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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

"Die Fermate": Die Hoffmannsche Kunst lesen, sehen, hören - verstehen

E.T.A. Hoffmann hat nicht einfach nur Literatur geschrieben: Hinter jedem seiner Erzähltexte steckt eine spezielle Anschauung von Kunst, seine bestimmte Art von Kunstsehen. Ein Beispiel dafür ist "Die Fermate", wie dieses Projekt veranschaulicht. Die Besonderheit der "Fermate" liegt in der intermedialen Verflechtung von Literatur, bildender Kunst und Musik. Somit handelt es sich dabei nicht nur um eine Erzählung, vielmehr läßt sich von einem musikalischen "Literaturbild"[1] sprechen.

Ausgehend von der Beschreibung des Gemäldes "Gesellschaft in einer italienischen Lokanda" von Johann Erdmann Hummel beginnt die musikalische Erzählung Theodors:

Da er sich selbst und eine Szene aus seinem Leben darin wieder erkennt, setzen Reflexion und Erinnerung über seinen 16 Jahre zurückliegenden künstlerischen Reifeprozess bei ihm ein. Dieser wird in Gang gesetzt durch die Liebe zu Lauretta, einer italienischen Sängerin, die Theodor durch ihren Gesang, ihre (Fermaten-)Kunst der Improvisation bezaubert. Sie avanciert zu seinem Kunstideal und regt ihn somit zum ernsthaften Studium der Musik an. Die erste Etappe seiner auf diese Weise initiierten musikalisch-erotischen Lehrzeit endet jedoch zunächst in einem Fiasko, als Theodor in einem Konzert die endlos scheinende Fermate der Sängerin abrupt unterbricht, und diese sich daraufhin wutentbrannt von ihm abwendet. Doch in ihrer ernsten Schwester Teresina, die eine ganz andere Auffassung von der Art des wahren Gesangs hat, findet Theodor sein neues musikalisches Leitbild, an dem er sich in seinen Studien und Kompositionen orientiert. Allerdings findet auch diese Künstler-Muse-Beziehung ein jähes Ende, nicht zuletzt wegen des scheinbar unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen deutscher und italienischer Musik. Am Ende seiner Erzählung betrachtet Theodor, aus der Distanz des Museumserlebnisses, der Reflexion und dem nochmaligen Durchleben seiner künstlerischen Lehrstationen im Gespräch mit Eduard, seinen Weg und die Rolle der Schwestern aus der Position des gereiften, erkennenden Künstlers.

Ziel des Projekts ist es, dem Leser die vielfältige Verwobenheit des Textes mit Kunst und Musik vor Augen zu führen, ihn zum verstehenden Leser und damit zugleich zum Bildbetrachter und Hörer zu machen. Im Mittelpunkt aber steht vor allem die Bedeutung der Musik. Diese stellt ja nicht nur ein zentrales Element in der Erzählung des Dichterkomponisten Hoffmann dar, sondern spielt in der Epoche der Romantik überhaupt eine hervorragende Rolle. Dabei lässt sich feststellen, dass "Die Fermate" nicht nur inhaltlich die Musik zum Thema hat und darin viele musikalische Fachbegriffe, Komponisten und zeitgenössische musiktheoretische Diskurse zu entdecken sind. Darüber hinaus ist die "Die Fermate" nämlich auch in einem musikähnlichen Stil erzählt und aufgebaut: Besonders augenfällig ist der Staccato-Erzählstil - kurze, durch Gedankenstriche getrennte Sätze, die den Staccato-Noten in der Musik entsprechen. Der Aufbau der Erzählung, in der sich in ständiger Wechselfolge ernste und komische Ereignisse begeben - Elementen der Opera seria und Opera buffa vergleichbar -, ist einem Kanon ähnlich, in dem immer neue Stimmen einsetzen, die erst in ihrem Zusammenklang das gesamte Lied ergeben. Besonders interessant ist dabei, in welch vielfältiger Weise die Fermate in ihrer musikwissenschaftlichen Bedeutung mit dem Text, sowohl auf inhaltlicher wie auf erzähltechnischer Ebene, verknüpft ist.

Jedoch kann man bei einer Erzählung wie der "Fermate", in welcher die Integration von Elementen aus bildender Kunst und Musik die Besonderheit der literarischen Komposition ausmacht, schwerlich ein Medium isoliert betrachten - zum Gesamtverständnis muss selbstverständlich auch das Gemälde einbezogen werden. Hoffmann, selbst auch Maler, verknüpft über den zentralen Moment des Augenblicks kunstvoll (den Blick auf) das Gemälde mit  der Fermate (dem besonderen Augenblick der Improvisation in der Sangeskunst) und dem Augenblick der Erkenntnis des gereiften Künstlers Theodor. Außerdem öffnet er dem Leser buchstäblich die Augen für eine neue Perspektive des Kunstverständnisses: Kunst soll nicht nur das Auge erfreuen, sondern auch das Gemüt erfassen, ein von der bloßen Oberfläche in die Tiefe gehendes Verständnis wird dem Rezipienten abverlangt. Nur so kann der Leser den vielfachen Wechsel der Perspektive in der "Fermate" begreifen, verstehen, wie sich (Bild-) Vordergrund und Hintergrund fast unmerklich verschieben und am Ende aus der 'richtigen' Perspektive den Zusammenhang Text-Bild-Musik - und buchstäblich die Fermate im Bild  - erkennen.

Die "Fermaten"-Kunst E.T.A. Hoffmanns begreifen - das heißt, die Erzählung nicht nur zu lesen, sondern auch gleichsam als Betrachter und Hörer "Die Fermate" als intermedialen Text, als malerische Literaturkomposition, als musikalisches Literaturbild aufzunehmen. 

 

  1. Funktion der Integration der Malerei

  2. Johann Erdmann Hummel: Die Fermate 

  3. Das musikalische Literaturbild: "Aug' und Gemüt ... erlustigend" 

  4. Die Musik in der Fermate: Untersuchung der Musik-Text-Relationen 

  5. Die Hoffmansche Kunst sehen, lesen, hören - verstehen 

  6. Bibliographie

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[1] Klier, S. 162

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Kerstin Windisch: Integration von Elementen der Bildenden Kunst und der Musik dargestellt an E.T.A. Hoffmanns  "Die Fermate" - Die Hoffmansche Kunst sehen, lesen, hören - verstehen. 29.01.2003.

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