goethe


Jutta Assel und Georg Jäger

Der Heidelberger Schlossstreit
und die historistische Ausgestaltung
des Friedrichsbaus

Die Frage, wie das Heidelberger Schloss, ein vielbesuchtes nationales Kulturdenkmal, zu erhalten sei, führte um 1900 zu einem grundsätzlichen Streit um die Prinzipien der Denkmalpflege, bekannt unter dem Namen "Heidelberger Schlossstreit" bzw. "Heidelberger Denkmalstreit". Die großherzoglich badische Regierung als zuständige Behörde hatte den an die Technische Hochschule Karlsruhe berufenen Bauingenieur und Architekturhistoriker Carl Schäfer (1844-1908) mit der Restaurierung bzw. "Wiederherstellung" des Friedrichsbaus beauftragt, die er als "Oberbaurat" 1897 bis 1903 im Stil des Historismus (Neorenaissance) durchführte. Die Ausgestaltung der Fassade und der Innenräume wird in zahlreichen Bildpostkarten dokumentiert. Schäfer und die ihm folgenden Architekten gingen von einem "Wiederaufbau" bzw. einer "Wiederherstellung" aus und wollten auch den "Gläsernen Saalbau" in der Ecke zwischen Friedrichs- und Ottheinrichsbau und den "Ottheinrichsbau" selbst nach diesen Prinzipien restaurieren. Dagegen wandten sich zahlreiche Kunsthistoriker, denen Georg Dehio in seinem Manifest 1901 eine Stimme gab. Er ging von der "Abweisung jedes Gedankens an Wiederherstellung heute nicht mehr vorhandener Teile" aus und forderte eine Beschränkung auf die Sicherung des Baues in seinem jetzigen Zustand ("Erhaltung des Bestehenden"). Polemisch sprach Dehio von einer drohenden "Verschäferung", die "den historischen Verlauf rückwärts zu korrigieren" sucht. Dieser Position, Beschränkung auf Erhaltungsmaßnahmen, schlossen sich 1904 in einer öffentlichen Erklärung 136 Dozenten der Universität Heidelberg an, unter ihnen Ernst Troeltsch und Max Weber. Den Standpunkt der Maler vertrat Hans Thoma in seiner Rede vor der Ersten Badischen Ständekammer 1906. Sowohl das Manifest Dehios wie die Heidelberger Erklärung und die Rede Thomas werden in den wichtigsten Argumenten wiedergegeben.

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Gliederung

1.1 Der Friedrichsbau
1.2 Fassade im Schlosshof
1.3 Schlosshof mit Besuchern
1.4 Schlossaltan
2. Ausgestaltung des ersten Obergeschosses
3. Der Schlossstreit (Denkmalstreit)
4. Ausgestaltung des zweiten Obergeschosses
5. Georg Dehio: Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden?
6. Kapelle im Friedrichsbau
7. Erklärung der Heidelberger Dozenten
    gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses
8. Hans Thomas Rede in der Ersten Badischen Ständekammer am 29. Juli 1906
9. Literaturhinweise und Weblinks
10. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1.1 Der Friedrichsbau

Kurfürst Friedrich IV. ließ den Friedrichsbau von 1601 bis 1607 errichten, nachdem das zuvor an dieser Stelle befindliche Wohngebäude mit der Schlosskapelle einzustürzen drohte. In die Hoffassade des Friedrichsbaus sind Statuen der Ahnen der Kurfürsten eingearbeitet.

Der Friedrichsbau ist der erste Palast des Schlosses, der auch mit einer repräsentativen Fassade zur Stadtseite hin errichtet wurde. Im Erdgeschoss des Bauwerks befindet sich die Schlosskirche, welche unbeeinträchtigt erhalten ist. Die Obergeschosse des Gebäudes wurden als Wohnraum genutzt.

Nach den verheerenden Bränden 1693 und 1764 wurde dieser Teil des Schlosses als einziger Teil wieder aufgebaut. 1890 bis 1900 wurde der Friedrichsbau nach Entwürfen des Karlsruher Professors Carl Schäfer grundlegend im Stil des Historismus (Neorenaissance) erneuert. Damals entzündete sich eine sehr kontroverse Diskussion darüber, wie die Innenräume gestaltet werden sollten. Insbesondere der Kunsthistoriker Georg Dehio hatte sich dafür ausgesprochen, das Bauwerk in seiner gewachsenen Struktur zu erhalten. Letztendlich entschied man sich für eine Innenausstattung im Neorenaissance-Stil. Viele Räume des Friedrichbaus zeigen heute in freier Komposition einen Stilpluralismus. Letztlich wurden die Räume aber nie wieder als Wohnräume genutzt, sondern fungierten als musealer Bau.

Zitiert nach dem Eintrag in Wikipedia, URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Schloss#Friedrichsbau

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1.2 Friedrichsbau
Fassade im Schlosshof

1. Bild von oben: Heidelberger Schloss. Friedrichsbau. Verlag L. Hübinger, Heidelberg, No. 19. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Heidelberg, Schloss. Der Friedrichsbau. 7704. Carl H. Odemar, Magdeburg 1906. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Heidelberg. Der Friedrichsbau. Verlag von Edm. von König. Heidelberg. Ges. gesch. 1906. Königskarte No. 2528. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Heidelberg. Der Friedrichsbau. 363. Verlag von Jos. J. Vogt, Heidelberg. Nicht gelaufen. - Ohne die beiden Kamine.

Bei seiner Vollendung wurde der Friedrichsbau mehrfach als "großartiges Restaurierungswerk" gefeiert. Nur gegen Einzelheiten gebe es "lebhafte Bedenken". "Es gelte dies namentlich von den blendend weißen Kaminköpfen auf dem Dache des Friedrichs-Baus. Die Regierung habe zugesagt, daß die betreffenden Kaminköpfe mit einer künstlichen Alters-Patina versehen werden sollten." (Heidelberger Zeitung, 6. April 1900. Nach dem Abgeordneten Dr. Wilckens.)

 

1.3 Schlosshof mit Besuchern

Oben: Heidelberg. Der Schlosshof. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
Unten: Gruss vom Heidelberger Schloss. Schloss-Photographie Heidelberg (im Schlosshof) Telefon 4954. Nicht gelaufen.

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1.4 Schlossaltan
mit Fassade zur Stadt hin

Oben: Heidelberger Schloss. Friedrichsbau mit Portal zum Altan. Adressseite: Signet. Dr. Trenkler Co., Leipzig 1906. Hdb. 75. Gelaufen. Datiert 1906. Poststempel unleserlich.
Unten: Heidelberg. Schloßaltan. Verlag u. Eigentum Karl Küstner. Heidelberg Nr. [unleserlich]. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1938.

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2. Ausgestaltung
des 1. Obergeschosses
des Friedrichsbaus

Der Innenausbau des Friedrichsbaus wird vor allem durch zwei Postkartenserien dokumentiert. Zum einen ist dies die im Verlag Walter Münch und Co. in Karlsruhe erschienene Serie. Sie verwendet durchgehend den umstrittenen Terminus "Wiederherstellung" und weist Oberbaurat Prof. Dr. Ing Karl Schäfer in Karlsruhe als Leiter aus. Die Karten wurden durch Eintrag im Musterregister des Deutschen Reichs vor Nachahmung geschützt und tragen einen offiziösen Charakter. Die andere Serie stammt aus dem heimischen Postkarten- und Kunstverlag von Edmund von König in Heidelberg. Sie vermeidet den Terminus "Wiederherstellung" und übergeht den Namen Schäfers.

1. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 1ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 1ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen. Handschriftlich datiert 1919.
3. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Tür im 1ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Schloss Heidelberg-Friedrichsbau. Tür im 1ten Obergeschoss. Kunstverlag Edm. von König, Heidelberg. Im Briefmarkenfeld: 378960. Nicht gelaufen.
5. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Wendeltreppe im 1ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.

