Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Jutta Assel | Georg Jäger

Palermo
Folge I: Land und Leute

Eingestellt: März 2014
Stand: Januar 2016

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Christoph Heinrich Kniep, Bucht von Palermo, Blick vom Monte Pellegrino

Johann Wolfgang Goethe, Bei Palermo, Blick vom Monte Pellegrino

Blick vom Monte Pellegrino

Oben: Kniep, Bucht von Palermo (Blick vom Monte Pellegrino), 1788. Feder in Schwarz, Pinsel in Braun, laviert. "Rechts unten längliche Figurenstaffage, ein Bauer mit einem Korb Hühnern und ein Wanderer oder Hirte mit einem Hund". In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 113. Katalog Nr. 549.

Unten: Goethe, Bei Palermo. Blick vom Monte Pellegrino. In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 112. Vgl. Corpus der Goethezeichnungen, Bd. II, Nr. 140.

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Italien ohne Sicilien macht gar kein Bild in der Seele:
hier ist erst der Schlüssel zu Allem.
(Goethe)

Auf seiner "Italienischen Reise" fuhr Goethe 1787 von Neapel aus mit dem Schiff nach Palermo, wo er am 1. April landete. Bis zum 18. April hielt er sich in der Hauptstadt Siziliens auf und brach von hier aus zu einer Reise quer durch die Insel, mit Segesta als nächstem Ziel, auf. Als Begleiter wählte sich Goethe Johann Heinrich Kniep (1755-1825), der für ihn vor allem die Landschaft, aber auch Baudenkmäler in Zeichnungen festhielt und ihn im Aquarellieren unterwies. Die Zeichnungen gingen in Goethes Besitz über. Die hier vollständig wiedergegebenen Tagebucheinträge Goethes während seines Palermo-Aufenthaltes werden um ausgewählte Erinnerungen und Reiseberichte ergänzt. Dadurch vergrößert sich die Vielfalt der Themen, Reflexionen und Standpunkte; Goethes Sichtweise gewinnt im Vergleich an Kontur. Die Bilddokumente, meist auf frühen Ansichtskarten, werden als eigenständige Quellen behandelt, die den Texten anschauliche Informationen zur Seite stellen.

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Inhalt

Neben den Tagebucheinträgen Goethes werden folgende Auszüge aus Erinnerungen und Reiseberichten vom Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts wiedergegeben:

Johann Heinrich Bartels: Küstenpanorama | Patrick Brydone: Anlage von Palermo, Marino | Gustav Parthey: "Fülle und Pracht" der Vegetation | Andreas Oppermann: Monte Pellegrino | August Wilhelm Kephalides: Grotte der Rosalia | Johann Heinrich Bartels: Über den "Nationalcharakter der Palermitaner" | George W. D. Evans: Festival of S. Rosalia | Patrick Brydone: Das Fest der Heiligen Rosalia | Johann Heinrich Bartels: Die Katakomben des Kapuzinerklosters | Justus Tommasini (d.i. Johann Heinrich Westphal): Straßenleben an einem Vormittag | Eintrag "Palermo" im "Damen Conversations Lexikon" mit einer ausführlichen Beschreibung des Tageslaufs im Straßenleben (PDF-Datei) | Andreas Oppermann: "Familienleben im deutschen Sinne gibt es in Palermo nicht" | Johann Heinrich Bartels: Die Frauen von Palermo als "Sklavinnen" ihrer Männer | Louis Simond: A Neapolitan Bravo.

Die Postkartenbilder sind zwischen die Textauszüge eingefügt.

Einen rechtlichen Hinweis und die Kontaktanschrift finden Sie am Ende der Seite.

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Palermo, Panorama da Villa Igiea, Verlag Dr. Trenkler, Leipzig

Palermo, Monte Pellegrino e Panorama della Citta, Ed. Alinari

Palermo, Panorama della Villa Belmonte, Verlag Dr. Trenkler, Leipzig

Panorama von Palermo
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Oben: Palermo. Panorama da Villa Igiea. Signet. Dr. Trenkler Co., Lipsia. 16793. Adressseite ungeteilt, handschriftlich: 1906. Nicht gelaufen.
Mitte: Palermo - Sicilia. Monte Pellegrino e Panorama della Citta. Ed. Alinari N. 19566. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
Unten: Palermo. Panorama della Villa Belmonte. Signet. Dr. Trenkler Co., Lipsia. 21445. Adressseite ungeteilt. nicht gelaufen.

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Georg Macco, Ansicht von Palermo mit dem Monte Pellegrino, 1903

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Georg Macco (1863-1933): Ansicht von Palermo mit dem Monte Pellegrino, 1903. Öl auf Leinwand. Höhe 34,5; Breite 47,5 cm. Quelle: Bassenge, Auktion 105, 2015, Nr. 6158.

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Johann Heinrich Bartels
Küstenpanorama

Dort siehet sie heraus aus dem Meere, die stolze Königin der Insel, um sie her gelagert ein Chaos von Bergen, nackte Felsen, gleich als ständen sie da mit entblößtem Haupte, die ruhende Monarchin zu huldigen. Ein großes Vorgebirge erstrecket sich tief in die See hinein, und scheinet von der Natur zur Schutzwehr Palermos bestimmt; izt ist es von den Strahlen der Morgensonne gerötet. Zur rechten schäumet das Meer mit tobenden Wellen, und ihr Donnergetös hallet aus den Gebirgen wider; zur linken schauen die Felsenberge über die unruhige See kalt und frostig hinaus. Ein Hufeisen von außerordentlich hohen Bergen, mit schweren Regen wolkenbehangen, lieget vor mir, ein Lichtsaum umgiebet diese, zu dem hinauf beinah die vergoldeten Spitzen der Felsen reichen. Der Anblick ist hehr und schön! Hier das Bild von unerschütterlicher Ruhe und Felsenschwere; dort Wellengewirre von heulendem Sturme gejaget, alles in Aufruhr und Bewegung! In der Mitte des Hufeisens lag eine fruchtreiche Pläne, das Bild der Schönheit und des Überflusses, und im Hintergrunde derselben die stolze Stadt, gleich als wäre sie das Allerheiligste! - Doch ich lege den Pinsel aus der Hand - dies Gemälde beschreiben wollen, wäre das fruchtloseste Unternehmen, noch mehr von der Wahrheit entfernet, wie das Lallen eines Kindes von Demosthenischer Beredsamkeit ist.

Quelle:
Johann Heinrich Bartels: Briefe über Kalabrien und Sizilien. Dritter Teil: Reise von Katanien in Sizilien bis zurück nach Neapel. Göttingen: Johann Christian Dieterich 1792(Digitalisierung durch Google), S. 519 f. Rechtschreibung und Zeichensetzung nur vorsichtig dem heutigen Stand angeglichen, um die Patina des Textes zu bewahren. - Über Johann Heinrich Bartels (1761-1850), Gelehrter und von 1820 bis 1850 Bürgermeister in Hamburg siehe den Eintrag in Wikipedia.

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Historischer Stadtplan von Palermo, Meyers Reiseführer von Th. Gsell Fels

Historischer Stadtplan von Palermo

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Quelle:
Unteritalien und Sizilien von Th. Gsell Fels (Meyers Reiseführer) 4. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut (1902), Stadtplan vor S. 257.

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Patrick Brydone
Anlage von Palermo, Marino

Es ist die regelmäßigste Stadt, die ich jemals gesehen habe, und sie ist nach einem Entwurfe gebauet, dem man nach meinem Urteile bei Erbauung aller großen Städte folgen sollte. Die zwo Hauptstraßen durchkreuzen einander gerade in der Mitte der Stadt, wo sie ein schönes, regelmäßiges Viereck machen, das Ottangolo heißt, und mit sehr schönen gleichförmigen Gebäuden geschmückt ist. In der Mitte dieses Vierecks sieht man diese prächtigen Straßen ganz, und an dem Ende derselben die vier Haupttore der Stadt; ein Anblick, der wegen seiner Symmetrie und Schönheit sehr reizend ist. Dieses alles soll in dem nächstkünftigen Monate prächtig erleuchtet werden, welches gewiss das schönste Schauspiel von der Welt sein muss.

Jedes Tor ist ungefähr eine halbe Meile von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt, deren Durchschnitt nicht über eine Meile beträgt. Sie sind schön gebauet und prächtig verzieret, insbesondere die Porta nova und die Porta felice an dem Ende der Straße Corso, die nach Südwesten und Nordosten läuft. Die kleinern Straßen gehen meistenteils mit diesen großen parallel, so dass man allezeit versichert ist, in wenigen Minuten auf eine Hauptstraße zu kommen, in welchem Teile der Stadt man sich befindet. Die Porta felice, die schönste von allen, führet nach dem Marino, einem sehr schönen Spaziergange, welcher eine der vornehmsten Belustigungen des Adels zu Palermo ausmachet.

Auf der einen Seite ist die Stadtmauer, und auf der andern die See, von welcher immer, selbst in der heißesten Jahreszeit, eine angenehme kühle Luft herkommt. Erst kürzlich ist mitten auf diesem Spaziergange ein schönes Gebäude in Form eines Tempels aufgeführt worden, dessen man sich in den Sommermonaten als eines Musiksaales bedienet; und da sie zu dieser Jahreszeit aus Nacht Tag machen müssen, so fängt das Concert nicht eher aber auch nicht später als gerade um Mitternacht an. Die Spaziergänge sind alsdann mit Kutschen und Fußgängern ganz angefüllt; und um das Vergnügen und die Intrigue desto mehr zu begünstigen, ist ein ausdrücklicher Befehl da, dass niemand, welches Standes er auch sei, sich unterstehe, ein Licht mit sich zu bringen. Die Fackeln werden alle bei der Porta felice ausgelöscht, wo die Bedienten auf die Zurückkunft der Kutsche warten. Die ganze Gesellschaft bleibt also gemeiniglich eine oder zwo Stunden in der äußersten Finsternis bei einander, es sei denn, dass sich [sic!] der keusche Mond mit seinen Hörnern in die Gesellschaft eindringe, um sie zu stören. Gegen zwei Uhr des Morgens höret das Concert auf, da denn größtenteils jeder Mann zu einer eigenen Frau nach Hause geht.

Dies ist eine vortreffliche Einrichtung, und verursachet niemals das geringste Ärgernis. Kein Mann ist so grob, dass er seiner Frau diesen Spaziergang untersagen sollte, und die Frauenzimmer sind von ihrer Seite so vorsichtig, dass sie sich, um allen Anstoß zu vermeiden, sehr oft verlarven.

Quelle:
Patrick Brydone: Reise durch Sicilien und Malta, in Briefen an William Beckford. 2. Tl. Leipzig: Johann Friedrich Junius 1774, S. 30-32. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Stand angeglichen. - Zu Patrick Brydone (1741-1819), schottischer Schriftsteller und Reisender, siehe den Eintrag in der englischen Wikipedia.

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Palermo, Porta Felice, Verlag Dr. Trenkler, Leipzig

Palermo, Porta Felice, Verlag Dr. Trenkler, Leipzig

Palermo, Foro Umberto e Porta Felice

Palermo, Porta Felice und der Kai, Hamburg-Amerika Linie. Art Institut Orell Füssli, Zürich

Palermo, Porta Felice e Cavallo Marino, Fotogravure Cesare Capello Milano

Porta Felice
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1. Bild von oben: Palermo. Porta Felice. Signet. Dr. Trenkler Co., Lipsia. 11697. Adressseite ungeteilt. Stempel: L. Sandron - Palermo. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Palermo. Porta Felice. Signet. Dr. Trenkler Co., Lipsia. 11697. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo - Foro Umberto I0 e Porta Felice. Adressseite: Angaben unleserlich. Im Briefmarkenfeld: Fotocelere. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Palermo. Porta Felice und der Kai. Adressseite: Hamburg-Amerika Linie. Art Institut Orell Füssli, Zürich. Nicht gelaufen.
5. Bild von oben: Palermo - Porta Felice e Cavallo Marino. Adressseite: L. S. B. Palermo. 1936 - "Fotogravure" Cesare Capello Milano. Nicht gelaufen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Montag, den 2. April 1787

Endlich gelangten wir mit Not und Anstrengung nachmittags um drei Uhr in den Hafen, wo uns ein höchst erfreulicher Anblick entgegentrat. Völlig hergestellt, wie ich war, empfand ich das größte Vergnügen. Die Stadt gegen Norden gekehrt, am Fuß hoher Berge liegend; über ihr, der Tageszeit gemäß, die Sonne herüberscheinend. Die klaren Schattenseiten aller Gebäude sahen uns an, vom Widerschein erleuchtet. Monte Pellegrino rechts, seine zierlichen Formen im vollkommensten Lichte, links das weit hingestreckte Ufer mit Buchten, Landzungen und Vorgebirgen. Was ferner eine allerliebste Wirkung hervorbrachte, war das junge Grün zierlicher Bäume, deren Gipfel, von hinten erleuchtet, wie große Massen vegetabilischer Johanniswürmer vor den dunkeln Gebäuden hin und wider wogten. Ein klarer Duft blaute alle Schatten.

Anstatt ungeduldig ans Ufer zu eilen, blieben wir auf dem Verdeck, bis man uns wegtrieb; wo hätten wir einen gleichen Standpunkt, einen so glücklichen Augenblick so bald wieder hoffen können!

Durch die wunderbare, aus zwei ungeheuern Pfeilern bestehende Pforte, die oben nicht geschlossen sein darf, damit der turmhohe Wagen der heiligen Rosalia an dem berühmten Feste durchfahren könne, führte man uns in die Stadt und sogleich links in einen großen Gasthof. Der Wirt, ein alter behaglicher Mann, von jeher Fremde aller Nationen zu sehen gewohnt, führte uns in ein großes Zimmer, von dessen Balkon wir das Meer und die Reede, den Rosalienberg und das Ufer überschauten, auch unser Schiff erblickten und unsern ersten Standpunkt beurteilen konnten. Über die Lage unseres Zimmers höchst vergnügt, bemerkten wir kaum, dass im Grunde desselben ein erhöhter Alkoven hinter Vorhängen versteckt sei, wo sich das weitläuftigste Bett ausbreitete, das, mit einem seidenen Thronhimmel prangend, mit den übrigen veralteten stattlichen Mobilien völlig übereinstimmte. Ein solches Prunkgemach setzte uns gewissermaßen in Verlegenheit, wir verlangten, herkömmlicherweise Bedingungen abzuschließen. Der Alte sagte dagegen, es bedürfe keiner Bedingung, er wünsche, dass es uns bei ihm wohl gefalle. Wir sollten uns auch des Vorsaals bedienen, welcher, kühl und luftig, durch mehrere Balkone lustig, gleich an unser Zimmer stieß.

Wir vergnügten uns an der unendlich mannigfaltigen Aussicht und suchten sie im einzelnen zeichnerisch und malerisch zu entwickeln, denn hier konnte man grenzenlos eine Ernte für den Künstler überschauen.

Der helle Mondschein lockte uns des Abends noch auf die Reede und hielt nach der Rückkehr uns noch eine lange Zeit auf dem Altan. Die Beleuchtung war sonderbar, Ruhe und Anmut groß.

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Palermo, Porta Nuova

Porta Nuova
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Palermo. Porta Nuova. Adressseite ungeteilt. N.P.G. [Neue Photographische Gesellschaft].

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Dienstag, den 3. April 1787

Unser erstes war, die Stadt näher zu betrachten, die sehr leicht zu überschauen und schwer zu kennen ist, leicht, weil eine meilenlange Straße vom untern zum obern Tor, vom Meere bis gegen das Gebirg, sie durchschneidet und diese ungefähr in der Mitte von einer andern abermals durchschnitten wird: was auf diesen Linien liegt, ist bequem zu finden; das Innere der Stadt hingegen verwirrt den Fremden, und er entwirrt sich nur mit Hülfe eines Führers in diesem Labyrinthe.

Gegen Abend schenkten wir unsere Aufmerksamkeit der Kutschenreihe der bekannten Fahrt vornehmerer Personen, welche sich zur Stadt hinaus auf die Reede begaben, um frische Luft zu schöpfen, sich zu unterhalten und allenfalls zu courtoisieren.

Zwei Stunden vor Nacht war der Vollmond eingetreten und verherrlichte den Abend unaussprechlich. Die Lage von Palermo gegen Norden macht, dass sich Stadt und Ufer sehr wundersam gegen die großen Himmelslichter verhält, deren Widerschein man niemals in den Wellen erblickt. Deswegen wir auch heute an dem heitersten Tage das Meer dunkelblau, ernsthaft und zudringlich fanden, anstatt dass es bei Neapel von der Mittagsstunde an immer heiterer, luftiger und ferner glänzt.

Kniep hatte mich schon heute manchen Weg und manche Betrachtung allein machen lassen, um einen genauen Kontur des Monte Pellegrino zu nehmen, des schönsten aller Vorgebirge der Welt.

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Louis Gurlitt, Palermo, Monte Pellegrino

Palermo, Monte Pellegrino visto dal mare, G. Lo Cascio e Schiavo

Monte Pellegrino vom Meer aus
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Oben. [Ohne Titel] Adressseite: L. Gurlitt: Monte Pellegrino. R.&J.D. R 189. Nicht gelaufen.
Unten: Palermo - Monte Pellegrino visto dal mare 4213 - G. Lo Cascio e Schiavo. Adressseite ungeteilt. Handschriftlich: 1906. Nicht gelaufen.

Zu dem deutsch-dänischen Maler Louis Gurlitt (1812-1897) siehe den Eintrag in Wikipedia. Das hier abgebildete Gemälde findet sich in hoher Auflösung in Wikimedia Commons.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, den 3. April 1787

Hier noch einiges zusammenfassend, nachträglich und vertraulich.

Wir fuhren Donnerstag, den 29. März, mit Sonnenuntergang von Neapel und landeten erst nach vier Tagen um drei Uhr im Hafen von Palermo. Ein kleines Diarium, das ich beilege, erzählt überhaupt unsere Schicksale. Ich habe nie eine Reise so ruhig angetreten als diese, habe nie eine ruhigere Zeit gehabt als auf der durch beständigen Gegenwind sehr verlängerten Fahrt, selbst auf dem Bette im engen Kämmerchen, wo ich mich die ersten Tage halten musste, weil mich die Seekrankheit stark angriff. Nun denke ich ruhig zu Euch hinüber; denn wenn irgend etwas für mich entscheidend war, so ist es diese Reise.

Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt. Als Landschaftszeichner hat mir diese große, simple Linie ganz neue Gedanken gegeben.

Wir haben, wie das Diarium ausweist, auf dieser kurzen Fahrt mancherlei Abwechslungen und gleich sam die Schicksale der Seefahrer im kleinen gehabt. Übrigens ist die Sicherheit und Bequemlichkeit des Paketboots nicht genug zu loben. Der Kapitän ist ein sehr braver und recht artiger Mann. Die Gesellschaft war ein ganzes Theater, gutgesittet, leidlich und angenehm. Mein Künstler, den ich bei mir habe, ist ein munterer, treuer, guter Mensch, der mit der größten Akkuratesse zeichnet; er hat alle Inseln und Küsten, wie sie sich zeigten, umrissen; es wird euch große Freude machen, wenn ich alles mitbringe. Übrigens hat er mir, die langen Stunden der Überfahrt zu verkürzen, das Mechanische der Wasserfarbenmalerei (Aquarell), die man in Italien jetzt sehr hoch getrieben hat, aufgeschrieben: versteht sich den Gebrauch gewisser Farben, um gewisse Töne hervorzubringen, an denen man sich, ohne das Geheimnis zu wissen, zu Tode mischen würde. Ich hatte wohl in Rom manches davon erfahren, aber niemals im Zusammenhange. Die Künstler haben es in einem Lande ausstudiert wie Italien, wie dieses ist. Mit keinen Worten ist die dunstige Klarheit auszudrücken, die um die Küsten schwebte, als wir am schönsten Nachmittage gegen Palermo anfuhren. Die Reinheit der Konture, die Weichheit des Ganzen, das Auseinanderweichen der Töne, die Harmonie von Himmel, Meer und Erde. Wer es gesehen hat, der hat es auf sein ganzes Leben. Nun versteh' ich erst die Claude Lorrain und habe Hoffnung, auch dereinst in Norden aus meiner Seele Schattenbilder dieser glücklichen Wohnung hervorzubringen. Wäre nur alles Kleinliche so rein daraus weggewaschen als die Kleinheit der Strohdächer aus meinen Zeichenbegriffen. Wir wollen sehen, was diese Königin der Inseln tun kann.

Wie sie uns empfangen hat, habe ich keine Worte auszudrücken: mit frischgrünenden Maulbeerbäumen, immer grünendem Oleander, Zitronenhecken etc. In einem öffentlichen Garten stehn weite Beete von Ranunkeln und Anemonen. Die Luft ist mild, warm und wohlriechend, der Wind lau. Der Mond ging dazu voll hinter einem Vorgebirge herauf und schien ins Meer; und diesen Genuss, nachdem man vier Tage und Nächte auf den Wellen geschwebt! Verzeiht, wenn ich mit einer stumpfen Feder aus einer Tuschmuschel, aus der mein Gefährte die Umrisse nachzieht, dieses hinkritzle. Es kommt doch wie ein Lispeln zu euch hinüber, indes ich allen, die mich lieben, ein ander Denkmal dieser meiner glücklichen Stunden ["Nausikaa", Fragment geblieben] bereite. Was es wird, sag' ich nicht, wann Ihr es erhaltet, kann ich auch nicht sagen.

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Der Hafen von Palermo. Peint d'après nature par Wilhelm Huber. Gravé par Franz Hégui

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Der Hafen von Palermo. Peint d'après nature par Huber. Gravé par F. Hégui. In: Du. Schweizerische Monatsschrift. Nr. 1, März 1941, S. 20.

Huber, Wilhelm (Jakob W.), Maler u. Radierer, geb. 6. 12. 1787 in Düsseldorf, gest 3. 6. 1871 in Zürich. Studienreisen nach München und Wien, 1810 nach Italien. 1811/14 in Rom, wo er sich besonders an Peter Cornelius anschloss, mit dem er Orvieto besuchte. 1811 und 1814 bereiste er das Albanergebirge, weilte dann 4 Monate auf Sizilien und lebte um 1819 in Neapel. Seine Landschaften (Öl, Aquarell oder Sepia) waren sehr gesucht, und besonders in Neapel wurden sie von den reisenden Engländerinnen geschätzt." In Aquatinta gestochene Ansichten von Sizilien und Pompei. (Thieme-Becker)

Hegi, Franz, Schweizer Zeichner, Kupferstecher und Radierer, geb. in Lausanne 16. 4. 1774, gest. in Zürich 14. 3. 1850. (Thieme-Becker)

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Palermo - Cala, G. Lo Cascio e Schiavo

Saluti da Palermo, Il Porto con veduta della Città, Bucaro Gaspare - Palermo

Palermo, Il Porto con veduta della Città

Palermo, Hafen und Monte Pellegrino, Trinks-Bildkarte

Palermo, Monte Pellegrino, Porto, Photochromiekarte, Purger & Co., München

Kleiner und Großer Hafen
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1. Bild von oben: Palermo - Cala. 4211 - G. Lo Cascio e Schiavo. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Saluti da Palermo - Il Porto con veduta della Città. Adressseite: Bucaro Gaspare - Palermo. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo. Il Porto con veduta della Città. Adressseite: Poststempel 1914.
4. Bild von oben: Palermo, Hafen u. Monte Pellegrino. Umseitig: "Trinks-Bildkarte" Verlag Trinks & Co. G.m.b.H., Leipzig. Italien 11: Sicilien. Reihe 311, Bild 6. Palermo. Hafen u. Monte Pellegrino. Einfuhr: Getreide, Kohle, Maschinen. Ausfuhr: Apfelsinen, Zitronen, Wein, Schwefel. Der Monte Pellegrino ist 597 m hoch.
5. Bild von oben: Palermo. Il Monte Pellegrino col. Porto e l'antemurale. Adressseite: Purger & Co., München, Photochromiekarte No. 8638. Nicht gelaufen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Dienstag, den 3. April 1787

Dieses Blatt sollte nun, meine Geliebten, euch des schönsten Genusses, insofern es möglich wäre, teilhaft machen; es sollte die Schilderung der unvergleichlichen, eine große Wassermasse umfassenden Bucht überliefern. Von Osten herauf, wo ein flächeres Vorgebirg weit in die See greift, an vielen schroffen, wohlgebildeten, waldbewachsenen Felsen hin bis an die Fischerwohnungen der Vorstädte herauf, dann an der Stadt selbst her, deren äußere Häuser alle nach dem Hafen schauen, wie unsere Wohnung auch, bis zu dem Tore, durch welches wir hereinkamen.

