konnte. Allein die Nymfe merkte kaum dass er wieder lebte, so riss sie sich von ihm los und sprang ins Wasser. Biribinker,  der sich einbildete dass sie ihm entfliehen wolle, erhob ein so klägliches Geschrey, als ein kleines Mädchen nur immer erheben kann, wenn man ihm eine neu geschenkte Puppe wieder nehmen will. Die schöne Nymfe war sehr weit von einem so grausamen Vorhaben entfernt; denn in wenigen Augenblicken sah er sie schon wieder mit einem Rücken, der die Lilien an Glanz übertraf, aus dem Wasser hervor ragen. Sie hob den Kopf ein wenig empor; aber kaum erblickte sie den Prinzen, so tauchte sie wieder unter und plätscherte unter dem Wasser fort, bis sie an die andere Seite des Brunnens kam, wo ihre Kleider lagen. Allein da sie sah dass ihr der Prinz folgte, erhob sie sich mit halbem Leib, aber ganz in ihre langen gelben Haare eingehüllt, die in dichten wallenden Locken bis zu ihren Füßen herab flossen, und seinen lüsternen Augen den Anblick von Schönheiten entzogen, welche fähig waren einen Tithon zu verjüngen und einen Tizian zur Verzweiflung zu treiben.

Sie sind sehr unbescheiden, Prinz Biribinker, sagte sie, dass Sie Sich in Augenblicken aufdringen, da man allein seyn will.

Vergeben Sie mir, schönste Nymfe, antwortete der Prinz, wenn mir Ihre Bedenklichkeiten ein wenig unzeitig vorkommen; nach dem Dienste, den Sie mir so großmüthig geleistet haben, dächte ich -

Man sehe doch, rief die Nymfe aus, was für einen Übermuth diese Mannsleute haben! Man untersteht sich nicht ihnen die mindeste kleine Höflichkeit zu erzeigen ohne dass sie ihre Glossen darüber machen; ein bloßes Werk der Großmuth und des Mitleidens ist in ihren Augen schon eine Aufmunterung, wodurch sie sich berechtigt halten sich Freyheiten mit uns heraus zu nehmen. Wie? weil ich gütig genug gewesen bin Ihnen das Leben zu retten, so glauben Sie vielleicht -

Sie sind sehr grausam, unterbrach sie der Prinz, dass Sie einem unbescheidenen Übermuthe beymessen, was eine nothwendige Wirkung der Zauberey Ihrer Reitzungen ist. Wenn Sie mir das Leben wieder nehmen wollen das Sie mir retteten, (denn wer kann Sie gesehen haben, und die Beraubung eines so entzückenden Anblicks ertragen?) so tödten Sie mich wenigstens auf eine großmüthige Art; machen Sie ein Denkmahl Ihrer alles bezwingenden Schönheit aus mir, und lassen mich hier in Ihrem Anschauen zum Marmorbilde erstarren!

Sie haben, wie ich höre, eine hübsche Belesenheit in den Poeten, versetzte die Nymfe: wo nahmen Sie doch diese Anspielung her? - War nicht einmahl eine gewisse Medusa - Sie haben Ihren Ovidius gelesen, dies ist gewiss, und man muss gestehen dass Sie Ihrem Schulmeister Ehre machen!

Grausame! rief Biribinker mit Ungeduld, was für ein Belieben finden Sie daran, die Sprache meines Herzens, welches keinen Ausdruck für seine Gefühle stark genug findet, mit den Figuren eines schülerhaften Witzes zu verwechseln? - Sie nehmen Ihre Zeit sehr übel, wenn Sie disputieren wollen, fiel ihm die Nymfe ein: sehen Sie denn nicht, wie viel Vortheile ich in dem Element, worin ich bin, über Sie habe? Aber ich bitte Sie, gehen Sie hinter diese Myrthenhecken, und erlauben Sie mir, dass ich mich ankleide, wenn Sie so gut seyn wollen. - "Würde es aber nicht großmüthiger von Ihnen seyn, wenn Sie mir erlaubten, dass ich Sie ankleiden hülfe?" - Glauben Sie das? erwiederte die Nymfe: ich danke Ihnen für Ihre Dienstfertigkeit; aber ich möchte Ihnen nicht gern Mühe machen, und Sie sehen auch, dass ich Leute genug habe, die dieser Arbeit besser gewohnt sind als Sie.

Mit diesen Worten blies sie in ein kleines Ammonshorn, das ihr an einer Schnur der größten und feinsten Perlen am Halse hing, und in einem Augenblick erfüllte sich der ganze Brunnen mit jungen Nymfen, die plätschernd aus dem Wasser herauf fuhren, und einen Kreis um ihre Gebieterin machten. Biribinker konnte sich jetzt noch weniger entschließen auf die Seite zu gehen als zuvor; aber die Nymfen erblickten ihn kaum, so spritzten sie ihm eine solche Menge Wassers ins Gesicht, dass er, aus Furcht ein anderer Aktäon zu werden, so eilfertig davon lief als ob er schon Hirschläufte hätte. Er fühlte sich alle Augenblicke an die Stirne; da er aber weder Geweih noch Sprossen merkte, schlich er sich wieder zurück, um hinter den Myrthenhecken der Ankleidung seiner schönen Nymfe zuzusehen. Allein er kam schon zu spät; die Nymfen waren wieder verschwunden, und indem er hinter der Hecke hervor gehen wollte, fehlte es nicht viel, dass er mit dem Kopf an die Stirne seiner Erretterin angeschlagen hätte, die im Begriff war ihn aufzusuchen. Er staunte ungemein, da er sie sah. Wie? Madam, rief er aus, nennen Sie das angekleidet seyn?

Warum nicht? antwortete die Nymfe: sehen Sie denn nicht, dass ich in einen siebenfachen Schleier von Leinewand eingewickelt bin? - Das gesteh' ich, sagte der Prinz: wenn dies Leinewand ist, so möchte ich wohl die sehen, die sie gesponnen und gewebt haben! denn das feinste Spinnegewebe ist Segeltuch gegen dieses. Ich hätte geschworen, dass es Luft wäre. - Es ist die feinste Art von gewebtem Wasser, versetzte sie, von einer Art trocknem Wasser, welches von Polypen gesponnen, und von unsern Mädchen gewebt wird; es ist die gewöhnliche Kleidung, die wir Ondinen zu tragen pflegen. Was für eine andere wollen Sie dass wir haben sollen, da wir uns weder vor Frost noch Hitze zu verwahren brauchen? - Der Himmel verhüte, sagte Biribinker, dass ich Ihnen eine andere wünschte; aber mich däucht, wenn Sie es nicht ungnädig nehmen wollen, Sie hätten vorhin nicht nöthig gehabt so viel Umstände zu machen, wie Sie aus dem Bade steigen wollten. - Hören Sie, mein Herr, sagte die Ondine mit einem kleinen spöttischen Nasenrümpfen das ihr sehr gut Iieß; wenn ich Ihnen rathen dürfte, so gewöhnten Sie Sich das Moralisieren ab; denn es ist gerade das, worauf Sie Sich am wenigsten verstehen. Wissen Sie denn nicht, dass der Gebrauch über das, was man anständig nennt, entscheidet? Man sieht wohl, dass Sie die Welt nie anders als in einem Bienenkorbe gesehen haben, und Sie würden sehr wohl thun, wenn Sie, nach dem Rath des weisen Avicenna über nichts urtheilten was Sie zum ersten Mahle sehen. .... Aber lassen Sie uns von etwas anderm reden! Sie haben noch nicht zu Mittage gegessen, nicht wahr? und so verliebt Sie immer (mit gewissen Ausnahmen) in Ihr Milchmädchen seyn mögen, so weiß ich doch wohl, dass Sie nicht gewohnt sind von Seufzern zu leben.

Nach diesen Worten blies sie wieder in ihr kleines Ammonshorn, und augenblicklich stiegen drey Ondinen aus dem Brunnen hervor. Die erste brachte einen kleinen Tisch von Bernstein, der von drey aus einem einzigen Amethyst geschnittenen Grazien empor gehalten wurde; die andere breitete eine Matte von den feinsten gespaltenen Binsen darüber aus, und die dritte trug ein Körbchen auf dem Kopfe, woraus sie etliche verdeckte Muscheln auf den Tisch stellte. Man sagt mir, Sie essen nichts als Honig, sprach die Ondine zu Biribinkern; Sie sollen einen kosten, der nicht der schlimmste ist, ob er gleich aus lauter Seegewächsen gezogen wird. - Der Prinz versuchte ihn, und fand ihn so köstlich, dass er beynahe die Schale mit verschluckt hätte. Wie sie abgespeist hatten, erschienen zwey andere Nixen mit einem kleinen Schenktische von Saffir, der mit einer Menge Trinkschalen besetzt war. Sie waren alle aus gediegenem Wasser geschnitzt, hart wie Diamant, durchsichtig wie Krystall, und dem Ansehen nach mit lauter Brunnenwasser angefüllt. Aber wie Biribinker davon kostete, fand sichs, dass die besten Persischen Weine Wasser dagegen waren. Gestehen Sie, sagte die Ondine, dass Sie hier nicht schlimmer sind, als bey der Fee Krystalline, bey der Sie die vergangene .Nacht zugebracht haben?  Sie sind allzu bescheiden, schönste Ondine, antwortete der Prinz, dass Sie Sich mit einer Fee vergleichen, die in allen Stücken so weit unter Ihnen ist.

Wieder übel geschlossen! erwiederte sie: ich sagte das nicht aus Bescheidenheit, sondern nur, um zu hören was Sie mir darauf antworten würden.

Aber ich bitte Sie, meine Göttin, sagte der Prinz, wie geht es zu, dass Sie so gute Nachrichten von mir haben? So bald Sie mich sehen, nennen Sie mich bey meinem Nahmen. - Sie sehen daraus, antwortete die Ondine, dass ich eine so gute Kennerin bin als die Fee Krystalline. - "Sie wissen, dass ich in einem Bienenkorb erzogen worden bin" - Das riecht man Ihnen auf zwanzig Schritte weit an - "Dass ich ein Milchmädchen liebe" - O ja! - wie man noch nie geliebt hat, und dass Sie noch verliebter sind seitdem sie eine Schäferin geworden ist; und wer weiß wie weit Sie Ihr Glück getrieben hätten, wenn nicht der Riese Karakuliamborix dazwischen gekommen wäre! Aber haben Sie keinen Kummer; Sie sollen sie wieder sehen, und so glücklich seyn, als man im Besitz eines Milchmädchens nur immer seyn kann.

O! rief Biribinker, (bey dem die Getränke der Ondine mächtig zu wirken anfingen) kann man etwas andres zu sehen oder zu besitzen wünschen nachdem man Sie gesehen hat, göttliche Ondine? Ich erinnere mich nicht mehr dass ich vorher Augen hatte, und der Augenblick, da ich Sie zum ersten Mahle sah, ist der Anfang meines Daseyns. Ich kenne und wünsche mir keine andere Glückseligkeit, als zu Ihren Füßen von dem Feuer verzehrt zu werden, das Ihr erster Blick in meiner Brust entzündet hat.

Prinz Biribinker, antwortete die Ondine, Sie haben einen schlimmen Lehrmeister in der Redekunst gehabt. Ich hätte gedacht, die Fee Krystalline sollte Ihnen die lächerliche Meinung benommen haben, dass man uns Unsinn vorsagen müsse, um uns die Heftigkeit seiner Leidenschaft zu beweisen. Ich wette was Sie wollen, es ist nicht wahr, dass Sie zu meinen Füßen verzehrt zu werden wünschen: glauben Sie mir, ich weiß besser was Sie wünschen, und Sie würden mehr dabey gewinnen wenn Sie natürlich mit mir reden wollten. Die schwülstige Sprache, die Sie Sich angewöhnt haben, ist vielleicht gut, Milchmädchen zu rühren; aber lassen Sie Sich ein- für allemahl sagen, dass man uns nicht nach einerley Methode behandeln muss. Ein Frauenzimmer, das den Averroes so lange studiert hat wie ich, wird durch keine poetische Blümchen gewonnen; man muss uns überzeugen können wenn man uns rühren will, und die Macht der Wahrheit ist das einzige, was uns nöthigen kann uns zu ergeben.

Biribinker war es zu sehr gewohnt, von den Damen, denen er in die Hände fiel, gehofmeistert zu werden, als dass er sich durch einen Verweis hätte kleinmüthig machen lassen sollen, der ihm die Mittel zeigte, wodurch man bey den Schülerinnen des Averroes glücklich werden kann; und in der That fühlte er, dass es ihm weit weniger Mühe kosten werde, sie durch die Energie der Wahrheit, als durch spitzfindige und schwülstige Liebeserklärungen zu überwältigen. Die Reitzungen der Ondinen übertreffen, nach dem vollgültigen Zeugnisse des Grafen von Gabalis, alles, was den Besitz der schönsten unter den Töchtern der Menschen begehrenswürdig macht. Kurz, Biribinker wurde nach und nach so natürlich und überzeugend als sie es nur verlangen konnte; und ob sie gleich eine genaue Beobachterin dessen war was man Gradazionen nennt, so wusste sie doch die Zeit so gut einzutheilen, dass es eben Nacht wurde, wie der Prinz die Überzeugung bis zu derjenigen Evidenz trieb, die keinen Zweifel übrig lässt. Die Geschichte sagt weiter nichts von dem was zwischen ihnen vorgegangen, als dass sich Biribinker des Morgens, da er erwachte, zu seinem nicht geringen Erstaunen, auf eben dem Ruhebette, in eben dem Zimmer, in eben dem Palast, und in eben dem Zustande befunden habe, worin er des Morgens zuvor gewesen war.

Die schöne Ondine, welche, man weiß nicht warum, sich nicht sehr weit von ihm befand, merkte kaum dass er erwacht war, als sie ihn - mit einer Anmuth, die ihn vor etlichen Stunden eben so sehr entzückt hatte als sie ihn jetzt gleichgültig ließ, also anredete: Das Schicksal, mein lieber Biribinker, hat Sie dazu ausersehen, Sich unglückliche Feen verbindlich zu machen. Da ich das Vergnügen habe eine davon zu seyn, so ist es billig, dass ich Ihnen berichte wer ich bin und wie viel ich Ihnen zu danken habe. Wissen Sie also, dass ich eine von denjenigen Feen bin, die man Ondinen nennt, weil sie das Element des Wassers bewohnen, aus dessen subtilsten Atomen ihr Wesen zusammen gesetzt ist. Man nannte mich Mirabella, und der Stand einer Fee mit dem Rang, den mir meine Geburt unter den Ondinen gab, hätte mich glücklich machen können, wenn irgend etwas fähig wäre, uns gegen die Einflüsse eines feindseligen Gestirns zu schützen. Das meinige verurtheilte mich, von einem alten Zauberer geliebt zu werden, dem seine tiefe Wissenschaft eine unbegrenzte Gewalt über die elementarischen Geister gab. Allein bey allem dem war er der unangenehmste Mensch von der Welt, und ohne die Freundschaft eines Salamanders, der ein Günstling des alten Padmanaba war -

Wie? rief der Prinz, Padmanaba, sagen Sie? der Mann mit dem schneeweißen ellenlangen Barte, der arme von langer Weile geplagte Mädchen in Nachtgeschirre, und kurzweilige Gnomen in Hummeln verwandelt?

Eben dieser, versetzte Mirabella, war es, der sich Rechte über mich anmaßte, ohne zu den Pflichten, die von diesen Rechten unzertrennlich sind, die mindeste Tauglichkeit zu haben. Eine meiner Vorgängerinnen, die er in den Armen eines hässlichen Gnomen überraschte, hatte ihn so misstrauisch gemacht, dass er auf seinen eigenen Schatten eifersüchtig war. Er hatte alle Gnomen abgeschafft, und dafür lauter Salamander angenommen, deren feurige Natur, wie er dachte, geschickter war Schrecken als Liebe einzuflößen. Sie erinnern Sich ohne Zweifel aus Ihrem Ovidius an die schöne Semele, die in der Umarmung eines Salamanders zu Asche wurde. Aber der gute Alte vergaß mit aller seiner Vorsichtigkeit, dass die wässerige Natur der 0ndinen sie vor einer solchen Gefahr vollkommen sichert, und das gedämpfte Feuer der Salamander zu einer sanften Hitze mäßiget, die der Liebe nicht wenig günstig ist.

Padmanaba verließ sich so völlig auf seinen Günstling, dass er uns alle Freyheit ließ die wir nur wünschen konnten. Sie bilden Sich vielleicht ein, Prinz Biribinker, dass wir uns diese Gelegenheit nach der Weise materieller Liebhaber zu Nutze gemacht hätten; aber Sie irren Sich. Flox, so hieß mein Freund der Salamander, war zu gleicher Zeit der zärtlichste und der geistigste Liebhaber von der Welt. Er merkte gleich, dass mein Herz nur durch den Kopf gewonnen werden könne, und trieb seine Gefälligkeit gegen meine Delikatesse so weit, dass er gar nicht einmahl zu bemerken schien, dass ich (wie Sie sehen) eine ziemlich feine Haut, eine nicht ganz gleichgültige Figur, und ein Paar niedliche kleine Füßchen hatte; mit denen ich im Nothfall so fertig zu reden wusste als andere mit den Augen. Mit Einem Worte, er ging mit mir um, als ob ich lauter Geist gewesen wäre. Anstatt wie andere Liebhaber mit mir zu tändeln, analysierte er mir die geheimnisvollen Schriften des Averroes. Wir sprachen ganze Tage lang von unsern Empfindungen; und ob es gleich im Grunde immer eben dieselbigen waren, so wussten wir ihnen doch so vielerley Wendungen zu geben, dass wir immer etwas neues zu sagen schienen, wenn wir in der That immer einerley sagten. Sie sehen, mein Prinz, dass nichts unschuldiger seyn konnte als unsere Freundschaft, oder, wenn Sie es so nennen wollen, unsere Liebe.

Und doch konnte uns weder die Lauterkeit unsrer Absichten noch die Vorsicht einer jungen Gnomide (die in meinen Diensten, und in der That ein dummes kleines Ding war) vor den boshaften Beobachtungen so vieler Augen, welche der Neid auf uns offen hielt, sicher stellen. Verschiedene Salamander, von den Vorzügen beleidigt, die ich meinem Freund vor ihnen gab, unterstanden sich, über unsern Umgang gewisse Glossen zu machen, die sich (ihrem Vorgeben nach) auf gewisse Vertraulichkeiten gründeten, die sie zwischen uns wahrgenommen haben wollten. Der eine bemerkte, dass ich außerordentlich munter sey, und dass ein gewisses Feuer in meinen Augen blitze, welches lange Zeit darin erloschen gewesen war. Ein anderer konnte nicht begreifen, dass meine Leidenschaft für die Filosofie groß genug seyn könne, um mir sogar in meinem Schlafzimmer Unterricht darin geben zu lassen. Ein dritter wollte eine gewisse Sympathie unserer Knie und Ellenbogen, und ein vierter ich weiß nicht was für ein geheimes Verständnis zwischen unsern Füßen entdeckt haben. Sie sehen, mein Prinz, dass, wenn auch in einer von den Zerstreuungen, denen metafysische Seelen am häufigsten unterworfen sind, etwas dergleichen vorgegangen wäre, man doch die Bosheit und materielle Denkungsart unserer Feinde haben musste, um solche Kleinigkeiten zum Nachtheil einer Tugend auszudeuten, die sich jederzeit durch die strengsten Grundsätze und die schärfste Sittenkritik in einem unbestrittenen Ansehen erhalten hatte.