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3. Der Schlossstreit
(Denkmalstreit)

Im Mittelpunkt der Kontroversen um das Heidelberger Schloss stand der Architekt und Architekturhistoriker Carl Schäfer (1844-1908), der 1894 aus Berlin an die Technische Hochschule in Karlsruhe berufen wurde und dort bis 1907 lehrte. "Wie in Berlin so ging auch in Karlsruhe eine magnetische Wirkung von ihm aus." (Schuchard, S. 22) Noch in seiner Berliner Zeit engagierte er sich im Denkmalstreit um das Heidelberger Schloss: Erhalten im derzeitigen Zustand, wie er sich geschichtlich entwickelt hat,  oder Wiederherstellung nach aktuellen architektonischem und technischem Wissensstand.

Die Aufsichtsbehörde des Heidelberger Schlosses, das Badische Finanzministerium, wandte sich an die Bauverständigen mit der Frage: "Was hat zu geschehen, um das Heidelberger Schloss vor weiterem Verfall zu schützen und vornehmlich seine künstlerisch wertvollen Teile möglichst zu erhalten?" (Dehio, S. 249) Zur technischen Untersuchung des tatsächlichen Bestandes wurde 1883 ein Schlossbaubüro eingerichtet. Damals war die Debatte um Erhalt der Ruinen oder Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses bereits im Gange. So trat die fünfte Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine 1882 in einem Aufruf an das deutsche Volk für die Wiederherstellung ein und wurde darin von einer Resolution des Berliner Architektenvereins, die Schäfer vorbereitete, 1883  unterstützt (Schuchard, S. 23).

Mit den Einsichten der technischen Untersuchung beschäftigten sich zwei Kommissionen von 1891 und 1901, die zu unterschiedlichen Empfehlungen kamen. "Das Abschlussgutachten von 1891 lehnte überraschenderweise den Wiederaufbau ab und empfahl, nur technische Schutzmaßnahmen zur Erhaltung des Bestehenden durchzuführen." (Der Denkmalstreit) Einer zweiten Schlossbaukonferenz 1901 lag ein von Schäfer ausgearbeitetes Projekt über die Wiederherstellung des Saalbaus – in der Ecke zwischen Friedrichs- und Ottheinrichsbau –sowie des Ottheinrichsbaus vor, die er in den vermeintlichen Zustand vor der Zerstörung 1689 versetzen wollte. Die Mehrheit sprach sich jetzt für eine Restaurierung des Ottheinrichsbaus nach den Plänen Schäfers aus.

Nach Schäfers Entwürfen wurde der Friedrichsbau von 1897 bis 1903 restauriert bzw. wiederhergestellt und im Innern historistisch, im Neurenaissance-Stil ausgestaltet. Die Skulpturen der Fassade wurden durch Kopien ersetzt. Nach Dehio (S. 254) soll insgesamt "ein Drittel aller Steine"  ausgewechselt worden sein. "Schäfers Restauration erregte in vielen Kreisen Widerspruch, da vor allem der reiche Innenausbau mit der farbigen Ausmalung als zu weitgehend angesehen wurde." (Schuchard, S. 24).

Angesichts des Vorgehens bei der Restaurierung des Friedrichsbaus und den Plänen zur Wiederherstellung des Gläsernen Saalbaus und insbesondere des Ottheinrichsbaus, die Schäfer mit Unterstützung der Regierung verfolgte [vgl. "Entwürfe für die Restauration des Gläsernen Saal- und des Ottheinrichsbaus", erstes Projekt 1900, zweites revidiertes Projekt 1902], formierte sich ein breiter Wiederstand. Der Kunsthistoriker Georg Dehio publizierte 1901 ein Manifest, das denkmalpflegerische Grundsätze aufstellte. Er folgte dem Beschluss der ersten Kommission und lehnte eine Restauration bzw. Wiederherstellung kategorisch ab ("Abweisung jedes Gedankens an Widerherstellung heute nicht mehr vorhandener Teile") und forderte eine Beschränkung auf die Sicherung des Baues in seinem jetzigen Zustand ("Erhaltung des Bestehenden"; Dehio, S. 249f.). Polemisch sprach er von einer drohenden "Verschäferung des Schlosses" (Dehio, S. 258), die "den historischen Verlauf rückwärts zu korrigieren" sucht (Dehio, S. 252). Da "an einem Denkmal von der Art und Bedeutung des Heidelberger Schlosses," einem Nationaldenkmal, " das ganze deutsche Volk ideeller Mitbesitzer ist," ruft Dehio mit Erfolg die öffentliche Meinung auf: "Pflicht der öffentlichen Meinung ist es, sich über die geplante Maßregel ein Urteil zu bilden" (S. 251). Mit Erfolg.

136 Dozenten der Universität Heidelberg – unter ihnen Adolph Hausrath, Georg Jellinek, Gustav Radbruch, Ernst Troeltsch, Max Weber – unterschrieben 1904 eine Erklärung gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses und forderten eine Beschränkung auf Erhaltungsmaßnahmen. Diese Resolution ging handschriftlich an den Großherzog, sodann an das Ministerium und die Medien. An der Meinungsbildung nahmen führende Architekten und Kunsthistoriker teil, so beispielsweise Otto Wagner (1841-1918) in Wien, der die Aufbaupläne aus denkmalpflegerischer Sicht als "Vandalismus ärgster Sorte" verurteilte (Belege bei Schuchard, S. 24). Einen Schluss des "Schlossstreits" brachte erst die Ablehnung des ersten Finanzierungsantrags durch die beiden badischen Kammern im Jahr 1906. Der Friedrichsbau blieb "das einzige Zeugnis für den Wunsch nach Wiederaufbau" (Denkmalstreit).

Sowohl das Manifest Dehios wie die Heidelberger Erklärung werden in den wichtigsten Argumenten wiedergegeben. Die Postkarten zur Ausstattung der Innenräume des Friedrichsbaus geben einen Eindruck vom Historismus der von Schäfer geleiteten Restauration.

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4. Ausgestaltung des 2. Obergeschosses
des Friedrichsbaus

 

Verlag Walter, Münch & Co.
1. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 2ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen. Handschriftlich datiert 1919.
2. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg-Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 2ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen. Handschriftlich datiert 1919.
3. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 2ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Saal im 2ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.
5. Bild von oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Tür im 2ten Obergeschoss. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.

Kunstverlag Edmund von König
1. Bild von oben: Schloss Heidelberg-Friedrichsbau. Saal im 2ten Obergeschoss. Kunstverlag Edm. von König, Heidelberg. Im Briefmarkenfeld: 378962. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Schloss Heidelberg-Friedrichsbau. Saal im 2ten Obergeschoss. Kunstverlag Edm. von König, Heidelberg. Im Briefmarkenfeld: 378963. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Schloss Heidelberg-Friedrichsbau. Saal im 2ten Obergeschoss. Kunstverlag: Edm. von König, Heidelberg. Im Briefmarkenfeld: 378966. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Schloss Heidelberg-Friedrichsbau. Decke im 2ten Obergeschoss. Kunstverlag Edm. von König, Heidelberg. Im Briefmarkenfeld: 378968. Nicht gelaufen.

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5. Georg Dehio:
Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden?
(1901) Auszug

Es werden für das Heidelberger Schloss umfangreiche bauliche Veränderungen geplant. Wer kann die Nachricht hören ohne Erregung? In dies wunderbare Ganze, aus Vergänglichkeit und Ewigkeit, aus Kunst, Natur und Geschichte zu einem Eindruck zusammengewoben, wie ihn niemals menschlicher Verstand allein, auch nicht des größten Künstlers, hätte hervorrufen können, will man gewaltsam eingreifen — will es verbessern! Also wieder einmal ist der vandalisme restaurateur, wie die Franzosen das Ding treffend nennen, auf dem Kriegspfad, und welch edelste Beute hat er sich ausgewählt.

Bekämpfen wir indessen unser in Wallung geratendes Blut und suchen in Ruhe uns klarzumachen, worum es sich handelt. [...]