Dann geht es westwärts weiter fort an den gewöhnlichen Landungsplatz, wo kleinere Schiffe anlegen, bis zu dem eigentlichen Hafen an den Molo, die Station größerer Schiffe. Da erhebt sich nun, sämtliche Fahrzeuge zu schützen, in Westen der Monte Pellegrino in seinen schönen Formen, nachdem er ein liebliches, fruchtbares Tal, das sich bis zum jenseitigen Meer erstreckt, zwischen sich und dem eigentlichen festen Land gelassen.

Kniep zeichnete, ich schematisierte, beide mit großem Genuss, und nun, da wir fröhlich nach Hause kommen, fühlen wir beide weder Kräfte noch Mut, zu wiederholen und auszuführen. Unsere Entwürfe müssen also für künftige Zeiten liegenbleiben, und dieses Blatt gibt euch bloß ein Zeugnis unseres Unvermögens, diese Gegenstände genugsam zu fassen, oder vielmehr unserer Anmaßung, sie in so kurzer Zeit erobern und beherrschen zu wollen.

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Christoph Heinrich Kniep, Reede von Palermo

Kniep, Reede von Palermo
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Kniep: Reede von Palermo. Graphitstift. "Die Skizze zeigt den Blick nach Osten mit den Bergen von Bagheria im Hintergrund." In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 102. Katalog Nr. 499.

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Palermo, Monte Pellegrino visto dal Molo, Edizione Francesco Verderosa - Palermo, Paul Trabert - Firenze-Lipsia

Palermo, Via Borgo e Monte Pellegrino

Palermo, Via Borgo, Edizione Francesco Verderosa - Palermo

Palermo, La Stazione di caricamento nel Porto

Palermo, Acqua Santa e Villa Belmonte, Verlag Dr. Trenkler, Leipzig

Molo und Monte Pelegrino
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1. Bild von oben: Palermo. Monte Pellegrino visto dal Molo. Edizione F[rancesco] Verderosa - Palermo. Adressseite, ungeteilt. Paul Trabert, Firenze-Lipsia. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Palermo - Via Borgo e Monte Pellegrino. Adressseite: 8703. Datiert u. Poststempel 1935. Gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo No. 26. Via Borgo. Edizione F[rancesco] Verderosa, Palermo. Adressseite ungeteilt. Purger & Co., München. Photochromiekarte 3631. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Palermo - La Stazione di caricamento nel Porto. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
5. Bild von oben: Palermo. Acqua Santa e Villa Belmonte. Signet. Dr. Trenkler Co., Lipsia. Pal. 12.  Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.

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Christoph Heinrich Kniep, Tal des Oreto

Johann Wolfgang Goethe, Tal des Oreto

Tal des Oreto
Zeichnungen von Kniep und Goethe
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Oben:  Kniep, Tal des Oreto. Graphitstift. "Von Gebirgen umgebenes Flusstal, links zwei Bäume an einer Staustufe, rechts eine kleine Kapelle.". In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 106. Katalog Nr. 533.
Unten: Goethe, Tal des Oreto. In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 107.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Mittwoch, den 4. April 1787

Nachmittags besuchten wir das fruchtreiche und angenehme Tal, welches die südlichen Berge herab an Palermo vorbeizieht, durchschlängelt von dem Fluss Orete. Auch hier wird ein malerisches Auge und eine geschickte Hand gefordert, wenn ein Bild soll gefunden werden, und doch erhaschte Kniep einen Standpunkt, da, wo das gestemmte Wasser von einem halbzerstörten Wehr herunterfließt, beschattet von einer fröhlichen Baumgruppe, dahinter das Tal hinaufwärts die freie Aussicht und einige landwirtschaftliche Gebäude.

Die schönste Frühlingswitterung und eine hervorquellende Fruchtbarkeit verbreitete das Gefühl eines belebenden Friedens über das ganze Tal, welches mir der ungeschickte Führer durch seine Gelehrsamkeit verkümmerte, umständlich erzählend, wie Hannibal hier vormals eine Schlacht geliefert und was für ungeheure Kriegstaten an dieser Stelle geschehen. Unfreundlich verwies ich ihm das fatale Hervorrufen solcher abgeschiedenen Gespenster. Es sei schlimm genug, meinte ich, dass von Zeit zu Zeit die Saaten, wo nicht immer von Elefanten, doch von Pferden und Menschen zerstampft werden müssten. Man solle wenigstens die Einbildungskraft nicht mit solchem Nachgetümmel aus ihrem friedlichen Traume aufschrecken.

Er verwunderte sich sehr, dass ich das klassische Andenken an so einer Stelle verschmähte, und ich konnte ihm freilich nicht deutlich machen, wie mir bei einer solchen Vermischung des Vergangenen und des Gegenwärtigen zumute sei.

Noch wunderlicher erschien ich diesem Begleiter, als ich auf allen seichten Stellen, deren der Fluss gar viele trocken lässt, nach Steinchen suchte und die verschiedenen Arten derselben mit mir forttrug. Ich konnte ihm abermals nicht erklären, dass man sich von einer gebirgigen Gegend nicht schneller einen Begriff machen kann, als wenn man die Gesteinsarten untersucht, die in den Bächen herabgeschoben werden, und dass hier auch die Aufgabe sei, durch Trümmer sich eine Vorstellung von jenen ewig klassischen Höhen des Erdaltertums zu verschaffen.

Auch war meine Ausbeute aus diesem Flusse reich genug, ich brachte beinahe vierzig Stücke zusammen, welche sich freilich in wenige Rubriken unterordnen ließen. Das meiste war eine Gebirgsart, die man bald für Jaspis oder Hornstein, bald für Tonschiefer ansprechen konnte. Ich fand sie teils in abgerundeten, teils unförmigen Geschieben, teils rhombisch gestaltet, von vielerlei Farben. Ferner kamen viele Abänderungen des ältern Kalkes vor, nicht weniger Breccien, deren Bindemittel Kalk, die verbundenen Steine aber bald Jaspis, bald Kalk waren. Auch fehlte es nicht an Geschieben von Muschelkalk.

Die Pferde füttern sie mit Gerste, Häckerling und Kleien; im Frühjahr geben sie ihnen geschosste grüne Gerste, um sie zu erfrischen, per rinfrescar, wie sie es nennen. Da sie keine Wiesen haben, fehlt es an Heu. Auf den Bergen gibt es einige Weide, auch auf den Äckern, da ein Drittel als Brache liegenbleibt. Sie halten wenig Schafe, deren Rasse aus der Barbarei kommt, überhaupt auch mehr Maultiere als Pferde, weil jenen die hitzige Nahrung besser bekommt als diesen.

Die Plaine, worauf Palermo liegt, sowie außer der Stadt die Gegend Ai Colli, auch ein Teil der Baggaria, hat im Grunde Muschelkalk, woraus die Stadt gebaut ist, daher man denn auch große Steinbrüche in diesen Lagen findet. In der Nähe von Monte Pellegrino sind sie an einer Stelle über funfzig Fuß tief. Die untern Lager sind weißer von Farbe. Man findet darin viel versteinte Korallen und Schaltiere, vorzüglich große Pilgermuscheln. Das obere Lager ist mit rotem Ton gemischt und enthält wenig oder gar keine Muscheln. Ganz obenauf liegt roter Ton, dessen Lage jedoch nicht stark ist.

Der Monte Pellegrino hebt sich aus allem diesem hervor; er ist ein älterer Kalk, hat viele Löcher und Spaltungen, welche, genau betrachtet, obgleich sehr unregelmäßig, sich doch nach der Ordnung der Bänke richten. Das Gestein ist fest und klingend.

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Palermo, Villa Igea e Monte Pellegrino, Giovanni Bucaro - Palermo

Palermo, Ponte dell Ammiraglio, Franceso Verderosa - Palermo

Palermo, Panorama, Edizione G[iovanni] B[ucaro] P[alermo], Fotocelere - Torino

Palermo, Monte Pellegrino, Verlag Stengel & Co. - Dresda

1. Bild von oben: Palermo - Villa Igea e Monte Pellerino. Adressseite: G[iovanni] B[ucaro] P[alermo]. Printed in Italy. Signet: Fotocelere. Torino. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Palermo - Ponte dell Ammiraglio. 1206 F[rancesco] Verderosa - Palermo. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo - Panorama. Adressseite: 60 - Ediz. G[iovanni] B[ucaro] P[alermo], Fotocelere - Torino. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Palermo. Monte Pellegrino. Stengel & Co., Dresda 19754. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen. 

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Gustav Parthey
"Fülle und Pracht" der Vegetation

Um den Rückweg nicht wieder auf der staubigen Chaussee zu nehmen, verfolgten wir ein wenig die Straße, welche durch Monreale hindurch in's höhere Gebirge führt, und senkten uns östlich in das steile Tal hinab, das, von dem Oretes durchschlängelt, sich gegen Palermo hinzieht. Die Fülle und Pracht dieser Vegetation lässt sich gar nicht beschreiben.

Am obern schmalen Ende des Tales liegen mehrere Mühlen über einander, deren jede mit dem lebendig herab rauschenden Wasser, von Ölbäumen, Granaten und Feigen überschattet, ein reizendes Bild gibt. Die Orangen stehen hier noch einzeln, aber nirgend ein unbenutztes Fleckchen; unter dem Schatten des verschiedenartigen Blätterwerkes steigt man an dem flachen Geländer die vielen Stufen und Rasentreppen hinab, welche von einer Mühle zur andern führen. Weiter unten beginnen die Orangenwaldungen. In Italien, bei Mola di Gaeta, Sorrento etc., sieht man doch nur Orangengärten, aber hier sind viele Morgen Landes damit bedeckt, und dazwischen liegen auf freien Plätzen die Wohnungen der Eigentümer. Die Haupternte ist zu Weihnachten, aber der Wunderbaum blüht und trägt fast das ganze Jahr, so dass nie Mangel an reifen Früchten ist; die zu früh abgefallenen oder sonst schadhaften werden gesammelt und neben den Häusern zu Haufen geschüttet, deren jeder viele Tausende enthalten mag. Zwischen den Orangenfeldern gehen schmale Fußsteige hin; zu beiden Seiten lachen die goldenen Früchte, so groß wie kleine Kürbisse, aus den dichtbelaubten Zweigen hervor.

So in schweigendem Entzücken an den südlichen Herrlichkeiten hingehend, wurde die Versuchung nach den Hesperidenäpfeln zu groß; ich trat ein paar Schritte aus dem Stege in das dichtere Gebüsch, pflückte, und teilte meinen nicht weniger begehrlichen Freunden mit. Kaum war der Diebstahl geschehen, als uns der Besitzer begegnete, der auf einem Esel 2 mächtige Körbe Orangen unter reinlichen breiten Feigenblättern heimführte; auf die Seite tretend, bewunderten wir die Pracht dieser ausgesuchten Früchte; er hielt den Esel an, und nötigte mit einem treuherzigen: Prendete, Signori, prendete, jedem ein Stück auf, ohne die angebotene Bezahlung anzunehmen. Selten habe ich eine größere innere Beschämung empfunden, als hier, wenn das gestohlne Gut auch nur ein paar Pfennige wert sein mochte.

Aus den Orangenwäldern kamen wir, gemach hinabsteigend, in die Olivenwälder; die Bäume stehn in größeren Zwischenräumen, hie und da von einer kerzengeraden schwarzen Zypresse malerisch durchschnitten. Die alten Ölstämme spalten sich leicht über dem Boden, sinken auf diese oder jene Seite, und bieten mit ihren wunderlichen Knollen und Ballen dem Zeichner die unschätzbarsten Baumstudien. Der Wald wird gegen die Stadt hin immer lichter; als wir auf das Feld hinaus kamen, war die Sonne schon längst unter, und erst in tiefer Dunkelheit gelangten wir nach Palermo hinein.

Quelle:
Gustav Parthey: Wanderungen durch Sicilien und die Levante. Erster Teil. Sicilien. Malta. Berlin: Nicolai'sche Buchhandlung 1834 (Digitalisierung durch Google), S. 31 f. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Stand angeglichen. Absätze eingefügt. - Über den Philologen und Kunsthistoriker Gustav Parthey (1798-1872) siehe den Eintrag in Wikipedia.

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Palermo, Fontana in Piazza Pretoria, Alterocca - Terni

Palermo, Piazza Pretoria

Palermo, Fontana Pretoria, Regina Giovanna, Edizione Giovanni Bucaro Palermo, Fotocelere - Torino

Fontana in Piazza Pretoria
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Oben: Palermo. Fontana in Piazza Pretoria. 4126 Alterocca - Terni. Nicht gelaufen.
Mitte: Palermo - Piazza Pretoria. Adressseite: Made in Italy. Im Briefmarkenfeld: Fotocelere. Nicht gelaufen.
Unten: Palermo - Fontana Pretoria - Regina Giovanna. Ediz. G[iovanni] B[ucaro] P[alermo], Fotocelere - Torino. Nicht gelaufen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Donnerstag, den 5. April 1787

 

Wir gingen die Stadt im besondern durch. Die Bauart gleicht meistens der von Neapel, doch stehen öffentliche Monumente, z.B. Brunnen, noch weiter entfernt vom guten Geschmack. Hier ist nicht wie in Rom ein Kunstgeist, welcher die Arbeit regelt; nur von Zufälligkeiten erhält das Bauwerk Gestalt und Dasein. Ein von dem ganzen Inselvolke angestaunter Brunnen [Monumentalbrunnen an der Piazza Pretoria] existierte schwerlich, wenn es in Sizilien nicht schönen, bunten Marmor gäbe, und wenn nicht gerade ein Bildhauer, geübt in Tiergestalten, damals Gunst gehabt hätte. Es wird schwerhalten, diesen Brunnen zu beschreiben. Auf einem mäßigen Platze steht ein rundes architektonisches Werk, nicht gar stockhoch, Sockel, Mauer und Gesims von farbigem Marmor; in die Mauer sind in einer Flucht mehrere Nischen angebracht, aus welchen, von weißem Marmor gebildet, alle Arten Tierköpfe auf gestreckten Hälsen herausschauen: Pferd, Löwe, Kamel, Elefant wechseln miteinander ab, und man erwartete kaum hinter dem Kreise dieser Menagerie einen Brunnen, zu welchem von vier Seiten durch gelassene Lücken marmorne Stufen hinaufführen, um das reichlich gespendete Wasser schöpfen zu lassen.

Etwas Ähnliches ist es mit den Kirchen, wo die Prachtliebe der Jesuiten noch überboten ward, aber nicht aus Grundsatz und Absicht, sondern zufällig, wie allenfalls ein gegenwärtiger Handwerker, Figuren- oder Laubschnitzer, Vergolder, Lackierer und Marmorierer gerade das, was er vermochte, ohne Geschmack und Leitung an gewissen Stellen anbringen wollte.

Dabei findet man eine Fähigkeit, natürliche Dinge nachzuahmen, wie denn z.B. jene Tierköpfe gut genug gearbeitet sind. Dadurch wird freilich die Bewunderung der Menge erregt, deren ganze Kunstfreude darin besteht, dass sie das Nachgebildete mit dem Urbilde vergleichbar findet.

Gegen Abend machte ich eine heitere Bekanntschaft, indem ich auf der langen Straße bei einem kleinen Handelsmanne eintrat, um verschiedene Kleinigkeiten einzukaufen. Als ich vor dem Laden stand, die Ware zu besehen, erhob sich ein geringer Luftstoß, welcher, längs der Straße herwirbelnd, einen unendlichen erregten Staub in alle Buden und Fenster sogleich verteilte. »Bei allen Heiligen! sagt mir«, rief ich aus, »woher kommt die Unreinlichkeit eurer Stadt, und ist derselben denn nicht abzuhelfen? Diese Straße wetteifert an Länge und Schönheit mit dem Corso zu Rom. An beiden Seiten Schrittsteine, die jeder Laden-und Werkstattbesitzer mit unablässigem Kehren reinlich hält, indem er alles in die Mitte hinunterschiebt, welche dadurch nur immer unreinlicher wird und euch mit jedem Windshauch den Unrat zurücksendet, den ihr der Hauptstraße zugewiesen habt. In Neapel tragen geschäftige Esel jeden Tag das Kehricht nach Gärten und Feldern, sollte denn bei euch nicht irgendeine ähnliche Einrichtung entstehen oder getroffen werden?«

»Es ist bei uns nun einmal, wie es ist«, versetzte der Mann; »was wir aus dem Hause werfen, verfault gleich vor der Türe übereinander. Ihr seht hier Schichten von Stroh und Rohr, von Küchenabgängen und allerlei Unrat, das trocknet zusammen auf und kehrt als Staub zu uns zurück. Gegen den wehren wir uns den ganzen Tag. Aber seht, unsere schönen, geschäftigen, niedlichen Besen vermehren, zuletzt abgestumpft, nur den Unrat vor unsern Häusern.«

Und lustig genommen, war es wirklich an dem. Sie haben niedliche Beschen von Zwergpalmen, die man, mit weniger Abänderung, zum Fächerdienst eignen könnte, sie schleifen sich leicht ab, und die stumpfen liegen zu Tausenden in der Straße. Auf meine wiederholte Frage, ob dagegen keine Anstalt zu treffen sei, erwiderte er, die Rede gehe im Volke, dass gerade die, welche für Reinlichkeit zu sorgen hätten, wegen ihres großen Einflusses nicht genötigt werden könnten, die Gelder pflichtmäßig zu verwenden, und dabei sei noch der wunderliche Umstand, dass man fürchte, nach weggeschafftem misthaftem Geströhde werde erst deutlich zum Vorschein kommen, wie schlecht das Pflaster darunter beschaffen sei, wodurch denn abermals die unredliche Verwaltung einer andern Kasse zutage kommen würde. Das alles aber sei, setzte er mit possierlichem Ausdruck hinzu, nur Auslegung von Übelgesinnten, er aber von der Meinung derjenigen, welche behaupten, der Adel erhalte seinen Karossen diese weiche Unterlage, damit sie des Abends ihre herkömmliche Lustfahrt auf elastischem Boden bequem vollbringen könnten. Und da der Mann einmal im Zuge war, bescherzte er noch mehrere Polizeimissbräuche, mir zu tröstlichem Beweis, dass der Mensch noch immer Humor genug hat, sich über das Unabwendbare lustig zu machen.

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Palermo, Monte Pellegrino. Fotocelere, Cesare Capello - Milano

Palermo. C. Andelfinger & Co. - München

Palermo, Panorama e Monte Pellegrino. Giovanni Bucaro - Palermo

Tipi SicilianiCostumi Siciliani All' Acqua

Monte Pellegrino und Kostümbilder
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1. Bild von oben: Palermo - Monte Pellegrino. Adressseite: 1935 - "Fotocelere", Cesare Capello - Milano. Im Briefmarkenfeld: 11105. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Palermo. [Ohne Titel] Adressseite: Signet C A & Co. [C. Andelfinger & Co., München] Serie757. Mittelmeer. No. 5. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo - Panorama e Monte Pellegrino. Adressseite: G. B. P. Made in Italy. Signet: Fotocelere Torino. Nicht gelaufen.
Untere Reihe, linkes Bild: Tipi Siciliani. Adressseite: 53. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.
Untere Reihe, rechtes Bild: Costumi Siciliani "All' Acqua". Adressseite, Signet: STA. Nicht gelaufen.

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Andreas Oppermann
Monte Pellegrino

Die Form des Monte Pellegrino, einmal gesehen, prägt sich dem Gedächtnisse für immer ein. Es ist, als ob die Natur sich darin gefallen hätte, einmal ein großes Werk der Architektur auszuführen, als ob ein gewaltiger Gott in stillem Gebaren des Schaffens sich gefreut hätte, den Menschen einmal zu zeigen, wie er Stereometrie treibe. Der Pellegrino ist der schönste und großartigste und zugleich der poetischste und liebenswürdigste Berg, den ich gesehen.

Mag unten das donnernde Meer mit seinen schwarzgrünen Wogen bis hoch an seine Felsen hinan gischen und schäumend sich aufbäumen, Sturm und Wolken seinen Gipfel umlagern, oder mag sein glänzendes Haupt hoch über der tiefblauen glatten Meeresfläche, über das herrliche Ruhebild der sizilianischen Küste sich erheben - immer, welche ewige, gewaltige Schönheit!

Nahe bei einer so volkreichen Stadt gelegen, kaum eine halbe Stunde davon entfernt, herrscht an seinem Fuße die tiefste Natureinsamkeit. An der nach Norden zu gelegenen, schroff abfallenden Seite führt unmittelbar über dem Meere an den Felsen hin ein selten betretener Weg nach dem abgelegenen Fischerdorfe Tonnara. Auch hier hörte ich einstmals Gesang, dessen Strophen, kurz, in lang hingezogenen schwermütigen Klängen endeten und doch, wenn der Sänger von Neuem anhub, jedesmal wieder überraschend durch die Leidenschaftlichkeit des Einsatzes wirkten. Ein Ziegenhirte war's, der oben in den Felsenklüften sitzend sang. Wie ergreifend waren diese Naturklänge am einsamen Meer zwischen den sonnenglänzenden Bergen, deren classische Formen von bezaubernder Schönheit durchflossen sind! Nicht mehr glaubte ich in der Gegenwart zu leben, frische homerische Welt umgab mich. Wer Sizilien gesehen, dies Meer, diesen Himmel, der versteht ihre epische Größe erst recht. Was ist denn der Anblick dieser träumenden, unendlichen See, dieser jach aus den Fluten ragenden Wände, welche farbenprangend in der Mittagsglut sich zum tiefblauen Himmel erheben, dieses Duftes der fernen Küstengebirge? Nichts Anderes, als das Bild des zur Mittagszeit im Schatten des einsamen Ufers ruhenden Meergottes Poseidon!

Quelle:
Palermo. Erinnerungen von Andreas Oppermann. Breslau: Eduard Trewendt 1860 (Digitalisierung durch Google), S. 283 f. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Stand angeglichen.

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Christoph Heinrich Kniep, Rosalienheiligtum, Skizze

Johann Wolfgang Goethe, Rosalienheiligtum, Skizze

Rosalienheiligtum
Zeichnungen von Kniep und Goethe

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Oben: Kniep, Rosalienheiligtum. "Die Skizze zeigt die Lage des Rosalienheiligtums am Monte Pellegrino. Der Eingangsbereich befindet sich nicht sichtbar an dem Klostergebäude in der linken Bildhälfte. Goethe zeichnete den Ort aus der entgegengesetzten Richtung." In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 108. Katalog Nr. 501.
Unten: Goethe, Rosalienheiligtum. In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 109.

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Palermo, Santuario di Rosalia sul Monte Pellegrino. Giovanni Bucaro - Palermo

Palermo, Monte Pellegrino, La grotta di S. Rosalia. Verlag Dr. Trenkler - Lipsia

Palermo, Grotta di S. Rosalia

Palermo, Statua di Santa Rosalia sul Monte Pellegrino. Ediz. Giovanni Bucaro - Palermo. Fotocelere - Torino

Santuario di S. Rosalia
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1. Bild von oben: Palermo - Santuario di Rosalia sul Monte Pellegrino. Adressseite, Signet: B G P [Giovanni Bucaro, Palermo]. Nicht gelaufen.
2. Bild von oben: Palermo. Monte Pellegrino. La grotta di S. Rosalia. Dr. Trenkler Co., Lipsia. 3760. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
3. Bild von oben: Palermo - Grotta di S. Rosalia. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.
4. Bild von oben: Palermo - Statua di Santa Rosalia sul Monte Pelletrino. Ediz. Giovanni Bucaro - Palermo. Fotocelere - Torino. nicht gelaufen.

Zur Heiligen Rosalia und ihrer Darstellung siehe den Eintrag in Wikipedia sowie
* Lexikon der christlichen Ikonographie. Hrsg. von Wolfgang Braunfels. Bd. 8. Freiburg: Herder 1976, S. 287 f.. ISBN 3-451-22568-9

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, den 6. April 1787

Die heilige Rosalie, Schutzpatronin von Palermo, ist durch die Beschreibung, welche Brydone (1) von ihrem Feste gegeben hat, so allgemein bekannt geworden, dass es den Freunden gewiss angenehm sein muss, etwas von dem Orte und der Stelle, wo sie besonders verehrt wird, zu lesen.

Der Monte Pellegrino, eine große Felsenmasse, breiter als hoch, liegt an dem nordwestlichen Ende des Golfs von Palermo. Seine schöne Form lässt sich mit Worten nicht beschreiben; eine unvollkommene Abbildung davon findet sich in dem »Voyage pittoresque de la Sicile« (2). Er bestehet aus einem grauen Kalkstein der früheren Epoche. Die Felsen sind ganz nackt, kein Baum, kein Strauch wächst auf ihnen, kaum, dass die flachliegenden Teile mit etwas Rasen und Moos bedeckt sind.

In einer Höhle dieses Berges entdeckte man zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Gebeine der Heiligen und brachte sie nach Palermo. Ihre Gegenwart befreite die Stadt von der Pest, und Rosalie war seit diesem Augenblicke die Schutzheilige des Volks; man baute ihr Kapellen und stellte ihr zu Ehren glänzende Feierlichkeiten an.

Die Andächtigen wallfahrteten fleißig auf den Berg, und man erbaute mit großen Kosten einen Weg, der wie eine Wasserleitung auf Pfeilern und Bogen ruht und in einem Zickzack zwischen zwei Klippen hinaufsteigt.

Der Andachtsort selbst ist der Demut der Heiligen, welche sich dahin flüchtete, angemessener als die prächtigen Feste, welche man ihrer völligen Entäußerung von der Welt zu Ehren anstellte. Und vielleicht hat die ganze Christenheit, welche nun achtzehnhundert Jahre ihren Besitz, ihre Pracht, ihre feierlichen Lustbarkeiten auf das Elend ihrer ersten Stifter und eifrigsten Bekenner gründet, keinen heiligen Ort aufzuweisen, der auf eine so unschuldige und gefühlvolle Art verziert und verehrt wäre.

Wenn man den Berg erstiegen hat, wendet man sich um eine Felsenecke, wo man einer steilen Felswand nah gegenüber steht, an welcher die Kirche und das Kloster gleichsam festgebaut sind.

Die Außenseite der Kirche hat nichts Einladendes noch Versprechendes; man eröffnet die Türe ohne Erwartung, wird aber auf das wunderbarste überrascht, indem man hineintritt. Man befindet sich unter einer Halle, welche in der Breite der Kirche hinläuft und gegen das Schiff zu offen ist. Man sieht in derselben die gewöhnlichen Gefäße mit Weihwasser und einige Beichtstühle. Das Schiff der Kirche ist ein offner Hof, der an der rechten Seite von rauhen Felsen, auf der linken von einer Kontinuation der Halle zugeschlossen wird. Er ist mit Steinplatten etwas abhängig belegt, damit das Regenwasser ablaufen kann; ein kleiner Brunnen steht ungefähr in der Mitte.

Die Höhle selbst ist zum Chor umgebildet, ohne dass man ihr von der natürlichen rauhen Gestalt etwas genommen hätte. Einige Stufen führen hinauf: gleich steht der große Pult mit dem Chorbuche entgegen, auf beiden Seiten die Chorstühle. Alles wird von dem aus dem Hofe oder Schiff einfallenden Tageslicht erleuchtet. Tief hinten in dem Dunkel der Höhle steht der Hauptaltar in der Mitte.

Man hat, wie schon gesagt, an der Höhle nichts verändert; allein da die Felsen immer von Wasser träufeln, war es nötig, den Ort trocken zu halten. Man hat dieses durch bleierne Rinnen bewirkt, welche man an den Kanten der Felsen hergeführt und verschiedentlich miteinander verbunden hat. Da sie oben breit sind und unten spitz zulaufen, auch mit einer schmutzig grünen Farbe angestrichen sind, so sieht es fast aus, als wenn die Höhle inwendig mit großen Kaktusarten bewachsen wäre. Das Wasser wird teils seitwärts, teils hinten in einen klaren Behälter geleitet, woraus es die Gläubigen schöpfen und gegen allerlei Übel gebrauchen.

Da ich diese Gegenstände genau betrachtete, trat ein Geistlicher zu mir und fragte mich, ob ich etwa ein Genueser sei und einige Messen wollte lesen lassen. Ich versetzte ihm darauf, ich sei mit einem Genueser nach Palermo gekommen, welcher morgen als an einem Festtage heraufsteigen würde. Da immer einer von uns zu Hause bleiben müsste, wäre ich heute heraufgegangen, mich umzusehen. Er versetzte darauf, ich möchte mich aller Freiheit bedienen, alles wohl betrachten und meine Devotion verrichten. Besonders wies er mich an einen Altar, der links in der Höhle stand, als ein besonderes Heiligtum und verließ mich.

Ich sah durch die Öffnungen eines großen, aus Messing getriebenen Laubwerks Lampen unter dem Altar hervorschimmern, kniete ganz nahe davor hin und blickte durch die Öffnungen. Es war inwendig noch ein Gitterwerk von feinem geflochtenem Messingdraht vorgezogen, so dass man nur wie durch einen Flor den Gegenstand dahinter unterscheiden konnte.

Ein schönes Frauenzimmer erblickt' ich bei dem Schein einiger stillen Lampen.

Sie lag wie in einer Art von Entzückung, die Augen halb geschlossen, den Kopf nachlässig auf die rechte Hand gelegt, die mit vielen Ringen geschmückt war. Ich konnte das Bild nicht genug betrachten; es schien mir ganz besondere Reize zu haben. Ihr Gewand ist aus einem vergoldeten Blech getrieben, welches einen reich von Gold gewirkten Stoff gar gut nachahmt. Kopf und Hände, von weißem Marmor, sind, ich darf nicht sagen in einem hohen Stil, aber doch so natürlich und gefällig gearbeitet, dass man glaubt, sie müsste Atem holen und sich bewegen.

Ein kleiner Engel steht neben ihr und scheint ihr mit einem Lilienstengel Kühlung zuzuwehen.

Unterdessen waren die Geistlichen in die Höhle gekommen, hatten sich auf ihre Stühle gesetzt und sangen die Vesper.

Ich setzte mich auf eine Bank gegen dem Altar über und hörte ihnen eine Weile zu; alsdann begab ich mich wieder zum Altare, kniete nieder und suchte das schöne Bild der Heiligen noch deutlicher gewahr zu werden. Ich überließ mich ganz der reizenden Illusion der Gestalt und des Ortes.

Der Gesang der Geistlichen verklang nun in der Höhle, das Wasser rieselte in das Behältnis gleich neben dem Altare zusammen, die überhangenden Felsen des Vorhofs, des eigentlichen Schiffs der Kirche, schlossen die Szene noch mehr ein. Es war eine große Stille in dieser gleichsam wieder ausgestorbenen Wüste, eine große Reinlichkeit in einer wilden Höhle; der Flitterputz des katholischen, besonders sizilianischen Gottesdienstes, hier noch zunächst seiner natürlichen Einfalt; die Illusion, welche die Gestalt der schönen Schläferin hervorbrachte, auch einem geübten Auge noch reizend – genug, ich konnte mich nur mit Schwierigkeit von diesem Orte losreißen und kam erst in später Nacht wieder in Palermo an.

Anmerkungen:
(1) Patrick Brydone: A Tour Through Sicily, 1772. "G. benutzte die dt. Ausgabe: Reise durch Sicilien und Malta in Briefen an William Beckford zu Somerly in Suffolk. 2 Bde. Leipzig 1774, die er am 27. August 1788 aus der Weimarer Bibliothek entlieh." (Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 15, Kommentar S. 1018)
(2) Abbé Jean Claude de Saint-Non: Voyage pittoresque ou description des Royaumes de Naples et de Sicile. 5 Bde. Paris 1781-86. Radierung von Claude-Louis Chatelet; Bd. 4/1, S. 136, Nr. 55 und 56. (Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 15, Kommentar S. 1021 f.)

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Palermo, Monte Pellegrino, Interno della Grotta. Photochromiekarte. Purger & Co. - München

Grotta di S. Rosalia
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Palermo No. 63. Monte Pellegrino. Interno della Grotta. Adressseite: Purger & Co., München, Photochromiekarte 4078. Gelaufen. Poststempel unleserlich.

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August Wilhelm Kephalides
Grotte der Rosalia

Wir kehrten von hier zum Heiligtum der Rosalia zurück. Eine dunkle Grotte zieht sich tief in den wilden Fels hinein. Von vorn ist sie durch eine Mauer geschlossen, welche die Vorderseite einer Kirche vorstellt. Die Grotte ist nur unter Dach, soweit sie das Felsengewölbe bedeckt, der vordere Teil hinter der Mauer ist unter freiem Himmel, welcher damals, gerade die rötlichen Strahlen der untergehenden Sonne in das dunkle Heiligtum abspiegelnd, diesen Wohnort der Melancholie magisch erleuchtete; große Lockengewinde hängen von den Felsenwänden und im Hintergrunde schläft beim flimmernden Lichte einiger Lampen die schöne, junge Heilige. Edelsteine blitzen um sie, ein prächtiges Gewand deckt den reizenden Körper; ihre Lilienwangen scheinen durch den Lampenschimmer angehaucht, kein leisester Laut stört ihren Schlummer, wir lauschen nur, ob die zarte Brust nicht atme; ihr Haupt ruht sanft in der rechten Hand, und ein Engel behütet das holde Mädchen. Gegen Mitternacht leuchtete uns der helle Mond nach Palermo hinab.

Quelle:
August Wilhelm Kephalides: Reise durch Italien und Sicilien. Erster Teil. Leipzig: Gerhard Fleischer d. J. 1818 (Digitalisierung durch Google), S. 237. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Gebrauch angeglichen. - August Wilhelm Kephalides (1789-1820), Privatdozent an der Universität Breslau und Professor am dortigen Friedrichs-Gymnasium. (Deutsches Biographisches Archiv)

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Palermo Ed. Melendez - Piazza Marina - Ficus

R. Orto Botanico di Palermo. Esemplare gigantesco di Piptanthocereus jamacaruPalermo - Giardino Garibaldi III.

Palermo. Giardino Inglese. Ediz. Francesco Verderosa - Palermo

Palermo. Villa Tasca veduta del Parco. Ediz. Francesco Verderosa - Palermo

Gärten
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1. Bild: 1037 - Palermo Ed. Melendez - Piazza Marina - Ficus. Nicht gelaufen.
2. Bild: [Ohne Titel] Adressseite: R. Orto Botanico di Palermo. Esemplare gigantesco di Piptanthocereus jamacaru. Nicht gelaufen.
3. Bild: Palermo - Giardino Garibaldi III. Adresseite: Made in Italy. Signet im Briefmarkenfeld: Fotocelere. Nicht gelaufen.
4. Bild:  Palermo - Giardino Inglese. Adressseite: 2480 Ediz. F[rancesco] Verderosa - Palermo. Nicht gelaufen.
5. Bild: Palermo - Villa Tasca veduta del Parco.  Adressseite: 2479 Ediz. F[rancesco] Verderosa - Palermo. Nicht gelaufen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Sonnabend, den 7. April 1787

In dem öffentlichen Garten unmittelbar an der Reede brachte ich im stillen die vergnügtesten Stunden zu. Es ist der wunderbarste Ort von der Welt. Regelmäßig angelegt, scheint er uns doch feenhaft; vor nicht gar langer Zeit gepflanzt, versetzt er ins Altertum. Grüne Beeteinfassungen umschließen fremde Gewächse, Zitronenspaliere wölben sich zum niedlichen Laubengange, hohe Wände des Oleanders, geschmückt von tausend roten nelkenhaften Blüten, locken das Auge. Ganz fremde, mir unbekannte Bäume, noch ohne Laub, wahrscheinlich aus wärmern Gegenden, verbreiten seltsame Zweige. Eine hinter dem flachen Raum erhöhte Bank lässt einen so wundersam verschlungenen Wachstum übersehen und lenkt den Blick zuletzt auf große Bassins, in welchen Gold- und Silberfische sich gar lieblich bewegen, bald sich unter bemooste Röhren verbergen, bald wieder scharenweis, durch einen Bissen Brot gelockt, sich versammeln. An den Pflanzen erscheint durchaus ein Grün, das wir nicht gewohnt sind, bald gelblicher, bald blaulicher als bei uns. Was aber dem Ganzen die wundersamste Anmut verlieh, war ein starker Duft, der sich über alles gleichförmig verbreitete, mit so merklicher Wirkung, dass die Gegenstände, auch nur einige Schritte hintereinander entfernt, sich entschiedener hellblau voneinander absetzten, so dass ihre eigentümliche Farbe zuletzt verlorenging, oder wenigstens sehr überbläut sie sich dem Auge darstellten.

Welche wundersame Ansicht ein solcher Duft entfernteren Gegenständen, Schiffen, Vorgebirgen erteilt, ist für ein malerisches Auge merkwürdig genug, indem die Distanzen genau zu unterscheiden, ja zu messen sind; deswegen auch ein Spaziergang auf die Höhe höchst reizend ward. Man sah keine Natur mehr, sondern nur Bilder, wie sie der künstlichste Maler durch Lasieren auseinander gestuft hätte.

Aber der Eindruck jenes Wundergartens war mir zu tief geblieben; die schwärzlichen Wellen am nördlichen Horizonte, ihr Anstreben an die Buchtkrümmungen, selbst der eigene Geruch des dünstenden Meeres, das alles rief mir die Insel der seligen Phäaken in die Sinne sowie ins Gedächtnis. Ich eilte sogleich, einen Homer zu kaufen, jenen Gesang [Odyssee, 7. Gesang, Verse 112 ff. über den Garten des Phäakenkönigs Alkinoos] mit großer Erbauung zu lesen und eine Übersetzung aus dem Stegreif Kniepen vorzutragen, der wohl verdiente, bei einem guten Glase Wein von seinen strengen heutigen Bemühungen behaglich auszuruhen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, den 8. April 1787. Ostersonntag

Nun aber ging die lärmige Freude über die glückliche Auferstehung des Herrn mit Tagesanbruch los. Petarden, Lauffeuer, Schläge, Schwärmer und dergleichen wurden kastenweis vor den Kirchtüren losgebrannt, indessen die Gläubigen sich zu den eröffneten Flügelpforten drängten. Glocken- und Orgelschall, Chorgesang der Prozessionen und der ihnen entgegnenden geistlichen Chöre konnten wirklich das Ohr derjenigen verwirren, die an eine so lärmende Gottesverehrung nicht gewöhnt waren.

Die frühe Messe war kaum geendigt, als zwei wohlgeputzte Laufer des Vizekönigs unsern Gasthof besuchten, in der doppelten Absicht, einmal den sämtlichen Fremden zum Feste zu gratulieren und dagegen ein Trinkgeld einzunehmen, mich sodann zur Tafel zu laden, weshalb meine Gabe etwas erhöht werden musste.

Nachdem ich den Morgen zugebracht, die verschiedenen Kirchen zu besuchen und die Volksgesichter und Gestalten zu betrachten, fuhr ich zum Palast des Vizekönigs, welcher am obern Ende der Stadt liegt. Weil ich etwas zu früh gekommen, fand ich die großen Säle noch leer, nur ein kleiner, munterer Mann ging auf mich zu, den ich sogleich für einen Malteser erkannte.

Als er vernahm, dass ich ein Deutscher sei, fragte er, ob ich ihm Nachricht von Erfurt zu geben wisse, er habe daselbst einige Zeit sehr angenehm zugebracht. Auf seine Erkundigungen nach der von Dachrödischen Familie, nach dem Koadjutor von Dalberg, konnte ich ihm hinreichende Auskunft geben, worüber er sehr vergnügt nach dem übrigen Thüringen fragte. Mit bedenklichem Anteil erkundigte er sich nach Weimar. »Wie steht es denn«, sagte er, »mit dem Manne, der, zu meiner Zeit jung und lebhaft, daselbst Regen und schönes Wetter machte? Ich habe seinen Namen vergessen, genug aber, es ist der Verfasser des ›Werthers‹.«

Nach einer kleinen Pause, als wenn ich mich bedächte, erwiderte ich: »Die Person, nach der Ihr Euch gefällig erkundigt, bin ich selbst!« – Mit dem sichtbarsten Zeichen des Erstaunens fuhr er zurück und rief aus: »Da muss sich viel verändert haben!« – »O ja!« versetzte ich, »zwischen Weimar und Palermo hab' ich manche Veränderung gehabt.«

In dem Augenblick trat mit seinem Gefolge der Vizekönig herein und betrug sich mit anständiger Freimütigkeit, wie es einem solchen Herrn geziemt. Er enthielt sich jedoch nicht des Lächelns über den Malteser, welcher seine Verwunderung, mich hier zu sehen, auszudrücken fortfuhr. Bei Tafel sprach der Vizekönig, neben dem ich saß, über die Absicht meiner Reise und versicherte, dass er Befehl geben wolle, mich in Palermo alles sehen zu lassen und mich auf meinem Wege durch Sizilien auf alle Weise zu fördern.

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Johann Heinrich Bartels
Über den "Nationalcharakter der Palermitaner"

"Aus allen vier Teilen Palermos, gebildet durch die beschriebenen beiden Straßen, strömen durch kleine Nebengassen, die bald in regellosen Krümmungen, bald in geraden Linien, in dem Cassare und der Strada nova sich endigen, wie Nebenströme sich in den Hauptstrom ergießen, das Volk in Menge auf die Hauptgassen zusammen, und dränget sich mit lärmenden Getöse durch dieselben hin. Neben den großen schmuckreichen Palästen, und den an Zierraten überladenen Kirchen, Plätzen mit Statuen besetzet, alle in dem echt palermitanischen ausschweifenden Geschmacke, sehen Sie hier, im seltsamen Gemische, große Kaufmannsgewölbe, ausgezieret wie Marktschreier Buden, Gold und Flitterstaat ist nicht gesparet, besonders haben die Tuchhändler, bei der öffentlichen Ausstellung, und dem Preisbieten ihrer verschiedenfarbigen Ware, einen wahren Harlekinsschmuck angebracht, und Verse von der saubersten Komposition prangen darüber her. Dies alles locket das Volk an, das mehr, wie irgend eines, nach etwas haschet, das in die Sinne fället, und desto bizarrer die Kompositionen sind, desto auffallender die Idee des Ganzen, und desto bunter und glänzender die Ausführung ist, um desto mehr Gefallen daran zeiget.

Es ist dies ächter Nationalcharakter der Palermitaner. Alles was simpel, einförmig ist, und in den gewöhnlichen Grenzen bleibet, die entweder ein gewisses Dekorum, oder bestimmte Kunstregeln bezeichnet haben, ist ihnen langweilig und unerträglich; sie haben nur Sinn und Gefühl für das Außerordentliche, und Wunderbare; alles muss grell bei ihnen aufgetragen, und abstechend in der Darstellung sein; daher konnte einzig bei ihnen ein Prinz von Palagonia geboren werden, der, ohne selbst ganz Narr zu sein, ein Narrenhaus aus seinem Landhause schuf, und es mit Ungeheuern verzierete, die teils seine wilde Phantasie selbst zusammensetzete, teils er, wenn sie nur neu und unerhöret waren, mit vielem Gelde bezahlete.

Männer der Art sind selbst unter der gebildeten Klasse von Menschen nicht selten, und unter dem Volke sehr gewöhnlich; hiervon überzeuget alles, was man siehet und höret: die grellsten Farben sind die größeste Zierde in den Gebäuden, und der Schmuck der Einwohner, grüne Strümpfe mit vielfarbigten Blumen, rote Beinkleider, blaue Westen, und dabei ein fleischfarbigter Rock. Auch siehet man durchaus die heftigsten Actionen, die, selbst bei lachender Freude, Furcht erregen.

Eben so sind die Menschen bei ihren religiösen Handlungen, der Anblick des Venerabile lehret sie den tiefen Kot der Gassen nicht scheuen, und ich sah sie mit einer Inbrunst auf das Pflaster hinfallen, dass ich Beinbrüche besorgete; eben so war's in den Kirchen, wo ich durchaus eine solche leidenschaftliche Andacht bemerkete, dass ich ohne Übertreibung behaupten kann, würde sich einer bei uns auf die Weise gebärden, wie das Gros der Nation sich hier betrug, wir würden ihn ins Tollhaus schicken. Es scheinet, als ob der heiße afrikanische Wind, - der in den Sommermonaten, wenn er erst über die Berge, die Palermo umgeben, herüber gekommen ist, hier unerträglicher, wie in irgend einem Teile der Insel sein soll, - das Gehirn der Einwohner verbrannt und ihre Phantasie zu regellosen Ausschweifungen erhitzet habe.

Ruhige Vergnügungen, die mehr Geist und Herz beschäftigen, als den äußeren Sinn rühren, sind nicht für sie: das frohe Gefühl, fern von aller Pracht und Schein, in stiller Einsamkeit sein Glück in sich selbst und den Seinigen zu finden, kennen sie nicht: eine lärmende Bachantenwut ist ihr Element, und ein Enthusiasmus, wie er dadurch erzeuget wird, die Seele ihres Tuns.

Ausdaurende Stetigkeit suchet man daher vergebens bei ihnen, sie fliegen von einem Gegenstand auf den anderen, und alles, was der große Haufe unternimmet, artet bei ihm zur Manie aus, er mag nun mit seinen eigenen Erfindungen sich beschäftigen, oder im Nachahmen fremder Sitten seine Freude suchen; so ist izt z.B. die Anglomanie in Palermo eingerissen, die, wie eine epidemische Krankheit, die Jugend angestecket hat. Alle, die zu ihrer Fahne schwören, nennen sich Leute vom bon ton, daher sie dann den Beinamen der Intonari erhalten haben.

Ich muss Ihnen die lächerliche Figur, und das sonderbare Betragen eines solchen Menschen etwas umständlicher beschreiben. Er geht daher in einem dunkeln Rocke, träget beständig lederne Beinkleider, Stiefeln, einen runden Hut, und aufgeschlagene Haare; zuweilen hat er einen Knotenstock; öfterer aber noch die Hände in Rock- und Hosentasche. Grüßen ist ihm ein Verbrechen, und Geschwätzigkeit würde ihn unwürdig zum Intonato machen. Ich habe selbst Beispiele davon gehabt, dass einer eine Weile seine Rolle vergaß, und mit seiner natürlichen Lebhaftigkeit mir dies und jenes zu erzählen anfing, wie er auf einmal, eingedenk seiner zu spielenden Rolle, sich umwandte, fortging, und kein Wort weiter redete. Wäsche soll sehr simpel sein, so lauten die ausdrücklichen Gesetze der englischen Sekte. Vor einigen Tagen sündigete Einer dagegen, trug Spitzen, und wurde für den Frevel auch sogleich bestrafet; schweigend naheten sich ihm einige seiner Mitintonaten, rissen ihm die Spitzen in Stücke, und gingen ruhig fort. [...]

Aus allen diesen einzelnen Zügen werden Sie sehen, dass ich nicht unrecht habe zu behaupten, dass wer den Palermitanischen Charakter zeichnen will, beständig ins Übertriebene malen muss.

Quelle:
Johann Heinrich Bartels: Briefe über Kalabrien und Sizilien. Dritter Teil: Reise von Katanien in Sizilien bis zurück nach Neapel. Göttingen: Johann Christian Dieterich 1792 (Digitalisierung durch Google), S. 536-540. Rechtschreibung und Zeichensetzung nur vorsichtig dem heutigen Stand angeglichen, um die Patina des Textes zu bewahren. - Über Johann Heinrich Bartels (1761-1850), Gelehrter und von 1820 bis 1850 Bürgermeister in Hamburg siehe den Eintrag in Wikipedia.

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George W. D. Evans
Festival of S. Rosalia

During the festival of S. Rosolia [sic!] - a festival which lasts from the ninth to the thirteenth of July, and rivals, if it does not even surpass, that held at Messina in honour of the Virgin - the public garden is illuminated, and presents at that time a very magnificent spectacle. The bones of this tutelary Saint of Palermo - who, as we have already seen, abandoned the comforts of her father's house, and the pleasures of court, to lead a life of solitude and devotion on Monte Pellegrino, and who, according to the legend, disappeared about the year 1159 - were, owing to a vision vouchsafed to some favoured mortal, discovered in a cavern on that mount during the plague of 1624. According to the direction of the vision, the precious relics were carried in procession about the city, and the plague was stayed.

The anniversary of this opportune discovery has ever since been celebrated by drawing in procession a gorgeous machine sixty feet in height, called the car of S. Rosolia, decorated with various allegorical figures, and surmounted by a silver statue of the Saint herself. The ponderous nature of the machine may be inferred from the circumstance that no fewer than fifty oxen are required to set it in motion. During the festival the illuminations and fireworks are on the most magnificent scale; especially the latter, which are usually so managed as to represent some historical event.

"The most splendid," observes Captain Smyth, "that I had an opportunity of seeing was, in some respects, an appropriate subject for pyrotechnical illustration, being the attack and burning of Troy; When, after numerous beautiful evolutions, a grand maroon battery opened, and, amidst the fight of many hundred rockets, the city crumbled away, and a magnificent illuminated temple appeared in its place. This part of the festival is succeeded by horseraces in the crowded streets; yet without any accident occurring, although there are no riders to guide the animals, but the populace divide as the horses advance, and close immediately behind, adroitly giving the poor creature a blow as they pass.

On the last evening, there is a splendid illumination of the interior of the cathedral, in which the drapery of gold and silver tissue, the mirrors, and the lights are so tastefully arranged as to command unqualified admiration. The whole winds up on the fifth day, with a procession of all the saints of Palermo, amidst a tremendous noise of drums und trumpets. A part passes on to Mount Pellegrino, where a fine causeway has been made leading up to the Grotto, in which is a statue of bronze gilt (1), with head and hands of Parian marble, representing a handsome girl, in a reclining posture: the jewels with which it is ornamented prove the faith of her devotees."

Anmerkungen:
(1) On the contrary, Brydone, who is ardent in his admiration of this statue, tells us that it is of the finest white marble, and covered with a robe of beaten gold. "The artist," says he, "has found means to throw something that is extremely touching into the countenance and air of this beautiful statue. I never in my life saw one that effected me so much, and am not surprised that it should have captivated the hearts of the people."

Quelle:
George W. D. Evans: The Classic and Connoisseur in Italy and Sicily. Vol. II. London: Longman, Rees, Orme, Brown, Green & Longman 1835 (Digitalisierung durch Google), S. 254-256.

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Patrick Brydone
Das Fest der Heiligen Rosalia
(Auszüge)

Die ganze Stadt Palermo ist seit zehn Tagen mit Zurüstungen zu dem großen Feste der heiligen Rosalia beschäftiget. Und wenn das Schauspiel selbst nur einigermaßen dem Aufwande und der Mühe, die es ihnen verursachet, gleich kommt, so muss es wirklich sehr prächtig sein. Man errichtet eine unglaubliche Menge von Bogen und Pyramiden zu Erleuchtungen. Sie sind von Holz, gemalt und mit künstlichen Blumen geziert. Diese sollen ganz mit kleinen Lampen bedeckt werden, so dass sie in einer kleinen Entfernung als ebenso viele feurige Pyramiden und Bogen aussehen. Der ganze Marino, und die zwo großen Straßen, welche diese Stadt teilen, sollen auf diese prächtige Art erleuchtet werden. Die Anzahl der Pyramiden und Bogen, die zu diesen Erleuchtungen zugerüstet werden, beläuft sich über zweitausend. Sie werden auf beiden Seiten der Straße, zwischen dem Fußstege und dem Pflaster errichtet, und laufen in zwo geraden Linien ganz parallel von einem Ende der Straße bis zum andern. Jede von diesen Linien ist eine Meile lang, welches im Ganzen vier Meilen machet. Die vier Tore sind die Gesichtspunkte dieser vier Straßen, und sollen vorzüglich gezieret und erleuchtet werden. [...]

Der ganze Marino soll auf eben dieselbe Art ausgeschmückt werden, und seit drei Wochen arbeitet man daran, zwo Schaubühnen zu den Feuerwerken zu errichten. Die eine ist dem Palaste des Vizekönigs gegenüber und fast eben so groß als derselbe. Die andere steht auf Pfeilern in der See gerade dem großen Orchester in der Mitte des Marino gegenüber.

Außerdem wird eine ungeheuer große Maschine gebauet, welche der Triumphwagen der heiligen Rosalia heißt. Aus der Größe desselben sollte man schließen, dass er auf immer an der Stelle, wo er gebauet wird, bleiben müsse; doch versichert man uns, dass er im Triumph durch die Stadt gezogen werden soll. Er steht zwar auf Rädern, man sieht aber gar nicht ein, wie irgend eine Kraft im Stande sein sollte, sie herumzudrehen. Ich gestehe es, meine Neugierde, diesen sonderbaren Aufzug zu sehen, wächst täglich. Der Wagen ist schon höher als die meisten Häuser in Palermo, und sie machen ihn noch immer höher.

Doch der Teil des Schauspiels, den sie selbst am höchsten schätzen, ist die Erleuchtung der großen Kirche. Dies soll alles in der Welt übertreffen, selbst die Erleuchtung der Peterskirche zu Rom nicht ausgenommen. Die Zurüstungen dazu sind in der Tat erstaunlich. Man hat schon vor einem Monat damit angefangen, und wird erst gegen die letzten Tage vor dem Feste damit fertig werden. Die Wände so wohl als die Decken dieses großen Doms sind ganz mit Spiegeln, untermischt mit Gold und Silberpapier und mit einer unendlichen Mannigfaltigkeit von künstlichen Blumen bedeckt. Alles dieses ist nach meiner Meinung mit vielem Geschmack und großer Zierlichkeit angeordnet, von keinem zu viel oder zu wenig, sondern alles in dem gehörigen Verhältnisse unter einander gemengt.

Jeder Altar, jede Kapelle, jede Säule ist auf eben dieselbe Art bearbeitet, welches die einzelnen Zierraten weniger klein scheinen lässt, und dem Ganzen ein großes und einförmiges Ansehen gibt. An der Decke hängen unzählige Leuchter mit Wachskerzen, und wenn alle angezündet werden, so muss gewiss diese Kirche einem Palaste in den Feenmärchen oder in den arabischen nächtlichen Erzählungen gleich stehen. Sie hat auch überhaupt ziemlich viel Ähnliches damit, denn alles ist Gold und Silber und kostbare Steine. Die Heiligen zeigen sich in ihrer ganzen Herrlichkeit, und die Feenkönigin selbst ist niemals schöner gewesen als die heilige Rosalia ist. - Das Volk liegt haufenweise vor ihr und rufet sie mit aller Inbrunst an. - Ich darf wohl sagen, dass, wenn eine Bitte an den allmächtigen Gott gerichtet wird, gewiss hundert Bitten an die heil. Rosalia gerichtet werden.

[...]

Um fünf Uhr des Nachmittags fing das Fest mit dem Triumphe der heiligen Rosalia an, die mit dem größten Pompe mitten durch die Stadt, von dem Marino bis an das neue Tor gezogen worden. Ein Haufen Reiter mit Drommeten und Maultrommeln, und alle Stadtoffiziere in ihren schönsten Uniformen gingen vor den Triumphwagen her. Es ist wirklich eine sehr ungeheure Maschine; sie ist siebenzig Fuß lang, dreißig breit, und über achtzig hoch, und ragte weit über die höchsten Häuser zu Palermo, vor welchen sie vorbei ging, hervor.

Ihr unterer Teil sieht wie eine römische Galeere aus, sie wird aber immer größer, so wie ihre Höhe zunimmt; und der vordere Teil wird oval, wie ein Amphitheater, mit Sitzen, wie sie auf den Schaubühnen sind. Dies ist das große Orchester, und war mit sehr vielen Musikanten angefüllet, die reihenweise über einander saßen. Über diesem Orchester und ein wenig hinter demselben, ist eine große, auf sechs schönen korinthischen Säulen ruhende und mit einer Menge von Figuren von Heiligen und Engeln ausgeschmückte Kuppel, und oben auf der Kuppel ist eine riesenförmige silberne Bildsäule der heiligen Rosalia. - Die ganze Maschine ist mit Pomeranzenbäumen, Blumentöpfen und großen Bäumen von künstlichen Korallen besetzt. - Der Wagen hält alle fünfzig oder sechzig Schritte stille, und das Orchester spielt ein musikalisches Stück mit Gesängen zur Ehre der Heiligen.

Es scheint ein großes sich bewegendes Schloss zu sein und füllet die Straße von einer Seite zur andern ganz aus. Dies ist auch in der Tat das Unschicklichste bei der ganzen Sache, denn der Raum, worinnen sich die Maschine bewegt, steht nicht in dem gehörigen Verhältnisse gegen ihre Größe, und die Häuser scheinen ganz in Nichts zu versinken, wenn sie vor demselben vorbei fährt. Dieses große Gebäude wird von sechsundfünfzig sehr großen und starken mit schönen Decken belegten Maultieren gezogen, die paarweise angespannt sind und von achtundzwanzig reich bekleideten Postillionen mit Straußfedern auf ihren Hüten regieret werden. Alle Fenster und Erker auf beiden Seiten der Straße sind voll wohlgekleideter Leute, und dem Wagen folgen viele tausende von der niedrigern Klasse von Menschen nach. Der Triumph war ungefähr in drei Stunden vorbei, und auf denselben folgte die schöne Erleuchtung des Marino.

Ich habe Ihnen wohl allbereits gesagt, dass da eine Reihe von Bogen und Pyramiden ist, die sich von einem Ende dieses prächtigen Spazierganges bis zum andern erstrecket: sie sind gemalt und mit künstlichen Blumen geziert, und ganz mit kleinen Lampen bedeckt, die dicht neben einander gesetzt sind, dass man in einer kleinen Entfernung Feuerflammen in der Gestalt von Pyramiden und Bogen zu sehen glaubet. Die ganze Kette dieser Erleuchtung ist ungefähr eine Meile lang, und man kann sich wirklich kaum etwas schöneres vorstellen. Nirgends war der geringste Fehler oder Mangel; die Nacht war so stille, dass nicht eine einzige Lampe verlöschte.

Dem Mittelpunkte dieser großen Linie von Licht gegenüber war für den Vizekönig und seine Gesellschaft, welche aus dem ganzen Adel von Palermo bestand, ein Gebäude errichtet. Und nicht weit von der vordern Seite desselben standen in der See die großen Feuerwerke, welche die Außenseite eines mit Säulen, Bogen, Trophäen und allen Zierraten der Baukunst geschmückten Palastes vorstellten. Alle Schebecken, Galeeren, Galeoten, und andere Schiffe, sanden um diesen Palast herum, und machten in der See eine Art von Amphitheater, wovon er der Mittelpunkt war. Sie fingen ihr Schauspiel damit an, dass sie ihre ganze Artillerie abfeuerten, welches, da sich der Schall in den Bergen vervielfältigte, eine sehr große Wirkung tat. Sie schossen darauf eine Menge von Wasserraketen und Feuerkugeln von einer besondern Art ab, die oft unter dem Wasser zersprangen. Dies währte bis um halb ein Uhr, da in einem Augenblicke der ganze Palast auf das schönste erleuchtet war. Dies war das Zeichen für die Schiffe, sich ruhig zu halten, und schien wirklich ein Zauberstück zu sein, indem sich die ganze Erleuchtung auf einmal und ohne irgend jemandes sichtbare Vermittlung dem Auge darstellte.

Zugleich fingen die Brunnen, die man in dem Hofe des Palastes errichtet hatte, an, Feuer zu speien, und machten eine Vorstellung von einigen der größten Springbrunnen zu Versailles und Marly. - So bald diese ausgelöscht waren, nahm der Hof sogleich die Gestalt eines großen Blumengartens an, der mit vielen Palmbäumen von Feuer, mit untermengten Pomeranzenbäumen, Blumentöpfen, Vasen und andern Zierraten geschmückt war. Sowie dieser Garten verging, hörte auch die Erleuchtung des Palastes auf, und es brachen aus der Außenseite desselben eine Menge von Sonnen, Sternen und Feuerrädern hervor, die ihn in kurzer Zeit gänzlich zerstörten. - Und da alles vorbei zu sein schien, erhoben sich mitten aus dem Schutthaufen zweitausend Feuerkugeln, Schwärmer, große und kleine Raketen, welche die ganze Atmosphäre anzufüllen schienen, und da sie niederfielen, eine große Verwüstung unter den Kleidern der armen Leute, die im Freien standen, anrichteten, zugleich aber dem Adel, der bedeckt war, eine ungemeine Belustigung verschafften.

Während dieses ganzen Auftrittes wurden wir in dem großen Gebäude mitten im Marino mit Coffee, Eis, Zuckerwerke und mit allen Arten des vortrefflichsten Weines bewirtet; und das auf Unkosten des Herzogs von Castellano, der Prätor dieser Stadt ist. - Der vornehmste Adel gibt wechselweise alle Nächte, solange das Fest währet, solche Traktamente, und sie beeifern sich, es einer dem andern an Pracht zuvorzutun.

[...]

Die große Prozession, womit sich diese Feierlichkeit endigte, fing um zehn Uhr an. - Sie ist nur darinnen von andern Prozessionen unterschieden, dass, außer allen Priestern, Mönchen und Ordensleuten, noch zehn hohe Maschinen von Holz und Pappdeckel in gleicher Entfernung von einander gestellt waren, welche, auf eine zierliche Art geschmückt, Tempel, Lauberhütten und eine Menge von schönen Werken der Baukunst vorstellten. Einige davon waren nicht weniger als sechzig Fuß hoch. - Sie sind voll wächserner Figuren von Heiligen und Engeln, die so natürlich und vortrefflich gut gemalt sind, dass manche darunter wirklich zu leben scheinen. Alle diese Figuren werden von den Nonnen zubereitet und von ihnen mit den reichsten Kleidern von Gold- und Silberstoffe ausgeputzt.

Wir ergötzten uns diesen Morgen nicht wenig daran, sie in Kutschen wieder nach ihren Klöstern zurückfahren zu sehen. - erst hielten wir sie wirklich für Damen in ihren Galakleidern, welche, wie es gewöhnlich sein soll, nach den Kirchen führen, und fingen an unsre Hüte abzuziehen, so wie sie vor uns vorbei kamen. - Einige unsrer Freunde, die in dieser Absicht mit uns ausgefahren waren, hatten uns zu diesem lächerlichen Irrtume verleitet, indem sie uns, so wie die Kutschen näher kamen, sagten, das ist die Prinzessin von - und das ist die Herzogin von - u.s.w. Kurz, wir hatten, zu nicht geringer Freude unsrer spaßhaften Führer, schon ein halb Dutzend tiefe Verbeugungen gemacht, ehe wir den Streich entdeckten. - Nun bestanden sie darauf, dass wir gute Katholiken sein, weil wir diesen ganzen Morgen nichts anders getan hätten, als uns vor Heiligen und Engeln zu bücken.

Ein großer silberner Kasten, mit den Gebeinen der heiligen Rosalia, schloss die Prozession. Er wurde von sechsunddreißig der angesehensten Bürger der Stadt getragen, die solches für die größte Ehre halten. Der Erzbischof ging hinter demselben und gab dem Volke immer im Vorbeigehn den Segen.

Quelle:
Patrick Brydone, Reise durch Sicilien und Malta, in Briefen an William Beckford. 2. Tl. Leipzig: Johann Friedrich Junius 1774 (Digitalisierung durch Google), S. 103-106, 130-134, 149-150. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Stand angeglichen. Absätze eingefügt.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Montag, den 9. April 1787

Christoph Heinrich Kniep, Figurenschmuck der Villa Palagonia

Heute den ganzen Tag beschäftigte uns der Unsinn des Prinzen Pallagonia, und auch diese Torheiten waren ganz etwas anders, als wir uns lesend und hörend vorgestellt. Denn bei der größten Wahrheitsliebe kommt derjenige, der vom Absurden Rechenschaft geben soll, immer ins Gedränge: er will einen Begriff davon überliefern, und so macht er es schon zu etwas, da es eigentlich ein Nichts ist, welches für etwas gehalten sein will. Und so muss ich noch eine andere allgemeine Reflexion vorausschicken, dass weder das Abgeschmackteste noch das Vortrefflichste ganz unmittelbar aus einem Menschen, aus einer Zeit hervorspringe, dass man vielmehr beiden mit einiger Aufmerksamkeit eine Stammtafel der Herkunft nachweisen könne.

Jener Brunnen in Palermo [Piazza Pretoria] gehört unter die Vorfahren der Pallagonischen Raserei, nur dass diese hier, auf eignem Grund und Boden, in der größten Freiheit und Breite sich hervortut. Ich will den Verlauf des Entstehens zu entwickeln suchen.

Wenn ein Lustschloss in diesen Gegenden mehr oder weniger in der Mitte des ganzen Besitztums liegt und man also, um zu der herrschaftlichen Wohnung zu gelangen, durch gebaute Felder, Küchengärten und dergleichen landwirtschaftliche Nützlichkeiten zu fahren hat, erweisen sie sich haushälterischer als die Nordländer, die oft eine große Strecke guten Bodens zu einer Parkanlage verwenden, um mit unfruchtbarem Gesträuche dem Auge zu schmeicheln. Diese Südländer hingegen führen zwei Mauern auf, zwischen welchen man zum Schloss gelangt, ohne dass man gewahr werde, was rechts oder links vorgeht. Dieser Weg beginnt gewöhnlich mit einem großen Portal, wohl auch mit einer gewölbten Halle und endigt im Schlosshofe. Damit nun aber das Auge zwischen diesen Mauern nicht ganz unbefriedigt sei, so sind sie oben ausgebogen, mit Schnörkeln und Postamenten verziert, worauf allenfalls hie und da eine Vase steht. Die Flächen sind abgetüncht, in Felder geteilt und angestrichen. Der Schlosshof macht ein Rund von einstöckigen Häusern, wo Gesinde und Arbeitsleute wohnen; das viereckte Schloss steigt über alles empor.

Dies ist die Art der Anlage, wie sie herkömmlich gegeben ist, wie sie auch schon früher mag bestanden haben, bis der Vater des Prinzen das Schloss baute, zwar auch nicht in dem besten, aber doch erträglichem Geschmack. Der jetzige Besitzer aber, ohne jene allgemeinen Grundzüge zu verlassen, erlaubt seiner Lust und Leidenschaft zu missgestaltetem, abgeschmacktem Gebilde den freisten Lauf, und man erzeigt ihm viel zu viel Ehre, wenn man ihm nur einen Funken Einbildungskraft zuschreibt.

Wir treten also in die große Halle, welche mit der Grenze des Besitztums selbst anfängt, und finden ein Achteck, sehr hoch zur Breite. Vier ungeheure Riesen mit modernen, zugeknöpften Gamaschen tragen das Gesims, auf welchem dem Eingang gerade gegenüber die heilige Dreieinigkeit schwebt.

Der Weg nach dem Schlosse zu ist breiter als gewöhnlich, die Mauer in einen fortlaufenden hohen Sockel verwandelt, auf welchem ausgezeichnete Basamente seltsame Gruppen in die Höhe tragen, indessen in dem Raum von einer zur andern mehrere Vasen aufgestellt sind. Das Widerliche dieser von den gemeinsten Steinhauern gepfuschten Missbildungen wird noch dadurch vermehrt, dass sie aus dem losesten Muscheltuff gearbeitet sind; doch würde ein besseres Material den Unwert der Form nur desto mehr in die Augen setzen. Ich sagte vorhin Gruppen und bediente mich eines falschen, an dieser Stelle uneigentlichen Ausdrucks; denn diese Zusammenstellungen sind durch keine Art von Reflexion oder auch nur Willkür entstanden, sie sind vielmehr zusammengewürfelt. Jedesmal drei bilden den Schmuck eines solchen viereckten Postaments, indem ihre Basen so eingerichtet sind, dass sie zusammen in verschiedenen Stellungen den viereckigen Raum ausfüllen. Die vorzüglichste besteht gewöhnlich aus zwei Figuren, und ihre Base nimmt den größten vordern Teil des Piedestals ein; diese sind meistenteils Ungeheuer von tierischer und menschlicher Gestalt. Um nun den hintern Raum der Piedestalfläche auszufüllen, bedarf es noch zweier Stücke; das von mittlerer Größe stellt gewöhnlich einen Schäfer oder eine Schäferin, einen Kavalier oder eine Dame, einen tanzenden Affen oder Hund vor. Nun bleibt auf dem Piedestal noch eine Lücke: diese wird meistens durch einen Zwerg ausgefüllt, wie denn überall dieses Geschlecht bei geistlosen Scherzen eine große Rolle spielt.

Dass wir aber die Elemente der Tollheit des Prinzen Pallagonia vollständig überliefern, geben wir nachstehendes Verzeichnis. Menschen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren, Türken, Buckelige, alle Arten Verwachsene, Zwerge, Musikanten, Pulcinelle, antik kostümierte Soldaten, Götter, Göttinnen, altfranzösisch Gekleidete, Soldaten mit Patrontaschen und Gamaschen, Mythologie mit fratzenhaften Zutaten: Achill und Chiron mit Pulcinell. Tiere: nur Teile derselben, Pferd mit Menschenhänden, Pferdekopf auf Menschenkörper, entstellte Affen, viele Drachen und Schlangen, alle Arten von Pfoten an Figuren aller Art, Verdoppelungen, Verwechslungen der Köpfe. Vasen: alle Arten von Monstern und Schnörkeln, die unterwärts zu Vasenbäuchen und Untersätzen endigen.

Denke man sich nun dergleichen Figuren schockweise verfertigt und ganz ohne Sinn und Verstand entsprungen, auch ohne Wahl und Absicht zusammengestellt, denke man sich diesen Sockel, diese Piedestale und Unformen in einer unabsehbaren Reihe, so wird man das unangenehme Gefühl mit empfinden, das einen jeden überfallen muss, wenn er durch diese Spitzruten des Wahnsinns durchgejagt wird.

Wir nähern uns dem Schlosse und werden durch die Arme eines halbrunden Vorhofs empfangen; die entgegenstehende Hauptmauer, wodurch das Tor geht, ist burgartig angelegt. Hier finden wir eine ägyptische Figur eingemauert, einen Springbrunnen ohne Wasser, ein Monument, zerstreut umherliegende Vasen, Statuen, vorsätzlich auf die Nase gelegt. Wir treten in den Schlosshof und finden das herkömmliche, mit kleinen Gebäuden umgebene Rund in kleineren Halbzirkeln ausgebogt, damit es ja an Mannigfaltigkeit nicht fehle.

Der Boden ist größtenteils mit Gras bewachsen. Hier stehen wie auf einem verfallenen Kirchhofe seltsam geschnörkelte Marmorvasen vom Vater her, Zwerge und sonstige Ungestalten aus der neuern Epoche zufällig durcheinander, ohne dass sie bis jetzt einen Platz finden können; sogar tritt man vor eine Laube, vollgepfropft von alten Vasen und anderm geschnörkeltem Gestein.

Das Widersinnige einer solchen geschmacklosen Denkart zeigt sich aber im höchsten Grade darin, dass die Gesimse der kleinen Häuser durchaus schief nach einer oder der andern Seite hinhängen, so dass das Gefühl der Wasserwaage und des Perpendikels, das uns eigentlich zu Menschen macht und der Grund aller Eurhythmie ist, in uns zerrissen und gequält wird. Und so sind denn auch diese Dachreihen mit Hydern und kleinen Büsten, mit musizierenden Affenchören und ähnlichem Wahnsinn verbrämt. Drachen, mit Göttern abwechselnd, ein Atlas, der statt der Himmelskugel ein Weinfass trägt.

