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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Das serapiontische Prinzip – theoretische Ansätze einer Erzählweise und Philosophie

Der Terminus serapiontisches Prinzip lässt sich auf den Einsiedler Serapion zurückführen, der im vierten Jahrhundert in Ägypten lebte. Hoffmann erwähnt ihn im Eingangsgespräch; Er konstruiert sogar eine Geschichte um einen Einsiedler, der sich für Serapion hält, die allerdings zunächst ohne Titel bleibt. Die Gründe, sich gerade diesem Prinzip zu verpflichten, sind in seinem eigenen Leben und dem Zeitgeist der Romantik verankert. Das serapiontische Prinzip gibt sowohl formale Richtlinien an als auch inhaltliche Anforderungen, die damals aber wohl nicht als Formkatalog oder Vorschrift zu sehen waren; die meisten literarischen Werke der Romantik aber können im Nachhinein dem Prinzip untergeordnet werden. Die zwei vordergründigsten Postulate sind die Vorrangigkeit des Visuellen und die Einflechtung des Phantastischen. Die sechs Freunde des Erzählzirkels diskutieren an ihren gemütlichen Abenden die Einzelerzählungen der Serapionsbrüder auch nach solchen Gesichtspunkten. In dieser Funktion stellt das serapiontische Prinzip also auch den Ausdruck einer speziellen Welt- und Kunstanschauung dar.


Das serapiontische Prinzip umfasst einen Katalog von Einzelaspekten, die zum Teil in der Sekundärliteratur, hier vor allem bei Lothar Pikulik, aber eben auch durch die sechs Freunde in der Erzählung selbst, angesprochen werden:

(1)  Der gestaltungsästhetisch-formale Aspekt: Formal sollte eine Erzählung aus einer Einheit bestehen, ein übergeordnetes Thema haben; Man soll sich über das Detail einen Gesamteindruck verschaffen, der wichtiger ist als jede Einzelheit für sich. Als Antwort darauf kann man die große Beliebtheit von Sammelbänden gerade in der Romantik zurückführen. Diese Forderung nach Einheit basiert auch auf der Idee der Gleichgewichtung von Sprache und erlebter Geschichte, von innerer und äußerer Welt, die eben nur so möglich ist. Aus diesem Grund sollte an einem Werk auch immer nur ein Künstler arbeiten, wie E.T.A. Hoffmann Cyprian, einen der Freunde erklären lässt. 

(2)  Der Aspekt der Gleichgewichtung: Grundsätzlich gehen die Serapiontiker von einer Dichotomie von „Innenwelt“ und „Außenwelt“ aus, die es gleich zu gewichten gilt, wie im Freundeskreis diskutiert wird. Die Innenwelt ist eine Welt reiner Phantasie und Imagination, die den Dichter / Schriftsteller aber auch in sich gefangen hält und letzten Endes wahnsinnig macht, ein Schicksal, das auch den antiken Namensgeber traf. Die Außenwelt ist pure Realität. Lebt man ausschließlich in ihr, verkümmert der Geist, das Leben schrumpft zur Banalität. Die Gratwanderung dazwischen ist also der Anspruch des serapiontischen Prinzips, wie der Erzähler Theodor  auch innerhalb der Geschichte betont. Die frühromantische Vorstellung der Duplizität von Alltag und Phantasie erweitert Hoffmann in den Serapionsbrüdern noch um eine Dimension, indem er immer wieder Alltag und historische Fakten der Phantasie gegenüberstellt. Ein sehr gelungenes Beispiel für den Widerstreit innerer und äußerer Welt ist die Erzählung Die Bergwerke von Falun. Der Bergarbeiter Elis lässt sich von seiner Verlobten Ulla, welche die Außenwelt repräsentiert, nicht davon abhalten, in die Innenwelt abzutauchen. Sein Ausgeliefertsein gegenüber dem Inneren bezahlt der Bergmann mit dem Tod. Lothar Pikulik formuliert den Anspruch so: „Jedoch darf der Verstand die Fantasie nicht verdrängen, das rationale Kalkül darf beim Schaffen nicht die innere Schau ersticken“ (41). Imagination ist also lebensnotwendig, aber ebenso die rationale Kontrollfunktion. 

(3) Der kreative, schöpferische Aspekt: Inhaltlich ist die oberste Devise der  Serapiontiker das Prinzip des „wahren Schauens“. Das Thema wird von Lothar in der Runde aufgegriffen: Bilder müssen so verinnerlicht werden, dass sie innerhalb des Erzählrahmens nicht mehr bloße Reproduktion sind, sondern wirklich vor dem inneren Auge des Erzählenden aufgegangen sind. Kontrovers ist dabei Die Fermate zu sehen. Engeherzige Serapiontiker sind der Meinung, dass hier das Bild nicht vor dem inneren Auge des Erzählers geschaffen sei, sondern nur eine Beschreibung des Gemäldes, was für die wahre Serapiontik nicht hinreichend wäre. Mit einem kleinen Kniff lässt sich der Kritikpunkt allerdings beheben, nämlich wenn man davon ausgeht, dass Hoffmann keinesfalls eine mimetische Darstellung des Bildes beschwört, sondern ihm eine Aussage, ein Geheimnis abgewinnen kann. Überhaupt wird das platonische Prinzip der Mimesis abgelehnt. Da Die Fermate aber viel Raum zu Untersuchung bietet, wird später anhand einer Beispielanalyse Die Fermate untersucht.
 

(4) Der Modus des Schaffens: Grundlage jeder serapiontischen Erzählung ist primär und bevorzugt ein visueller Reiz in allen Farben und Formen. Die Bilder vor dem inneren Auge sind dann Phantasieprodukte basierend auf den aufgenommenen Eindrücken. Hoffmann selbst bezeichnet diesen Prozess als „bildkräftige, imaginierende Phantasie“, welche die Königsdisziplin der Serapiontiker darstellt. 

(5) Serapiontische Verarbeitung von Historie: Als Grundlage der „visionären Imagination“, wie sie Hoffmann selbst bezeichnet, kann auch eine andere Grundlage als ein visueller Reiz, etwa eine historisch-literarische Vorlage, dienen. Dies zeigt sich in der Erzählung Die Bergwerke von Falun. Hier beruft und konzentriert sich Hoffmann auf die Hintergrundinformationen aus dem Bergbaubereich und der Naturwissenschaft, sowie auf die Vorgeschichte der Protagonisten und auf die literarischen Vorlagen. Diese farbenprächtige Schilderung mit viel Liebe zum Detail, die imaginierten Dimensionen und die grenzwertige Gewichtung von innerer und äußerer Welt sind typisch serapiontisch. 

(6) Aspekt der Wahrhaftigkeit: „Erleben“ bedeutet für Serapiontiker nicht notwendigerweise das persönliche Erfahren, sondern die Fähigkeit zur Imagination. Jedoch soll der Dichter nur das äußern, was er „wahrhaftig“ geschaut hat. 

(7)  Der Glaubensaspekt: Was der Dichter innerlich gesehen hat und erzählt, sollte er auch glauben. Er sollte also nicht entgegen seiner inneren Einstellung schreiben. Wenn sich der Glaube nicht mit den Erfahrungen der Realität vereinbaren lässt, sollten sich Charaktere wiederfinden, die beides in sich tragen, damit man zumindest die Möglichkeit des Glaubens hat. Hoffmanns Protagonisten sind in der Tat oft zwischen Glaube und Zweifel hin- und hergerissen. 

(8) Detailtreue: Hoffmann als vielseitiger Künstler betont, dass man ein Kunsthandwerk nur dann gut ausüben kann, wenn man die Technik dazu beherrscht. Wenn man das Imaginierte nun einem Gegenüber näher bringen will, so muss man äußerste Genauigkeit und Detailfülle anwenden und viele Einzelheiten ausführen. Die Beschreibung von Gerüchen, Formen, Farben, Empfindungen, Licht, Schatten und Geräuschen dient zur Schaffung eines Einzelbildes. Insofern kann das serapiontische Prinzip durchaus auch als synästhetisches bzw intermediales Prinzip  gewertet werden. 
 

Das serapiontische Prinzip wird im Rahmen dieser Arbeit auch noch an dem Analysebeispiel der Erzählung Die Fermate anschaulich erklärt. Um die Wirkweise des serapiontischen Prinzips als synästhetischen Vorgang zu verdeutlichen, finden sich zu dem Analysebeispiel auch noch Grafiken, die sich mit den Sinneshierarchien innerhalb der Erzählung auseinandersetzen

 

Weiter zu den Punkten: 

  1. Motivation des Autors
  2. Überlegungen zum Titel
  3. Vorbilder der sechs Erzähler
  4. Inhalt und eventuelle Quellen
  5. Inhalt, Aufbau und Struktur
  6. Das serapiontische Prinzip
  7. Intermedialität und Synästhesie
  8. Frage der Sinneshierarchien
  9. Analysetext: "Die Fermate"
  10. Bibliographie

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Regina Kland: Die <<Serapionsbrüder>> und das serapiontische Prinzip. 16.01.2003.

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