An einem Denkmal von der Art und Bedeutung des Heidelberger Schlosses ist, wie man sich wohl ausdrücken darf, das ganze deutsche Volk ideeller Mitbesitzer. Es ist nicht  anzunehmen, dass die letzte Entscheidung im Widerspruch mit der öffentlichen Meinung erfolgen könnte. Pflicht der öffentlichen Meinung ist es um so mehr, sich über die geplante Maßregel ein Urteil zu bilden. Sie kann es. Denn in allen wichtigen Punkten kommt  es hier nicht auf eine Geheimwissenschaft an; sie sind allgemein verständlich.

Der Gegensatz zwischen Architekten und Kunstgelehrten pflegt bedauerlicherweise bei ähnlichen Anlässen immer wieder aufzutauchen. Es ist deshalb keine müßige Abschweifung, zu untersuchen, wie weit er innerlich berechtigt sei. Was ist denn ein Architekt? und in welchem Verhältnis steht er qua Architekt zu den Denkmälern der Vergangenheit ? Ein Architekt ist teils Techniker, ein Mann der angewandten Mathematik und Physik, teils Künstler, Organ der schaffenden Phantasie. Zu den Kunstwerken der Vergangenheit kann er sich aber nur als Forschender, Nachfühlender, nicht als Schaffender verhalten. Von dem Augenblick, in dem er in dieses Verhältnis eintritt, wird er — mag er es anerkennen oder nicht — seiner Aufgabe nach zum Kunstgelehrten, und was er auf diesem Boden denkt, spricht oder tut, kann nur nach dem allgemeinen Maße der Kunstwissenschaft gemessen werden. Der so oft behauptete Gegensatz ist also theoretisch gar nicht vorhanden. Praktisch tritt er dennoch hervor in dem andern Augenblicke, wo der Architekt berufen wird, an ein historisches Kunstdenkmal irgendwie die Hand zu legen, um zu erhalten oder zu ergänzen oder wiederherzustellen. In dieser Lage wird es erfahrungsmäßig sehr vielen Architekten unmöglich, in ihrem Geiste die wissenschaftliche Funktion und die künstlerische Funktion auseinanderzuhalten. Was sie als Künstler im Geiste schauen, wird ihnen zur historischen Gewissheit; eine psychologisch ganz begreifliche Verwechslung, aber für das Denkmal eine akute Gefahr. Als im »historisch« gesinnten 19. Jahrhundert ein Pietätsverhältnis zu den Resten der Vergangenheit erwachte, glaubte man, diesen etwas Gutes zu erweisen, wenn man sie auf diejenige Gestalt zurückführte, die man sich als die ursprüngliche dachte. Aber der feinere historische Sinn konnte dabei keine Befriedigung finden: es hieß, den historischen Verlauf rückwärts korrigieren, und zwar auf fast immer unsicherer Basis. Nach langen Erfahrungen und schweren Missgriffen ist die Denkmalspflege nun zu dem Grundsatze gelangt, den sie nie mehr verlassen kann: erhalten und nur erhalten! ergänzen erst dann, wenn die Erhaltung materiell unmöglich geworden ist; Untergegangenes wiederherstellen nur unter ganz bestimmten, beschränkten Bedingungen. Ein Architekt, der unter diesen allein zulässigen Voraussetzungen eine Restauration übernimmt, muss wissen, dass es ein entsagungsvolles, durchaus unfreies Geschäft ist. Allein archäologisches und technisches Wissen, nicht künstlerisches Können kommt dabei in Betracht. Es gab und gibt immer Architekten, Gott sei Dank, die diese Selbstbeschränkung geübt und sich damit großen Dank verdient haben; es gibt aber auch — andere.

Ja, leider recht viel andere! Es will uns sogar scheinen, als hätte zurzeit eine Strömung wieder Oberwasser gewonnen, die eine beklagenswerte Rückständigkeit der Grundsätze sich zum Verdienst anrechnet. Statuen ergänzen, Bilder übermalen war in früheren Jahrhunderten allgemeiner Brauch. Heute wird er verurteilt. Der Venus von Milo ihre Arme wiederzugeben oder Leonardos Abendmahl mit einer frischen Farbendecke zu überziehen, gilt für eine heute unmöglich gewordene Barbarei. Nur gewisse Architekten glauben dergleichen noch täglich verüben zu dürfen. Was berechtigt uns denn, soviel Zeit, Arbeit und Geld dem Schaffen der Gegenwart zu entziehen, um sie den Werken der Vergangenheit zuzuwenden? Doch hoffentlich nicht das Verlangen, sie einem bequemeren Genuss mundgerechter zu machen? Nein, das Recht dazu gibt uns allein die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Zu solcher Ehrfurcht gehört auch, dass wir uns in unsere Verluste schicken. Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät. Wir sollen unsere Ehre darin suchen, die Schätze der Vergangenheit möglichst unverkürzt der Zukunft zu überliefern, nicht, ihnen den Stempel irgendeiner heutigen, dem Irrtum unterworfenen Deutung aufzudrücken. Wenn archäologisch gerichtete Architekten ihr Nachdenken auf Restaurationszeichnungen wenden, so sind wir ihnen dankbar dafür. Ausgeführt bedeuten sie eine Vergewaltigung, eine Barbarei trübseligster Art: Gelehrsamkeitsbarbarei. [...]

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6. Kapelle
im Friedrichsbau

Oben: Schloss zu Heidelberg - Friedrichsbau wiederhergestellt v. Oberbaurat Prof. Dr. Ing. Karl Schäfer. Blick in die Kapelle. Durch Eintrag im Musterregister geschützt. Adressseite: Walter, Münch & Co., Karlsruhe. Nicht gelaufen.
Unten: Heidelberg. Schloßkapelle. Kunstverlag Edm. v. König, Heidelberg. ges. gesch. 7813. Handschriftlich datiert 1937. Nicht gelaufen.

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7. Erklärung der Heidelberger Dozenten
gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses
(1904) Auszug

[Wir protestieren] auf das Schärfste und auf das Eindringlichste gegen jede Restaurierung, die, wie sie auch sei,  in viel höherem Maße, als irgend eine, langsam und unberechenbar fortschreitende und umbildende, natürliche Zersetzung der Ruine, deren jähe und vorzeitige, vollständige, unwiderrufliche Zerstörung bedeuten müsste. Wir weisen mahnend auf all' das Unheil hin, das ein unhistorischer und unkünstlerischer Restaurations-Fanatismus im letzten Jahrhundert an so vielen ehrwürdigen Denkmälern angerichtet hat, indem er an die Stelle des Kunstwerkes die Nachbildung, an die Stelle des Echten die Fälschung, an die Stelle der [sic] Gewordenen und Zweckvollen das künstlich Gemachte und die leere Maske schob.

Wir beklagen in der Restaurierung des Friedrichsbaues diese Verdrängung des Lebenden durch das ein für alle Male Tote, des historischen Baues und seiner eigentümlichen Werte durch ein im Äußern kaltes und erkaltendes, im Innern schreiend buntes Scheinwerk, der unmittelbaren Schöpfung durch eine seelenlose architektonische Gelehrsamkeit. Wer in aller Welt wagt es denn, an ein Ausbauen des Parthenons, der Tempel von Girgenti oder Paestum auch nur zu denken? Wer darf aus dem heiligen Reste unseres Ottheinrichsbaues aus dem Erbstück einer schaffenden Zeit und dem sprechenden Gebilde der Jahrhunderte ein Zwitterding machen, unwahr und unlebendig, weder alt noch neu? oder vielmehr: ein Neues, in dem das Alte tatsächlich untergeht? denn mit Bestimmtheit ist es vorauszusehen, dass der Ausbau einem Neubau gleichkommen würde: ein Neubau aber kann auf Grund der vorhandenen genauen Aufnahmen auch später noch jederzeit, wenn es sein soll, vorgenommen werden. Warum soll der Ruine nicht vergönnt sein, sich auszuleben, so lange es ihr Geschick erlaubt?

Wir sind gewiss, im Sinne zugleich eines jeden geschichtlichen Gefühls und eines künstlerischen Empfindens den Warnruf zu erheben: in keinem Falle, unter keiner Bedingung die Barbarei eines Wiederaufbaus! Sie allein, auf absehbare Zeiten hinaus, droht unserm Schlosse die wahre Vernichtung an, die Vernichtung ohne Not und ohne Gewinn.

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8. Hans Thomas Rede in der Ersten Badischen Ständekammer
am 29. Juli 1906, Auszug.

Vor Jahr und Tag hat einmal ein Architekt zu mir gesagt: Sie mögen nun wollen oder nicht, das Heidelberger Schloß wird doch neu aufgebaut. Er hat dies gesagt, ohne daß ich mich besonders darüber geäußert habe, auch weiß ich nicht, war das Sie groß geschrieben und ich damit persönlich gemeint oder war es ein sie im Plural, alle die gemeint, die dagegen sind. Dieser Architekt nahm wohl an, daß ich dagegen sein müsse, weil er wußte, daß ich, erstens Maler, zweitens Naturfreund und drittens etwas romantisch angehaucht bin, so wie es in Deutschland immer noch manchem passiert. – Ich habe keinen Grund gehabt, diesen so bestimmten Ausspruch zu bestreiten. Wenn ich es getan hätte, so hätte er mich wahrscheinlich mit den Worten "Ruinenschwärmer" abgetan. Aber ich stehe doch auch heute noch unter dem Eindruck dieses harten Architektenausspruches.

Ich bin aber kein Ruinenschwärmer – bei manchen Rittersburgen habe ich sogar meine Freude daran, wenn sie wieder erneuert und belebt werden – fast gelüstet es mich selber auf so einer Burg zu wohnen – wenigstens trinke ich, wenn eine Wirtschaft eingerichtet ist, gern dort meinen Schoppen. – Auf solchen Burgen ist eben Mauer Mauer – und die neuen Steine sind gerade so wie die alten, sie wurden alle bei der Erschaffung der Welt gemacht.

Der Otto-Heinrichsbau ist aber der Rest eines Kunstwerkes – ein Torso – und wie schön er gerade als solcher jetzt ist, das haben schon Tausende von Menschen empfunden und empfinden es noch heute. Nun spielt die Natur mit diesem Menschenwerk – sie ziert es mit ihrem unnachahmlichen Farbenschmuck und ich bedaure es lebhaft, daß man die grünen Flammen des Efeus, die an den Trümmern emporrankten, teilweise ganz ohne allen Grund zerstört hat, wie z.B. an dem heruntergefallenen Stück des gesprengten Turmes. Kein Meister der Welt kann die Heidelberger Ruine schöner machen als sie jetzt ist, wenn er nun Zwerchdächer oder Giebeldächer noch so hoch farbig oder grau aufsetzt. – Wenn man die Ruine, die ja der Mittelpunkt einer kultivierten Stadt ist, so gut wie möglich zu erhalten sucht, so hat man genug getan, und sollte der Zerfall auch noch mehr vorschreiten, die Natur sorgt schon dafür, daß sie immer noch schön bleibt. Wenn in Jahrhunderten sich einmal die Notwendigkeit herausstellt, an diesem Platze einen Neubau aufzuführen, der einem neuen aus der Zeit hervorgewachsenen Zwecke dient, so kann es uns ja recht sein.

Meiner Meinung ist, ich darf es wohl sagen, die allergrößte Mehrheit der Maler Badens, ja auch Deutschlands – sogar Europas und wohl auch die von China und Japan, wenn sie das Heidelberger Schloß, aber auch den Friedrichsbau, gründlich angesehen hätten. Es gibt recht viele Maler, aber das Regiment, das ich aufstellen könnte, mag wohl denen, die doch wieder aufbauen wollen, nicht allzusehr imponieren.

Die Malerei aber in ihrem tiefern Sinne, nicht als Bilderverfertigerin sondern als geistige Disziplin, hat doch das Auge des Menschen zu erziehen, deshalb nennt auch Leonardo da Vinci die Malerei die Wissenschaft vom Sehen.

Vornehmlich durch das Auge macht der Geist die Welt zu seinem Besitz.

Nur die Augen öffnen und alles wird schön! Das Auge hat die Kraft alles zum Schönen zu wenden, zur harmonischen Einheit zu gestalten.

Aus dem flüchtigen Streifzuge durch das Land wird man vielleicht den Eindruck gewinnen, daß die Naturfreunde und die Künstler, vorweg die Maler, recht konservativ sind und daß sie deshalb die Ruinenschönheit des Schlosses erhalten möchten – und daß der Wiederaufbau desselben für sie eine Zerstörung dieser Schönheit bedeutet.

Etwas anderes wäre es, wenn das Schloß zu einem bestimmten Zwecke wieder neu gebaut werden könnte, zu einem großen Zwecke bewohnbar gemacht mit allen Mitteln der modernen Zeit, aber so bloß als Atrappe, als eine Art Museumsbau um die Otto-Heinrichwand herum wäre es doch nur eine Fälschung, und wer den Friedrichsbau mit Künstleraugen ansieht, bekommt genug von solcher prunkhaften zusammenhanglosen Ausstellungskunst.

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9. Literaturhinweise und Weblinks

Georg Dehio, Alois Riegl: Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900. Mit einem Kommentar von Mario Wohlleben und einem Nachwort von Georg Mörsch. Braunschweig / Wiesbaden: Friedr. Vieweg & Sohn 1988. ISBN 3-528-08780-3 - Darin Georg Dehio: Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden ? (1901)

Georg Dehio: Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden? 1901. Online:
http://www.dehio.org/dehio/heidelberger_schloss.pdf

Erklärung der Heidelberger Dozenten gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses. 1904. In: Max Weber: Gesamtausgabe. Abt. I, Bd. 8. Tübingen: J.C.B. Mohr 1998, S. 414-420.

Im Herbste des Lebens. Gesammelte Erinnerungsblätter von Hans Thoma. München: Süddeutsche Monatshefte 1909. Darin: Dritte Rede, gehalten in der Ersten Badischen Ständekammer am 29. Juli 1906, S. 226-233. Zitat  S. 230-232.

Schloss Heidelberg: Die baugeschichtliche Entwicklung. Video.
In YouTube hochgeladen von Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg. URL:
https://www.youtube.com/watch?v=QkBWJSRcIcs

Eintrag "Heidelberger Schloss" in Wikipedia. Online:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Schloss
Darin Kap. 1.2.2 Bestandsaufnahme und Restaurierung – der Heidelberger Schlossstreit

Heidelberg  Schloss. Online:
https://www.schloss-heidelberg.de/
Darin: Der Denkmalstreit

Jutta Schuchard: Carl Schäfer 1844 - 1908. Leben und Werk des Architekten der Neugotik (Materialien zur Kunst des 19. Jhs., 21) München: Prestel 1979. ISBN 3-7913-0373-2

Darin S. 23-24. Katalog, Restaurierungen Nr. 28. Heidelberg, Wiederherstellung und innerer Ausbau des Friedrichsbaues, 1897-1903. - Nr. 33. Heidelberg, Entwürfe für die Restauration des Gläsernen Saal- und des Ottheinrichsbaues, erstes Projekt 1900, zweites Projekt (nach dem Wetzlarer Skizzenbuch) 1902.

Fridericiana. Zeitschrift der Universität Karlsruhe. Heft 18, 1975: 150 Jahre Universität Karlsruhe 1825-1975. Architekten der Fridericiana. Skizzen und Entwürfe seit Friedrich Weinbrenner. Darin Carl Schäfer, S. 71-76.

Eintrag "Carl Schäfer" in Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schäfer

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Seiten zu Heidelberg
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Heidelberger Schloss
Graphik
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Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren
Ein Schlager auf Bildpostkarten
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6814

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