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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Die Art und Weise der Kunstbetrachtung bei Wackenroder

„Bildersäle werden betrachtet als Jahrmärkte, wo man neue Waren im Vorübergehen beurteilt, lobt und verachtet; es sollten Tempel sein, wo man in stiller und schweigender Demut und in herzerhebender Einsamkeit die großen Künstler [...] bewundert und mit der langen, unverwandten Betrachtung ihrer Werke […] sich erwärmen möchte. Ich vergleiche den Genuss der edleren Kunstwerke dem Gebet.“ (S.71 f. RUB)

Die romantische Kunstauffassung beruht auf der Überzeugung, dass die Welt mit dem diesseitigen, irdischen Bezirk nicht zu Ende sei, dass eine jenseitige unendliche Welt sich im Inneren des menschlichen Gemüts auftue. Diese innere und zugleich transzendente Welt, die die Kraft der Sehnsucht erschließt, zu offenbaren, das ist die Aufgabe der Kunst.[2] So erscheinen Religion und Kunst als ein und dasselbe, nur von verschiedenen Standpunkten aus und durch verschiedene Medien gesehen.

Ende des 18. Jahrhunderts entsteht ein neuer Ton und neue Bilder in der deutschen Literatur: Poetische und künstlerische Zeugnisse einer Bewegung, die sich selbst als radikal erneuernde Kulturbewegung versteht, und Dichtung, Malerei und Musik verändern will. Somit wird die Kunstbetrachtung zur Zeit der Aufklärung, in der das Kunstwerk der Belehrung und der Unterhaltung diente, grundlegend reformiert.

Wackenroder beschreibt nicht nur die ideale Haltung des Kunstbetrachters, sondern formuliert auch harte Kritik an der falschen Einstellung zur Kunst. Der Autor der „Herzensergießungen“ unterscheidet drei Typen von Kunstrezipienten. Zu belehren versucht er die „sogenannten Kunstfreunde“[3], die jedes Werk mit einem kalten, kritischen Blick betrachten und die „Afterweisen“ (S:8 RUB), welche das Himmlische der Kunst nicht anerkennen und verspötten. Man muss also nur in die Fußstapfen des Klosterbruders treten, um ein Kunstliebhaber in Wackenroders Sinn zu werden, der aufgrund der bewussten Andersartigkeit seiner Kunstrezeption die entschiedene Gegenposition zum zeitgenössischen Trend bezieht. Die Einleitung „An die Leser dieser Blätter", beschreibt die gewünschten Eigenschaften. Für Kunstbetrachter bedarf es jedoch entweder göttlicher Offenbarung oder eine vom Herzen kommende emotionale Disposition, um das göttliche im Kunstwerk zu erfahren. (Köhler, S.153)

 

An den Leser dieser Blätter

In der Einsamkeit eines klösterlichen Lebens, in der ich nur noch zuweilen dunkel an die entfernte Welt zurückdenke, sind nach und nach folgende Aufsätze entstanden. Ich liebte in meiner Jugend die Kunst ungemein, und diese Liebe hat mich wie ein treuer Freund, bis in mein jetziges Alter begleitet: ohne daß ich es bemerkte, schrieb ich aus einem innern Drange meine Erinnerungen nieder, die du, geliebter Leser, mit einem nachsichtsvollen Auge betrachten mußt. Sie sind nicht im Ton der heutigen Welt abgefaßt, weil dieser Ton nicht in meiner Gewalt steht, und weil ich ihn auch, wenn ich ganz aufrichtig sprechen soll, nicht lieben kann.

In meiner Jugend war ich in der Welt und in vielen weltlichen Geschäften verwickelt. Mein größter Drang war zur Kunst, und ich wünschte ihr mein Leben und alle meine wenigen Talente zu widmen. Nach dem Urteile einiger Freunde war ich im Zeichnen nicht ungeschickt, und meine Kopien sowohl, als meine eigenen Erfindungen mißfielen nicht ganz. Aber immer dachte ich mit einem stillen, heiligen Schauer an die großen gebenedeiten Kunstheiligen; es kam mir seltsam, ja fast albern vor, daß ich die Kohle oder den Pinsel in meiner Hand führte, wenn mir der Name Raffaels oder Michelangelos in das Gedächtnis fiel. Ich darf es wohl gestehen, daß ich zuweilen aus einer unbeschreiblichen wehmütigen Inbrunst weinen mußte, wenn ich mir ihre Werke und ihr Leben recht deutlich vorstellte: ich konnte es nie dahin bringen, - ja ein solcher Gedanke würde mir gottlos vorgekommen sein, - an meinen auserwählten Lieblingen das Gute von dem sogenannten Schlechten zu sondern und sie am Ende alle in eine Reihe zu stellen, um sie mit einem kalten, kritisierenden Blicke zu betrachten, wie es junge Künstler und sogenannte Kunstfreunde wohl jetzt zu machen pflegen. So habe ich, ich will es frei gestehn, in den Schriften des H. von Ramdohr nur weniges mit Wohlgefallen gelesen; und wer diese liebt, mag das, was ich geschrieben habe, nur sogleich aus der Hand legen, denn es wird ihm nicht gefallen. Diese Blätter, die ich anfangs gar nicht für den Druck bestimmt, widme ich überhaupt nur jungen angehenden Künstlern, oder Knaben, die sich der Kunst zu widmen gedenken, und noch die heilige Ehrfurcht vor der verflossenen Zeit in einem stillen, unaufgeblähten Herzen tragen. Sie werden vielleicht durch meine sonst unbedeutende Worte noch mehr gerührt, zu einer noch tiefern Ehrfurcht bewegt; denn sie lesen mit derselben Liebe, mit der ich geschrieben habe.

Der Himmel hat es so gefügt, daß ich mein Leben in einem Kloster beschließe: diese Versuche sind daher das einzige, was ich jetzt für die Kunst zu tun imstande bin. Wenn sie nicht ganz mißfallen, so folgt vielleicht ein zweiter Teil, in welchem ich die Beurteilungen einiger einzelnen Kunstwerke widerlegen möchte, wenn mir der Himmel Gesundheit und Muße verleiht, meine niedergeschriebenen Gedanken hierüber zu ordnen und in einen deutlichen Vortrag zu bringen. –

 

Begriffe

1)    Empfindung: akustische und visuelle Reize, ebenso das Empfinden von Schmerzen und Liebe und Wahrnehmungen, die aus der Seele hervorgebracht werden. Das Grimmsche Wörterbuch führt darüber hinaus den synonymen Gebrauch von empfinden und fühlen an.

 

2)    Gefühl: Adelung beschreibt den Begriff aus Fähigkeiten der Sinnesorgane besonders den Tastsinn; aber auch das „Vermögen, lebhaft zu empfinden, oder auch überhaupt zu empfinden“.

 

3)    Herz: Adelung verweist darauf, dass im 18. Jahrhundert das Herz „Sitz der Seele und besonders des Willens und der inneren Empfindungen“ ist. Bei Wackenroder ist es wichtig, dass der Kunstrezipient das Kunstwerk mit offenem Herzen betrachten; es entstehen Bilder im Herzen des Menschen, das Herz ist der Aufbewahrungsort der Gefühle und Empfindungen.

 

4)    Gemüt: Ausdruck von Empfindungen und Leidenschaften. bei Grimm (S.3299) ist das Gemüt insbesondere für die schönen Künste von großer Wichtigkeit. Bei Wackenroder heißt es, „ zur Erlernung jeder bildenden Kunst […] gehört ein lebendiges und aufgewecktes Gemüt.“ (RUB, S.36)

 

5)    Seele: bei Wackenroder heißt es über Raffael es sei „ein himmlischer Lichtstrahl in seine Seele gefallen, so daß er die Bildung in hellen Zügen, wie er sie gewollt, vor sich gesehen hätte.“ (RUB S.10). Die Seele ist Sitz von Geist und Gefühl.

 

6)    Geist: bei Wackenroder wird dieser nicht dem Verstand, sondern er inneren emotionsbestimmten Haltung des Menschen zugeordnet

(vgl. Köhler, S.112 ff.)
 
 

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[2] Gluckhohn, S. 159.

[3] Herzensergießungen S. 6. 
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Ursula Hörmann und Claudia Gandlgruber: Wackenroder und Tieck: "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"- Hierarchie der Künste. 22.02.2003.   

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