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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Auge versus Hand 

         

Peter Utz schreibt Novalis den Versuch zu, ein neues Körpergefühl anzustreben, um dessen durch Medizin und Politik in der Goethezeit hervorgerufene Wahrnehmung als "Abstractum" zu überwinden (vgl. Utz, Peter: Das Auge und das Ohr im Text. München 1990, S. 219), was  in der Textstelle "Das Bad in den Farben" sichtbar wird. Das Verhältnis von Auge und Hand entspricht  seiner Ansicht nach aber auch der in dieser Zeit geführten Auseinandersetzung zwischen  Theorie und Empirie. Dies wird besonders zu Beginn des sechsten Kapitels deutlich, als Novalis ausdrücklich auf die Dichotomie von Tast- und Sehsinn eingeht.

 

Zwei Typen von Menschen

Die vorliegende Textstelle ist ein Beweis für die Auseinandersetzung Novalis mit dem Verhältnis zwischen Auge und Hand. Bleiben Sie mit dem Mauszeiger auf den als Link markierten Stellen um ein Kurzerklärung zu erhalten. Ein Klick führt Sie dann zurück zu "Auge vs. Hand".

Menschen, die zum Handeln, zur Geschäftigkeit geboren sind, können nicht früh genug alles selbst betrachten und beleben. Sie müssen überall selbst Hand anlegen und viele Verhältnisse durchlaufen, ihr Gemüt gegen die Eindrücke einer neuen Lage, gegen die Zerstreuungen vieler und mannigfaltiger Gegenstände gewissermaßen abhärten, und sich gewöhnen, selbst im Drange großer Begebenheiten den Faden ihres Zwecks festzuhalten, und ihn gewandt hindurchzuführen. Sie dürfen nicht den Einladungen einer stillen Betrachtung nachgeben. Ihre Seele darf keine in sich gekehrte Zuschauerin, sie muß unablässig nach außen gerichtet, und eine emsige, schnell entscheidende Dienerin des Verstandes sein. Sie sind Helden, und um sie her drängen sich die Begebenheiten, die geleitet und gelöst sein wollen. Alle Zufälle werden zu Geschichten unter ihrem Einfluß, und ihr Leben ist eine ununterbrochene Kette merkwürdiger und glänzender, verwickelter und seltsamer Ereignisse.

Anders ist es mit jenen ruhigen, unbekannten Menschen, deren Welt ihr Gemüt, deren Tätigkeit die Betrachtung, deren Leben ein leises Bilden ihrer innern Kräfte ist. Keine Unruhe treibt sie nach außen. Ein stiller Besitz genügt ihnen und das unermeßliche Schauspiel außer ihnen reizt sie nicht selbst, darin aufzutreten, sondern kommt ihnen bedeutend und wunderbar genug vor, um seiner Betrachtung ihre Muße zu widmen. Verlangen nach dem Geiste desselben hält sie in der Ferne, und er ist es, der sie zu der geheimnisvollen Rolle des Gemüts in dieser menschlichen Welt bestimmte, während jene die äußeren Gliedmaßen und Sinne und die ausgehenden Kräfte derselben vorstellen.

Novalis: Heinrich von Ofterdingen, Stuttgart 1987, S. 93

 

 


Martin Schneider: Sinneshierarchie: "Heinrich von Ofterdingen". 06.11.2002.

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