Gedenkt man sich aber aus allem diesem in das Schloss zu retten, welches, vom Vater erbaut, ein relativ vernünftiges äußeres Ansehen hat, so findet man nicht weit vor der Pforte den lorbeerbekränzten Kopf eines römischen Kaisers auf einer Zwerggestalt, die auf einem Delphin sitzt.

Im Schlosse selbst nun, dessen Äußeres ein leidliches Innere erwarten lässt, fängt das Fieber des Prinzen schon wieder zu rasen an. Die Stuhlfüße sind ungleich abgesägt, so dass niemand Platz nehmen kann, und vor den sitzbaren Stühlen warnt der Kastellan, weil sie unter ihren Sammetpolstern Stacheln verbergen. Kandelaber von chinesischem Porzellan stehen in den Ecken, welche, näher betrachtet, aus einzelnen Schalen, Ober- und Untertassen und dergleichen zusammengekittet sind. Kein Winkel, wo nicht irgendeine Willkür hervorblickte. Sogar der unschätzbare Blick über die Vorgebirge ins Meer wird durch farbige Scheiben verkümmert, welche durch einen unwahren Ton die Gegend entweder verkälten oder entzünden. Eines Kabinetts muss ich noch erwähnen, welches aus alten vergoldeten, zusammengeschnittenen Rahmen aneinander getäfelt ist. Alle die hundertfältigen Schnitzmuster, alle die verschiedenen Abstufungen einer ältern oder jüngern, mehr oder weniger bestaubten und beschädigten Vergoldung bedecken hier, hart aneinander gedrängt, die sämtlichen Wände und geben den Begriff von einem zerstückelten Trödel.

Die Kapelle zu beschreiben, wäre allein ein Heftchen nötig. Hier findet man den Aufschluss über den ganzen Wahnsinn, der nur in einem bigotten Geiste bis auf diesen Grad wuchern konnte. Wie manches Fratzenbild einer irregeleiteten Devotion sich hier befinden mag, geb' ich zu vermuten, das Beste jedoch will ich nicht vorenthalten. Flach an der Decke nämlich ist ein geschnitztes Kruzifix von ziemlicher Größe befestigt, nach der Natur angemalt, lackiert mit untermischter Vergoldung. Dem Gekreuzigten in den Nabel ist ein Haken eingeschraubt, eine Kette aber, die davon herabhängt, befestigt sich in den Kopf eines knieend betenden, in der Luft schwebenden Mannes, der, angemalt und lackiert wie alle übrigen Bilder der Kirche, wohl ein Sinnbild der ununterbrochenen Andacht des Besitzers darstellen soll.

Übrigens ist der Palast nicht ausgebaut: ein großer, von dem Vater bunt und reich angelegter, aber doch nicht widerlich verzierter Saal war unvollendet geblieben; wie denn der grenzenlose Wahnsinn des Besitzers mit seinen Narrheiten nicht zu Rande kommen kann.

Kniepen, dessen Künstlersinn innerhalb dieses Tollhauses zur Verzweiflung getrieben wurde, sah ich zum erstenmal ungeduldig; er trieb mich fort, da ich mir die Elemente dieser Unschöpfung einzeln zu vergegenwärtigen und zu schematisieren suchte. Gutmütig genug zeichnete er zuletzt noch eine von den Zusammenstellungen, die einzige, die noch wenigstens eine Art von Bild gab. Sie stellt ein Pferd-Weib auf einem Sessel sitzend, gegen einem unterwärts altmodisch gekleideten, mit Greifenkopf, Krone und großer Perücke gezierten Cavalier Karte spielend vor, und erinnert an das nach aller Tollheit noch immer höchst merkwürdige Wappen des Hauses Pallagonia: ein Satyr hält einem Weibe, das einen Pferdekopf hat, einen Spiegel vor.

Christoph Heinrich Kniep, Figurenschmuck der Villa Palagonia

Bilder:
Dem Text eingefügt sind die beiden Zeichnungen des grotesken Figurenschmuckes der Villa Palagonia von Kniep. In: Georg Striehl, Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 116 und 117, Katalog Nr. 544 und 545.

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Siehe auch die ausführliche Beschreibung der Villa Palagonia durch Patrick Brydone, die Goethe bekannt war:
* Patrick Brydone, Reise durch Sicilien und Malta, in Briefen an William Beckford. 2. Tl. Leipzig: Johann Friedrich Junius 1774 (Digitalisierung durch Google), S. 45-50.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Dienstag, den 10. April 1787

Heute fuhren wir bergauf nach Monreale. Ein herrlicher Weg, welchen der Abt jenes Klosters zur Zeit eines überschwenglichen Reichtums angelegt hat; breit, bequemen Anstiegs, Bäume hie und da, besonders aber weitläufige Spring- und Röhrenbrunnen, beinah pallagonisch verschnörkelt und verziert, desungeachtet aber Tiere und Menschen erquickend.

Das Kloster San Martin, auf der Höhe liegend, ist eine respektable Anlage. Ein Hagestolz allein, wie man am Prinzen Pallagonia sieht, hat selten etwas Vernünftiges hervorgebracht, mehrere zusammen hingegen die allergrößten Werke, wie Kirchen und Klöster zeigen. Doch wirkten die geistlichen Gesellschaften wohl nur deswegen so viel, weil sie noch mehr als irgendein Familienvater einer unbegrenzten Nachkommenschaft gewiss waren.

Die Mönche ließen uns ihre Sammlungen sehen. Von Altertümern und natürlichen Sachen verwahren sie manches Schöne. Besonders fiel uns auf eine Medaille mit dem Bilde einer jungen Göttin, das Entzücken erregen musste. Gern hätten uns die guten Männer einen Abdruck mitgegeben, es war aber nichts bei Handen, was zu irgend einer Art von Form tauglich gewesen wäre.

Nachdem sie uns alles vorgezeigt, nicht ohne traurige Vergleichung der vorigen und gegenwärtigen Zustände, brachten sie uns in einen angenehmen kleinen Saal, von dessen Balkon man eine liebliche Aussicht genoss; hier war für uns beide gedeckt, und es fehlte nicht an einem sehr guten Mittagessen. Nach dem aufgetragenen Dessert trat der Abt herein, begleitet von seinen ältesten Mönchen, setzte sich zu uns und blieb wohl eine halbe Stunde, in welcher Zeit wir manche Frage zu beantworten hatten. Wir schieden aufs freundlichste. Die jüngern begleiteten uns nochmals in die Zimmer der Sammlung und zuletzt nach dem Wagen.

Wir fuhren mit ganz andern Gesinnungen nach Hause als gestern. Heute hatten wir eine große Anstalt zu bedauern, die eben zu der Zeit versinkt, indessen an der andern Seite ein abgeschmacktes Unternehmen mit frischem Wachstum hervorsteigt.

Der Weg nach San Martin geht das ältere Kalkgebirg hinauf. Man zertrümmert die Felsen und brennt Kalk daraus, der sehr weiß wird. Zum Brennen brauchen sie eine starke, lange Grasart, in Bündeln getrocknet. Hier entsteht nun die Calcara. Bis an die steilsten Höhen liegt roter Ton angeschwemmt, der hier die Dammerde vorstellt, je höher, je röter, wenig durch Vegetation geschwärzt. Ich sah in der Entfernung eine Grube fast wie Zinnober.

Das Kloster steht mitten im Kalkgebirg, das sehr quellenreich ist. Die Gebirge umher sind wohl bebaut.

 

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Ariete. Palermo, Museo Nazionale

L'Ariete siracusano. Palermo, Museo Nazionale. Libreria Reber

Widder
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Oben: Palermo - Museo Nazionale - Ariete. Adressseite: N. P. G. [Neue Photographische Gesellschaft] Nicht gelaufen.
Unten: 37. Palermo - Museo Nazionale _ L'Ariete siracusano. Libreria Reber - Palermo. Nicht gelaufen.

Der hier abgebildete Broncewidder (heute im Archäologischen Museum in Palermo), hatte ein spiegelbildliches Pendant, das während der Revolution 1848 zerstört wurde. Die Großbroncen fungierten lange Zeit als Wappen- und Torwächter im Hauptportal der ehemaligen staufischen Kaiserpfalz (Castello Maniace) in Syrakus. Goethe sah noch das Zwillingspaar. Vgl. dazu
* Henning Gans: Der Widder von Castello Maniace. Eine Bronce antoninischer Zeit? In: Antike Kunst, 48. Jg., 2005, S. 73-99.
Zu Castello Maniace siehe den Eintrag in Wikipedia.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Mittwoch, den 11. April 1787

Nachdem wir nun zwei Hauptpunkte außerhalb der Stadt betrachtet, begaben wir uns in den Palast, wo der geschäftige Laufer die Zimmer und ihren Inhalt vorzeigte. Zu unserm großen Schrecken war der Saal, worin die Antiken sonst aufgestellt sind, eben in der größten Unordnung, weil man eine neue architektonische Dekoration im Werke hatte. Die Statuen waren von ihren Stellen weggenommen, mit Tüchern verhängt, mit Gerüsten verstellt, so dass wir trotz allem guten Willen unseres Führers und einiger Bemühung der Handwerksleute doch nur einen sehr unvollständigen Begriff davon erwerben konnten. Am meisten war mir um die zwei Widder von Erz zu tun, welche, auch unter diesen Umständen gesehen, den Kunstsinn höchlich erbauten. Sie sind liegend vorgestellt, die eine Pfote vorwärts, als Gegenbilder die Köpfe nach verschiedenen Seiten gekehrt; mächtige Gestalten aus der mythologischen Familie Phryxus, und Helle zu tragen würdig. Die Wolle nicht kurz und kraus, sondern lang und wellenartig herabfallend, mit großer Wahrheit und Eleganz gebildet, aus der besten griechischen Zeit. Sie sollen in dem Hafen von Syrakus gestanden haben.

Nun führte uns der Laufer außerhalb der Stadt in Katakomben (1), welche, mit architektonischem Sinn angelegt, keineswegs zu Grabplätzen benutzte Steinbrüche sind. In einem ziemlich verhärteten Tuff und dessen senkrecht gearbeiteter Wand sind gewölbte Öffnungen und innerhalb dieser Särge ausgegraben, mehrere übereinander, alles aus der Masse, ohne irgendeine Nachhülfe von Mauerwerk. Die oberen Särge sind kleiner, und in den Räumen über den Pfeilern sind Grabstätten für Kinder angebracht.

Anmerkungen:
(1) Katakomben: "die seit 1599 als lange unterirdische Stollen in den Tuffstein getriebenen Katakomben des Kapuzinerklosters" (Goethe, Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 15, S.1029). Dazu siehe den folgenden Text.

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Palermo - Diana e Atteone, Metopa dei Tempio E di Selinunte, Giovanni Bucaro - PalermoPalermo, Quadriga, Grafia - Sezione Edizioni d'Arte - Roma

Palermo, Medusa decapitata da Ercole, metopa di Selinunte, Ediz. Francesco Verderosa - Palermo

Antiken
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Oben links: 212 - Museo Nazionale - Palermo - Diana e Atteone. Metopa del Tempio E. Di Selinunte (Sec.V. A. Chr.) Adressseite: G. B. P. [Giovanni Bucaro, Palermo] Made in Italy. Signet: Fotocelere, Torino. Nicht gelaufen.
Oben rechts: [Ohne Titel] Palermo - Museo Nazionale Quadriga. (VIo sec. a. C.). 73408. Signet: "Grafia" - Sezione Edizioni d'Arte - Roma. Nicht gelaufen.  - Apollon in einem Vierspänner.
Unten: Palermo - Museo Nazionale. Medusa decapitata da Ercole: metopa di Selinunte. Adressseite: Ediz. Francesco Verderosa - Palermo. 20068. Nicht gelaufen. - Athena hilft Perseus die Gorgo töten.

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Palermo, Catacombe dei Cappucini. Bucaro Gaspare - Palermo

Catacombe dei Cappuccini
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Palermo - Catacombe dei Cappuccini. Adressseite: Bucaro Gaspare - Palermo. Nicht gelaufen.

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Johann Heinrich Bartels
Die Katakomben des Kapuzinerklosters

Glänzen im Leben und im Tode - ist sein [des Palermitaners] Hang! - Von dem ersten gab ich Ihnen in meinem vorigen Briefe einige Beweise; von dem letzten finden Sie andere in diesem. Ich führe Sie izt in eine Kirche, wo ein Kadaver aufgestellet ist, und ins Totengewölbe der Kapuziner. Doch erzähle ich bloß, was ich sah, mögen Sie dann Ihre Bemerkungen darüber machen!

Es war heute Nacht ein angesehener Mann gestorben, dessen Totenfeier mit seltener Pracht, in einer von den Hauptkirchen gefeieret ward. Denken Sie sich hier alles vereiniget, was das Auge nur blenden kann; die ganze Kirche mit einer zahllosen Menge von Wachskerzen erleuchtet, den Schmuck derselben ausgestellet, mit seltener Kunst, so dass durch die Strahlen der Lichter, ein blendender Glanz erzeuget ward. Alles war dazu mit Gold und Flitterstaate behänget, mit den Wappen des Verstorbenen gezieret, und machete in der Tat, wenn man gleich das Ganze nicht genau anatomieren mussete, einen imponierenden Effekt. Eine feierliche Trauermusik, mit schönem Gesange begleitet, verbreitete einen religiösen Ton überall, und von Gold strotzende Pfaffen hielten Totenmessen.

Dies alles gefiel mir sehr! - aber laut musste ich auflachen, wie ich selbst auf einem großen, von Gold glänzenden, Sessel, im reichen Stoffe gekleidet, den Kadaver aufgeschmücket entdeckete, als sei er fertig zu Tanz und Ball, nicht, als wäre er schon über den Tand der Welt erhaben: Da saß er, mit hohem Tapee [Toupet ?], durchaus Stutzer, wie ein ausstaffierter Dummkopf, den sein goldbebrämter Anzug von jeder Bewegung zurückhält - eine lächerliche Marionette!

So einen Anblick, glaub' ich, hat man sonst nirgends; ich sah freilich hie und da im katholischen Lande ähnliche Totenfeier; aber beständig lag der Kadaver in einem bescheidenen Sarge; ihn auszieren, wie eine Drahtpuppe, das kann nur der Palermitaner, der nicht durch Pracht und Glanz allein seine Wichtigkeit zeigen zu können glaubet, sondern der keinen anderen Wunsch kennet, als seine von Gold strotzende, hohe Person öffentlich zur Verehrung auszustellen. Dahin zielet alles im Leben, alles im Tode!

Aber leider! die zerstörende Verwesung zerreißet gewöhnlich seinen Körper zu Staub, und verwischet sein Andenken unter den Lebendigen! - Wer, um dieses zu verwehren, ein Mittel zu erfinden wusste, der war sicher, nicht weniger gesuchet, und reich belohnet zu werden, wie der, der dem eitelen, zusammenschrumpfenden Mütterchen, ein probates Mittel, Schönheit und Jugend wieder herzustellen, liefern könnte!

In Palermo hat man dies Mittel ausgefunden, und in manchen Grabgewölben, besonders aber in dem der Kapuziner, finden Sie eine Gesellschaft von Toten, gut erhalten aufgestellet, und neben einander gesetzet, wie Statuen in einer großen, zu dem Endzwecke mit Nischen versehenen, Galerie. Das Grabgewölbe lieget nicht tief unter der Erde, bestehet in verschiedenen breiten Gängen mit Nischen, ist geräumig, luftig und hell, und nicht mit schrecklichem Totengeruch angefüllet. In jeder Nische stehet ein Kadaver, mit gesenktem Haupte, hohlen, tief liegenden Augen, hervorstehendem Kinn, und über einander geschlagenen Händen. Durchaus sind alle - wenn sie nicht gar zu lange gestanden haben - kennbar! - Ein jeder von ihnen hat sein Kreditiv in der Hand, einen Totenschein, worauf auch Stand und Rang angemerket ist. Der Anblick ist schrecklich, aber seiner Neuheit wegen sehr auffallend! Fast alle sind sie in Kapuzinerkleidung gehüllet, und Fürst, Graf und Markis repräsentieren hier in dem Anzuge ihre Personen. Doch da es das Schicksal will, dass sie unter der schweren Kapuze ihren Nacken beugen, und in tiefester Demut erscheinen sollen, so unterwerfen sie sich freilich, aber können doch selbst im Tode noch ihren vorigen Charakter nicht verleugnen; auf dem Zettel, den Jeder von ihnen dir mit verdorreter Hand reichet, stehet mit großer Schrift, Io sono il Signor, Principe, Marchese, Conte - gleich als wollete er selbst noch hier deine Huldigung erpressen. Aber er verfehlet seinen Zweck, innigstes Mitleiden ist die einzige Empfindung, die das arme Gerippe erwecket!

Die wirklichen Kapuziner übrigens, die unter den forcierten fürstlichen und gräflichen Kapuzinern hier stehen, zeichnen sich durch eine Dornenkrone, und einen Strick um den Hals aus. Einige von den Toten haben, nach Maßgabe des Totenscheines, schon zweihundert Jahre auf ihren dürren Beinen gestanden; andere hingegen sind bereits des Stehens müde geworden, und liegen auf Brettern umher. Noch von anderen Kadavern sind bloß zerrissene Stücke, die zum Zierrate dienen. So z.B. von einem alten Könige von Tunis, der, ich weiß nicht wie viele Hunderte von Jahren, vorher lebte, stand ein bloßer Kopf mit einer Dornenkrone gekrönet da.

Verschlossene Koffer sind überdies noch hier umher gesetzet, worin verschiedene Kadaver ruhen, die nicht die Eitelkeit aufgestellet zu werden, hatten. Zu diesen haben die Verwandten den Schlüssel. Für schwärmerische Personen, die noch gern lange nach dem Tode ihrer Geliebten, in deren Gesellschaft zubringen mögen, hat diese Aufstellungsmethode viele Reize. Eltern können im Zirkel ihrer verstorbenen Kinder, Freunde in dem ihrer Freunde, die mit bleibender Ähnlichkeit ihnen hier erhalten werden, noch lange nach dem Tode umherwandeln.

Die Art, wie man die Toten zu dieser Nichtverwesung bereitet, ist folgende. Es befinden sich hier eine Menge kleiner, in Felsen gehauener Kammern, in diesen sind hohle Lagen mit Querbrettern gemachet; unterhin fließet schnell rauschendes Wasser. Auf die Querbretter leget man die Kadaver gleich nach ihrem Tode, sicheret alsdann die Kammer vor jedem Eindringen von Luft, und mauret sie fest zu. Ohne weitere Präparation trocknen alsdann, innerhalb sechs Monaten, Körper von gewöhnlicher Statur, gehörig aus, so dass sie in den Totensaal aufgestellet, und mit der Kapuzinerkleidung beleget werden können. Man heftet sie alsdann mit Haken und Ösen an die Wand der Nische, und da stehen sie nun, mit hängendem Kopfe, sonst in stolzer, gerader Positur.

Sind die Menschen ungewöhnlich dick gewesen, so müssen sie wohl acht Monate liegen, aber dann sind sie auch eben so gut vor der Verwesung gesicheret. Ein dort aufgestelleter Kapuziner muss ein Koloss von Dicke gewesen sein. Noch izt, nachdem er schon einige Jahre aufgestellet ist, möchte man an zu schwitzen fangen, wenn man ihn nur ansiehet.

Quelle:
Johann Heinrich Bartels: Briefe über Kalabrien und Sizilien. Dritter Teil: Reise von Katanien in Sizilien bis zurück nach Neapel. Göttingen: Johann Christian Dieterich 1792 (Digitalisierung durch Google), S. 628-633. Absätze eingefügt. Rechtschreibung und Zeichensetzung nur vorsichtig dem heutigen Stand angeglichen, um die Patina des Textes zu bewahren. - Über Johann Heinrich Bartels (1761-1850), Gelehrter und von 1820 bis 1850 Bürgermeister in Hamburg, siehe den Eintrag in Wikipedia.

Siehe auch die Beschreibung der Katakomben des Kapuzinerklosters von Guy de Maupassant: Die Irrfahrten des Herrn de Maupassant (La Vie Errante) (Bibliothek klassischer Reiseberichte) Stuttgart: Steingrüben 1967, S. 98-103.

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Palermo, Catacombe dei Cappuccini. Giovanni Bucaro, Palermo. Cesare Capello, Milano

Palermo - Catacombe Cappuccini

Katakomben des Kapuzinerklosters
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Oben: [Ohne Titel] Adressseite: Palermo. Catacombe del Cappuccini 1533-1880. G. P. B. [Giovanni Bucaro, Palermo] Signet: Cesare Capello Milano. Gelaufen.
Unten: [Ohne Titel] Adressseite: 17466 Palermo - Catacombe Cappuccini. Nicht gelaufen.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Donnerstag, den 12. April 1787

Man zeigte uns heute das Medaillenkabinett des Prinzen Torremuzza. Gewissermaßen ging ich ungern hin. Ich verstehe von diesem Fach zu wenig, und ein bloß neugieriger Reisender ist wahren Kennern und Liebhabern verhasst. Da man aber doch einmal anfangen muss, so bequemte ich mich und hatte davon viel Vergnügen und Vorteil. Welch ein Gewinn, wenn man auch nur vorläufig übersieht, wie die alte Welt mit Städten übersäet war, deren kleinste, wo nicht eine ganze Reihe der Kunstgeschichte, wenigstens doch einige Epochen derselben uns in köstlichen Münzen hinterließ. Aus diesen Schubkasten lacht uns ein unendlicher Frühling von Blüten und Früchten der Kunst, eines in höherem Sinne geführten Lebensgewerbes und was nicht alles noch mehr hervor. Der Glanz der sizilischen Städte, jetzt verdunkelt, glänzt aus diesen geformten Metallen wieder frisch entgegen.

Leider haben wir andern in unserer Jugend nur die Familien-Münzen besessen, die nichts sagen, und die Kaiser-Münzen, welche dasselbe Profil bis zum Überdruss wiederholen: Bilder von Herrschern, die eben nicht als Musterbilder der Menschheit zu betrachten sind. Wie traurig hat man nicht unsere Jugend auf das gestaltlose Palästina und auf das gestaltverwirrende Rom beschränkt! Sizilien und Neugriechenland lässt mich nun wieder ein frisches Leben hoffen.

Dass ich über diese Gegenstände mich in allgemeine Betrachtungen ergehe, ist ein Beweis, dass ich noch nicht viel davon verstehen gelernt habe; doch das wird sich mit dem übrigen nach und nach schon geben.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Donnerstag, den 12. April 1787

Heute am Abend ward mir noch ein Wunsch erfüllt, und zwar auf eigene Weise. Ich stand in der großen Straße auf den Schrittsteinen, an jenem Laden mit dem Kaufherrn scherzend; auf einmal tritt ein Laufer, groß, wohlgekleidet, an mich heran, einen silbernen Teller rasch vorhaltend, worauf mehrere Kupferpfennige, wenige Silberstücke lagen. Da ich nicht wusste, was es heißen solle, so zuckte ich, den Kopf duckend, die Achseln, das gewöhnliche Zeichen, wodurch man sich lossagt, man mag nun Antrag oder Frage nicht verstehen, oder nicht wollen. Ebenso schnell, als er gekommen, war er fort, und nun bemerkte ich auf der entgegengesetzten Seite der Straße seinen Kameraden in gleicher Beschäftigung.

Was das bedeute? fragte ich den Handelsmann, der mit bedenklicher Gebärde, gleichsam verstohlen, auf einen langen, hagern Herrn deutete, welcher in der Straßenmitte, hofmäßig gekleidet, anständig und gelassen über den Mist einherschritt. Frisiert und gepudert, den Hut unter dem Arm, in seidenem Gewande, den Degen an der Seite, ein nettes Fußwerk mit Steinschnallen geziert: so trat der Bejahrte ernst und ruhig einher; aller Augen waren auf ihn gerichtet.

»Dies ist der Prinz Pallagonia«, sagte der Händler, »welcher von Zeit zu Zeit durch die Stadt geht und für die in der Barbarei gefangenen Sklaven ein Lösegeld zusammenheischt. Zwar beträgt dieses Einsammeln niemals viel, aber der Gegenstand bleibt doch im Andenken, und oft vermachen diejenigen, welche bei Lebzeiten zurückhielten, schöne Summen zu solchem Zweck. Schon viele Jahre ist der Prinz Vorsteher dieser Anstalt und hat unendlich viel Gutes gestiftet!«

»Statt auf die Torheiten seines Landsitzes«, rief ich aus, »hätte er hierher jene großen Summen verwenden sollen. Kein Fürst in der Welt hätte mehr geleistet.«

Dagegen sagte der Kaufmann: »Sind wir doch alle so! Unsere Narrheiten bezahlen wir gar gerne selbst, zu unsern Tugenden sollen andere das Geld hergeben.«

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Freitag, den 13. April 1787

Vorgearbeitet in dem Steinreiche Siziliens hat uns Graf Borck (1) sehr emsig, und wer nach ihm gleichen Sinnes die Insel besucht, wird ihm recht gern Dank zollen. Ich finde es angenehm sowie pflichtmäßig, das Andenken eines Vorgängers zu feiern. Bin ich doch nur ein Vorfahr von künftigen andern, im Leben wie auf der Reise!

Die Tätigkeit des Grafen scheint mir übrigens größer als seine Kenntnisse; er verfährt mit einem gewissen Selbstbehagen, welches dem bescheidenen Ernst zuwider ist, mit welchem man wichtige Gegenstände behandeln sollte. Indessen ist sein Heft in Quart, ganz dem sizilianischen Steinreich gewidmet, mir von großem Vorteil, und ich konnte, dadurch vorbereitet, die Steinschleifer mit Nutzen besuchen, welche, früher mehr beschäftigt, zur Zeit als Kirchen und Altäre noch mit Marmor und Achaten überlegt werden mussten, das Handwerk doch noch immer forttreiben. Bei ihnen bestellte ich Muster von weichen und harten Steinen; denn so unterscheiden sie Marmor und Achate hauptsächlich deswegen, weil die Verschiedenheit des Preises sich nach diesem Unterschiede richtet. Doch wissen sie außer diesen beiden sich noch viel mit einem Material, einem Feuererzeugnis ihrer Kalköfen. In diesen findet sich nach dem Brande eine Art Glasfluss, welcher von der hellsten blauen Farbe zur dunkelsten, ja zur schwärzesten übergeht. Diese Klumpen werden wie anderes Gestein in dünne Tafeln geschnitten, nach der Höhe ihrer Farbe und Reinheit geschätzt und anstatt Lapislazuli beim Furnieren von Altären, Grabmälern und andern kirchlichen Verzierungen mit Glück angewendet.

Eine vollständige Sammlung, wie ich sie wünsche, ist nicht fertig, man wird sie mir erst nach Neapel schicken. Die Achate sind von der größten Schönheit, besonders diejenigen, in welchen unregelmäßige Flecken von gelbem oder rotem Jaspis mit weißem, gleichsam gefrornem Quarze abwechseln und dadurch die schönste Wirkung hervorbringen.

Eine genaue Nachahmung solcher Achate, auf der Rückseite dünner Glasscheiben durch Lackfarben bewirkt, ist das einzige Vernünftige, was ich aus dem pallagonischen Unsinn jenes Tages herausfand. Solche Tafeln nehmen sich zur Dekoration schöner aus als der echte Achat, indem dieser aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzt werden muss, bei jenen hingegen die Größe der Tafeln vom Architekten abhängt. Dieses Kunststück verdiente wohl, nachgeahmt zu werden.

Anmerkungen:
(1) Michel-Jean Comte de Borch: Lythologie sicilienne ou connaissance de la nature des pierres de la Sicile, suivie d'un discours sur la Calcara de Palerme, Rom 1778. Am 12. Dezember 1810 entlieh G. dessen "Briefe über Sicilien und Maltha", 1783, aus der Weimarer Bibliothek. (Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 15. Kommentar, S. 1030.)

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, den 13. April 1787

Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu Allem.

Vom Klima kann man nicht Gutes genug sagen; jetzt ist's Regenzeit, aber immer unterbrochen; heute donnert und blitzt es, und alles wird mit Macht grün. Der Lein hat schon zum Teil Knoten gewonnen, der andere Teil blüht. Man glaubt in den Gründen kleine Teiche zu sehen, so schön blaugrün liegen die Leinfelder unten. Der reizenden Gegenstände sind unzählige! Und mein Geselle ist ein exzellenter Mensch, der wahre Hoffegut, so wie ich redlich den Treufreund fortspiele. Er hat schon recht schöne Konture gemacht und wird noch das Beste mitnehmen. Welche Aussicht, mit meinen Schätzen dereinst glücklich nach Hause zu kommen!

Vom Essen und Trinken hier zu Land hab' ich noch nichts gesagt, und doch ist es kein kleiner Artikel. Die Gartenfrüchte sind herrlich, besonders der Salat von Zartheit und Geschmack wie eine Milch; man begreift, warum ihn die Alten Lactuca genannt haben. Das Öl, der Wein alles sehr gut, und sie könnten noch besser sein, wenn man auf ihre Bereitung mehr Sorgfalt verwendete. Fische die besten, zartesten. Auch haben wir diese Zeit her sehr gut Rindfleisch gehabt, ob man es gleich sonst nicht loben will.

Nun vom Mittagsessen ans Fenster! auf die Straße! Es ward ein Missetäter begnadigt, welches immer zu Ehren der heilbringenden Osterwoche geschieht. Eine Brüderschaft führt ihn bis unter einen zum Schein aufgebauten Galgen, dort muss er vor der Leiter eine Andacht verrichten, die Leiter küssen und wird dann wieder weggeführt. Es war ein hübscher Mensch vom Mittelstande, frisiert, einen weißen Frack, weißen Hut, alles weiß. Er trug den Hut in der Hand, und man hätte ihm hie und da nur bunte Bänder anheften dürfen, so konnte er als Schäfer auf jede Redoute gehen.

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Costumi Siciliani. Venditore di latte. Cesare Capello - Milano

Acquajolo Siciliano. Stengel & Co., DresdaPalermo. Costumi Siciliani. Venditori di Aranci

Volksleben
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Oben: Costumi Siciliani. Venditore di latte. Adressseite: Signet: Cesare Capello Milano. Im Briefmarkenfeld: Extra 54. Nicht gelaufen. - "Lattari", die mit ihrer Kuh morgens durch die Straßen ziehen und ihre Milch verkaufen, gab es in Palermo bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts, in Monreale noch Anfang der 60er Jahre. Siehe Rudolf und Susanne Schenda: Eine sizilianische Straße. Volkskundliche Beobachtungen aus Monreale (Volksleben; 8) Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde 1965, S. 21.
Unten links: Acquajolo Siciliano. Stengel & Co., Dresda 6045. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
Unten rechts: Palermo - Costumi Siciliani. Venditori di Aranci. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.

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Justus Tommasini
(Pseudonym von Johann Heinrich Westphal)
Straßenleben an einem Vormittag

Es ist völlig Tag geworden.

Die Ziegenhirten kommen mit ihren Herden in die Stadt: Latte! Latte friscu! Chi voul buon Latte di Crapa! (Milch! Frische Milch! Wer will gute Ziegenmilch!) Eine Magd, im Hemde und Unterrock, tritt mit einem Gefäße aus der Türe auf die Straße hinaus; der Hirte setzt den Topf unter eine der Ziegen und melkt, wobei er Sorge trägt, dass der Schaum möglichst hoch auf der Milch stehe, damit die Quantität desto größer erscheine. Die Himmelsbewohner aus dem vierten und fünften Stockwerke sind zu bequem um bis auf die Straße hinunter zu gehen; der leere Milchtopf wird zugleich mit dem Gelde in einem Körbchen, an einem langen Faden vom Balkon herunter gelassen, und der gefüllte auf dieselbe Weise vorsichtig wieder hinaufgezogen. Hat nun freilich diese Art des Milchholens den Nachteil, dass die Leute mit dem zufrieden sein müssen, was der Ziegenhirte für gut befindet hinein zu tun, so ersparen sie doch auch die Mühe, vier bis fünf Treppen zu steigen, und das ist allerdings auch schon etwas wert.

Bauern, Männer und Weiber, treiben Esel, welche jeder mit zwei großen Körben voll Gemüse bepackt sind, vor sich her: Carote! Carote! Oh che belle Carote! Vrocculu! Cucuzze de Stidda! Chi voul Finocchiu? Lattuca, bella bella Latucca! (Rote Rüben! Rote Rüben! O was für schöne rote Rüben! Broccoli! Gurken! Wer will Fenchel? Salat, schöner schöner Salat!) Gleich hinter ihnen kommt ein Gärtner, gleichfalls mit seinem bepackten Esel, und schreit: Muluni di tavola! Puma d'amuri! Pitrusinu! Oh che belle Fraule! Che belle Fraule! (Melonen! Liebesäpfel! Ptersilie! Petersilie! O was für schöne Erdbeeren! Was für schöne Erdbeeren!) Ein Anderer hat bloß Orangen zu verkaufen, und preist diese an: Portogalli! Belli Portogalli! (Orangen! Schöne Orangen!) Alle diese Leute ziehen nur eine Zeitlang in den Straßen, vorzüglich im Toledo, auf und ab; dann fassen sie Posto auf den kleinen Gemüsemärkten oder auch in der Hauptstraße selbst, und suchen nun durch noch ärgeres Geschrei neue Käufer herbeizuziehen, um den Rest ihrer Waren möglichst schnell los zu werden, und recht bald wieder nach Hause zurückkehren zu können.

Alle Kaffeläden sich jetzt offen; es werden Stühle vor die Türe gestellt, die auch gleich von denjenigen eingenommen werden, welche ihren Kaffe [sic!] im Freien trinken wollen, und die Straße vor dem Hause wird mit Wasser besprengt, um eine, selbst schon des Morgens angenehme Kühle hervor zu bringen. Ohne Unterschied der Stände sitzen hier der Marchese, der Colonello, der Abbate und der Facchino (Lastträger) neben einander; jeder schlürft eine Tasse Kaffe, bezahlt vier bis fünf sizilianische Gran (Zwei sizilianische Gran machen einen Kreuzer Konvenzionsgeld.), und hat damit sein Frühstück vollendet.

Auch die übrigen Läden und Gewölbe öffnen sich nach und nach; Verkäufer aller Art nehmen ihre Plätze auf beiden Seiten der Straße ein, und eine geschäftige Menge erfüllt die Mitte. Man steht hier allgemein früh auf, weil man nachmittags schläft; so ist gewöhnlich eine Stunde nach Sonnenaufgang der lärmenvollste Verkehr völlig im Gange, und hat bald nachher schon die größte Höhe erreicht.

Von Deinem Balkon herab überschaust Du dies zwar recht gut, aber Du hältst es doch für besser, selbst auf die Straße hinabzugehen, um alles mehr in der Nähe zu betrachten.

Diese Neugierde bekommt Dir aber beinahe übel. Ein Fiacre oder Lohnkutscher, der auf einem der Plätze beim Toledo hielt, und, wie die Spinne auf eine Fliege, auf einen Fahrlustigen lauerte, sieht Dich, einen wohlgekleideten Mann, zu Fuße daherkommen; er peitscht seine Pferde an, fährt Dir zur Seite, ein lumpiger Junge, der hintenauf stand, oder auch wohl der Kutscher selbst, öffnet den Schlag und fragt: Signore, Signore, dove vuol andare? (Mein Herr, mein Herr, wohin wollen Sie fahren?) Unterdessen ist schon ein anderer von der andern Seite gekommen, und es erfolgt dieselbe Einladung; Du protestierst gegen alles Fahren, verlangst dass man Dich in Ruhe gehen lassen soll, und in dem Augenblicke kommt ein dritter Wagen, welcher quer vorfährt und Dir durchaus den Weg versperrt. Erzürnt hierüber, und nach Art der Lemminge, allen Hindernissen zum Trotz, Deinen Weg fortzusetzen; Du steigst also in den Wagen, in der Absicht auf der andern Seite wieder hinaus und davon zu gehen; kaum aber bist Du drinnen, so schlägt der Junge den Schlag zu, der Kutscher peitscht die Pferde an, und ohne noch zu wissen wohin, jagt er mit Dir von dannen. Auf solche Weise kommst Du zu einer Spazierfahrt, welche Du nun zwar so kurz oder so lang einrichten kannst, als Du willst, immer aber bezahlen musst; deshalb und weil der bequeme Wagen äußerst sanft und schnell auf dem glatten Pflaster dahin rollt, findest Du Geschmack an diesem Vergnügen, und trabst den ganzen Toledo etliche Male auf und nieder. Dein Kutscher, glücklich einen Fang getan zu haben, schreit fortwährend den Leuten auf der Straße sein Luogo! Luogo! Badino pure! (Platz! Platz! Nehmen Sie sich in Acht!) zu, und verschwendet die schmeichelhaftesten Ehrentitel an einen Kollegen, der ihm etwa gar zu nahe vorbei fährt und anstößt. Unten auf der Straße aber gilt es aufmerksam und flink zu sein, und Du siehst die Leute mit Schnelligkeit und Geschicklichkeit den eilenden Wagen, und ebenso auch den nicht eilenden Lastträgern ausweichen, denen man hier jedoch nicht eben den Vorwurf machen kann, dass sie ihr lautes Guarda! Guarda! (Vorgesehen! Vorgesehen!) erst nach erteiltem Rippenstoße erschallen ließen.

Mancherlei Trödler breiten auf offener Straße ihren Kram auf Tischen und Gestellen aus. Da sind Büchertrödler, die eine Menge geistlicher Schriften, Gebetbücher und Erbauungsbücher, auch lateinische Klassiker und Kanzonetten in der Volkssprache feil bieten, und Du findest die Geschichte des Pyramus und der Thisbe neben der des heiligen Alexis oder Christophs, eine Kanzonette über ein Banditenoberhaupt neben einer sehr rührenden Beschreibung der Schöpfung der Welt und des jüngsten Gerichts. Bei den Kleidertrödlern finden sich immer die ältern Moden in ziemlicher Vollständigkeit, wiewohl in etwas abgetragenen Exemplaren; den Trödlern aber für Eisenwaren und andere dergleichen Sachen erscheint nichts zu gering, um ihm nicht einen Platz unter ihrem Vorrate zu gönnen, und es zugleich mit den besten Stücken desselben möglichst laut den Vorübergehenden anzupreisen.

Krüppel aller Art betteln, indem sie ihr Übel öffentlich zur Schau tragen; alte zur Arbeit unfähige Leute, und selbst rüstige Männer und Weiber, welche mehr auf das Einträgliche als Ehrenvolle bei dem Handwerke sehen, jammern und flehen Dich an bei den Wunden des Heilands und der Unbeflecktheit der allerheiligsten Jungfrau ihnen einen Gran zu geben; tust Du es, so empfehlen sie Dich der besondern Obhut und Vorsorge der Heiligen, und stehlen Dir dabei, wenn sich die Gelegenheit darbietet, das Schnupftuch aus der Tasche. Vorzüglich sind die Kaffehäuser immer von diesen Leuten wie belagert; sie sehen Dich an und flehen in stummer Gebärdensprache zu Dir, bis Du nach Geld langst, um zu bezahlen: dann beginnt sogleich ein Jammertutti, welches für den Fremden wohl nur erst nach langer Zeit sein Peinliches verliert und gleichgültig wird. Die ärgsten aber von allem Bettelvolke sind die Kinder, vorzüglich die Knaben von acht bis zwölf Jahren; zehnmal verjagt, kehren sie, wie die Fliegen, immer wieder zurück, schneiden die erbärmlichsten Gesichter, um desto schneller auf Deine Mildtätigkeit zu wirken, und wenn Du endlich doch weggehst ohne ihnen etwas gegeben zu haben, so lachen sie hinter Dir her und verhöhnen Dich. Vorzüglich hat mich in diesen Tagen ein solcher Junge geärgert, welcher ein ein- bis anderthalbjähriges Kind auf dem Rücken trägt, und, indem er sich darauf verlässt, dass sich das Kind von selbst fest genug anklammern werde, ohne es nur im mindesten zu halten, immerfort im vollen Galopp neben den Wägen herläuft und bettelt, so dass man in jedem Augenblicke besorgt sein muss, das Kind herabstürzen zu sehen.

Auf beiden Seiten der Straße haben die Wasserverkäufer ihre bunt bemalten und aufgeputzten Buden aufgeschlagen. Von den vier Ecken eines ziemlich großen und festen Tisches erheben sich vier Pfosten, die oben mit einander verbunden sind; diese Verbindung ist immer sehr zierlich gearbeitet, und mit einem hölzernen Heiligen oder Engel und einer Menge von Kränzen und Fahnen geschmückt. Auf jeder Seite ist zwischen den beiden Pfosten ein langes Wasserfass aufgehängt; beide Fässer werden oft hin und her bewegt, damit sich das Wasser desto besser mit dem hinzu getanen Schnee vermische. Auf dem Tische selbst stehen die Gläser, einige Flaschen mit Wacholderbranntwein und Zitronensaft, für etwanige Liebhaber unters Wasser zu mischen, und den übrigen Raum nehmen pyramidalisch aufgeschichtete Zitronen oder auch Wassermelonen ein. Dahinter steht der Acquajuolo (Wasserverkäufer), der fast ohne Unterlass sein: Acqua, Signori! Acqua frisca! Chi beve Acqua cun Limuni? (Wasser, meine Herren! Frisches Wasser! Wer trinkt Wasser mit Zitronen?) ertönen lässt, und nur bisweilen mit dem Ausrufe: Muluni d'Acqua! Belli Muluni d'Acqua! Oh che bella cosa! (Wassermelonen! Schöne Wassermelonen! Was für eine Rarität) abwechselt.

Andere wandernde Wassermänner, mit einem Fässchen auf dem Rücken und einem Körbchen mit zwei Gläsern und einigen Zitronen in der Hand, ziehen mit demselben gellenden Ausrufe in den Straßen auf und ab; und da geschieht es denn oft, dass dicht hinter Dir ein solcher Kerl plötzlich seine Stimme erhebt und so arg schreit, als sollte ihm mindestens der Hals umgedreht werden. Erschreckt und ein Unglück befürchtend, wendest Du Dich um, siehst aber nichts als den Kerl, welcher eben seinen Ausruf vollendet hat, und nun wieder so ruhig aussieht, als ob er seit einer Stunde den Mund nicht aufgetan hätte.

Mit schöner Janitscharenmusik ziehen einige österreichische Bataillone (denn andere Truppen sind hier jetzt nicht), die vom Exerzieren zurück kommen, durch die Stadt; alles horcht auf die Musik, vorzüglich auf die große Trommel, und gewiss wünscht mancher auch so das Talent zu haben, sich ausschließlich bemerkbar und vernehmbar machen zu können.

Die Sonne fängt an in die Straße zu scheinen. Sogleich werden die Zelte vor den Türen der Kaffeläden und Gewölbe herunter gelassen, und dann nehmen die Kaufleute, Mäkler, Schiffskapitäne u.s.w. hier ihre Plätze ein, um ihre Geschäfte mit einander abzumachen, und die Pflastertreter finden sich gleichfalls ein, aber bloß um sich mit einer Limonata granita (in Eis gekühlte Limonade) zu erfrischen, und dann mit far nulla zu beschäftigen. In den Galanterieläden sind geputzte Damen, gewöhnlich in Begleitung ihrer Cicisbeen oder Cavalieri serventi, beschäftigt die Pariser Neuigkeiten zu mustern, dies oder jenes zu kaufen, oder auch wohl nur als Avis au Lecteur für den armen Begleiter, äußerst schön und geschmackvoll zu finden.

Eine große Menge Menschen sind gewöhnlich in oder vor den Lottokomptoirs versammelt, deren es hier auch mehr als zu viele gibt: die Einen, um der in ganz Italien herrschenden Lottowut zufolge, die geträumten oder von einer weisen Frau oder einem Ketzer erhaltenen Nummern zu besetzen, die Andern, um die letztherausgekommenen Zahlen nachzusehen, und sich dann zu ärgern, dass die für so sicher gehaltenen doch im Glücksrade stecken geblieben.

Andere streitlustige Leute, und es soll deren sehr viele in Sizilien geben, finden sich in den Buden oder offenen Zimmern der Notarien, erzählen hier ihre Sache, lassen die Gesetzbücher nachschlagen, und erhalten nicht leicht, auch wenn sie noch so wenig versprechend aussehen, den Bescheid, dass sich die Sache nicht zum Prozesse qualifiziere; im Gegenteil, der Notar findet immer, dass das Recht ganz deutlich auf ihrer Seite sei, und muntert zum Prozesse auf. Glaubwürdige Leute haben mich auch versichert, dass man an diesen Orten Zeugen für jede Sache gegen leidliche Bezahlung erhalten könne. Dies will ich dahingestellt sein lassen, bemerke aber nur, dass dieser Zeugenkauf im Neapolitanischen etwas ganz gewöhnliches ist, und dass vorzüglich die Einwohner von Capua sich darin auszeichnen, gegen Bezahlung, alles, was man haben will, ohne Bedenken zu beschwören.

Auf öffentlicher Straße sitzen die Schreiber, welche für ein sehr geringes den in dieser Kunst Unerfahrenen, Briefe, Rechnungen, Quittungen und dergleichen schreiben; und es ist sehr unterhaltend die lebhafte Art zu hören und zu sehen, mit welcher diese Leute das, was sie geschrieben zu haben wünschen, angeben, während der Schreiber gravitätisch dasitzt, sie anhört, hin und wieder einige Fragen tut, dann schreibt, und nun wiederum nicht ohne ein Ansehen von Wichtigkeit das Geschriebene vorliest. Schade, dass der ziemlich unverständliche Dialekt einem Fremden nur selten erlaubt, alles zu verstehen.

Von dem Erdgeschosse der Häuser dient alles, was nicht Gewölbe, Laden, Kaffezimmer oder Schreibstube ist, als Werkstätte für die Handwerker, und zwar finden sich hier gewöhnlich diejenigen desselben Handwerks ziemlich nahe bei einander; da es denn einen gar komischen Anblick gewährt, auf der einen Seite der Straße eine Menge dicht zusammengedrängter Schneider, auf der andern Seite ebenso die Schuster zu sehen. Alle diese Handwerker sitzen vor der Türe auf den Schrittsteinen, singen, und reden untereinander und über die Straße hinweg mit ihren guten Freunden, wobei, wenn die Stimmen, des ungeheuren Spektakels wegen, nicht mehr ausreichen wollen, die höchst ausdrucksvolle Gebärdensprache zu Hilfe genommen wird.

In der Mitte der Straße eilen Kutschen und Wagen hin und her, bepackte Maultiere und Esel drängen sich hindurch, und eine ewig bewegte Menge wogt auf und ab. Alles schreit: zuerst die Kutscher und Lastträger, welche es auch am nötigsten haben; dann die mancherlei Verkäufer, indem sie ihre Waren nicht bloß anpreisen, sondern selbst aufs höchste bewundern; hierauf die Käufer, indem sie sich jenen verständlich machen wollen; ferner die Bettler, um ein Almosen zu erhaschen; endlich müssen selbst alle diejenigen, welche sich sonst ruhig mit einander besprochen hätten, jetzt schreien und mit Gesicht, Händen und Füßen dazu gestikulieren, weil sie sonst niemand vernehmen würde. Daher denn auch das entsetzliche Getöse, was die ganze Straße erfüllt, und was, je länger jeder, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, den andern im Toben zu überbieten sucht. Ein Nordländer kann sich durchaus, ohne es gehört zu haben, keinen Begriff davon machen; denn alles Schreien unserer Matrosen und halbbetrunkenen Handwerksburschen ist eine wahre Kleinigkeit gegen dasjenige eines neapolitanischen oder palermitanischen Orangenverkäufers, wenn der Kerl mit den Knien einknickt, den Leib vornüber beugt, die flachen Hände auf beiden Seiten an den Kopf legt, und nun ein Portogalli! Oh che belli portogalli! hervorbrüllt.

Plötzlich verstummt der Lärm; jedermann nimmt den Hut ab, und fällt auf die Knie: es wird das Venerabile zu einem Kranken gebracht. Zuerst ein Trommelschläger, dann Chorknaben mit Rauchfässern und angezündeten Wachskerzen, hierauf der Priester mit der Monstranz, und zum Beschluss wieder Chorknaben mit Lichtern. So zieht der Zug langsam durch die Straßen, und wo er sich zeigt, herrscht Stille und Andacht. Kaum ist er aber auch vorbei, so fängt der Spektakel von neuem an; ja die Kehlen zeigen sich nach der kurzen Ruhe, wo möglich, noch tätiger als vorher.

Nun aber wird der Mittag eingeläutet; jeder denkt ans Mittagessen und an die Siesta (Mittagsschlaf), und bald verspürt man eine merkliche Abnahme des Getümmels. Die Gewölbe, die Kram- und Kaffeläden, die Sorbetterien, alles wird geschlossen; der Trödler packt seine Siebensachen ein, selbst der Lastträger streckt sich, nach einer frugalen Mahlzeit, im Schatten auf den Schrittsteinen aus, und überlässt sich dem Schlafe. Dann erscheint die Straße ziemlich öde; nur hin und wieder sieht man sehr beschäftigte Leute sich der bedeutenden Hitze aussetzen, und langsam hierhin oder dorthin gehen; einzelne Wasserverkäufer machen sich jetzt, auch ohne Geschrei, bemerklich; Müßiggänger erblickt man gewiss nicht.

Quelle:
Justus Tommasini (Pseudonym von Johann Heinrich Westphal): Briefe aus Sizilien. Berlin und Stettin: Nicolaische Buchhandlung 1825 (Digitalisierung durch Google), S. 24-36. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Stand angeglichen. - Johann Heinrich Westphal (1794-1831), Gelehrter, Reisender und fruchtbarer Schriftsteller. Ließ sich 1823 als Privatgelehrter in Neapel nieder und besuchte Sizilien fünfmal. Der Eintrag in der ADB ist online verfügbar.

Eine ausführliche Beschreibung des Tageslaufs im Straßenleben Palermos findet sich im Eintrag "Palermo" des "Damen Conversations Lexikons" (Bd. 8, 1837). Der Eintrag ist im PDF-Format hier wiedergegeben. Drücken Sie hier.

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Palermo, Contadina. Francesco Verderosa - PalermoCostumi Siciliani. Contadina all' acqua
Palermo. Costume Contadina. Francesco Verderosa Edit. - PalermoPalermo. Costume Siciliano. Contadina all' Acqua

Costumi Siciliani. Portatrice d'acqua. Giovanni Bucaro - Palermo

Wasserträgerinnen
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1. Reihe, links: Palermo - Contadina. 1209. F[rancesco] Verderosa - Palermo. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
1. Reihe, rechts: Costumi Siciliani. Contadina all' acqua. Adressseite, im Briefmarkenfeld: 2426/11. Nicht gelaufen.
2. Reihe, links: 57. Palermo - Costume Contadina. F[rancesco] Verderosa Edit. - Palermo. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
2. Reihe, rechts: Palermo - Costume Siciliano - Contadina all' Acqua. 4135. Adressseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
Unteres Bild: Costumi Siciliani. Portatrice d'acqua. Adressseite: G. B. P. [Giovanni Bucaro, Palermo] Im Briefmarkenfeld: 736. Nicht gelaufen.

Diese Kostümbilder sind im Fotoatelier zum Teil vor Prospekt und mit Requisiten erstellt. Die letzte Farbpostkarte zeigt eine kolorierte Vergrößerung aus der Fototypie-Serie des zweiten Bildes der zweiten Reihe.

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Alessandro Cagliostro

Bildquelle: Wikimedia Commons
GNU-Lizenz für freie Dokumentation

Über Alessandro Cagliostro (1742-1795) siehe den Eintrag in Wikipedia.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, den 13. und 14. April 1787

Und so sollte mir denn kurz vor dem Schlusse ein sonderbares Abenteuer beschert sein, wovon ich sogleich umständliche Nachricht erteile.

Schon die ganze Zeit meines Aufenthalts hörte ich an unserm öffentlichen Tische manches über Cagliostro, dessen Herkunft und Schicksale reden. Die Palermitaner waren darin einig, dass ein gewisser Joseph Balsamo, in ihrer Stadt geboren, wegen mancherlei schlechter Streiche berüchtigt und verbannt sei. Ob aber dieser mit dem Grafen Cagliostro nur eine Person sei, darüber waren die Meinungen geteilt. Einige, die ihn ehemals gesehen hatten, wollten seine Gestalt in jenem Kupferstiche wiederfinden, der bei uns bekannt genug ist und auch nach Palermo gekommen war.

Unter solchen Gesprächen berief sich einer der Gäste auf die Bemühungen, welche ein palermitanischer Rechtsgelehrter übernommen, diese Sache ins klare zu bringen. Er war durch das französische Ministerium veranlasst worden, dem Herkommen eines Mannes nachzuspüren, welcher die Frechheit gehabt hatte, vor dem Angesichte Frankreichs, ja man darf wohl sagen der Welt, bei einem wichtigen und gefährlichen Prozesse die albernsten Märchen vorzubringen.

Es habe dieser Rechtsgelehrte, erzählte man, den Stammbaum des Joseph Balsamo aufgestellt und ein erläuterndes Memoire mit beglaubigten Beilagen nach Frankreich abgeschickt, wo man wahrscheinlich davon öffentlichen Gebrauch machen werde.

Ich äußerte den Wunsch, diesen Rechtsgelehrten, von welchem außerdem viel Gutes gesprochen wurde, kennen zu lernen, und der Erzähler erbot sich, mich bei ihm anzumelden und zu ihm zu führen.

Nach einigen Tagen gingen wir hin und fanden ihn mit seinen Klienten beschäftigt. Als er diese abgefertigt und wir das Frühstück genommen hatten, brachte er ein Manuskript hervor, welches den Stammbaum Cagliostros, die zu dessen Begründung nötigen Dokumente in Abschrift und das Konzept eines Memoire enthielt, das nach Frankreich abgegangen war.

Er legte mir den Stammbaum vor und gab mir die nötigen Erklärungen darüber, wovon ich hier so viel anführe, als zu leichterer Einsicht nötig ist.

Joseph Balsamos Urgroßvater mütterlicher Seite war Matthäus Martello. Der Geburtsname seiner Urgroßmutter ist unbekannt. Aus dieser Ehe entsprangen zwei Töchter, eine namens Maria, die an Joseph Bracconeri verheiratet und Großmutter Joseph Balsamos ward. Die andere, namens Vincenza, verheiratete sich an Joseph Cagliostro, der von einem kleinen Orte La Noara, acht Meilen von Messina, gebürtig war. Ich bemerke hier, dass zu Messina noch zwei Glockengießer dieses Namens leben. Diese Großtante war in der Folge Pate bei Joseph Balsamo; er erhielt den Taufnamen ihres Mannes und nahm endlich auswärts auch den Zunamen Cagliostro von seinem Großonkel an.

Die Eheleute Bracconeri hatten drei Kinder: Felicitas, Matthäus und Antonin.

Felicitas ward an Peter Balsamo verheiratet, den Sohn eines Bandhändlers in Palermo, Antonin Balsamo, der vermutlich von jüdischem Geschlecht abstammte. Peter Balsamo, der Vater des berüchtigten Josephs, machte Bankerott und starb in seinem fünfundvierzigsten Jahre. Seine Witwe, welche noch gegenwärtig lebt, gab ihm außer dem benannten Joseph noch eine Tochter, Johanna Joseph-Maria, welche an Johann Baptista Capitummino verheiratet wurde, der mit ihr drei Kinder zeugte und starb.

Das Memoire, welches uns der gefällige Verfasser vorlas und mir auf mein Ersuchen einige Tage anvertraute, war auf Taufscheine, Ehekontrakte und andere Instrumente gegründet, die mit Sorgfalt gesammelt waren. Es enthielt ungefähr die Umstände (wie ich aus einem Auszug, den ich damals gemacht, ersehe), die uns nunmehr aus den römischen Prozessakten bekannt geworden sind, dass Joseph Balsamo anfangs Juni 1743 zu Palermo geboren, von Vincenza Martello, verheirateter Cagliostro, aus der Taufe gehoben sei, dass er in seiner Jugend das Kleid der Barmherzigen Brüder genommen, eines Ordens, der besonders Kranke verpflegt, dass er bald viel Geist und Geschick für die Medizin gezeigt, doch aber wegen seiner übeln Aufführung fortgeschickt worden, dass er in Palermo nachher den Zauberer und Schatzgräber gemacht.

Seine große Gabe, alle Hände nachzuahmen, ließ er nicht unbenutzt (so fährt das Memoire fort). Er verfälschte oder verfertigte vielmehr ein altes Dokument, wodurch das Eigentum einiger Güter in Streit geriet. Er kam in Untersuchung, ins Gefängnis, entfloh und ward edictaliter zitiert. Er reiste durch Kalabrien nach Rom, wo er die Tochter eines Gürtlers heiratete. Von Rom kehrte er nach Neapel unter dem Namen Marchese Pellegrini zurück. Er wagte sich wieder nach Palermo, ward erkannt, gefänglich eingezogen und kam nur auf eine Weise los, die wert ist, dass ich sie umständlich erzähle.

Der Sohn eines der ersten sizilianischen Prinzen und großen Güterbesitzers, eines Mannes, der an dem neapolitanischen Hofe ansehnliche Stellen bekleidete, verband mit einem starken Körper und einer unbändigen Gemütsart allen Übermut, zu dem sich der Reiche und Große ohne Bildung berechtigt glaubt.

Donna Lorenza wusste ihn zu gewinnen, und auf ihn baute der verstellte Marchese Pellegrini seine Sicherheit. Der Prinz zeigte öffentlich, dass er dies angekommene Paar beschütze; aber in welche Wut geriet er, als Joseph Balsamo auf Anrufen der Partei, welche durch seinen Betrug Schaden gelitten, abermals ins Gefängnis gebracht wurde! Er versuchte verschiedene Mittel, ihn zu befreien, und da sie ihm nicht gelingen wollten, drohte er im Vorzimmer des Präsidenten, den Advokaten der Gegenpartei aufs grimmigste zu misshandeln, wenn er nicht sogleich die Verhaftung des Balsamo wieder aufhöbe. Als der gegenseitige Sachwalter sich weigerte, ergriff er ihn, schlug ihn, warf ihn auf die Erde, trat ihn mit Füßen und war kaum von mehreren Misshandlungen abzuhalten, als der Präsident selbst auf den Lärm herauseilte und Frieden gebot.

Dieser, ein schwacher, abhängiger Mann, wagte nicht, den Beleidiger zu bestrafen; die Gegenpartei und ihr Sachwalter wurden kleinmütig, und Balsamo ward in Freiheit gesetzt, ohne dass bei den Akten sich eine Registratur über seine Loslassung befindet, weder wer sie verfügt, noch wie sie geschehen.

Bald darauf entfernte er sich von Palermo und tat verschiedene Reisen, von welchen der Verfasser nur unvollständige Nachrichten geben konnte.

Das Memoire endigte sich mit einem scharfsinnigen Beweise, dass Cagliostro und Balsamo ebendieselbe Person sei, eine These, die damals schwerer zu behaupten war, als sie es jetzt ist, da wir von dem Zusammenhang der Geschichte vollkommen unterrichtet sind.

Hätte ich nicht damals vermuten müssen, dass man in Frankreich einen öffentlichen Gebrauch von jenem Aufsatz machen würde, dass ich ihn vielleicht bei meiner Zurückkunft schon gedruckt anträfe, so wäre es mir erlaubt gewesen, eine Abschrift zu nehmen und meine Freunde und das Publikum früher von manchen interessanten Umständen zu unterrichten.

Indessen haben wir das meiste und mehr, als jenes Memoire enthalten konnte, von einer Seite her erfahren, von der sonst nur Irrtümer auszuströmen pflegten. Wer hätte geglaubt, dass Rom einmal zur Aufklärung der Welt, zur völligen Entlarvung eines Betrügers so viel beitragen sollte, als es durch die Herausgabe jenes Auszugs aus den Prozessakten geschehen ist! Denn obgleich diese Schrift weit interessanter sein könnte und sollte, so bleibt sie doch immer ein schönes Dokument in den Händen eines jeden Vernünftigen, der es mit Verdruss ansehen musste, dass Betrogene, Halbbetrogene und Betrüger diesen Menschen und seine Possenspiele jahrelang verehrten, sich durch die Gemeinschaft mit ihm über andere erhoben fühlten und von der Höhe ihres gläubigen Dünkels den gesunden Menschenverstand bedauerten, wo nicht geringschätzten.

Wer schwieg nicht gern während dieser Zeit? und auch nur jetzt, nachdem die ganze Sache geendigt und außer Streit gesetzt ist, kann ich es über mich gewinnen, zu Komplettierung der Akten dasjenige, was mir bekannt ist, mitzuteilen.

Als ich in dem Stammbaume so manche Personen, besonders Mutter und Schwester, noch als lebend angegeben fand, bezeigte ich dem Verfasser des Memoire meinen Wunsch, sie zu sehen und die Verwandten eines so sonderbaren Menschen kennen zu lernen. Er versetzte, dass es schwer sein werde, dazu zu gelangen, indem diese Menschen, arm, aber ehrbar, sehr eingezogen lebten, keine Fremden zu sehen gewohnt seien, und der argwöhnische Charakter der Nation sich aus einer solchen Erscheinung allerlei deuten werde; doch er wolle mir seinen Schreiber schicken, der bei der Familie Zutritt habe und durch den er die Nachrichten und Dokumente, woraus der Stammbaum zusammengesetzt worden, erhalten.

Den folgenden Tag erschien der Schreiber und äußerte wegen des Unternehmens einige Bedenklichkeiten. »Ich habe«, sagte er, »bisher immer vermieden, diesen Leuten wieder unter die Augen zu treten; denn um ihre Ehekontrakte, Taufscheine und andere Papiere in die Hände zu bekommen und von selbigen legale Kopien machen zu können, musste ich mich einer eigenen List bedienen. Ich nahm Gelegenheit, von einem Familienstipendio zu reden, das irgendwo vakant war, machte ihnen wahrscheinlich, dass der junge Capitummino sich dazu qualifiziere, dass man vor allen Dingen einen Stammbaum aufsetzen müsse, um zu sehen, inwiefern der Knabe Ansprüche darauf machen könne; es werde freilich nachher alles auf Negoziation ankommen, die ich übernehmen wolle, wenn man mir einen billigen Teil der zu erhaltenden Summe für meine Bemühungen verspräche. Mit Freuden willigten die guten Leute in alles; ich erhielt die nötigen Papiere, die Kopien wurden genommen, der Stammbaum ausgearbeitet, und seit der Zeit hüte ich mich, vor ihnen zu erscheinen. Noch vor einigen Wochen wurde mich die alte Capitummino gewahr, und ich wusste mich nur mit der Langsamkeit, womit hier dergleichen Sachen vorwärts gehen, zu entschuldigen.«

So sagte der Schreiber. Da ich aber von meinem Vorsatz nicht abging, wurden wir nach einiger Überlegung dahin einig, dass ich mich für einen Engländer ausgeben und der Familie Nachrichten von Cagliostro bringen sollte, der eben aus der Gefangenschaft der Bastille nach London gegangen war.

Zur gesetzten Stunde, es mochte etwa drei Uhr nach Mittag sein, machten wir uns auf den Weg. Das Haus lag in dem Winkel eines Gässchens, nicht weit von der Hauptstraße, il Cassaro genannt. Wir stiegen eine elende Treppe hinauf und kamen sogleich in die Küche. Eine Frau von mittlerer Größe, stark und breit, ohne fett zu sein, war beschäftigt, das Küchengeschirr aufzuwaschen. Sie war reinlich gekleidet und schlug, als wir hineintraten, das eine Ende der Schürze hinauf, um vor uns die schmutzige Seite zu verstecken. Sie sah meinen Führer freudig an und sagte: »Signor Giovanni, bringen Sie uns gute Nachrichten? Haben Sie etwas ausgerichtet?«

Er versetzte: »In unserer Sache hat mir's noch nicht gelingen wollen; hier ist aber ein Fremder, der einen Gruß von Ihrem Bruder bringt und Ihnen erzählen kann, wie er sich gegenwärtig befindet.«

Der Gruß, den ich bringen sollte, war nicht ganz in unserer Abrede; indessen war die Einleitung einmal gemacht. – »Sie kennen meinen Bruder?« fragte sie. – »Es kennt ihn ganz Europa«, versetzte ich; »und ich glaube, es wird Ihnen angenehm sein, zu hören, dass er sich in Sicherheit und wohl befindet, da Sie bisher wegen seines Schicksals gewiss in Sorgen gewesen sind.« – »Treten Sie hinein«, sagte sie, »ich folge Ihnen gleich«; und ich trat mit dem Schreiber in das Zimmer.

Es war so groß und hoch, dass es bei uns für einen Saal gelten würde; es schien aber auch beinah die ganze Wohnung der Familie zu sein. Ein einziges Fenster erleuchtete die großen Wände, die einmal Farbe gehabt hatten und auf denen schwarze Heiligenbilder in goldenen Rahmen herumhingen. Zwei große Betten ohne Vorhänge standen an der einen Wand, ein braunes Schränkchen, das die Gestalt eines Schreibtisches hatte, an der andern. Alte, mit Rohr durchflochtene Stühle, deren Lehnen ehmals vergoldet gewesen, standen daneben, und die Backsteine des Fußbodens waren an vielen Stellen tief ausgetreten. Übrigens war alles reinlich, und wir näherten uns der Familie, die am andern Ende des Zimmers an dem einzigen Fenster versammelt war.

Indes mein Führer der alten Balsamo, die in der Ecke saß, die Ursache unsers Besuchs erklärte und seine Worte wegen der Taubheit der guten Alten mehrmals laut wiederholte, hatte ich Zeit, das Zimmer und die übrigen Personen zu betrachten. Ein Mädchen von ungefähr sechzehn Jahren, wohlgewachsen, deren Gesichtszüge durch die Blattern undeutlich geworden waren, stand am Fenster; neben ihr ein junger Mensch, dessen unangenehme, durch die Blattern entstellte Bildung mir auch auffiel. In einem Lehnstuhl saß oder lag vielmehr gegen dem Fenster über eine kranke, sehr ungestaltete Person, die mit einer Art Schlafsucht behaftet schien.

Als mein Führer sich deutlich gemacht hatte, nötigte man uns zum Sitzen. Die Alte tat einige Fragen an mich, die ich mir aber musste dolmetschen lassen, eh' ich sie beantworten konnte, da mir der sizilianische Dialekt nicht geläufig war.

Ich betrachtete indessen die alte Frau mit Vergnügen. Sie war von mittlerer Größe, aber wohlgebildet; über ihre regelmäßigen Gesichtszüge, die das Alter nicht entstellt hatte, war der Friede verbreitet, dessen gewöhnlich die Menschen genießen, die des Gehörs beraubt sind; der Ton ihrer Stimme war sanft und angenehm.

Ich beantwortete ihre Fragen, und meine Antworten mussten ihr auch wieder verdolmetscht werden.

Die Langsamkeit unserer Unterredung gab mir Gelegenheit, meine Worte abzumessen. Ich erzählte ihr, dass ihr Sohn in Frankreich losgesprochen worden und sich gegenwärtig in England befinde, wo er wohl aufgenommen sei. Ihre Freude, die sie über diese Nachrichten äußerte, war mit Ausdrücken einer herzlichen Frömmigkeit begleitet, und da sie nun etwas lauter und langsamer sprach, konnt' ich sie eher verstehen.

Indessen war ihre Tochter hereingekommen und hatte sich zu meinem Führer gesetzt, der ihr das, was ich erzählt hatte, getreulich wiederholte. Sie hatte eine reinliche Schürze vorgebunden und ihre Haare in Ordnung unter das Netz gebracht. Je mehr ich sie ansah und mit ihrer Mutter verglich, desto auffallender war mir der Unterschied beider Gestalten. Eine lebhafte, gesunde Sinnlichkeit blickte aus der ganzen Bildung der Tochter hervor; sie mochte eine Frau von vierzig Jahren sein. Mit muntern blauen Augen sah sie klug umher, ohne dass ich in ihrem Blick irgendeinen Argwohn spüren konnte. Indem sie saß, versprach ihre Figur mehr Länge, als sie zeigte, wenn sie aufstand; ihre Stellung war determiniert, sie saß mit vorwärts gebogenem Körper und die Hände auf die Knie gelegt. Übrigens erinnerte mich ihre mehr stumpfe als scharfe Gesichtsbildung an das Bildnis ihres Bruders, das wir in Kupfer kennen. Sie fragte mich verschiedenes über meine Reise, über meine Absicht, Sizilien zu sehen, und war überzeugt, dass ich gewiss zurückkommen und das Fest der heiligen Rosalie mit ihnen feiern würde.

Da indessen die Großmutter wieder einige Fragen an mich getan hatte und ich ihr zu antworten beschäftigt war, sprach die Tochter halblaut mit meinem Gefährten, doch so, dass ich Anlass nehmen konnte, zu fragen, wovon die Rede sei. Er sagte darauf, Frau Capitummino erzähle ihm, dass ihr Bruder ihr noch vierzehn Unzen schuldig sei; sie habe bei seiner schnellen Abreise von Palermo versetzte Sachen für ihn eingelöset; seit der Zeit aber weder etwas von ihm gehört, noch Geld, noch irgendeine Unterstützung von ihm erhalten, ob er gleich, wie sie höre, große Reichtümer besitze und einen fürstlichen Aufwand mache. Ob ich nicht über mich nehmen wolle, nach meiner Zurückkunft ihn auf eine gute Weise an die Schuld zu erinnern und eine Unterstützung für sie auszuwirken, ja, ob ich nicht einen Brief mitnehmen oder allenfalls bestellen wolle. Ich erbot mich dazu. Sie fragte, wo ich wohne, wohin sie mir den Brief zu schicken habe. Ich lehnte ab, meine Wohnung zu sagen, und erbot mich, den andern Tag gegen Abend den Brief selbst abzuholen.

Sie erzählte mir darauf ihre missliche Lage; sie sei eine Witwe mit drei Kindern, von denen das eine Mädchen im Kloster erzogen werde; die andere sei hier gegenwärtig und ihr Sohn eben in die Lehrstunde gegangen. Außer diesen drei Kindern habe sie ihre Mutter bei sich, für deren Unterhalt sie sorgen müsse, und überdies habe sie aus christlicher Liebe die unglückliche kranke Person zu sich genommen, die ihre Last noch vergrößere; alle ihre Arbeitsamkeit reiche kaum hin, sich und den Ihrigen das Notdürftige zu verschaffen. Sie wisse zwar, dass Gott diese guten Werke nicht unbelohnt lasse, seufze aber doch sehr unter der Last, die sie schon so lange getragen habe.

Die jungen Leute mischten sich auch ins Gespräch, und die Unterhaltung wurde lebhafter. Indem ich mit den andern sprach, hört' ich, dass die Alte ihre Tochter fragte, ob ich denn auch wohl ihrer heiligen Religion zugetan sei. Ich konnte bemerken, dass die Tochter auf eine kluge Weise der Antwort auszuweichen suchte, indem sie, soviel ich verstand, der Mutter bedeutete, dass der Fremde gut für sie gesinnt zu sein schiene, und dass es sich wohl nicht schicke, jemanden sogleich über diesen Punkt zu befragen.

Da sie hörten, dass ich bald von Palermo abreisen wollte, wurden sie dringender und ersuchten mich, dass ich doch ja wiederkommen möchte; besonders rühmten sie die paradiesischen Tage des Rosalienfestes, dergleichen in der ganzen Welt nicht müsse gesehen und genossen werden.

Mein Begleiter, der schon lange Lust gehabt hatte, sich zu entfernen, machte endlich der Unterredung durch seine Gebärden ein Ende, und ich versprach, den andern Tag gegen Abend wiederzukommen und den Brief abzuholen. Mein Begleiter freute sich, dass alles so glücklich gelungen sei, und wir schieden zufrieden voneinander.

Man kann sich den Eindruck denken, den diese arme, fromme, wohlgesinnte Familie auf mich gemacht hatte. Meine Neugierde war befriedigt, aber ihr natürliches und gutes Betragen hatte einen Anteil in mir erregt, der sich durch Nachdenken noch vermehrte.

Sogleich aber entstand in mir die Sorge wegen des folgenden Tags. Es war natürlich, dass diese Erscheinung, die sie im ersten Augenblick überrascht hatte, nach meinem Abschiede manches Nachdenken bei ihnen erregen musste. Durch den Stammbaum war mir bekannt, dass noch mehrere von der Familie lebten; es war natürlich, dass sie ihre Freunde zusammenberiefen, um sich in ihrer Gegenwart dasjenige wiederholen zu lassen, was sie tags vorher mit Verwunderung von mir gehört hatten. Meine Absicht hatte ich erreicht, und es blieb mir nur noch übrig, dieses Abenteuer auf eine schickliche Weise zu endigen. Ich begab mich daher des andern Tags gleich nach Tische allein in ihre Wohnung. Sie verwunderten sich, da ich hineintrat. Der Brief sei noch nicht fertig, sagten sie, und einige ihrer Verwandten wünschten mich auch kennen zu lernen, welche sich gegen Abend einfinden würden.

Ich versetzte, dass ich morgen früh schon abreisen müsse, dass ich noch Visiten zu machen, auch einzupacken habe und also lieber früher als gar nicht hätte kommen wollen.

Indessen trat der Sohn herein, den ich des Tags vorher nicht gesehen hatte. Er glich seiner Schwester an Wuchs und Bildung. Er brachte den Brief, den man mir mitgeben wollte, den er, wie es in jenen Gegenden gewöhnlich ist, außer dem Hause bei einem der öffentlich sitzenden Notarien hatte schreiben lassen. Der junge Mensch hatte ein stilles, trauriges und bescheidenes Wesen, erkundigte sich nach seinem Oheim, fragte nach dessen Reichtum und Ausgaben und setzte traurig hinzu, warum er seine Familie doch so ganz vergessen haben möchte. »Es wäre unser größtes Glück«, fuhr er fort, »wenn er einmal hieher käme und sich unserer annehmen wollte; aber«, fuhr er fort, »wie hat er Ihnen entdeckt, dass er noch Anverwandte in Palermo habe? Man sagt, dass er uns überall verleugne und sich für einen Mann von großer Geburt ausgebe.« Ich beantwortete diese Frage, welche durch die Unvorsichtigkeit meines Führers bei unserm ersten Eintritt veranlasst worden war, auf eine Weise, die es wahrscheinlich machte, dass der Oheim, wenn er gleich gegen das Publikum Ursache habe, seine Abkunft zu verbergen, doch gegen seine Freunde und Bekannten kein Geheimnis daraus mache.

Die Schwester, welche während dieser Unterredung herbeigetreten war und durch die Gegenwart des Bruders, wahrscheinlich auch durch die Abwesenheit des gestrigen Freundes mehr Mut bekam, fing gleichfalls an, sehr artig und lebhaft zu sprechen. Sie baten sehr, sie ihrem Onkel, wenn ich ihm schriebe, zu empfehlen; ebenso sehr aber, wenn ich diese Reise durchs Königreich gemacht, wiederzukommen und das Rosalienfest mit ihnen zu begehen.

Die Mutter stimmte mit den Kindern ein. »Mein Herr«, sagte sie, »ob es sich zwar eigentlich nicht schickt, da ich eine erwachsene Tochter habe, fremde Männer in meinem Hause zu sehen, und man Ursache hat, sich sowohl vor der Gefahr als der Nachrede zu hüten, so sollen Sie uns doch immer willkommen sein, wenn Sie in diese Stadt zurückkehren.«

»O ja«, versetzten die Kinder, »wir wollen den Herrn beim Feste herumführen, wir wollen ihm alles zeigen, wir wollen uns auf die Gerüste setzen, wo wir die Feierlichkeit am besten sehen können. Wie wird er sich über den großen Wagen und besonders über die prächtige Illumination freuen!«

Indessen hatte die Großmutter den Brief gelesen und wieder gelesen. Da sie hörte, dass ich Abschied nehmen wollte, stand sie auf und übergab mir das zusammengefaltete Papier. »Sagen Sie meinem Sohn«, fing sie mit einer edlen Lebhaftigkeit, ja einer Art von Begeisterung an, »sagen Sie meinem Sohn, wie glücklich mich die Nachricht gemacht hat, die Sie mir von ihm gebracht haben! sagen Sie ihm, dass ich ihn so an mein Herz schließe« – hier streckte sie die Arme auseinander und drückte sie wieder auf ihre Brust zusammen –, »dass ich täglich Gott und unsere heilige Jungfrau für ihn im Gebet anflehe, dass ich ihm und seiner Frau meinen Segen gebe, und dass ich nur wünsche, ihn vor meinem Ende noch einmal mit diesen Augen zu sehen, die so viele Tränen über ihn vergossen haben.«

Die eigne Zierlichkeit der italienischen Sprache begünstigte die Wahl und die edle Stellung dieser Worte, welche noch überdies von lebhaften Gebärden begleitet wurden, womit jene Nation über ihre Äußerungen einen unglaublichen Reiz zu verbreiten gewohnt ist.

Ich nahm nicht ohne Rührung von ihnen Abschied. Sie reichten mir alle die Hände, die Kinder geleiteten mich hinaus, und indes ich die Treppe hinunterging, sprangen sie auf den Balkon des Fensters, das aus der Küche auf die Straße ging, riefen mir nach, winkten mir Grüße zu und wiederholten, dass ich ja nicht vergessen möchte, wiederzukommen. Ich sah sie noch auf dem Balkon stehen, als ich um die Ecke herumging.

Ich brauche nicht zu sagen, dass der Anteil, den ich an dieser Familie nahm, den lebhaften Wunsch in mir erregte, ihr nützlich zu sein und ihrem Bedürfnis zu Hülfe zu kommen. Sie war nun durch mich abermals hintergangen, und ihre Hoffnungen auf eine unerwartete Hülfe waren durch die Neugierde des nördlichen Europas auf dem Wege, zum zweitenmal getäuscht zu werden.

Mein erster Vorsatz war, ihnen vor meiner Abreise jene vierzehn Unzen zuzustellen, die ihnen der Flüchtling schuldig geblieben, und durch die Vermutung, dass ich diese Summe von ihm wiederzuerhalten hoffte, mein Geschenk zu bedecken; allein als ich zu Hause meine Rechnung machte, meine Kasse und Papiere überschlug, sah ich wohl, dass in einem Lande, wo durch den Mangel von Kommunikation die Entfernung gleichsam ins Unendliche wächst, ich mich selbst in Verlegenheit setzen würde, wenn ich mir anmaßte, die Ungerechtigkeit eines frechen Menschen durch eine herzliche Gutmütigkeit zu verbessern.

Gegen Abend trat ich noch zu meinem Handelsmanne und fragte ihn, wie denn das Fest morgen ablaufen werde, da eine große Prozession durch die Stadt ziehen und der Vizekönig selbst das Heiligste zu Fuß begleiten solle. Der geringste Windstoß müsse ja Gott und Menschen in die dickste Staubwolke verhüllen.

Der muntere Mann versetzte, dass man in Palermo sich gern auf ein Wunder verlasse. Schon mehrmals in ähnlichen Fällen sei ein gewaltsamer Platzregen gefallen und habe die meist abhängige Straße wenigstens zum Teil rein abgeschwemmt und der Prozession reinen Weg gebahnt. Auch diesmal hege man die gleiche Hoffnung nicht ohne Grund, denn der Himmel überziehe sich und verspreche Regen auf die Nacht.

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Goethe: Italienische Reise

Palermo, Sonntag, den 15. April 1787

Und so geschah es denn auch! der gewaltsamste Regenguss fiel vergangene Nacht vom Himmel. Sogleich morgens eilte ich auf die Straße, um Zeuge des Wunders zu sein. Und es war wirklich seltsam genug. Der zwischen den beiderseitigen Schrittsteinen eingeschränkte Regenstrom hatte das leichteste Kehricht die abhängige Straße herunter, teils nach dem Meere, teils in die Abzüge, insofern sie nicht verstopft waren, fortgetrieben, das gröbere Geströhde wenigstens von einem Orte zum andern geschoben und dadurch wundersame, reine Mäander auf das Pflaster gezeichnet. Nun waren hundert und aber hundert Menschen mit Schaufeln, Besen und Gabeln dahinterher, diese reinen Stellen zu erweitern und in Zusammenhang zu bringen, indem sie die noch übriggebliebenen Unreinigkeiten bald auf diese, bald auf jene Seite häuften. Daraus erfolgte denn, dass die Prozession, als sie begann, wirklich einen reinlichen Schlangenweg durch den Morast gebahnt sah und sowohl die sämtliche langbekleidete Geistlichkeit als der nettfüßige Adel, den Vizekönig an der Spitze, ungehindert und unbesudelt durchschreiten konnte. Ich glaubte die Kinder Israel zu sehen, denen durch Moor und Moder von Engelshand ein trockner Pfad bereitet wurde, und veredelte mir in diesem Gleichnisse den unerträglichen Anblick, so viel andächtige und anständige Menschen durch eine Allee von feuchten Kothaufen durchbeten und durchprunken zu sehen.

Auf den Schrittsteinen hatte man nach wie vor reinlichen Wandel, im Innern der Stadt hingegen, wohin uns die Absicht, verschiedenes bis jetzt Vernachlässigtes zu sehen, gerade heute gehen hieß, war es fast unmöglich, durchzukommen, obgleich auch hier das Kehren und Aufhäufen nicht versäumt war.

Diese Feierlichkeit gab uns Anlass, die Hauptkirche zu besuchen und ihre Merkwürdigkeiten zu betrachten, auch, weil wir einmal auf den Beinen waren, uns nach andern Gebäuden umzusehen; da uns denn ein maurisches, bis jetzt wohlerhaltenes Haus [La Zisa] gar sehr ergötzte – nicht groß, aber mit schönen, weiten und wohlproportionierten, harmonischen Räumen; in einem nördlichen Klima nicht eben bewohnbar, im südlichen ein höchst willkommener Aufenthalt. Die Baukundigen mögen uns davon Grund- und Aufriss überliefern.

Auch sahen wir in einem unfreundlichen Lokal verschiedene Reste antiker marmorner Statuen, die wir aber zu entziffern keine Geduld hatten.

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Andreas Oppermann
Familienleben im deutschen Sinne gibt es in Palermo nicht"

Familienleben im deutschen Sinne gibt es in Palermo nicht. Die Töchter werden früh zur Heirat gedrängt, drängen selbst danach, die Söhne zum Teil in Seminarien und Klöstern erzogen; ein still wirkender Einfluss der weiblichen Natur in der Person der Mutter auf das ganze Haus dürfte selten sein. Doch ist das väterliche Haus der Halt, der Versammlungsort der schon selbständig gewordenen Kinder und auch der entfernteren Verwandten.

Zur Stunde der Conversazione nach Ave Maria sieht man in jedem bedeutenderen Hause eine große Anzahl Bäschen, Nichtchen, Töchter, Schwägerinnen, Tanten mit Männern oder Söhnen, und gehen die weltlichen männlichen Familienglieder gern in ihre Casino's am Cassaro, so sind gewiss immer eine Anzahl jüngerer und ältlicher Abbate's in der Conversazione anzutreffen. So entsteht unwillkürlich statt des engeren Familienlebens ein weiterer Kreis verwandtschaftlicher Coterien mit gemeinsamen Interessen, welche sehr häufig einflussreich und viel durchzusetzen im Stande sind.

Die Conversazione ist denn auch der Glanzpunkt des Tages, dort bespricht man Familieninteressen, man klatscht, man scherzt, man lacht, man spricht, was einem gerade einfällt, bunt durcheinander, man lernt Bäschen kennen, verlobt sich, man wird zu Bewerbungen um Ämter und Pfründen angestachelt, es werden Intrigen zu deren Erlangung gesponnen, nur gegessen, getrunken und politisiert - wird dort nicht. Ist der Kreis hochgebildet, wird wohl ein Stückchen aus einer Verdi'schen Oper von einer Donna auf dem Pianoforte herab getrommelt. Um acht oder neun Uhr geht man auseinander und hat sich trefflich amusiert.

Quelle:
Palermo. Erinnerungen von Andreas Oppermann. Breslau: Eduard Trewendt 1860 (Digitalisierung durch Google), S. 111 f. Rechtschreibung und Zeichensetzung dem heutigen Gebrauch angeglichen. Absätze eingefügt.

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Palermo. Costume Siciliano. La Regina della Conca d'oro vestita da contadina. Ediz. Francesco Verderosa - Palermo

Porträt einer Frau aus Palermo im Kostüm einer Bäuerin
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Palermo - Costume Siciliano - La Regina della Conca d'oro vestita da contadina. Adressseite: Ediz. Francesco Verderosa - Palermo. 8505. Nicht gelaufen.

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Johann Heinrich Bartels
Die Frauen von Palermo als "Sklavinnen" ihrer Männer

Was den großen Haufen des weiblichen Geschlechtes anbetriffet, so sind sie im Ganzen hässlich, von mittelmäßiger Statur, blassgelber Farbe, stark markierten Zügen, und verraten im Anzuge, und in ihrem ganzen Betragen eine Nachlässigkeit, die oft ins Ekelhafte ausartet, und nur bei unterdrücketen Weibern stattfinden kann. Wären sie nicht fast durchaus Sklavinnen ihrer Männer, behandelten diese sie nicht mit barbarischer Roheit, und betrachteten sie sie nicht als ihre Dienstmägde, die ihnen ihren Körper preisgeben müsseten - so würde das nicht sein: Selbst unter der Last hervor, die dies Sklavenjoch ihnen aufleget, und die ihre Bildung zurückhält, beweiset ihr feuriger interessanter Blick, dass Vorzüge in ihnen verborgen liegen, die, wenn sie gewecket würden, gewiss eine totale Veränderung hervorbrächten.

Schon izt ist das Weib in Abwesenheit ihres Mannes ein ganz anderes Geschöpf, als in seiner Gegenwart; ist er da, so scheinen gleichsam alle Nerven ihrer Kraft herabgespannet, und sie einer Maschine zu gleichen, die durch fremde Kraft fortgetrieben wird; ist er aber nicht bei ihr, so entdecket man Leben und Tätigkeit in ihrem Äußeren, sie gleichet dem, der nach langer Einsperrung einmal wieder unter freiem Himmel sich lüften darf, die Farbe des Grams ihres Gesichtes verwandelt sich in lebhaftes, frisches Kolorit, und der Schleier des Unmutes, der vor ihren Augen zu hängen schien, wird hinweg gezogen.

Ich versichere Ihnen, dass nichts Willkürliches in dieser Beschreibung ist, und ich Ihnen hier das Resultat von oft wiederholeten, ruhigen Beobachtungen schreibe: Ja ich habe Gelegenheit gehabt, noch sicherere Bemerkung darüber zu machen, wie sehr das barbarische Joch eines Mannes, Fähigkeiten und andere Naturgeschenke eines Weibes unterdrücket und zernichtet, Missstimmung in ihren Charakter bringet, und ihre körperliche Bildung verhässlichet; dahingegen ein Weib, mit eben den Anlagen und Fähigkeiten, und mit einem völlig ähnlichen Körper versehen, aufblühet, wie die edelste Blume ihres Geschlechtes, und ihre stolze Schönheit durch Anmut und Frohsinn zu erhöhen weiß, wenn kein Tyrann durch seine Fesseln sie am Boden bindet, und die Begriffe von ihrer eigenen Würde, durch seine Unterdrückung, nicht herabstimmet.

Quelle:
Johann Heinrich Bartels: Briefe über Kalabrien und Sizilien. Dritter Teil: Reise von Katanien in Sizilien bis zurück nach Neapel. Göttingen: Johann Christian Dieterich 1792 (Digitalisierung durch Google), S. 592-594. Absätze eingefügt. Rechtschreibung und Zeichensetzung nur vorsichtig dem heutigen Stand angeglichen, um die Patina des Textes zu bewahren. - Zur Beglaubigung des Gesagten führt der Autor zwei Schwestern an, die sich unter dem Einfluss ihrer Ehemänner ganz unterschiedlich entwickelten.

Über Johann Heinrich Bartels (1761-1850), Gelehrter und von 1820 bis 1850 Bürgermeister in Hamburg siehe den Eintrag in Wikipedia.

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Palermo. Carro Siciliano

Carro Siciliano
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Palermo - Carro Siciliano. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.

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Louis Simond
A Neapolitan Bravo

While making preparations for our tour round the island, a guide, or rather guard, was introduced to us and tendered his services. The man was a sort of Neapolitan bravo, with pistols in his girdle, an enormous espingola in his hand, and a half-seen stiletto: his scanty waistcoat exposed to view a hairy breast; and the score of gold rings, strung on the end of his loose neck-handkerchief, were understood to be badges of so many intrigues. The appearance of this braggadocio was quite enough, and we declined his attendance, or indeed any escort, being so advised by our friends at Palermo. Our party consisting of three, with two servants, we hired for the journey a lettiga, which is a sort of sedan chair, so constructed as to accommodate two persons sitting face to face, borne by two mules, which a muleteer on foot goads with the sharp end of a stick, while another, mounted on a third mule carrying baggage, leads the head mule of the vehicle.

Quelle: Louis Simond: A Tour in Italy and Sicily. London: Longman, Rees, Orme, Brown, and Green 1828, S. 465 f. - Über den Reiseschriftsteller Louis Simond (1767-1831) siehe den Eintrag im "Historischen Lexikon der Schweiz".

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Goethe: Italienische Reise

Alcamo, Mittwoch, den 18. April 1787

Beizeiten ritten wir aus Palermo. Kniep und der Vetturin hatten sich beim Ein- und Aufpacken vortrefflich erwiesen. Wir zogen langsam die herrliche Straße hinauf, die uns schon beim Besuch auf San Martino bekannt geworden, und bewunderten abermals eine der Prachtfontänen am Wege, als wir auf die mäßige Sitte dieses Landes vorbereitet wurden. Unser Reitknecht nämlich hatte ein kleines Weinfässchen am Riemen umgehängt, wie unsere Marketenderinnen pflegen, und es schien für einige Tage genugsam Wein zu enthalten. Wir verwunderten uns daher, als er auf eine der vielen Springröhren losritt, den Pfropf eröffnete und Wasser einlaufen ließ. Wir fragten mit wahrhaft deutschem Erstaunen, was er da vorhabe, ob das Fässchen nicht voll Wein sei, worauf er mit großer Gelassenheit erwiderte, er habe ein Drittel davon leer gelassen, und weil niemand ungemischten Wein trinke, so sei es besser, man mische ihn gleich im ganzen, da vereinigten sich die Flüssigkeiten besser und man sei ja nicht sicher, überall Wasser zu finden. Indessen war das Fässchen gefüllt, und wir mussten uns diesen altorientalischen Hochzeitsgebrauch gefallen lassen.

Als wir nun hinter Monreale auf die Höhen gelangten, sahen wir wunderschöne Gegenden, mehr im historischen als ökonomischen Stil. Wir blickten rechter Hand bis ans Meer, das zwischen den wundersamsten Vorgebirgen über baumreiche und baumlose Gestade seine schnurgerade Horizontallinie hinzog und so, entschieden ruhig, mit den wilden Kalkfelsen herrlich kontrastierte. Kniep enthielt sich nicht, deren in kleinem Format mehrere zu umreißen.

Nun sind wir in Alcamo, einem stillen, reinlichen Städtchen, dessen wohleingerichteter Gasthof als eine schöne Anstalt zu rühmen ist, da man von hier aus den abseits und einsam belegenen Tempel von Segesta bequem besuchen kann.

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Wilhelm Tischbein, Bildnis Goethes, Aquarell, 1786/87Christoph Heinrich Kniep, Selbstbildnis um 1780, Rötel

Tischbein, Goethe - Kniep, Selbstporträt

Links: Wilhelm Tischbein, Bildnis Goethes, Aquarell, 1786/87. In: Georg Striehl: Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998, Abb. 172. - Siehe die Seite zu Tischbeins Gemälde "Goethe in der Campagna" im Goethezeitportal.

Rechts: Kniep, Selbstbildnis um 1780, Rötel. In: Georg Striehl: Christoph Heinrich Kniep- Zeichner an Goethes Seite. Zwischen Klassizismus, Realismus und Romantik. Hrsg. von Manfred Boetzkes. Roemer-Museum, Hildesheim 1992, Abb. 3.

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Kinder in einer Vigna beim Schaukelspiel,
im Hintergrund der Golf von Palermo und der Monte Pellegrino.
Öl auf Leinwand. Höhe: 27, Breite: 29 cm. (Ausriss)

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Literaturhinweise

Literatur zu Sizilien und Palermo:
* Volker Reinhardt / Michael Sommer: Sizilien. Eine Geschichte von den Anfängen bis heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. ISBN 978-3-543-22038-0
* Hippolyt Haas: Neapel, seine Umgebung und Sizilien (Land und Leute. Monographien zur Erdkunde; 17) Bielefeld, Leipzig: Velhagen & Klasing 1911.
* Sizilien. Text und Bildauswahl von Wolfgang Krönig (Kunstdenkmäler in Italien. Ein Bildhandbuch) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986. ISBN 3-534-08444-6 - Palermo, Bildteil 174-249.
* Eberhard Horst / Josef Rast: Sizilien. Königin der Inseln. Ein Reiseführer. Olten: Walter 1964.
* Klaus Gallas: Sizilien. Insel zwischen Morgenland und Abendland (DuMont Kunst-Reiseführer) Köln: DuMont Buchverlag 1978. ISBN 3-7701-818-3
* Attilio Brilli: Als Reisen eine Kunst war. Vom Beginn der modernen Tourismus: Die 'Grand Tour' (Wagenbachs Taschenbuch; 274) Berlin: Wagenbach 1997. ISBN 3-8031-2275-9
* Dreckige Laken. Die Kehrseite der 'Grand Tour'. Hrsg. von Joseph Imorde u. Erik Wegerhoff (Wagenbachs Taschenbuch; 680) Berlin: Klaus Wagenbach 2012. ISBN 978-3-8031-2680-1
* Dieter Richter: Briganten am Wege. Deutsche Reisende und das Abenteuer Italien (insel taschenbuch; 2809) Frankfurt a.M.: Insel 2002. ISBN 3-458-34509-4 - Quellenauszüge.

Eine Zusammenstellung einschlägiger Bildquellen finden Sie in der "Europeana" <http://www.europeana.eu/> unter dem Suchbegriff "Palermo"- so u. a.
* Capella Palatina, Schnitt mit Innenansicht, Handzeichnung von Carl Beckmann (1799-1859) im Architekturmuseum der TU Berlin
* Heilige Rosalie. Druckgrafik aus der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB)
* "Un uomo munge una vacca per le strade di Palermo" (EuroPhoto ANSA) und viele andere Straßenszenen.

Über Christoph Heinrich Kniep (1755-1825) siehe die Einträge in der ADB und NDB sowie in Wikipedia. "Seine heiteren Lüfte, die im blauen Dunst verschwindenden fernen Gebirge, die realistisch durchgeführten Vordergründe mit allen örtlichen Pflanzen, wie sie nur ein Botaniker für ein Werk seiner Wissenschaft wünschen mag, haben stets die Bewunderung Aller erworben." (Joseph Eduard Wessely, ADB)

Literatur zu Kniep:
* Georg Striehl: Christoph Heinrich Kniep- Zeichner an Goethes Seite. Zwischen Klassizismus, Realismus und Romantik. Hrsg. von Manfred Boetzkes. Roemer-Museum, Hildesheim 1992. ISBN 3-922805-44-2
* Georg Striehl: Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755-1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim: Georg Olms 1998. ISBN 3-487-10724-4

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Zu Palermo siehe auch die Seiten

Palermo
Folge II. Die Baudenkmäler
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6688

Palermo
Folge III: Monreale
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6689

Sizilianische Karren
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6690

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