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Goethe im Gespräch

>> Ein Interview mit Dr. phil. habil. Jochen Golz Präsident der Goethegeschaft in Weimar e. v.

 

Das schriftliche Interview wurde von Evangelina-Petrova Cilerdzic und Susanne Koch im Rahmen des Jugendinternetprojekts „Goethe, Schiller & Co.“ des Goethezeitportals erstellt.


Was hat Sie in Ihrer Schulzeit an den Werken und Personen der Goethezeit interessiert? Wurden Sie bereits auch im Elternhaus oder in Ihrem privaten Umfeld zur Schulzeit von Werken Goethes konfrontiert?

Meine Schulzeit in der DDR liegt lange zurück, Grundschule zwischen 1948 und l956, Oberschule mit dem Abschluß Abitur 1960. Zum Ende der Grundschule erhielt ich für gute Leistungen eine dreibändige Schiller-Ausgabe, die ich in den folgenden Jahren tapfer durchstudiert habe. Zum Abitur gab es zwei Bände eines germanistischen Standardwerkes, von Korffs „Geist der Goethezeit“, da stand die Studienwahl schon fest. Eine zehnbändige Goethe-Ausgabe schenkten mir meine Eltern während der Oberschulzeit, auch in ihr habe ich eifrig gelesen. Von der Schule selbst kamen nicht sehr viele Anregungen, der Hang zur Klassik hatte wohl mehr mit meinem Lesehunger zu tun. Auch im privaten Umfeld gab es wenige Anregungen. Als ich zum Studium nach Jena ging, hatte ich mir bereits einen soliden Lektürefundus aus deutscher und europäischer Literatur erworben. Alles in allem war es wohl zunächst weniger ein direktes Interesse an der Goethezeit, als ein generelles Bildungsinteresse, das mich motiviert hat.


Wie kam es zu Ihrer interessanten Kombination Germanistik und Indonesienkunde während Ihrer Studiumszeit?

Zunächst hatte ich mit dem Nebenfach Kunstgeschichte begonnen, was ich dann – heute würde ich sagen: leider – zugunsten der Indonesienkunde aufgegeben habe. Der Hintergrund, warum für dieses Nebenfach geworben wurde, war eher ein politischer. Da bei meiner Studienrichtung, dem früheren Magisterstudium vergleichbar, die Pädagogik fehlte, suchte man für uns wenige Studenten nach Einsatzmöglichkeiten und kam auf den Gedanken, uns zu Deutschlektoren im Ausland auszubilden,

und da Indonesien damals ein blockfreies, nach links tendierendes Land war, sah man dort kulturelle und natürlich auch politische Einflussmöglichkeiten. Doch im September 1965, kurz nach dem Ende meines Studiums, kam die politische Umwälzung in Indonesien, und alle Beziehungen zur DDR wurden auf Eis gelegt. Damit war alle Lebensplanung hinfällig, und ich war, offen gesagt, sehr froh, nicht in die Weite ziehen zu müssen, sondern eine Stelle im Aufbau-Verlag in Weimar zu finden und intensiv Goethe lektorieren zu können.

Indonesienkunde ist ja auch eher ein außergewöhnliches Fach, inwiefern ziehen Sie heute noch einen Nutzen aus diesem Studium und können Sie Abiturienten dazu ermutigen, exotischere Fächer zu wählen?

Direkten Nutzen habe ich aus diesem Studium nicht ziehen können, geblieben sind mir Kenntnisse der südostasiatischen Kultur und Interessen dafür. Heute gäbe es natürlich ganz andere Einsatzmöglichkeiten – im Zeitalter der Globalisierung -, doch würde ich immer raten, als Hauptfach ein Studium mit möglichst direktem Praxisbezug zu wählen.

Welche Literatur hat Sie persönlich inspiriert, welche Werke besonders? Was für eine Bedeutung hat Literatur in Ihrem Leben?

Ein Leben ohne Literatur, ohne Musik und bildende Kunst kann ich mir nicht vorstellen. In einem Land ohne kulturelle Tradition könnte ich niemals leben, Bibliotheken, Museen und Theater würden mir immer fehlen. Natürlich hat mich die lebenslange Beschäftigung mit Goethe besonders geprägt, mit seinen Gedichten, seinen Romanen, seinem „Faust“ beschäftige ich mich immer wieder. Durch meine wissenschaftliche Arbeit ist mir auch Jean Paul ans Herz gewachsen. Lange begleiten mich auch schon Fontane und Thomas Mann, zunehmend auch die großen deutschen Lyriker (etwa Mörike).

 

Welche aktuelle Literatur lesen Sie neben den klassischen Texten in Ihrer privaten Zeit?

Leider erlaubt es meine Zeit nicht, neben einem wissenschaftlichen Pflichtpensum auch noch vielen privaten Lektüreneigungen nachzugehen. Soweit es geht, verfolge ich den Weg von Günter de Bruyn, von Christa Wolf, von Volker Braun, von Durs Grünbein, von Martin Walser oder von Kehlmann. Vielleicht wird es mit weiter zunehmendem Alter besser.

Folgende Frage ist für Schüler interessant, die im Unterricht für aktuelle Literatur plädieren und sich fragen, warum sie die alten Klassiker lesen sollen. Was bringen klassische Werke Ihrer Meinung nach mit sich, was aktuelle Literatur so nicht bieten kann?

Einen prinzipiellen Unterschied zwischen klassischer und aktueller Literatur würde ich nicht machen, man sollte bei allen Texten ihre gegenwärtige Bedeutung aus ihrer historischen Dimension herleiten,die auch ein modernes Werk schon in sich birgt. Die klassische Literatur enthält Themen und Probleme, die für uns als humane Wesen von unveränderter Aktualität sind. Goethes Plädoyer für kulturelles Wissen, Toleranz und Verständnis im „West-östlichen Divan“, um ein Beispiel zu geben, ist gerade für unsere Gegenwart, die von kulturellen Gegensätzen geprägt ist, von großer Bedeutung.


Wie sind klassische Texte mit der heutigen Jugend vereinbar? Gibt es eine Aktualität, wenn ja, worin liegt diese?

Literatur, auch die klassische, muß ihre Lebendigkeit immer aufs neue erweisen, für jede neue Generation. Ein Liebesgedicht von Goethe, sein Roman „Wahlverwandtschaften“ werden so lange Leser finden, wie es Partnerbeziehungen geben wird, also hoffentlich noch sehr lange, davon bin ich überzeugt und würde es auch bei Gelegenheit an den Texten selbst demonstrieren.

Ganz konkret: Hat die Goethezeit Auswirkungen auf unser heutiges, tägliches Leben? Können Sie da Stichworte nennen?

Wenn man unter täglichem Leben auch unseren Umgang mit Kultur versteht, kann man die Frage getrost bejahen. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Beschäftigung mit anspruchsvoller Kunst auch Anstrengung einschließt. Insofern würde ich vor voreiligen Zuweisungen warnen. Wirklicher Kunstgenuß ist ohne Bildung nicht zu haben.

Wie ist die heutige Resonanz der Weimarer Klassik im Ausland zu bemerken – und inwiefern für Deutschland zu bewerten?

Das Ansehen der klassischen deutschen Kultur im Ausland ist unverändert groß, Goethe ist in aller Welt immer noch ein Begriff. Aus den Erfahrungen der Goethe-Gesellschaft lässt sich sagen, dass das Interesse an Goethe in Osteuropa, in Russland, in den Ländern des Kaukasus und im fernen Osten noch besonders ausgeprägt ist. Wie es in Deutschland, um mit dem Naheliegenden zu beginnen, mit der Klassik in der Schule steht, kann ich generell schwer beurteilen, weil der deutsche Föderalismus den Überblick erschwert. Im öffentlichen Diskurs bleiben die Weimarer Klassiker eine Bezugsgröße. Auch auf dem Theater gibt es immer wieder Klassiker-Inszenierungen, wobei ich nicht verhehle, dass ich über nicht wenige Experimente des sogenannten Regietheaters nur den Kopf schütteln kann.

Und gibt es Ihrer Meinung nach bestimmte Werke von Goethe, die literaturgeschichtlich besonders bedeutungsvoll sind?

Von Goethes „Faust“ und seinen Gedichten habe ich schon gesprochen, sie bilden für mich den Kern. Auch von den „Wahlverwandtschaften“ als modernem Eheroman war die Rede, desgleichen von der Lyrik des „Divan“ mit seiner west-östlichen Thematik. In jüngerer Zeit finden auch Goethes naturwissenschaftliche Texte mehr Beachtung, Goethes Auffassung von Natur als einer Mensch und Umwelt umfassenden Einheit, sein ganzheitliches Denken beeinflussen die aktuellen Diskussionen.

Nun eine ganz allgemeine Frage, die unsere Leser sicherlich brennend interessieren wird: was wird eigentlich genau in den Archiven gemacht oder erforscht? Was macht die Goethe-Forschung für Sie so spannend?

Gut dreizehn Jahre lang bin ich Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar gewesen, wo die Nachlässe von Goethe und Schiller sich befinden. Ein Archiv muß zunächst seine Schätze sorgfältig aufbewahren und sie dann wissenschaftlich erschließen, durch Findbücher und Inventare. Ein Archiv trägt auch Verantwortung für die Edition der dort lagernden Texte, und es muß die Wissenschaftler, die im Archiv arbeiten, beraten und betreuen. Es hat eine Dienstleistungs- und Vermittlungsfunktion für die Grundlagenforschung. Das Spannende der Goethe-Forschung liegt für mich darin, dass das Leben selbst stets neue Fragen aufwirft, für die Antworten auch in der klassischen Literatur gefunden werden können. Wenn wir heute z.B. bestimmte Züge der Moderne mit sehr kritischen Augen sehen, dann finden wir bei Goethe bereits Aussagen, die ihn als Kritiker eben dieser Moderne zeigen, deren Anfänge er als Zeitgenosse miterlebt hat.


Gibt es in den alljährlichen Forschungsergebnissen auch manchmal ganz erstaunliche, neue Erkenntnisse, die Goethe und sein Werk in ein neues Licht stellen können oder die man so nicht erwartet hätte?

Sensationseffekte wird man von der aktuellen Goethe-Forschung nicht erwarten können, denn auch sie steht in einer Tradition und ist ohne die Ergebnisse ihrer Vorgänger nicht zu denken. Ich würde lieber von neuen Akzenten sprechen, die zumeist das Ergebnis einzelner Forschungen sind. So kann man sagen, dass sich unser Bild von Goethes „Faust“ in den letzten 25 Jahren sehr verändert hat. Aus der Faust-Figur, dem Repräsentanten der Menschheit schlechthin (nach früherer Lesart), ist in jüngerer Zeit der (von Goethe schon kritisch gesehene) Repräsentant der Moderne geworden.


Welches Werk oder welche Texte von Goethe würden Sie „Einsteigern“ empfehlen?

Die Gedichte würde ich empfehlen, in einer guten Auswahl, auch den „Werther“-Roman, natürlich den „Faust“ (und dabei keine Angst vor der Bildungslast, man kann den Text ganz einfach mit wachen Augen lesen und dann immer noch in einem Kommentar das Nötige nachschlagen), auch ein für mich aufregend aktuelles Buch wie die „Wahlverwandtschaften“.


Und eine letzte Frage: Haben Sie vielleicht noch eine Botschaft oder einen Hinweis für unser Jugendprojekt „Goethe, Schiller & Co.“ im Rahmen des Goethezeitportals? Was erscheint Ihnen an unserer Arbeit wichtig zu sein?

Zunächst finde ich die Portalidee für junge Leute großartig, sie hat meine ganze Sympathie und verdient jede Unterstützung. Mit Botschaften habe ich meine Probleme, Goethe ist auch kein Heilsbringer für alle Lebensfragen, in meinen Augen aber ein sehr moderner Autor, bei dem auch junge Leute, nehmen sie sich nur die Zeit, Antwort auf viele sie bedrängende Fragen finden können.


Vielen Dank, Herr Golz, daß Sie sich Zeit für die Beantwortung der Fragen genommen haben! Ihre Antworten sind für viele Schüler sicherlich sehr interessant.


Die Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.

Die Goethe-Gesellschaft, gegründet 1885, ist eine wissenschaftlich-literarische Gesellschaft internationalen Charakters. Sie zählt etwa 3200 Mitglieder in 50 Ländern der Welt.

Gemäß ihrer Satzung will sie im In- und Ausland "zur vertieften Kenntnis Goethes, seines Umfeldes und seiner Bedeutung für die Gegenwart beitragen, seine Bedeutung für die moderne Welt aufzeigen und der ihm gewidmeten Forschung Anregungen geben".

Vorträge, Symposien, Ausstellung, das jährlich erscheinende Goethe-Jahrbuch und die Unterstützung und Förderung des Goethe- und Schillerarchivs bilden eine wichtige Grundlage bei der Erreichung der Ziele.

Ausführliche Informationen über die Goethegesellschaft finden Sie auf der Internetseite http://www.goethe-gesellschaft.de/index.html.


Wir möchten hier außerdem auf die Sommerschule (Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte) und die Sommerkurse (in Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar) für Schüler und Studenten hinweisen.

Weitere Informationen dazu finden Sie im Goethezeitportal unter dem Menüpunkt „Projekte“ und auf folgenden Internetseiten:

www.sommerkurse-weimar.de

www.goethe-sommerkurse.de

www.ejbweimar.de


Die wichtigsten Daten aus dem Lebenslauf von Dr. phil. habil. Jochen Golz

  • Jahrgang 1942

  • Studium der Germanistik und Indonesienkunde in Jena

  • 1965-1977 Lektor im Aufbau-Verlag Weimar

  • 1978-1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Deutsche Literatur in Weimar

  • 1991-1993 Direktor für Germanistische Editionen an der Stiftung Weimarer Klassik

  • 1994-2007 Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs der Stiftung Weimarer Klassik

  • seit 1999 Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.

  • Veröffentlichungen u. a. zu Goethe, Schiller, Jean Paul und zur Editionswissenschaft; Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe von Goethes Tagebüchern

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