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Jutta Assel | Georg Jäger

Prosit Neujahr!

Eine Dokumentation zu Neujahr 2010

Stand: November 2014
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Silvester-Abend. Tuschfeder über Bleistift,
nach 1835 (Wasserzeichen: Whatman Turkey Mill 1835).
Höhe 29,5; Breite 23 cm (Blatt). Unvollendete Skizze.

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Die symmetrisch angelegte Komposition zeigt eine große Familie am Silvesterabend, die sich mit der traditionellen Bowle – oder ist es Punsch? – zuprostet.

Im Zentrum sitzen Hausvater und Hausmutter im legeren Habit; hinter diesen steht eine junge Frau (Tochter)), die ein nacktes Kindchen hält oder vielmehr präsentiert, was von den Eltern, welche eben mit ihren Gläsern anstoßen, gar nicht wahrgenommen wird. Diese junge Frau wird flankiert von zwei weiteren (Schwester, Schwägerin?), welche ihr eine Hand auf die Schultern legen und dadurch Verbundenheit ausdrücken. Diesen drei Mädchen / Frauen zugeordnet sind drei Männer, die sich mit erhobenen Armen zuprosten.

Das kleine Kind bildet das Zentrum eines Kreises, der durch die vier Paare gebildet wird. Personifiziert das Kind das kommende neue Jahr (wie im folgenden Gedicht Rückerts)? oder verweist es auch auf ein kommendes „neues“ Kind im Familienkreis?

Die drei Vordergrund-Figuren schließen die Komposition unten ab. Sie sitzen isoliert voneinander, mit dem Rücken zur Familie darüber, und zeigen wenig Berührung zu dieser. Rechts der junge Mann und links die junge Frau mit der Mandoline haben einen Arm zum Zuprosten erhoben. Die Frauenfigur in der Mitte ist nur durch ihren Blickkontakt mit der linken weiblichen Figur in die Komposition eingebunden. Handelt es sich bei den drei Sitzfiguren um Allegorien der Musik, Dichtkunst und Malerei, die auf die im Zentrum dargestellte Familie bezogen sind? In der Gelegenheitsgraphik des Biedermeier und der Spätromantik sind solche Verknüpfungen durchaus üblich. Auch spricht das – von der Alltagskleidung der Familie stark abweichende – Idealkostüm der drei Sitzfiguren dafür.

Für eine private Gelegenheitsarbeit ist die Komposition äußerst sorgfältig durchdacht: sie ist aus mehreren geometrisch arrangierten Gruppierungen zusammengefügt (z.B. verschränken sich drei Dreiecke). Das Gerüst der Komposition bilden die aufstrebenden großen Kelchblüten mit Rankenwerk, auf denen Kinder und Genien spielen. Dem Kunstfreund fallen als anregende Vorbilder Neureuther, ja Runge dazu ein. Auf der verbindenden Banderole steht der Titel der kleinen liebenswerten Bilderfindung: Sylvesterabend.

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Friedrich Rückert
Zum Neujahr 1816

Im Schoß der Mitternacht geboren,
   Worin das Kind bewußtlos lag,
   Erwacht, zum Leben jetzt erkohren,
   Das Jahr am ernsten Glockenschlag.
   An seiner Wieg' ein Engel sitzet,
   Dem vom zwiefachen Angesicht
   Zwiefacher Glanz des Lebens blitzet,
   Hier Abendrot, dort Morgenlicht.

Hier mit dem abendrothen Blicke
   Schaut er nach Westen hin, und sinnt
   Zusammenfassend die Geschicke
   Der Jahre, die vorüber sind:
   Dort mit dem Morgenantlitz wendet
   Er sich erwartungsvoll zum Ost,
   Dem, was von dort die Zukunft sendet,
   Entgegenblickend still getrost.

Dann, während in des Engels Mienen
   Das Abendroth stets matter glüht,
   Und immer heller ist erschienen
   Auf ihnen, was wie Morgen sprüht;
   Nimmt er das Kind aus seiner Wiegen,
   Und aus des Engels Auge bricht
   Die Thräne, die darein gestiegen,
   Indes sein Mund zum Kindlein spricht:

O du, der jüngste jetzt der Söhne,
   Die unsre Mutter Zeit gebar,
   Sei mir in deiner Unschuld Schöne,
   Sei mir gegrüßt, du junges Jahr!
   Schon manches hab' ich aus der Wiege
   Genommen und zu Grab gelegt,
   Damit ans Licht ein andres stiege,
   Und süße Hoffnung stets gehegt:

Die Hoffnung aller Welt und meine,
   Die jedem Jahr entgegentönt,
   Ob endlich einmal das erscheine,
   Von welchem sei das Werk gekrönt,
   Ob endlich das sei angebrochen,
   Von welchem uns erfüllet sei,
   Was von den vor'gen ward versprochen?
   Wenn du das bist, so sag' mirs frei.

Ich kann durch meiner Rührung Zähren
   Nicht deine Züge deutlich sehn;
   Ein Lächeln scheint sie zu verklären:
   Sprich, soll durch dich uns Heil geschehn?
   Willst du nicht wieder täuschend schwinden,
   Wie vor dir deiner Brüder gnug,
   Daß wir den Glauben wieder finden,
   Den uns geraubt der Zeiten Lug?

Willst du den bangen Knäul entwirren,
   Der um der Menschheit Brust sich schlang,
   Und lösen ird'scher Zwietracht Klirren
   Auf in harmon'schen Sphärenklang?
   Aufführen aus bewegten Stoffen
   Den Bau, der auf sich selbst kann ruhn?
   Kurz, was wir wünschen, was wir hoffen,
   Ja, was wir fordern, willst du's thun?

O seligstes der Zeitenkinder,
   Wenn das Geschick das Amt dir beut,
   Zu sein der Ernte Garbenbinder,
   Die jene vor dir ausgestreut!
   So wünsch' ich dir vom Himmel heuer
   Den besten Sonnenschein, der frommt,
   Daß in die große Völkerscheuer
   Der Weizen unberegnet kommt.

So wünsch' ich, daß ein neues Leben
   Der alten Erde Mark durchdringt,
   Daß aus des nächsten Herbstes Reben
   Uns goldnes Heil entgegen springt;
   Daß bei des Jahres Brot und Weine
   Frei unter offnem Himmelssaal
   Die Völker feiern im Vereine
   Das große Bundesabendmal.

Friedrich Rückert: Gesammelte Gedichte. Bd. 3.
2. Aufl. Erlangen, Verlag von Carl Heyder 1839,
S. 381-383. Zeitgedichte, zweites Buch.

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Ein frohes Neujahr.
Verso: Signet HWB [Hermann Wolff, Berlin].
Import. Printed in Germany.
Gelaufen, Poststempel unleserlich.

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Neujahr. Es liegt in der Natur des Menschen, jedem neuen Zeitabschnitte eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Gleich dem Wanderer, der auf der Höhe eines Berges angelangt, einen Augenblick rastet, um einen Blick rückwärts nach dem zurückgelegten Pfade zu werfen, und mit einem andern, das noch vor ihm liegende Ziel zu messen – verweilt unwillkürlich der Pilger auf dem Lebenswege, wenn die letzte Stunde des Jahres in das unermessene Meer der Vergangenheit rollt, um nie wiederzukehren, und versucht es, die nie rastende Zeit zu fesseln. Stunden und Tage sah er gleichgültig vorübereilen, oft wünschte er ihren Lauf zu beflügeln, aber jetzt, wo das letzte Abendroth hinter die Berge sinkt und die letzte Jahresnacht ihren dunkeln Mantel über Erde und Himmel breitet, jetzt, ehe sich die Pforte der Vergangenheit für immer schließt, ehe er hinüber schreitet in das neue Morgenroth, steht er still und seine Blicke folgen der Scheidenden. Sind es Freuden oder Schmerzen, die so gewaltig dein Inneres bewegen? Sind es Erinnerungen oder Hoffnungen, die dich auf dem ernsten Scheidewege zwischen Vergangenheit und Zukunft wach erhalten? Wer mag es wissen, wer kennt sich selbst genug, um Rechenschaft zu geben, wenn so verschiedenartige Eindrücke, gleich feindlichen Elementen, die Saiten des Herzens berühren? Doch wäre es auch die Thräne, die wir einem verlornen Lieben nachweinen, wäre es die drückende Last eines sorgen- und schmerzenvollen Lebens, die am Schlusse des Jahres um desto schwerer wiegt, weilt auch der Blick auf eingesunkenen Gräbern: – von Osten her schreitet das Neujahr durch die goldene Pforte der Morgenröthe, frische, kühlende Lüfte legen sich auf die Brandwunden des Herzens, der lichte junge Tag zertrümmert die Nachtdecke und an seiner Hand führt er unsern treuesten, nie alternden Freund, die Hoffnung! Und so reichen sich denn die beiden Schwestern – Zukunft und Vergangenheit – auf der Grenze, die sie scheidet, den Liebeskuß, und Millionen Herzen fühlen den Pulsschlag, den er entzündet, und feiern mit ihnen das Fest des jungen Jahres.

Damen Conversations Lexikon, Band 7. 1836. Quelle: Zeno org

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Prosit Neu Jahr.
Verso: K.V.i.B. 12 [Kunstanstalt Voremberg, Berlin 12] Dess. 6.
Serie "Hellas" (Neujahr). Postkarte. Gelaufen.
Poststempel 1906.

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Ludwig Thoma
Neujahr bei Pastors

Mama schöpft aus dem Punschgefäße,
Der Vater lüftet das Gesäße
Und spricht: »Jetzt sind es vier Minuten
Nur mehr bis zwölfe, meine Guten.

Ich weiß, daß ihr mit mir empfindet,
Wie dieses alte Jahr entschwindet,
Und daß ihr Gott in seinen Werken
– Mama, den Punsch noch was verstärken! –

Und daß ihr Gott von Herzen danket,
Auch in der Liebe nimmer wanket,
Weil alles, was uns widerfahren
– Mama, nicht mit dem Arrak sparen! –

Weil, was geschah, und was geschehen,
Ob wir es freilich nicht verstehen,
Doch weise war, durch seine Gnade
– Mama, er schmeckt noch immer fade! –

In diesem Sinne meine Guten,
Es sind jetzt bloß mehr zwei Minuten,
In diesem gläubig frommen Sinne
– Gieß noch mal Rum in die Terrine! –

Wir bitten Gott, daß er uns helfe
Auch ferner – Wie? Es schlägt schon zwölfe?
Dann prosit! Prost an allen Tischen!
– Ich will den Punsch mal selber mischen.«

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Oben links: Die besten Wünsche zum Jahreswechsel. Verso: 0304. Gelaufen. Poststempel 1913 (?).
Oben rechts: Prosit Neujahr! Signet: EAS im Herz [E. A. Schwerdtfeger & Co. AG. Berlin] 0665-5. Gelaufen. Poststempel 1917.

Mitte: Prosit Neujahr! Im Bild signiert: AE [ligiert] Mailick. Gesetzlich geschützt. Nr. 739. "Erika". Verso: Postkarte. Gelaufen. Poststempel 1905 (?).

Unten links: Viel Glück im Neuen Jahr. Verso: WSM 1028. Nicht gelaufen.
Unten rechts: Herzliche Neujahrsgrüße! Verso: Verein für das Deutschtum im Ausland E.V. Neujahrskarte Nr. 13 von Paul Hey. Signet. 798. Geschäftsstelle: Berlin W 62, Kurfürstenstraße 105. Rechts unten: [Druck durch] Graphische Kunstanstalten F. Bruckmann A.G., München. Nicht gelaufen. - Carolin Raffelsbauer: Paul Hey - der Maler heiler Welten. Bd. 2. München: Herbert Utz 2007 (Kulturgeschichtliche Forschungen; 30) B1b-140.

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Ludwig-Maximilians-Universität München
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