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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Die Verbindung von Kunst und Religion

Ohne religiöse Haltung und göttliche Inspiration ist künstlerisches Schaffen laut Wackenroder gar nicht möglich. Das Kunstwerk fungiert als Medium Gottes, als ausdrucksstarke Darstellung der Religion. Der Künstler tritt hinter seinem Werk zurück und da er lediglich Werkzeug Gottes ist, der durch seine Darstellung zum Betrachter spricht.

„Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung zu nennen in ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich […] zum Himmel. […] Er [Gott] erblickt in jeglichen Werke der Kunst […] die Spur von dem himmlischen Funken, der, von ihm ausgegangen, durch die Brust des Menschen hindurch, in dessen kleine Schöpfungen überging, aus denen er dem großen Schöpfer wieder entgegenklimmt.“(S. 46f. RUB) 

Um in seinen Beschreibungen zu verdeutlichen, dass auch große Maler, wie Raffael Inspiration aus christlicher Thematik erhalten, scheut er auch vor historischer Verfälschung nicht zurück: Im Abschnitt „Raffaels Erscheinung“ tauscht der Autor die Betrachtung des Malers der heidnischen Göttin Galatea gegen die Madonna aus. Auch der von Wackenroder beeinflusste romantische Maler Philipp Otto Runge beschreibt den hohen Stellenwert von Religion in der bildenden Kunst:

„Das höchstvollendete Kunstwerk ist immer […] das Bild von der tiefsten Ahnung Gottes in dem Manne, der es hervorgebracht. Das ist: in jedem vollendeten Kunstwerke fühlen wir durchaus unseren innigsten Zusammenhang mit dem Universum.“ (Kluckhohn, S. 160)

 

Auch die in den „Herzensergießungen“ von Wackenroder beschriebenen Künstler werden stets als religiös motiviert geschildert. Raffael habe „immer ein besonders heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in sich“ getragen (S.10 RUB), Michelangelo Buonarroti sei der Maler des Alten Testaments (S.78 RUB) und allgemein sei es das Hauptanliegen der Renaissance Maler gewesen, Zeugnisse der Schöpfung Gottes abzulegen. Deshalb können Künstler auch nur auserwählte Persönlichkeiten sein. In „Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft“ behandelt Wackenroder die Natur als die Sprache, die nur Gott sprechen kann und die Kunst als die diejenige, die „nur wenige auserwählte unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt hat“ (S. 61 RUB) sprechen können - die Genies.  

 

 

Biographie Raffael  (1483-1520)

"Ich mag dich jetzt mit Worten nicht nennen, du, den alle Gedanken meinen, zu dem die Geister streben wenn sie es gleich nicht wissen und merken, du letzter Urquell, großes Meer, Unendlichkeit des Lebens!"
(Phantasien über die Kunst, S. 27)

 

Raffael - eigtl. Raffaello Santi - wurde geboren in Urbino, vermutlich am 6.4. 1483, gestorben ist er in Rom am 6.4. 1520. Er war Gehilfe seines Vaters Giovanni Santi, dann Schüler P. Peruginos, ging 1504 nach Florenz und 1508 nach Rom, wo er seit 1514 Bauleiter der Peterskirche und Konservator der antiken Denkmäler war. Sein frühes Hauptwerk, "Die Vermählung Mariä" (1504), zeigt noch den Einfluss von Perugino. Raffael schulte sich an der Kunst Leonardo da Vincis und Michelangelos; seine Figuren entwickeln Beweglichkeit und fügen sich in ein meist pyramidales Ordnungsgefüge ein. Die monumentalen Künstler. Aufgaben in Rom führten zu seinen gestalterischen Höhepunkten. In den Stanzen des Vatikans entfaltete er in seinen Fresken in weiten, perspektiv. Schauplätzen eine souveräne Regie vielfiguriger Kompositionen. In der Stanza della Segnatura (1509-11) sind die weltanschaul. Vorstellungen seiner Zeit in der Verbindung von christl. und antikem Gedankengut u.a. mit der "Schule von Athen" und der "Disputa" umfassend formuliert. Während sie und auch die Fresken der Stanza d'Eliodoro (1512-14) weitgehend eigenhändig ausgeführt sind, waren an der Stanza dell'Incendio (1514-17) Gehilfen beteiligt. Gleichzeitig war Raffael mit den Kartons für Wandteppiche der Sixtin. Kapelle beschäftigt (1515/16). Um 1511/12 schuf Raffael in der Villa Farnesina das mytholog. Wandbild "Triumph der Galatea" und entwarf 1517 die Dekoration für die Loggia der Villa mit den Deckenbildern "Hochzeit von Amor und Psyche" und "Rat der Götter". Raffaels Mariendarstellungen wie die "Sixtin. Madonna" (um 1513/14, 1516 fertig gestellt; Dresden, Gemäldegalerie) haben klassisch-vorbildhafte Bedeutung erlangt. Auch seine späteren Porträts sind durch das Streben nach einer geschlossenen Großform bestimmt. Für das Gruppenbild wurde "Leo X. mit den Kardinälen Giulio de' Medici und Luigi de' Rossi" (um 1518) wegweisend. Als Architekt war Raffael entwerfend tätig, ausgeführt wurden die Chigi-Kapelle in Santa Maria del Popolo (1512-16) und die Villa Madama (um 1516/17, abgeändert), beide in Rom.

 

 

Raffaels Erscheinung

Die Begeisterungen der Dichter und Künstler sind von jeher der Welt ein großer Anstoß und Gegenstand des Streites gewesen. Die gewöhnlichen Menschen können nicht begreifen, was es damit für eine Bewandtnis habe, und machen sich darüber durchaus sehr falsche und verkehrte Vorstellungen. Daher sind über die inneren Offenbarungen der Kunstgenies ebenso viele Unvernünftigtigkeiten, in und außer Systemen, methodisch und unmethodisch abgehandelt und geschwatzt worden, als über die Mysterien unser heiligen Religion. Die sogenannten Theoristen und Systematiker beschreiben uns die Begeisterung des Künstlers von Hörensagen, und sind vollkommen mit sich selbst zufrieden, wenn sie mit ihrer eiteln und profanen Philosophasterei umschreibende Worte zusammengesucht haben, für etwas, wovon sie den Geist, der sich in Worte nicht fassen läßt, und die Bedeutung nicht kennen. Sie reden von der Künstlerbegeisterung, als von einem Dinge, das sie vor Augen hätten; sie erklären es, und erzählen viel davon; und sie sollten billig das heilige Wort auszusprechen erröten, denn sie wissen nicht, was sie damit aussprechen.

Mit wie unendlich vielen unnützen Worten haben sich nicht die überklugen Schriftsteller neuerer Zeiten bei der Materie von den Idealen in den bildenden Künsten versündigt! Sie gestehen ein, daß der Maler und Bildner zu seinen Idealen auf einem außerordentlicheren Wege, als dem Wege der gemeinen Natur und Erfahrung gelangen müsse; sie geben zu, daß dies auf eine geheimnisvolle Weise geschehe: und doch bilden sie sich und ihren Schülern ein, sie wüßten das Wie; - denn es scheint, als würden sie sich schämen, wenn irgend etwas in der Seele des Menschen versteckt und verborgen liegen sollte, worüber sie wißbegierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben könnten.

Andre sind nun gar in der Tat ungläubige und verblendete Spötter, welche das Himmlische im Kunstenthusiasmus mit Hohnlachen gänzlich ableugnen, und durchaus keine besondere Auszeichnung oder Weihe gewisser seltener und erhabener Geister annehmen wollen, weil sie sich selber allzu entfernt von ihnen fühlen. Diese liegen indessen ganz außer meinem Wege, und ich rede mit ihnen nicht.

Aber die Afterweisen, auf welche ich deutete, wünsche ich zu belehren. Sie verwahrlosen die jungen Gemüter ihrer Schüler, indem sie ihnen so kühn und leichtsinnig abgesprochene Meinungen über göttliche Dinge beibringen, als wären es menschliche, und ihnen dadurch den Wahn einpflanzen, als stände es in ihrer Macht, dreist zu ergreifen, was die größten Meister der Kunst, ich darf es frei heraussagen, - nur durch göttliche Eingebung erlangt haben.

Man hat so manche Anekdoten aufgezeichnet und immer wieder erzählt, so manche bedeutende Wahlsprüche von Künstlern aufbehalten und immer wieder-holt; und wie ist es möglich gewesen, daß man sie so bloß mit oberflächlicher Bewunderung anhörte, daß keiner darauf kam, aus diesen sprechenden Zeichen das Allerheiligste der Kunst, worauf sie hindeuteten, zu ahnden? und nicht auch hier, wie in der übrigen Natur, die Spur von dem Finger Gottes anzuerkennen?

Ich, für mein Teil, habe von jeher diesen Glauben bei mir gehegt; aber mein dunkler Glauben ist jetzt zur hellsten Überzeugung aufgeklärt worden. Glücklich bin ich, daß der Himmel mich ausersehen hat, seinen Ruhm durch einen einleuchtenden Beweis seiner unerkannten Wunder auszubreiten: es ist mir gelungen, einen neuen Altar zur Ehre Gottes aufzubauen. -

Raffael, welcher die leuchtende Sonne unter allen Malern ist, hat uns in einem Briefe von ihm an den Grafen von Castiglione folgende Worte, die mir mehr wert sind als Gold, und die ich nie ohne ein geheimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und Anbetung habe lesen können, hinterlassen worin er sagt:

«Da man so wenig schöne weibliche Bildungen sieht, so halte ich mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt.»Essendo carestia di belle donne, io mi servo di certa idea che nie viene al mente.

Über diese bedeutungsvollen Worte nun ist mir neulich ganz unerwartet, zu einer innigen Freude, ein helles Licht aufgesteckt worden.

Ich durchsuchte den Schatz von alten Handschriften in unserm Kloster, und fand, unter manchem nichtsnützigen bestäubten Pergament, einige Blätter von der Hand des Bramante, von denen es nicht zu begreifen ist, wie sie an diesen Ort gekommen sind. Auf dem einen Blatte stand folgendes geschrieben, wie ich es, ohne weiteren Umschweif, zu deutsch hier hersetzen will:

«Zu meinem eigenen Vergnügen, und um es mir genau aufzubewahren, will ich hier einen wundervollen Vorfall aufzeichnen, welchen der teure Raffael, mein Freund, mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut hat. Als ich ihm vor einiger Zeit meine Bewunderung wegen seiner über alles schön gemalten Madonnen und heiligen Familien aus vollem Herzen zu erkennen gab, und mit recht vielen Bitten in ihn drang, mir doch zu sagen, von woher er denn in aller Welt die unvergleichliche Schönheit, die rührenden Mienen und den unübertrefflichen Ausdruck in seinen Bildern der heiligen Jungfrau entlehnt habe; so ward er, nachdem er mich eine Zeitlang mit seiner, ihm eigenen, jünglinghaften Schamhaftigkeit und Verschlossenheit hingehalten hatte, endlich

sehr bewegt, fiel mir mit Tränen um den Hals, und entdeckte mir sein Geheimnis. Er erzählte mir, wie er von seiner zarten Kindheit an, immer ein besondres heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in sich getragen habe, so daß ihm zuweilen schon beim lauten Aussprechen ihres Namens ganz wehmütig zumute geworden sei. Nachher, da sein Sinn sich auf das Malen gerichtet habe, sei es immer sein höchster Wunsch gewesen, die Jungfrau Maria recht in ihrer himmlischen Vollkommenheit zu malen, aber er habe es sich noch immer nicht getraut. In Gedanken habe sein Gemüt beständig an ihrem Bilde, Tag und Nacht, gearbeitet; allein er habe es sich gar nicht zu seiner Befriedigung vollenden können; es sei ihm immer gewesen, als wenn seine Phantasie im Finstern arbeitete. Und doch wäre es zuweilen wie ein himmlischer Lichtstrahl in seine Seele gefallen, so daß er die Bildung in hellen Zügen, wie er sie gewollt, vor sich gesehen hätte; und doch wäre das immer nur ein Augenblick gewesen, und er habe die Bildung in seinem Gemüte nicht festhalten können. So sei seine Seele in beständiger Unruhe herumgetrieben; er habe die Züge immer nur umher- schweifend erblickt, und seine dunkle Ahndung hätte sich nie in ein klares Bild auflösen wollen. Endlich habe er sich nicht mehr halten können, und mit zitternder Hand ein Gemälde der heiligen Jungfrau angefangen; und während der Arbeit sei sein Inneres immer mehr erhitzt worden. Einst, in der Nacht, da er, wie es ihm schon oft geschehen sei, im Traume zur Jungfrau gebetet habe, sei er, heftig bedrängt, auf einmal aus dem Schlafe aufgefahren. In der finsteren Nacht sei sein Auge von einem hellen Schein an der Wand, seinem Lager gegenüber, angezogen worden, und da er recht zugesehen, so sei er gewahr geworden, daß sein Bild der Madonna, das, noch unvollendet, an der Wand gehangen, von dem mildesten Lichtstrahle, und ein ganz vollkommenes und wirklich lebendiges Bild geworden sei. Die Göttlichkeit in diesem Bilde habe ihn so überwältigt, daß er in helle Tränen ausgebrochen sei. Es habe ihn mit den Augen auf eine unbeschreiblich rührende Weise angesehen, und habe in jedem Augenblick geschienen, als wolle es sich bewegen; und es habe ihn gedünkt, als bewege es sich auch wirklich. Was das wunderbarste gewesen, so sei es ihm vorgekommen, als wäre dies Bild nun grade das, was er immer gesucht, obwohl er immer nur eine dunkle und verwirrte Ahndung davon gehabt. Wie er wieder eingeschlafen sei, wisse er sich durchaus nicht zu erinnern. Am andern Morgen sei er wie neugeboren aufgestanden; die Erscheinung sei seinem Gemüt und seinen Sinnen auf ewig fest eingeprägt geblieben, und nun sei es ihm gelungen, die Mutter Gottes immer so, wie sie seiner Seele vorgeschwebt habe, abzubilden, und er habe immer selbst vor seinen Bildern eine gewisse Ehrfurcht gefühlt. - Das erzählte mir mein Freund, mein teurer Raffael, und es ist mir dieses Wunder so wichtig und merkwürdig gewesen, daß ich es für mich, zu meiner Ergötzung niedergeschrieben habe. » -

So ist der Inhalt des unschätzbaren Blattes, welches in meine Hände fiel. Wird man nun deutlich vor Augen sehen, was der göttliche Raffael unter den merkwürdigen Worten versteht, wenn er sagt:

«Ich halte mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt. »

Wird man, durch dieses offenbare Wunder der himmlischen Allmacht belehrt, verstehen, daß seine unschuldige Seele in diesen einfachen Worten einen sehr tiefen und großen Sinn aussprach? Wird man nun nicht endlich begreifen, daß all das profane Geschwätz über Begeisterung des Künstlers, wahre Versündigung sei, - und überführt sein, daß es dabei doch geradezu auf nichts anderes, als den unmittelbaren göttlichen Beistand ankomme?

Aber ich füge nichts mehr hinzu, um jeden, über diesen so wichtigen Gegenstand der ernsten Betrachtung, seinem eigenen Nachdenken zu überlassen. 

 

Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft

Die Sprache der Worte ist eine große Gabe des Himmels, und es war eine ewige Wohltat des Schöpfers, dass er die Zunge des ersten Menschen löste, damit er alle Dinge, die der Höchste um ihn her in die Welt gesetzt, und alle geistigen Bilder, die er in seine Seele gelegt hatte, nennen, und seinen Geist in dem mannigfaltigen Spiele mit diesem Reichtum von Namen üben konnte. Durch Worte herrschen wir über den ganzen Erdkreis; durch Worte erhandeln wir uns mit leichter Mühe alle Schätze der Erde. Nur das Unsichtbare, das über uns schwebt, ziehen Worte nicht in unser Gemüt herab.-

Die irdischen Dinge haben wir in unsrer Hand, wenn wir ihre Namen aussprechen; - aber wenn wir die Allgüte Gottes oder die Tugend der Heiligen nennen hören, welches doch Gegenstände sind, die unser ganzes Wesen ergreifen sollten, so wird allein unser Ohr mit leeren Schallen gefüllt und unser Geist nicht, wie es sollte, erhoben.

Ich kenne aber zwei wunderbare Sprachen, durch welche der Schöpfer den Menschen vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht, soviel es nämlich (um nicht verwegen zu sprechen) sterblichen Geschöpfen möglich ist, zu fassen und zu begreifen. Sie kommen durch ganz andere Wege zu unserm Inneren, als durch die Hülfe der Worte; sie bewegen auf einmal, auf eine wunderbare Weise, unser ganzes Wesen und drängen sich in jede Nerve und jeden Blutstropfen, der uns angehört. Die eine dieser wundervollen Sprachen redet nur Gott; die andere reden nur wenige Auserwählte unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt hat. Ich meine: die Natur und die Kunst.

Seit meiner frühen Jugend her, da ich den Gott der Menschen zuerst aus den uralten heiligen Büchern unserer Religion kennen lernte, war mir die Natur immer das gründlichste und deutlichste Erklärungsbuch über sein Wesen und seine Eigenschaften. Das Säuseln in den Wipfeln des Waldes, und das Rollen des Donners, haben mir geheimnisvolle Dinge von ihm erzählet, die ich in Worten nicht, aufsetzen kann. Ein schönes Tal, von abenteuerlichen Felsengestalten umschlossen, oder ein glatter Fluß, worin gebeugte Bäume sich spiegeln, oder eine heitere grüne Wiese von dem blauen Himmel beschienen, - ach diese Dinge haben in meinem inneren Gemüte mehr wunderbare Regungen zuwege gebracht haben meinen Geist von der Allmacht und Allgüte Gottes inniger erfüllt, und meine ganze Seele weit mehr gereinigt und erhoben, als es je die Sprache der Worte vermag. Sie ist, dünkt mich, ein allzu irdisches und grobes Werkzeug, um das Unkörperliche, wie das Körperliche, damit zu handhaben.

Ich finde hier einen großen Anlaß, die Macht und Güte des Schöpfers zu preisen. Er hat um uns Menschen eine unendliche Menge von Dingen umhergestellt, wovon jedes ein anderes Wesen hat, und wovon wir keines verstehen und begreifen. Wir wissen nicht, was ein Baum ist; nicht, was eine Wiese, nicht, was ein Felsen ist; wir können nicht in unserer Sprache mit ihnen reden; wir verstehen nur uns untereinander. Und dennoch hat der Schöpfer in das Menschenherz eine Solche wunderbare Sympathie zu diesen Dingen gelegt, daß sie demselben, auf unbekannten Wegen, Gefühle oder Gesinnungen, oder wie man es nennen mag, zuführen, welche wir nie durch die abgemessensten Worte erlangen.

Die Weltweisen sind, aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit, irregegangen; sie haben die Geheimnisse des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge in irdische Beleuchtung stellen wollen, und die dunkeln Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. - Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er verwegen ans Licht ziehen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckt? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmütig von sich weisen? - Ich ehre sie in tiefer Demut; denn es ist große Gnade von Gott daß er uns diese echten Zeugen der Wahrheit herabsendet. Ich falte die Hände und bete an. -

Die Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur; aber auch ihr ist, durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen und bedienet sich also einer Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern nach kennen und verstehen. Aber sie schmelzt das Geistige und Unsinnliche, auf eine so rührende und bewundernswürdige Weise, in die sichtbaren Gestalten hinein, daß wiederum unser ganzes Wesen und alles, was an uns ist, von Grund auf bewegt und erschüttert wird. Manche Gemälde aus der Leidensgeschichte Christi, oder von unsrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heiligen, haben, ich darf es wohl sagen, mein Gemüt mehr gesäubert und meinem inneren Sinne tugendseligere Gesinnungen eingeflößet als Systeme der Moral und geistliche Betrachtungen. Ich denke unter andern noch mit Inbrunst an ein über alles herrlich gemaltes Bild unsers heiligen Sebastian, wie er nackt an einen Baum gebunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Brust zieht und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein Haupt bringt. Diesem Gemälde verdanke ich sehr eindringliche und haftende christliche Gesinnungen, und ich kann mir jetzt kaum dasselbe lebhaft vorstellen, ohne daß mir die Tränen in die Augen kommen.

Die Lehren der Weisen setzen nur unser Gehirn, nur die eine Hälfte unseres Selbst, in Bewegung; aber die zwei wunderbaren Sprachen, deren Kraft ich hier verkündige, rühren unsre Sinne sowohl als unsern Geist; oder vielmehr scheinen dabei (wie ich es nicht anders ausdrücken kann) alle Teile unsers (uns unbegreiflichen) Wesens zu einem einzigen, neuen Organ zusammen-zuschmelzen, welches die himmlischen Wunder, auf diesem zwiefachen Wege, faßt und begreift.

Die eine der Sprachen, welche der Höchste selber von Ewigkeit zu Ewigkeit fortredet, die ewig lebendige, unendliche Natur, ziehet uns durch die weiten Räume der Lüfte unmittelbar zu der Gottheit hinauf. Die Kunst aber, die durch sinnreiche Zusammensetzungen von gefärbter Erde und etwas Feuchtigkeit, die menschliche Gestalt in einem engen, begrenzten Raume, nach innerer Vollendung strebend, nachahmt (eine Art von Schöpfung, wie sie sterblichen Wesen hervorzubringen vergönnt ward) sie schließt uns die Schätze in der menschlichen Brust auf, richtet unsern Blick in unser Inneres, und zeigt uns das Unsichtbare, ich meine alles was edel, groß und göttlich ist, in menschlicher Gestalt.

Wenn ich aus dem gottgeweiheten Tempel unsers Klosters von der Betrachtung Christi am Kreuz, ins Freie hinaustrete, und der Sonnenschein vom blauen Himmel mich warm und lebendig umfängt, und die schöne Landschaft mit Bergen, Gewässer und Bäumen mein Auge rührt; so sehe ich eine eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen, und fühle auf eigene Weise große Dinge in meinem Inneren sich erheben. - Und wenn ich aus dem Freien wieder in den Tempel trete, und das Gemälde von Christo am Kreuze mit Ernst und Innigkeit betrachte, so sehe ich wiederum eine andre ganz eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen und fühle auf andre, eigene Weise sich große Dinge in meinem Inneren erheben.

Die Kunst stellet uns die höchste menschliche Vollendung dar. Die Natur, so viel davon ein sterbliches Auge sieht, gleichet abgebrochenen Orakelsprüchen aus dem Munde der Gottheit. Ist es aber erlaubt, also von dergleichen Dingen zu reden, so möchte man vielleicht sagen, daß Gott wohl die ganze Natur oder die ganze Welt auf ähnliche Art, wie wir ein Kunstwerk, ansehen möge.


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Ursula Hörmann und Claudia Gandlgruber: Wackenroder und Tieck: "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"- Hierarchie der Künste. 22.02.2003.   

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