goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Johann Wolfgang von Goethe
Historienbilder zu seinem Leben
von Hermann Junker

Das Goethezeitportal veröffentlicht eine 12teilige Serie von Historienbildern zu Goethes Leben, die vom Frankfurter Maler Hermann Junker (1838-1899) entworfen und vom Verlag von Paul Grödel in Frankfurt a.M. auf Bildpostkarten vor 1900 auf den Markt kamen. Sämtliche Bilder werden wiedergegeben, soweit möglich mit den Texten, Textauszügen oder Textstellen, auf die sich die Illustrationen beziehen. Wo eine genaue Referenz nicht ermittelt werden konnte, wird der Zusammenhang skizziert, auf den Bild und Untertitel verweisen. Ausgewählt hat Junker den "Märchensessel", auf dem die Mutter abends, wenn sie erzählte, zu sitzen pflegte (1); Goethe im Elternhaus als Knabe beim Königsleutnant Thoranc unter den Frankfurter Malern (2); erste Liebe im "Bobbeschänkelche" (3) - ein Bild, das Rätsel aufgibt; Begegnung mit Friederike (4); Abschied von Heidelberg (5); Goethe als Orest in der Aufführung der "Iphigenie" im Ettersburger Wald (6); Verdächtigung als Spion am Gardasee (7); Goethes beherztes und beschwichtigendes Auftreten vor Capri, als das Schiff, das ihn von Messina nach Neapel zurück bringen sollte, zu scheitern drohte (8); Goethe in der "Campagne in Frankreich" (9); Goethe in Schillers Garten in Jena (10); sein Gespräch mit Napoleon in Erfurt (11); Jubelfeier zur 50jährigen Anwesenheit Goethes in Weimar (12). Einige weitere Historienbilder von anderen Künstlern, die einzeln erschienen sind (Eislaufen; Goethe als Kind beim Büchertrödler) befinden sich im Anhang. Beigegeben wird eine Kurzbiographie von Junker. Auf vielfältige Weise regt somit die Seite zur weiterführenden Lektüre in Goethes Autobiographie "Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit", der "Campagne in Frankreich", der "Italienischen Reise" u.a.m. an.

Diese Seite
* ergänzt die Postkartenserie von Woldemar Friedrich
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=1870
* ist ein Gegenstück zu den Historienbildern zu Schillers Leben
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6682

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Gliederung

1. Die Vorlage
2. Die Bildserie
3. Kurzbiographie von Hermann Junker
4. Weitere Historienbilder und die Todesanzeige
5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1. Die Vorlage

Als Vorlage dient die Serie von 12 nummerierten und untertitelten Bildpostkarten im Lichtdruck aus dem Verlag Paul Grödel, Frankfurt a.M. Sie setzt sich aus mehreren Druckauflagen zusammen. Die eingesehenen postalisch gelaufenen Exemplare tragen Poststempel aus dem Ende des 19. / Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die Serie wurde aufgenommen in das Archiv "Pictura Paedagogica Online. Das Bildarchiv zur Bildungsgeschichte". URL:
http://opac.bbf.dipf.de/cgi-opac/bil.pl?t_direct=x&f_IDN=b0090969hild

Über "Pictura Paedagogica Online" siehe:
http://opac.bbf.dipf.de/virtuellesbildarchiv/Ueber

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2. Die Bildserie

 

1. Goethe in Frankfurt feiert den Märchensessel
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Im Elternhaus Goethes in Frankfurt war "das südliche zweifenstrige Zimmer vornheraus die Stube der Frau Rath, in welcher der 'grüne Sessel' stand, auf dem die Mutter Abends, wenn sie erzählte, zu sitzen pflegte und der darum der 'Märchensessel' genannt wurde."

Das Zitat ist folgendem Aufsatz entnommen: Das Haus mit den drei Leiern. In: Die Gartenlaube, 1867, Heft 3 und 6, S.43–46 und 84–88. Digitalisiert durch wikipedia, URL:
https://de.wikisource.org/wiki/Das_Haus_mit_den_drei_Leiern

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"Laß mich Dir noch erzählen, daß Dein Großvater zum Gedächtnis Deiner Geburt einen Birnbaum in dem wohlgepflegten Garten vor dem Bockenheimer Tor gepflanzt hat, der Baum ist sehr groß geworden, von seinen Früchten, die köstlich sind, hab ich gegessen und – Du würdest mich auslachen, wenn ich Dir alles sagen wollte. Es war ein schöner Frühling, sonnig und warm, der junge hochstämmige Birnbaum war über und über bedeckt mit Blüten, nun war's, glaub ich, am Geburtstag der Mutter, da schafften die Kinder den grünen Sessel, auf dem sie abends, wenn sie erzählte, zu sitzen pflegte, und der darum der Märchensessel genannt wurde, in aller Stille in den Garten, putzten ihn auf mit Bändern und Blumen, und nachdem Gäste und Verwandte sich versammelt hatten, trat der Wolfgang als Schäfer gekleidet mit einer Hirtentasche, aus der eine Rolle mit goldnen Buchstaben herabhing, mit einem grünen Kranz auf dem Kopf unter den Birnbaum und hielt eine Anrede an den Sessel, als den Sitz der schönen Märchen, es war eine große Freude, den schönen bekränzten Knaben unter den blühenden Zweigen zu sehen, wie er im Feuer der Rede, welche er mit großer Zuversicht hielt, aufbrauste. Der zweite Teil dieses schönen Festes bestand in Seifenblasen, die im Sonnenschein, von Kindern, welche den Märchenstuhl umkreisten, in die heitere Luft gehaucht, von Zephir aufgenommen und schwebend hin und her geweht wurden; sooft eine Blase auf den gefeierten Stuhl sank, schrie alles: »Ein Märchen! ein Märchen!« Wenn die Blase, von der krausen Wolle des Tuches eine Weile gehalten, endlich platzte, schrien sie wieder: »Das Märchen platzt.« Die Nachbarsleute in den angrenzenden Gärten guckten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhaftesten Anteil an diesem großen Jubel, so daß dies kleine Fest am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt hat's vergessen, die Mutter hat's behalten und es sich später oft als eine Weissagung Deiner Zukunft ausgelegt."

Quelle:
Bettina an Goethe, 28. November 1810. Hier nach Bettina von Arnim. Werke 1. Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Berlin: Aufbau-Verlag 1986, S. 382f.

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2. Der junge Goethe,
der Königslieutenant und die Frankfurter Maler
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"Da ich alle diese Männer [die Frankfurter Maler] von meiner frühsten Jugend an gekannt, und sie oft in ihren Werkstätten besucht hatte, auch der Graf mich gern um sich leiden mochte, so war ich bei den Aufgaben, Beratschlagungen und Bestellungen wie auch bei den Ablieferungen gegenwärtig, und nahm mir, zumal wenn Skizzen und Entwürfe eingereicht wurden, meine Meinung zu eröffnen gar wohl heraus. Ich hatte mir schon früher bei Gemäldeliebhabern, besonders aber auf Auktionen, denen ich fleißig beiwohnte, den Ruhm erworben, dass ich gleich zu sagen wisse, was irgend ein historisches Bild vorstelle, es sei nun aus der biblischen oder der Profangeschichte oder aus der Mythologie genommen; und wenn ich auch den Sinn der allegorischen Bilder nicht immer traf, so war doch selten jemand gegenwärtig, der es besser verstand als ich. So hatte ich auch öfters die Künstler vermocht, diesen oder jenen Gegenstand vorzustellen, und solcher Vorteile bediente ich mich gegenwärtig mit Lust und Liebe. Ich erinnere mich noch, dass ich einen umständlichen Aufsatz verfertigte, worin ich zwölf Bilder [von Trautmann] beschrieb, welche die Geschichte Josephs darstellen sollten: einige davon wurden ausgeführt." (Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, I. Teil, 3. Buch)

Siehe "Königsleutnant Thoranc, die Frankfurter Maler und Goethes Teilnahme am Kunstgeschehen." Auf der Seite "Goethes Geburtshaus in Frankfurt a.M. auf alten Postkarten". URL: http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6855

Vgl. auch den Aufsatz von Gerhard Kölsch: "Königsleutnant“ Thoranc als Hausgast am Frankfurter Hirschgraben und als Auftraggeber Frankfurter Maler der Goethezeit. PDF-Datei.
http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/koelsch_thoranc.pdf

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3. Goethe's erste Liebe im "Bobbeschänkelche"
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Goethe erzählt in "Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit", fünftes und sechstes Buch, von seiner ersten Liebe, einem Gretchen "von unglaublicher Schönheit", das er in einem Freundeskreis einfacher junger Leute kennen lernt. Goethe unterstützt die Freunde mit der Verfertigung von Gelegenheitsgedichten, deren Erlös das gesellige Treiben ermöglicht, an dem er teilnimmt. Das Bild könnte eine solche Zusammenkunft zeigen, in der man Gedichte vorliest und diskutiert. Eine Untersuchung übler Streiche und kleinkrimineller Vergehen löst den Kreis auf; Gretchen verlässt Frankfurt. Außer diesem Bericht Goethes weiß man nichts über Gretchen. Unklar ist auch, ob das "Frankfurter Gretchen" mit dem "Offenbacher Mädchen", einer Tochter aus dem dortigen Wirtshaus "Zur Rose" identisch ist. Nach dem Bericht der Frau Rat war sie das erste Mädchen, das Goethe lieb hatte. Zum Gretchen in Goethes "Faust" gibt es keine Verbindung.

Ein "Bobbeschänkelche" wird in "Dichtung und Wahrheit" nicht erwähnt, ist aber in der Goethe-Literatur bekannt. "Goethe brauchte, wenn er einen edlen Tropfen trinken wollte, nicht weit zu gehen. Ganz in der Nähe seines Vaterhauses führten ein paar ausgetretene Sandsteinstufen hinunter ins 'Bobbeschänkelche', einer echten Frankfurter Weinwirtschaft, wo der Dichter manch fröhlichen Zechkumpan fand. Kaufleute und Händler, Stadtschreiber und Barbiere gaben sich hier ein Stelldichein, und auch der Apotheker Karl Engelhard, der seinen Laden auf der anderen Straßenseite hatte, saß hier bei manchem Glas Wein in der Runde." (Lerner, Habsucht ist nicht der Regulateur unserer Geschäfte) ─ In seinem Goethe-Roman "Jahr der Wandlung. Goethes Schicksalswende 1775" lässt Franz Servaes Goethe mit seinem "malenden Freund und Zeichenberater" Melchior Kraus die Silvesternacht auf 1775 im Frankfurter Weinhaus "Bobbeschänkelche" anbrechen. Goethe lässt sich nur widerstrebend in dieses Lokal führen, das er 10 Jahre gemieden habe; sein Freund erinnert an die "ehemals stadtbekannte Affäre" um eine "Schwindlergesellschaft". Weiter geht es in der Nacht auf das neue Jahr in das gastfreie Haus Schönemann, wo sie Lili, eigentlich Anna Elisabeth Schönemann, antreffen, in die Goethe sich verlieben wird.

Quellen:
* "Habsucht ist nicht der Regulateur unserer Geschäfte." Aus: Das tätige Frankfurt im Wirtschaftsleben dreier Jahrhunderte (1648 - 1955) Zugleich ein Handbuch der Altfrankfurter Firmen. Hrsg. von Franz Lerner. Frankfurt a.M.: Ammelburg 1955. Online:
http://www.frankfurt-nordend.de/das_taetige_frankfurt.htm
* Jahr der Wandlung. Goethes Schicksalswende 1775. Nacherlebt von Franz Servaes. Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn 1935. Digitalisiert im Projekt gutenberg.spiegel.de. URL:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/jahr-der-wandlung-8920/1

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4. Goethe's erste Begegnung mit Friederike
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Bei der Familie des Pfarrers Johann Jakob Brion mit fünf Kindern, darunter Friederike (1752-1813), wurde Goethe durch Friedrich Leopold Weyland, Tischgenosse und Freund in Straßburg, im Oktober 1770 eingeführt. Über die erste Begegnung mit Friederike berichtet Goethe in "Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" (III. Teil, 11. Buch):

"In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. Beide Töchter trugen sich noch deutsch, wie man es zu nennen pflegte, und diese fast verdrängte Nationaltracht kleidete Friedriken besonders gut. Ein kurzes weißes rundes Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben; ein knappes weißes Mieder und eine schwarze Taffetschürze – so stand sie auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen."

Illustriert wird der folgende Textausschnitt: Goethe hat sich ärmlich gekleidet; sein Freund gibt ihn "für einen zwar fleißigen und geschickten aber armen Studiosen der Theologie" aus. In dieser Verkleidung am folgenden Tag "wieder vor Friedriken hinzutreten, die gestern abend an mein verkleidetes Selbst so freundlich gesprochen hatte, das war mir ganz unmöglich." Er tauscht seine Kleider mit einem ihm an Größe und Statur ähnlichen Wirtssohn im Gasthof zu Drusenheim und galoppiert mit einem Kuchen für die Pfarrerin nach Sesenheim zurück.

"Ich war nicht weit mit meiner Gabe gesprungen, die ich in einer sauberen zusammengeknüpften Serviette trug, als ich in der Ferne meinen Freund mit den beiden Frauenzimmern mir entgegen kommen sah. Mein Herz war beklommen, wie sich's eigentlich unter dieser Jacke nicht ziemte. Ich blieb stehen, holte Atem und suchte zu überlegen, was ich beginnen solle; und nun bemerkte ich erst, daß das Terrain mir sehr zustatten kam: denn sie gingen auf der andern Seite des Baches, der, sowie die Wiesenstreifen, durch die er hinlief, zwei Fußpfade ziemlich auseinander hielt. Als sie gegen mir über waren, rief Friedrike, die mich schon lange gewahrt hatte: »George, was bringst du?« Ich war klug genug, das Gesicht mit dem Hute, den ich abnahm, zu bedecken, indem ich die beladene Serviette hoch in die Höhe hielt. – »Ein Kindtaufkuchen!« rief sie dagegen; »wie geht's der Schwester?« – »Guet«, sagte ich, indem ich, wo nicht elsassisch, doch fremd zu reden suchte. – »Trag ihn nach Hause!« sagte die Älteste, »und wenn du die Mutter nicht findest, gib ihn der Magd; aber wart auf uns, wir kommen bald wieder, hörst du!« – Ich eilte meinen Pfad hin, im Frohgefühl der besten Hoffnung, daß alles gut ablaufen müsse, da der Anfang glücklich war, und hatte bald die Pfarrwohnung erreicht. Ich fand niemand weder im Haus noch in der Küche; den Herrn, den ich beschäftigt in der Studierstube vermuten konnte, wollte ich nicht aufregen, ich setzte mich deshalb auf die Bank vor der Türe, den Kuchen neben mich und drückte den Hut ins Gesicht." (Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, III. Teil, 11. Buch)

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5. Goethes Abschied von Heidelberg
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"Im Juli [1775] war an Goethe die Einladung des Herzogs Karl August, zu ihm nach Weimar zu kommen, ergangen. Als der bestellte Wagen des Herzogs trotz wochenlangen Wartens nicht erschien, reiste Goethe am 30. Okt. nach Heidelberg, einer Einladung der dort wohnenden alten Freundin des Schönemannschen Hauses, der Jungfer [Dorothea] Delph, folgend: da die Verlobung des jungen Anwalts mit Lili gelöst worden war, bemühte sie sich, eine neue einzuleiten. Goethe sollte in kurpfälzische Dienste treten und die Tochter des ersten Zivilbeamten von Heidelberg, des Hofrats Ferdinand Joseph von Wrede, des Vaters des späteren Fürsten Wrede, heiraten. Plötzlich aber erschien der vom Herzog geschickte Wagen, der ihn in Frankfurt abholen sollte, ihm nach Süden nachgeeilt war und ihn in Heidelberg eingeholt hatte. Seinen dramatischen Abschied von Heidelberg und seiner alten Freundin schildert er in 'Dichtung und Wahrheit'(IV. Teil, Buch 20) in dichterischer und doch wahr empfundener Weise und mit den Worten Egmonts." Mit der Abreise nach Weimar am 4. November 1775 war auch eine Italienreise, für die der Vater "einen gar hübschen Reiseplan aufgesetzt und mir eine kleine Bibliothek mitgegeben", vorläufig hinfällig. (Goethe-Handbuch. Hrsg. von Julius Zeitler. Bd. II, Stuttgart 1917, S. 137f.)

Goethe über seinen dramatischen Abschied: "Ich hatte mich indes angezogen und ging in der Stube auf und ab. Meine ernste Wirtin trat herein. »Was soll ich hoffen?« rief sie aus. »Meine Beste«, sagte ich, »reden Sie mir nichts ein, ich bin entschlossen zurückzukehren; die Gründe habe ich selbst bei mir abgewogen, sie zu wiederholen würde nichts fruchten. Der Entschluss am Ende muss gefasst werden, und wer soll ihn fassen als der, den er zuletzt angeht?« Ich war bewegt, sie auch, und es gab eine heftige Szene, die ich dadurch endigte, dass ich meinem Burschen befahl, Post zu bestellen. Vergebens bat ich meine Wirtin, sich zu beruhigen und den scherzhaften Abschied, den ich gestern abend bei der Gesellschaft genommen hatte, in einen wahren zu verwandeln, zu bedenken, dass es nur auf einen Besuch, auf eine Aufwartung für kurze Zeit angesehn sei, dass meine italienische Reise nicht aufgehoben, meine Rückkehr hierher nicht abgeschnitten sei. Sie wollte von nichts wissen und beunruhigte den schon Bewegten noch immer mehr. Der Wagen stand vor der Tür, aufgepackt war, der Postillon ließ das gewöhnliche Zeichen der Ungeduld erschallen, ich riss mich los, sie wollte mich noch nicht fahren lassen, und brachte künstlich genug die Argumente der Gegenwart alle vor, so dass ich endlich leidenschaftlich und begeistert die Worte Egmonts ausrief:
     'Kind, Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder abzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.'" (Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. IV. Teil, 20. Buch)

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6. Goethe im Ettersburger Wald als Orestes
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"Die Uraufführung der Iphigenie fand am 6.4. [1779] im Hauptmannischen Hause an der Weimarer Esplanade statt, mit Corona Schröter in der Titelrolle, Goethe als Orest, seinem Freund Knebel als Thoas und dem Prinzen Constantin (dem jüngeren Bruder Carl Augusts) als Pylades. [...] Es gibt z. T. schwärmerische Augenzeugen-Berichte über diese Aufführung und namentlich über die Wirkung von Goethes Spiel. So schrieb Luise von Göchhausen an Goethes Mutter nach Frankfurt (am 12.4.), 'dass er seinen Orest meisterhaft gespielt hat. Sein Kleid [...] war griechisch, und ich hab ihn in meinem Leben noch nicht so schön gesehn.' Der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland erinnerte sich mehr als 50 Jahre später: 'Nie werde ich den Eindruck vergessen, den er als Orest im griechischen Kostüm in der Darstellung seiner Iphigenia machte; man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit an einem Manne, als damals an Goethe.' Die zweite Wiederholung dieser Aufführung [am 12.7.1779] erhielt ihre besondere Note dadurch, dass Herzog Carl August selbst die Rolle des Pylades übernahm."

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 2.1. München: Carl Hanser Verlag 1987, S. 653f.

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"Der Ruhm Ettersburgs [im Ettersberg, 6-7 km nordwestlich von Weimar] knüpfte sich an die Jahre, da Herzogin Anna Amalie nach Niederlegung der Regentschaft 1786 ihren Sommersitz hierher verlegte. Mit ihr zogen die Musen hinaus. 'Auf Höhen Ettersburgs', draußen im Wald und Park, wie drinnen im Schlosse entwickelten sie ihr fröhliches Treiben 'mit allerlei Mutwillen und Tollheiten, fratzenhaften Ständchen, extemporierten  Komödien und theatralischen Spielen'. Zu letzteren dienten draußen geeignete oder mit geringen Mitteln hergerichtete Plätze, innen eine kleine, im sogenannten Komödiensaal aufgebaute Bühne. Sie war bescheidenster Art, doch wusste ein gewandter Ebenist, dem Goethe in seinem Gedicht 'Auf Miedings Tod' einen Nachruf gewidmet hat, durch geschickte Einrichtung den oft wunderlichen und weitgehenden Anforderungen zu genügen. Hier wurden von den fürstlichen und hochgestellten Dilettanten heitere und ausgelassene, mitunter aber auch ernste Stücke aufgeführt. Das 'Jahrmarktsfest zu Plundersweilern', 'Die Geschwister' und 'Iphigenie' in ihrer frühen Fassung gingen über diese Bühne, die übrigens über 'die lustige Zeit' hinaus , bis 1801, erhalten blieb."

Quelle:
Goethe-Handbuch. Hrsg. von Julius Zeitler. Bd. I. Stuttgart: J. B. Metzlersche Buchhandlung 1916, S. 517f.

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7. Goethe am Gardasee als Spion verdächtigt
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"Der Gegenwind, der mich gestern in den Hafen von Malcesine trieb, bereitete mir ein gefährliches Abenteuer, welches ich mit gutem Humor überstand und in der Erinnerung lustig finde. Wie ich mir vorgenommen hatte, ging ich morgens beizeiten in das alte Schloss, welches ohne Tor, ohne Verwahrung und Bewachung jedermann zugänglich ist. Im Schlosshofe setzte ich mich dem alten auf und in den Felsen gebauten Turm gegenüber; hier hatte ich zum Zeichnen ein sehr bequemes Plätzchen gefunden; neben einer drei, vier Stufen erhöhten verschlossenen Tür, im Türgewände ein verziertes steinernes Sitzchen, wie wir sie wohl bei uns in alten Gebäuden auch noch antreffen.

Ich saß nicht lange, so kamen verschiedene Menschen in den Hof herein, betrachteten mich und gingen hin und wieder. Die Menge vermehrte sich, blieb endlich stehen, so dass sie mich zuletzt umgab. Ich bemerkte wohl, dass mein Zeichnen Aufsehen erregt hatte, ich ließ mich aber nicht stören und fuhr ganz gelassen fort. Endlich drängte sich ein Mann zu mir, nicht von dem besten Ansehen, und fragte, was ich da mache. Ich erwiderte ihm, dass ich den alten Turm abzeichne, um mir ein Andenken von Malcesine zu erhalten. Er sagte darauf, es sei dies nicht erlaubt, und ich sollte es unterlassen. Da er dieses in gemeiner venezianischer Sprache sagte, so dass ich ihn wirklich kaum verstand, so erwiderte ich ihm, dass ich ihn nicht verstehe. Er ergriff darauf mit wahrer italienischer Gelassenheit mein Blatt, zerriss es, ließ es aber auf der Pappe liegen. Hierauf konnt' ich einen Ton der Unzufriedenheit unter den Umstehenden bemerken, besonders sagte eine ältliche Frau, es sei nicht recht, man solle den Podestà rufen, welcher dergleichen Dinge zu beurteilen wisse. Ich stand auf meinen Stufen, den Rücken gegen die Türe gelehnt, und überschaute das immer sich vermehrende Publikum. Die neugierigen starren Blicke, der gutmütige Ausdruck in den meisten Gesichtern und was sonst noch alles eine fremde Volksmasse charakterisieren mag, gab mir den lustigsten Eindruck. Ich glaubte, das Chor der Vögel vor mir zu sehen, das ich als Treufreund auf dem Ettersburger Theater oft zum besten gehabt. Dies versetzte mich in die heiterste Stimmung, so dass, als der Podestà mit seinem Aktuarius herankam, ich ihn freimütig begrüßte und auf seine Frage, warum ich ihre Festung abzeichnete, ihm bescheiden erwiderte, dass ich dieses Gemäuer nicht für eine Festung anerkenne. Ich machte ihn und das Volk aufmerksam auf den Verfall dieser Türme und dieser Mauern, auf den Mangel von Toren, kurz auf die Wehrlosigkeit des ganzen Zustandes und versicherte, ich habe hier nichts als eine Ruine zu sehen und zu zeichnen gedacht.

Man entgegnete mir: wenn es eine Ruine sei, was denn dran wohl merkwürdig scheinen könne? Ich erwiderte darauf, weil ich Zeit und Gunst zu gewinnen suchte, sehr umständlich, dass sie wüssten, wie viele Reisende nur um der Ruinen willen nach Italien zögen, dass Rom, die Hauptstadt der Welt, von den Barbaren verwüstet, voller Ruinen stehe, welche hundert- und aber hundertmal gezeichnet worden, dass nicht alles aus dem Altertum so erhalten sei, wie das Amphitheater zu Verona, welches ich denn auch bald zu sehen hoffte.

Der Podestà, welcher vor mir, aber tiefer stand, war ein langer, nicht gerade hagerer Mann von etwa dreißig Jahren. Die stumpfen Züge seines geistlosen Gesichts stimmten ganz zu der langsamen und trüben Weise, womit er seine Fragen hervorbrachte. Der Aktuarius, kleiner und gewandter, schien sich in einen so neuen und seltnen Fall auch nicht gleich finden zu können. Ich sprach noch manches dergleichen; man schien mich gern zu hören, und indem ich mich an einige wohlwollende Frauengesichter wendete, glaubte ich, Beistimmung und Billigung wahrzunehmen.

Als ich jedoch des Amphitheaters zu Verona erwähnte, das man im Lande unter dem Namen Arena kennt, sagte der Aktuarius, der sich unterdessen besonnen hatte, das möge wohl gelten, denn jenes sei ein weltberühmtes römisches Gebäude, an diesen Türmen aber sei nichts Merkwürdiges, als dass es die Grenze zwischen dem Gebiete Venedigs und dem Östreichischen Kaiserstaate bezeichne und deshalb nicht ausspioniert werden solle. Ich erklärte mich dagegen weitläufig, dass nicht allein griechische und römische Altertümer, sondern auch die der mittlern Zeit Aufmerksamkeit verdienten. Ihnen sei freilich nicht zu verargen, dass sie an diesem von Jugend auf gekannten Gebäude nicht so viele malerische Schönheiten als ich entdecken könnten. Glücklicherweise setzte die Morgensonne Turm, Felsen und Mauern in das schönste Licht, und ich fing an, ihnen dieses Bild mit Enthusiasmus zu beschreiben. Weil aber mein Publikum jene belobten Gegenstände im Rücken hatte und sich nicht ganz von mir abwenden wollte, so drehten sie auf einmal, jenen Vögeln gleich, die man Wendehälse nennt, die Köpfe herum, dasjenige mit Augen zu schauen, was ich ihren Ohren anpries, ja der Podestà selbst kehrte sich, obgleich mit etwas mehr Anstand, nach dem beschriebenen Bilde hin. Diese Szene kam mir so lächerlich vor, dass mein guter Mut sich vermehrte und ich ihnen nichts, am wenigsten den Efeu schenkte, der Fels und Gemäuer auf das reichste zu verzieren schon Jahrhunderte Zeit gehabt hatte.

Der Aktuarius versetzte drauf, das lasse sich alles hören, aber Kaiser Joseph sei ein unruhiger Herr, der gewiss gegen die Republik Venedig noch manches Böse im Schilde führe, und ich möchte wohl sein Untertan, ein Abgeordneter sein, um die Grenzen auszuspähen.

»Weit entfernt«, rief ich aus, »dem Kaiser anzugehören, darf ich mich wohl rühmen, so gut als ihr, Bürger einer Republik zu sein, welche zwar an Macht und Größe dem erlauchten Staat von Venedig nicht verglichen werden kann, aber doch auch sich selbst regiert und an Handelstätigkeit, Reichtum und Weisheit ihrer Vorgesetzten keiner Stadt in Deutschland nachsteht. Ich bin nämlich von Frankfurt am Main gebürtig, einer Stadt, deren Name und Ruf gewiss bis zu euch gekommen ist.«

»Von Frankfurt am Main!« rief eine hübsche junge Frau, »da könnt Ihr gleich sehen, Herr Podestà, was an dem Fremden ist, den ich für einen guten Mann halte; lasst den Gregorio rufen, der lange daselbst konditioniert hat, der wird am besten in der Sache entscheiden können.«

Schon hatten sich die wohlwollenden Gesichter um mich her vermehrt, der erste Widerwärtige war verschwunden, und als nun Gregorio herbeikam, wendete sich die Sache ganz zu meinem Vorteil. Dieser war ein Mann etwa in den Funfzigen, ein braunes italienisches Gesicht, wie man sie kennt. Er sprach und betrug sich als einer, dem etwas Fremdes nicht fremd ist, erzählte mir sogleich, dass er bei Bolongaro in Diensten gestanden und sich freue, durch mich etwas von dieser Familie und von der Stadt zu hören, an die er sich mit Vergnügen erinnere. Glücklicherweise war sein Aufenthalt in meine jüngeren Jahre gefallen, und ich hatte den doppelten Vorteil, ihm genau sagen zu können, wie es zu seiner Zeit gewesen und was sich nachher verändert habe. Ich erzählte ihm von den sämtlichen italienischen Familien, deren mir keine fremd geblieben; er war sehr vergnügt, manches Einzelne zu hören, z.B. dass der Herr Allesina im Jahre 1774 seine goldene Hochzeit gefeiert, dass darauf eine Medaille geschlagen worden, die ich selbst besitze; er erinnerte sich recht wohl, dass die Gattin dieses reichen Handelsherrn eine geborne Brentano sei. Auch von den Kindern und Enkeln dieser Häuser wusste ich ihm zu erzählen, wie sie herangewachsen, versorgt, verheiratet worden und sich in Enkeln vermehrt hätten.

Als ich ihm nun die genaueste Auskunft fast über alles gegeben, um was er mich befragt, wechselten Heiterkeit und Ernst in den Zügen des Mannes. Er war froh und gerührt, das Volk erheiterte sich immer mehr und konnte unserm Zwiegespräch zuzuhören nicht satt werden, wovon er freilich einen Teil erst in ihren Dialekt übersetzen musste.

Zuletzt sagte er: »Herr Podestà, ich bin überzeugt, dass dieses ein braver, kunstreicher Mann ist, wohl erzogen, welcher herumreist, sich zu unterrichten. Wir wollen ihn freundlich entlassen, damit er bei seinen Landsleuten Gutes von uns rede und sie aufmuntere, Malcesine zu besuchen, dessen schöne Lage wohl wert ist, von Fremden bewundert zu sein.« Ich verstärkte diese freundlichen Worte durch das Lob der Gegend, der Lage und der Einwohner, die Gerichtspersonen als weise und vorsichtige Männer nicht vergessend.

Dieses alles ward für gut erkannt, und ich erhielt die Erlaubnis, mit Meister Gregorio nach Belieben den Ort und die Gegend zu besehen. Der Wirt, bei dem ich eingekehrt war, gesellte sich nun zu uns und freute sich schon auf die Fremden, welche auch ihm zuströmen würden, wenn die Vorzüge Malcesines erst recht ans Licht kämen. Mit lebhafter Neugierde betrachtete er meine Kleidungsstücke, besonders aber beneidete er mich um die kleinen Terzerole, die man so bequem in die Tasche stecken konnte. Er pries diejenigen glücklich, die so schöne Gewehre tragen dürften, welches bei ihnen unter den peinlichsten Strafen verboten sei. Diesen freundlich Zudringlichen unterbrach ich einigemal, meinem Befreier mich dankbar zu erweisen. »Dankt mir nicht«, versetzte der brave Mann, »mir seid Ihr nichts schuldig. Verstünde der Podestà sein Handwerk und wäre der Aktuar nicht der eigennützigste aller Menschen, Ihr wäret nicht so losgekommen. Jener war verlegener als Ihr, und diesem hätte Eure Verhaftung, die Berichte, die Abführung nach Verona auch nicht einen Heller eingetragen. Das hat er geschwind überlegt, und Ihr wart schon befreit, ehe unsere Unterredung zu Ende war." (Italienische Reise, 14. September 1787)

Siehe die Seite
Goethe am Gardasee
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=4202

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8. Goethe bei Capri
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[Auf der Rückfahrt mit einem französischen Kauffahrer von Messina nach Neapel] "Aufmerksam durch diese Reden, betrachteten wir nun unser Schicksal mit Grauen; denn obgleich die Nacht die zunehmende Gefahr nicht unterscheiden ließ, so bemerkten wir doch, dass das Schiff, schwankend und schwippend, sich den Felsen näherte, die immer finsterer vor uns standen, während über das Meer hin noch ein leichter Abendschimmer verbreitet lag. Nicht die geringste Bewegung war in der Luft zu bemerken: Schnupftücher und leichte Bänder wurden von jedem in die Höhe und ins Freie gehalten, aber keine Andeutung eines erwünschten Hauches zeigte sich. Die Menge ward immer lauter und wilder. Nicht etwa betend knieten die Weiber mit ihren Kindern auf dem Verdeck, sondern weil der Raum zu eng war, sich darauf zu bewegen, lagen sie gedrängt aneinander. Sie noch mehr als die Männer, welche besonnen auf Hülfe und Rettung dachten, schalten und tobten gegen den Kapitän. Nun ward ihm alles vorgeworfen, was man auf der ganzen Reise schweigend zu erinnern gehabt: für teures Geld einen schlechten Schiffsraum, geringe Kost, ein zwar nicht unfreundliches, aber doch stummes Betragen. Er hatte niemand von seinen Handlungen Rechenschaft gegeben, ja, selbst noch den letzten Abend ein hartnäckiges Stillschweigen über seine Manœuvres beobachtet. Nun hieß er und der Steuermann hergelaufene Krämer, die ohne Kenntnis der Schiffskunst sich aus bloßem Eigennutz den Besitz eines Fahrzeuges zu verschaffen gewusst und nun durch Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit alle, die ihnen anvertraut, zugrunde richteten. Der Hauptmann schwieg und schien immer noch auf Rettung zu sinnen; mir aber, dem von Jugend auf Anarchie verdrießlicher gewesen als der Tod selbst, war es unmöglich, länger zu schweigen. Ich trat vor sie hin und redete ihnen zu, mit ungefähr ebensoviel Gemütsruhe als den Vögeln von Malcesine.

Ich stellte ihnen vor, dass gerade in diesem Augenblick ihr Lärmen und Schreien denen, von welchen noch allein Rettung zu hoffen sei, Ohr und Kopf verwirrten, so dass sie weder denken noch sich untereinander verständigen könnten. »Was euch betrifft«, rief ich aus, »kehrt in euch selbst zurück und dann wendet euer brünstiges Gebet zur Mutter Gottes, auf die es ganz allein ankommt, ob sie sich bei ihrem Sohne verwenden mag, dass er für euch tue, was er damals für seine Apostel getan, als auf dem stürmenden See Tiberias die Wellen schon in das Schiff schlugen, der Herr aber schlief, der jedoch, als ihn die Trost- und Hülflosen aufweckten, sogleich dem Winde zu ruhen gebot, wie er jetzt der Luft gebieten kann, sich zu regen, wenn es anders sein heiliger Wille ist.«

Diese Worte taten die beste Wirkung. Eine unter den Frauen, mit der ich mich schon früher über sittliche und geistliche Gegenstände unterhalten hatte, rief aus: »Ah! il Barlamé! benedetto il Barlamé!« und wirklich fingen sie, da sie ohnehin schon auf den Knieen lagen, ihre Litaneien mit mehr als herkömmlicher Inbrunst leidenschaftlich zu beten an. Sie konnten dies mit desto größerer Beruhigung tun, als die Schiffsleute noch ein Rettungsmittel versuchten, das wenigstens in die Augen fallend war: sie ließen das Boot hinunter, das freilich nur sechs bis acht Männer fassen konnte, befestigten es durch ein langes Seil an das Schiff, welches die Matrosen durch Ruderschläge nach sich zu ziehen kräftig bemüht waren. Auch glaubte man einen Augenblick, dass sie es innerhalb der Strömung bewegten, und hoffte es bald aus derselben herausgerettet zu sehen. Ob aber gerade diese Bemühungen die Gegengewalt der Strömung vermehrt, oder wie es damit beschaffen sein mochte, so ward mit einmal an dem langen Seile das Boot und seine Mannschaft im Bogen rückwärts nach dem Schiffe geschleudert, wie die Schmitze einer Peitsche, wenn der Fuhrmann einen Zug tut. Auch diese Hoffnung ward aufgegeben!

Gebet und Klagen wechselten ab, und der Zustand wuchs um so schauerlicher, da nun oben auf den Felsen die Ziegenhirten, deren Feuer man schon längst gesehen hatte, hohl aufschrien, da unten strande das Schiff! Sie riefen einander noch viel unverständliche Töne zu, in welchen einige, mit der Sprache bekannt, zu vernehmen glaubten, als freuten sie sich auf manche Beute, die sie am andern Morgen aufzufischen gedächten. Sogar der tröstliche Zweifel, ob denn auch wirklich das Schiff dem Felsen sich so drohend nähere, war leider nur zu bald gehoben, indem die Mannschaft zu großen Stangen griff, um das Fahrzeug, wenn es zum Äußersten käme, damit von den Felsen abzuhalten, bis denn endlich auch diese brächen und alles verloren sei. Immer stärker schwankte das Schiff, die Brandung schien sich zu vermehren, und meine durch alles dieses wiederkehrende Seekrankheit drängte mir den Entschluss auf, hinunter in die Kajüte zu steigen. Ich legte mich halb betäubt auf meine Matratze, doch aber mit einer gewissen angenehmen Empfindung, die sich vom See Tiberias herzuschreiben schien; denn ganz deutlich schwebte mir das Bild aus Merians Kupferbibel vor Augen. Und so bewährt sich die Kraft aller sinnlich-sittlichen Eindrücke jedesmal am stärksten, wenn der Mensch ganz auf sich selbst zurückgewiesen ist." (Italienische Reise. Montag, den 14. Mai 1787)

Siehe die Seite
Goethe vor Capri in Seenot
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=capri_seenot

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9. Goethe nach der Schlacht von Longwy vor König Friedrich
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Das Bild bezieht sich auf die "Campagne in Frankreich (1792)," an der Herzog Carl August als preußischer Generalmajor teil nahm. Auf seinen Wunsch hin stieß Goethe im Feld zu ihm. Er erreichte das Lager des Herzoglich Weimarischen Regiments am 28. August bei Brocourt [heute Praucourt] in der Nähe von Longwy, das sich nach zweitägigem Beschuss am 23. August ergeben hatte. Das Bild kann sich auf das Wiedersehen Goethes und des Herzogs beziehen. Als erhöht stehende Kommandeure kommen Carl August - an den sich der mit Diener und Wagen reisende Goethe grüßend wendet - , der persönlich am Feldzug teilnehmende preußische König Friedrich Wilhelm II ─ im Untertitel irrtümlich als "König Friedrich" bezeichnet ─ und der Oberbefehlshaber der allierten Streitkräfte, der Herzog von Braunschweig, in Frage. Eine Zuordnung zu einer bestimmten Textstelle ist nicht möglich.

Vgl.Goethe in Trier und Luxemburg. 200 Jahre Campagne in Frankreich 1792. Ausstellungskatalog. Stadtbibliothek Trier, Nationalbibliothek Luxemburg 1992. ISSN 0942-7031

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10. Goethe und Schiller in Jena
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An der Tagung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena am 20. Juli 1794 nahmen Goethe und Schiller als Ehrenmitglieder teil. "Beide verlassen die Gesellschaft gleichzeitig, und eine Bemerkung Schillers führt zu dem berühmten Gespräch in Schillers Wohnung über die Arten der Naturbetrachtung, Metamorphose der Pflanzen, Urpflanze und Trennung von Idee und Erfahrung". Es ist der Beginn einer intensiven Kommunikation und freundschaftlichen Zusammenarbeit, teils brieflich, teils bei wechselseitigen Besuchen.

Quelle:
Gero von Wilpert: Schiller-Chronik. Sein Leben und Schaffen (Universal-Bibliothek Nr. 18060) Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2000, S. 193.

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Schiller erwarb 1797 Garten und Sommerhaus des verstorbenen Prof. Johann Ludwig Schmidt in Jena und zog am 2. Mai ein. Dort führten Schiller und Goethe, der in diesem Jahr vom 20. Februar bis 31. März und vom 19. Mai bis 16. Juni in Jena weilte, fruchtbare Gespräche. Mehrmals besuchten auch die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt wie weitere Gäste Schiller in seinem Garten.

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11. Goethe auf Wunsch Napoleons I. in Erfurt
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Goethes Aufzeichnung
"Unterredung mit Napoleon"

Den 2ten Oktober 1808
[...]
     Ich werde hereingerufen.
    In demselben Augenblick meldet sich Daru, welcher sogleich eingelassen wird.
     Ich zaudere deshalb.
     Werde nochmals gerufen.
     Trete ein.
     Der Kaiser sitzt an einem großen runden Tisch frühstückend; zu seiner Rechten steht etwas entfernt vom Tische Talleyrand, zu seiner Linken ziemlich nah Daru, mit dem er sich über die Kontributions-Angelegenheiten unterhält.
     Der Kaiser winkt mir heranzukommen.
     Ich bleibe in schicklicher Entfernung von ihm stehen.
     Nachdem er mich aufmerksam angeblickt, sagte er: "vous ȇtes un homme." ich verbeuge mich.
     Er fragt: wie alt seid ihr?
     Sechzig Jahr.
     Ihr habt euch gut erhalten ─
     Ich antwortete das Notwendigste.
     Hier nahm Daru das Wort, der, um den Deutschen denen er so wehe tun mußte einigermaßen zu schmeicheln, von deutscher Literatur Notiz genommen, wie er denn überhaupt in der lateinischen wohlbewandert und selbst Herausgeber des Horaz war.
     Er sprach von mir wie etwa meine Gönner in Berlin mochten gesprochen haben, wenigstens erkannt' ich daran ihre Denkweise und ihre Gesinnung.
     Er fügte dann hinzu daß ich auch aus dem Französischen übersetzt habe und zwar Voltaires Mahomet.
     Der Kaiser versetzte: es ist kein gutes Stück, und legte sehr umständlich auseinander wie unschicklich es sei, daß der Weltüberwinder von sich selbst eine so ungünstige Schilderung mache.
     Er wandte sodann das Gespräch auf den Werther, den er durch und durch mochte studiert haben. Nach verschiedenen ganz richtigen Beobachtungen bezeichnete er eine gewisse Stelle und sagte: "warum habt ihr das getan? es ist nicht naturgemäß;" welches er weitläufig und vollkommen richtig auseinander setzte.
     Ich hörte ihm mit heiterem Gesichte zu und antwortete mit einem vergnügten Lächeln daß ich zwar nicht wisse ob mir jemand denselben Vorwurf gemacht habe; aber ich finde ihn ganz richtig und gestehe daß an dieser Stelle etwas Unwahres nachzuweisen sei. Allein, setzte ich hinzu, es wäre dem Dichter vielleicht zu verzeihen wenn er sich eines nicht leicht zu entdeckenden Kunstgriffs bediene um gewisse Wirkungen hervorzubringen, die er auf einem einfachen natürlichen Wege nicht hätte erreichen können.
     Der Kaiser schien damit zufrieden, kehre zum Drama zurück und machte sehr bedeutende Bemerkungen, wie einer der die tragische Bühne mit der größten Aufmerksamkeit gleich einem Kriminalrichter betrachtet, und dabei das Abweichen des französischen Theaters von Natur und Wahrheit sehr tief empfunden hatte.
     So kam er auch auf die Schicksalsstücke die er mißbilligte. Sie hätten einer dunklern Zeit angehört: Was, sagte er, will man jetzt mit dem Schicksal, die Politik ist das Schicksal.
     Er wandte sich sodann wieder zu Daru und sprach mit ihm über die großen Kontributions-Angelegenheiten; ich trat etwas zurück und kam gerade an den Erker zu stehen, in welchem ich vor mehr als dreißig Jahren zwischen mancher frohen auch manche trübe Stunde verlebt, und hatte Zeit zu bemerken daß rechts von mir nach der Eingangstüre zu, Berthier, Savary und sonst noch jemand stand. Talleyrand hatte sich entfernt.
     Marschall Soult ward gemeldet.
     Diese große Gestalt mit stark behaartem Haupte, trat herein, der Kaiser fragte scherzend über einige unangenehme Ereignisse in Pohlen [!] und ich hatte Zeit mich im Zimmer umzusehen und der Vergangenheit zu gedenken.
     Auch hier waren es noch die alten Tapeten;
     Aber die Portraite an den Wänden waren verschwunden.
     Hier hatte das Bild der Herzogin Amalie gehangen, im Redouten-Anzug eine schwarze Halbmaske in der Hand, die übrigen Bildnisse von Statthaltern und Familiengliedern fehlten alle.
     Der Kaiser stand auf, ging auf mich los und schnitt mich durch eine Art Manöuvre von den übrigen Gliedern der Reihe ab in der ich stand.
     Indem er jenen den Rücken zukehrte und mit gemäßigter Stimme zu mir sprach, fragte er: ob ich verheiratet sei, Kinder habe? und was sonst persönliches zu interessieren pflegt. Eben so auch über meine Verhältnisse zu dem Fürstlichen Hause, nach Herzogin Amalia, dem Fürsten, der Fürstin und sonst; ich antwortete ihm auf eine natürliche Weise. Er schien zufrieden und übersetzte sichs in seine Sprache, nur auf eine etwas entschiedenere Art als ich mich hatte ausdrucken können.
     Dabei muß ich überhaupt bemerken daß ich im ganzen Gespräch die Mannigfaltigkeit seiner Beifallsäußerungen zu bewundern hatte; denn selten hörte er unbeweglich zu, entweder er nickte nachdenklich mit dem Kopfe oder sagte oui! oder gar c'est bien, oder dergl. auch darf ich nicht vergessen zu bemerken, daß, wenn er ausgesprochen hatte er gewöhnlich hinzufügte:

          Qu'en dit Mr. Göt.
          [Was sagt Herr Goethe dazu?]

     Und so nahm ich Gelegenheit bei dem Kammerherrn durch eine Gebärde anzufragen ob ich mich beurlauben könne? die er erwiderte, und ich dann ohne Weiteres meinen Abschied nahm."

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 14. München: Carl Hanser Verlag 1986, S. 577-580 und Kommentar S.841 ff.

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12. Goethe Jubelfeier
zur 50jähr. Anwesenheit in Weimar
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"Dienstjubiläum. 'Feierlichster Tag.' Das waren die zwei Worte, die Goethe am 7. November 1825 ins Tagebuch schrieb. Das Jahr 1825 brachte Weimar drei bedeutsame Gedenktage: Das 50jährige Regierungsjubiläum Karl Augusts, den goldenen Jubeltag seiner Vermählung und den fünfzigsten Jahrestag der Ankunft Goethes in Weimar. Wenige Monate später kam noch ein anderer Gedenktag. Am 11. Juni 1826 waren 50 Jahre seit dem Eintritt Goethes in den weimarischen Staatsdienst vergangen. Karl August beauftragte den Kanzler v. Müller mit den Vorbereitungen zur festlichen Würdigung dieser Tage. Dieser schlug vor, beide Gedenktage gleichzeitig zu begehen, denn Goethe habe 'nicht erst mit Ablegung seines persönlichen Diensteides, sondern gleich vom ersten Augenblick seines Eintritts in Weimars Mauern sich dem geliebten Fürsten für ewig geweiht und verpflichtet, wie er denn auch alsobald für Weimar zu wirken und zu schaffen begann'. Der Großherzog genehmigte diesen Plan, und in der Stille wurden alle Vorbereitungen zu seiner würdigen Feier getroffen. [...]

Der Gedenktag selbst wurde unter Beteiligung des Fürstenhauses, aller staatlichen und städtischen Behörden, der Universität Jena, der gesamten Bürgerschaft Weimars festlich begangen. Eine Morgenmusik begrüßte den Dichter mit Tagesbeginn, es folgte die Beglückwünschung und Überreichung von Geschenken [nach Junker im Treppenaufgang des Goethehauses am Frauenplan], der Besuch des großherzoglichen und des erbgroßherzoglichen Paares, ein Festakt im Saale der Bibliothek mit Reden des Kanzlers v. Müller und Riemers, ein Festmahl im Stadthaussaal, der durch Coudray stimmungsvoll ausgeschmückt worden war.

Aus dem Handschreiben, das Karl August dem Dichter überreichen ließ, mögen die Worte hervorgehoben werden: 'Die fünfzigste Wiederkehr dieses Tages erkenne ich sonach mit dem lebhaftesten Vergnügen als das Dienstjubelfest meines ersten Staatsdieners, des Jugendfreundes, der mit unveränderter Treue, Neigung und Beständigkeit mich bis hierher in allen Wechselfällen des Lebens begleitet hat, dessen umsichtigen Rat, dessen lebendiger Teilnahme ich den glücklichen Erfolg der wichtigsten Unternehmungen verdanke und den für immer gewonnen zu haben, ich als eine der höchsten Zierden meiner Regierung achte.'

Der Abend brachte eine sorgfältig vorbereitete, durch einen Prolog des Kanzlers v. Müller eingeleitete Festaufführung der Iphigenie mit der Jagemann, Oels, Durand und Graff in den Hauptrollen. Goethe wohnte der Vorstellung bis zum dritten Akte bei. Bei der Rückkehr waren die Häuser in der Frauentorstraße und auf dem Frauenplan festlich beleuchtet. Eine dem Jubilar von der Hofkapelle unter Hummels Leitung dargebrachte Nachtmusik beschloss den Festtag. [...]

Der Dank des Dichters bestand in einer sinnigen Gabe. Er sandte an alle Teilnehmer ein Blatt, das oben sein von Schwerdgeburth nach Rauchs Büste gestochener Kopf zierte, mit der faksimilierten Wiedergabe des Verses:
     Meinen feierlich Bewegten
     Mache Dank und Freude kund:
     Das Gefühl, das sie erregten,
     Schließt dem Dichter selbst den Mund."

Quelle:
Goethe-Handbuch. Hrsg. von Julius Zeitler. Bd. I. Stuttgart: J. B. Metzlersche Buchhandlung 1916, S. 409f.

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3. Kurzbiographie von Hermann Junker

Junker, Hermann, Maler, geb. zu Frankfurt a. M. 18. 9. 1838, gest. ebenda 10. 2. 1899, war anfangs als Lithograph Lehrling bei B. Dondorf, dann 1855/60 im Städelschen Institut Schüler von J. Becker und E. Steinle, 1863 in Paris bei Courbet, ging dann nach Flandern und Holland und ließ sich schließlich dauernd in seiner Vaterstadt nieder.

1873/76 war Junker als Zeichenlehrer an der Musterschule, lange Jahre auch als Illustrator der „Kleinen Presse“ in Frankfurt tätig. Von ihm Genrebilder (Öl), wie: „Künstlers Erdenwallen“, „Auerbachs Keller“, „Die Prüfungskommission“ (1863), „Poesie und Prosa“ (1867), Beethoven (1869), 4 Bilder aus dem altjüdischen Leben; ferner Aquarelle und Tuschzeichnungen: „Germanias Erwachen“, „Die Helden des Befreiungskrieges“ (1865), „Luther in Worms”, „Gustav Adolfs Tod“, „Szenen aus dem Deutsch - Französischen Krieg“. Ein Zyklus von 12 Zeichnungen „Aus Goethes Leben“ im Goethehaus zu Frankfurt. (Thieme-Becker, bearbeitet)

Für die Judaika von Junker im Verlag Paul Grödel siehe: joods historisch museum, URL:
http://www.jhm.nl/

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4. Weitere Historienbilder
und die Todesanzeige

 

Goethe als Kind beim Büchertrödler
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Titel: Aus "Wahrheit und Dichtung" von Paul Thumann. Holzstich nach einer Zeichnung von Paul Thumann (1834-1908). Monogrammiert PT69 und datiert 1869. H. Günther sc[ulpsit].

"Der Verlag oder vielmehr die Fabrik jener Bücher, welche in der folgenden Zeit, unter dem Titel: Volksschriften, Volksbücher, bekannt und sogar berühmt geworden, war in Frankfurt selbst, und sie wurden, wegen des großen Abgangs, mit stehenden Lettern auf das schrecklichste Löschpapier fast unleserlich gedruckt. Wir Kinder hatten also das Glück, diese schätzbaren Überreste der Mittelzeit auf einem Tischchen vor der Haustüre eines Büchertrödlers täglich zu finden, und sie uns für ein paar Kreuzer zuzueignen. Der Eulenspiegel, die vier Haimonskinder, die schöne Melusine, der Kaiser Octavian, die schöne Magelone, Fortunatus, mit der ganzen Sippschaft bis auf den ewigen Juden, alles stand uns zu Diensten, sobald uns gelüstete nach diesen Werken, anstatt nach irgend einer Näscherei zu greifen. Der größte Vorteil dabei war, dass wenn wir ein solches Heft zerlesen oder sonst beschädigt hatten, es bald wieder angeschafft und aufs neue verschlungen werden konnte." (Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Erster Teil. Erstes Buch)

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Goethe als Schlittschuhläufer
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Wilhelm von Kaulbach (1805-1874). Goethe Gallerie. Mappe. Nr. 20: Goethe in Frankfurt. Ohne Text, Verlag und Jahr. Im Bild monogrammiert und datiert 1862. Fotographische Reproduktion einer Zeichnung von 1862.

Wahrscheinlich handelt es sich um die Ausgabe in Friedr. Bruckmanns Verlag, die in zahlreichen Auflagen mit und ohne einem erläuternden Text von Friedrich Spielhagen erschien.

Frank Heidtmann: Wie das Photo ins Buch kam (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Photographie; Bd. 2) Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 1984. Über Dichter-Gallerien mit Photographien ab ca. 1860 S. 139 ff. Über Friedrich Bruckmann und Wilhelm von Kaulbach S. 186 ff. ISBN 3-87061-169-3

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Goethe auf dem Eise
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Ludwig Pietsch (1824-1911): Goethe auf dem Eise in Frankfurt a.M. Originalzeichnung. Holzstich in: Illustrirte Zeitung. Goethe-Nummer, 24. August 1899, S. 245.

"Ein sehr harter Winter hatte den Main völlig mit Eis bedeckt und in einen festen Boden verwandelt. Der lebhafteste, notwendige und lustig-gesellige Verkehr regte sich auf dem Eise. Grenzenlose Schrittschuhbahnen [!], glattgefrorne weite Flächen wimmelten von bewegter Versammlung. Ich fehlte nicht vom frühen Morgen an und war also, wie späterhin meine Mutter, dem Schauspiel zuzusehen, angefahren kam, als leichtgekleidet wirklich durchgefroren. Sie saß im Wagen in ihrem roten Sammetpelze, der, auf der Brust mit starken goldenen Schnüren und Quasten zusammengehalten, ganz stattlich aussah. »Geben Sie mir, liebe Mutter, Ihren Pelz!« rief ich aus dem Stegreife, ohne mich weiter besonnen zu haben, »mich friert grimmig.« Auch sie bedachte nichts weiter; im Augenblicke hatte ich den Pelz an, der purpurfarb [!] bis an die Waden reichend, mit Zobel verbrämt, mit Gold geschmückt, zu der braunen Pelzmütze, die ich trug, gar nicht übel kleidete. So fuhr ich sorglos auf und ab; auch war das Gedränge so groß, dass man die seltene Erscheinung nicht einmal sonderlich bemerkte, obschon einigermaßen: denn man rechnete mir sie später unter meinen Anomalien im Ernst und Scherze wohl einmal wieder vor." (Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Vierter Teil. Sechzehntes Buch)

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Johann Wolfgang von Goethe
Die Eisbahn

Wasser ist Körper und Boden die Welle. Das neuste Theater
    Tut, in der Sonne Glanz, zwischen den Ufern sich auf.

Wahrlich es scheint nur ein Traum! bedeutende Bilder des Lebens
    Schweben, lieblich und ernst, über die Fläche dahin.

Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren,
    Menschengefühl und Vernunft schlich nur tief unten im Grund.

Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens,
    Ist sie glatt so vergißt jeder die nahe Gefahr.

Alle streben und eilen, und suchen und fliehen einander;
    Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn.

Alles gleitet unter einander, die Schüler und Meister,
    Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.

Jeder zeigt hier, was er vermag; nicht Lob und nicht Tadel
    Hielte diesen zurück, förderte jenen zum Ziel.

Euch Präconen des Pfuschers, Verkleinerer des Meisters, euch wünscht ich,
    Blaß und im Ohnmachtsgefühl stumm, hier am Ufer zu sehn.

Lehrling du schwankest und zauderst, und scheuest die glättere Fläche!
    Nur gelassen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.

Willst du schon zierlich erscheinen? und bist nicht sicher. Vergebens,
    Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmuth hervor.

Fallen ist der Sterblichen Loos. So fällt hier der Schüler
    Wie der Meister, doch stürzt dieser gefährlicher hin.

Fällt auf dem Eise der rüstigste Läufer, so lacht man am Ufer,
    Wie man bey Bier und Taback sich über Feldherrn erhebt.

Gleite fröhlich dahin, gieb Rath dem werdenden Schüler,
    Freue des Meisters dich und so genieße des Tags.

Siehe schon nahet der Frühling, das strömende Wasser verzehret
    Unten, der sanftere Blick, oben, der Sonne, das Eis.

Dieses Geschlecht ist hinweg, zerstreut die bunte Gesellschaft,
    Schiffern und Fischern gehört wieder die wallende Fluth.

Schwimme nur hin du mächtige Scholle! und kommst du als Scholle
    Nicht hinunter, du kommst doch wohl als Tropfen ins Meer.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe. Bd. 4.1. München: Carl Hanser 1988, S. 756f. Kommentar S. 1165f. - Die 16 Distichen wurde erstmals, als geschlossene Gruppe ohne Überschriften zu den einzelnen Distichen, in Schillers "Musen-Almanach für das Jahr 1797" gedruckt.

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Todesanzeige

Abgebildet wird die erste, unkorrigierte und verworfene Fassung der Todesanzeige vom 23. März 1832 im Namen der Schwiegertochter Ottilie von Goethe und ihrer Kinder Walter, Wolf und Alma. Die Formulierung der Todesursache "Stickfluss in Folge eines zurückgeworfenen Katharrhalfiebers" wurde in der publizierten Fassung korrigiert: "in Folge eines nervös gewordenen Katharhalfiebers".

Quelle:  
Venator & Hanstein, Köln. Auktion 148. 16. März 2018. Nr. 637.

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5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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Ludwig-Maximilians-Universität München
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