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Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der Romantik

Die Musik-Text-Relationen der "Fermate"

Die Erzählung beginnt mit der Beschreibung des Hummelschen Gemäldes „Gesellschaft in einer italienischen Lokanda“, die dem Betrachter Eduard daraufhin „ins wirkliche rege Leben“ (FM, 32) zu treten scheint. Mit der 'belebenden' Beschreibung des Bildes wird zugleich die Handlung in Gang gesetzt, im Laufe derer der Musiker Theodor in der Rückschau auf seine Jugend seinen künstlerischen Erkenntnis- und Reifeprozess nachvollzieht. In dieser Binnenerzählung Theodors über sein Erlebnis mit den beiden Sängerinnen und ihren Einfluss auf ihn steht die Musikthematik im Vordergrund:

Neben zahlreichen musikwissenschaftlicher Fachtermini ist nicht nur häufig die Rede von Komponisten und deren Kompositionen, darüber hinaus  werden auch Diskussionen über zeitgenössische musiktheoretische Diskussionen angedeutet. Zudem lassen sich bei genauerer Lektüre ein musikalische Bauprinzip der „Fermate“, sowie ein staccatoartiger, fermatischer Erzählstil und die Darstellung bestimmter Szenen ‚erlesen’, die den Eindruck einer musikalischen  Inszenierung vermitteln. 

 

Allgemeiner Exkurs: Die Musik in der Romantik

Am Ende des 18. Jahrhunderts vollzieht sich eine Wende in der Musikauffassung: Im Zeitalter des Barock war die Musik Ausdruck bestimmter Affekte und bloße Nachahmung der Natur, jetzt dagegen soll sie subjektive Empfindungen und Gefühle transportieren – der Mensch selbst soll sich mit seinen eigenen Empfindungen in ihr ausdrücken. Dieser Aufbruch in eine neue gefühlsästhetische Anschauung von Musik und ihrer Wirkung, gleichsam der Sturm und Drang der Musik, spiegelt sich als erstes in den Kompositionen Karl Stamitz’, der Mannheimer Schule oder den späteren Klavierwerken Carl Philipp Emanuel Bachs wider und bildet zugleich die Basis für die Musikästhetik der Romantik. [1]

Interessant erscheint dabei vor allem der Aspekt, dass der romantische Musikbegriff zuerst durch Philosophie und Literatur geprägt wird – die Schriftsteller poetisieren somit am Anfang des 19. Jahrhunderts die Musik und beeinflussen auf diese Weise die Komponisten und deren Musikproduktion. Hier sind z. B. Wilhelm Heinrich Wackenroders und Ludwig Tiecks „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ oder „Phantasien über die Kunst“ zu nennen, vor allem jedoch E.T.A. Hoffmann und Jean Paul, dessen Werke Robert Schumann oder in seinen Anfängen Johannes Brahms prägen. [2]

Insbesondere wirkt der von den Dichtern postulierte „Unsagbarkeits-Topos“ [3] auf die Musik: In und mit ihr soll all jenem Ausdruck verliehen werden, was nicht verbalisiert werden kann, den Gefühlen, dem Inneren des Menschen und somit gleichsam seiner Psyche. Die Dichter betrachten die Musik als transzendentales Medium, als ursprüngliche Sprache der Natur.[4] Damit geht auch eine Wende in der Hierarchie der Künste einher: Weil die Musik „vollendet, wo die […] bildenden und redenden Künste an ihre Grenzen stoßen“[ 5], nimmt sie den höchsten Rang ein.

 

Das Musikverständnis Hoffmanns

Neben Jean Paul ist insbesondere E.T.A. Hoffmann von großer Bedeutung für das romantische Musikverständnis. Nicht nur in seinen musiktheoretischen Schriften und Rezensionen, sondern auch in den Erzählungen, in denen er immer wieder die Darstellung der menschlichen Psyche mit der Musik verknüpft, wirkt er entscheidend auf die musikalische Ästhetik der Romantik.[6] Welche Bedeutung Hoffmann der Musik programmatisch zuweist, lässt sich besonders schön anhand seiner Rezension von Beethovens Fünfter Symphonie aus dem Jahr 1810 erkennen:

Darin bezeichnet er die Gattung der Instrumentalmusik als „romantischste [Kunst] aller Künste“ [7]. Insbesondere durch die bloßen Töne werden sprachliche Grenzen überschritten, wird also das Unsagbare transportiert, und somit sind die  „rein romantisch[en]“ [8] Töne Auslöser von tiefstem, individuellem Gefühl beim Hörer:

„Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben.“

 

Ein solches unbekanntes Reich im tiefsten seines Inneren erschließt sich auch dem Protagonisten Theodor in der "Fermate", als er Lauretta singen hört und damit seine Entwicklung zum Künstler in Gang gesetzt wird.

 

Zeitgenössische musiktheoretische Diskurse

Über die Ansichten des Protagonisten Theodor aber auch der anderen Figuren, wie des Onkels, des Klavierlehrers und natürlich der Schlüsselfiguren Lauretta und Teresina, verweist E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung immer wieder auf die zeitgenössischen Diskussionen über verschiedene Musikanschauungen. Diese sollen anhand von exemplarischen Textstellen im Folgenden näher erläutert werden.

 

Vokal- vs. Instrumentalmusik:

„An Gesang war nicht zu denken, das tadelte mein Onkel, ein großer Freund und Verehrer der Tonkunst, sehr. Er gedachte noch mit Entzücken der älteren Zeit […]. Mein Onkel ergoß sich in Lobeserhebungen, ich konnte das nicht begreifen und gab mich um so eher meinem Organisten hin, […] überhaupt ein Verächter des Gesangs […]. Je lebhafter ich jene Verachtung des Gesanges mit meinem Lehrer teilte, desto höher schlug er mein musikalisches Genie an. […]

Aber sowie Lauretta immer kühner und freier des Gesanges Schwingen regte, wie immer feuriger funkelnd der Töne Strahlen mich umfingen, da ward meine innere Musik […] entzündet und schlug empor in mächtigen herrlichen Flammen. […] ich ergriff alle Tokkaten und Fugen […], ja sogar fünfundvierzig Variationen über ein kanonisches Thema, die der Organist komponiert […], warf alles ins Feuer und lachte recht hämisch, als der doppelte Kontrapunkt so dampfte und knisterte.“

(FM, 34 f., 37 f.; Hervorhebung d. Verf.).


In der Verehrung des Gesangs durch den Onkel spiegelt sich die 'alte'' Auffassung von Musik wider, nach der bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Instrumentalmusik noch hinter der Vokalmusik rangiert: Die Musik entspringt dem Menschen unmittelbar, der Mensch wird gleichsam selbst zum Instrument.[9] Dagegen steht jedoch mit der Figur des Klavierlehrers die aufkommende Ablehnung des Gesangs und die Aufwertung der Instrumentalmusik, die allein den reinen Ton hervorbringt, ohne jegliches, die wahre musikalische Intention verfälschende Wort.[10] Der Organist ist jedoch noch ein “toter Rechenmeister“ (FM, 33), der seine Werke geradezu mathematisch komponiert. Sein Schüler Theodor, der nach der Entzündung seiner „innere[n] Musik“ (FM, 38) durch Lauretta die auf solche Weise entstandenen starren und mechanisch erscheinenden Kompositionen verbrennt, verkörpert bereits die Wende zu einer neuen, romantischen Musikästhetik, die u. a. mit den Klavierkompositionen Carl Philipp Emanuel Bachs eingeleitet wird. Doch schon beim Klang der Musik des Vaters, Johann Sebastian Bach, erfasst Theodor ein „Schauer“ wie bei der Lektüre „einer geisterhaften graulichen Erzählung […] der phantastischen Jugendzeit“ (FM, 34). Damit wird die emotionale Wirkung der Musik betont, die subjektive Empfindungen beim Hörer auslöst und ihm Phantasiereiche eröffnet.  

 

Weltliche Musik vs. Kirchenmusik:

„'Überhaupt schlägst du Laurettas Kunst zu hoch an. […] alle diese sonderbaren wirblichten Schnörkel, die ungemessenen Läufe, diese ewigen Triller, was sind sie anders, als blendende Kunststückchen […]? Keine unnütze Verzierung, ein fest und stark gehaltener Ton – ein bestimmter Ausdruck, der Seele und Gemüt erfaßt, das ist der wahre Gesang […].' – Teresina sang mit ihrer sonoren vollen Stimme einen einfachen kirchenmäßigen Kanzone […]. Die Töne drangen mit wunderbarer Gewalt in mich hinein, die Tränen standen mir in den Augen vor Lust und Entzücken […]. Ich komponierte nur Kirchensachen und gab alle Soli der tiefen Stimme.“

(FM, 45-47; Hervorhebung d. Verf.).

 

In den beiden Frauenfiguren spiegelt sich sowohl die 'alte' und 'neue' Auffassung von Musik wider als zugleich auch ein scheinbarer Rangunterschied zwischen weltlicher und geistlicher Musik. Der verschnörkelte Gesang Laurettas lässt sich stellvertretend für die Kompositionen der Barockzeit lesen, während der einfache Ausdruck Teresinas das Innere, also „Seele und Gemüt“ des Hörers viel ergreifender erfasst, worin sich der romantische Anspruch an die Musik erkennen lässt. [11] Dabei scheint die Kirchenmusik eine Vorrangstellung vor der weltlichen Musik bzw. dem weltlichen Gesang einzunehmen, da die „Kirchensachen“ als „wahre“ Musik von besonderer Intensität in den Hörer eindringen und somit wiederum tiefste Gefühle „des von der Andacht entzündeten Gemüts“ [12] hervorrufen. Vor dem Hintergrund der  romantischen Musikästhetik und der Musikauffassung E.T.A. Hoffmanns selbst, welcher die Instrumentalmusik als die romantischste Kunst schlechthin bezeichnet, wird jedoch deutlich, dass Hoffmann der geistlichen Musik eine ebensolche emotionale, innerliche Wirkung zuspricht wie der Instrumentalmusik und folglich für ihn beide Arten gleichermaßen das romantische Prinzip der Musik repräsentieren.[13]

 

Das musikalische Bauprinzip

Die Musik spielt in der "Fermate" eine wichtige Rolle, was nicht nur aus der Titelgebung ersichtlich ist, sondern sich natürlich auch im Inhalt, dem musikalischen Reifeprozess Theodors widerspiegelt. Aber auch die Hoffmannsche Erzählstruktur, der Aufbau und die Handlungsabfolge, scheint bei genauerem Hinsehen einem musikalischen Prinzip zu folgen - nämlich dem eines Kanons. [14]

Zunächst ist ersichtlich, dass der künstlerische Erkenntnisprozess Theodors auf Etappen abläuft und sich dabei der prägende Moment der Fermatenunterbrechung dreimal wiederholt (Gemälde, Theodors Jugenderlebnis und Wiederbegegnung mit den Sängerinnen). Die Handlung besteht außerdem aus einer ständigen Wechselfolge von komischen und ernsten Ereignissen, die an Elemente aus Opera seria und Opera buffa erinnern: 

die "lächerlich[en] und toll[en]" (FM, 34) Konzertveranstaltungen in Theodors kleinbürgerlicher Heimat - der komische Empfang der Sängerinnen im Hause des Onkels, in deren Gestalt, explizit in Laurettas Gesang, die einzig wahre Kunst in Theodors Leben eindringt, woraufhin er alles bisher gelernte verwirft (vgl. FM 36-38) - das darauf folgende Konzert der Sängerinnen, bei dem Theodor als einziger unter lauter Dilettanten ernst zu nehmen ist (vgl. 39 f.) - sein ernsthaftes Studium der Musik, angeleitet durch Lauretta und seiner Liebe zu ihr (vgl. FM 40 f.) - Theodors grotesk-komischer Ritt und Laurettas übertriebene Reaktion bei der Reise der Schwestern (vgl. FM 42 f.) - die Einsicht in Teresinas ernsthafte Sangeskunst im Gegensatz zu Laurettas übertriebenen Schnörkeln (vgl. FM 43 f.) - dann das Konzert, bei dem Theodor die Fermatenkunst Laurettas abrupt beendet (vgl. FM 44 f.) - Theodors fortgesetztes Musikstudium, ermutigt durch Teresinas Auffassung vom "wahre[n] Gesang" (FM, 46) - darauf die Lächerlichmachung Theodors im Gespräch der Schwestern mit einem italienischen Tenor, was seine Abreise zur Folge hat (vgl. FM 47 f.).

Die gemeinsame Zeit mit den Schwestern ist damit beendet, und ebenso wie die erste Begegnung mit ihnen, stellt nun die Trennung eine Zäsur in seinem Leben dar. Als er sie 14 Jahre später zufällig wieder trifft, wiederholt sich vor seinen Augen das Fermatenerlebnis mit dem Abbaten an seiner Stelle (vgl. FM 50-53).

Bis hierher wird deutlich, dass mit jeder neuen Wendung in Theodors Entwicklungsgeschichte ein neues Verständnis von Musik bei ihm einsetzt, und er seine Art der Komposition daraufhin verändert. Der Reifeprozess endet erst mit der desillusionierten Einsicht Theodors nach der Betrachtung des Bildes und im reflektierenden Gespräch mit seinem Freund Eduard: Das einst "höchste Ideal" (FM, 54) des Künstlers, in seinem Fall sind es die Sängerinnen, kann der Wirklichkeit, dem Alltag nie standhalten, ein unüberwindbarer Graben trennt Ideal und Wirklichkeit voneinander. Die einzige Möglichkeit, diesen zu überwinden, besteht allein darin, die reale Gestalt der "Sängerin [...], die den ersten Funken in uns warf" auf ewig in der Kunst zu verklären, und sie "niemals mehr im irdischen Leben" wieder zu sehen, was allen bisherigen "Zauber [...] vernichtet" (ebd.).[15]

Auf das musikalische Bauprinzip bezogen, läßt sich jede weitere Wendung in der Entwicklung Theodors als fermatische Zäsur wie in einem Kanon begreifen, als das Innehalten der einen Stimme und den Einsatz einer weiteren. Und so kommt es einem Kanon gleich zu "thematischen Überlagerungen und Wiederholungen"[16]: Aus den unterschiedlich einsetzenden Stimmen ergibt sich letztlich ebenso wie im Text aus den immer neuen Ereignissen und der Wiederholung des Fermatenerlebnisses ein großer Gesamtzusammenhang, sprich: ein Lied, ein Gesamtbild - die "Fermate".

Die Bedeutung des Gemäldes, welches die Jugenderinnerung Theodors auslöst, weil er sich selbst und eine Szene aus seinem Leben darin erkennt, und was diese Szene wiederum mit seiner Jugendgeschichte zu tun hat, wird dem Leser erst am Ende klar, wenn alle Erzählstränge, alle Stimmen zusammengeführt werden. Die Fermate selbst bildet dabei den großen Bogen - thematisch, weil mit ihr, bzw. ihrer Verbildlichung, die Erinnerung einsetzt, die mit der künstlerischen Erkenntnis endet; musikalisch, weil die gesamte Erzählung von Hoffmann gleichsam wie ein Kanon komponiert ist, an dessen Schluß "die Stimmen gemeinsam in einer Fermate enden"[17] - in der "Fermate" als musikalischem Literaturbild!

 

Die musikalische Inszenierung

Der ständige Wechsel von Ernst und Komik ist es nicht zuletzt, der "Die Fermate" zu einem kurzweiligen und spannenden Leseerlebnis werden lässt. Darüber hinaus können die ernsten und komischen Szenen wiederum als Teil der musikalischen Dichtungsweise Hoffmanns interpretiert werden, als Elemente der barocken Opera seria und Opera buffa.[18] Die beiden italienischen Sängerinnen  sind dabei als Verkörperung der jeweiligen Opernart anzusehen:

Teresina, mit ihrem "ernsten  Gesicht[]" (FM, 36) und Wesenszug läßt sich der Opera seria zuordnen - sie hat, nach Theodors Meinung, "mehr Sinn für deutschen Ernst als Lauretta" (FM, 47). Ihr Gesang, der  "wahre Gesang" (FM, 46), ist geprägt von einem "fest und stark gehaltene[n] Ton [...], der Seele und Gemüt erfaßt" (ebd.) und Theodor zu "manch hohe[m] ernste[n] Lied" (FM, 44) inspiriert.

Lauretta dagegen erscheint als die Verkörperung der Opera buffa: Ihre übertriebenen Launen, ihre Kapriziösität ebenso wie ihr Gesang, die heiter-verspielte Improvisationskunst, "diese sonderbaren wirblichten Schnörkel, die ungemessenen Läufe, diese ewigen Triller", welche Teresina als "blendende Kunststückchen" (FM, 46) abwertet, charakterisieren sie als typische Figur der komischen Oper. Hinzu kommt die eigene Zuordnung der Frauen zum ernsten bzw. komischen Fach bei der Wiederbegegnung mit Theodor, als Teresina verkündet, sie sei als erste tragische Sängerin engagiert worden, während Lauretta die erste Sängerin in einer Opera buffa sei (FM, 51).

Ebenso wie sich in den Frauengestalten die seria- und buffa-Elemente widerspiegeln, ist auch die Erzählstruktur von beiden durchzogen: Der etwas starren Art der Opera seria entsprechend, haben wir es auch in der "Fermate" mit typisierten Figuren zu tun. Zudem sind Liebe und Leidenschaft, die Hauptthemen der ernsten Oper, auch in der Erzählung zentral, da sich Theodor ja über die Liebe zu den beiden Frauen, zunächst zu Lauretta, die seine "innere Musik" (FM, 38) entzündet, danach zu Teresina, in der er die wahre Musik zu erkennen glaubt, zum eigenständigen Künstler entwickelt.

Daneben finden sich zahlreiche buffoneske Szenen, angefangen bei Theodors Schilderung  "lächerlich[er] und toll[er]" (FM, 34) Konzerte und seiner Beschreibung der grotesk-komischen Desmoiselle Meibel mit der "garstig[] quäkende[n] Stimme" und ihrem "ganz sonderbaren Kopfputz" mit einem "Strauß von italienischen Porzellanblumen [...], der, indem sie sang, seltsam zitterte und nickte" (FM, 35). Darauf folgt dann die dilettantische Probe für das Konzert der Schwestern (vgl. FM, 39) und deren  chaotische Kutschfahrt, die Theodor "recht romantisch" als "Paladin zu Pferde" (FM, 42) begleiten will. Auch die  Szene, in der er das Gespräch der Schwestern mit dem italienischen Tenor belauscht und diese ihr wahres Gesicht zeigen, mutet komisch an (vgl. FM, 47 f.). Nicht zuletzt ist es Theodor, der am Ende seiner Erzählung ein Bild aus dem Alltag, nämlich die "Klage über eine zerbrochene Suppenschüssel oder einen Tintenfleck in neuer Wäsche" (FM, 54) der inneren Kunst gegenüberstellt. Damit wird vor den Augen des Lesers eine buffoneske Szene gemalt und wiederum in Kontrast zur ernsten Kunst gesetzt. Bezeichnend ist auch, dass Lauretta eine Arie von Pasquale Anfossi, einem italienischen Opera buffa-Komponisten[19] singt, als Theodor ihre Fermatenkunst abrupt beendet, weil ihm "das Ding diesmal beinahe zu lang" (FM, 44) erscheint. Darauf folgt Laurettas wütende Reaktion, die für den Leser voller Komik ist:

"[...] mit wütenden Blicken mich durchbohrend, riß [sie] die Partie zusammen, warf sie mir an den Kopf, daß die Stücke um mich her flogen, und rannte wie rasend durch das Orchester [...]. Sie weinte, sie tobte."

(FM, 45).


Am deutlichsten läßt sich die buffoneske Komik, mit welcher Hoffmann seine Erzählung komponiert hat, anhand der ersten Begegnung Theodors mit den beiden Sängerinnen zeigen: In den Philisteralltag, die "kleinstädtische[] Beengtheit" des jungen Theodor - verbildlicht im  "großgeblümten Schlafrock" (FM, 36) des Onkels - tritt in Gestalt der Schwestern zauberschlagartig und elektrisierend die wahre Kunst ein. Deutlich buffonesk ist hier die Konfrontation der Alltagswelt mit dem Fremden, der phantastischen Erscheinung der Frauen und ihrer Musik.[20] Zugleich wechseln Komik und Ernst in dieser Szene kontrastiv in der Gegenüberstellung des Onkels im Schlafrock, der als vermeintlicher Kunstkenner viel über Kunst redet und Theodor wegen seines Gefühlsausbruchs tadelt, doch zuvor ausgerechnet der lächerlichen Meibel zujubelte (vgl. FM, 35, 37 f.), und Theodor selbst. Der Gesang Laurettas entzündet seine "innere Musik" (FM, 38) und läßt ihn einen neuen Weg in seinem Leben beschreiten. Zugleich jedoch entbehrt auch Theodors Gefühlsüberschwang nicht einer gewissen Komik, wenn ihm vor "innere[r] Bewegung [...] die Tränen aus den Augen" stürzen und er "ganz außer" sich gerät (FM, 38).

Dieser Wechsel von Komik und Ernst,  von Elementen der Opera buffa und Opera seria, findet nicht nur, wie anhand der Beispiele gezeigt, in einzelnen Szenen statt, sondern ist für die Komposition, das musikalische Bauprinzip der Erzählung insgesamt charakteristisch: Der ernsthafte Entwicklungsprozess Theodors zu einem eigenständigen Künstler wird durchgängig von komischen Ereignissen begleitet.

 

  1. Funktion der Integration der Malerei

  2. Johann Erdmann Hummel: Die Fermate 

  3. Das musikalische Literaturbild: "Aug' und Gemüt ... erlustigend" 

  4. Die Musik in der Fermate: Untersuchung der Musik-Text-Relationen 

  5. Die Hoffmansche Kunst sehen, lesen, hören - verstehen 

  6. Bibliographie

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[1] Vgl. Huber, S. 15-17, 19; vgl. auch Blume, Sp. 788
[2] Vgl. Blume, Sp. 792, 794
[3] Huber, S. 17
[4] Vgl. Blume, Sp. 792, 794; vgl. auch Huber, S. 19
[5] Blume, Sp. 786
[6] Blume, Sp. 787
[7] Hoffmann, S. 34 (Hervorhebung d. Verf.)
[8] Vgl. hier und im Folgenden ebd. (Hervorhebung i. Original); vgl. auch Müller, S. 107
[9] Vgl. Dobat, S. 18; Hoffmann, S. 215
[10] Vgl. Dobat, S. 74 und im Folgenden S. 78
[11] Vgl. Klier, S. 142
[12] Hoffmann, S. 216
[13] Vgl. Dobat, S. 78 f., 85 
[14] Vgl. im Folgenden Klier, S. 152 f.
[15] Vgl. Dobat, S. 213, 224
[16] Klier, S. 153
[17] dtv-Atlas, S. 119
[18] Vgl. im Folgenden Klier, S. 149-151
[19] Vgl. dtv-Atlas, S. 377
[20] Vgl. Dobat, S. 99 

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Kerstin Windisch: Integration von Elementen der Bildenden Kunst und der Musik dargestellt an E.T.A. Hoffmanns  "Die Fermate" - Die Musik-Text-Relationen der "Fermate". 29.01.2003.

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