Goethezeitportal.de

 

Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Die Weimarer Klassik

>> EINE DER BERÜHMTESTEN ANTIKEN SKULPTUREN – DIE LAOKOONGRUPPE

Um die Antikebegeisterung des 18. Jahrhunderts, die geistige Aufladung der Weimarer Klassik und auch unsere Wahrnehmung der Antike verstehen zu lernen, lohnt ein Blick auf Winckelmanns kunsthistorische Aufsätze. Berühmt geworden ist das Zitat von der „edlen Einfalt und stillen Größe“, das jeder Oberstufenschüler kennt und selbstverständlich auch sofort mit der Weimarer Klassik verbindet, stimmt's? „Eine edle Einfalt und eine stille Größe“ besitzen nach Winckelmann die griechischen Meisterstücke und ganz besonders die berühmte Laokoon-Gruppe.

Die Laokoon-Gruppe

Die Laokoon Gruppe


 

Der Mythos um Laokoon

Laokoon war ein trojanischer Priester und hätte sich deshalb mit dem Willen der Götter eigentlich bestens auskennen müssen. Aber er erregte gleich in mehrfacher Hinsicht deren Missfallen und so streiten sich die Wissenschaftler, welcher Fauxpas es denn nun war, der hinter dem grausamen Moment steht, der in der Laokoon-Gruppe zu sehen ist.

War es Laokoons unbedachte Warnung seiner Landsleute, das hölzerne Pferd nun ja nicht in die Stadt zu ziehen? In diesem Fall wäre er der Göttin Athene in die Quere gekommen. Sie will, dass Troia untergeht. Sie hat es nicht vergessen, dass sich Paris, der Prinz von Troia, vor vielen Jahren für Aphrodites Geschenk, nämlich Helena, die schönste Frau des Altertums, entschieden und damit ihr Angebot, die Weisheit, einfach ausgeschlagen hatte. Tja, und weil Athene nachtragend ist, müssen die Troianer jetzt bezahlen und da passt Laokoons Einmischung, das können wir uns denken, natürlich überhaupt nicht. Oder aber wird Laokoon bei dieser Darstellung von Gott Apoll bestraft, weil er gegen dessen Willen einfach geheiratet und Kinder gezeugt hatte? Ob es also die Wut Athenes oder der Zorn Apolls war, egal, Laokoon muss beseitigt werden und seine Kinder gleich mit ihm. Die schrecklichen Schlangen, die die drei töten werden, schleichen da auch schon heran.

 

 

Was Winckelmann beim Betrachten Laokoons sieht

Soweit die Geschichte und jetzt zu Winckelmanns Blick auf die Figurengruppe.

Dabei wird ein schneller Blick, mit dem wir Heutigen die Welt betrachten, nicht reichen. „Man muss mit ihnen [den Figuren], wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein“, um die Unnachahmlichkeit der Laokoon-Gruppe zu erkennen – das sagt jedenfalls Johann Joachim Winckelmann. Wir müssen also unsere Sehgewohnheiten ändern oder lesen, was Winckelmann schreibt.

 

Auszug aus: Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst

Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.

Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von seinem Laokoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadoleto beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.

Der Ausdruck einer so großen Seele gehet weit über die Bildung der schönen Natur: Der Künstler mußte die Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägete. Griechenland hatte Künstler und Weltweisen in einer Person, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein.

Unter einem Gewande, welches der Künstler dem Laokoon als einem Priester hätte geben sollen, würde uns sein Schmerz nur halb so sinnlich gewesen sein. Bernini hat sogar den Anfang der Würkung des Gifts der Schlange in dem einen Schenkel des Laokoons an der Erstarrung desselben entdecken wollen.

Alle Handlungen und Stellungen der griechischen Figuren, die mit diesem Charakter der Weisheit nicht bezeichnet, sondern gar zu feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Künstler Parenthyrsis nannten.

Je ruhiger der Stand des Körpers ist, desto geschickter ist er, den wahren Charakter der Seele zu schildern: in allen Stellungen, die von dem Stande der Ruhe zu sehr abweichen, befindet sich die Seele nicht in dem Zustande, der ihr der eigentlichste ist, sondern in einem gewaltsamen und erzwungenen Zustande. Kenntlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Leidenschaften; groß aber und edel ist sie in dem Stande der Einheit, in dem Stande der Ruhe. Im Laokoon würde der Schmerz, allein gebildet, Parenthyrsis gewesen sein; der Künstler gab ihm daher, um das Bezeichnende und das Edle der Seele in eins zu vereinigen, eine Aktion, die dem Stande der Ruhe in solchem Schmerze der nächste war. Aber in dieser Ruhe muß die Seele durch Züge, die ihr und keiner andern Seele eigen sind, bezeichnet werden, um sie ruhig, aber zugleich wirksam, stille, aber nicht gleichgültig oder schläfrig zu bilden.

 

Winckelmann erkennt eine edle Einfalt ...

Das, worum es dem Autor in der Hauptsache geht, haben wir jetzt schön öfter gehört. Es steckt gleich im ersten Satz der Abhandlung zur Laokoon-Gruppe: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe“.

„Edle Einfalt und stille Größe“ - was meint Winckelmann damit? Einfalt – einfältig ist doch einer, der ein wenig naiv, vielleicht sogar etwas töricht ist. Im Deutschen Universalwörterbuch steht erstens „auf geistiger Beschränktheit, mangelndem Urteilsvermögen beruhende Arglosigkeit; Naivität“. Passt für den Laokoon also bestimmt nicht! Unter zweitens heißt es dann aber „Einfachheit und Reinheit, Lauterkeit des Geistes, des Gemüts“. Passt! Zu Winckelmanns Zeit war diese zweite Lesart gängig und so kommen wir der Sache näher. Es ist also eine sittliche Komponente, die Winckelmann mit dem Begriff der Einfalt aufruft. Mit dem Adjektiv edel wird die positiv verstandene Einfalt dann auch noch verstärkt. In dem kleinen, aber feinen Wörtchen steckt der Adel und mit dem Adel, der Aristokratie, sind die Besten gemeint. Und so wird die schlichte Formulierung „edle Einfalt“ zu einem Superlativ, der seinesgleichen sucht. In der Laokoon-Gruppe drückt sich ein Adel aus, der sich auf das Wesen, den inneren Kern, die Seele dieser Figuren bezieht. Sie sind nicht nur vornehm qua ihrer Herkunft, sie sind nicht antrainiert vornehm, sondern sie besitzen diese Noblesse ganz selbstverständlich, ganz natürlich. Nichts ist hier gekünstelt, alles ist echt – das eben sieht Winckelmann in den Figuren. Edel ist man oder ist es eben nicht.

 

… und eine stille Größe

Stille Größe – Größe kann sich auf Vieles beziehen, auf die Statur, auf Macht und Einfluss. Was aber ist hier das Thema? Am Ende dieser Geschichte steht der Tod und davor unsägliche Qualen. Die Laokoon-Gruppe zeigt den Moment größten Leidens. Wie dieser Moment gestaltet wird, beschreibt und bewertet Winckelmann mit dem Ausdruck „stille Größe“. „Laokoon erhebet kein schreckliches Geschrei […]: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht“.

 

Laookoon Kopf

 

Laokoon schlägt nicht wie wild um sich. Die Skulptur strahlt im Moment des größten Schmerzes Ruhe und Konzentration aus. Es wird hier ein Konzentrat gezeigt, die Essenz also von dem, was und wer Laokoon ist. An der Grenze zwischen Leben und Sterben wird die Seele sichtbar und diese ist groß, würdevoll. Sie ist es einfach, braucht es nicht zu beweisen, kann ruhig, kann still bleiben – stille Größe eben.

 

Weitere Informationen zur Laokoon-Gruppe Juno finden Sie hier im Goethezeitportal:

http://www.goethezeitportal.de/wissen/projektepool/goethe-italien/rom-aesthetik/die-statuen-im-belvedere-mit-den-beschreibungen-winckelmanns.html

 

>> DIE ÜBERHÖHUNG EINER HISTORISCHEN EPOCHE

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit