Goethezeitportal.de

 

Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Der Göttinger Hain
Gründung und Mitglieder

Patrick Peters
Ernst Theodor Johann Brückner

 

Einer der ältesten Bundesbrüder ist Ernst Theodor Johann Brückner. Geboren wurde der Theologe, Hauslehrer, Prediger und Pastor 1746 im mecklenburgischen Neetzka, studiert hat Brückner – als einziger Hainbündler – nicht in Göttingen, sondern in Halle. Und somit gehörte Brückner auch nicht zum universitären Zirkel der Studenten, die sich durch Heinrich Boie und/oder ihre besondere deutsche Gesinnung zum Göttinger Hainbund zusammenfanden: Während seiner Tätigkeit als Prediger in Groß Vielen in der Mecklenburgischen Seenplatte war er 1771 mit Johann Heinrich Voß befreundet, durch den Brückner mit dem Hainbund in Berührung kam. Die Gedichte Brückners sind spät, 1803 erst, in Neubrandenburg erschienen, eine andere Ausgabe haben sie bisher nicht gesehen. Und so sind sie weder vollständig überliefert noch in irgendeiner Form ‚behandelt‘, also ediert oder kommentiert. In der (literaturwissenschaftlichen) Forschung ist Ernst Theodor Johann Brückner, wie die meisten Hainbündler, unbeachtet geblieben; er taucht höchstens am Rande von (alten) Monographien und einigen wenigen Aufsätzen zu verwandten Themen auf, zum Beispiel in der Dissertation des Editors Alfred Kelletat J. H. Voß und die Nachbildung der antiken Metren in der deutschen Dichtung. Ein Beitrag zur deutschen Versgeschichte seit Klopstock (Tübingen 1949). Und auch in Anthologien und Literaturgeschichte hat kaum jemand von ihm Notiz genommen.

Der Bund nahm den Hallenser Theologen im Dezember in Abwesenheit und durch besondere Fürsprache Vossens in den Göttinger Kreis auf. Die Begeisterung Vossens für den fünf Jahre älteren Brückner lässt sich ungefiltert aus einem Brief des Hainbündlers an seinen Freund vom 26. Oktober 1772 herauslesen (überhaupt war Brückner für Voß ein beliebter Briefpartner; genau diese Briefe werden aktuell von einem der seltenen Hain-Forscher, Paul Kahl von der Universität Göttingen, ediert). Zum besseren Verständnis der Ekstase, die man bei Voss sonst zum Beispiel aus seinen vaterländischen Texten kennt und die aus dem Brief herausklingt, zitiere ich einen langen Abschnitt des Schreibens:

Einige Tage vor seiner Abreise nötigte Ewald den hiesigen Parnaß, auch Bürger von Gelinhausen [sic], zum Abschiedsschmause. Das war nun eine Dichtergesellschaft, und wir zechten auch alle, wie Anakreon und Flaccus; Boie, unser Werdormar, oben im Lehnstuhle, und zu beiden Seiten der Tafel, mit Eichenlaube bekränzt, die Bardenschüler. Gesundheiten wurden auch getrunken. Erstlich Klopstocks! Boie nahm das Glas, stand auf, und rief: Klopstock. Jeder folgte ihm, nannte den großen Namen, und nach einem heiligen Stillschweigen trank er. Nun Ramlers! Nicht voll so feierlich; Lessings, Gleims, Geßners, Gerstenbergs, Uzens, Weissens usw. und nun mein allerliebster bester Brückner mit seiner Doris. Ein heiliger Schauer muß Sie den Augenblich ergriffen haben, wie der ganze Chor, Hahn, die Miller mit ihrer männlichen deutschen Kehle, Boie und Bürger mit Silberstimmen, und Hölty und ich mit den übrigen (meine Stimme kennen Sie) das feurige: Lebe! ausriefen.

(Johann Heinrich Voß: Briefe. Nebst erläuternden Beilagen herausgegeben von Abraham Voß. Erster Band. Zweite unveränderte Auflage. Leipzig 1840, S. 93f.)

Zwar steht Brückner am Ende einer abnehmenden Reihe von Dichtern, die die Mitglieder des Hainbundes zu Beginn der 1770er Jahre glorifizierten, weil diese für die vaterländische Sache, deutsches Nationalbewusstsein, moralische Integrität und Kulturpatriotismus standen. Aber er steht in dieser Reihe, und die Ehrerbietung, die ihm im Akt des Gesundheit Trinkens zu Teil wird, ist unübersehbar. Es geht dem Bund also bei Neuaufnahmen auch um poetisches Potential, nicht ausschließlich um vaterländische Gesinnung. Ohne den rechten deutschen Geist gibt es, so sehen es die Hainbündler wohl, keine veritable Lyrik; wer aber nicht dichten kann, gehört auch nicht in den Bund. Auf Brückners besondere Leistungsfähigkeit als Dichter, der die Ansprüche des Bundes bedienen kann, nimmt auch ein Brief G. D. Millers Bezug, der im Februar 1773 an den frisch aufgenommen Bundesbruder schreibt:

Schon öfters drängte sich in mir ein großer Gedanke auf, der Gedanke, Ihnen frei zu sagen, wie hoch ich Sie schätze, und wie sehr ich Sie liebe. Noch dünkte er mir zu kühn! Heute nicht mehr, denn ich las Ihren Brief an unsern Voß, und Ihre Ode: Die Verklärung; die Meisterstück Ihrer Muse, dies wahrhaft große Gedicht. Ich bin weit entfernt, hier captationem benevolentiae anzubringen; denn man lobt nie zu viel, wenn man redet, was man denkt. – Je mehr ich von diesem Gedichte hörte (Hahn las es) desto mehr empfand ich den Wonnegedanken, dieser Mann mit dem großen Geiste, mehr aber dieser Mann mit dem großen Herzen, ist dein Freund!

(zit. nach: Kelletat, Der Göttinger Hain, S. 353f.)

Das ist keineswegs eine peinlich-juvenile Anbiederung an den Älteren, der bereits publiziert hat und nun ebenfalls Mitglied des Bundes ist: G. D. Millers Brief ist Ausdruck einer überfließenden Empfindung, einer Herzausgießung und Eröffnung des (brüderlichen) Gefühls höchsten Grades, und stellt die dichterische Leistung in den Vordergrund.

Brückner war als Lyriker vor allem seine Idyllen-Produktion bekannt. Diese Texte, die breiten Raum innerhalb der Sammelausgabe einnehmen (die Idyllen-Kreisen heißen „Patriarchalische Idyllen“ und „Kinder-Idyllen“), sind ebenfalls in den Reihen der Hainbündler gut aufgenommen worden. So schreibt G. D. Miller im gleichen Brief, „Sie [Brückner; P. P.] werden uns allen das entzückendste Vergnügen mit Gedichten von dieser Art [Idyllen; P. P.] machen“. Schließlich ist die Idylle als (antike) Form im Hainbund durchaus beliebt und immer wieder Form für besonders gelungene Gedichte von z. B. Voß und Miller. Brückner bricht aus dem für die Hainbund-Idyllen ebenfalls typischen Duktus nicht aus: Seine Texte sind voll mit Naturbildern, an denen die Handlung aufgezogen wird, und sie stellen Themen wie Familie (besonders Kinder/Jugend), Liebe und einfaches, primitivistisches Leben abseits aller (städtischen) Kultur in den Vordergrund. Damit sind Brückners Idyllen stereotyp für die Gattung im 18. Jahrhundert, schildert sie doch generell Situationen eines „friedvoll-bescheidenen, behagl[ich]-gemütl[ichen] Winkelglücks“, wie Gero von Wilpert in seinem Sachwörterbuch der Literatur (S. 365) über diese „episch-halbdramat[ische] Dichtform“ (ebd.) schreibt. Schlagworte der Brücknerschen Idyllen und exemplarisch dafür sind Verse wie „manches edle Werk / Der Häuslichkeit“ (Adaja, erster Gesang) oder „Treu jede Pflicht daheim zu tun“ (ebd.).

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit