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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Modernisierung der Forschungsfelder durch die Digitale Literatur

1. Interdisziplinärer Ansatz

Seit Beginn der 1960er Jahre lässt sich eine verstärkte Tendenz zu interdisziplinär ausgerichteten Forschungsansätzen beobachten. Die neuen Medien dynamisieren diese Prozesse zunehmend: Durch die Hypertextstruktur wird ein vieldimensional vernetzter Raum geschaffen, der sich hervorragend für die Kontextualisierung eines literarischen Sachverhaltes wie die "Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik" eignet.

Hier macht sich der Trend zum Gesamtkunstwerk bemerkbar: Der Text wird durch seine Umrahmung durch audiovisuelle Elemente zum Artefakt, welches ein neues (medien-)ästhetisches Bewusstsein fördert.

Der Germanist und Medienwissenschaftler Norbert Gabriel erkennt in dieser Kontextualisierung zudem eine ordnende Funktion, die eine „Komplexitätsreduktion“[1] der Informationsmengen bewirke. Durch die Kontextualisierung werden die Informationen für den Nutzer geordnet und interdisziplinär verarbeitet zur Verfügung gestellt:
„Hypermedien [...] implementieren ein Wissensdesign, das Daten gleichsam frei begehbar macht; d.h. sie dekontextualisieren Informationselemente und bieten zugleich Verknüpfungs-Schemata der Rekombination an.“[2]

 

2. Intertextueller Ansatz

Seit den 1970er Jahren hat sich der intertextuelle Forschungsansatz zu einem zentralen Konzept der Literaturwissenschaft entwickelt. Theorien des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette [3] und der bulgarischen Kulturwissen-schaftlerin Julia Kristeva [4] bestimmen maßgeblich die Debatte. Kurz gefasst besagt die Intertextualitätstheorie, dass speziell literarische Texte nie „in einem Vakuum existieren“, sondern stets „auf andere Texte bezogen“[5] sind.

Auch Norbert Gabriel bestätigt, dass erst durch die Kontextualisierung eines Textes in Zusammenhänge früherer oder anderer Texte die eigentliche Sinngebung der Informationen erfolgt [6]. Eine Steigerung dessen wäre die parallele Darstellung des Primärtextes und seiner Referenztexte mitsamt erläuternden Kommentaren. Bei dieser „Kumulation“ [7] des gesamten Wissens über einen Text werden „bereits vorliegende andere Interpretationen zum Text berücksichtigt“ [8]. Dieses erweiterte Kommentierungsverfahren  legitimiert die Wissenschaftlichkeit der Arbeit am Text und wahrt, neben Kriterien wie der Konsistenz, Beständigkeit und Überprüfbarkeit, ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. 

 

3. Stoff- und Motivforschung

Gegenwärtig werden immer mehr Primärtexte digitalisiert und in netzbasierten Volltextdatenbanken zur Bearbeitung angeboten. Die Elektronischen Textkorpora erlauben nicht nur neue Zugänge zum Text, sondern generieren neue empirische Fragestellungen: Neben ihrer Funktion als Grundlage für die Druckausgabe bieten sie mit Hilfe von Textretrievalprogrammen Gelegenheit zur schnellen Recherche nach Konkordanzen, Textpassagen, statistischen Analysen zum Vorkommen bestimmter Worte oder zu stylometrischen Untersuchungen.

Exemplarisch wird dies anhand einer Untersuchung nach der Sinneshierarchie in E.T.A. Hoffmanns „Fermate“ vorgenommen.


4. Editionswissenschaft

Verfolgt man die Arbeitsweisen auf der textkritischen Ebene weiter, erkennt man auch Vorzüge in der Anwendung digitalisierter Quellentexte in der Editionswissenschaft. Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandenen Editionstheorien, die den dynamischen Aspekt literarischer Texte erforschen, nehmen eine fortschrittliche Entwicklung: Durch das Sammeln und die parallele Darstellung mehrerer Textvarianten kann man den Entstehungsprozess eines Textes (Textgenese) augenfällig machen. Dabei kann die handschriftliche Fassung mitsamt editorischen Interventionen gezeigt werden; der Nutzer kann selbst aus dem Angebot wählen, welche Edition seiner kritischen Begutachtung am zweckdienlichsten ist.

Weiter ermöglicht die Extension des WWW einer Vielzahl von Spezialisten, sich gemeinsam an einer elektronischen Edition zu beteiligen und kritische Kommentare mehrschichtig miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise können biographische Hintergründe sowie historische und kulturelle Ereignisse analog als Kontextinformationen zu beliebigen Einzelstellen des Textes zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich können Übersetzungen, Abbildungen und Bibliographien hypertextuell mit dem Originaltext verbunden werden. Auch können die verschiedenen Orthographie- und Interpunktionsvarianten, wie auch bedeutungsverändernde Wortlautvarianten miteinander verglichen werden. Die Darstellung in mehreren Frames erlaubt zudem eine parallele Darbietung der verschiedenen Informationen. Darüber hinaus können weitere mediale Elemente, wie Videoclips oder Audiodateien, in den Textkorpus miteingebunden werden. Sehr anschaulich wäre z.B. die Videoaufnahme eines Theaterstücks oder einer Verfilmung, die exakt die Stelle illustriert, die man gerade liest. Dazu könnte man ein Interview mit dem Autor einblenden, der die Gedanken, die er an der Stelle hatte, beschreibt (= autorimmanentes Herangehen an einen Text). Ebenso informativ sind die Aussagen der Schauspieler, die sich intensiv mit ihrer Rolle auseinandergesetzt haben.
 

5. Intermediärer Ansatz

Die Intertextualitätstheorien werden um die Erforschung der Beziehungen eines literarischen Werkes zu anderen Medien erweitert: Die Intermedialität untersucht die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Künsten, wie z.B. die Verarbeitung eines literarischen Motivs oder Werks in anderen Medien. Der Cyberspace eignet sich hervorragend zur Auflösung der Gattungsgrenzen und ermöglich die avantgardistische Forderung nach einem medialen Gesamtkunstwerk. Auf diese Weise schafft die digitalisierte Intermedialität nicht nur neue Text-Bild-Verhältnisse sondern auch neue Verständnisse des Themengegenstandes.
 
Der Übergang von der Multimedialität zur Intermedialität impliziert eine kontrastierende Bezugnahme der drei Informationsträger Schrift, Bild und Klang. Hierbei werden Leerstellen (Metaräume) eröffnet, die spontane Erinnerungen freisetzen.
Intermedialität soll hier nicht nur diskutiert, sondern exemplarisch vorgeführt werden.
 
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[1] Norbert Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter. 1997, S. 5f.

[2] Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München 1993, S. 207f.

[3] Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. 1993.

[4] Vgl. Julia Kristeva : Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Jens Ihwe (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik, Bd. 3. 1972, S. 345-375.

[5] Ansgar Nünning: Metzler Lexikon: Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart 1998, S.241.

[6] Norbert Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter. 1997, S. 5f.

[7] Rainer Baasner und Maria Zens: Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Berlin. 2001, S. 111.

[8] ebd.

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Danica Krunic: Digitale »Literatur« im Netz. 02.02.2003.

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