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Der Göttinger Hain
Wirken, Werk und Wirkung

Patrick Peters
Einleitende Gedanken zum Göttinger Hainbund

 

Die deutsche Literaturgeschichte kennt so manche literarische Vereinigungen und Gruppierungen beziehungsweise Bewegungen:  In „Junges Deutschland“ organisierten sich ab 1830 Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg, Theodor Mundt und Ludwig Börne; die „Schwäbische Dichterschule“ (1805 bis 1808) bestand aus Justinus Kerner und Ludwig Uhland, eng mit ihr verknüpft waren unter anderem Eduard Mörike, Gustav Schwab und Wilhelm Hauff;  der „Darmstädter Kreis“ wirkte zwischen 1769 und 1773,  ihm gehörten zum Beispiel Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang von Goethe an. Die Liste ließe sich beinahe endlos erweitern, die Namen vieler bekannter Dichter würden sich in der Aufzählung finden. Weniger bekannte Autoren indes versammeln sich in einer Gruppe, die man nichtsdestotrotz wohl ohne Übertreibung als eine der bekannten deutschen Dichtervereinigungen bezeichnen darf: der Göttinger Hainbund, der als der „geschlossenste Dichterkreis des Sturm und Drang“ (Paul Kahl: Das Bundesbuch des Göttinger Hains. Edition – Historische Untersuchung – Kommentar. Tübingen 2006 [unpaginiert]) gilt.



Gründung und Mitglieder

In der Nacht des 12. September 1772 versammelten sich die Göttinger Studenten Johann Heinrich Voß, Johann Friedrich Hahn, Johann Ludwig Thomas Wehrs, Johann Martin Miller, Gottlob Dietrich Miller und Ludwig Christoph Heinrich Hölty etwas nördlich der altehrwürdigen Universitätsstadt nahe des Dorfes Weende (heute ein Stadtteil Göttingens). Dort gründeten die Männer, von denen keiner älter als 24 Jahre alt, den Hainbund. Voß beschreibt den Abend und die Gründung in einem Brief vom 21. September 1772 an seinen Freund Ernst Theodor Johann Brückner:

Ach den 12 Sept., mein liebster Freund, da hätten Sie hier seyn sollen. Die beyden Millers, Hahn, Hölty, Wehrs und ich giengen noch des Abends nach einem nahgelegnen Dorfe. Der Abend war außerordentlich heiter, und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir aßen in einer Bauerhütte eine Milch, und begaben uns darauf ins freye Feld. Hier fanden wir einen kleinen Eichengrund, und sogleich fiel uns allen ein, den Bund der Freundschaft unter diesen heiligen Bäumen zu schwören. Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, legten sie unter den Baum, und faßten uns alle bey den Händen, und tanzten so um den eingeschloßenen Stamm herum; riefen den Mond und die Sterne zu Zeugen unsers Bundes an, und versprachen uns eine ewige Freundschaft. Dann verbündeten wir uns, die größte Aufrichtigkeit in unsern Urtheilen gegen einander zu beobachten, und zu diesem Entzwecke die schon gewöhnliche Versammlung noch genauer und feyerlicher zu halten. Ich ward durchs Loos zum Aeltesten erwählt. Jeder soll Gedichte auf diesen Abend machen, und ihn jährl. Begehn

[meine Hervorhebungen; P. P.]


Die Gruppe sollte nicht lange aus den sechs Gründern bestehen: Schnell stießen Heinrich Christian Boie, Ernst Theodor Johann Brückner, Carl Christian Clauswitz, Carl August Wilhelm von Closen, Carl Friedrich Cramer, Christian Hieronymus Esmarch, Schack Hermann Ewald, Johann Anton Leisewitz, Christian Graf zu Stolberg-Stolberg und sein Bruder Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg dazu, so dass der Hainbund in seiner Hochzeit 16 Mitglieder zählte. Das ist, im Vergleich zu anderen literarischen Gruppierungen, zumal im 18. Jahrhundert, eine durchaus eindrucksvolle Größe.

Die jungen Männer waren einander allesamt bekannt. Die meisten von ihnen kannten sich aus einem gemeinsamen universitären Alltag (die Hainbündler studierten bis auf eine Ausnahme in den frühen 1770er Jahren entweder Jura oder evangelische Theologie an der Göttinger Georg-August-Universität) oder wurden von Heinrich Christian Boie, dem 1744 geborenen „Senior“ der Gruppe, zusammengeführt. Boie gab von 1770 bis 1775 die jährlich erscheinenden Gedichtsammlungen „Göttinger Musenalmanache“ heraus, die viele jener Studenten spätestens ab 1772 als Medium zur Veröffentlichung ihrer lyrischen Produktionen nutzten; so kamen sie dann mit Mitgliedern des Hainbundes in Kontakt und wurden selbst welche. Die prägenden Mitglieder des Bundes waren Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Johann Martin Miller, Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und Johann Heinrich Voß. Sie haben nicht nur die mit großem Abstand umfangreichsten Textcorpora unter den Hainbündler produziert, sondern sind auch diejenigen Mitglieder des Dichterkreises, die so etwas wie einen – wenn auch vergleichsweise geringen – Stellenwert in Literaturgeschichte und
-wissenschaft besitzen. Stichproben ihres lyrischen Schaffens finden sich in Anthologien wieder, und sie waren und sind hin und wieder Gegenstand der Forschung sowie allgemeiner literarhistorischer Darstellungen (von den anderen Mitgliedern kann man das, bis auf sehr wenige Ausnahmen und dann nur in besonderen Fällen, nicht behaupten: Zum Teil tauchen ihre Namen im Zusammenhang mit der Göttinger Hainbund in Publikationen nicht einmal auf. Sie sind schlichtweg zu unbedeutend). Weniger spektakulär und euphorisch als die Gründung war die Auflösung des Hainbundes: Spätestens 1775 ist der Bund nicht mehr existent, da die Mitglieder ihr Studium beendet und deshalb Göttingen verlassen hatten; die Stolbergs beispielsweise gingen bereits im September 1773 aus der Universitätsstadt weg. Ohne die räumliche Ge- und Verbundenheit der Bundesbrüder, konnte der Göttinger Hain nicht mehr bestehen.

 

 

Friedrich Gottlieb Klopstock: der „Übervater“ – Christoph Martin Wieland: die „Hassfigur“

Ohne die Person des Friedrich Gottlieb Klopstock, einem der einflussreichsten und prägendsten deutschen Dichter des 18. Jahrhunderts, wäre der Göttinger Hain in der Form, wie er uns erscheint, nicht möglich gewesen. Er hatte den schwärmerischen Studenten mit seinem Lehrgedicht »Der Hügel und der Hain« aus dem Jahre 1767 nicht nur Namen und Motto für ihre Vereinigung, sondern auch ein Programm für ihr lyrisches Schaffen (siehe auch unten unter „Lyrisches Schaffen“) gegeben.

Dem Vorbild der griechischen Dichtung, repräsentiert durch den Musenhügel, wurde eine vaterländische Dichtung, symbolisiert durch „Teutoniens Hain“ gegenübergestellt. Diese vaterländische Dichtung berief sich auf einen fiktiven „Bardengesang“

[meine Hervorhebung; P. P.] (Geschichte der deutschen Literatur. Kontinuität und Veränderung. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Band 2: Von der Aufklärung bis zum Vormärz. Herausgegeben von Erhard Bahr. Unter Mitarbeit von Wulf Köpke, Klaus Peter, Hinrich C. Seeba und Wolfgang Wittkowski. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 1998, S. 92)

Der Verfasser des »Messias« war der Ankerpunkt des Hainbunds. Die Göttinger begingen Klopstocks 50. Geburtstag in einer großen Feierstunde, und über die Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg wurde persönlicher Kontakt zum „Übervater“ in Altona hergestellt. 1774 schließlich besuchte Klopstock die Hainbündler. In so manchen Gedichten aus dem Hain wird Klopstock direkt angesprochen, erhöht oder als Vorbild genannt. Insofern spielt er nicht nur als Ideenlieferant eine Rolle, sondern ist als Person Thema von Lyrik. Einher mit der Verehrung Klopstocks geht die Ablehnung eines anderen großen deutschen Dichters des 18. Jahrhunderts: Christoph Martin Wieland (1773 bis 1813). Wieland gilt als einer der bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Autoren der Aufklärung und bildete später gemeinsam mit Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller den Mittelpunkt der Weimarer Klassik. Die Hainbündler hassten Wieland und sein Werk, ihnen galt er als „Sittenverderber“ (Geschichte der deutschen Literatur 2, S. 92). Die Kombination aus beidem, Klopstock-Verehrung und Wieland-Verachtung, wird in einem Schreiben von Voß an Brückner (4. August 1773) deutlich:

Seinen [Friedrich Gottlieb Klopstocks; P. P.] Geburtstag feierten wir herrlich. Gleich nach Mittag kamen wir auf Hahns Stube, die die größte ist (es regnete den Tag) zusammen. Eine lange Tafel war gedeckt, und mit Blumen geschmückt. Oben stand ein Lehnstuhl ledig, für Klopstock, mit Rosen und Levkojen bestreut, und auf ihm Klopstocks sämtliche Werke. Unter dem Stuhl lag Wielands Idris zerrissen. Jetzt las Cramer aus den Triumphgesängen, und Hahn etliche sich auf Deutschland beziehende Oden von Klopstocks vor. Und darauf tranken wir Kaffee; die Fidibus waren aus Wielands Schriften gemacht. Boie, der nicht rauchte, mußte doch auch einen anzünden, und auf den zerrissenen Idris stampfen

meine Hervorhebung; P. P.] (zit. nach: Der Göttinger Hain. Herausgegeben von Alfred Kelletat. Stuttgart 1967, S. 359)

 

 

Nahestehende des Bundes: Bürger und Claudius

Zu den festen Mitgliedern des Kreises gesellten sich schnell zahlreiche weitere literarisch tätige Männer, die den Hainbündlern sehr nahe standen, aber nicht offiziell zum Bund gehörten. Viele von ihnen publizierten auch in die „Göttinger Musenalmanachen“. Die beiden wohl bekanntesten unter diesen Dichtern waren wohl Gottfried August Bürger und Matthias Claudius. Bürger war in den frühen 1770er Jahren einem literarisch interessierten Publikum vor allem durch seine Kunstballade »Lenore« bekannt. Noch heute gilt sie als eines der wichtigsten Werke des Dichters, der mit der Lenore die Tradition der Kunstballade als ernsthafte Gattung nachhaltig prägte. Matthias Claudius erlangte in jenen Jahren einige Berühmtheit als Redakteur des „Wandsbecker Bothen“. Die Zeitung, von Heinrich Carl von Schimmelmann in hamburgischen Wandsbeck herausgegeben, gilt als die erste deutsche Volkszeitung. Claudius konnte bedeutende Autoren (unter anderem Herder, Goethe, von Gerstenberg) und junge Talente (unter anderem Hölty, Miller und Voß) als Beiträger für den „Wandsbecker Bothen“ gewinnen. Über seine Redakteurs-Tätigkeit kam Claudius denn wohl auch mit den Hainbündler in Berührung. Als Lyriker ist Claudius in der Literaturgeschichte (und der literarisch interessierten Öffentlichkeit) vor allem für seine volksliedhaften Stücke bekannt; sein Gedicht »Der Mond ist aufgegangen« gehört zu den berühmtesten Texten der deutschen Literatur. Wie eng vor allem die ältere Germanistik Claudius zu den Hainbündlern gestellt hat, zeigt die Edition der Gedichte aus dem Hain des Prager Professors August Sauer im späten 19. Jahrhundert: Darin taucht Claudius gemeinsam mit Hölty, Miller, Voß und F. L. Stolberg auf.

 



Lyrisches Schaffen

Anhand der frühen Lyrik bis ca. 1775 von Hölty, Miller F. L. Stolberg und Voß kann man – stellvertretend für die übrigen Hainbund-Dichter – die Themenpalette des Dichterkreises herausarbeiten. Im Vordergrund steht unzweifelhaft die Liebes-, Geselligkeits- und Freundschaftslyrik, die – geschätzt – ca. 85 Prozent der gesamten lyrischen Produktion der Hainbündler ausmacht (die Themenkreise werden hier zu einem zusammengefasst, erstens, um die Darstellung einigermaßen kompakt zu gestalten, zweitens, weil man in einer Vielzahl der Fälle sie ohnehin kaum voneinander lösen kann; wobei uns die Freundschaft in noch einem weiteren Bereich begegnen wird). Die Dichter greifen dabei (unter anderem!) gerne und häufig auf Elemente der anakreontischen Dichtung zurück, die sie als „Experimentierfeld“ (Vorlesungsskript Uni Bonn: www.germanistik.uni-bonn.de/.../PP_Lyrik%20Vorlesung2.ppt [abgerufen: 4. Oktober 2009]) nutzen (und das, obwohl sie durch ihren engen Bezug zu Klopstocks Lehrgedicht »Der Hügel und der Hain« diese eigentlich als ‚undeutsch‘ bzw. ‚ungermanisch‘ ablehnten; auch bei der Darstellung der verwendeten lyrischen Formen werden wir auf diesen Gegensatz noch stoßen). Diese Stilrichtung war vor allem um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland (und ganz Europa) von Bedeutung und kreist grundsätzlich um die Themen Liebe, Freundschaft, Natur, Wein und Geselligkeit. Die Anakreontik des 18. Jahrhunderts geht auf anonyme griechisch-antike Lyriksammlung „Anakreonteia“ zurück: In ihr finden sich Gedichte, die zwischen dem 1. Jahrhundert vor Christus und dem 5. bzw. 6. Jahrhundert nach Christus unter dem Namen des griechischen Lyrikers Anakreon zusammengestellt worden sind. Die Texte handeln, wie man aus der Adaption schließen kann, von Liebe, Wein, Frühling, dionysischen Genüssen usw. Eng verknüpft mit der Liebesthematik ist der Bereich der Natur: Natur-Elemente und -Räume sind gängige Komponenten im lyrischen Liebesdiskurs der Hainbündler. Liebeshandlungen, -klagen usf. sind häufig im Tal, in der Aue etc. situiert, typisches, tierisches Personal sind Singvögel (konkret: die Nachtigall), Jahreszeiten (zur Verstärkung der jeweils intendierten Aussage) „Frühling“ und „Winter“. Dadurch (und aus anderen Gründen) erinnert die Darstellung frappierend an die mittelalterliche deutschsprachige Liebeslyrik, die genau solche ‚Versatzstücke‘ gewissermaßen inflationär als Kernkomponenten gebraucht hat.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das, was ich im Folgenden als Vaterlandslyrik bezeichnen möchte. Den Hainbündlern geht es vielfach darum, das deutsche Vaterland (im damaligen politisch-historischen Sinne) lyrisch nicht nur darzustellen, sondern vor allem positiv hervorzuheben. Das mag zum Teil in einer „prahlende[n], ins Bardenkostüm lächerlich verkleidete[n] Deutschtümelei“ (Albrecht Schöne: Gedichte aus dem Göttinger Hain. Faksimile-Drucke der Handschriften. Zur 200jährigen Wiederkehr der Gründungsfeier des Bundes verlegt von Vandenhoeck & Rupprecht in Göttingen 1972 [unpaginiert]) passieren, die Deutschsein an sich und deutsche Charakteristika euphorisch und polemisch glorifiziert; das kann sich auf eine ‚nationalistisch‘ bedingte ‚Fremdenfeindlichkeit‘ beziehen, die sich gezielt und verallgemeinernd gegen Franzosen und Italiener richtet; das kann auch der Bezug auf die Figur des Germanenfürsten Arminius sein, der die Römer bei der Schlacht im Teutoburger Wald 9 nach Christus vernichtend schlug, oder die Aufnahme germanischer-nordischer Mythologie (wie der Götterpantheon) ins lyrische Werk. In diesen Themenkreis fügt sich die Lyrik über den Bund an sich ein. Einige Gedichte (man denke an den letzten Satz aus dem Voß`schen Brief an Brückner über die Gründung) befassen sich mit der Konstitution und Konstruktion des Hainbunds, er wird lyrisch erklärt, seine Position(en) dargestellt. Dabei kommt immer wieder heraus, dass die Göttinger ihren Bund als einen vaterländischen Freundschaftsbund ansehen, der dazu auserkoren ist, das deutsche Vaterland zu schützen und ehren. Insofern sagen diese Vaterlandsgedichte viel über die Funktion der Gruppe aus, weshalb ich diese „Programmgedichte“ unter der Überschrift der Vaterlandslyrik subsumieren und dort Inhalt und Bedeutung darstellen möchte.

Besondere Bedeutung hatten einige spezielle lyrische Formen. Nach Thomas Gray’s Vorbild und unter dem Einfluss seines sehr bekannten Textes »Elegy Written in a Country Churchyard« dichteten die Hainbündler empfindsame Elegien. Der Verehrung Klopstocks war die häufige Verwendung der Ode geschuldet; ebenso fand die Idylle (ebenfalls als alte Form, trotz der germanisierenden Wendung gegen die Antike) großen Anklang. Erwähnenswert ist vor allem Vossens »Luise: ein ländliches Gedicht in drei Idyllen«. Über die Entwicklung der Kunstballade muss im Kontext Gottfried August Bürgers gesprochen werden; doch ist kurz zu sagen, dass diese Form als „bleibende[.] Leistung[..]“(Geschichte der deutschen Literatur 2, S. 94) des Hains gesehen wird.

Nicht vergessen werden darf die Frage nach der Epochenzugehörigkeit der Hainbündler. Zeitlich verläuft ihre literarische Entwicklung bzw. ihre gruppenspezifische lyrische Produktion parallel zur ‚Startphase‘ des jungen Goethe in den frühen 1770er Jahren und ist so, greift man auf die gängige literarhistorische temporale Kategorisierung von ‚Epoche‘ zurück, wohl recht eindeutig dem Sturm und Drang zuzuordnen. Es ist aber bei weitem nicht alles ‚stürmend und drängend‘, was die Göttinger dichten: Man stößt vielmehr auf ein stetiges Nebeneinander verschiedenster geistiger (literarischer, sozialer, kultureller etc.) Einflüsse des 18. Jahrhunderts. Die „Kontinuität der Aufklärung war durch die Person Klopstocks gegeben“ (Geschichte der deutschen Literatur 2, S. 92); das häufig benutzte Genius-Mythologem stammt aus dem Sturm und Drang; die euphorische Vaterlandsverehrung ist, genau wie die Deutschtümelei, mehr ein Produkt der 1750er und 1760er Jahre als der Zeit der Hainbündler; Elemente der Liebes- und Geselligkeitslyrik stammen aus der Anakreontik (s. o.). Insofern steht die abschließende Klärung der Epochenfrage noch aus; es ist Aufgabe der Forschung, Ergebnisse zu liefern.

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