Inzwischen wurde das Gemurmel unserer Missgünstigen so laut, dass es endlich auch vor den alten Padmanaba kam, der nur allzu geneigt war, dergleichen Eingebungen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Er wurde desto stärker dadurch aufgebracht, je größer die Meinung gewesen war, die er von meiner Tugend, oder wenigstens von der Kälte meines Blutes gefasst hatte. Man machte einen Anschlag uns zu überraschen, und es gelang endlich unsern Feinden, uns in einer von den obgedachten Zerstreuungen anzutreffen, die zum Unglück so stark war, dass sie das Ärgste, was unsre Feinde davon denken konnten, zu rechtfertigen schien. Die donnernde Stimme des furchtbaren Padmanaba weckte mich aus einer von diesen ekstatischen Abwesenheiten des Geistes, denen sogar der weise Sokrates unterworfen gewesen seyn soll.

Stellen Sie Sich vor, ob es mir angenehm seyn konnte, mich von so vielen Augen beleuchtet zu sehen. Indes verließ mich doch die Gegenwart des Geistes nicht ganz; ich bat meinen alten Gemahl, mich nicht eher zu verurtheilen bis er meine Rechtfertigung gehört hätte, und war im Begriff, ihm aus dem siebenten Kapitel der Metafysik des Averroes zu beweisen, wie betrüglich das Zeugnis der Sinne sey, als er mich mit diesen Worten unterbrach: Ich habe dich zu sehr geliebt, Undankbare, als dass ich fähig wäre die Rache an dir zu nehmen, die meine beleidigte Ehre fordert. Deine Strafe soll nichts anders als eine Probe der Tugend seyn, an welche du noch Ansprüche zu machen verwegen genug bist. Ich verbanne dich (fuhr er fort, indem er mich mit seinem Stabe berührte) in die Bezirke des Parks, der dieses Schloss umgiebt: behalte deine Gestalt und die Vorrechte deines Feenstandes ; aber verliere beides, und verwandle dich in das hässlichste Krokodill, so oft du mit jemand, wer er auch sey, in eine Zerstreuung fällst, wie diejenige worin ich dich hier gefunden habe. Wie sehr bedaure ich, dass es nicht in meiner Gewalt ist, diese Bezauberung unauflöslich zu machen! Aber die Zukunft wird, wie ich besorge, einen Prinzen hervor bringen, dessen wunderbares Gestirn aller meiner Macht Trotz bietet. Alles, was ich thun kann, ist, die Auflösung meiner Bezauberungen an die talismanische Kraft eines so seltsamen Nahmens zu binden, dass er vielleicht in vielen Jahrtausenden in keiner Sprache des Erdbodens wird gehört werden.

Nachdem Padmanaba diese geheimnisvollen Worte gesprochen hatte, wurde ich durch eine unsichtbare Gewalt in den Brunnen versetzt, wo Sie mich zuerst gesehen haben; und bald darauf erfuhr ich, dass der Alte aus Verdruss über meine vermeinte Untreue das Schloss verlassen habe, ohne dass man wisse, was aus ihm oder meinem geliebten Salamander geworden sey. Ich war untröstbar über den Verlust des letztem, und machte meinen Nymfen etliche Tage lang so abscheuliche Gesichter, dass einige davon in Zuckungen fielen, und andere vor Angst auf der Stelle niederkamen. Allein, wie kein heftiger Schmerz langwierig seyn kann, so währte auch der meinige nur so lange, bis ich mich erinnerte, dass mir Padmanaba doch ein Mittel gelassen hatte, die Ehre meiner Tugend zu retten. Was soll ich Ihnen sagen, Prinz Biribinker? Mehr als zwanzig tausend Prinzen und Ritter haben seit mehr als einem Jahrhundert das Abenteuer vergeblich unternommen, das Sie allein fähig waren zu Stande zu bringen. Von was für Klagen, was für Verwünschungen erschallte nicht dieser Wald, wenn diese Unglücklichen statt einer reitzenden Fee plötzlich ein ungeheures Krokodill - Der Abscheu, den eine so demüthigende Erinnerung mir verursacht, lässt mich nicht weiter reden! Es ist wahr, diese hässliche Verwandlung hörte sogleich wieder auf; aber jeder neue Versuch, den sie machen wollten die Bezauberung aufzulösen, hatte jedesmahl den nehmlichen Erfolg. Dieser Brunnen, welcher ehemahls die gewöhnliche Größe hatte, ist allein durch ihre Thränen so groß und tief geworden, dass er (wie Sie gesehen haben) einem kleinen See ähnlich sieht; und viele, welche sich aus Verzweiflung hinein stürzten, würden einen feuchten Tod darin gefunden haben, wenn meine Nymfen sie nicht aufgefangen und wieder mit dem Leben ausgesöhnt hätten, Sie allein, glücklicher Biribinker, waren mächtig genug, eine Bezauberung zu vernichten, die mich in die traurige Nothwendigkeit setzte, so viele Tausende zu Zeugen meines Unglücks zu machen.

In die Nothwendigkeit, sagen Sie? versetzte der Prinz: verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen gestehe, dass dies ein Punkt ist, wovon ich mir keine rechte Vorstellung machen kann. Wozu hatten Sie alle diese Zeugen nöthig ? Mich däucht, die Ehre Ihrer Tugend (wie Sie es nennen) wäre am besten gerechtgefertiget worden, wenn Sie Sich nie in den Fall gesetzt hätten ein Krokodill zu werden.

So schließen Sie und Ihres gleichen, erwiederte Mirabella in einem dogmatischen Tone, der unsern Prinzen in Erstaunen setzte. Sagen Sie mir einmahl, was für Ehre kann eine erzwungene Tugend machen? Welches Frauenzimmer ist nicht fähig ihren Begierden Gewalt anzuthun, wenn sie zu gleicher Zeit die Unmöglichkeit sie zu befriedigen und eine schimpfliche Strafe vor Augen sieht? Aber der Liebe zur Tugend die Furcht der Schande, ja in gewissem Sinne die Tugend selbst aufzuopfern, dies ist ein Grad von moralischem Heldenmuth, dessen nur die edelsten Seelen fähig sind.

Erklären Sie mir doch das deutlicher, sagte Biribinker: ich bin sonst eben nicht der dümmste, aber ich will gehangen seyn, wenn ich ein Wort von allem, was Sie da sagten, verstanden habe.

Unsere Tugend, erwiederte die Ondine, ist nur alsdann ein Verdienst, wenn es in unserer Willkühr stehet, ob wir sie behalten oder verlieren wollen. Lukrezia würde nie als ein Muster der Keuschheit aufgestellt worden seyn, wenn sie den jungen Tarquinius in die Unmöglichkeit gesetzt hätte, einen Versuch auf ihre Ehre zu machen. Eine alltägliche Tugend würde ihr Schlafzimmer verriegelt haben; die erhabene Lukrezia ließ es offen. Sie that noch mehr: sie ergab sich sogar, um Gelegenheit zu bekommen, durch das große Opfer, das sie der beleidigten Tugend brachte, der Welt zu zeigen, dass der kleinste Flecken, der ihren Glanz verdunkelt, mit Blut ausgelöscht zu werden verdient.

Sie sehen aus diesem Beyspiel, mein Prinz, wie weit die geläuterte transcendentale Denkart großer Seelen über die gemeinen Begriffe des moralischen Pöbels erhaben ist. Um eine Bezauberung aufzulösen, die meiner Tugend ihren größten Werth, die Freywilligkeit und das Vergnügen der besiegten Schwierigkeit, raubte, musste ich mich so oft in den Fall setzen sie zu beleidigen, bis ich denjenigen gefunden hatte, der mich von jener Strafe befreyen konnte, wovon die bloße Vorstellung meiner edlen Denkungsart unerträglich war. Nun verstehen Sie mich doch, hoffe ich?

Unvergleichlich, rief Biribinker; Sie erklären Sich immer dunkler! Aber das muss ich gestehen, dass Sie - wenn Sie es nicht übel nehmen wollen - die allersonderbarste Preciöse sind, die man vielleicht jemahls in der Welt gesehen hat.

Was sagen Sie? versetzte die schöne 0ndine sehr lebhaft: wie? eine Preciöse? - Ich? eine Preciöse, sagen Sie? Wahrhaftig Sie kennen mich sehr schlecht, oder Sie müssen in ihrem Leben keine Preciöse gesehen haben. Was finden Sie geziertes oder gekünsteltes an meiner Person, an meinen Manieren, an meiner Kleidung, an meiner Art mich auszudrücken? Was ist gezwungenes - Mit Einem Worte, wollen Sie dass ich Ihnen eine unwidersprechliche Probe gebe, dass ich keine Preciöse bin?

Biribinker erschrak über diesen unverhofften Antrag so sehr dass er drey Schritte zurück fuhr. O Madam, erwiederte er, ich glaube alles was Sie wollen! Ich brauche keine Probe, und ich sehe auch nicht wie Ihre Tugend - Meine Tugend? rief die Fee; eben meine Tugend fordert von mir, Sie zu überzeugen dass ich keine Preciöse bin. -

Wenn Sie keine Preciöse sind, antwortete Biribinker, so schwör' ich Ihnen dass ich kein Salamander bin, und dass meine Natur -

Fy, sagte die Ondine, schämen Sie Sich nicht vor einem Frauenzimmer so unanständig zu reden? - Was bilden Sie Sich ein? Wer fordert denn etwas von Ihrer Natur? oder was geht mich Ihre Natur an? Lassen Sie Sich sagen, dass Sie ein Mensch ohne Delikatesse sind, der weder die Ohren noch die Wangen einer Dame zu schonen weiß. Wissen Sie denn nicht, dass es ein Verbrechen ist, ein Frauenzimmer um einer Kleinigkeit willen erröthen zu machen? Unsere Tugend -

Madam, fiel ihr Biribinker in die Rede, ich bitte Sie, nennen Sie mir dieses Wort nicht mehr! Wenn Sie nur wüßten, wie es Ihren schönen Mund verzerrt! Und erlauben Sie mir, Ihnen mit aller Delikatesse deren ich fähig bin zu sagen, dass ich zufrieden bin ein Abenteuer zu Stande gebracht zu haben, woran zwanzig tausend tapfere Helden zu kurz gefallen sind. Was noch mehr zu thun seyn mag, überlasse ich den Salamandern, Sylfen, Gnomen, Faunen und Tritonen, welche nunmehr ein offnes Feld haben, eine so derbe Tugend wie die Ihrige bey Athem zu erhalten. Alles, warum ich Sie bitte, ist - Ihr Schutz und meine Entlassung.

Was Ihre Entlassung betrifft, antwortete die schöne Mirabella, die können Sie Sich selbst geben, denn Sie wissen dass ich Sie nicht gerufen habe. Wenn Sie aber meinen Schutz verlangen, so kann ich Ihnen nicht bergen, dass Ihr Glück von Ihrer eigenen Aufführung abhängt. Wenn Sie so fortfahren, so wird der Schutz aller Feen der ganzen Welt an Ihnen verloren seyn. Hat man jemahls einen Liebhaber gesehen wie Sie sind? Sie ziehen den ganzen Tag in der Welt herum, Ihre Geliebte zu suchen, und bringen die ganze Nacht in den Armen einer andern zu. Den folgenden Morgen geht Ihre Liebe wieder an, und den Abend darauf Ihre Untreue. Was wollen Sie dass aus einer solchen Aufführung endlich werden soll? Ihre Schäferin müsste außerordentlich geduldig seyn, wenn sie sich diese neue Art zu lieben gefallen lassen wollte. - Wahrhaftig! rief der Prinz, es steht Ihnen recht wohl an mir Vorwürfe von dieser Art zu machen! Ich mag nicht reden - Aber glauben Sie mir, Ihr Moralisieren fängt mir an beschwerlich zu werden, so eine große Meisterin Sie immer darin seyn mögen. Sagen Sie mir lieber, wie ich meine geliebte Galaktine aus den Händen des verfluchten Riesen befreyen kann, der sie gestern davon führte.

Bekümmern Sie Sich nicht um den Riesen, sagte die Fee: ein Nebenbuhler, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstochert. ist nicht halb so fürchterlich als Sie Sich einbilden; und ich kenne einen gewissen Gnomen. der Ihnen, so klein er ist, mehr Eintrag thun könnte als Karakuliamborix, wenn er auch noch etliche hundert Ellen länger wäre als er ist. Kurz sorgen Sie für nichts, als wie Sie Ihre Schäferin wieder besänftigen wollen; das übrige wird sich von selbst geben: und sollten Sie ja in Umstände kommen, wo Sie meiner Hülfe benöthiget wären, so zerbrechen Sie nur dieses Pfaueney, das ich Ihnen gebe; es wird Ihnen, auf mein Wort, keine geringere Dienste thun als die Erbsenschote der Fee Krystalline.

Kaum hatte Mirabella das letzte Wort ausgesprochen, so verschwand sie mit dem Kabinet und dem Palast, und Biribinker befand sich, ohne zu wissen wie es zuging, an dem nehmlichen Orte, wo ihn der Riese Karakuliamborix bey seiner Schäferin überfallen hatte. Man kann nicht erstaunter seyn, als er es über die seltsamen Dinge war, die ihm seit seiner Flucht aus dem großen Bienenkorbe begegnet waren. Er rieb sich die Augen, knipp sich in die Arme, zog sich bey der Nase, und hätte gern gefragt, ob er oder ein anderer der Prinz Biribinker sey, wenn er jemand hätte fragen können.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Je mehr er nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor dass alles nur ein Traum gewesen sey: und er fing schon an sich in dieser Meinung zu bestärken, als er eine Jägerin aus dem Gebüsch hervor kommen sah, die an Gestalt und Anstand nichts geringeres als Diana selbst zu seyn schien. Ihr grünes Gewand, mit goldnen Bienen durchwirkt, war bis an die Knie aufgeschürzt, und unter ihrem Busen mit einem Gürtel von Diamanten gebunden; ein Theil ihrer schönen Haare war mit einer Perlenschnur in einen Knoten geknüpft, der Rest flatterte in kleinen Locken um ihre weißen Schultern. In der Hand trug sie einen Jagdspiefs, und ein goldner Köcher hing auf ihrem Rücken. Diesmahl, dachte Biribinker, weiß ich es doch gewiss dass ich nicht träume; und indem er das dachte, kam ihm die Jägerin so nahe, dass er seine geliebte Galaktine in ihr erkannte. Noch niemahls war sie ihm so bezaubernd vorgekommen als in diesem Aufzuge, der ihr das Ansehen einer Göttin gab. Auf einmahl waren die Krystallinen und Mirabellen, die ihn vor kurzem so sehr bezaubert hatten, gänzlich aus seiner Erinnerung ausgelöscht, und indem er sich zu den Füßen seiner Geliebten warf, bezeigte er sein Vergnügen sie wieder gefunden zu haben in so lebhaften Ausdrücken, dass es der getreueste unter allen Liebhabern nicht besser hätte machen können.

Allein die schöne Galaktine wusste mehr von seinen Begebenheiten, als er sich einbildete. Wie? sagte sie, indem sie ihr anmuthiges Gesicht mit einem Unwillen, der ihm nur neue Reitzungen gab, von ihm wegwandte; unterstehst du dich noch vor meine Augen zu kommen, nachdem du dich durch wiederhohlte Beleidigungen der Gnade verlustig gemacht hast, die ich dir schon einmahl widerfahren ließ?

Göttliche Galaktine, antwortete ihr Biribinker auf seinen Knien, zürnen Sie nicht mit mir! wenden Sie Ihre Augen nicht so von mir ab, wenn Sie nicht wollen, dass ich auf der Stelle zu Ihren Füßen sterben soll!

Weg mit diesem Unsinn, sagte die schöne Jägerin, den du gewohnt bist an eine jede zu verschwenden, die dir in den Weg kommt! Du hast mich nie geliebt, Wankelmüthiger. Wer alle liebt, liebt keine.

Niemahls, rief Biribinker mit thränenden Augen, niemahls hab' ich eine andere geliebt als Sie; und das ist so wahr, dass ich darauf schwören wollte, dass alles nur ein Traum war, was mir in einem gewissen Schlosse begegnet ist. Wenigstens versichere ich Sie, dass die Zerstreuungen, die Sie mir so übel auslegen, ein bloßes Spiel der Sinne waren, woran mein Herz nicht den geringsten Antheil hatte.

Eine feine Distinkzion! erwiederte die Jägerin. Zerstreuungen nennen Sie das? Ich sage Ihnen, dass ich keinen Liebhaber verlange, der solchen Zerstreuungen unterworfen ist. Ich habe die Filosofie des Averroes nie studiert, und ich bin eine so materielle Kreatur, dass ich nicht begreifen kann, wie das Herz meines Liebhabers unschuldig seyn kann, wenn mir seine Sinne untreu sind.

Vergeben Sie mir nur noch dieses einzige Mahl, sagte Biribinker schluchzend. - Ich, Ihnen vergeben? unterbrach ihn die schöne Galaktine; und warum sollt' ich Ihnen vergeben? Sehen Sie mich an; ist man vielleicht mit einem Gesichte wie das meinige zum Vergeben genöthigt? Oder meinen Sie, dass ich, um Liebhaber zu haben, (wenn ich ihrer haben will) so geduldig seyn müsse als Sie mich gerne finden möchten? Glauben Sie mir, es liegt nur an mir, unter zwanzig andern zu wählen, die den Werth eines Herzens, das Sie so muthwillig von Sich werfen, besser zu schätzen wissen.

Diese Worte, ob sie gleich mit einem Blicke begleitet waren der ihre Strenge zum wenigsten um die Hälfte milderte, brachten den armen Biribinker vollends zur Verzweiflung. Was hör' ich, rief er, Grausame? So wollen Sie denn meinen Tod ? Können meine Thränen Sie nicht erweichen? - Nein, bey allen Göttern! eh' ich zugeben werde, dass ein anderer als Biribinker -

O verhasstestes unter allen Ungeheuern, rief die ergrimmte Galaktine, lässest du mich noch einmahl diesen abscheulichen Nahmen hören, der mir schon zweymahl die Seele durchbohrt hat? Flieh auf ewig aus meinen Augen, oder erwarte das ärgste von dem immer währenden Hasse, den ich dir und deinem unseligen Nahmen geschworen habe!

Biribinker zitterte an allen Nerven, wie er seine Schöne auf einmahl in eine so heftige Wuth ausbrechen sah; er verfluchte im Übermaß seines Schmerzens den Nahmen Biribinker, und denjenigen, der ihm denselben gegeben hatte; und er würde vielleicht (denn für gewiss will ich es eben nicht sagen) mit dem Kopfe wider die nächste Eiche angerannt seyn, wenn er nicht in eben dem Augenblicke sechs wilde Männer erblickt hätte, die in vollem Lauf aus dem Wald hervor stürmten, und vor seinen Augen sich der schönen Jägerin bemächtigten. Diese Wilden hatten eine mehr als menschliche Statur; um das Haupt und die Lenden waren sie mit Eichenzweigen bekränzt, auf der linken Schulter trugen sie eine stählerne Keule, und Biribinker fand sie in diesem Aufzuge so fürchterlich, dass er, seiner angebornen Tapferkeit ungeachtet, allen Muth verlor seine Geliebte aus ihren Händen zu retten.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

In dieser dringenden Noth erinnerte er sich an das Pfaueney, das ihm die Fee Mirabella gegeben hatte; er zerbrach es mit bebender Hand, und erstaunte, wie man denken kann, so sehr als jemahls, da er eine unendliche Menge von kleinen Nymfen, Tritonen und Delfinen heraus wimmeln sah, die sich augenblicklich in Lebensgröße ausdehnten, und aus ihren Wasserkrügen und Nasenlöchern eine so ungeheure Menge Wassers ausgossen, dass in weniger als einer Minute ein See um ihn her entstand, der den ganzen Horizont erfüllte. Er selbst befand sich auf dem Rücken eines Delfins, der so sanft mit ihm davon schwamm, dass er keine Bewegung spürte, und die Nymfen und Tritonen bemühten sich, um ihn her plätschernd, ihm durch Musik aus ihren Hörnern und allerley muthwillige Spiele eine Lust zu machen. Aber Biribinker sah nur nach dem Orte, wo er seine geliebte Galaktine den Wilden hatte überlassen müssen, und da er, so weit sein schärfster Blick reichte, um und um nichts als Wasser sah, betrübte er sich so herzlich, dass er sich etlichemahl in die See stürzen wollte. Er würde es auch gewiss gethan haben, wenn er nicht besorgt hätte, einer von den Nymfen, die um seinen Delfin schwammen, in die Arme zu fallen; welches ihn (wie er sehr weislich dafür hielt) leicht in eine Versuchung hätte setzen können, worin die ewige Treue, die er seiner Schönen nunmehr angelobt hatte, in Gefahr gekommen wäre. Er trieb diesmahl die Vorsicht so weit, dass er sich ein seidenes Schnupftuch um die Augen band, aus Furcht von den Schönheiten zu sehr gerührt zu werden, die durch tausend verführerische Bewegungen seinen Augen nachstellten.

Auf diese Weise war er ohne den geringsten widrigen Zufall schon ein paar Stunden fortgeschwommen, als er es endlich wagte, das Schnupftuch ein wenig wegzuschieben, um zu sehen wo er wäre. Er fand zu seiner großen Beruhigung dass die Nymfen verschwunden waren; hingegen gewahrete er in der Ferne etwas, das wie der Rücken eines großen Gebirges über die Wellen hervor ragte; er merkte auch, dass die See außerordentlich ungestüm wurde, und bald darauf erhob sich ein so entsetzlicher Sturmwind mit so gewaltigen Regengüssen, dass es. nicht anders war, als ob ein ganzer Ocean aus der Luft herab stürzte.

Der Urheber dieses Unwesens war ein Wallfisch, aber ein Wallfisch, dergleichen man nicht alle Tage sieht; denn diejenigen, die man an den Grönländischen Küsten zu fangen pflegt, waren in Vergleichung mit ihm nicht viel größer als die winzigen Thierchen, die man durch Vergrößerungsgläser bey vielen Tausenden in einem Tropfen Wasser herum schwimmen zu sehen glaubt. So oft er schnaubte, welches gemeiniglich alle Stunden ein mahl geschah, so entstand ein kleiner Sturmwind, und die Wasserströme, die er aus seinen Nasenlöchern ausspritzte, verursachten Platzregen und Wolkenbrüche auf funfzig Meilen in die Runde. Die Bewegung des Meers war so heftig, dass Biribinker sich nicht länger auf seinem Delfin erhalten konnte, sondern sich den Wellen überlassen musste, die ihn wie einen Ball herum schleuderten, bis er zuletzt von der Luft, die der Wallfisch einathmete, wie von einem Wirbelwind ergriffen, und durch eines von den Nasenlöchern des Ungeheuers hinab gezogen wurde.

Er fiel etliche Minuten lang in einem fort, ohne dass er in der Betäubung wusste wie ihm geschah; endlich aber merkte er, dass er in ein großes Gewässer fiel, womit eine Höhle im Bauche des Wallfisches angefüllt war. Es war ein kleiner See, der etwa fünf bis sechs Deutsche Meilen im Umkreis hatte; und vermuthlich würde Biribinker das Ende aller seiner Abenteuer darin gefunden haben, wenn er nicht zu gutem Glück sich so nah am Ufer einer Insel oder Halbinsel gesehen hätte, dass er kaum zwey hundert Schritte zu schwimmen hatte, um auf dem Trocknen zu seyn.

Die Noth, die Erfinderin aller Künste, lehrte ihn diesmahl schwimmen, ob es gleich das erste Mahl in seinem Leben war. Er kam glücklich ans Ufer; und nachdem er sich auf einem Felsen, der zwar wie andere Felsen von Stein, aber so weich wie ein Polster war, zurecht gesetzt hatte, erquickte er sich, während seine Kleider an der Sonne trockneten, an den lieblichen Gerüchen, die ihm ein kühler Landwind aus einem Walde von Zimmtstauden entgegen wehte. Weil er aber begierig war, das Land in Augenschein zu nehmen, und sich zu erkundigen, ob und von wem es bewohnt sey, so stieg er, so bald er sich in etwas erhohlt hatte, von seinem Felsen herab, und strich eine halbe Stunde lang im Walde herum, bis er endlich in einen großen Lustgarten kam, worin alle mögliche Bäume, Stauden, Gewächse, Blumen und Kräuter des ganzen Erdbodens in der anmuthigsten Unordnung durch einander geworfen waren. Die Kunst war in der Anlegung desselben so versteckt, dass alles ein bloßes Spiel der Natur zu seyn schien. Hier und da sah er Nymfen von blendender Schönheit unter Gebüschen oder in Grotten liegen, und kleine Bäche aus ihren Urnen gießen, die den Garten durchschlängelten, an vielen Orten in allerley Figuren in die Höhe spielten, an andern Wasserfälle machten, oder in marmorne Becken sich sammelten. Diese Brunnen wimmelten von allen Arten von Fischen, welche, wider die Gewohnheit der Geschöpfe von ihrer Gattung, so lieblich sangen, dass Biribinker ganz davon bezaubert wurde. Insonderheit bewunderte er einen gewissen Karpfen, der die schönste Diskantstimme von der Welt hatte, und einen Triller schlug, der einem Kaffarello Ehre gemacht hätte. Der Prinz hörte ihm eine geraume Weile mit größtem Vergnügen zu: da ihn aber alle diese Wunderdinge nur desto begieriger machten, zu erfahren wem diese bezauberte Insel gehöre, und ob er sich wirklich, wie er glaubte, in der unterirdischen Welt befinde; so that er deswegen verschiedene Fragen an die besagten Fische; denn er dachte, weil sie so schön sängen, so würden sie vermuthlich auch reden können. Allein die Fische sangen immer fort, ohne ihm zu antworten, oder Acht darauf zu geben was er sagte.

Er gab es also endlich auf, und ging immer weiter fort, bis er in einen großen Gemüsegarten kam, der mit allen Arten von Salat, Wurzeln, Schoten- und Rankengewächsen besetzt war, welche dem Ansehen nach ohne Pflege, wiewohl so schön als nur möglich ist, in regellosem Überflusse hervor wuchsen. Indem er sich nun, so gut er konnte, einen Weg durch diese Wildnis machte, stieß er von ungefähr mit dem rechten Fuß an einen großen Kürbis, der so ziemlich dem Wanst eines Sinesischen Mandarins gleich sah, und den er unter seinen breiten Blättern nicht gleich wahrgenommen hatte.

Herr Biribinker, rief ihm der Kürbis zu, ein andermahl seyn Sie so gut, und schauen ein wenig unter Ihre Füße, eh' Sie einem ehrlichen Kürbis auf den Nabel treten.

Ich bitte sehr um Vergebung, Herr Kürbis, sagte Biribinker; es geschah in der That nicht aus Vorsatz, und ich würde mich gewiss besser vorgesehen haben, wenn ich hätte vermuthen können, dass die Kürbisse in dieser Insel so wichtige Personen sind als ich nun sehe. Indes bin ich erfreut, dass mir dieser kleine Zufall das Vergnügen verschafft hat, mit Ihnen Bekanntschaft zu machen; denn ich hoffe Sie werden mir die Gefälligkeit nicht versagen, mich zu belehren wo ich bin, und was ich von allem, was ich hier sehe und höre, denken soll.

Prinz Biribinker, antwortete der Kürbis, Ihre Gegenwart ist mir allzu angenehm, als dass ich mir nicht das größte Vergnügen daraus machen sollte, Ihnen alle die kleinen Dienste zu leisten, die von mir abhangen. Sie befinden Sich im Bauch eines Wallfisches, und diese Insel -

Im Bauch eines Wallfisches, rief Biribinker, indem er ihn unterbrach - Das übertrifft noch alles, was mir bisher begegnet ist! Nun schwör' ich Ihnen, Herr Kürbis, dass ich mich in meinem Leben über nichts mehr wundern will. Wahrhaftig! wenn es im Bauch eines Wallfisches Luft und Wasser, Inseln und Lustgärten, ja wie ich merke, Sonne, Mond und Sterne giebt; wenn die Felsen darin so weich wie Polster sind, die Fische singen, und die Kürbisse reden -

Was diesen Punkt betrifft, unterbrach ihn der Kürbis gleichfalls, so belieben Sie Sich sagen zu lassen, dass ich hierin einen Vorzug vor allen andern Kürbissen, Gurken und Melonen in diesem Garten habe; Sie hätten hundert andere mit Füßen treten können, ohne nur einen Ton von ihnen heraus zu bringen.

Ich bitte Sie nochmahls um Vergebung, erwiederte der Prinz.

Das haben Sie gar nicht nöthig, sagte der Kürbis; ich versichere Sie, es wäre mir leid, wenn es mir nicht begegnet wäre; ich warte hier schon lange auf Ihre Ankunft, und die Zeit wurde mir endlich so lang, dass ich schon zu verzweifeln anfing diese glückliche Begebenheit jemahls zu erleben. Glauben Sie mir, für einen, der nicht dazu geboren ist, ist es eine verdrießliche Sache, hundert Jahre lang ein Kürbis zu seyn, zumahl wenn man den Umgang liebt und guter Gesellschaft gewohnt ist. Aber die Zeit ist nun gekommen, da Sie mich an dem verfluchten Padmanaba rächen werden.

Was sagen Sie mir von Padmanaba? rief Biribinker: meinen Sie den Zauberer, der die schöne Krystalline in einen Nachttopf verwandelte, und die noch schönere Mirabelle verurtheilte, ein Krokodill zu werden, so oft sie ihre Tugend auf die Probe setzen wollte?

Diese Frage, erwiederte der Kürbis, versichert mich, dass ich mich nicht betrogen habe, da ich Sie für den Prinzen Biribinker hielt: ich sehe daraus, dass die Hälfte der Bezauberungen des alten Gecken schon vernichtet sind, und dass der Augenblick meiner Befreyung da ist.

Haben Sie Sich also auch über ihn zu beklagen? fragte Biribinker.

Nehmen Sie mir nicht übel, antwortete der Kürbis, wenn mich diese Frage zu lachen macht; und in der That lachte er so laut, dass er wegen seines kurzen Athems, der eine Folge seines gewaltigen Wanstes war, eine gute Weile keichen und husten musste bis er wieder reden konnte. Merken Sie denn nicht, fuhr er fort, dass ich etwas bessers seyn muss als ich aussehe? Hat Ihnen die schöne Mirabella nicht von einem gewissen Salamander gesagt, der das Glück hatte in gewissen Umständen von dem alten Padmanaba überrascht zu werden?

Ja wohl, sagte Biribinker; sie sprach mir von einem gewissen geistigen Liebhaber, der ihre Seele mit den Geheimnissen der Filosofie des Averroes unterhielt, damit sie die kleinen Experimente nicht beobachten möchte, die er indessen -

Sachte, sachte, rief der Kürbis; ich sehe dass Sie mehr von mir wissen als Sie allenfalls vonnöthen gehabt hätten: ich bin dieser Salamander, dieser Flox, der (wie ich sagte, und wie Sie schon wussten) so glücklich war die schöne Mirabella wegen der frostigen Nächte zu entschädigen, die sie mit dem alten Zauberer zuzubringen genöthiget war. Die vorerwähnte Scene, wobey er die Thorheit hatte einen ungebetenen Zuschauer abzugeben, setzte ihn in eine Art von Verzweiflung, ohne ihn von der Liebeskrankheit zu heilen, womit er lächerlicher Weise behaftet war. Sein Palast, ja ein jeder anderer Aufenthalt, den er, in welchem Element er gewollt hätte, wählen konnte, wurde ihm verhasst; er traute weder Sterblichen noch Unsterblichen mehr; Gnomen und Sylfen, Tritonen und Salamander waren ihm alle gleich verdächtig; und er hielt sich nirgends sicher als in einer gänzlichen und unzugangbaren Einsamkeit. Nach vielen andern Projekten, die er eben so bald verwarf als er sie machte, fiel ihm endlich ein, sich in den Bauch dieses Wallfisches zurück zu ziehen, wo ihn, dacht' er, gewiss niemand suchen würde. Er ließ sich durch eine Anzahl Salamander einen Palast darin erbauen; und damit sie ihn nicht verrathen könnten, so verwandelte er sie, nebst mir, in eben so viele Kürbisse, mit der Bedingung, es so lange zu bleiben, bis der Prinz Biribinker uns unsere erste Gestalt wieder geben würde.

Ich war der einzige von allen, dem er den Gebrauch der Vernunft und der Sprache ließ, wovon die erste (wie er glaubte) mir zu nichts nützen könnte, als mich durch die Erinnerungen meiner verlornen Glückseligkeit zu peinigen, und die andere zu nichts als zu manchem eiteln Ach! und O! oder Gesprächen, worin ich die Mühe haben musste, mir die Antworten selbst zu geben. Allein in diesem Stücke betrog sich der weise Mann ein wenig. Denn so ungünstig auch immer die Figur und Organisazion eines Kürbisses zu Beobachtungen seyn mag, so geschickt ist sie hingegen zu transcendentalen Betrachtungen; und mit allem dem entdeckt man doch in hundert Jahren nach und nach eines oder das andere, was entweder unsere schon gefassten Hypothesen bestätiget, oder uns auf die Spur einer neuen bringt. Kurz, ich bin der kleinen Angelegenheiten des Herrn Padmanaba so unkundig nicht als er vielleicht denkt, und ich hoffe Ihnen Anleitung zu geben, wodurch Sie in den Stand gesetzt werden sollen, alle seine Vorsicht zu vereiteln.

Ich würde Ihnen sehr dafür verbunden seyn, erwiederte der Prinz. Ich weiss nicht was für einen sonderbaren Beruf ich in mir spüre, dem alten Padmanaba Streiche zu spielen: vermuthlich ist es der Einfluss meines Gestirns, der mich dazu hinreißt; denn ich wüsste nicht dass er mich jemahls in seinem Leben persönlich beleidiget haben sollte.

Ist es nicht Beleidigung genug, sagte der Kürbis, dass er Ursache ist, dass Ihnen der große Karamussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt, den Nahmen Biribinker gegeben hat? Einen Nahmen, der Ihnen bey Ihrem geliebten Milchmädchen schon zweymahl so fatal gewesen ist?

So ist also der alte Padmanaba Schuld daran, dass ich Biribinker heiße? fragte der Prinz voller Verwunderung. Erklären Sie mir doch ein wenig, wie diese Dinge zusammen hängen; denn ich gestehe Ihnen, dass ich mir den Kopf schon oft vergeblich zerbrochen habe, um hinter das Geheimnis meines Nahmens zu kommen, welchem ich, wie es scheint, alle meine seltsamen Begebenheiten zu danken habe. Insonderheit möchte ich doch wissen, wie es zugeht, dass jedermann wo ich hinkomme, bis auf die Kürbisse, mich gleich bey meinem Nahmen nennt, und von allen Umständen meiner Geschichte so gut benachrichtiget ist, als ob sie mir an der Stirne geschrieben ständen.

Es ist mir noch nicht erlaubt, antwortete der Kürbis, Ihre Neugier über diesen Punkt zu befriedigen; genug, dass es nur von Ihnen abhängt, Sich vielleicht noch diesen Abend ins Klare zu setzen. Die größte Schwierigkeit ist nun einmahl überstanden; Padmanaba dachte wohl nicht, dass Sie ihn im Bauche seines Wallfisches finden würden.

Ich bekenne Ihnen aufrichtig, unterbrach ihn Biribinker, dass ich noch weniger daran dachte; und Sie werden gestehen müssen, dass er wenigstens alles gethan hat was möglich war, um seinem Schicksale zu entgehen. - Aber Sie erwähnten eines Palasts, den sich Ihr Alter von Salamandern in dieser Insel habe bauen lassen: ich denke, wir sind hier in den Gärten, die dazu gehören; warum sehe ich denn nirgends einen Palast?

Die Ursache ist ganz natürlich, antwortete der Kürbis: Sie würden ihn unfehlbar sehen, wenn er nicht unsichtbar wäre.

Unsichtbar? rief Biribinker: so wird er doch nicht auch unfühlbar seyn, hoffe ich?

Das nicht, antwortete Flox: aber da er aus gediegenen Flammen erbaut ist -

Sie sagen mir von einem seltsamen Palast, unterbrach ihn Biribinker abermahls : wenn er aus Flammen erbaut ist, wie kann er denn unsichtbar seyn?

Darin besteht eben das Wunderbare von der Sache, antwortete der Kürbis: es mag nun möglich oder unmöglich seyn, so ist es nicht anders, Sie können den Palast nicht sehen, wenigstens in dem Stande worin Sie jetzt sind; aber gehen Sie nur ungefähr zwey hundert Schritte gerade fort, so wird die Hitze, die Sie empfinden werden, Sie bald genug überzeugen dass ich Ihnen die Wahrheit sage.

Die außserordentlichen Dinge, welche Biribinker bereits im Bauche des Wallfisches gesehen hatte, (und was kann man auch im Bauch eines Wallfisches anders erwarten als außerordentliche Dinge?) hätten ihn billig geneigt machen sollen, alles glaubwürdig zu finden was man ihm sagte; dem ungeachtet war er diesmahl so eigensinnig, dass er nur sich selbst glauben wollte.

Er ging also auf den unsichtbaren Palast zu; aber kaum war er hundert Schritte fort gegangen, so spürte er bereits einen merklichen Grad von Hitze, die ihm, mit einem gewissen unsichtbaren Glanze, wovon ihm die Augen übergingen, entgegen kam. Die Wärme und der Glanz nahmen immer zu je weiter er fortging, bis beide in kurzem so durchdringend wurden, dass es nicht länger auszustehen war. Er ging also wieder zurück, und suchte seinen Freund, den Kürbis, der ihm, so bald er ihn wieder kommen hörte, entgegen rief: Nun, Prinz Biribinker, werden Sie künftig glauben wenn ich Ihnen etwas sage? Wenigstens begreifen Sie doch, hoffe ich, dass nichts natürlicher seyn kann, als dass ein Palast von gediegenen Flammen vor Hitze unzugangbar und vor lauter Glanz und Schimmer unsichtbar ist.

Ich begreife es in der That viel besser, antwortete Biribinker, als wie ich hinein kommen werde; denn das sag' ich Ihnen, ich spüre eine unwiderstehliche Begierde in mir, in diesen Palast hinein zu gehen, und wenn es mir auch das Leben kosten sollte, so kann ich -

So viel soll es Ihnen nicht kosten, fiel ihm der Kürbis in die Rede. Wenn Sie Sich gefallen lassen wollen zu thun was ich Ihnen sage, so wird Ihnen der Palast sichtbar werden, und Sie werden eben so sicher hinein gehen können als ob es eine Strohhütte wäre. Sie brauchen nur ein ganz leichtes Mittel dazu, und das Ihnen nicht mehr kosten wird als einen einzigen Sprung.

Halten Sie mich nicht lange mit Räthseln auf, Herr Kürbis, sagte Biribinker: was ist zu thun? Es mag nun etwas leichtes oder schweres seyn, so sehen Sie mich bereit alles zu wagen, um in ein Schloss zu kommen, worin mir, wenn mich meine Ahnung nicht betrügt, das angenehmste unter allen meinen Abenteuern bevorsteht.

Ungefähr sechzig Schritte hinter jenen Granatbäumen, versetzte der Kürbis, werden Sie in einem kleinen Labyrinthe von Schasmin und Rosenhecken einen Brunnen finden, der sich von einem andern Brunnen durch nichts unterscheidet, als dass er statt Wassers mit Feuer angefüllt ist. Gehen Sie, Prinz, baden Sie Sich in diesem Brunnen, und in einer Viertelstunde ungefähr kommen Sie wieder, und sagen mir, wie Ihnen das Bad zugeschlagen hat.

Sonst nichts als dies? sagte Biribinker, mit einer Miene, die mehr verdrießlich als höhnisch war: ich glaube Sie sind nicht klug, Herr Kürbis! - Ich soll mich in einem feurigen Brunnen baden, und hernach wieder kommen und Ihnen sagen wie mir das Bad bekommen ist? Hat man auch jemahls so was tolles gehört!

Ereifern Sie Sich nur nicht so, versetzte der Kürbis ; es steht ja bey Ihnen, ob Sie in den unsichtbaren Palast kommen wollen oder nicht; und wenn Sie Sich nicht so entschlossen erklärt hätten wie Sie gethan haben, so wäre mirs in der That nie eingefallen Ihnen einen solchen Antrag zu machen.

Kürbis, mein guter Freund, erwiederte Biribinker, ich merke dass Sie Sich ein wenig lustig mit mir machen wollen, aber ich muss Ihnen sagen, dass ich jetzt nicht in der Laune bin Spaß zu verstehen. Ich verlange nicht als eine abgeschiedene Seele in den Palast zu kommen.

Das sollen Sie auch nicht, sagte der Kürbis. Das feurige Bad, das ich Ihnen vorschlage, ist nicht so gefährlich als Sie Sichs einbilden: Padmanaba selbst bedient sich desselben alle drey Tage; sonst würde er eben so wenig in einem Palast von gediegenem Feuer wohnen können als Sie. Denn ob er gleich (außer dem großen Karamussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt) der größte Zauberer in der ganzen WeIt ist, so ist er doch von eben so irdischer Natur und Abkunft als Sie. Ja er würde ohne den Gebrauch dieses Brunnens, der eines der größten Geheimnisse seiner Kunst ist, nicht einmahl der kleinen Glückseligkeit fähig seyn, die er jetzt bey der schönen Salamandrin, die er in seinem Palast eingeschlossen hält, genießt, oder doch zu genießen glaubt; wenn anders der Gebrauch, den ein Tithon von seiner Aurora zu machen fähig ist, ein Genuss genannt zu werden verdient.

Er hat also eine schöne Salamandrin bey sich? fragte Biribinker.

Warum nicht'? antwortete der Kürbis: meinen Sie, dass man sich umsonst und um nichts in den Bauch eines Wallfisches verschließt?

Ist sie sehr schön? fuhr Biribinker fort.

Sie müssen wohl nie eine Salamandrin gesehen haben, erwiederte der Kürbis, weil Sie das fragen können. Wissen Sie denn nicht, dass die schönste Sterbliche gegen die geringste von unsern Schönen nicht besser als wie ein Affenweibchen aussehen würde? Es ist wahr, ich kenne eine Ondine, die vielleicht der schönsten Salamandrin den Vorzug streitig machen könnte; allein es ist unter allen Ondinen nur Eine Mirabella -

O was das betrifft, unterbrach ihn Biribinker, wenn die Salamandrin des alten Padmanaba nicht schöner als Mirabella ist, so hätten Sie nicht nöthig gehabt die sterblichen Schönen so weit unter sie herunter zu setzen. Ich gestehe dass sie reitzend ist; aber ich kenne ein gewisses Milchmädchen -

In welches Sie so verliebt sind, (fiel ihm der Kürbis höhnisch in die Rede) dass Sie der schönen Mirabella beym ersten Anblick schworen, sie nie gesehen zu haben. Die Wirkung zeugt am besten von der Ursache, und wenn man Ihre Leidenschaft nach diesem Grundsatze beurtheilen wollte -

O wahrhaftig! rief Biribinker ungeduldig, ich bin, glaube ich, nur hierher gekommen, um einen Kürbis vernünfteln zu hören. Sagen Sie mir lieber, wie ich in den unsichtbaren Palast kommen kann; denn ich sterbe vor Ungeduld wenn es nicht geschieht. Ist denn kein andres Mittel, als das verwünschte feurige Bad, worin Sie mich gern zu einer Karbonnade gemacht sehen möchten?

Sie sind wunderlich, mit Erlaubnis, antwortete der Kürbis ; ich sagte Ihnen ja schon, dass mir selbst alles daran gelegen ist dass Sie in den unsichtbaren Palast kommen, wo, allen Umständen nach, eines der außerordentlichsten Abenteuer auf Sie wartet. Meinen Sie denn, dass ich zu meinem Spaß ein Kürbis bin, und dass ich mich nicht je eher je lieber von diesem verfluchten unbequemen Wanste befreyt sehen möchte, der sich so übel für einen so spekulativen Geist schickt als ich bin? Ich sage Ihnen noch einmahl, Sie haben kein andres Mittel in den Palast zu kommen ohne von der Gluth desselben verzehrt zu werden, als das feurige Bad welches ich Ihnen vorschlug. Ehe Sie vor Ungeduld sterben, wie Sie sagen, könnten Sie es ja ein paar Minuten versuchen; kommen Sie auch darin um, (wofür ich Ihnen doch gut stehe) so ist es nur eine Todesart für die andere, und das kommt zuletzt auf Eines hinaus.

Gut, sagte Biribinker, wir wollen sehen was zu thun seyn wird! Vielleicht sollt' ich nicht so viel Zutrauen in Sie setzen als ich thue; allein der Zug meines Schicksals ist stärker als meine Vernunft; ich will gehen, und wenn Sie binnen einer Viertelstunde nichts von mir hören, so ergeben Sie sich nur geduldig darein, ein Kürbis zu bleiben, bis Padmanaba von sich selbst entweder verliebt oder eifersüchtig zu seyn aufhört.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Mit diesen Worten machte er dem Kürbis sein Kompliment, und ging auf den Labyrinth zu, wo der feurige Brunnen seyn sollte. Er fand ein großes rundes Becken, mit breiten Steinen von Diamant ausgemauert, und mit einem Feuer angefüllt, welches, ohne von irgend einer sichtbaren Materie genährt zu werden, in schlängelnden Blitzen empor loderte, und unschädlich die dichten Büsche von Rosen leckte, die rings umher über den Brunnen sich wölbten. Unzählige Farben spielten mit der anmuthigsten Abwechslung in diesen wundervollen Flammen, und statt des Rauchs ergoss sich ein lauer unsichtbarer Dampf von den lieblichsten Gerüchen umher.

Biribinker betrachtete dieses Wunder eine geraume Zeit mit einer Unschlüssigkeit, die einem Feenhelden wenig Ehre macht; und er würde vielleicht noch immer am Rande des Brunnens stehen, wenn ihn nicht, da er sichs am wenigsten versah, eine unsichtbare Gewalt mitten in die Flammen geworfen hätte. Er erschrak so sehr, dass er vor Angst nicht schreyen konnte: aber da er spürte dass ihm dieses Feuer kein Haar versengte, und anstatt ihm nur den geringsten Schmerz zu verursachen, sein ganzes Wesen mit einer wollüstigen Wärme durchdrang ; so fasste er sich bald wieder, und in kurzem gefiel es ihm so wohl darin, dass er in den feurigen Wellen herum plätscherte, wie ein Fisch in frischem Wasser. Vielleicht würde er weit länger als die vorgeschriebene Zeit in einem so angenehmen Bade zugebracht haben, wenn ihn nicht die immer zunehmende Hitze zuletzt heraus getrieben hätte. Er sprang also wieder heraus; aber wie sehr erstaunte er, da er sich nicht nur so leicht und unkörperlich fühlte, dass er wie ein Zefyr über den Boden hin schwebte, sondern auf einmahl einen Palast erblickte, dessen Glanz und Schönheit alles übertraf, was ein menschliches Auge jemahls gesehen hat.

Er stand eine gute Weile wie außer sich selbst, und sein erster Gedanke, da er wieder denken konnte, war an die Schöne, die ein so herrlicher Palast in sich schließen müsse; denn da Diamanten und Rubinen ihm nur Gassensteine gegen die Materialien däuchten, woraus dieses Schloss erbaut war, so zweifelte er nicht, dass die schöne Salamandrin sich gegen die Schönen, die er bisher gekannt hatte, zum wenigsten eben so verhalten würde, wie dieser Palast gegen die gewöhnlichen Feenschlösser, die man prächtig genug gebaut zu haben glaubt, wenn man die Mauern von Diamanten oder Smaragden aufführt, das Dach mit Rubinen deckt, den Fußboden mit Perlen einlegt, und was dergleichen mehr ist, welches doch alles in Vergleichung mit diesem feurigen Palast nichts bessers als eine elende Hütte vorgestellt hätte.

Unter diesen Gedanken näherte er sich demselben unvermerkt, und war schon durch den ersten Hof, dessen glänzende Pforte sich von selbst vor ihm aufthat, hinein gegangen, als ihm einfiel, dass ihm der Kürbis ausdrücklich gesagt hatte, er sollte nach dem Bad im feurigen Brunnen wieder zu ihm kommen. Vermuthlich, dachte er, hat er mir Nachrichten zu geben, ohne die es gefährlich seyn könnte, sich in ein solches Schloss zu wagen; und da ich mich bisher bey seinen .Anweisungen so wohl befunden habe, würde es weder klug noch dankbar seyn, wenn ich mir einbilden wollte dass ich seiner nicht mehr vonnöthen hätte. Man sehe doch, wie seltsam es kommen kann! Wer hätte jemahls gedacht, dass ein Kürbis der Rathgeber eines Prinzen seyn würde!

Biribinker schlich sich also, nicht ohne Furcht entdeckt zu werden, zu seinem Kürbis zurück. - Ha! rief ihm dieser auf zwanzig Schritte entgegen, ich sehe, dass Ihnen das Bad unvergleichlich wohl zugeschlagen hat! Sie sind ja zum Bezaubern! Ich schwöre Ihnen bey der Tugend meiner geliebten Mirabella, dass keine Salamandrin ist, die Ihnen, so wie Sie jetzt aussehen, nur eine Minute widerstehen könnte. .Aber was wird aus Ihrer Treue gegen das Milchmädchen werden?

Herr Kürbis, sagte Biribinker, lassen Sie Sich mit aller der Achtung, die ich Ihnen übrigens schuldig bin, sagen, dass Sie besser gethan hätten, mich in den Umständen, worein mich Ihr Bad gesetzt hat, mit dergleichen unzeitigen Erinnerungen zu verschonen.

Ich bitte um Verzeihung, antwortete der Kürbis; ich wollte nur so viel sagen -

Gut, gut, unterbrach ihn der Prinz, ich weiß wohl was Sie sagen wollen, und ich antworte Ihnen darauf: dass ich, ohne Ihre Warnungen, die ein beleidigendes Misstrauen in meine Standhaftigkeit setzen, durch die bloße Erinnerung an mein himmlisches Milchmädchen gegen die vereinigten Reitzungen aller Ihrer feurigen Schönen so sicher zu seyn glaube, als ich es mitten unter den hässlichsten Gnomiden seyn könnte.

Es wird sich zeigen, sagte der Kürbis, ob Sie diese edlen Gesinnungen zu behaupten wissen werden. Ich habe eine so gute Meinung von Ihnen, als man nach allem was in einem gewissen Schlosse vorgegangen ist, nur immer haben kann; aber bey allem dem kann ich doch nicht läugnen, dass ich Ihre Treue in keiner kleinen Gefahr sehe, wenn Sie in den Palast hinein gehen. Es steht noch bey Ihnen, ob sie es wagen wollen oder nicht; bedenken Sie Sich wohl, oder -

Mein lieber Herr Kürbis, unterbrach ihn Biribinker, ich sehe dass Sie eine eben so verzweifelte Wuth zum Räsonieren haben als die tugendhafte und preciöse Mirabella, Ihre Geliebte. Warum haben Sie denn verlangt, dass ich in dem feurigen Brunnen baden sollte, wenn ich nicht in den Palast hinein gehen darf? Noch einmahl, mein Freund, sorgen Sie nicht für meine Treue, und sagen Sie mir lieber, wie ich mich zu verhalten habe wenn ich in den Palast komme?

Sie haben hierzu wenig Unterricht nöthig, antwortete der Kürbis, denn Sie werden nirgends Widerstand finden; alle Thüren werden sich Ihnen von selbst eröffnen; und wenn sie ja etwas zu besorgen haben, so muss es nur (wie ich schon gesagt und wie Sie Sich so ungern sagen lassen) von Ihrem eigenen Herzen seyn.

"Aber was für eine Miene, denken Sie, dass mir der alte Padmanaba machen werde?"

So viel ich an der Bewegung der Gestirne merke, erwiederte der Kürbis, so ist es bereits um Mitternacht, um welche Zeit der Alte in tiefem Schlafe zu liegen pflegt. Allein gesetzt auch dass er aufwachen sollte, so haben Sie von seinem Zorne nichts zu besorgen; alle seine Macht vermag nichts gegen die Zauberkraft Ihres Nahmens, und nach den Vortheilen, die Sie bisher über ihn erhalten haben, zu urtheilen, können Sie allerdings hoffen, auch diesmahl nicht weniger glücklich zu seyn.

Es mag gehen wie es will, versetzte Biribinker, so bin ich entschlossen das Abenteuer mit dem unsichtbaren Schlosse zu bestehen; denn es ließe sich doch sonst keine vernünftige Ursache angeben, warum ich in des Wallfisches Bauch gekommen seyn sollte. Gute Nacht, Herr Kürbis, bis wir uns wieder sehen!

Viel Glücks, tapferer und liebenswürdiger Biribinker, rief ihm der wortreiche Kürbis nach; fahre wohl, du Blume und Zierde aller Feenritter! und möge das Abenteuer, dem du so muthig entgegen gehst, einen Ausgang gewinnen, dergleichen noch kein Mährchen gehabt hat, seitdem es Feen und Ammen in der Welt giebt! Gehe, weiser Königssohn, wohin dich dein Schicksal zieht! Aber hüte dich, die Warnungen eines Kürbisses zu verachten, der dein guter Freund ist, und vielleicht tiefere Blicke in die Zukunft thut als irgend ein Kalendermacher in der Christenheit!

Der Kürbis merkte nicht, indem er diese schöne Abschiedsrede hielt, dass der Prinz schon durch den ersten Schlosshof gegangen war, ehe er noch zu reden aufgehört hatte. Biribinker war jetzt ganz und gar von dem Abenteuer eingenommen, das er vor sich hatte, und seine Einbildungskraft, die in dem feurigen Bad einen außerordentlichen Schwung erhalten hatte, stellte ihm die schöne Salamandrin, die er bald zu sehen hoffte, mit so unwiderstehlichen Reitzungen vor, dass er sich des Wunsches nicht enthalten konnte, seinem Milchmädchen nur dieses einzige Mahl noch ungetreu seyn zu können.

Unter diesen Gedanken kam er durch den zweyten Hof in ein Vorhaus, aus welchem ihm ein großes Getümmel entgegen schallte. Er lauschte ein wenig, und vernahm, dass es eine Menge von krächzenden Weiberstimmen war, die in einem heftigen Wortwechsel begriffen schienen. So neugierig als er von Kindheit auf gewesen war, konnte er sich nicht enthalten, zu sehen, wem diese anmuthigen Stimmen zugehörten. Er öffnete die Thür eines großen und prächtigen Sahls, und entsetzte sich nicht wenig, da er ihn mit funfzig oder sechzig der allerhässlichsten kleinen Zwerginnen angefüllt sah, die nur immer die bürIeske Einbildung eines Callot oder Hogarth zu ersinnen fähig wäre.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Der arme Biribinker glaubte beym ersten Anblick, dass er zu einem Hexensabbat gekommen sey, und würde unfehlbar vor Abscheu in Ohnmacht gefallen seyn, wenn er nicht zu gleicher Zeit vor Lachen über so possierliche Figuren hätte bersten mögen. Diese schönen Nymfen, die in der That nichts geringers als junge Gnomiden waren, von denen die jüngste kaum achtzig Jahre haben mochte, wurden seiner kaum gewahr, so eilten sie alle, so schnell als es ihre krummen Beine zuJießen, auf ihn zu. Sie kommen eben recht, Prinz Biribinker, rief ihm eine von den hässlichsten entgegen, einen Streit zu entscheiden, worüber wir einander beynahe in die Haare gekommen wären. - Sie zanken Sich doch nicht, hoffe ich, welche unter Ihnen die schönste sey? sagte Biribinker. - Und warum nicht? erwiederte die Gnomide: Sie haben es ersten Streichs errathen. Aber denken Sie nur, mein schöner Prinz, nachdem ich es bereits schon dahin gebracht hatte, dass mir alle übrigen den Vorzug eingestehen, so unterfängt sich dieses Fratzengesicht, diese kleine Pagode hier, mir den goldnen Apfel noch streitig zu machen. - O! mein angenehmster junger Prinz, schrie die Angeklagte, indem sie ihn in die Waden knipp, welches vermuthlich ihrer Absicht nach eine Liebkosung seyn sollte, ich darf es kühnlich auf Ihr Urtheil ankommen lassen! Sehen Sie uns beide nur recht an, betrachten Sie uns Stück für Stück, und thun Sie dann den Ausspruch nach Ihrem Gewissen - wofern ich mir zu viel schmeicheln würde, wenn ich sagte, nach Ihrem Herzen.

Begreifen Sie, Prinz Biribinker, sagte die erste, wie man die Unverschämtheit so weit treiben kann? Fürs erste, so ist sie kaum um die Breite eines Daumens kleiner als ich, und Sie werden gestehen, dass dies keinen Unterschied macht. Was ihren Höcker betrifft, so hoffe ich, der meinige darf sich noch immer neben dem ihren sehen lassen; und meine Füße sind, wie Sie sehen, immer so breit und wohl um zwey starke Zoll länger als die ihrigen. Ich weiß wohl, dass sie sich sehr viel auf den Umfang und die Schwärze ihres Busens zu gut thut: aber Sie werden doch bekennen müssen, fuhr sie fort, indem sie ihr Halstuch abnahm, dass der meinige, wo nicht völlig so ansehnlich, doch ungleich schlapper und schwärzer ist als der ihrige.

Mag er doch! rief die andere, einen so kleinen Vorzug kann ich dir leicht eingestehen, da ich in allen andern Stücken den Vortheil über dich habe. Sie lachen, mein lieber Prinz Biribinker; und es kann in der That nichts lächerlicher seyn, als die Eitelkeit dieser Meerkatze. Ich schäme mich dass ich genöthiget seyn soll mich selbst zu loben; aber sehen Sie einmahl, um wie viel meine Beine die ihrigen an Krümme und Dicke übertreffen! Müßte man nicht blind seyn, um zu läugnen dass meine Augen viel kleiner und matter, und meine Backen um die Hälfte aufgedunsener sind als die ihrigen, und dass meine Unterlippe viel weiter herunter hängt? Nichts von der ungleich größern Länge meiner Ohren zu gedenken, und dass ich wenigstens fünf oder sechs Warzen mehr im Gesichte habe als sie, und dass die Haare an den meinigen länger sind. - Wir wollen auf einen Augenblick das alles bey Seite setzen, um nur von der Nase zu sprechen. Es ist wahr, die ihrige ist eine von den größten die man sehen mag, und man könnte in Versuchung gerathen, sie eine der schönsten zu nennen, wenn man die meinige nicht gesehen hat. Aber ich denke doch, Sie haben keinen Maßstab vonnöthen, um zu finden, dass die meinige wenigstens einer halben Spanne lang weiter über den Mund herab hängt als die ihrige. Die Bescheidenheit erlaubt mir nicht, setzte sie mit einem zärtlichen Blick hinzu, von andern Schönheiten zu reden, die nur einem glücklichen Liebhaber sichtbar werden dürfen; aber Sie können versichert seyn, dass ich in diesem Stücke nicht weniger Ursache habe, mich der Freygebigkeit der Natur zu berühmen, und ich hoffe -

Mademoiselle, rief Biribinker, so bald er vor Lachen reden konnte: ich unterstehe mich nicht, mich für einen Kenner auszugeben; aber in der That, es kann Ihrer Freundin nicht Ernst seyn, wenn sie sich, was die Schönheit betrifft, mit Ihnen in einen Wettstreit einlassen will; der Vorzug, den Sie in diesem Stücke haben, ist augenscheinlich, und es ist unmöglich dass der gute Geschmack der Herren Gnomen Ihnen hierüber nicht vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen sollte.

Die erste Gnomide schien durch diese Entscheidung nicht wenig beleidiget zu seyn; allein Biribinker, der vor Ungeduld brannte die schöne Salamandrin zu sehen, bekümmerte sich wenig um alles was sie zwischen ihren langen Zähnen murmelte, und zog sich eilfertig wieder zurück, nachdem er der ganzen liebreitzenden Gesellschaft eine gute Nacht gewünscht hatte. Statt der Antwort schickten sie ihm ein lautes Gelächter nach, um dessen Bedeutung er sich wenig bekümmerte, da er itzt den Palast vor sich stehen sah, dessen unbegreifliche Schönheit seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Nachdem er ihn eine geraume Weile voller Bewunderung betrachtet hatte, sah er, dass die beiden Flügel der Pforte sich aufthaten. Er konnte dies nicht anders als für ein Zeichen ansehen, dass seine Unternehmung mit dem glücklichsten Ausgange bekrönt werden würde. Er ging also mit hoffnungsvollem Muth hinein, und befand sich, nachdem er eine Treppe hinauf gestiegen war, in einem großen Vorsahl, aus welchem er in eine Reihe von Zimmern kam, von deren Schimmer er, ungeachtet der Veränderung die das Feuerbad in seiner Natur hervorgebracht hatte, fast verblendet wurde.

Allein so mannigfaltig und außerordentlich alle die schönen Dinge waren, die von allen Seiten seinen Augen entgegen strahlten, so vergaß er doch alles andere über den Bildnissen einer unvergleichlich schönen jungen Salamandrin, womit alle diese Zimmer behangen waren. Er zweifelte nicht, dass es die Geliebte des alten Padmanaba seyn werde; und diese Kopien, worin sie in allen nur ersinnlichen Stellungen, Anzügen und Gesichtspunkten, bald wachend, bald schlafend, bald als Diana, bald als Venus, Hebe, Flora, oder eine andere Göttin, vorgestellt war, gaben ihm eine solche Idee von dem Urbilde, dass er bey der bloßen Erwartung seiner bevorstehenden Glückseligkeit vor Entzücken und Wonne hätte zerfließen mögen.

Insbesondere konnte er nicht satt werden, eine große Tafel anzuschauen, worin sie in einem Bade von Flammen saß, von Liebesgöttern bedient, die durch das Anschauen ihrer überirdischen Schönheit außer sich selbst gesetzt schienen. Biribinker wusste nicht, ob er die Schönheit des Gegenstandes, oder die Kunst der Mahlerey am meisten bewundern sollte, und musste sich selbst gestehen, dass Correggio und Tizian gegen die Salamandrischen Mahler nur Sudler seyen. Der Eindruck, den dieses Gemählde auf ihn machte, war so lebhaft, dass er mit äußerster Ungeduld diejenige zu sehen wünschte, die in einem leblosen Nachbilde schon so unwiderstehliche Begierden einflößte. Er durchsuchte also eine Menge von Zimmern ohne dass er jemand fand; er durchsuchte den ganzen Palast von oben bis unten, und wiederhohlte es zwey- oder dreymahl; aber da war keine Seele zu hören noch zu sehen.

Sein Erstaunen und seine Ungeduld waren nun aufs äußerste gestiegen, als er einer halb geöffneten Thür gewahr wurde, die in den außerordentlichsten Lustgarten führte, der ihm jemahls vorgekommen war. Alle Bäume, Gewächse und Blumen, Hecken, Lauben und Springbrunnen in diesem Garten waren von lauter Feuer; jedes brannte in seiner natürlichen Farbe, mit einem eben so anmuthigen als durchdringenden Glanz, und die Wirkung, die das Ganze machte, übertraf in der That alles, was sich die Einbildungskraft Prächtiges vorstellen kann.

Biribinker warf nur einen flüchtigen Blick auf dieses majestätische Schauspiel; denn er wurde am Ende des Gartens einen Pavillion gewahr, in welchem er seine schöne Salamandrin zu finden hoffte. Er flog dahin, und die Thür öffnete sich abermahl von selbst, um ihn durch einen großen Sahl in ein Kabinet einzulassen, wo er niemand sah als einen Greis von majestätischem Ansehen, mit einem langen schneeweißen Barte, der auf einem Ruhebett im tiefem Schlafe zu liegen schien. Er zweifelte nicht, dass es der alte Padmanaba sey; und ob er gleich versichert war, dass er keine Gewaltthätigkeit von ihm zu besorgen hätte, so konnte er sich doch nicht erwehren ein wenig zu zittern, da er sich mit den Absichten, die er hatte, so nahe bey diesem Zauberer und an einem Orte sah, wo alles demselben zu Gebote stand. Doch der Gedanke, dass ihn das Schicksal nun einmahl dazu ausersehen habe die Bezauberungen dieses Alten zu zerstören, und das Verlangen die schöne Salamandrin zu sehen, gaben ihm in wenig Augenblicken seinen ganzen Muth wieder.

Er war im Begriff sich dem Ruhebette zu nähern, um sich eines Säbels zu bemächtigen, der neben dem Alten auf einem Küssen lag, als er merkte, dass er mit dem Fuß an etwas stieß, ob er gleich nicht sah was es seyn könnte. Er stutzte, und da er die Hände zu Hülfe nahm, so fühlte er den artigsten kleinen Fuß, der je gewesen ist, auf einem Polster ausgestreckt. Eine so unverhoffte Entdeckung machte ihn neugierig, das Bein kennen zu lernen, dem ein so artiger Fuß zugehörte; denn Biribinker schloss in diesem Falle wie Durandus à S. Porciano selbst geschlossen haben würde, nehmlich, dass, wo man einen Fuß finde, man nach dem ordentlichen Laufe der Natur berechtiget sey ein Bein zu erwarten. Er setzte also seine Beobachtungen fort, und entdeckte endlich von Schönheit zu Schönheit in der unsichtbaren Figur, die er vor sich hatte, ein junges Frauenzimmer, das in einen tiefen Schlaf versenkt zu seyn schien, und (nach dem Zeugnisse des einzigen Sinnes, der ihm ihr Daseyn verrathen hatte, zu urtheilen) von einer so vollkommenen Schönheit war, dass sie nichts geringers als entweder die Göttin der Liebe oder die schöne Salamandrin selbst seyn konnte. In dem nehmlichen Augenblicke, da er diese Entdeckung machte, ließ sich eine muntere Symfonie von allen möglichen Instrumenten hören, ohne dass man weder Instrumente noch Musikanten sah.

Biribinker erschrak und bebte von der schönen Unsichtbaren zurück; denn sein erster Gedanke war, dass dieses Getöse den schlafenden Zauberer aufwecken würde; aber er entsetzte sich noch weit mehr, da er sah, dass Padmanaba verschwunden war.

Dieser Zauberer war alt genug um klug zu seyn. Er wusste schon lange, wie gefährlich ihm Biribinker einst seyn würde, und die Furcht vor einem Prinzen, der dazu geboren war seine Bezauberungen aufzulösen, war der stärkste Beweggrund gewesen, warum er seine Residenz in des Wallfisches Bauch aufgeschlagen hatte. Allein auch in dieser Freystatt hielt er sich und seine schöne Salamandrin, die nun der einzige Gegenstand seiner Sorgen war, nicht für sicher genug; und da ihm eine geheime Ahndung vorher sagte, dass ihn Biribinker bis in des Wallfisches Bauch verfolgen würde, so glaubte er nicht genug Vorsicht gebrauchen zu können, um das Unglück zu verhüten, womit ihn die Erscheinung eines so furchtbaren Gegners bedrohte. In dieser Absicht hatte er seine Geliebte mit einem geheimnisvollen Talisman bewaffnet, der die gedoppelte Eigenschaft hatte, sie allen andern Augen als den seinigen unsichtbar zu machen, und so bald er berührt wurde, eine zauberische Musik hervorzubringen.

Käme auch Biribinker, (dachte der alte Padmanaba) aller Schwierigkeiten ungeachtet, in den Bauch des Wallfisches, ja selbst in den unsichtbaren Palast, so würde ihm doch die schöne Salamandrin unsichtbar seyn; und entdeckte er sie auch, trotz ihrer Unsichtbarkeit, so würde doch, so bald er den Talisman berührte, das musikalische Getöse sein Daseyn verrathen, und den missbeliebigen Folgen dieser Entdeckung zuvorkommen. Diese Vorsicht war desto nöthiger, da der gute Alte seit mehreren Jahren mit einer Art von Schlafsucht behaftet war, die ihn nöthigte, alle Tage wenigstens sechzehn Stunden von vier und zwanzig zu verschlafen. Das geringe Zutrauen, das ihm seine vorige Liebste zu ihrem ganzen Geschlecht übrig gelassen hatte, bewog ihn, die schöne Salamandrin während der ganzen Zeit seines Schlummers in einen bezauberten Schlaf zu versenken, aus welchem niemand als Er sie erwecken konnte. Der einzige Biribinker würde unter gewissen Umständen und Bedingungen die nehmliche Macht gehabt haben, und Padmanaba (so wollt' es das Schicksal!) würde in eben demselben Augenblicke die seinige (wenigstens über die schöne Salamandrin) gänzlich verloren haben: und da alles dieses, während der Alte schlief, gar leicht hätte geschehen können; so hatte er den Talisman, der ihn erwecken sollte, so weislich angebracht, dass Biribinker (in so fern man ihm auch nur eine mittelmäßige Neugierde zutrauen konnte) ihn nothwendig finden musste.

Hier konnte Don Sylvio sich nicht enthalten Don Gabriel in seiner Erzählung zu unterbrechen, indem er ihn ersuchte, sich über den Umstand mit dem Talisman etwas deutlicher zu erklären. Ich finde Sie, wider Ihre Gewohnheit eine Weile her etwas dunkel, (setzte er hinzu) und ich gestehe Ihnen, dass ich von allem, was Sie bey Gelegenheit der Erwachung des alten Padmanaba sagten, kaum die Hälfte verstanden habe. - Die ganze Gesellschaft, selbst die schöne Jacinte nicht ausgenommen, lächelte über diese Anmerkung, und Don Gabriel wusste sich nicht anders zu helfen, als dass die Dunkelheit, worüber Don Sylvio sich beklagte, in der Sache selbst liege, und dass überhaupt keine Feengeschichten gefunden würden, welche durchaus so deutlich und begreiflich wären als es zu wünschen sey. Weil nun Don Sylvio sich mit dieser Entschuldigung zu begnügen schien, so fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung also fort:

Kaum hatte Biribinker - in dem nehmlichen Augenblicke, da er entdeckte dass der schöne Fuß (der zu diesem Abenteuer Anlass gegeben) einem eben so schönen jungen Frauenzimmer zugehöre - den fatalen Talisman berührt, so fing (wie schon gemeldet worden) der Talisman zu musicieren an, und Padmanaba erwachte. Er warf, wie leicht zu erachten ist, keine sehr freundlichen Blicke auf unsern Prinzen; allein da er mit Gewalt nichts gegen ihn vermochte, so blieb ihm nichts übrig, als sich auf der Stelle unsichtbar zu machen, und mit aller nur möglichen Eilfertigkeit auf die Verhinderung des Vorhabens bedacht zu seyn, welches er, ohne in einem übertriebenen Grad argwöhnisch zu seyn, bey Biribinkern voraus setzen konnte.

Inzwischen hatte sich dieser Prinz, dem es bey Gelegenheit nicht an Muth fehlte, wieder aus der ersten Bestürzung erhohlt, worein ihn das unsichtbare Koncert und die Verschwindung des Padmanaba gesetzt hatten. So gefährlich es ihm schien, in einem solchen Orte gar zu neugierig zu seyn, so wollte er doch wissen was aus dem alten Zauberer geworden sey. Er suchte ihn also im Garten sowohl als in allen Zimmern und Winkeln des Schlosses, nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, sich vorher mit dem Säbel zu bewaffnen, welchen Padmanaba zurück gelassen, und auf dessen beiden Seiten er so viel talismanische Figuren eingegraben fand, dass er sich mit diesem Gewehr vor dem Zauberer Merlin selbst nicht gefürchtet hätte. Da er aber weder den Alten noch jemand anders finden konnte, so zweifelte er nun nicht länger, dass Padmanaba entflohen sey, und ihm seinen Palast und seine Schöne zur Beute überlassen habe.

In diesen Gedanken kehrte er triumfierend zurück, legte seinen Säbel neben das Ruhebett, und sich selbst zu den Füßen der liebenswürdigen Unsichtbaren, die er zu seiner unbeschreiblichen Freude noch immer schlafend fand, ungeachtet die Musik des berührten Talismans mit der angenehmsten Abwechslung von Allegro und Andante immer fortdauerte. Man weiß nicht, ob es den zauberischen Einflüssen eines von diesen Andante's, (welches in der That nicht zärtlicher hätte seyn können, wenn es von Jomelli selbst gewesen wäre) oder einem Zweifel, der (wie es zu gehen pflegt) bey ihm entstand, ob er auch dem Zeugnis eines einzigen Sinnes glauben dürfte? und ob nicht diese unvergleichliche Schöne, die er auf dem Sofa gefunden zu haben glaubte, ein bloßes Blendwerk seyn möchte, dergleichen in bezauberten Palästen nicht ungewöhnlich sind?

Man weiß nicht, sage ich, ob es der einen oder der andern von diesen Ursachen zuzuschreiben war, dass Biribinker durch neue Beobachtungen sich der Wahrheit einer so außerordentlichen Erscheinung zu versichern anfing. In kurzem fügte er auch noch Versuche hinzu; und beides sowohl, als die heftigsten Symptomen einer Leidenschaft, die in kurzem bis zum höchsten Grade der Schwärmerey und des Taumels stieg, ließen ihm endlich keinen Zweifel mehr, dass er wirklich die schöne SaIamandrin in seinen Armen habe, deren sichtbare Gestalt ihn in den Zimmern des Palasts so sehr entzückt hatte. Dieser Gedanke, und das bezaubernde Kolorit, womit sein Gedächtnis die Unvollkommenheit des fünften Sinnes ergänzte, dessen er sich allein bedienen konnte, setzte ihn zu sehr außer sich selbst, als dass er sich in diesen Augenblicken seines geliebten Milchmädchens, seiner Entschließungen, und der Warnungen des Kürbisses hätte erinnern können. Kurz, er wurde immer kühner, und die zunehmende Dunkelheit des Zimmers, die er für eine Aufmunterung seiner Unternehmungen hielt, mit der Musik des Talismans welche immer zärtlicher wurde, war in der That nicht geschickt, seine Entzückung auf einen mäßigen Grad herab zu stimmen.

Es findet sich hier eine abermahlige kleine Lücke im Original dieser merkwürdigen Geschichte, deren Ausfüllung wir den Bentleyen und Burmannen unserer Zeit überlassen, ohne uns mit Vermuthungen über den Inhalt derselben aufzuhalten. Biribinker, fährt die Geschichte fort, erwachte eben aus einer Betäubung, - welche den Anhängern des Fohi in Indien so angenehm zu seyn scheint, dass sie in eine immer währende Dauer derselbigen den höchsten Grad der Glückseligkeit setzen - als er gewahr wurde, dass die schöne Unsichtbare seine Liebkosungen mit ungemeiner Lebhaftigkeit erwiederte. Er schloss hieraus, dass sie erwacht seyn müsse, und unterließ nicht, ihr in der schwülstigen Sprache, die er sich im Bienenstock der Fee Melisotte angewöhnt hatte, alle die zärtlichen Sachen zu sagen, welche Krystalline und Mirabella in ähnlichen Umständen von ihm gehört hatten. Die Unsichtbare beantwortete diese Erklärungen, Lobsprüche, Ausrufungen und Betheurungen mit Seufzern, Verkleinerung ihrer Reitzungen, und Zweifeln an seiner Beständigkeit, die ein weniger entzückter Liebhaber als Biribinker unzeitig und im Mund einer so liebenswürdigen Person unnatürlich hätte finden können. Aber er begnügte sich ihre Zweifel dadurch zu zerstreuen, dass er die Beweise seiner Zärtlichkeit verdoppelte. Sie gab ihm alle Aufmerksamkeit die er nur immer wünschen konnte, ohne desto besser überzeugt zu seyn. - Haben Sie nicht, sagte sie ihm, Mirabellen und Krystallinen eben so geliebt wie mich? Haben Sie nicht einer jeden von ihnen eben so viel Zärtliches vorgesagt, eben so viel Betheurungen gemacht, eben so viele Beweise gegeben, ohne dass weder die eine noch die andere, wie reitzend sie Ihnen auch in der ersten Betäubung Ihrer Sinne vorkamen, fähig war, über das Milchmädchen, das Sie Sich in den Kopf gesetzt haben, nur einen einzigen Tag lang die Oberhand zu behalten? Ach Biribinker! das Schicksal meiner Vorgängerinnen sagt mir nur allzu deutlich was das meinige seyn wird; und wie können Sie verlangen, dass ich bey der traurigen Gewissheit, Sie in wenigen Stunden wieder zu verlieren, gleichgültig bleiben soll?

Biribinker antwortete ihr hierauf mit den lebhaftesten und feierlichsten Versicherungen einer ewigen und eben so unbegrenzten Liebe, als es ihre Reitzungen seyen. Er behauptete dass sie sich selbst beleidige, indem sie sich mit den beiden Feen vergleiche, welche nie liebenswürdig genug gewesen seyen, ihm etwas mehr als einen flüchtigen Geschmack beyzubringen ; und er schwor ihr bey allen Liebesgöttern, dass von dem Augenblick an, da er so glücklich gewesen sey ihr Bild im großen Sahle zu erblicken, sein MiIchmädchen selbst nicht mehr Gewalt über sein Herz behalten habe, als ein jedes andere Milchmädchen in der Welt.

Diese Versicherungen beruhigten die schöne Unsichtbare nur schwach, und Biribinker sah sich genöthigt alle seine Figuren zu erschöpfen, um die Hartnäckigkeit ihres Unglaubens zu überwinden. O! rief er, schönste Unsichtbare, warum kann ich nicht den ganzen Erdkreis und alle vier Elemente mit ihren Bewohnern auf einmahl zu Zeugen der unveränderlichen Treue machen, die ich Ihnen schwöre!

Wir alle sind Zeugen, rief eine Menge von weiblichen und männlichen Stimmen, die ihm von Personen, die um ihn herum standen, in die Ohren schallten.

Biribinker, der wohl nicht vermuthet hatte dass man ihn so schnell beym Worte nehmen würde, fuhr mit einiger Bestürzung auf, um zu sehen woher diese Stimmen kämen; aber, o Himmel! welche Zunge könnte beredt genug seyn sein Entsetzen über den Anblick auszudrücken, welchen die plötzliche Erleuchtung des Zimmers seinen weit offnen Augen darstellte? Er sah - o Wunder! o Abenteuer! o schreckenvoller Anblick! - er sah sich in eben dem Kabinet, welches schon zweymahl ein Zeuge seiner treulosen Unbeständigkeit gewesen war; anstatt der schönen SaIamandrin fand er sich in die Arme der missgeschaffnen Gnomide verwickelt, welcher er vor etlichen Stunden den Preis zuerkannt hatte; und (was seine Beschämung und seinen Schmerz hätte tödtlich machen mögen) er sah sich um und um von allen denjenigen umgeben, die er sich am wenigsten zu Zuschauern wünschen konnte; und sie waren grausam genug, in eben dem Augenblicke, da er sich mit grauenvollem Schaudern aus den Bratzen der ekelhaften Zwergin los reißen wollte, in ein so lautes Gelächter auszubrechen, dass der ganze Palast davon wiederhallte.

Zur Rechten des Ruhebettes sah er (o! wie gern hätte er sich in diesem Augenblicke blind und unsichtbar zu seyn gewünscht!) die Fee Krystalline, welche den kleinen Grigri an der Hand hatte; zur Linken die schöne Mirabella mit ihrem geliebten Flox, der in der That als Salamander eine bessere Miene hatte als in der Gestalt eines dicken Kürbisses. Aber was die Qual des unglücklichen Biribinker auf den äußersten Grad vermehrte, war der Anblick der Fee Kaprosine mit dem lieblichen Milchmädchen, und des alten Padmanaba mit der schönen Salamandrin an der Hand, welche beiderseits auf einer goldfarbigen Wolke, von kleinen Sylfen getragen, mit höhnischem Lächeln auf ihn hinunter sahen.

Glück zu! Prinz Biribinker, sagte die Fee Krystalline: in der That, nun vergeb' ich Ihnen dass Sie so ungeduldig von mir wegeilten; wer einer solchen Eroberung zueilt, kann sich nicht genug beschleunigen.

Sie erinnern Sich noch wohl, Prinz Biribinker, nahm jetzt Grigri das Wort, dass ich eben keine Ursache habe mich Ihnen verpflichtet zu glauben; denn wenn es an Ihnen gelegen hätte, so möchte ich wohl ewig eine Hummel geblieben seyn: aber es wäre zu grausam, Ihrer in den Umständen, worin Sie sind, noch zu spotten. Sehen Sie selbige als eine Strafe an, die Sie in mehr als Einer Betrachtung wohl verdient haben.

Wenn auch die Schöne, bey der wir Sie auf eine so unvermuthete Art überraschen, Ihrer nicht von allen Seiten so würdig wäre, fuhr Mirabella mit einer boshaften Miene fort, so haben Sie wenigstens den Vortheil, dass sie keine Preciöse ist.

Was mich betrifft, setzte der gewesene Kürbis hinzu, so könnte ich zwar bedauern, dass ich meine wieder erlangte Gestalt und den Besitz der schönen Mirabella Ihrem Unglück zu danken habe: allein nachdem ich, als Kürbis, großmüthig genug gewesen war, Sie vor den Folgen einer neuen Untreue zu warnen, so werden Sie mir es nicht verdenken können, wenn ich mich, als Salamander, erfreue, dass Sie meine Warnungen verachtet haben.

Siehe, unglücklicher aber mit Recht bestrafter Biribinker, meckerte jetzt die Fee Kaprosine, wie schlecht dich Karamussal gegen meinen Zorn geschützt hat. Siehe hier die liebenswürdige Prinzessin Galaktine, die du als Milchmädchen liebtest, und deren Besitz ein allzu günstiges Schicksal, alles meines Hasses ungeachtet, dir zugedacht hatte, wenn du durch eine dreymahl wiederhohlte Untreue dich ihrer nicht selbst unwürdig gemacht hättest!

Wenn Mitleiden dir helfen könnte, armer Prinz, sagte das schöne Milchmädchen, so würdest du, so wenig du es auch von mir verdient haben magst, weniger unglücklich seyn! Denn ich sehe wohl, dass deine Strafe härter ist als dein Verbrechen, und dass die Feen und Zauberer wenigstens eben so viel Schuld an deinen Unfall haben, als du selbst.

Bey diesen Worten schaute der allzu unglückliche Biribinker auf, heftete einen Blick voll unbeschreiblicher Empfindungen auf sein geliebtes Milchmädchen, und sank mit einem Seufzer, worin er seine Seele auszuhauchen schien, wieder zurück, ohne das Vermögen zu haben nur ein Wort hervorzubringen.

Lerne, rief ihm der alte Padmanaba von der andern Seite zu, lerne bewundernswürdiger Biribinker, seltnes Muster der Weisheit und Beständigkeit, dass der alte Padmanaba nicht alt genug ist, deine Verwegenheit unbestraft zu lassen: und möge deine Geschichte, in immer währender Zeitfolge von einer Amme der andern überliefert, der späten Nachwelt zum Beyspiel dienen, wie gefährlich es ist, den großen Karamussal um sein Schicksal zu befragen und vor seinem achtzehnten Jahre ein Milchmädchen zu sehen!

Kaum hatte Padmanaba den Mund wieder zugemacht, so hörte man auf einmahl ein fürchterliches Donnern, mit Sturmwind und Blitzen begleitet, wodurch der ganze Palast, wie in einem Erdbeben erschüttert, und die ganze Gesellschaft, den einzigen verzweiflungsvollen Biribinker ausgenommen, in Furcht und Schrecken gesetzt wurde! Denn selbst der alte Padmanaba merkte, dass dieses Ungewitter von einer Macht herkomme, die der seinigen überlegen war.

Auf einmahl flog die Decke des Zimmers und das ganze Dach des Palastes hinweg, und man sah unter Donnern und Blitzen, den greisen Karamussal, auf einem Hippogryfen sitzend, herab steigen, und zwischen der Fee Kaprosine und dem alten Padmanaba seinen Platz auf einer Wolke nehmen. Der Prinz Biribinker ist genug gestraft, rief Karamussal mit majestätischer Stimme; das Schicksal ist befriediget, und ich nehme ihn in meinen Schutz. Verschwinde, nichtswürdiger Wechselbalg, fuhr er fort, indem er die Gnomide mit seinem Stabe berührte; und Sie, Prinz Biribinker, wählen Sie unter diesen vier Schönen, welche Sie wollen, die Salamandrin, die Sylfide, die Ondine, oder die Sterbliche: diejenige, welche Ihr Herz wählen wird, soll Ihre Gemahlin seyn, und Sie von der Unbeständigkeit heilen, die bisher, wie man gestehen muss, Ihr Fehler gewesen ist.

Padmanaba würde, vor Verdruss über eine so unerwartete Entwicklung, gern mit den Zähnen geknirscht haben, wenn er Zähne gehabt hätte. Was die Schönen betrifft, so hatten sie alle die Augen mit Erwartung auf den Prinzen geheftet; und besonders sah man der jungen Salamandrin, die noch kein Wort gesprochen hatte, ganz deutlich an, dass sie lieber gesehen hätte, wenn der alte Padmanaba, anstatt die Gnomide an ihren Platz zu schieben, ihr erlaubt hätte ihre eigene Stelle selbst zu vertreten.

Aber Biribinker, der in diesem Augenblick von dem tiefsten Grade der Scham und der Verzweiflung auf die höchste Stufe der Glückseligkeit versetzt wurde, bedachte sich nicht welche er wählen wollte. Obgleich die elementarischen Damen sein Milchmädchen an Schönheit weit hinter sich zurück Iießen, so konnten doch alle ihre Reitzungen in der Gegenwart seiner geliebten Galaktine nicht mehr als einen flüchtigen Blick von ihm erhalten. Er warf sich vor ihr nieder, und bat mit Ausdrücken einer so aufrichtigen Reue und einer so wahren Liebe um die Vergebung seiner Schuld, dass sie nicht so unbarmherzig seyn konnte, ihm nicht wenigstens die Hoffnung, dass sie sich noch erbitten lassen werde, zu erlauben.

Karamussal, dem er sich gleichfalls zu Füßen warf, hob ihn auf, nahm ihn bey der Hand, und führte ihn der Prinzessin Galaktine zu. - Empfangen Sie hier, liebenswürdige Prinzessin, den Prinzen Kakamiello von meiner Hand! denn dieses ist nunmehr sein Nahme, da die Absichten, warum ich ihm den andern geben ließ, erfüllt sind. Biribinker und Milchmädchen sind nicht mehr! und nachdem beide dem Eigensinn ihres Gestirns genug gethan und der Feerey ihre Gebühr bezahlt haben, so bleibt mir nichts übrig, als den Prinzen Kakamiello seinen königlichen Ältern zurück zu geben und durch ein ewiges Band mit der Prinzessin Galaktine zu vereinigen. Ihr, schöne Feen, fuhr er fort, indem er sich zu Krystallinen und Mirabellen wandte, habt, wie ich hoffe, Ursache mit mir vergnügt zu seyn, da ihr durch meine Veranstaltung eure Gestalt und eure Liebhaber wieder erhalten habt. Weil es aber unbillig wäre, dass Ich allein leer ausginge, so entlade ich hier den alten Padmanaba aller seiner Sorgen, indem ich die schöne Salamandrin, die bey ihm nichts zu thun hat als unsichtbar zu seyn und zu schlafen, zur Belohnung meiner Mühe für mich selbst behalte.

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Prinzen Biribinker, Illustration von Julius Zimpel

Mit diesen Worten schlug der große Karamussal mit seinem Stabe dreymahl in die Luft, und auf einmahl befand er sich mit dem Prinzen und der Prinzessin im Kabinet des Königs mit dem großen Wanste, der nicht wenig erfreut war, seinen Sohn und Erben so groß und schön, mit einer so hübschen Prinzessin und mit einem so schönen Nahmen wieder zu sehen.

Bald darauf wurde das Beylager mit großer Feierlichkeit und Pracht vollzogen; das neue Ehepaar liebte sich so lange als es konnte, und zeugete Söhne und Töchter; und nachdem endlich König Wanst in die neunzehnte Welt abgereist war, regierte König Kakamiello so weislich an seiner Statt, dass die Unterthanen keinen Unterschied spürten. Er machte seinen Freund Flox, zur Belohnung der guten Dienste die er ihm als Kürbis geleistet hatte, zu seinem ersten Wessir; und die schöne MirabeIla nebst der Fee Krystalline unterließen niemahls bey Hofe zu erscheinen, so oft die Königin in die Wochen kam. Sie brachten jedesmahl den kleinen Grigri mit, welcher, ungeachtet seiner Hässlichkeit, bey den meisten Hofdamen einen Beyfall erhielt, der ihren Liebhabern nicht ganz gleichgültig war. Das muss man gestehen, sagten sie alle aus Einem Munde, dass Grigri mit aller seiner Hässlichkeit der kurzweiligste Gesellschafter von der Welt ist!

Und hier endet sich die eben so lehrreiche als wahrhafte Geschichte des Prinzen Biribinker, (setzte Don Gabriel lächelnd hinzu) mit welcher ich meinen Zweck vollkommen erreicht habe, wenn sie Ihnen keine lange Weile gemacht, und die schöne Jacinte von ihrem Vorurtheile gegen die Feerey zurück gebracht haben kann.

Anmerkungen über die vorstehende Geschichte

Wofern das Ihre Absicht gewesen ist, Don Gabriel, sagte Jacinte, so bedaure ich dass Sie solche so wenig erreicht haben als nur möglich ist. Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so halte ich es für unmöglich, das Abenteuerliche und Ungereimte weiter zu treiben; und Don Sylvio müsste gar zu glaubig seyn, wenn er nicht schon lange gesehen hätte, dass Ihre Absicht ist, die Feen um allen ihren Kredit bey ihm zu bringen.

Sie urtheilen sehr streng, versetzte Don Eugenio: es ist wahr, dass die Natur in dieser ganzen Geschichte vom Anfang bis zum Ende auf den Kopf gestellt ist; dass die Karakter eben so abgeschmackt als die Begebenheiten unglaublich sind, und dass, wenn man die einen und die andern nach den Gesetzen der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit beurtheilen wollte, nichts widersinnigers erdacht werden kann. Allein das wäre nicht billiger, als wenn man das Klima von Siberien nach dem Klima von Valencia, oder die Höflichkeit der Sineser nach der unsrigen beurtheilen wollte. Das Land der Feerey liegt außerhalb der Grenzen der Natur, und wird nach seinen eigenen Gesetzen, oder richtiger zu sagen, (wie gewisse Republiken, die ich nicht nennen will) nach gar keinen Gesetzen regiert. Man kann ein Feenmährchen nur nach andern Feenmährchen beurtheilen, und aus diesem Gesichtspunkte finde ich den Biribinker nicht nur so wahrscheinlich und lehrreich, sondern in allen Betrachtungen interessanter, (die vier Fakardins vielleicht allein ausgenommen) als irgend ein andres Mährchen in der Welt.

Ich möchte doch wissen, was Sie Lehrreiches in diesem Mährchen finden, fragte Jacinte.

Moralisten von Profession, erwiederte Don Eugenio, Leute, die im Stande sind ein ganzes System von Sittenlehre aus einer Elegie des Tibullus auszuziehen, würden ohne Zweifel geschickter seyn als ich, diese Frage zu beantworten. Aber, damit ich meinen Satz nicht gänzlich unerwiesen lasse, wird nicht in dieser Geschichte die Ausschweifung und das Laster durchgängig bestraft? Wird nicht die Unschuld in der Person des Milchmädchens am Ende belohnt? Und ist nicht das Ganze eine überzeugende Bestätigung der moralischen Maxime: dass der Vorwitz über unser künftiges Schicksal, in der Absicht uns demselben zu entziehen, thöricht und gefährlich sey? Hätte der König mit dem majestätischen Wanste den großen Karamussal unbefragt gelassen, so würde man nie gewusst haben, dass es dem Prinzen gefährlich sey, vor seinem achtzehnten Jahre ein Milchmädchen zu sehen, und so würde er auch den Nahmen Biribinker nie bekommen haben. Er würde, wie andere Prinzen, am Hofe seines Vaters aufgewachsen seyn; und wenn es Zeit gewesen wäre ihn zu vermählen, so würde man durch Gesandte um die Prinzessin Galaktine haben werben lassen, und alles wäre den natürlichen Gang gegangen. Der Vorwitz des Königs und das fatale Orakel des greisen Karamussal war ganz allein an allem Unheil schuld. Die Mittel, wodurch man ihn vor dem Milchmädchen verwahren wollte, dienten zu nichts als sie desto geschwinder zusammen zu bringen; und der Nahme Biribinker, der ihm freylich aus allen seinen Abenteuern heraus half, würde das nicht nöthig gehabt haben, weil der Prinz nie in diese Abenteuer verwickelt worden wäre, wenn er nicht Biribinker geheißen hätte.

Sie haben hierin vollkommen Recht, sagte Donna Felicia: aber eben darin besteht das Lustige von der ganzen Komödie; oder vielmehr, wenn man diesen einzigen Umstand wegthäte, so würde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinker, an statt eines der possierlichsten Feenmährchen, eine Alltagshistorie seyn, die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artikel in den Zeitungen oder Kalendern seiner Zeit auszufüllen. Und das wäre doch wohl Schade gewesen! Kurz, ungereimt oder nicht, ich nehme den Prinzen Biribinker in meinen Schutz, und wenn ich die Ehre hätte Hut und Degen zu tragen, so wollte ich gegen alle und jede behaupten, dass die Liebe des Prinzen Biribinker, die Tugend der Dame Krystalline, die Delikatesse der schönen Mirabella mit ihrer Kleidung von trocknem Wasser und ihren Zerstreuungen, der Riese Karakuliamborix, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahle ausstochert, das mit Nymfen und Tritonen gefüllte Pfaueney, der Wallfisch, die Seen, Inseln und bezauberten Schlösser, die er im Leibe hat, der Palast von gediegenem Feuer, und der redende Kürbis der sich auf den Lauf der Sterne versteht, mit allen andern wundervollen und unerwarteten Dingen, wovon es in diesem Mährchen wimmelt, alles hübsch unter einander gemischt, das allerdrolligste Zeug ausmachen, das ich in meinem Leben gehört habe. 

Sie haben den Karpfen vergessen, der so schöne Opernarien singt, sagte Jacinte, das Hündchen, das auf dem Seile tanzt, und die feurigen Blicke, womit Biribinker die Steine am Bache, wo sein Mädchen saß, in Glas verwandelte. 

Erlauben Sie mir noch hinzu zu setzen, sagte Don Gabriel, dass man schwerlich ein Mährchen finden wird, wo die kostbarsten Materialien so sehr verschwendet wären. Ich bin gewiss, dass man in keiner Raritätenkammer von Europa einen Melkkübel von Rubin antreffen wird; und ich kenne keine bezauberten Gärten, worin sogar die Brunnen mit diamantenen Quaderstücken gepflastert wären.

Don Sylvio hatte bisher so ausgesehen, als ob er dem, was gesprochen wurde, sehr aufmerksam zuhöre. Als aber alle ihre Meinung gesagt hatten, und er merkte, dass man nun auf seine Entscheidung warte, so sagte er ganz ernsthaft: Ich muss gestehen, dass ich gewünscht hätte, der Prinz Biribinker wäre entweder seinem Milchmädchen (die in der That eine sehr liebenswürdige Person ist) getreuer gewesen, oder er möchte für seine Ausschweifungen schärfer gestraft worden seyn; aber (diesen einzigen Umstand und den Karakter sowohl als die Aufführung einiger anderer Personen, die niemand billigen wird, ausgenommen) sehe ich nicht, was in der ganzen Geschichte dieses Prinzen Ungereimtes, geschweige denn Unnatürliches und Unmögliches seyn sollte. 

Wie, Don Sylvio? sagte Jacinte; Sie finden alle diese Wunderdinge, den Riesen der sich den Zahn mit einem Zaunpfahl ausstochert, den Wallfisch, der auf funfzig Meilen in die Runde Wolkenbrüche aus seinen Nasenlöchern spritzt, die weichen Felsen, die singenden Fische, und die redenden Kürbisse natürlich und möglich? 

Ohne Zweifel, schöne Jacinte, gab Don Sylvio zur Antwort; wenn wir anders nicht den unendlich kleinen Theil der Natur den wir vor Augen haben, oder das was wir alle Tage sich zutragen sehen, zum Maßstabe dessen was der Natur möglich ist machen wollen. Es ist wahr, Karakuliamborix ist in Vergleichung mit einem gewöhnlichen Menschen ein Ungeheuer; aber er wird selbst zum Pygmeen, wenn wir ihn mit den Einwohnern des Saturnus vergleichen, die nach dem Bericht eines großen Sternkundigen mit Meilenstäben ausgemessen werden müssen. Warum sollte es nicht einen Wallfisch geben können, welcher groß genug wäre, um Seen und Inseln in sich zu halten, da es kleine Wasserthiere giebt, gegen welche ein Grönländischer Wallfisch zum wenigsten so groß ist, als jener gegen diese? 

Was den Wallfisch betrifft, unterbrach ihn Don GabrieI, so kann seine Möglichkeit keine Frage seyn, weil es allen Umständen nach der nehmliche ist, von welchem Lucian in seinen wahrhaften Geschichten eine umständliche Beschreibung macht, und worin er selbst ein großes Land entdeckt hat, welches damahls von fünf oder sechs verschiedenen Nazionen bewohnt war, die immer gegen einander zu Felde lagen, und vermuthlich, als Padmanaba sich einen Palast in dem Bauche dieses Wallfisches bauen ließ, einander schon aufgerieben hatten. Das einzige, was die Sache unglaublich machen könnte, ist der Umstand, dass Biribinker Sonne, Mond und Sterne darin gesehen haben soll. 

Ich glaube nicht, sagte Don Sylvio, dass das so viel sagen will, als ob eine wirkliche Sonne und wirkliche Sterne ihren Lauf in des Wallfisches Bauche gehalten hätten, sondern nur, dass es den Prinzen so däuchte, welches Padmanaba durch seine Kunst leicht zuwege bringen konnte. Diese Sonne und diese Sterne konnten, zum Beyspiel, eben so viele Salamander seyn, welche Padmanaba nöthigte in gewissen angewiesenen Entfernungen und Kreisen zu leuchten und ihren Lauf zu halten; und ich vermuthe aus allen Umständen, dass es wirklich so gewesen ist. 

Ich möchte wohl wissen, sagte Jacinte, was Don Sylvio unmöglich heißt? Denn so wie Er die Grenzen der Möglichkeit ausdehnt, sollte, däucht mich, alles möglich seyn, was man sich in der Schwärmerey eines hitzigen Fiebers einbilden kann. Wenn es gediegenes Feuer und trockenes Wasser giebt, warum sollte es nicht auch bleyernes Gold und einen viereckigen Zirkel geben können? 

Vergeben Sie mir, Jacinte, versetzte Don Sylvio, das schließt nicht so gut, wie Sie zu glauben scheinen. Die Ründe gehört zum Wesen des Zirkels, und es ist also an sich selbst unmöglich, sich einen viereckigen Zirkel einzubilden. Aber woher lässt sich erweisen, dass die Flüssigkeit eine wesentliche Eigenschaft des Wassers und des Feuers sey? Sehen wir nicht im Winter Eis, welches nichts anders als festes oder gediegenes Wasser ist? Warum sollte die Macht oder die Kunst der elementarischen Geister nicht auch trocknes Wasser oder festes Feuer hervor bringen können? Mich däucht, (fuhr er fort) die wahre Quelle der irrigen Urtheile, die man über alles was man wunderbare Begebenheiten nennt zu fällen pflegt, entspringe ans der falschen Einbildung, als ob alles unmöglich sey, was sich nicht aus körperlichen und in die Sinne fallenden Ursachen erklären lässt; gleich als ob die Kräfte der Geister, von welchen die körperlichen Dinge bloß todte und grobe Werkzeuge sind, nicht nothwendiger Weise die mechanischen und geborgten Kräfte eben dieser Werkzeuge unendlich übersteigen müssten. In dieser Betrachtung glaube ich allerdings, dass unzählige Dinge möglich sind, die wir aus keinem bessern Grunde für unmöglich halten, als weil sie unserer Unwissenheit unbegreiflich vorkommen; worin wir ungefähr eben so weise sind, als ein Wilder, der die bezaubernde Modulazion, die ein Meister aus einer Querflöte hervorbringt, für unmöglich halten wollte, weil er selbst aus seinem Schilfrohr nur heisere und einförmige Töne erzwingen kann. Ich finde also in der Geschichte des Prinzen Biribinker nichts unmögliches, und (die Glaubwürdigkeit des Geschichtschreibers voraus gesetzt) sehe ich nicht, warum sie nicht von einem Ende zum andern eben so gut wahr seyn und eben so viel Glauben verdienen sollte, als irgend eine andere Geschichte.

Jetzt haben Sie den rechten Punkt berührt, sagte Don Gabriel; auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen kommt alles an. Denn ob wir gleich allen den Wunderdingen, womit die Geschichtschreiber und die Dichter die Welt angefüllt haben, oder doch dem größten Theil davon eine bedingte Möglichkeit einräumen können: so sind sie doch darum nichts desto weniger bloße Schimären, so lange nicht bis zur Überzeugung der Vernunft erwiesen werden kann, dass sie wirklich existieren oder existiert haben. Und da gestehe ich Ihnen, dass es sehr schlecht um die historische Wahrheit der Feen- und Geistergeschichten steht, wenn sie keine bessere Gewähr ihrer Wahrheit aufzuweisen haben als Biribinkern.

Warum dies? fragte Don Sylvio.

Weil diese ganze Geschichte von meiner eigenen Erfindung ist, antwortete Don Gabriel. 

Von Ihrer Erfindung? rief jener etwas betroffen aus. O Don Gabriel, dies hätte ich Ihnen nicht zugetraut! Sie nannten uns ja einen Geschichtschreiber, woraus sie hergenommen seyn sollte? 

Vergeben Sie mir, Don Sylvio, erwiederte der andere, es ist nicht anders als wie ich sage. Ich wollte einen Versuch machen, wie weit Ihre Vorurtheile für die Feerey gehen könnten; ich strengte (nehmen Sie mirs nicht übel auf) allen Aberwitz, dessen ich fähig bin, an, um eine so widersinnige und ungereimte Wundergeschichte zu erdenken als man nur jemahls gehört haben möchte, und so entstand der Prinz Biribinker. Aber ich gestehe Ihnen freylich, dass es mir nicht möglich war etwas ungereimtes zu ersinnen, das nicht in allen Feenmährchen seines gleichen hat, und ich hätte voraus sehen sollen, dass diese Analogie Sie verführen würde. Glauben Sie mir, Don Sylvio, die Urheber der Feenmährchen und der meisten Wundergeschichten haben so wenig im Sinne, klugen Leuten etwas weiß zu machen, als ich es haben konnte. Ihre Absicht ist die Einbildungskraft zu belustigen; und ich gestehe Ihnen, dass ich selbst ein größerer Liebhaber von Mährchen als von metafysischen Systemen bin. Ich kenne unter den Alten und Neuern Leute von großen Fähigkeiten, und selbst Leute von Ansehen, die sich in müßigen Stunden damit abgegeben haben, Mährchen zu schreiben; und viele größere Männer als ich bin, und die einen ernsthaftern Karakter behaupteten als ich jemahls zu behaupten verlange, welche diese Spielwerke allen andern Werken des Witzes vorzogen. 

Wer liebt nicht, zum Beyspiele, den Orlando des Ariost, der doch in der That nichts anders als ein Gewebe von Feenmährchen ist? Ich könnte noch vieles zu Gunsten derselben sagen, wenn es jetzt darum zu thun wäre ihnen eine Lobrede zu halten. Aber bey dem allen bleiben Mährchen doch immer - Mährchen, und so viel Vergnügen uns unter den Händen eines Dichters, der damit umzugehen weiß, die Salamander und Sylfiden, die Feen und Kabbalisten machen können, so bleiben sie nichts desto weniger schimärische Wesen, für deren Wirklichkeit man nicht einen einzigen bessern Grund hat, als ich für meinen Biribinker anzuführen im Stande wäre. 

Sie scheinen nicht zu bedenken, sagte Don Sylvio, dass Sie die Feen und elementarischen Geister, nebst der Kabbala, oder geheimen Filosofie, die den Weisen die Macht giebt sich diese Geister unterwürfig zu machen, - nicht läugnen können, ohne den Grund aller historischen Wahrheit umzustoßen. Denn wie durchgängig und übereinstimmend ist nicht das Zeugnis der ganzen Geschichte zu ihrem Vortheile? 

Sie haben vermuthlich die Nachrichten von dem Grafen von Gabalis gelesen, erwiederte Don Gabriel, worin dieses Argument auf den höchsten Grad der Stärke getrieben ist die es haben kann. Aber alles was man damit beweisen kann, ist weder mehr noch minder, als dass die Geschichte mit Fabeln und Unwahrheiten untermischt ist; ein großes Übel, welches dem schwachen Verstand oder dem bösen Willen, oder wenigstens der Eitelkeit der Geschichtschreiber zu Schulden liegt, und in meinen Augen die wahre Quelle so vieler schädlichen Irrthümer ist, womit wir die verschiedenen Gesellschaften der Menschen behaftet sehen. 

Glauben Sie, zum Beyspiele, dass Biribinker nur um den vierten Theil eines Grans glaubwürdiger wäre, wenn er von Wort zu Wort von dem Geschichtschreiber Paläfatus erzählt würde? Woher könnten wir wissen, ob ein Autor, der vor drey tausend Jahren gelebt hat, und dessen Geschichte und Karakter uns gänzlich unbekannt sind, den Willen gehabt habe uns die Wahrheit zu sagen? Und gesetzt, er hatte ihn, konnte er nicht selbst leichtgläubig seyn? Konnte er nicht aus unlautern Quellen geschöpft haben? Konnte er nicht durch vorgefasste Meinungen oder falsche Nachrichten hintergangen worden seyn? Und gesetzt, dies alles fände nicht bey ihm Statt: kann nicht in einer Zeitfolge von zwey und drey tausend Jahren seine Geschichte unter den Händen der Abschreiber verändert, verfälscht, und mit untergeschobenen Zusätzen vermehrt worden seyn? So lange wir nicht im Stande sind, von jedem besondern Abenteuer des Biribinker, und so zu reden von Zeile zu Zeile zu beweisen, dass keiner von allen diesen möglichen Fällen dabey Platz finde, so würde Livius selbst kein hinlänglicher Gewährsmann für die Wahrheit dieser anmaßlichen Geschichte seyn. Ich gestehe Ihnen, das Zeugnis eines Xenofon oder Tacitus, oder gar eines solchen Zweiflers wie Sextus Empirikus, würde dem Daseyn der Elementargeister und eines jeden andern Dinges das nicht innerhalb des bekannten Zirkels der allgemeinen Erfahrung liegt, sehr zu Statten kommen; allein, zum Unglück für das Wunderbare, können sie sich keiner so vollgültigen Zeugen rühmen. 

Aber auch zugegeben, dass sich unter der unendlichen Menge von Wunderdingen dieser Art, die seit dem Anbeginn der Welt bey allen Völkern des Erdbodens erzählt und geglaubt worden sind, einige wenige fänden, die ein unverwerfliches Ansehen für sich hätten: so würde dieses weder die übrigen glaubwürdiger machen, noch den allgemeinen Grundsatz entkräften können, "Dass alles und jedes, was keine Übereinstimmung mit dem ordentlichen Laufe der Natur, in so fern sie unter unsern Sinnen liegt, oder mit demjenigen hat, was der größte Theil des menschlichen Geschlechts alle Tage erfährt, eben deswegen die allerstärkste und gewisser Maßen eine unendliche Präsumzion der Unwahrheit wider sich hat" - ein Grundsatz, den das allgemeine Gefühl des menschlichen Geschlechts rechtfertiget, ob er gleich der ganzen Feerey mit allen ihren Zubehören auf einmahl das Leben abspricht. 

Die Damen hatten sich zurück gezogen, so bald sie sahen dass die Unterredung einen scientifischen Schwung nehmen würde. Don SyIvio ergab sich nicht so leicht als sein Gegner erwartet haben mochte. Er bediente sich aller Vortheile, die ihm die scheinbare Verwandtschaft dieser Materie mit andern, wo Don Gabriel, nach Husarenart, nur fliehend fechten konnte, zu geben schien. Allein, nachdem er sich durch die überwiegende Geschicklichkeit seines Gegners aus allen seinen Schlupfwinkeln heraus getrieben sah, so blieb ihm endlich nichts übrig, als sich gleichfalls auf die Erfahrung zu berufen, durch welche ihn jener zu überweisen gedacht hatte. Doch er fand bald, dass er wenig gewinnen würde, einen Filosofen wie Don Gabriel mit seinen eigenen Waffen anzugreifen; man bewies ihm, dass besondere und außerordentliche Erfahrungen, so bald sie der Analogie der allgemeinen Erfahrung widersprechen, allezeit verdächtig sind; und dass zu einer Evidenz, der sich die Vernunft ergeben müsste, ein so scharfer Beweis erfordert würde, dass unter zehn tausend solchen außerordentlichen Erfahrungen kaum Eine zu finden sey, die bey genauer Untersuchung nur so viel Wahrscheinlichkeit übrig behalte, als zu einer starken Präsumzion erfordert werde. 

Er nahm, zu Erläuterung seiner Lehrsätze die Visionen der Schwester Maria von Agreda zum Beyspiel, und vertiefte sich unvermerkt in Spekulazionen, die der Übersetzer für die meisten Leser dieses Buchs zu tiefsinnig gehalten und um so lieber weggelassen hat, als aus dem Vorberichte, der dem Spanischen Manuskript voran gesetzt ist, erhellet, dass der ehrwürdige Dominikanermönch, dem selbiges zur Censur gegeben worden, von diesem Diskurse den unschuldigen Anlass genommen, den Druck des ganzen Werkes zu untersagen.

Dem sey wie ihm wolle, so fand Don Eugenio selbst für gut, die Fortsetzung dieser allzu metafysisehen Untersuchungen zu hemmen. Ich glaube kaum, sagte er, dass es zum Beweis, wie leicht uns in diesem Stücke unsere vorgefassten Meinungen oder eine allzu wirksame Fantasie hintergehen können, etwas andres braucht, als sich auf unsers jungen Freundes eigene Erfahrung zu berufen. Ich wette was man will, Don Sylvio, Sie glaubten beym Eintritt in diese Gärten, und beym Anblick dieses Pavillions, in einen Feensitz gekommen zu seyn; und doch ist nichts gewisser, als dass Sie in eben diesem Lirias sind, welches mein Großvater Gil-Blas von Santillana der dankbaren Großmuth des Don Alfonso von Leyva zu danken hatte, und welches seitdem theils von ihm selbst, theils von meinem Vater Don Felix von Lirias erweitert und verschönert worden ist. Sie scheinen noch so wenig von der wirklichen' Welt gesehen zu haben, dass die Ähnlichkeiten, die Sie zwischen den Gärten und Gebäuden zu Lirias mit denen, womit Ihre Einbildungskraft in den Mährchen bekannt wurde, gefunden haben, Sie leicht verführen konnten, dasjenige, was von ganz alltäglichen Menschenhänden gemacht ist, für ein Werk der Geister und der Feerey zu halten. 

Gestehen Sie, Don Sylvio, dass Sie bey Erblickung meiner Schwester keinen Augenblick anstanden, sie für eine Fee zu halten; und doch kann Ihnen mein Pfarrer mit dem Taufregister beweisen, dass sie eine Sterbliche ist, und von guten alten Christen abstammt, die niemahls der Magie verdächtig gewesen sind; eine Enkelin der liebenswürdigen Dorothea von Iutella, welche bestimmt war meinem Großvater den Verlust seiner geliebten Antonia zu ersetzen, und mit welcher sie in der That eine so große Ähnlichkeit hat, dass man das Bildnis der einen für der andern ihres hält. 

Dieses einzige Argument ad hominem wirkte mehr als alle subtilen Schlussreden des Don Gabriel. Don Sylvio hatte außer einem Kompliment, welches er bey diesem Anlasse den Reitzungen der Donna Felicia machte, so wenig gründliches darauf zu antworten, dass er allmählich still wurde, und, wie es schien, in Gedanken verfiel, die seinen Kopf merklich verdüsterten. 

Zu gutem Glück war es eben Zeit, in ein Schauspiel zu gehen, welches Don Eugenio durch eine herum wandernde kleine Schauspielergesellschaft veranstaltet hatte. Diese angenehme Zerstreuung und die Gegenwart der Donna Felicia stellten nach und nach die gute Laune unsers Helden wieder her. Die aufmunternde Freundlichkeit, oder sollen wir die Zärtlichkeit sagen, die in Feliciens ganzem Betragen gegen ihn herrschte, machte ihn gar bald lebhaft, gesprächig und begierig zu gefallen; und der Ton der scherzenden Fröhlichkeit, in welchen sie über dem Nachtessen die ganze Gesellschaft stimmte, wirkte zuletzt so mächtig auf ihn, dass er unvermerkt die Rolle vergaß, die er zu spielen übernommen hatte, und sich über den Prinzen Biribinker und seine Feen so lustig machte, als ob er nie Feen geglaubt, und keinen Sommervogel geliebt hätte.

Quelle:
C. M. Wieland: Don Sylvio von Rosalva. Mit 24 Original-Lithographien von Julius Zimpel. Wien: Kunstverlag Anton Schroll [1922]. Hier Sechstes Buch. Geschichte des Prinzen Biribinker. - "Der Abdruck des Textes erfolgte nach der Göschen'schen Originalausgabe vom Jahre 1795."

Bis auf wenige Ausnahmen werden Rechtschreibung und Zeichensetzung der Vorlage übernommen. Nicht übernommen werden die Anmerkungen und im laufenden Text die zahlreichen Sperrungen. Dem heutigen Stand angeglichen werden der Gebrauch von "ss" und "ß".

Der Roman "Don Sylvio von Rosalva" mit der "Geschichte des Prinzen Biribinker" ist mehrfach online verfügbar:
* Projekt Gutenberg - DE
http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-abentheuer-des-don-sylvio-4624/1
* zeno.org
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20005911133

*****

3. Kurzbiographie von Christoph Martin Wieland

Johann Heinrich Lips, Kupferstich von Christoph Martin Wieland

Kupferstich von H. Lips. In: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Eine Ergänzung zu jeder deutschen Litteraturgeschichte. Nach den Quellen bearbeitet von Gustav Könnecke. 2. Aufl. Marburg: N. G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung 1895, S. 243. - Siehe Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips, 1758-1817. Ein Zürcher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg) Coburg 1989, Katalog Nr. 115. ISBN 3-87472-065-9

***

Wieland, Christoph Martin, hervorragender deutscher Dichter, geb. 5. Sept. 1733 zu Oberholzheim im Gebiete der ehemaligen Reichsstadt Biberach, gest. 20. Jan. 1813 in Weimar, genoss bei seinem Vater, der 1736 als Pfarrer nach Biberach versetzt wurde, sowie in der dortigen Stadtschule trefflichen Unterricht. Noch vor dem 14. Jahr auf die Schule zu Klosterberge bei Magdeburg geschickt, gab der sehr fromm erzogene, leseeifrige Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden Geiste hin und warf sich in eine ausschließliche Bewunderung Klopstocks. Nachdem er seit Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten in Erfurt aufgehalten, verbrachte er den Sommer 1750 im Vaterhause.

Hier traf er mit seiner Verwandten Sophie Gutermann (nachmals Sophie von Laroche) zusammen. Die schwärmerische Neigung, die er zu ihr fasste, entwickelte rasch sein poetisches Talent. Durch sie empfing Wieland die Anregung zu seinem ersten der Öffentlichkeit übergebenen Gedicht: »Die Natur der Dinge. Ein Lehrgedicht in sechs Büchern« (anonym erschienen 1752).

Im Herbst 1750 hatte Wieland die Universität Tübingen bezogen, angeblich um die Rechte zu studieren, welches Studium er jedoch über der Beschäftigung mit der neuern schönen Literatur und eigner poetischer Produktion ziemlich vernachlässigte. Ein Heldengedicht: »Hermann«, von dem er fünf Gesänge ausarbeitete und an Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel. Seine übrigen Erstlingsdichtungen, »Zwölf moralische Briefe in Versen« (1752), »Anti-Ovid« (1752) u. a., kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch-christliche Dichtung hin.

Im Sommer 1752 folgte er einer Einladung Bodmers nach Zürich. Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten Verkehr eine Weile bei Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die Schönheiten in dessen Gedicht »Noah« und durch die neue Herausgabe der 1741–1744 erschienenen »Züricherischen Streitschriften« (gegen Gottsched) verpflichtete, und in dessen Sinn er ein episches Gedicht in drei Gesängen: »Der geprüfte Abraham« (1753), verfasste. In anregendem Verkehr mit Breitinger, Hirzel, Sal. Geßner, Füßli, Heß u. a. schrieb Wieland in Zürich um jene Zeit noch die »Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde« (1753). Die plötzliche Nachricht, dass seine Geliebte sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen Hause in Zürich hielten ihn eine Weile länger, als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten Natur ganz entgegengesetzten frommen Richtung. In den »Empfindungen eines Christen« (1757) sprach er zum letzten Mal die Sprache, die er seit Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen die erotischen Dichter, besonders gegen Uz.

Aber bald genug vollzog sich in Wieland, besonders unter dem Einfluss der Schriften des Lukian, Horaz, Cervantes, Shaftesbury, d'Alembert, Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten Bahnen. Schon das mit starker Benutzung einer englischen Tragödie von Rowe gedichtete Trauerspiel »Lady Johanna Gray« (1758) konnte Lessing mit der Bemerkung begrüßen, Wieland habe »die ätherischen Sphären verlassen und wandle wieder unter den Menschenkindern«. In demselben Jahr entstand das epische Fragment »Cyrus« (1759), zu dem die Taten Friedrichs d. Gr. die Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern, wo Wieland 1759 eine Hauslehrerstelle angetreten hatte, geschriebene Trauerspiel »Clementina von Porretta« (nach Richardsons Roman »Grandison«, 1760) und die dialogisierte Episode aus der Kyropädie des Xenophon: »Araspes und Panthea«, welche Dichtungen sämtlich nach Wielands späteren eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern trat der Dichter in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, Julie Bondeli.

1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er auf dem Schlosse des Grafen Stadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen traf Wieland auch Sophie von Laroche, seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und andern Personen, die sich in jenem Kreise bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«.

Jetzt erst trat seine schriftstellerische Tätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Literatur umfasst. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (1766–67) begonnen, nach Lessings Urteil der erste deutsche Roman »für den denkenden Kopf von klassischem Geschmack«, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei« (1764) vollendet. Daneben vertiefte sich Wieland in das Studium Shakespeares und ließ dessen Stücke zu einer Zeit, wo sie sonst in Deutschland noch nirgends aufgeführt wurden, in Biberach von einer Liebhabergesellschaft aufführen. Auch ließ er zuerst eine Sammlung von Shakespeareschen Dramen in deutscher Sprache erscheinen (22 Stücke, 1762–66, 8 Bde.). Die Übersetzung (in Prosa) wird eben so wenig wie die Anmerkungen dem Dichter immer gerecht, die Versmaße des Originals sind nur in dem vortrefflich übertragenen und Wieland besonders kongenialen »Sommernachtstraum« beibehalten. Mit den beiden oben genannten Romanen und den Dichtungen: »Musarion, oder die Philosophie der Grazien« (1768) und »Idris und Zenide« (1768), in den nächsten Jahren den Erzählungen: »Nadine« (1769), »Combabus« (1770), »Die Grazien« (1770) und »Der neue Amadis« (1771) verfolgte Wieland seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten Anmut, die im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand.

Inzwischen hatte Wieland, der seit 1765 mit einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge gegeben. Seine Lehrtätigkeit, die er mit Eifer betrieb, tat seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt verfasste er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes« und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian« (1772), der ihm den Weg nach Weimar bahnte.

1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur literarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar. Hier trat Wieland in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland, der schon bei seiner Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloss, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine höchste Weihe und Belebung erhielt. Wieland bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrates einen Gehalt von 1000 Tlr., der ihm auch nach Karl Augusts Regierungsantritt als Pension verblieb.

In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein literarische Tätigkeit. Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift »Der teutsche Merkur«, deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Tätigkeit übte. Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste« (September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des erstern Farce »Götter, Helden und Wieland« (1774) hervor, auf welchen Angriff Wieland mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete. Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und Wieland ein dauerndes Freundschaftsverhältnis, dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf Wieland ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat.

Bildpostkarten des Vereins Südmark zu Werken von Christoph Martin Wieland

Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild

Goethe gewann auch den stärksten Einfluss auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden Breite und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde. Die »Geschichte der Abderiten« (1781), das romantische, farbenreiche epische Gedicht »Oberon« (1781), Wielands Meisterwerk, die prächtigen poetischen Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« u. a., gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (1784–87), entstanden in den ersten Jahrzehnten in Weimar. Dazu gesellten sich die trefflichen Bearbeitungen von »Horazens Satiren« (1786), »Lukians sämtlichen Werken« (1788–89) und zahlreiche kleinere Schriften.

Bildpostkarten des Vereins Südmark zu Werken von Christoph Martin Wieland Bildpostkarten des Vereins Südmark zu Werken von Christoph Martin Wieland Bildpostkarten des Vereins Südmark zu Werken von Christoph Martin Wieland Bildpostkarten des Vereins Südmark zu Werken von Christoph Martin Wieland

Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild

Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794–1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden), die Göschen in Leipzig verlegte, hatte Wieland in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter seit 1798 im Kreise seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der 1801 erfolgte Tod seiner Gattin veranlasste, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen (1803), wo er dem Kreise der Herzogin Anna Amalie bis an deren Tod (1807) angehörte. Die Zeitschrift »Attisches Museum«, die Wieland allein 1796–1801, und das »Neue attische Museum«, das er mit Hottinger und Fr. Jacobs 1802 bis 1810 herausgab, dienten dem Zweck, die deutsche Nation mit den Meisterwerken der griechischen Poesie, Philosophie und Redekunst vertraut zu machen.

Wieland blieb bis in sein höchstes Alter in seltener Weise lebensfrisch (noch aus seinen letzten Lebensjahren stammt seine schöne Übersetzung von »Ciceros Briefen«, 1808–21). 1808 wurde er von Napoleon mit großer Auszeichnung behandelt. Seine Überreste ruhen seinem Wunsche gemäß zu Osmannstedt in einem Grabe mit denen seiner Gattin und einer Enkelin seiner Jugendfreundin Laroche, Sophie Brentano.

Indem Wieland bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Literatur zurückkehrte und den Ehrgeiz hegte, die der deutschen Literatur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höheren Stände durch eine der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Literatur zu gewinnen, leistete er ebendieser Literatur einen großen und entscheidenden, aber auch einen etwas bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterliteratur in die Produktionen seiner mittleren Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem und alledem betonen ließ. Und die außerordentliche Entwickelungsfähigkeit seines reichen Talentes, der eigentümliche Aufschwung, den seine Dichtung noch in der zweiten Hälfte seines Lebens nahm, hätten die stutzig machen sollen, die, wie dies im Kreise der Romantiker Mode war, von Wieland immer und überall nur als von einem guten Kopf, ohne eigenstes poetisches Verdienst und tiefere Bedeutung, sprachen. Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Literatur eine Fülle seither nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auflage 1905–1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 211.105-211.211. Redigiert, gekürzt, Absätze eingefügt.

Vgl. die Einträge in Wikipedia
* Christoph Martin Wieland
http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Martin_Wieland
* Wielandgut (Oßmannstedt) - mit Wielands Grab
http://de.wikipedia.org/wiki/Wielandgut_(Oßmannstedt)

Die Illustrationen sind folgender Postkartenserie entnommen: Aus Wieland's Werken. Verlag des Vereines Südmark. Karte Nr. 348-359.  - Zu den Bildpostkarten des Vereins Südmark siehe: Bildpostkarten-Katalog (Beiträge zur österreichischen Studentengeschichte; 27) Wien 2001, S. 114-122.

***

Christoph Martin Wieland, Denkmal in Weimar

Wieland Denkmal
in Weimar

Alte Postkarte: Weimar - Wieland-Denkmal. Adressseite: 1906 Stengel & Co., G.m.b.H., Dresden 33486. Nicht gelaufen.

*****

4. Wieland über Feen- und Geister-Märchen

Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Mährchen, Bd. 1. Winterthur, bey Heinrich Steiner und Compagnie 1786, Titelei

Es wäre eine sehr unnöthige Schamhaftigkeit, geneigte Leserinnen und Leser, wenn wir uns der Liebhaberey zu Geister- und Feen-Mährchen schämen wollten, da sie etwas so allgemeines unter den Menschen ist, daß die Wenigen, die man (wenn sie wollen) für Ausnahmen gelten lassen kann, eben so selten sind als die Personen, die keine Rose riechen können ohne in Unmacht zu fallen, oder keine Sakpfeiffe hören, ohne Wasser zu machen.

Unter allen Schriftstellern hat der Fabel- und Mährchen-Dichter den weitesten Kreis. Alle Alter, Geschlechter und Stände, junge und alte, hohe und niedrige, gelehrte und ungelehrte, beschäftigte und müßige Personen versammeln sich um den Erzähler wunderbarer Begebenheiten, und hören mit Vergnügen was sie unglaublich finden.

Die Geschichte der Völker fängt mit redenden Thieren und mit Theophanien an: Götter und Halbgötter in Menschengestalt, Genien und Feen, Zauberer und Zauberinnen, Zentauren und Zyklopen, Riesen und Zwerge, spielen die erste Rolle in den ältesten Zeiten der Nazionen: jede hat ihre Mythologie, ihren Vorrath uralter Mährchen, die mit ihrer eigenen Vorstellungs- und Lebens-Weise, mit ihrer Geschichte, Religion, klimatischen, sittlichen und bürgerlichen Verfassung so stark verwebt ist, daß keine Zeitfolge sie ganz daraus vertilgen kann.

Fabeln waren die erste Lehrart, Allegorie die älteste Hülle der Philosophie, Mährchen der Stoff der ältesten und größten Dichter. Kamtschadalen und Griechen, Persianer und Isländer kommen in diesem Puncte zusammen. Die Litteratur der rohesten Völker geht von Mährchen aus; und ein grosser, vielleicht der angenehmste und beliebteste Theil der Litteratur der kultiviertesten, besteht aus Mährchen.

Als Perrault seine Contes de ma Mere l'Oye den Kindern und dem Hofe Ludwigs des XIVten vorerzählte, that er ungefehr das nehmliche was Homers Ulysses oder Odysseus, da er dem König Alzinous und seiner Gemahlin und ihrem fröhlichen Hofgesinde seine Mährchen von der schönen Zirze, von dem Popanze Polyfemus, von seiner Reise ins Elysium, und von seinem Aufenthalt bei der Fee Kalypso in der Zauberinsel Ogygia vorlog.

Es scheint seltsam, daß zwey so widersprechende Neigungen, als der Hang zum Wunderbaren und die Liebe zum Wahren, dem Menschen gleich natürlich, gleich wesentlich seyn sollen; und doch ist es nicht anders. In das wie und warum wollen wir uns jetzt nicht einlassen: genug, daß es so ist, und daß die Mährchen von der wunderbaren Gattung, wenn sie gut erzählt werden, diese beyden Neigungen zugleich vergnügen, und eben darin der Grund des sonderbaren Reizes liegt, den sie für alle Arten Zuhörer oder Leser haben.

Ich sage wenn sie gut erzählt werden; und verstehe darunter vornehmlich, die Gabe, theils das Wunderbare mit dem Natürlichen so zu verweben, daß beyde für die Imagination ein täuschendes Ganzes werden; theils das Herz und die Leidenschaften der Leser so unvermerkt zu gewinnen und in das Spiel zu ziehen, daß sie, des Unglaublichen und sogar des Ungereimten der Begebenheiten und der Maschinen ungeachtet, an den handelnden oder leidenden Personen des Stückes Antheil nehmen, Liebe oder Haß, Furcht oder Hofnung, für sie empfinden, und, bey aller Ueberzeugung, daß sie nur ein Mährchen lesen, sich doch kaum enthalten können; insgeheim zu wünschen, und (wenigstens so lange sie lesen) beynahe zu glauben, daß es wahr sey.

Diese Wirkung nicht blos auf Kinder und gemeines Volk, sie auch auf Personen von Erziehung und Geschmack zu thun, dies ist es, was den guten Erzähler von dem schlechten unterscheidet.

In allen Dingen ist, wie Pindar sagt, derjenige Meister, der es durch die Natur ist: indessen giebt es gleichwohl keine Naturgabe, die nicht durch Kunst zu ihrer Vollkommen gebracht würde; und jede Kunst hat ihre Regeln, Handgriffe und kleine Geheimnisse. Unstreitig gilt dies auch von der Gabe und Kunst Mährchen zu erzählen: jene ist nicht so gemein, diese nicht so leicht als sich wohl viele einbilden mögen.

Seitdem Galland mit den berühmten Arabischen Mährchen, und die Gräfin d'Aulnoy mit ihren Feen-Mährchen den allgemeinen Geschmack der lesenden Welt für diese Art von Gemüths-Ergötzung, so zu sagen ausfindig gemacht haben, war nichts natürlicher, als daß nun eine Menge Arbeiter, mit mehr oder weniger Witz, Geschmak, Menschen- und Sitten-Kenntnis, und Geschicklichkeit in der Kunst des Vortrags, oder auch manche mit gar nichts von allem diesem, ein so fruchtbares Feld der schönen Litteratur in die Wette anbauten; und daß dieser Wetteifer nach und nach Mährchen von allen möglichen Gattungen in unendlicher Menge hervorbrachte.

Einige gute Köpfe fanden, daß man über die Grenzen der Damen d'Aulnoy und Murat hinausgehen, und auch Mährchen für eine Klasse von Leuten schreiben könne, welche schwehrer zu unterhalten sind als Kinder, oder Personen, die in gewissen Stunden sich gerne zu Kindern machen lassen. Man fand, daß Wiz und Laune, ja sogar Philosophie und selbst Philosophie von der esoterischen Art, sich mit dieser popularen, von aller Prätension so weit entfernten Dichtart sehr wohl vertrage; und daß sie eine sehr gute Art sey, gewisse Wahrheiten, die sich nicht gerne ohne Schleyer zeigen, in die Gesellschaft einzuführen: oder solche, die in einem ernsthaften Gewande etwas abschreckendes haben, gefällig und beliebt zu machen. Man kann es nicht oft genug wiederhohlen: wer die Menschen von ihren Irrthümern und Unarten heilen will, muß seine Arzneyen durch Beymischung irgend eines angenehmen Saftes oder geistigen Liquors angenehm zu machen wissen; und man unterrichtet und bessert sie nie gewisser, als wenn man das Ansehen hat sie blos belustigen zu wollen.

Diesem Grundsaze zu folgen könnte die Dichtart, von welcher hier die Rede ist, gewisser massen eine Lehrart sokratischer Weisheit werden: auch fehlet es nicht, besonders im Englischen, an mehr und minder glüklichen Versuchen in dieser Art.

Indessen ist nicht zu läugnen, daß das Fach der wunderbaren Erzählungen durch Leute, die sich blos deswegen damit abgaben, weil sie glaubten daß jedermann Verstand genug habe ein Mährchen zu machen, mit einer Unzahl schaler Produkte, und schlechter Nachahmungen nicht guter Originale überladen, und dadurch bey verständigen Personen verächtlich worden ist. Selbst unter den Mährchen, die eine Art von entschiedener Reputation haben, und wovon gegenwärtig eine Sammlung in 30 grossen Octavbänden, unter dem Nahmen Le Cabinet des Fées & autres contes merveilleux, zu Paris herauskömmt, befinden sich nicht wenige, die keinen Platz in einer auserlesenen Sammlung zu verdienen scheinen, und die entweder durch Monotonie, gemeine Erfindung und zu wenig Kunst in der Komposition, uninteressant, oder durch Mangel an Imagination, Wiz und Salz ungeniesbar sind. [...]

Quelle:
Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Mährchen, theils neu erfunden, theils neu übersezt und umgearbeitet. Bd. 1. Winterthur, bey Heinrich Steiner und Compagnie 1786 (Digitalisiert durch Google) Vorrede, Auszug. - Rechtschreibung und Zeichensetzung nach der Vorlage.

Zu den erwähnten Märchendichtern und Märchensammlungen siehe die Einträge in Wikipedia:
* Charles Perrault (1628-1703)
http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Perrault
* Antoine Galland (1646-1715)
http://de.wikipedia.org/wiki/Antoine_Galland
* Marie-Catherine d'Aulnoy (1650 oder 1651-1705)
http://de.wikipedia.org/wiki/Marie-Catherine_d'Aulnoy
* Henriette-Julie de Castelnau, comtesse de Murat (1670-1716)
http://fr.wikipedia.org/wiki/Henriette-Julie_de_Castelnau_de_Murat
* Le Cabinet des Fées (1785-1789)
http://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Cabinet_des_fées

Literaturhinweise:
* Jens Tismar: Kunstmärchen (Sammlung Metzler; 155) 2. Aufl. Stuttgart: Metzler 1983. ISBN 3-476-12155-0
* Jörg Schönert, Satirische Aufklärung. Konstellationen und Krise des satirischen Erzählens in der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hier Kap. 6, S. 192-195.  Im Goethezeitportal online verfügbar.

*****

5. Julius Zimpel als Illustrator

Julius Zimpel, geb. 30. August 1896 in Wien; gest. 11. August 1925 ebenda), Maler, Grafiker, Buchkünstler und Kunstgewerbler.

Zimpel empfing die ersten künstlerischen Anregungen von seinem Oheim, dem Maler Gustav Klimt. Er besuchte 1911/14 die Allgemeine Abteilung der Kunstgewerbeschule unter Rudolf Cižek, Anton von Kenner, Adolf Böhm, Alfred Roller, Oskar Strnad und Rudolf von Larisch, 1914–16 die Fachklasse für Malerei bei Kolo Moser. Oktober 1916 wurde er zum Lehrer an der Fachlichen Fortbildungsschule für Buchbinder, 1917 zum Lehrer für Fachzeichnen und Modellieren an der Fortbildungsschule für Juweliere bestellt. Zimpel lieferte in den Nachkriegsjahren auch Entwürfe für die Wiener Werkstätte: Bucheinbände, Stoffe, Glasdekor, Keramiken, Metallgegenstände, Elfenbein, Spielzeug. Kurz vor seinem Tode wurde er als Nachfolger von Dagobert Peche mit der künstlerischen Leitung der „Wiener Werkstätten“ betraut.

Zimpel begann 1911 mit der Anfertigung von handgeschriebenen, mit gemalten oder gezeichneten Illustrationen versehenen „persönlichen Bücher“, denen er 1920/22 die im „Verlag Neuer Graphik“ (später im „Rikola-Verlag“) erschienenen, eigenhändig geschriebenen, mit Lithografien geschmückten „Zimpel-Bücher“ folgen ließ. An diese etwa 100 „originalgraphischen“ Bücher reihen sich 25 gedruckte Bücher, zu denen Zimpel den Buchschmuck oder nur die Umschlagzeichnung entwarf. Er illustrierte u.a. romantische Märchen, Wielands „Don Sylvio von Rosalva“ und von E. T. A. Hoffmann „Das Majorat“. Neben Vorlagen für den Druck schuf Zimpel auch Original-Steinzeichnungen, -Radierungen und -Holzschnitte.

Zimpel stellte 1919 im „Hause der jungen Künstlerschaft“, 1925 in der Internationalen Kunstgewerbe-Ausstellung in Paris aus. Eine Gedächtnisausstellung veranstaltete im November 1925 die Neue Galerie in Wien.

Quelle:
* Thieme-Becker, redigiert und ergänzt. - Der Text wurde von uns auch in Wikipedia eingestellt. Es gelten die Lizenzbestimmungen von Wikipedia.

Literatur:
Adolf Sennewald: Deutsche Buchillustratoren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Materialien für Bibliophile (Bibliographien: Buch Bibliothek Literatur; 2) Wiesbaden: Harrassowitz 1999, S. 255-257. Nr. 21,6. ISBN 3-447-04228-1
* Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918-1938. Bd. II. Hermann Böhlaus Nachf., Wien 1985. Der Rikola-Konzern S. 310 ff., Verlag Neuer Graphik S. 328-31. ISBN 3-205-07258-8

*****

Siehe auch
die Illustrationen von Julius Zimpel
zu E. T. A. Hoffmanns "Majorat"
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6674

*****

6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

Alle Bildvorlagen entstammen, sofern nicht anders vermerkt, einer privaten Sammlung. Soweit es Rechte des Goethezeitportals betrifft, gilt: Die private Nutzung und die nichtkommerzielle Nutzung zu bildenden, künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Zwecken ist gestattet, sofern Quelle (Goethezeitportal) und URL (http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6754) angegeben werden. Die kommerzielle Nutzung oder die Nutzung im Zusammenhang kommerzieller Zwecke (z.B. zur Illustration oder Werbung) ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Verfasser gestattet.

Dem Goethezeitportal ist kein Urheberrechtsinhaber bekannt; ggf. bitten wir um Nachricht.

Für urheberrechtlich geschützte Bilder oder Texte, die Wikipedia entnommen sind, gilt abweichend von obiger Regelung die Creative Commons-Lizenz.

Kontaktanschrift:

Prof. Dr. Georg Jäger
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
80799 München

E-Mail: georg.jaeger07@googlemail.com

*****

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit