Goethezeitportal.de

 

Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Goethe und die Musik

Dieter Borchmeyer:
»Die Genies sind eben eine große Familie ...
Goethe in Kompositionen von Richard Strauss«

 

1. Goethe in der Musik des 20. Jahrhunderts

Goethe und die Musik seiner Mit- und Nachwelt: das ist ein weites, ja eines der weitesten Felder seiner Wirkungsgeschichte. Wohl kein Dichter in der Geschichte der Weltliteratur hat einen vergleichbaren Einfluß auf die Musik gewonnen hat wie er. Fast keiner der großen Komponisten - zumindest in Deutschland - von der Schwelle des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ist ohne ihn ausgekommen, ja in vielen Fällen - es seien nur die Namen Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Liszt, Wagner, Brahms, Mahler, Strauss, Busoni oder Webern genannt - stehen die Lektüre und musikalische Auseinandersetzung mit Goethe so sehr im Zentrum ihres ästhetischen Kosmos, daß man beinahe behaupten kann: ohne ihn hätte ihr Werk eine andere geistige, ja vielfach eine andere künstlerische Gestalt. Vor allem eine bestimmte musikalische Gattung, die außerhalb Deutschlands heute mehr denn je als Inbegriff deutscher Kultur gilt, hätte sich ohne ihn niemals in dieser Form und zu dieser Höhe entwickelt: das Kunstlied, "le lied", wie die Franzosen sagen, ein Wort, das niemals im Dictionnaire stünde, hätte es Goethe nicht gegeben, dessen Gedichte seit fast zweihundert Jahren nach den Worten von Friedrich Blume "die bei weitem am häufigsten komponierten Texte der Weltliteratur" sind.1

Beethoven hat gegenüber Rochlitz behauptet, daß "keiner sich so gut komponieren lasse wie Goethe"2, wobei er wohl vor allem die Biegsamkeit seines Rhythmus im Auge hatte, welche der Vertonung einen weiten Spielraum gönnt. Die ideale Vertonbarkeit Goethes und überhaupt die Affinität seiner Dichtung zur Musik haben sich den Komponisten immer wieder aufgedrängt, bemerkenswerter Weise auch nichtdeutschen, die oft auf Übersetzungen angewiesen waren wie etwa Giuseppe Verdi bei seinen Vertonungen von Gretchen am Spinnrad und Ach neige du Schmerzenreiche. Wirkungsgeschichtlich betrachtet steht Goethe weit näher bei der Musik als bei der bildenden Kunst, zumindest spielte sich seine Wirkungsgeschichte wahrhaft - wenn auch leider nicht nur - auf den obersten Rängen der Musik ab, in der bildenden Kunst dagegen überwiegend auf den unteren Rängen.

Kein Zweifel freilich, daß Goethe-Texte in der Musik des 20. Jahrhunderts eine erheblich geringere Rolle gespielt haben als im 19. Jahrhundert. Die gewaltige Konkurrenz der Liedkomponisten von Schubert bis Wolf, die abnehmende Bedeutung der Gattung Lied im allgemeinen, die Ferne des außerlyrischen Oeuvres von Goethe zu den Formen und Tendenzen der Musik dieses Jahrhunderts mögen Gründe für den Rückgang der Goethe-Vertonungen sein. Deren gewaltigste und bedeutendste ist zweifellos der zweite Satz von Gustav Mahlers Achter Symphonie (1910) mit der Vertonung der Bergschluchten-Szene des Faust II, deren Ausstrahlung auf die Musik der Wiener Schule um Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern nicht zu unterschätzen ist. Goethe war einer ihrer selbstverständlichen Bezugspunkte, wie Wien überhaupt das Zentrum der musikalischen Wirkungsgeschichte Goethes von Gustav Mahler bis Ernst Krenek (der z.B. 1927 eine Bühnenmusik zum Triumph der Empfindsamkeit schrieb) gewesen ist. Die größte Bedeutung hatte Goethe zweifellos für Anton Webern. Das zeigen weniger seine eigentlichen Goethe-Kompositionen ("Gleich und gleich" aus den Vier Liedern für Singstimme und Klavier op. 12 und die Zwei Lieder für gemischten Chor und fünf Instrumente op. 19 aus den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten, die durch Mahlers Achte Symphonie angeregt wurden, sowie die anderen, Fragment gebliebenen Versuche der Goethe-Vertonung aus den zwanziger Jahren) als der eminente Einfluß von Goethes Farbenlehre und Morphologie auf seine Kompositionslehre, die mäeutische Rolle, die sie für ihn bei der Entwicklung der Reihentechnik spielten - ein Zeichen dafür, daß Goethe nicht nur die spätromantischen Repräsentanten der bürgerlichen Musiktradition, sondern auch die radikalen Neuerer zu inspirieren vermochte.  

 

2. Strauss in den Spuren Goethes

Als Richard Strauss im November 1892 zu einer achtmonatigen Reise nach Griechenland, Ägypten und Sizilien aufbricht, nimmt er einen geistigen Reise-begleitet mit, dessen Schriften und Gespräche er sich in den folgenden Monaten immer wieder zu Gemüte führt: Goethe. So studiert er während seines Aufenthalts in Sizilien die Italienische Reise und empfiehlt diese Lektüre in einem Brief aus Palermo an Ludwig Thuille vom 16. Mai 1893 auch dem Freund mit Nachdruck: "das [Goethe] ist doch ein Prachtkerl, mit dem geht es Einem auch wie mit den egyptischen Tempeln, je mehr man ihn anstaunt, desto größer wird er! Zudem spricht er gerade da so vieles aus, was ich seit 7 Monaten selbst erlebt und empfunden habe, aber nicht so herrlich klar aussprechen könnte."3

 Richard Strauss spiegelt sich selber in aller Bescheidenheit in Goethe, wie zehn Tage später in seinem Brief an Cosima Wagner vom 27. Mai mit größerer Unbefangenheit Goethe in Wagner. Anläßlich der begeisterten Lektüre von Eckermanns Gesprächen mit Goethe schreibt er da an die mütterliche Freundin: "Ich hatte in Palermo die Italienische Reise gelesen und kaum gewagt, so viel des dort so herrlich zum Ausdruck gebrachten als meine eigenen Reiseempfindungen in Ägypten und Italien wiederzuerkennen, bei der Lektüre der Gespräche muß ich aber oft immer wieder die Jahreszahl ansehen, um nicht zu glauben, so und so vieles sei heute geschrieben oder stünde in den Gesammelten Schriften [natürlich Wagners]: so Goethes Bemerkungen über Publikum, Politik usw. Die Genies sind eben eine große Familie und in ihrer herrlichsten Harmonie durch alle Zeiten hindurch ein unnachahmliches Muster für alle kleinen Familien, wo es der Mißverständnisse kein Ende gibt."4

 Sehr behutsam und verhohlen reiht sich der beurlaubte Großherzoglich sächsische Kapellmeister zu Weimar in diese "große Familie" ein. In Weimar wandelte er ja wirklich gleichermaßen in den Spuren Goethes und Wagners. Einige Jahrzehnte zuvor hatte sein Vorgänger Franz Liszt das sogenannte Silberne Zeitalter Weimars heraufgeführt, das unmittelbar an die große literarische Tradition der Residenz anzuknüpfen suchte, wie vor allem die im Zusammenhang mit den Säkularfeiern 1849 und 1859 entstandenen symphonischen Dichtungen und Chorkompositionen von Franz Liszt zu Werken Goethes und Schillers sowie die von ihm geplante "Goethe-Stiftung" zeigten, durch die nach seinen Worten Weimar seinen Ruf eines "Neu-Athen" bewahren sollte.5 "Zu einer bestimmten Zeit", schreibt er selbst in seinem von Resignation geprägten Testament vom 14. September 1860, "hatte ich für Weimar eine neue Kunstepoche erträumt, ähnlich der von Carl August, wo Wagner und ich die Führer gewesen wären, wie einst Goethe und Schiller".6 Zehn Jahre zuvor hat Liszt in Weimar Wagners Lohengrin uraufgeführt. Gérard de Nerval bemerkt zu diesem Ereignis, es habe "ganz den Bemühungen des jetzigen Großherzogs" entsprochen, "in Weimar jenes Erbe an Kunstgesinnung zu wahren, die dieser Stadt zu dem Namen >das Athen Deutschlands< verholfen hat".7 Und Wagner selbst schreibt am 24. Dezember 1850 aus Zürich an Liszt: "Wahrlich, teurer Freund, Du hast aus diesem kleinen Weimar für mich einen Feuerherd des Ruhms gemacht".8 

 Auch durch Richard Strauss sollte Weimar zu einer Hochburg des Wagnerismus werden: Vor seiner Weltreise, Anfang 1892 hatte er Tristan und Isolde zum erstenmal ohne jeden Strich in Weimar dirigiert und Cosima Wagner einläßlich darüber berichtet, Hänsel und Gretel von Wagners Adlatus und musikalischem Erben Engelbert Humperdinck wird er nach seiner Reise Ende 1893 zur Uraufführung bringen. Wagner ist der eine, im Vordergrund stehende Gott in seinem ästhetischen Kosmos, der andere, wenn auch weniger deutlich wahrnehmbare im Hintergrund ist Goethe. Kein Zweifel, daß der Genius loci Strauss zu seiner intensiven Goethe-Lektüre in dieser Zeit, auch und zumal auf seiner Weltreise inspiriert hat.

 Goethe stand als Dichter und Symbolgestalt deutscher Kultur für Richard Straus von seiner Jugend bis in die letzten Lebensjahre, als er noch ein-mall das Gesamtwerk Goethes in den 49 Bänden der "Propyläen-Ausgabe" Band für Band studierte, im Zentrum seines musikalischen Denkens. Daher ist das 50. Todesjahr von Richard Strauss und der 250. Geburtstag von Goethe wohl ein legitimer Anlaß, dieser Beziehung noch einmal nachzuspüren. Sie ist weit mehr eine hinter- und tiefgründige als eine Vordergrund-Beziehung, die für jedermann ersichtlich wäre. Die indirekten Anregungen und diffusen Inspirationen durch Goethe sind im Falle von Strauss weit intensiver als die direkten kompositorischen Bezüge, d.h. die Vertonungen Goethescher Texte, die vor allem in die zweite Lebenshälfte des Komponisten fallen. 

 Zum Bereich der indirekten Inspirationen gehört auch die Wirkung Goethes auf Strauss' bedeutendsten Librettisten Hugo von Hofmannsthal. Dessen Goethe-Aneignung, zumal die Goethe-Reminiszenzen in den Libretti waren zweifellos ein tief verbindendes Element zwischen Komponist und Dichter, ohne daß sich die direkte Wirkung dieser Goethe-Spuren auf die Musik mit philologischen Mitteln nachweisen ließe. "Ich habe mir oft gedacht", schreibt Hofmannsthal am 8. März 1912 an Strauss, "daß in unseren Stoffen - Rosenkavalier, Ariadne, Frau ohne Schatten -, wo es sich um Läuterung, um eine Goethesche Atmosphäre handelt, durch deren tiefes Verständnis Sie mich un-endlich erfreut haben -, daß bei allen diesen Stoffen vieles von dem, was in Ihnen liegt, hervorgerufen wird", erst "ans Licht gebracht wird". Hofmannsthal rechnet sich zweifellos das Verdienst zu, durch die Stoffwahl seiner Libretti dieses Goethesche Element in Strauss erweckt und das andere Grundelement seiner "produktiven Natur": das "Wuchtige", "Grandiose", "Finstere", um nicht zu sagen: das Wagnersche (Hofmannsthal redet hier freilich nicht davon, mag allenfalls daran gedacht haben) in den Hintergrund gedrängt zu haben, nachdem dieses andere, bewußt antigoethesche, dionysisch-orgiastische, um nicht zu sagen hysterische Element in der Elektra - sowohl auf der dichterischen als auch auf der musikalischen Seite - noch so stark dominiert, ja beide Künstler überhaupt erst zu gemeinsamer Opernarbeit zusammengeführt hatte. Doch, so Hofmannsthal: "Mit Absicht bin ich, nach der Elektra, dieser Linie nicht gefolgt"9 - und so hat er auch Strauss von ihr fortzulocken gesucht.

 Das gilt nicht zuletzt für die Frau ohne Schatten, deren Libretto so vielfältig auf Goethes Epos Die Geheimnisse, sein Märchen, das fragmentarische Libretto Der Zauberflöte zweiter Teil und andere Werke der klassischen Periode Goethes zurückweist. Das Verspaar aus Goethes Geheimnissen: "Von dem Gesetz, das alle Wesen bindet, / befreit der Mensch sich, der sich überwindet" hat Hofmannsthal in seinem Brief an Strauss vom Anfang April 1915 als den "innersten Gehalt" der Frau ohne Schatten bezeichnet.10 Diesen Gehalt hat Strauss seiner Komposition gewiß ebenso zu vermitteln gesucht wie ihm später der Stil der Iphigenie, des von Strauss neben Tasso am höchsten geschätzten Werks von Goethe,11 für die Ägyptische Helena vorbildlich wird, ohne daß sich das begreiflicherweise in der Musik strukturell dingfest machen ließe: "Ich will dem Ganzen den reinen, geläuterten Stil der Goetheschen Iphigenie geben", schreibt er am 1. Juni 1925 an Hofmannsthal.12 Diese erstrebte Iphigeniennähe resultiert freilich nicht zuletzt aus der Goetheverwandtschaft des Librettos der Ägyptischen Helena, das nicht nur auf den Helena-Akt des Faust II, sondern in dem todesmutigen Entschluß Helenas zur Wahrheit und Offenheit gegenüber Menelaos auf das Kardinalthema der Iphigenie zurückweist, eben jener Iphigenie, deren vermeintlichem Klassizismus sich die hysterisierte Antike der Elektra noch so entschieden entgegengesetzt hatte, redet der Dichter doch in einem Brief einmal davon, daß er jene Tragödie "nicht ohne eine gewisse Lust am Gegensatze zu der >verteufelt humanen< Atmosphäre der Iphigenie" konzipiert habe.13

 

3. Strauss' Lila-Plan

Hofmannsthal glaubte, Strauss spätestens seit der von ihm in Form und Inhalt angeregten, vom Komponisten anfänglich so lustlos akzeptierten Ariadne auf Naxos überhaupt erst der Wagnerschen Seele in seiner Musikerbrust entfremdet, das Goethesche und Mozartische in ihm erweckt zu haben, das Goethesche durchaus auch im Hinblick auf die Opernform, denn Goethes Singspiele, denen er einen schönen Essay gewidmet hat,14 blieben ihm immer ein Muster der Gattung, obwohl sie zu seinem Leidwesen nie die adäquate musikalische Realisierung gefunden haben. Über sein Verhältnis zu Goethes Libretti berichtet er auch Richard Strauss in seinem Brief vom 20. Januar 1913 - zu eben der Zeit, aus welcher jener Opernessay stammt. 

 Immer wieder bittet der Librettist den Komponisten um "dünnere Musik"15, um das Zurücktreten des Orchesters hinter der Gesangsstimme, also um die Absage an das Wagnersche Musikdrama mit seiner Dominanz des Orchesters. "Wenn sich, als ein neuer Stilversuch, nicht absteigender Kräfte, sondern gesteigerter Kunsteinsicht, zu einem Weniger von Musik gelangen ließe, wenn die Führung, die Melodie etwas mehr in die Stimme gelegt werden und das Orchester, mindestens auf große Strecken, begleitend und nicht in der Symphonie sich auslebend, sich der Stimme subordinieren würde [...] - so wäre, für ein Werk dieser Art, der Operette ihr Zauberring entwunden, mit dem sie die Seelen der Zuhörenden so voll bezwingt!" schreibt Hofmannsthal am 26. Juli 1928 an Strauss.16 Dieser verspricht denn auch seinem Librettisten immer wieder, den "Wagnerschen Musizierpanzer"17 abzustreifen und, was die Orchesterbehandlung betrifft, "über meinen eigenen Schatten zu springen".18

 Doch war Strauss die Welt der Goetheschen Singspiele, bevor er von Hofmannsthal über sie belehrt wurde, tatsächlich so unbekannt, war es wirklich so, daß Hofmannsthal Strauss den "bestimmten Stil" der Ariadne "förmlich aufdrängte", wie er in seinem Brief vom 23. Juni 1912 so stolz behauptet?19 Merkwürdig, daß Strauss dem Freund nie erzählt zu haben scheint, daß er sich mit Goethes Singspielen schon zu einer Zeit beschäftigt hatte, als jener fast noch in Windeln lag, und zwar unter einem ganz ähnlichen operndramaturgischen Vorzeichen, wie es ihm Hofmannsthal zur Ariadne-Zeit nahezubringen suchte. Bereits der vierzehnjährige Strauss hatte sich mit einer Vertonung von Goethes Singspiel Lila (1777/78) getragen und drei Szenen entworfen. Zwei Arien für Sopran und Tenor mit gemischtem Chor und Orchester haben sich erhalten.  

 Diesen Plan griff er fast zwanzig Jahre später (im Herbst 1895) in Verbindung mit dem Regisseur Savits, dem Erfinder der Münchner Shakespeare-Bühne, wieder auf. Aus diesem Grunde bat er eine berühmte Witwe, die mit einem noch viel berühmteren Komponisten verheiratet gewesen war, ihm librettistisch zur Seite zu stehen, da "das feinsinnige duftige Stück" ganz unverändert nicht mehr zu vertonen sei. Die Freundin verspricht, ihren "alten Kopf" zu bemühen, "und wer weiß, ist der Pegasus nicht sattelfest, so ist vielleicht der Hexenbesen zum zweitenmal beflügelt!" Sie macht sich zusammen mit der schriftstellernden Freundin Ada Pinelli gleich an die Arbeit, berichtet Strauss von deren Fortschritten und schickt ihm einen "skizzenhaften Vorwurf" zu, der sich erhalten hat und zeigt, daß die neu gewonnene Librettistin dem "duftigen Stück", das die Heilung einer dem Wahnsinn verfallenen Frau durch die "psychische Kur" (Goethe)20 von Musik und Poesie zum Inhalt hat, aufgrund der Identifizierung des Dämons Oger mit dem Gatten Lilas die etwas zu schweren Gewichte eines Ehedramas anhängt.  

 Strauss gibt zwar vor, den Grundeinfall "goethlich" zu finden, doch befürchtet er, daß durch ihn, vor allem aber durch die von der Bearbeiterin vorgesehene Zurückdrängung des gesprochenen Dialogs - welche das Stück seines Singspielcharakters mit seinem Nebeneinander von "Musik und Prosa" entkleiden würde - der "Mondscheinduft" des Spätrokoko und der Zelter-Zeit >ertötet< werde, und zwar "mit der Elektrizität des 20.Jahrhunderts" (das noch gar nicht angebrochen ist). Die Freundin verspricht zwar in ihren Antwortbrief, die Stiltrennung von Prosa und Musik zu erhalten, findet es freilich "wunderlich", daß ausgerechnet Strauss "Rokoko - Zelter" vertritt. Wenn die Musik auch gewiß "fern jeder Überladung sich halten müßte, da der Stoff dies nicht zuläßt, und eine unendliche Unschuld das Waltende sein müßte", so glaubt sie doch, "daß alles, was altmodisch erschiene, die Seele der Dichtung verscheuchen würde". 

 Das "gewisse Veraltete, Modernde, Rokokohafte", das mit der Singspielform verbunden ist, liegt Strauss jedoch gerade am Herzen. Ariadne läßt grüßen! "Das Ganze darf durchaus nichts Opernhaftes bekommen, die Musik soll dabei nur aufs Notwendigste beschränkt werden, äußerst diskret sein [wie es später Hofmannsthal ersehnte], und ein großer Reiz am Ganzen ist: das Problem von geschickt vermittelten Übergängen von Dialog zur Musik und daraus zurück zwar zu lösen, aber in einem Sinne zu lösen, als wenn >die Werke< nicht geschrieben". Natürlich meint Strauss mit >den< Werken die Musikdramen Wagners. Die Goethesche Seite seiner produktiven Natur ist also nicht erst von Hofmannsthal entdeckt, wenn auch gewiß aus langem Winter- oder besser: Wagner- und Nietzsche-Schlaf geweckt worden. Hat Strauss Lila doch zugunsten des Zarathustra aufgegeben. "Er ist andere Wege gewandelt!" schreibt wirklich zu Recht Cosima Wagner am 12. Mai 1914 an Ernst Fürst zu Hohenlohe-Langenburg in lächelndem Rückblick auf das abgebrochene Lila-Projekt, von dem drei Akte im Particell vorliegen. Nun wissen wir auch den Namen von Strauss' Librettistin: es ist Cosima Wagner.21   

 

4. Musikalische Spruchpoesie

Schon vor Lila hat Strauss - im Alter von dreizehn Jahren - zwei Goethe-Texte vertont:22 es handelt sich um die beiden Klavierlieder Der Fischer und Lust und Qual aus dem Jahre 1877. Eine Handvoll weiterer Goethe-Kompositionen sind aus der ersten Lebenshälfte von Strauss überliefert: Wandrers Sturmlied für Chor und Orchester (1884), das Orchesterlied Pilgers Morgenlied (1897) und das Klavierlied Gefunden (1903). Hinzu kommt die Instrumentierung von Beethovens Klavierlied Wonne der Wehmut aus dem Jahre 1898. 

 Diese frühen Kompositionen zwischen 1877 und 1903 sind durch eine Pause von fünfzehn Jahren getrennt von den neun Goethe-Vertonungen, sämtlich Klavierliedern, zwischen 1918 und 1942.23 Bemerkenswert, daß diese Lieder ausschließlich auf dem West-östlichen Divan - und zwar gerade nicht auf dessen lyrischen Gedichten - und den Zahmen Xenien beruhen.24 Dazu gehören u.a. das Romain Rolland gewidmete Divan-Gedicht Durch allen Schall und Klang (1925), Zugemeßne Rhythmen für Peter Raabe (ebenfalls aus dem Divan, 1935) und das Xenion Nichts vom Vergänglichen, "Gerhart Hauptmann, dem großen Dichter und hochverehrten Freunde mit herzlichen Glückwünschen" zum 80. Geburtstag zugeeignet (1942). 

 Es ist, ganz ähnlich wie im Falle von Anton Webern, von dem Strauss ansonsten durch eine Welt getrennt ist, die Spruchpoesie des späten Goethe, nicht seine Lyrik im engeren Sinne, die Strauss zu seinen musikalischen Reflexionen - als solche sind seine Vertonungen eher zu bezeichnen denn als "Lieder" - inspiriert haben. Fast immer handelt es sich da um Gelegenheitskompositionen mit aphoristischen musikalischen Anspielungen und Pointen, die Strauss, abgesehen von den drei Liedern aus dem "Buche des Unmuts" des Divan (op. 67; 1918), nicht veröffentlicht und mit Opuszahlen versehen hat. Weite Teile des Liedschaffens von Strauss sind entweder Gelegenheitskompositionen privaten Anstrichs oder aber eine Art Experimentierfeld, auf dem er kompositorische Verfahrensweisen erprobt, die er vom allgemeinen "Publikum" abschirmt: eine musikalische Geheimpoesie hinter den Kulissen der Öffentlichkeit. Den späten Strauss und den späten Goethe verbindet eine Affinität im Geiste poetisch-musikalischer Aphoristik und Reflexionskunst: Spruchdichtung und Spruchmusik als "offenbar Geheimnis" (mit dem Titel des Divan-Gedichts aus dem "Buch Hafis" zu reden). 

  Eines dieser musikalischen Spruchgedichte sei hier näher betrachtet: Zugemeßne Rhythmen aus dem "Buch Hafis" des West-östlichen Divan.25 Dieses knappe und doch mit musikalischen Zitaten gespickte Lied ist aus polemischem Anlaß entstanden. Peter Raabe hatte sich 1935 in der "Allgemeinen Musikzeitung" kritisch mit Walter Abendroths versteckter Attacke auf Richard Strauss in seiner Pfitzner-Biographie auseinandergesetzt. Dieser Artikel gefiel Strauss so gut, daß er am 25. Februar 1935 für den Autor das zu diesem Anlaß passende Goethe-Gedicht "Nachbildung" vertonte und mit einer Unterschrift versah, die auf Abendroths anonyme Gehässigkeit über Strauss' "feminines Schwelgen und Duseln in [...] klanglichen Fettpolstern"26 anspielt: "Ein im Abendrot des femininen 19. Jahrhunderts auf klanglichen Fettpolstern duselnder Programmmusiker", lautet nun Strauss' parodistische Selbstbezeichnung. Hier Goethes Gedicht:

Zugemeßne Rhythmen reizen freilich,
Das Talent erfreut sich wohl darin;
Doch wie schnelle widern sie abscheulich,
Hohle Masken ohne Blut und Sinn;
Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich,
Wenn er nicht, auf neue Form bedacht,
Jener toten Form ein Ende macht.27

 

So sehr Goethe der orientalischen Poesie nachzuschaffen suchte, lag ihm doch die pedantische Nachahmung ihrer Formen fern. Deren bloße Nachbildung ist die Sache des "Talents", des bloßen Virtuosen. Doch derartige Formimitation führt nur zu "hohlen Masken". Der "Geist" bedarf der "neuen Form", und er vermag das Vergangene - den Zauber der orientalischen Dichtung - nur wiederzubeleben, wenn er durch diese neue die alte Form aufhebt.  

 Das war auch die Grundüberzeugung von Strauss. Sie überträgt er nun in eine Zitatcollage. Der zweiten Zeile - "Das Talent erfreut sich wohl darin" - unterlegte er das Allegro-Hauptthema des Finalsatzes der Ersten Symphonie von Brahms, der Strauss immer noch - der Meinungstradition der neudeutschen Schule gemäß, die Arnold Schönberg später durch seinen Aufsatz Brahms der Fortschrittliche auf den Kopf stellen sollte - als der musikalische Sachwalter der traditionellen, >zugemeßnen< Formen galt. Die "hohlen Masken" abgelebter und sinnentleerter Formen werden in eine altertümelnde e-moll-Kadenz à la Pfitzners Palestrina übersetzt. Der >richtige<, d.h. über bloßes Talent hinausgelangende Künstler, der "auf neue Form bedacht" ist, erlaubt das erste Strauss-Zitat: die Reminiszenz an Arabellas F-dur-Duett mit der Schwester: "Aber der Richtige". Wie dieses Neue zu klingen hat, demonstriert selbstbewußt das Zitat aus Strauss' Tod und Verklärung. Der eigentliche Überwinder der toten Form aber ist Richard Wagner: das Meistersinger-Zitat im Klaviernachspiel bildet nun die Antithese zum Brahms-Thema des Beginns der Goethe-Vertonung. Im winzigen Kosmos dieses polemisch-musikalischen Spruchgedichts sollen sich Goethe und Wagner einmal mehr als Genies offenbaren, die "eben eine große Familie" sind.

 

5. Metamorphosen

Mit Goethe und seiner Spruchdichtung hat aber auch das bedeutendste Werk aus Strauss' letzter Schaffensphase zu tun: die Metamorphosen von 1945. Diese "Studie für 23 Solostreicher", sein letztes Orchesterwerk, die sich variierend dem Telos des Trauermarsches aus Beethovens Eroica zubildende Nänie auf das zerstörte Deutschland28, ist in seinem geistigen, ja strukturellen Kern ein letztes kompositorisches Zeugnis der Goethe-Verehrung von Richard Strauss. Das zeigen die Skizzenbücher zu den Metamorphosen, in die er auch Früchte seiner Lektüre der von ihm so sehr geliebten, als wahlverwandt empfundenen Spruchdichtung des späten Goethe eintrug, so gleich zu den ersten Skizzen zwei der nachgelassenen Zahmen Xenien, deren Abschrift Strauss' Irritation durch den Weltlauf spiegelt und durch die er sich selbst zur illusionslos-nüchternen Tagesarbeit im Zeichen erprobten Könnens aufruft: 

Wie's aber in der Welt zugeht
Eigentlich niemand recht versteht,
Und auch bis auf den heutigen Tag
Niemand gern verstehen mag.
Gehabe du dich mit Verstand,
Wie dir eben der Tag zur Hand,
Denk immer: ist's gegangen bis jetzt,
So wird es auch wohl gehen zuletzt. 

 

Und:

Niemand wird sich selber kennen
Sich von seinem Selbst-Ich trennen;
Doch probier' er jeden Tag
Was nach außen endlich klar,
Was er ist und was er war, 
Was er kann und was er mag.29

 

Doch nicht nur solche versteckten Bezüge zu Goethe prägen Strauss' Variationswerk, sondern sein Titel weist über dessen ovidisch-mythologische Bezüge hinaus auf einen Kardinalbegriff der Goetheschen Naturforschung zurück: die Metamorphose.  

 Strauss ist nicht der erste und einzige Komponist dieses Jahrhunderts, der diesen metaphorischen Begriff dem traditionellen musikalischen Terminus der Variation vorzieht.  

 Es sei an Paul Hindemiths Symphonische Metamorphosen über Themen von C. M. v. Weber (1943) erinnert. Und der wohl rigoroseste Goetheaner der Musikgeschichte: Anton Webern hat seine ganze dodekaphonische Kompositionslehre aus Goethes Morphologie abgeleitet, die Reihentechnik immer wieder durch die Begriffe von Urpflanze und Metamorphose erläutert. Erstere steht für die Reihe in der Zwölftonkomposition, letztere fällt bei ihm mit dem Begriff der entwickelnden Variation zusammen.30 Webern insistierte so sehr auf dieser Goethe-Parallele, daß Freunde wie Karl Amadeus Hartmann sie für eine rechte Grille hielten. So schreibt Webern etwa im Juni 1941 an seine Freundin und Textdichterin Hildegard Jone zum Konzept seiner Orchestervariationen op.30: "Stell Dir vor: da sind sechs Töne gegeben, in einer Gestalt, die durch die Folge und Rhythmus bestimmt ist und was nun kommt ... ist nichts anderes als immer wieder diese Gestalt!!! Freilich in fortwährender >Metamorphose< (im musikalischen heißt dieser Vorgang >Variation<) - aber sie ist es doch immer wieder."31

 Warum Strauss für seine "Studie" den Begriff der Metamorphose demjenigen der Variation vorzieht, hängt wohl vor allem damit zusammen, daß sie nicht von einem anfänglich exponierten festen Thema ausgeht, sondern daß der aus Beethovens "marcia funebre" hergeleitete c-moll-Hauptgedanke nach den Worten von Stephan Kohler "als unbewußter, zunächst nicht erkennbarer Bezugspunkt gewählt" wird, "der seine Identität erst nach und nach enthüllt".32 Der Bezug von Strauss' Variationswerk zu Goethes Morphologie, von dem die Forschung überzeugt ist,33 ist anders als bei Webern freilich eine Spekulation, hat weit weniger strukturelle Konsequenzen für seine Kompositionsweise, als es bei seinem Wiener Antipoden der Fall ist.

 

6. Musikalische Berührungsscheu vor Goethe

Überhaupt ist es merkwürdig, wie relativ selten Strauss' tiefe Goethe-Liebe, Verehrung und umfassende Werkkenntnis sich in seinem Oeuvre kompositorisch unmittelbar niedergeschlagen haben - eine merkwürdige Parallele zu den musikalisch ebenfalls so tief in Goethes Spuren wandelnden Komponisten Busoni und Webern -, daß sie weniger in als zwischen den Notenlinien zu finden sind. Dafür gibt es einen wesentlichen Grund: die musikalische Berührungsscheu von Strauss gegenüber einem über alles bewunderten Dichter, des-sen Worte in ihrer poetischen Vollendung (im ganzen Bedeutungsumfang des Wortes) nach seiner Überzeugung der Töne nicht bedurften34 - trotz der von Goethes Poesie ausgelösten großen deutschen Liedtradition von Schubert bis Wolf. Das hat er immer wieder gegenüber Freunden wie Joseph Gregor35, Romain Rolland36) oder Willi Schuh betont. In einem Brief an diesen vom 11. Juni 1946 polemisiert er deshalb heftig gegen Charles Gounod und Ambroise Thomas, wider deren "Goetheverhunzende Margarethe und Mignon" er sein Leben lang protestiert habe.37  

 Als Joseph Gregor 1939 für das spätere Capriccio das "merkwürdige Milieu" vorschlägt, "in das der junge Goethe in Weimar eintrat" - mit dem von ihm geleiteten Liebhabertheater, einem Komponisten mit Spuren von Knebel, einer Schauspielerin als Ebenbild der Jagemann, der Comtesse und dem sie umschwärmenden Poeten als Frau von Stein und Goethe -, war Strauss entsetzt: "Um Gottes willen keine Anspielungen auf große Persönlichkeiten: Göthe - Frau von Stein! Brr!"38 Und später noch einmal: "Ich bitte um Gottes willen keine direkten Anspielungen auf Weimar, Wilhelm Meister39 oder gar direkte Nennung geheiligter Namen" - was Gregor nicht begreifen will: "Nicht recht verstanden habe ich auch, warum z.B. von Goethe oder von Beethoven nicht gesprochen werden darf?"40  

 Warum nicht? Es war, was Gregor bei einem Komponisten vom Range Strauss' wohl nicht begreifen konnte, dessen ungeheurer Respekt vor diesen Namen, der es ihm nicht erlaubte, sie in seiner eigenen musikdramatischen Sprache reden zu lassen. Daß er so wenige Goethe-Texte und gerade nicht die bedeutendsten vertont hat, daß er die Spuren Goethes in seinem Werk verwischt, sein Bild in heimlichen Nischen und hinter zart gewebten Vorhängen verborgen hat, zeigt, daß ihm Goethe ein Stern höchster Höhe war, den er durch seine Musik nicht zu erreichen wagte. Und doch bedeuten diese heimlichen Spuren mehr als die bedenkenlose Komposition und musikalische Trivialisierung der Dichtung Goethes, gegen die Strauss sich zeitlebens verwahrt hat. Noch in dessen musikalischen Schweigen ist der Geist Goethes freilich gegenwärtiger als in der Masse so vieler redseliger Vertonungen seiner Dichtungen.

 

 

*******************************************************

Fußnoten

    1  Artikel "Goethe" in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel und Basel 1956. Bd. V, Sp. 451.
    2  Vgl. Joseph Müller-Blattau: Goethe und die Meister der Musik. Stuttgart 1969, S. 47.

    3  Richard Strauss - Ludwig Thuille. Ein Briefwechsel. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft München. Hrsg. v. Franz Trenner. Bd. IV. Tutzing 1980, S. 133 

    4  Cosima Wagner - Richard Strauss. Ein Briefwechsel. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft München. Hrsg. v. Franz Trenner. Bd. II. Tutzing 1978, S. 159. 

    5  Zitiert nach Herbert Greiner-Mai (Hrsg.): Weimar im Urteil der Welt. Stimmen aus drei Jahrhunderten. Berlin u. Weimar 1977, S. 204. 

    6  Ebd. S. 236. 

    7  Ebd. S. 208. 

    8  Ebd. S. 218. 

    9  Richard Strauss - Hugo von Hofmannsthal. Briefwechsel. Gesamtausgabe. Hrsg. v. Willi Schuh. 3. Auflage Zürich 1964, S. 170f.

    10  Strauss - Hofmannsthal. Briefwechsel, S. 303. 

    11  Vgl. Strauss' Brief an Willi Schuh vom 15. 11. 1946: Iphigenie und Tasso seien für ihn Goethes "oberste Werke". Richard Strauss. Briefwechsel mit Willi Schuh. Zürich 1969, S. 107. 

    12  Strauss - Hofmannsthal. Briefwechsel, S. 541. 

    13  Hofmannsthal: Briefe. Wien 1937, S. 383. 

    14  Hofmannsthal: Einleitung zu einem Band von Goethes Werken, enthaltend die Singspiele und Opern (1913/14). In: Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze I. Frankfurt a.M. 1979, S. 443-448. 

    15  Strauss - Hofmannsthal. Briefwechsel, S. 484. 

    16  Ebd. S. 650f. 

    17  Ebd. S. 359. 

    18  Ebd. S. 652. 

    19  Ebd. S. 185.

    20  Goethe: Sämtliche Werke. Bd. V: Dramen 1776-1790. Hrsg. v. Dieter Borchmeyer. Frankfurt a. M. 1988, S. 938.

    21  Cosima Wagner - Richard Strauss. Briefwechsel, S. 211-217. Vgl. dazu die einläßliche Untersuchung und Dokumentation von Stephan Kohler: "Glück auf zum Veralteten, Modernden, Rokokohaften!" Richard Strauss und Cosima Wagner als Bearbeiter von Goethes Singspiel Lila. In: Jahrbuch der Bayerischen Staatsoper V. München 1982, S. 100-119. Der Beitrag enthält auch Kopien aus Cosima Wagners Libretto-Entwurf und aus Strauss' Entwürfen. Der Zitattitel des Kohlerschen Aufsatzes korrigiert die Lesart "Modernen" in der Ausgabe des Briefwechsels von Franz Trenner (S. 215). Den vollständigen Abdruck des Libretto-Entwurfs von Cosima Wagner enthält der folgende Beitrag von Stephan Kohler: Goethes Singspiel Lila in der Bearbeitung Cosima Wagners für Richard Strauss und das Fragment eines Singspielentwurfs von Hugo von Hofmannsthal. In: Hofmannsthal-Blätter 26 (1982), S.19-31. Vgl. ferner ders.: Das Singspiel als dramatischer Formtypus: Goethe - Strauss - Hofmannsthal. In: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): Goethe im Kontext. Tübingen 1984, S. 181-193.  

    22  Sämtliche von Strauss vertonte Goethe-Gedichte sind in der Ausgabe zusammengestellt: Die Texte der Lieder von Richard Strauss. Kritische Ausgabe von Reinhold Schlötterer. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft München. Bd. X. Pfafffenhofen 1988, S. 54-65. - Das Joseph Goebbels gewidmete Lied Das Bächlein, mit dem Strauss 1933 dem Propagandaminister eine lyrische Kußhand zuwarf, wohl um ihm für die Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer zu danken, geht glücklicherweise nicht auf ein echtes Goethe-Gedicht zurück. So unerfreulich und überflüssig Strauss' opportunistische Geste gewesen ist - sie wurde ihm nie gedankt: Goebbels scheint auf die Widmung nicht einmal reagiert zu haben -, eine Huldigung an die neuen Machthaber ist das Lied trotz der dreimaligen Wiederholung des Wortes "Führer" in der letzten Verszeile mitnichten, hat dieses idyllische Lied, auch und gerade in seiner letzten Zeile, doch nichts Affirmatives, schon gar nichts Martialisches, sondern unterläuft durch seine gänzlich unheroische Vertonung der Worte des Bächleins: "Der, denk ich, wird mein Führer sein" jegliches Führerpathos. Gerade die dreimalige Wiederholung des Wortes "Führer" verstärkt die antipathetische, wenn nicht ironische Tendenz dieser Passage.  

    23  Hinzu kommen eine Reihe von unvollendeten, nur skizzierten Goethe-Vertonungen. Vgl. dazu Barbara A. Petersen: Ton und Wort. Die Lieder von Richard Strauss. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft München. Bd. VIII. Pfaffenhofen 1986, passim.

    24  Vgl. dazu Willi Schuh: Verstreute Goethe-Vertonungen. In: Richard Strauss-Jahrbuch 1959/60, S. 147-152 (mit der Veröffentlichung von vier Liedern). 

    25  Vgl. zum folgenden Willi Schuh: Zur Vertonung des Divan-Gedichts Zugemeßne Rhythmen in: Richard-Strauss-Jahrbuch 1954, S.122-124, ferner Norman del Mar: Richard Strauss. Bd. III, Ithaca, New York 1986, S. 398f. 

   26  Walter Abendroth: Hans Pfitzner. München 1935, S. 323. 

    27  Die Texte der Lieder von Richard Strauss. Kritische Ausgabe von Reinhold Schlötterer, S. 62.

    28  "Das Goethehaus, der Welt größtes Heiligtum, zerstört! Mein schönes Dresden, Weimar, München: alles dahin!" schreibt er an Joseph Gregor - bemerkenswert, daß er das Goethehaus, nicht etwa Wahnfried für der Welt größtes Heiligtum hält. Vgl. dazu und zum folgenden Stephan Kohler: Von der Fähigkeit zu trauern. Zu den Metamorphosen o.op.AV 142. In: Hans Jörg Jans (Hrsg.): Komponisten des 20. Jahrhunderts in der Paul- Sacher-Stiftung. Aus Anlaß der Eröffnung der Paul-Sacher-Stiftung am 28. April 1986 ... Basel 1986, S. 65-68. 

    29  Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hrsg.v. Karl Richter. Bd. XVIII.1. München 1997, S. 58f. Vgl. Strauss' nur in der Interpunktion leicht abweichende Abschriften bei Kohler: Von der Fähigkeit zu trauern, S. 68.  

    30  Vgl. Barbara Zuber: Gesetz + Gestalt. Studien zum Spätwerk Anton Weberns. München 1995, S. 60f. u.ö. 

    31  Zitiert ebd. S. 69. 

    32  Kohler: Von der Fähigkeit zu trauern, S. 66.

    33  Vgl. neben dem Aufsatz von Kohler Norman del Mar: Richard Strauss, Bd. III, S. 426f. und Brian Gilliam (Hrsg.): Richard Strauss. New Perspectives on the Composer and His Work. Durham and London 1992, S. 201 (Timothy L. Jackson). 

    34  In diesem Punkt kommt seine Anschauung der seines Antipoden Johannes Brahms nahe, der behauptete, Goethes Gedichte seien in sich so vollkommen, daß keine Vertonung ihnen etwas hinzufügen könne. Selbst Schubert sei dies nur ein einzigesmal: in seinen Suleika-Liedern gelungen. Vgl. dazu Ludwig Finscher: Brahms' Early Songs: Poetry versus Music. In: Brahms Studies. Analytical and Historical Perspectives. Ed. by George S. Bozarth. <?xml:namespace prefix = st1 ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:smarttags" />Oxford 1990, S. 331-344. 

    35  Vgl. Norman del Mar: Richard Strauss. Bd. III, S. 247. 

    36  "Die wirklichen, poetischen Dramen Schillers, Goethes, Shakespeares genügen sich selbst: sie bedürfen keiner Musik". Zitiert nach Maria Hülle-Keeding: Richard Strauss - Romain Rolland. Briefwechsel und Tagebuchnotizen. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft. Bd. XIII. Berlin 1951, S. 182.  

    37  Strauss - Schuh. Briefwechsel, S. 95. 

    38  Vgl. Kurt Wilhelm: Fürs Wort brauche ich Hilfe. Die Geburt der Oper Capriccio von Richard Strauss und Clemens Krauss. München 1988, S. 53f. 

    39  Was Richard Strauss nicht gewußt hat: Hofmannsthal plante schon 1900 ein "Singspiel nach W. Meister" mit dem Titel Die Gräfin, welches dasselbe dritte Buche von Wilhelm Meisters Lehrjahre zum Inhalt hat, das - mit dem Schloß des Grafen - später Joseph Gregor zu seinem abgelehnten Libretto-Entwurf für Richard Strauss inspirierte. Vgl. dazu die bereits angeführten Aufsätze von Stephan Kohler in: Hofmannsthal-Blätter 26 (1982), hier S. 22 u. in: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): Goethe im Kontext. Tübingen 1984, hier S. 187f. 

    40  Ebda. S. 68 u. 71. Vgl. auch Norman del Mar: Richard Strauss. Bd. III, S. 183 ff.

*******************************************************

 

 Dieter Borchmeyer: "Die Genies sind eben eine große Familie ..." Goethe in Kompositionen von Richard Strauss.

In: Goethe-Jahrbuch 111 (1999) [2000], S. 206-223.   PDF-Fassung  

 

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit