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Goethes Italienische Reise
Weitere Orte europäischer Italienreisender
Jutta Assel | Georg Jäger
Capri-Motive auf Postkarten und in alten Ansichten
Eine Dokumentation
Die Insel Capri Teil II
Stand: Dezember 2018 Optimiert für Firefox
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Gliederung
Zum ersten Teil und dritten Teil.
Die Blaue Grotte hat eine eigene Seite im Goethezeitportal. Neben vielen Ansichten und weiteren Texten finden Sie hier auch den Bericht von August Kopisch über die Wiederentdeckung der Blauen Grotte.
Die Ansichten der Insel sind in die Texte eingefügt.
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Einen ganzen Sommermonat lebte ich auf dem Eiland Capri und genoss die Fülle zaubervoller Einsamkeit des Meeres. Nun möchte ich auch diese märchenhaften Erscheinungen festhalten; aber ihre Schönheit, ihre Stille und Heimlichkeit ist mit Worten kaum zu sagen.
Jean Paul hat Capri mit einer Sphinx verglichen; mir kam die schöne Insel, wenn ich sie vom Festland betrachtete, wie ein antiker Sarkophag vor, dessen Seiten schlangenhaarige Eumeniden schmücken; darinnen aber liegt Tiberius. Und so reizte mich dies klassisch geformte Eiland immerdar durch seine Gestalt, durch seine Einsamkeit und die düsteren Erinnerungen an jenen Kaiser Roms.
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Capri. L'isola vista da mare. Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. Verso: 2318. Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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An einem Sonntag, es war die heiterste Frühe, stiegen wir in Sorrento in die Barke und ließen uns nach Capri hinüberrudern. Das Meer war so still wie der Himmel, und alles in weiter Ferne in träumerischem Duft verloren; aber Capri stand vor uns groß und ernst, klippenstarr und felszackengepanzert, in der melancholischen Wildheit seiner Berge und in der Schroffheit der steilen Kalkwände von roter Farbe, fürchterlich und lieblich zu gleicher Zeit. Auf den Höhen braune Kastelle, nun zerfallen; verlassene Strandschanzen mit verrosteten Kanonen, die schon der Ginsterstrauch mit gelben Blumenästen überdeckt; Klippen wild und schartig, in den Äther hinaufgreifend und von Seefalken überflattert, &arquo;vogelheimisch und sonngewohnt&alquo;, wie Äschylus sagt; Höhlen tief unten, dämmervoll und märchenhaft; aber oben auf dem gebogenen Rücken des Eilandes ein heiteres Städtchen mit weißen gewölbten Häusern, mit hohen Mauern und einer Kirchenkuppel; unten an der schmalen Marina der Hafen der Schiffer und viele aufgereihte Barken. Die Glocken läuteten eben und verhallten, da wir an den Strand fuhren, auf dem Ufer aber stand ein Fischermädchen, die Holzbank haltend, welche sie gleich in die Wellen hineinschob, als das Boot landete, damit wir trockenen Fußes ans Land kämen. Wie ich ans Ufer sprang, auf dies seltsame Capri, das ich mir im Norden so oft vorgestellt hatte, fühlte ich mich gleich wie zu Hause. Alles war still und verschwiegen, kaum ein Fischer war zu sehen, nur ein paar badende Kinder an einer Klippe, ein paar Fischermädchen am Ufer, die Felsen ringsumher ernst und still. In eine wilde und zauberische Einsiedelei war ich eingetreten. Und nun ging es von der Marina gleich aufwärts auf einem steilen und mühsamen Pfade zwischen Gartenmauern nach der Stadt Capri.
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Oben: 110 - Capri - Panorama da Tiberio. Verso: Vera Fotografia - Prop. Ris. Sagri Rip. Vietata. Signet: Fotocelere, Torino. Made in Italy. Nicht gelaufen.
Mitte: Capri - Panorama da Tiberio. Verso: 83541 Edit. Domenico Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Produzione Italiana. Nicht gelaufen.
Unten: Ricordo di Capri. Römmler & Jonas, Dresden 8804 g. Verso: Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
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Capri. Panorama col monte Solaro. Verso: Ed. C. Cotini, Napoli. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1914.
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Oben: Capri - Panorama e Punte di Tiberio. Verso: 1074 Casa Editrice Ditta R. Zedda di V. Carcavallo - Napoli. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
Unten: Capri. Panorama. Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. Verso: 2328. Cartolina Postale Italiana. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
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Capri. Entrata del villagio. Verso: E. Ragozino, Edit. - Napoli. Lit. Armanino - Genova. Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
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Tritt man in dieselbe, über eine hölzerne Brücke und durch das alte Tor, so hat man gleich das originellste Bild von Frieden, Bedürfnislosigkeit und Kindlichkeit vor sich. Denn dort sitzen auf den steinernen Stufen der Kirche auf einem ganz kleinen Platze Bürger in ihren Festkleidern und plaudern, hier spielen Kinder mit lärmender Fröhlichkeit, und der Platz selbst sieht aus, als hätten sie ihn im Spiel aufgebaut. Die Häuser sind klein, mit platten und in der Mitte gewölbten Dächern; fast über jedes schlängelt sich ein Rebenstock.
Kaum waren wir in unser Zimmer eingezogen, als uns ein murmelnder Gesang wieder auf die Gasse trieb. Es war Sonntag, und eine Prozession durfte nicht fehlen. Aber wie bizarr und fremd war der Anblick! Sie gingen, Männer und Frauen, jene in weißen Kapuzen, diese in weißen Schleiern, hinter dem Kreuz einher. Um die Kapuzen hatten sie einen grünen Kranz aus den Zweigen des Brombeerstrauchs gewunden, und auch der Strick auf der Schulter zeigte, dass es um Buße zu tun war, denn die Prozession galt der Traubenkrankheit. So zogen sie mit Gesang durch die Straßen, und so heidnisch sahen diese dornbekränzten Gestalten aus, dass es schien, es sei dies ein Zug von Bacchuspriestern, die zu einem Tempel des Dionysos zogen. Fast alle Männer trugen diese Kränze und auch solche, welche nicht in der Kapuze der Brüderschaft gingen. Vor allen fiel mir der Kopf eines alten Invaliden mit silberweißem Haar und Bart auf, der unter dem Brombeerstrauch ganz und gar wie ein Satyr aussah. Hinter den Männern Frauen und Mädchen in langen Schleiern. Weil nun die Gassen so eng sind, dass nur zwei Menschen nebeneinander Raum haben, so waren sie, wenn die Prozession sie durchschritt, von einer Wand bis zur andern erfüllt.
Das war mein Willkomm in Capri. Seitdem lebte ich dort die glücklichsten Tage, und weil ich nun kaum eine andere Stelle der Welt so eifrig durchwandert und durchklettert habe, in allen Höhen wie in allen zugänglichen Grotten der Tiefe, und weil mir Capri und sein Volk so überaus lieb geworden ist, so will ich es mit diesem Inselbilde machen wie dankbare Schiffer, die eine Votivtafel stiften und darunter schreiben: »Votum fecit, gratiam recepit.«
Die Insel hieß bei den Griechen und Römern Caprea oder Capreae. Man will den Namen aus dem Lateinischen erklären, wo er Ziegeninsel bedeutet. Andere leiten ihn aus dem Phönizischen ab, wonach Capraim Zweistadt heißen soll. Den Griechen galt die Insel als ein Sireneneiland, und noch heutzutage hat eine Stelle am Ufer den Namen La Sirena beibehalten. Doch liegen die Sireneninseln des Homer, wie man es einmal angenommen hat, Capri gegenüber an der amalfitanischen Seite des Kaps der Minerva, und dieses selbst, heute Capo di Campanella genannt, wird auch für die Insel der Circe gehalten. Ringsum also ist fabelhaftes, odysseisches Land, die Heimat der Sirenen, deren Gesang den Schiffer hier berückte, wenn er aus dem Golf von Posidonia an diesen schroffen Inselklippen vorüberfuhr. Man weiß nicht, wann Capri seine ersten Bewohner erhalten hat. Vielleicht waren es Osker vom Festland, die sich hier zuerst niederließen. Dass sich auch Phönizier dort ansiedelten, nimmt man für gewiss an, und ihnen schreibt man die Gründung der beiden Städte zu, denn die von Natur in eine niedere und höhere Hälfte geteilte Insel hatte wohl schon vorzeiten zwei Orte; Strabo sagt: »Capri hatte ehemals zwei kleine Städte, nachher nur eine.«
Später kamen Griechen in das schöne Wasserbecken Neapels, den Krater, wie ihn die alten Geographen nennen, und ließen sich an den Küsten und auf den Inseln nieder. Nach Capri aber zogen die Teleboer, Männer akarnanischen Stammes, wie Tacitus und Virgil sagen. Der erste griechische Herrscher der Insel wird Telone genannt.
In jener Zeit, etwa im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt, siedelten sich Griechen an beiden Golfen von Posidonia und Neapel an, sie erbauten Cumae und Neapolis und bemächtigten sich der Insel dieses herrlichen Meers. Dem höchstgelegenen Ort in Capri gaben sie den noch dauernden Namen Ana-Capri oder die Oberstadt. Horcht man auf die Sprache der heutigen Capresen, so möchte man manchen griechischen Laut zu hören meinen, und blickt man in die kleinstirnigen, edelgeschnittenen Gesichter der Weiber, so möchte man hellenische Züge darin erkennen wollen, ein Wahn, der durch die kunstlos ideale Tracht des tiefgeknoteten Haars noch verstärkt wird. Aber die Griechen, obwohl auch noch in nachrömischer Zeit Herren des Eilandes, sind doch sehr ferne Ahnen dieses Inselvolks, in dessen Adern sich das Blut mischte wie in denen der Neapolitaner selbst.
In jener Zeit bauten die Hellenen Tempel auf der Insel, von denen keine Spur blieb. Noch Augustus erfreute sich an den gymnastischen Spielen der Jünglinge Capris, denn zu seiner Zeit hatte diese Insel noch hellenisches Wesen. Er liebte Capri. Er trat den Neapolitanern, welchen sie damals gehörte, das Eiland Ischia ab und tauschte dafür diesen klassisch geformten Felsen ein. Als er nämlich hier am Strande aus dem Schiffe stieg, brachte man ihm als gute Vorbedeutung die Nachricht, dass eine altersdürre Steineiche plötzlich frisch zu grünen begonnen habe. Dies erfreute den Kaiser so, dass er jenen Tausch beschloss.
Die balsamische Luft der kühlen Insel, die seltene Schönheit der Felsform wie der griechische Charakter des Volks behagten Augustus; er baute sich in Capri eine Villa und Gärten. Dieses Landhaus stand nach dem Glauben der Altertumsforscher auf der Stelle, wo heute die mächtigen Trümmer der Villa Giove liegen, welche das Volk vorzugsweise Villa des Tiberius nennt.
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90 Capri - Rovine Villa di Giove - Salto di Tiberio. Verso: Ruocco Raffaele. Vera Fotografia. Ripr. Vietata. Foto-Stampa Angeli - Terni. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
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Oben: Capri - 2 - Villa Tiberio: Verso, Signet: TM im Kreis. Ed. A. Traldi - Milano. Riproduzione interdetta. Made in Italy. Nicht gelaufen. Handschriftlich: Samstag, 9. Okt. 26.
Unten: Capri, Villa Tiberio. Verso: Trampetti & Migliaccio, Napoli. G.&CO. Z. 14766 Deposé. Nicht gelaufen.
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Ohne Zweifel waren es seine letzten Lebensjahre, in denen Augustus das Eiland besuchte. Kurz vor seinem Tode brachte er hier in Gesellschaft des Tiberius und des Sterndeuters Trasyll vier heitere Tage zu, wie Sueton erzählt. »Als er zufällig dem Golf von Puteolis vorbeifuhr, war eben ein alexandrinisches Schiff gelandet; Reisende und Mannschaft legten weiße Gewänder an und bekränzten sich; sie opferten Weihrauch, erhoben sein Lob und wünschten ihm Heil, denn von ihm hätten sie Leben, Schiffahrt, Freiheit und Glücksgüter. Das erfreute ihn so sehr, dass er unter seine Begleiter 400 Goldstücke verteilte; sie mussten ihm zuschwören, dies Geld nicht zu andern Dingen verwenden zu wollen, als von den Alexandrinern Waren zu kaufen. Aber auch an allen übrigen Tagen verteilte er Geschenke, Togen und Pallien, und befahl, dass die Römer griechisch und die Griechen römisch sich kleiden und sprechen sollten. Beständig sah er den Übungen der Epheben (in Capri) zu, von denen noch aus dem alten Institut eine Anzahl übriggeblieben war. Er gab ihnen einen Schmaus und erlaubte ihnen Äpfel und Nachtisch und zugeworfene Geschenke scherzend sich aus den Händen zu reißen, einer dem andern. Und keine Art von heiterem Vergnügen schloss er aus. Ein Capri nahe gelegenes Eiland nannte er Apragopolis wegen des Nichtstuns derer, die aus seinem Gefolge dahin sich entfernten. Einen von seinen Lieblingen, Masgaba, pflegte er, gleich als wäre er der Gründer des Eilands, Ktistes zu nennen. « Bald darauf fuhr er nach Neapel, um dann in Nola zu sterben. Dies hat Sueton von dem letzten Aufenthalt des Kaisers in Capra erzählt. So wenig es ist, so viel ist es doch wert, dies heitere Bild des greisen Augustus, welcher mit den Bewohnern des Eilands fröhlichen Scherz treibt. Und doppelt anziehend wird seine menschliche Erscheinung durch den Gegensatz zu Tiberius. Denn nun folgt: der greise Tiberius auf Capri.
Die kleine Insel war elf Jahre lang Mittelpunkt der Welt. Die Zeit war grau und greisen geworden wie der Eremit dieser Felsenklippe, die Weltgeschichte nur ein düsterer Monolog dieses schrecklichen Mannes. Die Erinnerung an ihn lebt noch im Volk. Nicht Jahrtausende verwischen sie, denn das Böse dauert im Gedächtnis der Menschen länger als das Gute. Sie nennen ihn hier Timberio und nennen Capri Crap; und wo man auf dem Eilande gehen mag, überall sieht man die Tigerspuren des Tiberius. Selbst den ausgezeichneten Wein auf Capri nennt man hier »Tränen des Tiberius«, wie jener vom Vesuv »Tränen Christi« heißt. Sehr hoch muss im Preise der Natur die Träne stehen, die ein Mann wie Tiberius geweint hat.
Er kam auf die Insel im Jahre 26 nach Christi Geburt und lebte hier elf Jahre lang, bis er, bei kurzer Abwesenheit, am Berg Misen erstickt wurde. Er hatte das Eiland zu einem prachtvollen Lustgarten umgestaltet. Seine zwölf den Obergöttern geweihten Villen nebst andern herrlichen Gebäuden müssen Capri in Verbindung mit den großartigen Felsen ein schönes Aussehen gegeben haben. Heute ist die Insel mit Trümmern von Bauten überstreut, und viel birgt noch die Erde unter den Weingärten.
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Capri. Rovine del palazzo di Tiberio. Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. Verso: 2303. Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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Als Tiberius tot war, blieb das schöne Theater seiner Lüste verödet; die Pracht Capris verfiel. Das Volk erzählt, dass Römer auf die Insel kamen und ihre Gebäude niederrissen. Zwar weiß die Geschichte nichts davon, aber sie sagt auch nicht, dass die Nachfolger Tibers Capri besuchten. Caligula war noch mit ihm auf der Insel gewesen, hatte hier zum erstenmal den Bart abgelegt und die Toga genommen und sich in der Schule des Oheims gebildet. Auch der Schwelger Vitellius lebte als Jüngling in Capri. Später duldeten zur Zeit des Commodus sein Weib Crispina und seine Schwester Lucilla die Verbannung auf diesem Eiland, wie Dio Cassius erzählt und ein im vorigen Jahrhundert auf Capri gefundenes Relief bestätigt, welches beide Fürstinnen in der Gestalt schutzflehender Trauer darstellt.
Nachher teilte die Insel das Los der naheliegenden Küstenländer. Sie geriet nach dem Falle Roms in Besitz erst der Barbaren, dann der Griechen, wie Neapel selbst. Sie wurde Eigentum des griechischen Herzogs von Neapel und fiel im neunten Jahrhundert an die Republik Amalfi, welche sie als Geschenk vom Kaiser Ludwig erhielt.
Mit dem Beginn der normannischen Herrschaft in Süditalien kam Capri in den Besitz des tapfern Roger von Sizilien, der die Insel den Amalfitanern entriss, und so wurde sie seither von den Normannen, den Hohenstaufen, den Anjous und Aragoniern besetzt und durch Kapitäne regiert.
Im Jahre 1806 entrissen sie die Engländer den Neapolitanern; sie besetzten sie im Namen des Königs Ferdinand von Sizilien, befestigten sie stärker und gaben ihr zum Kommandanten jenen Hudson Lowe, welcher später als Kerkermeister Napoleons in Sankt Helena unsterblich werden sollte. Fast drei Jahre behaupteten die Engländer Capri, bis die Muratisten durch einen kühnen Handstreich sich des Eilands bemächtigten. Es war der Geschichtschreiber Coletta, damals Ingenieur unter Murat, welcher Capri zuvor auskundschaftete und die Stelle bezeichnete, wo das Felsenufer könnte erstiegen werden. Am 4. Oktober 1808 wurde die Insel nach heftigem Kampf erobert, Hudson Lowe aber als Gefangener nach Neapel abgeführt. Diese Nachrichten mögen hinreichen, uns über die historischen Schicksale Capris aufzuklären. Eindruckslos, bis auf die letzten Ereignisse, sind sie am Erinnern des Volkes vorübergegangen. Es lebt hier allein das Gedächtnis an den grausamen Timberio, und oft war es mir wundersam, den fürchterlichsten Namen der Geschichte aus dem Munde spielender Kinder zu vernehmen. Allerorten hört man ihn, weil er mit dem Lokal verwachsen ist. Die Lebensgeschichte dieses einen Mannes hat das Eiland ganz durchdrungen und zu dem Ernst seiner Natur noch den tragischen Hauch der Geschichte gesellt. Dies gibt Capri den Reiz des Schauerlichen für den, welcher für dunkle Szenen in der Natur und Geschichte empfänglich ist.
Es liegt hier Fürchterliches und Liebliches in einem seltsamen Kontrast. Das lachende grüne Tal stößt hart an schroffe Felsenwände, welche das heitere Pflanzenleben zerreißen und nackt und gigantisch in die Wolken ragen; und wiederum findet das tägliche Bild einfacher Naturmenschen, welche Armut und Frömmigkeit verschönert und die Arbeit veredelt, seinen grellsten Gegensatz, an der immer wieder sich aufdrängenden Vorstellung des finstern Despoten Tiberius.
Die wunderbare Weise, in welcher die Natur hier Entgegengesetztes zu einem plastischen Ganzen verbunden hat, ist es hauptsächlich, was mein Erstaunen erregt. Es gibt hier so viel wüstes Gestein, dass es auf größern Flächen den Eindruck trostloser Öde hervorbringen würde; auf Capri aber ist es anders. Die Natur wehrt hier überall dem Wüsten durch Linie und Form, dem Toten durch die Wärme der Farbe, dem Dürren durch das verstreute Grün, und so stellt sie ein Gemälde dar, in welchem das Große groß und das Fürchterliche fürchterlich bleibt und doch zu gleicher Zeit von der Macht der Form bezwungen ist. Die Berge, Klippen und Täler umfangen den Sinn mit heimlichem Zauber, sie klausen ihn wie in ein Gitter ein, durch das der schönste Golf der Erde hereinscheint, welchen wiederum traumhaft stille Küsten gefangen halten, und so ist es wahrhaft ein magischer Ring, von dem man sich hier umschlossen fühlt.
Die Ähnlichkeit der Natur Capris mit der von Sizilien ist auffallend. Sie ist wahrlich eine Vorstudie dieses großen Insellandes, nicht allein wegen der Dürre des Bodens, sondern auch durch die glühendrote Farbe des Kalkgesteins, durch die phantastisch-grandiose Form der Klippen, und selbst wegen des Pflanzenwuchses.
Die Vegetation ist hier ganz südlich, aber sie ist spärlich. Zwischen dem roten Gestein, wie in die Falten der Berge hineingesät, wächst all das balsamische Kraut der südlichsten Inseln Europas, die Luft mit Wohlgeruch durchwürzend. Dort findet man die Myrte, den Citisus, die Raute und den Rosmarin, den Mastixstrauch und den Albatro, die schönblumigen Heiden. Brombeeren und Efeuranken, wie die Gewinde der Klematis umschlingen Trümmer und Klippen, und der goldgelbe Ginster hängt in vollen Büschen um alle Höhen. Auch der schönste Strauch Capris, welcher zufällig den Namen der Insel trägt, ist nicht das Caprifolium oder Geißblatt, sondern der Kapernstrauch; er hängt sich hier an alle Gemäuer und Felsenwände und schmückt sie mit seinen weißen Blumen voll langer, lilafarbiger Staubfäden.
Um die Abhänge selbst hat der Mensch mit großer Mühe Terrassen angelegt und, indem er durch Aufmauerung kleine Ebenen gewann, Gärten darauf gebaut. Da gedeiht jegliche Frucht und jeder Baum Campaniens. Reichlich wachsen die Eichen, die Maulbeerbäume in großer Zahl; stark und fruchtgesegnet der Ölbaum; sparsam die Zypresse und die Pinie; groß und mächtig der Johannisbrotbaum; überaus fruchtreich und in Menge die Feige; häufig der Mandelbaum; kärglicher die Kastanie und der Nussbaum, aber reichlich die Orange und die Limone, die man in den Gärten in erstaunlicher Kraft findet und deren Früchte oft die Größe eines Kindeskopfes erreichen. Die Rebe wächst hier zwar nicht so üppig wie in Campanien, aber sie trägt schwere Trauben, deren berühmten Feuerwein die Sonnenglut auskocht. Was den Landschaften der kleinen Insel vollends den Charakter Siziliens verleiht, ist die Fülle von Kaktusfeigen. Ihre bizarren, afrikanischen Formen stimmen wohl zu der Dürre der Felsen und ihrer Farbenglut.
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Oben: Capri - La Piazza. Verso: Edit. Domenico Trampetti - Napoli. Gelaufen. Poststempel 1927.
Unten: Ricordo di Capri. Veduta di Capri da via Tragara. 31121 Editori Schaar & Dathe, Trier (Germania). Rappresentante: Otto Brandes, Napoli. Verso: Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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525 - Capri - Panorama col monte S. Michele e Vesuvio in lontanza. Im Bild rechts unten monogrammiert. Verso: Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
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Wie nun die Natur, in Formen und Farben ganz harmonisch, dies Eiland gebildet hat, so scheint sie auch den Menschen gezwungen zu haben, in einem phantastisch-idyllischen Charakter seine Häuser zu bauen. Das Städtchen Capri, welches sich auf dem Bergsattel zwischen den Hügeln San Michele und Castello aufreiht, ist sehr originell. Die Häuser, klein und weiß, haben ein plattes Dach, das sich in der Mitte aufwölbt; auf ihm stehen Blumen, und dort sitzt man in der Abendkühle und blickt in das rosenfarbene Meer. Alle Zimmer sind gewölbt, wie die Unterbauten der Villen aus der Zeit des Tiberius. Das Haus umläuft entweder eine Terrasse, oder es öffnet sich zu einer gewölbten Loggia oder Veranda, welche sehr freundlich aussieht, da sie in der Regel eine Weinrebe umrankt, und schöne Blumen, zumal blaue Hortensien, purpurrote Nelken und rosenfarbiger Oleander reich verzieren. Stößt das Haus an den Garten, so findet sich vor der Türe die Pergola oder Weinlaube. Sie ist der schönste Schmuck der Inselwohnungen; da sie aus einer Doppelreihe von gemauerten und weißgetünchten Säulen besteht, welche das Weinrebendach tragen, gibt diese Menge von Säulen auch dem ärmlichsten Hause einen Anstrich von Festlichkeit, seiner Architektur aber etwas Antikes und Ideelles. Die von der Rebe umschlungenen Säulenreihen sehen oft aus wie Arkaden eines Tempels; sie erinnern mich an die kleinen Häuser in Pompeji. Hie und da steht in den Gärten eine Palme; die herrlichste erhebt sich im Garten des Gastwirtes Pagano, dessen Haus unter den übrigen Capris der Palast zu nennen ist.
Auch außerhalb der kleinen Stadt wohnen Weinbauern zerstreut in ihren Masserien, um die Höhen oder an den Füßen der Felsen. Ein jedes dieser Landhäuser scheint das Asyl der Glückseligen und des Friedens zu sein.
Die Capresen, etwa 2000 an Zahl, sind in der Tat das friedlichste Volk der Welt, milde von Sitten, bitter arm und emsig tätig. Sie sind Acker- und Weinbauern oder Fischer, und nur diese besitzen im allgemeinen ein Eigentum, ihre Barke und den Fisch, den sie fangen. Die anderen sind in der Regel Pächter, weil die meisten Masserien Neapolitanern gehören.
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Oben: [Ohne Titel.] Verso: L'isola di Capri vista dal golfo di Napoli. E. Ragozino - Art Store - Galleria Umberto I. - Naples. Nicht gelaufen.
Unten: [251] Capri - Marina con pescatori. Richter & Co., Napoli. Im Bild rechts unten monogrammiert. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
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Der Pächter zahlt jährlich 80-120 neapolitanische Dukaten Zins, die er samt seinem Unterhalt aus dem Wein, dem Öl und den Früchten erzielen muss. Schlägt die Weinlese fehl, wie nun schon seit drei Jahren, so muss er verarmen, und es ist wahrlich ein Jammer, diese von der Traubenseuche verödeten Weinberge zu sehen und die Klagen der unglücklichen Weinbauern anzuhören. Ich fand Frauen, welche mir sagten, dass sie all ihren Halsschmuck, Ringe und Ohrgehänge verkauft hätten, und dies ist ein Zeichen sehr großer Not, denn nur äußerste Verzweiflung entreißt dem Weibe seinen Goldschmuck. Sie tragen ihn hier beständig, so dass es ein auffallender Widerspruch ist, ein Mädchen elende Lastarbeit verrichten zu sehen, welches lange Ohrgehänge von Gold und auf der Brust ein goldenes Herzchen trägt. Das ist ihr Kleinod, oft ihr einziges Vermögen, aber der Schmuck ist weder vom stärksten noch vom feinsten Golde.
Die Viehzucht Capris ist gering, doch werden jährlich mehr als 200 Stück nach dem Festland geführt, und auch der Käse der Insel lässt sich rühmen. Im Herbst und im Frühjahr nährt die Inselbewohner die Vogeljagd. Es kommen dann Schwärme von Zugvögeln, aus dem Norden rückkehrend oder vom Süden nach dem Norden wandernd, hauptsächlich Wachteln. Die armen Vögel ruhen auf dem ungastlichen Felsen von ihrer Reise aus und werden dann in Scharen ergriffen oder in Schlingen gefangen. Capri hat sonst keine Jagd und kein jagdbares vierfüßiges Tier, weder Fuchs noch Marder, nur eine große Menge von Kaninchen, welche nachts aus den Felsenritzen hervorhüpfen und in die Felder laufen, von der Armut des Landbauern ihr ärmlich Teil zu rauben.
Den dauernden Erwerb sichert den Capresen das Meer. Der Fischer fängt hier Fische jeder Art, auch den Thunfisch und den Schwertfisch, die Murena, vor allem die Sardine und den Calamajo oder Tintenfisch. Dieser wird besonders nachts gefangen. Die Fischer fahren mit der Dunkelheit in See und locken den Fisch durch den Schein einer Fackel an die Oberfläche; das greuliche, polypenartige Tier krallt sich dann in die vielen Nadeln eines rückwärts widerstachelnden Stabes und wird so heraufgezogen.
Der Fischer liegt die ganze Nacht auf See, er kehrt erst mit der Sonne wieder; dann geht es ans Trocknen und Flicken der Netze, dann schläft er ein paar Stunden, dann macht er sich frisch wieder zum Fange auf. Es ist ein armseliges und mühevolles Leben, das Meer oft trügerisch, und nicht ein paar Carlin wert, was eine ganze Fischergesellschaft in dem Netze findet.
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Capri - Marina Grande dalle rovine di Tiberio. Verso: 194 - Ediz. Vincenzo Carcavallo - Napoli [unleserlich] - 1938-XVI. Signet_ CAR mit Pferdchen im Kreis. Rip. interdetta. Vera Fotografia. Fotocelere. Gelaufen. Datiert 1938, Poststempel unleserlich.
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Oben: Capri - Marina Grande. Verso: 65465 - Ediz. Domenico Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Produzione Italiana. Nicht gelaufen.
Unten: Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 8159. Capri - Marina grande. Verso: Edit. Brunner & C., Como - Zürich. Stab. eliografico. Cartolina Postale Italiana. Gelaufen. Poststempel 1908.
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Capri. Marina Grande. Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. Verso: 2323. Cartolina Postale Italiana. Gelaufen. Poststempel 1905.
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Capri - Marina grande. Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 10774. Edit. Brunner & C., Como e Zürich. Stab. eliografico. Wiederholung des Signets im Briefmarkenfeld. Nicht gelaufen.
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Das emsige Leben an der Marina grande, dem einzigen Hafen der Insel, wo eine Reihe von Häusern steht, gewährt zu allen Zeiten einen großen Reiz. Der Strand ist hier kurz und schmal, vor dem Wogenschlage nicht sicher und gibt nicht Raum genug. Deshalb werden die Kähne beim Sturm in gemauerte Schuppen hineingezogen.
Es gibt etwa hundert Barken auf diesem Strande, und drei große vermitteln den Verkehr zwischen der Insel und dem Festlande. Jeden Dienstag und Freitag kehren diese aus Neapel zurück, wohin sie tags zuvor abgegangen waren. Dann gibt es das bunteste Treiben auf dem Ufer, weil auch Mädchen und Frauen von Ana-Capri die große Felsenstiege herabkommen, um dasjenige in Empfang zu nehmen, was die Barke für sie gebracht hat. Ist das Meer bewegt, so springen, ehe das Boot landet, die jüngsten Fischer in die Wellen; sie stürzen sich kopfüber in das Wasser wie Taucherenten; die in der Barke werfen ihnen Taue und Ruder zu, es vermindert sich die Last des Schiffchens, da einer nach dem andern über Bord springt. Jene zu Land ziehen das Fahrzeug mit lautem Geschrei am Tau, und die Stimme des Barkenpatrons übertönt das Rauschen der Brandung und das wilde Rufen aller dieser zu fieberhafter Tätigkeit aufgeregten Menschen. Am Strande harren die Weiber auf das Mitgebrachte; es sind Gemüse, Melonen, Zwieback oder Kleidung und sonstiger Hausbedarf. Auch mancher Blumenstrauß von Napoli wird mitgebracht, und manche neugedruckte Kanzone vom Kai Santa Lucia.
Fast alle Barken der Marina gehören Fischern in Capri, nur wenige auch Leuten von droben in Ana-Capri. Denn die Natur hat dieses zweite Städtchen der Insel vom Meere abgesperrt. Dagegen gehen viele junge Männer Ana-Capris und mehr als von Capri in die Fremde auf den Korallenfang. Jährlich verlassen ihre Heimat etwa 200. Für Rechnung der Korallenhändler in Torre del Greco wagen sie sich in ihren Barken in die Meerenge von Bonifazio und an die Küsten Afrikas. Sie gehen im März und kommen im Oktober wieder; dann finden sie, was seitdem das Schicksal in ihrer kleinen Welt zur Freude und zum Leide gereift hat, Treue und Untreue, neues Leben und plötzlichen Tod. Wenn sie hundert Dukaten gewonnen haben, heiraten sie ihren Schatz. Denn in Capri gelten hundert Ducati als Erfordernis zum Heiraten.
Auch an den Strand Capris treiben viel Korallenstücke. Die kleinen Fischerkinder und die jungen Mädchen sammeln sie; sie flechten ganz kleine Körbe von Stroh und tun in sie hinein rote Korallen, Seepferdchen und Meersternchen und kleine bunte Muscheln, und wenn du am Strand entlang gehst, vertreten sie dir den Weg und bieten dir das zierlichste Körbchen mit lachenden Augen zum Kauf an, so dass du es wohl kaufen wirst.
Ja, alles ist hier graziös, lieblich und klein, und gar reizend die Beschäftigung der Mädchen in den Häusern, wo sie die schöne goldgelbe Seide aufhaspeln oder abspinnen und die bunten Bänder weben. Die Industrie der Frauen besteht hier in etwas Seidenkultur, hauptsächlich im Weben von Band, sowohl droben in Ana-Capri als drunten. Viele Webstühle sind dort tätig. Die Mädchen sitzen dabei von Sonnenaufgang bis zur Nacht. Die Baumwolle oder die Seide liefert ihnen der Kaufmann von Neapel, der ihre Arbeit dürftig bezahlt. Sie weben Band in allen Farben. Der stillen homerischen Geschäftigkeit bei so reizend frauenhaftem Tun, in den kleinen gewölbten Gemächern oder auf den Terrassen, unter den blühenden Blumen und bei dem beständigen Anblick des Meeres sieht man gerne zu.
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Oben, links: Panorama di Capri. Im Bild signiert: F[rancesco] Coppola[-Castaldo, geb. 1845; Landschaften und Marinen aus der Umgegend von Neapel]. Verso: Ed. Ditta Roberto Zedda di V. Carcavallo. 2799-17. Im Briefmarkenfeld: Stampata in Italia. Nicht gelaufen.
Oben, rechts: Capri. [247] Ediz. Artistica Richter & Co. Napoli. Propr. Riserv. Verso: Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
Unten: Capri - Una strada del paese - Costume. Verso: Ediz. Domenico Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Produzione italiana. Nicht gelaufen. Handschriftlich: 1.-12. Okt. 26.
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Louis-Léopold Robert (1794-1835) Orangenpflückerinnen auf Capri. Öl auf Leinwand. Höhe 47; Breite 37 cm. Quelle: Franz Mosele. Sammlungskatalog Aargauer Kunsthaus Aarau. Bdd. 1. Gemälde und Skulpturen vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Aarau 1979, Nr. 68.
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Die Mädchen in Capri sind weniger schön als graziös. Ihre Züge haben oft etwas Fremdartiges. Die Linien der auffallend kurzstirnigen Gesichter sind regelmäßig und manchmal sehr edel geschnitten; das Auge ist von einem glühenden Schwarz oder von einem schwülen Grau. Die braune Farbe, das schwarze Haar, das umschlungene Kopftuch, die Korallen und die goldenen Ohrgehänge geben dem Antlitz etwas Orientalisches. Ich sah oft, besonders aber in dem ganz verlassenen Ana-Capri, Gesichter von einer wilden, seltsamen Schönheit, und blickte ein solches, die Haare verwirrt, die Augenbrauen schwarz und scharf gezogen und die wetterleuchtenden Augen groß aufgeschlagen, vom Webstuhl in der dunklen Kammer empor, so war es, wie ich mir das Antlitz einer Danaide denke. In Capri dagegen sieht man auch Gesichter, welche denen der Gestalten Peruginos und Pinturicchios ähneln und oft von einem auffallend schwärmerischen Ausdrucke sind. Sie tragen die Haare kunstlos schön, am schönsten in Ana-Capri, tief herabgeknotet, einen silbernen Pfeil hindurchgesteckt. Manchmal binden sie den Mucadore wie einen Fes auf und gleichen dann wahrlich den Frauen einer fernen Zone. Ein ganz allgemeiner Schmuck der Weiber Capris und köstlicher als Gold sind ihre Zähne. Ich glaube, die Menschen in Capri haben so herrliche Zähne, weil sie nichts zu beißen haben.
Man muss diese zierlichen Gestalten in Gruppen vereinigt sehen oder sie betrachten, wenn sie bergauf kommen, die antikgeformten Wasserkrüge oder Körbe voll Erde oder Steine auf den Köpfen tragend. Weil sie arm sind, erwerben sie sich durch Lastträgerdienste kümmerlichen Lohn. Das Mädchen in Capri ist das eigentliche Lasttier der Insel. Man sieht die lieblichsten Kinder von 14 bis 20 Jahren, Gabriele, Constanziella, Mari Antonia, Concetta, Teresa und so viele andere, deren Köpfe draußen in England, in Frankreich und Deutschland auf manchem Gemälde bewundert werden, vom Meeresstrand aufwärts Lasten, kaum für Männerstärke zwingbar scheinend, auf eben diesen Köpfchen tragen.
Wenn ich die Armut in dem friedlichsten und heitersten Bilde malen sollte, so würde ich sie darstellen in der Gestalt der schönen Costanziella. Wenn sie den heißen Tag hindurch eine Pyramide von Steinen auf ihrem Köpfchen nach dem alten malerischen Kloster befördert hat, dann lehnt sie des Abends in der kleinen Tür ihres Hauses und ergötzt sich mit der schönsten Musik. Denn sie ist eine vollendete Virtuosin auf der Maultrommel oder dem Brummeisen. Sie hat mir manches reizende Stück darauf vorgespielt, mit einer unnachahmlichen Kunst und Grazie, allerlei Meerphantasien, Sirenenkantaten aus der Blauen Grotte, Lieder ohne Worte, wunderbare Arien, die kein Sterblicher gehört hat noch zu benennen weiß. Das alles spielte sie meisterhaft, wobei ihre schwarzen Augen wie Sirenen lachten und die schwarzen krausen Haare um die Stirn sich ringelten, als tanzten sie vor Seligkeit. Wenn Costanziella ihr Konzert ausgespielt hatte, so lud sie mich mit den feinsten Manieren zum Abendessen ein, oben auf dem Dach bei ihrer Mutter; da gab es reife indianische Feigen von dem einzigen Kaktusbaum, der vor dem Hause stand, welche sie sehr geschickt mit dem Messer abzureißen wusste, ohne sich die kleinen Finger mit den Stacheln zu verletzen. Ihre Mutter war eine Frau zum Malen, wie man sagt, und unterhielt sich am liebsten von Nahrungsmitteln. Costanziella aß niemals Fleisch, sie trug nur Steine und spielte des Abends die Maultrommel, dazwischen aber aß sie trocknes Brot und Pataten mit Salz und Öl. Sie lachte einmal laut auf, als ich sie fragte, ob sie schon einmal im Leben Braten gegessen habe. Frischer aber und blühender und ringellockiger war weder Hebe im Olymp, noch Circe, noch die delische Diana, und keine war heiterer und mit dem Brummeisen verständiger.
Alles trägt hier einen Zug von Kindlichkeit, und selbst in den schönen Greisengesichtern mancher Männer und Frauen kann man diesen Zug kindlicher Einfalt wiederfinden. Unter den Kindern gibt es viel bildschöne Mädchen und Buben, und obwohl sie wild und kaum unterrichtet aufwachsen, setzt ihre Fassungskraft doch in Erstaunen. Alle tragen ein Amulett am Halse, die ganz kleinen geweihte Hörnchen gegen den bösen Blick, die größern eine Marienmünze oder ein kleines, auf Zeug gesticktes Bild der Madonna del Carmine.
So also ist das Volk in Capri, und weil der enge Raum alles zusammenhält, dringt der Fremde schon nach wenig Tagen in die Verhältnisse der Bewohner ein und wird mit ihnen bekannt und vertraut. Es schwindet so sehr alles Gefühl der Fremde, dass man sich gewöhnt, sich als Mitglied dieser kleinen Volksgemeinde zu betrachten. Auf dem Platz am Tor drängt sich alles Öffentliche zusammen, der Verkauf von Handelsartikeln, die ganz der Bedürfnislosigkeit dieser Menschen entsprechen, wie das Festleben an Kirchentagen und das tägliche Vergnügen der Muße und des Geplauders nach der Arbeit. Dann und wann unterbricht die beschauliche Einsamkeit die Ankunft von Reisenden, welche im Gasthause Don Micheles einkehren, die Merkwürdigkeiten der Insel zu besehen und gleich wieder zu verschwinden. Aber es bildet sich ein Stamm von Gästen, die zusammen an einer Tafel speisen; meistens sind es Maler von verschiedenen Nationen, und diese Künstler werden bald zu einer charakteristischen Staffage der Insel, denn überall sieht man sie sitzen und malen, bald eines jener Häuschen mit der Weinlaube, bald einen Felsen, bald eine Baumgruppe oder eine Uferansicht.
Es gibt nichts Herrlicheres, als auf dieser schönen Scholle umherzuschlendern; an den Klippen entlang zu klettern oder am Meer zu spazieren, wo die Wellen wohlig rauschen und das ausatmende Seegras diesen scharfen, fast betäubenden Meeresgeruch verbreitet. Die stillste Einsamkeit und die Weite des Golfs mit seinen fernen Inseln und Küsten ist ganz wunderbar ergreifend, und wohl kann man stundenlang auf dem Felsen sitzen und dem Farbenspiel auf den Küsten und dem Meere zuschauen.
Ich nun führe euch allerwegen auf der Insel umher, denn gar wohl bin ich hier zu Hause. Zuerst gehen wir nach der Stelle, wo einst das alte Capri lag, welches jetzt verschwunden ist, seit es die Sarazenen zerstörten. Aber dort, wo die schroffen Felsen Ana-Capris plötzlich emporsteigen, liegt in den Gärten noch der letzte Überrest der alten Stadt, die Kirche San Costanzo. Sie war die Parochie der Insel und Sitz des Bischofs; denn Capri war seit dem zehnten Jahrhundert ein Bistum unter der Hoheit des Erzbischofs von Amalfi und blieb es bis auf das Jahr 1799; seitdem wurde der bischöfliche Stuhl nicht mehr besetzt, sondern die Kirche Capris unter Sorrent gestellt.
San Costanzo ist klein, plump und ganz dörflich. Um sie her sieht man altes Gemäuer im Boden stecken. Man fand dort viele Graburnen, Reliefs und Münzen, und noch heute zeigt man in einem Weingarten einen großen Marmorsarkophag, welcher vor Jahren dort ausgegraben worden ist. Seit man die Altertümer der Inseln überhaupt durchsuchte, wurden Statuen, Reliefs, Mosaiken, Urnen und Säulenüberreste teils von den Bauern um ein Spottgeld verschleudert, teils von Agenten an Privatpersonen fortgegeben, teils heimlich beiseite gebracht.
Vieles raubten die Engländer während ihrer dreijährigen Anwesenheit, und nur das Wenigste hat man nach Neapel für das Museum gerettet. Nirgends in der Welt, so scheint es, ging man mit Altertümern so liederlich um als in Neapel.
Erst die Ausgrabungen in Pompeji lenkten die Aufmerksamkeit der Archäologen auch auf Capri, der erste, welcher die Insel durchsuchte, war, soviel ich weiß, Luigi Giraldi von Ferrara im Jahre 1777, dann folgten ihm Hadrawa, und im Anfange dieses Jahrhunderts Romanelli, dann Giuseppe Maria Secondo und der Graf della Torre Rezzonico, welche alle Schriften über Capri veröffentlicht haben. Noch 1830 wurde Feola mit Ausgrabungen auf der Insel beauftragt und lebte daselbst längere Zeit. Man deckte also die Trümmer auf und fand an vielen Orten noch ziemlich erhaltene Gemächer und manches Kunstwerk aus der besten römischen Epoche. Aber weil der Insulaner den Boden brauchte, warf er die Ausgrabungen wieder zu, verwischte ihre Spuren und pflanzte über den Altertümern seine Gärten. Auch birgt an manchem Orte die Erde, was noch nicht ans Tageslicht gezogen ist. Viel Marmor sieht man im Pflaster der Wege Capris und in Ana-Capri auf der Ebene Damecuta. Auch findet sich hie und da eine Marmorplatte mit zerstörter Inschrift als Schwelle an Haustüren benutzt. Fundamente alter Gebäude aber gibt es viel, und wo man wandern mag, unterbricht Träumerei und Nachdenken irgendein antiker Überrest.
Nicht weit von San Costanzo stand eine der alten Villen des Tiberius hart am Meer. Hadrawa ließ sie im Jahre 1790 ausgraben, fand ihren größten Teil bereits verwüstet, aber doch noch immer ansehnliche Reste, darunter zwei schöne Säulen von Cipollino, zwei von Porta Santa, ein herrliches korinthisches Kapitäl, welches heute im Museum Neapels steht, zwei prächtige Fußböden, von denen einer an einen Engländer, der andere an die Gräfin Woronzow kam, endlich einen Altar der Cybele, welchen der Ritter Hamilton an das Britische Museum zu bringen wusste. Heut ist der Palast das Bild der wüstesten Zerstörung. Große Massen von Gemäuer sind ins Meer gestürzt, andere bedecken den Küstenabhang, doch erkennt man noch eine Reihe von Gemächern und einen gemauerten Halbzirkel, vielleicht einst der Tempel der Gottheit, welcher die Villa geweiht war. Eine zerbrochene Säule von orientalischem Granit ragt aus dem Schutt hervor.
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Oben: 21-200. Capri - Il Castello. Verso: Fotoedizioni Brunner & C., Como - Riproduzione vietata. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
Unten: Capri - Ruderi Castello Castiglione. Verso: Capri. Die Ruine des Castell Castiglione. Signet: RRN. Nicht gelaufen.
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Noch dürftiger sind die Reste der Villa, die einst jenen schönen Hügel Castello krönte, der sich hart über der Stadt am südlichen Ufer erhebt. Von der Seeseite zeigt er sich als schroffe Felsenwand, welche mittendurch eine Grotte zerreißt. Nach der Landseite zu umgeben ihn Weingärten, oben aber trägt er das am besten erhaltene Kastell Capris, ein kleines Fort mit krenelierten Mauern und Türmen, welches der Insel einen mittelalterlichen Charakter gibt. Dort grub Hadrawa im Jahre 1786 nach und entdeckte Bäder und Kammern in großer Zahl, doch schon verwüstet, und fand Fußböden, Bildsäulen, eine schöne Vase von weißem Marmor, ein Relief, das den Tiberius opfernd vorstellt, eine Gemme mit dem Bilde des Germanicus und andere Figuren von Marmor und Stuck. Man verschleuderte auch diese Gegenstände an Hamilton, an den Maler Tischbein, an den Fürsten Schwarzenberg, an unbekannte Russen und Engländer. Im Jahre 1791 schüttete man die Ausgrabungen wieder zu. Doch was sind alle Raritäten des Altertums gegen diesen Blick vom Hügel Castello in das Meer Siziliens, in den blauen Golf von Neapel und auf die majestätische Felsenbildung Ana-Capris. Auch die schroffsten Abstürze des südlichen Ufers übersieht man hier und jene drei hochragenden Klippen, welche Faraglioni heißen.
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Oben: [Ohne Titel.] Verso: Capri - Marina piccola e i Faraglioni. D. Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: "Astro" Edizioni d'Arte. Stampata in Italia. Nicht gelaufen.
Unten: Isola di Capri. Marina Piccola coi Faraglioni. Stengel & Co., Dresda 11255. Verso: Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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Oben: Capri - Marina piccola. Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 21-10. Edit. Brunner & C., Como - Ripr. viet. XVII. Wiederholung des Signets im Briefmarkenfeld. Nicht gelaufen.
Unten: Capri - I Faraglioni della Piccola Marina. Verso: Casa Editrice Ditta R. Zedda di V. Carcavallo Baldacchini 29 - Napoli Ediz. Depositata. 32941. Signet im Briefmarkenfeld: RZN. Nicht gelaufen.
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Capri - Piazzetta - Piccola marina. Verso: Ediz. Domenico Trampetti - Napoli. Post Card. Im Briefmarkenfeld: Produzione italiana. Nicht gelaufen. Handschriftlich: 1. Oktober 26.
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21-127. Capri - Marina Piccola. Verso: Fotoedizioni Brunner & C., Como - Riproduzione vietata. Signet im Briefmarkenfeld: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. Nicht gelaufen.
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Oben: 30.009. Capri - Parco Augusto. Gelaufen. Datiert 1937. Poststempel unleserlich.
Unten: 977. Capri - Faraglioni presi da Villa Krupp. De Luca, Gentile & C. - Napoli. Verso: Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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Oben: Capri - Armonie Serali. 1044. Verso, Signet: L<. Editeurs: l. & L. Nicht gelaufen.
Mitte: Isola di Capri - Punta Tragara e Faraglioni. Verso: Carte Postale. Nicht gelaufen.
Unten: Capri I Faraglioni. Giuseppe Morgano - "Zum Kater Hiddigeigei" - Capri. Verso: Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
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Franz Skarbina (1849-1910): Am Strand auf Capri, 1883. Aquarell und Deckfarbe auf Papier. Quelle: Grisebach 5 / 2012. Ausriss.
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Capri - I Faraglioni. Verso: N.3 - Ed. V. Carcavallo - Napoli. Rip. interdetta. Vera Fotografia. Fotocelere. Signet: CAR vor Pferdchen im Kreis. Nicht gelaufen.
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Oben: Capri - Un tramonto dai "faraglioni". Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 21-77. Edit. Brunner & C., Como - Ripr. viet. 1938. Wiederholung des Signets im Briefmarkenfeld. Nicht gelaufen.
Unten: Capri - Panorama dai "faraglioni". Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 8172. Edit. Brunner & C., Como e Zürich - Stab. eliografico. Nicht gelaufen.
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Dem Hügel zu Füßen liegt eine der märchenhaftesten Stellen des Eilands, die kleine Marina, ein schmaler Strand auf der südlichen Seite, in wüste Klippen eingebogen, deren schwarze Blöcke das Ufer bedecken und im Meer eine kleine Halbinsel bilden. Zwei Fischerhäuser sind dort wie Klausen ins Gestein gebaut, welches für ein paar Barken notdürftigen Schutz gewährt. Der Strand ist ein bizarres Spielwerk der Natur und der einzige auf der ganzen Südküste Capris. Wenn man dort sitzt, ist man ganz aus der Welt verloren. Der Golf von Neapel mit seinen Inseln, Küsten und Segeln ist entschwunden, und vor dem Blick dehnt sich die uferlose See aus, weit in die Ferne, wo Sikelia und Afrika beisammen liegen. Dort sitzt man und blickt in die endlosen Wasser und lässt Phantasieschiffchen nach Palermo und Cagliari und nach Karthago abschwimmen, eins nach dem andern. Wild und schauerlich ist alles umher, eine öde Felsenwüste, zu beiden Seiten gewaltige Höhlen hoch im Ufer selbst, zur Rechten das Kap Marcellino, eine kolossale braune Bergmasse, ins Meer hineingelagert, zur Linken gezackt und gezinnt wie ein Schloss das Kap Tragara, und neben ihm die seltsamen Klippenkegel Faraglioni, über hundert Fuß hohe, unersteigliche Riffe, welche mitten in den Meereswellen stehen gleich Pyramiden im See von Möris. Die eine ist wie von Menschenhand abgeglättet, die andere phantastisch ausgezackt. Ihr dunkler Schatten wallt auf der Flut und macht sie melancholisch, aber die Mitte der einen Klippe durchbricht eine Höhle in prächtiger Bogenform, so dass die Barke hindurchfahren kann. Auf ihren Spitzen schwanken im Seewind Zwergbäume und verwilderte Gräser, und es sitzt dort die Möwe oder umflattert sie, ihre junge Brut im Fluge übend.
Wenn du hier sitzest, so wird dir die Stelle aus dem »Gefesselten Prometheus« des Äschylus einfallen, wo er, an die Klippe geschmiedet, plötzlich den heranwitternden Flügelschlag der Okeaniden und ihren Chorgesang vernimmt. Ich habe den Seevögeln an jenen Klippen oft am Morgen zugehört, wenn sie in ihrer heiligen Frühe, da das Meer zu schimmern beginnt, von den Felsen stürzen, in die Wellen hineinjauchzend mit langen Flügelschlägen, oder am Abend, wenn es still wird, wo sie gern einsamlich auf den Faraglioni stehen und verlorene, harfenstimmige Laute ausstoßen, die man nicht hören kann, ohne in eine märchenhafte, elementarische Stimmung zu geraten. Denn der Gesang der Meervögel ist liedlos wie das Geräusch der Wellen und erweckt wie die verschwebenden Akkorde der Äolsharfen eine unbestimmte Sehnsucht in die Ferne.
Es waren auf den Faraglioni, wie ich wohl weiß, auch Möwen zum Besuch aus der Insel Ustica und von der Grotte Alghero aus Sardinien; wenn ich nun noch zwanzig Jahre jünger gewesen wäre, so hätten sie mir den Gefallen getan, mich über Meer nach jener seltsamen Grotte zu tragen, oder in den schönen Orangenwald von Milis auf Sardinien, wo 500 000 Orangenbäume beisammenstehen und ihre Millionen Blüten und Goldfrüchte tragen, und die Nachtigallen alle diese Blüten und Goldfrüchte Tag und Nacht besingen. Dort hätten sie mich eines Morgens abgesetzt unter dem größten Orangenbaum Europas, der so groß ist wie eine Eiche, und unter welchem der Marchese Boyl seine Gäste zu Nektar und Ambrosia einladet.
Siehe da, ein Phantasieschiffchen, welches abgeschwommen ist!
Aber in Wahrheit, wer kann an der kleinen Marina in Capri liegen ohne solche Träumereien? Die Wildheit dieser Uferszenen und ihre Verlassenheit ist gar zu zauberhaft, und vollends im Mondlicht oder bei wogender See, wenn die Höhlen schlürfend Welle auf Welle hinunterziehen, oder in der Stille der Nacht, wenn um die Riffe und die dunklen Kaps Lichter aufblitzen, Fackeln der Fischer, die sterngleich und wie Meteore in den Wellen bald verschwinden, bald wieder aufglänzen, eins um das andere, das dritte und das vierte, und hier noch eins und dort am Kap wieder eins um das andere.
Man sieht die Fischer auf den weißen Kieseln des Strandes sitzen, ihre Netze ausbessernd, und mitten in dieser klippenstarren Öde hat ihre stille Geschäftigkeit etwas Seltsames. Sie scheinen geheimnisvoll, als wüssten sie wunderliche Dinge von der Tiefe und den Sirenen, die dort wohnen. Ein schroffer Fels über dem kleinen Strand heißt auch die Klippe der Sirenen. Die Phantasie des Volks wählt immer die passendsten Bezeichnungen für ein Lokal, und keins in Capri ist so sirenisch als dieses. Man kann hier stundenlang, wie vom Meeresduft betäubt, auf den Klippen liegen und das grüngoldene Wasser ansehen; das wogt und wallt unten, flimmert und atmet, saust von Fittichen in stiller Luft, und unausgesetzt tönt das sommerliche Singen der Zikade, deren Lieder die Luft zu durchschillern scheinen wie fliegende Sonnenstäubchen und wie das Flimmern der Hitze um die Felsen. Luft, Licht und Duft durchdringen alle Sinne.
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Capri. La Marina piccola. Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. Verso: 2319. Cartolina Postale Italiana. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
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Zwischen den Faraglioni und der kleinen Marina wölbt sich über Kalksteinblöcken eine der geräumigsten Grotten dieser an Höhlenbildungen so überaus reichen Seeküste. Sie heißt »La grotta dell' arsenale«. Das Wasser bedeckt sie nicht, sie ist eine Erdhöhle. An ihren Wänden klebt noch römisches Mauerwerk, und es zeigen sich auch Spuren von Kammern. Nun lehrt der Name der Höhle wohl richtig, das sie einst ein Vorratshaus für die Marine war, wenn nicht auch eine Schiffswerft für die Galeeren des Tiberius, denn sie ist hoch genug, und an ihrem Eingange sieht man auch manche Spur des Eisens, welches das Gestein bearbeitet hat. Der Ort heißt »L'unghia marina«. Manche Reste alter Gemäuer zeigen sich hier, am steinigen Ufer wie auf der Höhe. Auch am Kap Tragara, um welches die Faraglioni und die Klippe Monacone im Wasser stehen, erblickt man antikes Gemäuer. Wohl befand sich hier zur Zeit des Tiberius ein kleiner Port. Vielleicht führte ein bedeckter Gang von der darüber gelegenen Villa des Berges Tuoro zu dem Hafen, wo für Fälle der Not gerüstete Galeeren lagen. Denn auch auf dieser Inselscholle schwebte der Tyrann in steter Furcht und hatte alle Anstalten getroffen, dass er zu jeder Zeit seewärts entfliehen konnte.
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21-45. Capri - La Certosa ed i Faraglioni. Verso: Fotoedizioni Brunner & C., Como - Riproduzione vietata. Signet im Briefmarkenfeld: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. Nicht gelaufen.
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Oben: Capri - I - Panorama - Certosa. Verso, Signet: TM im Kreis. Ed. A. Traldi - Milano. Riproduzione interdetta. Nicht gelaufen.
Mitte: Capri - Certosa (esterno). Verso: Domenico Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Produzione italiana. Post Card. Nicht gelaufen.
Unten: 1 - Certosa di Capri. Verso: Kleine Zisterne und Augustusgarten. Signet: Fotocelere di A. Campassi Torino Via Marochetti 41 - 1937 - XV. Vera Fotografia "Virdux". Da fotografia White - Capri. Rip. interdetta. Nicht gelaufen.
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Man kann am Kap Tragara aus der Barke steigen und zum Hügel Tuoro grande hinaufklimmen. Da oben ist es schön wie auf jedem Gipfel Capris. Nun senkt sich zwischen dem Tuoro und dem Castello zum Meer das Tal Tragara, welches von Reben und Ölbäumen grünt. Auf seinem Rande steht der schönste mittelalterliche Bau der Insel, die Certosa, ein jetzt verlassenes Kloster. Es nimmt einen großen Raum ein; seine originelle Architektur, seine Arkaden, geschnörkelten Glockenstühle und Terrassen, und die Reihe gewölbter Dächer heben sich aus dem Grün und auf dem Hintergrunde des blauen Meeres so grotesk hervor, dass dieser Anblick zu dem Reizvollsten gehört, was die Insel besitzt. Das schlanke turmlose Schiff der Kirche ist zugleich das einzige Gebäude Capris, welches ein gotisches, mit roten Ziegeln gedecktes Dach hat. Tritt man in den Kreuzgang, so erfreut man sich an dem großen, von Arkaden umschlossenen Raum. Die Zellen nun gar, die kleineren Höfe und die verwilderten Gärten, welche die üppigste Vegetation bedeckt, machen dieses öde Kloster zu einem romantischen Labyrinth.
Die Certosa wurde im Jahre 1363 von einem edeln Capresen, Giacomo Arcucci, gegründet. Sein Weib war unfruchtbar geblieben wie Sara; er aber hatte ein Kloster zu bauen gelobt, wenn ihm der Himmel zu einem Sohn verhelfen würde. Eilig tat dies der Himmel und nahm den Mann beim Wort; da baute er ein Gotteshaus nach dem Plan jener herrlichen Certosa San Martino, welche auf dem Vomero Neapels steht. Mit der Zeit wurde dies Kloster reich, die besten Äcker Capris fielen ihm zu. Aber die Parthenopeische Republik hob dasselbe und noch zwei andere Klöster in Capri auf, und ihre Güter fielen an den Fiskus.
Auch im Tal Tragara sieht man antikes Mauerwerk, und hier wollen die Archäologen die Stelle der alten Ephebenschule und die Fundamente der Villa Julia erkennen, welche Augustus zu Ehren seiner verliebten Tochter gebaut haben soll. Auch die Sellaria des Tiberius verlegt man hierher, jenes schändliche Lusthaus, von welchem Sueton erzählt, dass es mit den frivolsten Bildern ausgestattet war. Indes was jene Trümmer bedeuten weiß man nicht, und selbst vor den großen Mauerresten, die über der Tragara bis Tuoro grande in einer gebogenen Linie fortlaufen, kennt man die ehemalige Bestimmung nicht. Man nennt diese Mauer Camerelle, wie einen ähnlichen Überrest in der hadrianischen Villa zu Tivoli. Sie ist teils aus Kalkstein, teils aus Ziegeln fest und stark aufgebaut und zeigt an ihrer Außenseite nebeneinander gereihte Kammern, deren Wölbungen noch zu erkennen sind. Die Meinung Rasarios Mangone, diese Camerelle hätten eine Straße getragen, die zur Villa Tibers hinaufführte, mag wohl richtig sein. Die Straße teilte sich dreifach; die eine wird nach dem Berg Tuoro, die andere nach der Villa auf San Michele, die dritte zu der des Zeus geführt haben.
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Oben: [Ohne Titel.] Verso: Capri - Panorama e Monte S. Michele. Signet: Uniti. Grand Hotel Quisisana; Tiberio Palace Hotel; Hotel La Palma. Società del Golfo per Esercizio Alberghi. Rechts unten: Editori Alfieri E. Lacroix - Roma. Nicht gelaufen.
Unten: Caesar Metz (1823 Mainz - München 1895) Sommerliche Landschaft auf Capri mit Bauernhaus. Öl auf Leinwand. Höhe: 30,5; Breite 41,5 cm. Um 1852/53. (Ausriss)
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Über den Camerelle erhebt sich der schöngeformte Hügel San Michele, eine der reizvollsten Höhen des Eilandes, von der man die herrlichste Ansicht auch der unten liegenden Stadt genießt. Über sie ragt das Fort Castello, hoch über diesem stehen die schroffen Felsen des Solaro, zu beiden Seiten grüne Täler und das blaue Meer. Dass auf dem Gipfel San Michele einer der schönsten Paläste des Tiberius stand, sagt schon die Lage dieses Ortes. Man sieht schon am Fuß des Berges mächtige Trümmer, Reihen von gewölbten Kammern, ohne Zweifel die Unterbauten der sanft aufsteigenden Straße. Oben auf der Fläche stehen Gärten und Vignenhäuser auf hohlem Boden, der unter den Füßen klingt und anzeigt, dass unten Gewölbe liegen. Man sieht auch römische Mauerungen in Netzarbeit und mehrere alte Gemächer. Das eine zeigt Spuren einer Kapelle, die dem heiligen Michael geweiht war, und von ihm hat der Berg den Namen. Heute steht ein Kirchlein dieses Heiligen ganz einsam am Berge und zieht durch seine originelle Architektur den Blick auf sich.
Man grub auch auf San Michele manches aus, betrieb jedoch die Nachforschungen hier nicht so eifrig. Der Bauer hat den ganzen Berg nach der Landseite zu terrassiert und mit Ölbäumen bepflanzt; es stoßen aber die Häuser der Stadt hart an die Felsen, so dass man vom Berge auf die Dächer steigen kann. Eines Abends nahm ich so meinen Rückweg, denn mir selber einen Pfad suchend, stieg ich zuletzt von dem Berg auf ein Dach, vom Dach durch das Zimmer auf die Straße.
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Capri - Arco Naturale. Verso: Ediz. Domenico Trampetti - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Produzione italiana. Nicht gelaufen.
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Links: Capri - L'arco naturale. Verso: 2561. Ediz. C. Cotini - Napoli. Carta postale. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1910.
Rechts: Capri - L'Arco naturale. Verso: 1071. Casa Editrice Ditta R. Zedda di V. Carcavallo - Napoli. Riproduzione interdetta. Signet im Briefmarkenfeld: RZN. Nicht gelaufen.
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Die nahe Ostküste der Insel steigt zur Höhe von 970 Fuß auf und stürzt senkrecht ins Meer, so dass auf dem höchsten Uferrand die Villa des Zeus liegt. Hier ist das ganze Ufer von furchterregender Wildheit. Geht man vom Tuoro grande zuerst durch das kleine Tal Matromania nach der südöstlichen Seite, so gelangt man an eine Stelle, wo sich die Küste in einem Winkel von den steilsten Linien zusammenzieht. Da blickt man in einen phantastischen Wald von Felszinken, die das Ufer in greulicher Verwirrung umstarren. Mitten dazwischen öffnet sich ein Fels zu dem prachtvollsten Bogen, dem Arco naturale. Nächst der Blauen Grotte ist er die überraschendste Einzelmerkwürdigkeit der Insel. Tief unten das Meer, schwarz verschattet, hoch oben der Himmel, rings rotbraune Klippen, über dem Meer der magische Anblick des Kaps der Minerva und der Küstenberge von Amalfi und Salerno.
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Capri - Marina di Mitromania. Verso: Edit. Domenico Trampetti. Im Briefmarkenfeld: Produzione italiana. Nicht gelaufen.
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Hier führt eine schroffe Stiege hinab, wo mitten im Ufer eine tiefe, schöne Grotte sich auftut, die rätselhafte Matromania. Sie hat ungefähr 55 Fuß Breite und 100 Fuß Tiefe, ein Werk der Natur, wurde sie doch von Menschenhand erweitert; schon am Eingange sieht man römisches Gemäuer, und im Innern hängt noch Mauerwerk an den Wänden. In der Tiefe erheben sich im Halbkreise zwei Aufmauerungen gleich Sitzen übereinander; mitten hindurch führten Stufen, wahrscheinlich zu der Nische des Gottes, dessen Bildsäule hier aufgestellt war. Alles spricht dafür, dass man die Zelle eines Tempels vor sich habe.
Der Name Matromania, den die Grotte führt und das Volk in bewusstloser Ironie zu Matrimonio verdreht hat, als ob Tiberius hier seine Hochzeiten vollzogen hätte, wird erklärt aus »Magnae Matris Antrum« oder aus »Magnum Mithrae Antrum«. Dies Heiligtum war dem Mithras geweiht; denn man fand in der Grotte eines jener zahllosen Reliefs, welche das Mithrasopfer darstellen. In den Studien zu Neapel sah ich zwei dieser Vorstellungen; das eine Relief wurde in der Grotte des Posilip gefunden, das andere in der Matromania. Sie stellen Mithras in persischer Tracht vor, kniend auf dem Stier, in dessen Hals er das Opfermesser stößt, während Schlange, Skorpion und Hund den Stier verwunden. Zu dem mystischen Sonnendienst war diese Grotte Capris wohl geeignet; sie schaut gen Osten, und wer aus ihrer Tiefe Helios aufsteigen sieht und das Purpurglühen der Berge und des Meeres betrachtet, der wird hier wahrlich zum Sonnenanbeter.
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Oben: Capri - Salto di Tiberio. Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 10790. Edit. Brunner & C., Como e Zürich - Stab. eliografico. Wiederholung des Signets im Briefmarkenfeld. Nicht gelaufen.
Mitte: Capri - Il Faro e Monte Tiberio. Verso: Signet. 519. Editori Trampetti & Migliaccio - Napoli. Gelaufen. Poststempel unleserlich.
Unten: Isola di Capri - Veduta verso il Faro e Salto di Tiberio. Verso, Signet: RuC. 4016. Carte Postale. Nicht gelaufen.
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Die Überlieferung hat auf dieses wilde Ufer überhaupt den Wohnsitz des Tiberius verlegt. Es ist die schauerlichste Stelle auf der Insel. Geht man am Südostrand höher hinauf, so kommt man an einen Ort, welcher »Salto di Tiberio«, Sprung des Tiberius, genannt wird. Das Ufer fällt hier mehr als achthundert Fuß tief in die See. Von diesem Punkt, so sagt die Überlieferung, stürzte der Kaiser seine Opfer hinab, und dass es ebenderselbe Ort sei, den man schon zu Zeiten Suetons als Merkwürdigkeit auf der Insel zeigte, unterliegt kaum einem Zweifel. Bei Sueton heißt es: »In Capri wird der Ort seiner Mordlust gezeigt, wo er die Verurteilten nach langen und ausgesuchten Martern in seiner Gegenwart ins Meer stürzen ließ. Sie fing unten ein Schwarm von Matrosen auf, um die Körper mit Segelstangen und Rudern zu zerschlagen, auf dass in keinem ein Lebenshauch überbliebe. « Es ist wahrlich ein diabolisches Vergnügen, von diesem schroffen Absturz Steine rollen zu lassen, welche in entsetzten Sprüngen von Zacken zu Zacken sich fortschnellen und die Felsen vom Donner ihres Falls widerhallen machen.
Zwei Schritte weit von dem grausigen Salto liegt jetzt ein kleines Haus, über dessen Türe das Wort »Restaurant« zu lesen ist. Im Zimmer steht zu jeder Stunde ein gedeckter Tisch, beladen mit Früchten, mit Brot und mit Flaschen voll Tränen des Tiberius. Derselbe Wirt, der dies Tischchendeckedich eingerichtet hat, ließ auch den schmalen Rand des Salto mit einer kleinen Mauer einfassen, und so bietet er den Fremden das Grässliche gleichsam auf dem Präsentierteller dar.
Man geht durch dieses Haus, um zu dem alten Faro Capris zu gelangen, welcher kaum 30 Schritte vom Salto entfernt steht. Bis auf die mächtigen Unterbauten aus gebranntem Stein ist er zerfallen, auch schlug vor einigen Jahren der Blitz den obern Teil der Trümmer herunter. Ringsumher liegen Stücke des Gemäuers, und weit bis in die Weinberge hinein bedecken sie den Boden. Sie und die noch stehenden Reste, welche auch Spuren von gewölbten Gemächern sehen lassen, bezeugen es, dass der Leuchtturm einst ein großartiger Bau war. Er wetteiferte mit dem Faro zu Alexandria, mit den Türmen in Ravenna und Puteoli. Der Dichter Statius nennt ihn in einem Verse den Nebenbuhler des nachtdurchschweifenden Mondes. Nach Sueton stürzte derselbe Faro wenige Tage vor der Ermordung des Tiberius ein, erschüttert durch ein Erdbeben, doch wurde er wieder aufgerichtet, sonst hätte ihn Statius nicht preisen können. Seine heutige Höhe beträgt kaum 60 Fuß. Im Jahre 1804 veranstaltete Hadrawa auch neben dem Leuchtturm Ausgrabungen; er fand dort Spuren einer unterirdischen Stiege, vielerlei Marmor und auch jenes Relief, welches die flehenden Gestalten der Crispina und Lucilla darstellt.
Nun aber gelangen wir mit wenigen Schritten, aufwärts steigend, zu der berühmten Villa des Zeus. Nach Sueton war sie der eigentliche Wohnsitz des Tiberius, und ausdrücklich sagt er, dass der Tyrann nach der Hinrichtung Sejans aus Furcht vor einer Verschwörung neun Monate lang sich darin eingeschlossen hielt. Es ist zweifellos, dass die Reste auf dem höchsten Nordostufer der Insel, dem Capo, zu jener Villa gehören. Denn dafür spricht die Bestimmtheit der Überlieferung, der die Insel beherrschende Ort, mehr noch die Ausdehnung des Palasts, dessen Ruinen die größten Capris sind und überhaupt zu dem Ansehnlichsten gehören, was sich von römischen Lustbauten erhalten hat. Man irrt dort in einem Labyrinth von Gewölben, Galerien und Gemächern, welche jetzt zum Teil zu Weingärten oder zu Viehställen benutzt werden. Kapitäle, Vasen, Säulenstümpfe, Marmorschwellen liegen noch umher; einzelne Kammern zeigen Reste ihres Stucks, und man erkennt selbst die Malerei in tiefem Gelb oder in dem Dunkelrot von Pompeji. Einige Böden haben noch ihre Mosaik von weißen Marmorstücken mit schwarzer Einfassung, und hie und da sind die Stiegen zu den untern Sälen gut erhalten.
Die Villa scheint mehrere Stockwerke gehabt zu haben; das unterste steckt noch unausgegraben im Boden. Der oberste Teil überrascht durch den vollkommen erhaltenen Plan seiner Gemächer, welche nach der Seite des Ufers ein Halbkreis umgibt, vielleicht ein Theater; Nischen und Rundmauern lassen weiter auf einen Tempel schließen. Alles, was zur überschwenglichen Pracht des fürstlichen Lebens gehört, hat diese Villa vereinigt, und weil sie so lange Zeit Kaisersitz war, muss sie, ehe Nero und Hadrian bauten, alle andern Villen Roms an Herrlichkeit übertroffen haben. Dazu kommt die unvergleichliche Lage über der Meerenge, wo zwei Golfe dem Blicke frei liegen. Von hier aus sah Tiberius alles, was auf der Insel vorging, er sah auch die Schiffe, welche von Hellas, von Asien und Afrika in den Golf einliefen, oder die von Rom herabkamen. Schön aber muss auf der See selbst der Anblick gewesen sein, segelte man zwischen Capri und dem Kap der Minerva und betrachtete dort die Marmorschlösser und den Faro, hier die Tempel. Denn Tiberius sah auf jenem Vorgebirge, dessen Spitze heute ein Turm krönt, noch die weitberühmten Tempel der Minerva, der Sirenen und des Herakles.
Ich saß manche Stunde lang auf den Trümmern und baute mir Capri wieder auf. Welch ein Anblick, denkt man sich alle diese Gipfel mit Marmorpalästen geschmückt und das Eiland bedeckt mit Tempeln, Arkaden, Statuen, Theatern, mit Lusthainen und Straßen. Und welch ein Bild würde es sein, sähe man alles dies von dem Hof eines römischen Kaisers belebt.
***** Kamee des Tiberius
"Die stolzen, aber edlen Züge seines Gesichts sind uns in mehreren Büsten und Statuen, auch auf dem berühmten Pariser Cameo erhalten.
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auflage 1905-1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 196.762 und Tafel »Gemmen und Kameen«, Fig. 17.
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Man sieht in Neapel schöne Büsten und Kolossalfiguren des Tiberius, die trefflichsten aber besitzt das Vatikanische Museum. Ich habe bemerkt, dass jene in Neapel ihn eher im Alter, diese in Rom in jüngern Jahren vorstellen, wahrscheinlich weil die meisten Büsten des Kaisers, welche in Herkulaneum und Pompeji ausgegraben wurden, seiner caprischen Periode angehören. Im Vatikan steht seine kolossale Figur, die in Veji gefunden ist, aufgestellt in der Galerie Chiaramonti; sie stellt ihn in idealer Jugendlichkeit als Heros dar, mit porträtgetreuen Zügen. Sein Kopf ist geistvoll und edel geformt, der Mund fein und schön; in jugendlicher Erscheinung sind seine Züge dionysisch, und auch die Fülle des Körpers ist wollüstig, ja weibisch zu nennen. Dies moralische Ungeheuer war, wie Cäsar Borgia zu seiner Zeit, der schönste Mann unter den Lebenden, von allen Kaisern Roms übertrifft ihn nur Augustus an klassischer Schönheit. Man vergisst den Kopf des Tiberius nicht mehr, wenn man ihn einmal gesehen hat; man erwartet das verzerrte Antlitz eines Dämons zu erblicken und ist überrascht von der Feinheit seiner Züge, die einem Sardanapal so wohl entsprechen würden. Nur im Alter zieht sich um den Mund ein schneidend scharfer Zug von Hohn und Skepsis, und der Ausdruck bekommt etwas widerwärtig Starres, hartherzig Verschlossenes, selbst Gemeines. So zeigt ihn der kolossale Kopf in Neapel, und so ihn seine Büste im Kapitol.
Tiberius war der erste eigentliche Monarch nach Augustus, der noch in den Formen der Republik regiert hatte. Er erbte eine schon sklavisch gewordene Menschheit. An der Schlechtigkeit der Welt ging er selbst zugrunde. Caligula wurde bei dem Gedanken wahnsinnig, Herrscher der Erde zu sein, und dauerte nur wenig Jahre. Das ist kein Wunder. Denn diesen Menschen warf eines Tags der Zufall die Welt mit allen ihren Genüssen vor die Füße; sie wurden darüber sinnlos, sie hätten die Erde auf einmal ausschlürfen mögen wie ein Ei. Nach den Bürgerkriegen und nach Augustus trat eine Stille in der Weltgeschichte ein, die wüsteste Pause im Leben der Menschheit, da die Alte Welt unaufhaltsam verrottete. Augustus war groß und glücklich, weil er seine Herrschaft errungen hatte; seine Nachfolger waren elend, weil sie nichts zu erstreben hatten. Auf einmal in den Besitz eines schon längst eroberten Weltreichs gesetzt, wussten sie nicht, womit sie ihre Tage hinbringen sollten, denn auch der Genuss des Herrschens wird unerträglich, wenn ihn nicht Mühe würzt und Entbehrung unterbricht. Caligula überbrückte im Wahnsinn das Meer, Claudius ward ein Bücherwurm, Nero steckte Rom in Brand und spielte dazu die Zither, er machte Verse und wollte wenigstens als Wagenlenker und Komödiant etwas gelten. In jener Periode des antiken Weltschmerzes finden wir hintereinander Tiberius, Caligula, Claudius und Nero, Dämonen und Verrückte, weil das Räderwerk der Geschichte stille hielt. Beispiellos teuflisch wäre die Natur, schaffte sie solche Ungeheuer nacheinander grundlos und als ein abgeschmackter Zufall.
Aber man würde dem Charakter des Tiberius Unrecht tun, würfe man ihn mit seinen Nachfolgern zusammen. Diese waren plumpe, nackte Bösewichte, die ihre bestialische Natur offen zur Schau stellten. Tiberius, seiner Zeit an Geist überlegen, war ein feiner Kopf, ein vollendeter Diplomat aus der Schule des Heuchlers Augustus. So fein, verhüllt, still herauslauernd und vorsichtig spähend ist auch sein Antlitz, zumal der jesuitische Zug um den Mund, und schwerlich hat die Natur einen vollkommeneren Diplomatenmund geschaffen. Scharf geschlossen sagt er das Wort Talleyrands, dass die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen. Wir aber wissen aus dem Tacitus, welcher Art die Kunst des Tiberius im Sprechen war. Die Grammatik und Logik der Diplomaten hat Tiberius erschaffen. Dieser Mann versprach nicht, noch schwor er, noch log er, der eine fortwährende Lüge war. Wie plump erscheinen gegen diesen feinen, klassischen Despoten Herrscher der neueren Geschichte, Abenteurer, die sich auf einen Thron hinaufgelogen, und Könige, welche offenbar die Eidschwüre brachen. Tiberius würde sie unter seine Freigelassenen verweisen, mit verächtlichem Lächeln. Dieser Mann ließ niemals ahnen, was er tun würde, denn auch das Gegenteil war gewiss. Er schlug nie den Dingen geradezu und mit der brutalen Gewalt der sogenannten Staatsstreiche auf den Kopf, er umschlich sie. Sein Wille und seine Absicht waren wie Helldunkel zweifelhaft. Man lese nur die meisterhafte Geschichte vom Sturze des Sejan. Der Mann von Elba hat einst den Charakter des Tiberius warm verteidigt und gegen die Urteile des Tacitus und der Geschichte in Schutz genommen.
Nachdem nun Tiberius die Diplomatie Augustus zu dem System des Jesuitismus verfeinert hatte, zog er sich in diese Villa zurück, um lebensekel sich im Genusse zu betäuben. Er erschöpfte jede Wollust, aber die menschliche Natur ist so dürftig angelegt, dass sie nur einen winzigen Teil von Lust genießen kann. Das lehrt die Felsenscholle Capri und diese Villa des Zeus, in welche sich der Herrscher der Welt verbannte, der diese selbst nur als ein Exil zu betrachten gelernt hatte.
Innerhalb derselben Wände, die einst widerhallten von lydischen Flöten und von dem Lachen der schönsten Weiber, wohnt jetzt Vieh der armen Bauern; und dies ist heute die Ausstattung der Säle des Tiberius: Efeu, wilde Feigenbäume, Malven, Rosen, Zinerarien, Granatbäume, das wuchert in diesen zerstörten Zimmern durcheinander, und im Winde tanzen die Reben, die Enkel des alten capräischen Bacchus, als wären sie die Geister jener Hetären, welche einst hier den Cancan um Tiberius getanzt haben.
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Capri - Monte Tiberio. Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 10789. Edit. Brunner & C., Como. Nicht gelaufen.
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Oben steht eine Kapelle, Santa Maria del Soccorso, auf der höchsten Höhe der Villa und über ihren Ruinen. Dort wohnt ein Eremit. Kein Ort in der Welt ist zum Büßen so passend als die Ruine dieser Villa des Tiberius, unter dessen Regierung und während dessen Aufenthalt in Capri Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Die Kapelle steht hier wie das Christentum selbst auf den Trümmern der heidnischen Welt, deren Buße es war. Dies Zusammentreffen ist seltsam, und ich meine, hier ist eine der tiefsinnigsten Stellen, an denen man verweilen mag. Denn hier steigen vor dem Blick zwei ungewöhnliche Gestalten auf, Zeitgenossen, Repräsentanten zweier Weltperioden: hier im Westen der greise Dämon Tiberius, der Beherrscher der Erde, der Repräsentant der untergehenden heidnischen Welt und als Ebenbild ihres sittlichen Elends; dort im Osten der junge ideale Mensch, Jesus, an das Kreuz geschlagen, aber umringt von begeisterten Propheten eines neuen Erdenfrühlings. Diese beiden Gestalten stehen sich gegenüber wie Ahriman und Ormuzd, der Gott des Lichts und der Finsternis.
In solchen Betrachtungen über die Jugend des ersten Christentums stand ich auf diesen Trümmern, und siehe, da trat mir plötzlich die historische Erscheinung jener idealen Religion entgegen, in der Gestalt des schmutzigen Franziskanereremiten, und fast wich ich vor dem Mann zurück: ein alter Mönch mit langem, weißem Bart, in schwarzer Kutte, ein Klumpfuß, hinkend, hässlich, mit habgierigen Augen. Da war es mir, als sah ich Tiberius als Mephistopheles vor mir, und mit satirischem Lachen hörte ich ihn sagen: »Das ist die Geschichte des Christentums!«
Der Klumpfuß hinkte mir voran in seine Zelle. Ich suchte unter seinen Büchern und las auf deren einem diesen Titel: »Legendarium der heiligen Jungfrauen, welche für unsern Herrn Jesus Christus sterben wollten.« Auch der Eremit Tiberius las auf derselben Stelle Bücher von Jungfrauen, aber nicht von solchen, die für seinen Zeitgenossen sterben wollten, sondern es waren die Schriften der griechischen Hetäre Elephantis, welche die Kunst der Wollust behandelten und damals in Rom Mode waren. Sueton erzählt, dass er diese Bücher in Capri bei sich gehabt habe.
Kein Kaiser in der Welt kann sich rühmen, im Besitz eines Hauses von gleich schöner Aussicht zu sein, als dem Eremiten seine merkwürdige Klause gewährt. Aus seinen Fenstern überschaut er die Golfe von Neapel und Salerno und die schönen Küsten und Inseln Italiens. Nichts gleicht dem Blick auf das nahe Vorgebirge der Minerva, dessen Formen von der herrlichsten Plastik sind; hinter ihm sieht man die Bergreihen des Sant Angelo und des ganzen Ufers von Amalfi und Salerno in der Verkürzung aufgereiht, wie Kulissen eines ungeheuern Theaters. In klarer Luft sah ich Paestum weit über'm Meer, dann das Kastell Baro und die Punta Licosa in meilenweiter Ferne. Bei Sonnenuntergang ist das Irisspiel der Farben über den Bergen hinreißend wie eine Phantasmagorie, und oft war es mir, als wäre, was ich sah, nicht Wirklichkeit, sondern das strahlende Bild einer Vision.
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Oben: Isola di Capri - Panorama dalla strada per Anacapri. Verso: 2-679. Ediz. Roberto Zedda - Napoli. Signet: RZN. Nicht gelaufen.
Unten: 447 - Anacapri (Capri) - Panorama. Verso: Ediz. Vincenzo Carcavallo - Napoli. Rip. interdetta. Signet: CAR vor Pferdchen im Kreis. Vera Fotografia. Fotocelere. Nicht gelaufen.
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Oben: Isola di Capri - Veduta dalla Madonna alla strada per Anacapri. Verso, Signet: R&c. 4033. Carte Postale. Nicht gelaufen.
Mitte: Capri - Strada Capri-Anacapri. Verso: Edit. Brunner & C., Como - Zürich. Stab. eliografico. Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
Unten: Anacapri - Panorama. Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 8202. Verso: Edit. Brunner & C., Como - Zürich - Stab. eliografico. Cartolina Postale Italiana. Nicht gelaufen.
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Oben: Anacapri. Piazetta le Porte e Via che mena a Capri. Verso: Edit. E. Ragozino, Galleria Umberto - Napoli. 2127. Cartolina Postale. Nicht gelaufen.
Unten: Anacapri. Im Bild rechts unten monogrammiert: ZU ligiert. Keine weiteren Angaben. Nicht gelaufen.
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Wir haben wahrlich vergessen, dass es auf dem Eiland noch ein zweites Städtchen, Ana-Capri, gibt. Dies ist kein Wunder, denn wer auf Unter-Capri lebt, hört und sieht von jenem Orte nichts. So sehr hat ihn die Natur von allem Verkehr abgeschieden. Man sieht eben nur die steile Felsenstiege, welche dort hinaufführt, und deren Beschwerlichkeit nicht zum Steigen reizt; und so möchte es nicht leicht irgendwo die gleiche Sonderbarkeit geben, dass zwei Städte auf einem und demselben Eiland, deren Entfernung auf ebenem Boden wenig mehr als eine Viertelstunde betragen würde, so gänzlich voneinander gesondert sind, dass ihre Bewohner nur selten miteinander verkehren, an ihren Festen selten teilnehmen und selbst einen verschiedenen Dialekt reden.
Die Liebe, so erzählt die Sage, war die Gründerin von Ana-Capri. Ein junges Paar entfloh in alten Tagen aus der Unterstadt, erstieg die schroffen Felsen der obern Insel und baute sich dort im Gebüsch hoch oben am Fuße des Solaro eine Einsiedelei. Seitdem folgten andere Verliebte, und so entstand mit der Zeit diese Kolonie der Liebesgötter, welche jetzt Ana-Capri heißt.
Und auch heute fliegt der beschwingte Amor wie ein Bergfalke herüber und hinüber von Capri nach Ana-Capri und leiht dem Jüngling seine Flügel, welcher eins jener wilden und schönen Mädchen liebt, die oben in ihrem kleinen Hause unter Rebenranken am Webstuhl sitzen, seidene Bänder weben und Lieder singen, wie Circe in der Odyssee.
So ist also Ana-Capri von der untern Insel geschieden, dass nirgends ein Weg nach oben führt als jene 560 Stufen hohe Jakobsleiter. Denn plötzlich steigen die Felsenwände, steil und senkrecht wie Mauern, in den wildesten Formen über dem unteren Capri auf und bilden gleichsam die gigantische Wand, über welcher, dem Dach einer Basilika gleich, der Berg Solaro sich lagert und auf seiner Senkung das weltabgeschiedene Volk und die Stadt Ana-Capri trägt, gleichsam ein Volk von Eremiten. Im Zickzack führt die in den lebenden Stein gehauene Stiege an dem scharfen Felsenrande aufwärts und endet oben an der Plattform. Man schreibt dies sonderbare Werk den ältesten Zeiten zu, als Phönizier oder Griechen die Oberstadt anlegten, denn nur auf dieser Stelle ist eine Verbindung mit der Oberstadt möglich. Man sieht auch noch Spuren der ältesten Stiege. Auf der Hälfte dieses Wegs steht die kleine Kapelle des heiligen Antonius, wo man Odem schöpfen kann, denn man erreicht die Höhe nicht, ohne entatmet zu sein.
Aber die unvergleichliche Fernsicht von der Plattform, Capo di Monte genannt, belohnt die Mühe reichlich, da man den ungeheuren Fels mit seiner breiten Brust und den schwebenden Bäumen, welche hängenden Gärten der Semiramis gleichen, frei in die Luft ragen sieht und unter sich den Anblick von ganz Nieder-Capri und den Prospekt in beide Meere hat. Hoch über der Plattform steigt der Solaro, von wüstem, grauem Gestein überdeckt, noch einige hundert Fuß empor und trägt auf einer scharfen Kante die schönen Ruinen des Kastells Barbarossa, welches seinen Namen von dem berühmten Korsaren führt, der einst Capri zerstörte.
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Capri - Campania - Il Castello di Barbarossa. Verso: 2341. Ed. C. Cotini - Napoli. Nicht gelaufen.
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Sobald man wenige Schritte auf der Plattform weiter geht, breitet sich vor den Augen eine neue und fremde Welt aus. Der Berg Solaro, das Ebenbild des Monte Pellegrino von Palermo, gipfelt sich hier steil empor; er ist ganz öde und mit zahllosen Felsblöcken wie mit Trümmern bedeckt. Gegen Westen und Norden senkt er sich zur größten Ebene nieder, welche die Insel besitzt, und auf dem schrägen Abhange steht hoch über dem Meer, unter grünen Bäumen und blühenden Gebüschen, Ana-Capri.
Die kleinen, originell gebauten Häuser dieses Städtchens liegen in Gärten zerstreut; und hier gibt es viel Ölbäume und sehr viel Reben, die nach campanischer Art um die Bäume ranken. Die Luft ist rein und balsamisch, aber die Sonnenglut wirkt um so stärker auf der schiefen Ebene. Blickt man auf diesen malerischen Ort, auf diese seltsame sonnverbrannte Felsenöde über ihm, in die grenzenlose Stille des blauen Meers in allen Fernen, so möchte man hier den Wanderstab in die Erde stecken und der Welt Lebewohl sagend seine Eremitenzelle bauen.
Hier ist es noch stiller als in Capri. Man sieht nur Menschen, welche singend arbeiten, vor der Türe am Webstuhl sitzen oder die Spindel mit der gelben Seide drehen, oder im Garten graben und die Maulbeerblätter für den Seidenwurm abpflücken, oder solche, die mit dem Wasserkrug auf dem Kopf daherkommen. Weil die Männer draußen sind und, da es Sommer ist, viele Jünglinge auf den Korallenfang nach Afrika oder Korsika gezogen sind, sieht man hier fast nur Frauen. Es scheint, wir seien zu den Weibern von Lemnos gekommen, welche männerlos auf ihrem Felsen sitzen, endlose Gewebe webend.
An den Tagen und Stunden, wo die Barken von Neapel heimkommen, fand ich bisweilen über der Stiege eine Schar Mädchen sitzen, oft mehr als dreißig, viele von seltner Schönheit. Plaudernd saßen sie um die Felsen und spähten den nahenden Segeln entgegen, um dann an den Strand hinabzusteigen. Ich setzte mich unter sie und blickte nicht minder sehnsüchtig über den Golf auf das weiße Schiff, ob es mir einen Brief in diese Einsamkeit herüberbrächte. Fast alle hatten sie einen Strauß in der Hand oder einen Zweig Basilikum, durch die Blume zu bitten; Antoniella aber hielt den prächtigsten Strauß vor sich von Basilikum, Nelken, purpurroten Rosen und Myrten, mit einem bunten Band kunstvoll in Schleifen zugebunden. Dieser Strauß wurde das Sinnbild unserer Freundschaft und der Schlüssel zu dem reizendsten Weberhäuschen in Ana-Capri, wo ich manche Stunde mit den naivsten Naturkindern verbracht habe.
Antoniella webte in einer Gartenkammer, ganz im Grün unter Weinlaub und blühenden Oleandern, und sie war flink und geschickt wie die Spinnerin Arachne; ihre ältere Schwester webte neben ihr weißes Baumwollenband, sie aber ein buntgemustertes. Sie verstand nicht auf der Maultrommel zu spielen, aber desto geübter schlug sie die Handpauke. Ihre Brüder waren draußen auf dem Meer.
Der Fleiß dieser Mädchen, die alle mit der Weberei beschäftigt sind, ist erstaunlich, denn schon mit Sonnenaufgang setzen sie sich an den Webstuhl, und mit wenig Unterbrechung weben sie bis zum Sonnenuntergang, und so das ganze Jahr hindurch. Freilich sind sie nicht zu jenem Lasttragen verdammt, wie ihre Schwestern in Capri; nur wenn das Regenwasser in den Zisternen ausgeht, müssen sie die Treppe hinuntersteigen und in Krügen das Wasser von Capri holen, wo vier dürftige Quellen fließen. Goldnes Geschmeide und Korallenschmuck, auch silberne Pfeile in den Haaren tragen sie alle, und das Mädchen würde unglücklich sein, welches solchen Schmuck nicht besäße.
Es gibt im Ort einen Campo Santo, voll von Zypressen und Blumen; der größte Stolz der Ana-Capresen aber ist das sogenannte irdische Paradies, nämlich der Fußboden ihrer Kirche, auf dessen Fliesen in Smalto das Paradies dargestellt ist, eine Arbeit aus dem 17. Jahrhundert. Auch hier ist die Architektur bizarr und maurisch. Es gibt Masserien, die mit ihrer Pergola reizend genug aussehen.
Wenig tiberische Ruinen sind in Ana-Capri aufzufinden; der Weinbauer hat sie hinweggetilgt, auch standen hier weniger Gebäude als auf Capri. Die meisten Reste von Altertümern hat die Ebene Damecuta, ein fruchtbares Land, welches zur Küste sanft niedersteigt und in dessen Ufer die Blaue Grotte liegt. Es ist eigentümlich, dass Ober-Capri trotz seiner Höhe doch niedrigere Küsten besitzt als Unter-Capri; denn der hohe Berg senkt sich lang hingestreckt nach Westen wie nach Norden ins Meer, aber dennoch ist das Ufer weder der Barke noch dem Menschenfuß zugänglich, strandlos, hafenlos und dem Schiffbrüchigen sicheres Verderben bringend.
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Die Blaue Grotte hat eine eigene Seite im Goethezeitportal. Neben vielen Ansichten und weiteren Texten finden Sie hier auch den Bericht von August Kopisch über die Wiederentdeckung der Blauen Grotte.
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Der Turm Damecuta bezeichnet ungefähr die Stelle, wo unten am Ufer die nun weltberühmte Blaue Grotte liegt, das Wunder Capris, doch nicht das einzige dieser sirenischen Insel. Von dem Tage, da sie entdeckt wurde, erzählt mir mein Wirt Michele ausführlich. Er machte damals die Unternehmung als Knabe mit. Es waren sein verstorbener Vater Giuseppe, August Kopisch, der Maler Fries und der Schiffer Angelo Ferraro, welche es wagten, in diese Grotte einzudringen. Alle sind sie nun tot, nur Michele weiß von der Entdeckung zu erzählen. Ein Onkel Paganos, Priester auf Capri, ermahnte die Gesellschaft, von dem Versuch abzustehen, denn die Höhle sei der Aufenthalt böser Geister, und viele Seeungeheuer hausten in ihr. Auch war das Eindringen schwierig, weil es vor der Entdeckung keine einzige kleine Barke auf der Insel gab. Es drang also Angelo auf einer Wanne ein, Kopisch und Fries schwammen. Mein Wirt beschrieb mir lebhaft das Jauchzen beider Maler, als sie in der Grotte waren, und zumal, sagt er, war Fries wie von Sinnen, er schwamm bald heraus, bald hinein, und immer mit Jubel und mit Jauchzen. August Kopisch hatte keine Ruhe, er eilte sofort nach Neapel und holte seine Freunde, und so tat er ab und zu. Pagano bewahrte ein altes Fremdenbuch wie eine Reliquie; darin hat Kopisch unter dem 17. August 1826 folgende Entdeckungsurkunde hineingeschrieben:
»Freunde wunderbarer Naturschönheiten mache ich auf eine von mir nach den Angaben unsers Wirts Giuseppe Pagano mit ihm und Herrn Fries entdeckte Grotte aufmerksam, welche furchtbarer Aberglaube jahrhundertelang nicht zu besuchen wagte. Bis jetzt ist sie nur für gute Schwimmer zugänglich; wenn das Meer ganz ruhig ist, gelingt es wohl, mit einem kleinen Nachen einzudringen, doch ist dies gefährlich, weil die geringste sich erhebende Luft das Wiederherauskommen unmöglich machen würde. Wir benannten diese Grotte die blaue (>la grotta azzurra<) weil das Licht aus der Tiefe des Meeres ihren weiten Raum blau erleuchtet. Man wird sich sonderbar überrascht finden, das Wasser blauem Feuer ähnlich die Grotte erfüllen zu sehen; jede Welle scheint eine Flamme. Im Hintergrund führt ein alter Weg in den Felsen, vielleicht nach dem darüber gelegenen Damecuta, wo der Sage nach Tiber Mädchen verschlossen haben soll, und es ist möglich, dass diese Höhle sein heimlicher Landungsplatz war. Bis jetzt ist nur ein Marinaro und ein Eseltreiber so herzhaft, diese Unternehmung mit zu wagen, weil allerhand Fabeln von dieser Höhle im Umlauf sind. Ich rate aber jedem, sich vorher mit diesen beiden des Preises wegen zu verständigen. Der Wirt, welchen ich seiner Kenntnis der Insel wegen empfehle, will einen ganz kleinen schmalen Nachen bauen lassen, womit dann bequemer hineingefahren werden könnte. Bis jetzt will ich es nur guten Schwimmern raten. Sie ist des Morgens am schönsten, weil nachmittags das Tageslicht stärker und störender hineinfällt und der wunderbare Zauber dadurch gemindert wird. Der malerische Eindruck wird noch erhöht, wenn man, wie wir, mit flammenden Pechpfannen hineinschwimmt.«
Der treffliche Kopisch hat sich auf diesem Eiland ein herrliches Denkmal entdeckt, und mir ist es, als wäre die wunderbare Grotte deutsches Eigentum und deutsches Symbol. An dieser Stelle verweben sich mit jenem Dichtermaler viel Erinnerungen auch an Tieck, an Novalis, an Fouqué, an Arnim, an Brentano, die nun alle heimgegangen sind bis auf Eichendorff und bis auf Heine, den letzten verwunschenen Prinz dieser Dichterschule. Wir wollen denn als Grabesspenden aus dem blauen Feuerwasser von Capri einen Weiheguss auf die Gräber jener toten Dichter gießen. Denn von dieser Grotte haben sie alle geträumt, und wahrlich, es konnte der Preis ihrer Auffindung auch nur einem Maler und Dichter zukommen, aus der Zeit derer, welche die blaue Wunderblume der Poesie suchten bei den Undinen in der Tiefe, bei der Frau Venus im Berge und in den unterirdischen Grotten der Isis. Sie waren alle liebenswürdige kleine und große Kinder, Knaben mit dem Wunderhorn. Ihr Hoherpriester Novalis sieht aus wie ein schöner, bleicher Knabe, der sich in das lange Predigergewand seines toten Urgroßvaters gesteckt hat und mystische Weisheit redet, von der niemand weiß, wie das Kind dazu gekommen sei. Ihre Muse aber ist eine Sirene. Sie wohnt in der Blauen Grotte auf Capri, der Insel des grausamen Wollüstlings Tiberius. Sie haben alle ihren herzbewegenden Gesang gehört, und keiner hat sie gefunden, sie haben sie alle gesucht und sind vor Sehnsucht nach der blauen Wunderblume gestorben. Goethe hat es ihnen prophezeit in dem »Fischer«: »Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr geseh'n.« Und nun, da die blaue Wunderblume, nämlich die blaue Wundergrotte, denn das war das unbekannte Mysterium, gefunden ist, ward der Zauber gelöst, und kein Lied der Romantiker wird mehr gehört werden in deutschen Landen. Als ich in die Grotte einfuhr, war es mir, als wäre ich in eins jener Märchen zurückgekehrt, in die man sich als Kind hineinlebt. Welt und Tag sind auf einmal verschwunden, und da ist man in der wölbenden Erde und in einem Dämmer von blauem Feuerlicht. Die Wellen atmen still und perlen Funken empor, wie als sprossten aus den Tiefen blitzende Smaragde und rote Rubinen und tausend Karfunkelsteine auf. Geisterhaft blau sind die Wände und mysteriös anzusehen, wie Paläste von Feen. Es ist Schein von fremdem Wesen und von fremdem Geist, ganz wunderbar, heimlich und unheimlich zugleich. Alles ist still wie in einer Schattenwelt, da niemand auch nur reden mag. Du jauchzest zuerst auf, dann bist du still, und es schallt nur das plätschernde Ruder oder das Kichern der Wellen, welche Phosphorkränze um die Felsenwände schlingen. Das blaue magische Wasser lockt unwiderstehlich. Man muss hinabspringen, und man taucht sich wie in ein Lichtmeer nieder.
Ja, ich glaube wohl, dass Tiberius hier badete und unter den schönen Mädchen seines Harems umherschwamm, wie Sueton erzählt. In dieser wollüstig strömenden Phosphorflut glühten dann die Mädchenleiber wie strahlende Leiber von Meerfeien, und nicht hat hier Sirenengesang und Flötenspiel gefehlt, um solches Bad zu einem unsagbaren Wollustspiel zu machen. Ich sah auf einer griechischen Vase eine Sirene gemalt, ein wunderliebliches Wesen, das hebt beide lilienweiße Arme auf, kichert und schlägt zwei blitzende Erzbecken zusammen. So kommen hier die Sirenen aus der blauen Feuerglut herauf, schlagen die Erzbecken zusammen, kichern und tauchen auf und unter. Aber nur Sonntagsmenschen sehen sie und kleine Kinder.
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Oben: [Ohne Titel.] Verso: Capri - La Grotta verde. 71370 Ediz. riservata Emiddio Trama - Capri. Signet. «Grafia» - Sezione Edizioni d'Arte - Roma. nicht gelaufen.
Unten: [Ohne Titel.] Verso: Capri - Grotta Rossa. 71358. Proprietà Artistica Riservata. Signet. «Grafia» - Sezione Edizioni d'Arte - Roma. nicht gelaufen.
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Man muss über den Reichtum dieses Eilandes an Grotten sich verwundern. Erdgrotten und Meergrotten, seltsam geformt und alle schön, gibt es hier so viele, dass man nicht alle kennenlernen kann. Ich bin in mehr als fünfzehn dieser Grotten eingedrungen und habe darunter auf der südlichen Seite eine kleine gefunden, welche genau die blauen Lichteffekte der »Grotta azzurra« zeigt. In andern findet man grüne Lichter, je nach der Beschaffenheit des Grundes, in weißlichem Feuer phosphoreszierend, zumal in der »Grotta verde«, der herrlichsten Capris durch ihre prächtig gewölbte Architektur und die Umfassung grandioser Felsenzinnen. Sie ist nicht ganz unterirdisch bedeckt, sondern hat eine Felsendurchfahrt von einer Seite zur anderen.
Einige dieser Grotten haben Namen, wie die Marmolata, die Marinella, andere sind namenlos. Ich machte mir das Vergnügen, alle die namenlosen, die ich besuchte, zu benennen, ohne den Ruhm eines Höhlenentdeckers zu beanspruchen. Und so weiß ich nur allein, wie schön es ist in der Grotte »Stella di Mare«, in der meerblumengeschmückten Grotte »Euphorion«, in der Grotte der Meerspinne, deren Wände gelb sind und deren Gestein, wo es die Welle benetzt, rosig, samtgrün und weißlich schimmert. In einer Grotte war es ein Wogenschlürfen und ein anapästisches Wellenschlagen, so dass ich sie den Eumeniden geweiht habe. Alle liegen sie vom Ufer des Solaro bis hinaus über die Faraglioni, unscheinbar außen, da ihre Mündung oft dem oberflächlichen Blick entgeht, drinnen hochgewölbig, dunkel, wellenstill, von Meerspinnen, Seeigeln, Meersternen bewohnt, eine zauberische Geistereinsiedelei.
Es ist höchst belohnend, die ganze Insel zu umfahren. Man braucht dazu drei Stunden und kann in dieser Zeit auch einige Grotten besuchen. Die Westküste hat die Höhlenbildung nicht, denn hier sinkt das Ufer vom Solaro nieder zwischen beiden Kaps Punta di Vitareto und Punta die Carena. Es sendet dort drei niedrige, doch schroffe Spitzen aus, Campetiello, Pino und Orica, welche mit Schanzen bewehrt sind. Und hier war auch die Stelle, wo die Muratisten bei Nacht die Felsen erklommen. Rudert man aber um die Carena, so wird das Südufer plötzlich furchterregend hoch und steil; die gigantischen Felsen steigen senkrecht vom Wasserspiegel auf bis in das Gewölk, welches ihre Gipfel umspinnt. So geht die Südküste fort bis zur Punta Tragara, und nicht minder erhaben, bizarr und wild zugleich ist die ganze Ostküste bis zum Lo Capo, dem Nordostkap der Insel. Hier ist das Ufer voll von stalaktitischen Höhlenbildungen.
***** Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild.
Capri - Panorama col Monte Solaro. Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf [Brunner, Como]. Verso: Giuseppe Morgano "Zum Kater Hiddigeigei", - Capri. Cartolina Postale Italiana. Gelaufen. Datiert u. Poststempel 1901.
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Oben: Capri - Monte Solaro - Chiesa di Citrella. Verso, Signet: Brunnen mit wasserspeiendem Mädchenkopf. 8187. Edit. Brunner & C., Como. Nicht gelaufen.
Unten: Anacapri (Capri) - Chiesa Cetrella e panorama. Ediz. Vincenzo Carcavallo - Napoli - Via S. Baldacchini 29 - Rip. Vietata. Signet: CAR auf Pferdchen im Kreis. Vera Fotografia. 22474. Fotocelere. Nicht gelaufen.
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Nun noch hinauf zum Gipfel der Insel, zum Solaro. Steigt man über Ana-Capri auf pfadlosen Felsen mühsam empor, so gelangt man zum Kamm des Berges. Form und Anblick ist überraschend, weil der Solaro auf der Höhe selbst sich tief einsenkt und eine dürre braune Fläche darbietet, das Dach jener Felsenwände, die nach Capri abstürzen. Auf braunem Heideland geht man fort zwischen starren Kalksteinblöcken, und jeder Schritt stört Schwärme von Heuschrecken auf, welche in unglaublicher Zahl den Boden bedecken.
Am Rand dieser Fläche aber hängt an schauerlichen Felsen hoch über dem Meer die Klause des Eremiten von Ana-Capri, und nimmer sah ich noch eine Eremitage, die es so ganz gewesen. Ich fand alle Türen offen und den Siedler nicht daheim. Seine Kutte hing über der Mauer seines Felsengärtchens, über seinem Bette der heilige Antonius von Padua, ein geweihter Ölzweig und ein Rosenkranz; in seiner Vorratskammer die weinende Madonna dolorosa, gerade über einem Häuflein Zwiebeln, und da standen umher ein Korb voll Brot und ein paar leere Teller.
Ich sah im Campo Santo zu Pisa jenes phantasiereiche Freskogemälde von Ambrogio und Piero Lorenzetti, welches das Leben heiliger Eremiten in der Wüste darstellt, und fand einen Zug daraus hier lebend wieder. Ich glaube, der alte Eremit predigt hier jeden Freitag den Fischen, gleich dem heiligen Antonius, den man auf einem Bilde in Rom sehen kann, wie er auf einer Felsenklippe steht und in das Meer hinunterpredigt. Es strecken aber die dummen Fische ihre Köpfe heraus und sperren alle die Mäuler weit auf. Wie ich nun in der Klause umherging, kam der Alte, ein Laienbruder. Er trug ein Bündel Reisig auf der Schulter. Sehr froh einen Gast zu finden, entschuldigte er sich, dass er keinen Wein habe. Schon 32 Jahre klaust er oben in der Felsenwüste, und auch er hinkt vom Klettern, doch nicht mephistophelisch wie der Tiberius-Eremit, sondern nur sanft wie Heilige und wie die indischen Götter, wenn sie die Erde der Sterblichen berühren.
Über seiner schwindelnden Klause steht der Gipfel des Solaro, die Spitze Capris und, wie ich schon sagte, die Warte eines Telegraphen. Hat man sich dort hinaufgearbeitet, so genießt man endlich den Lohn des Herkules. Denn hier liegt zu Füßen hingebreitet das ganze Eiland und ein Kosmos wunderbarer Schönheit.
Dies ist der Horizont, den hier das Auge umfasst: südwärts endloses Meer, nach West und Nord die Ponzainseln, Ischia, das Eiland Vivara, Procida, hinter ihnen traumhaft und weit die Berge von Gaeta und Terracina mit dem Kap der Circe, weiter die Bergpyramide des Misen, an deren Fuß Tiberius ermordet wurde, die elyseischen Ufer und die der Kimmerier, die blauen Küsten von Bajä und von Puteoli, Cumae mit dem Berge Gaurus und der Solfatara, das schlossgekrönte Eiland Nisita, der schlanke Posilip, die Spitze der Camaldoli, ferne Berge von Capua, dann das Ufer von Neapel, ein langer Kranz von Städten bis nach Torre del Greco; der rauchende Vesuv über Pompeji, hinter ihm hervor die Berge von Sarno und Nocera, vielgegliedert und reichgefaltet; ostwärts das braune, scharfgemeißelte Ufer von Massa mit dem Kap Sorrento und dem der Minerva, dahinter der hohe Sant Angelo, weiterhin die sirenusischen Klippen und die Golfe von Amalfi und Salerno, endlich weit hinaus in der Ferne die bleichen Berge Kalabriens, der Ufersaum von Paestum und Kap Licosa in Lukanien.
Auf solcher Höhe und in solcher Weite des Gesichtskreises fühlt man einmal auch Sonnenweiten menschlicher Existenz. Denn fürchterlich eng ist das Menschenleben, und es rücken die Dinge hart auf den Leib, welcherlei Namen sie haben, so dass es ein ewiger kleinlicher, peinlicher Kampf ist um größeren Horizont. So ist auch alle Bildung Horizontalvergrößerung; ihr herrlichster Lohn ein Blick von Höhen der Kultur, wo sich die Künste und Wissenschaften, alles Geschaute, Gedachte und Gelebte in göttlicher Ordnung schön und weit zu einem kosmischen Ringe schließen.
Auf dem Gipfel des Solaro dachte ich an Humboldt. Ich glaube, um dessen Geist liegt die Welt so schön und klar gegliedert; und auch an Plinius dachte ich hier, den Humboldt der Römer, weil ich den Berg Misen und den Vesuv sah; und an Aristoteles, den wahrhaft kosmischen Geist und Ordner des menschlichen Wissens.
Doch wir, schon zufrieden, nur mit dem leiblichen Auge eine so große Ordnung der Natur einmal angeschaut zu haben, steigen jetzt herab; denn es sinkt die Sonne hinter Ischia. Schon glüht das weite Meer im Westen von dunklem Purpur, und der Fels von Ponza, der sich aus der Flut emporhebt, schön und fern, als läge er in einer andern Sphäre des Raums und Lichts, ist ganz durchglüht und erschimmert in durchsichtigem Purpurbrande. Also lebe wohl, du schönes Eremiteneiland Capri.
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Online verfügbar im Projekt Gutenberg.DE. Diese Ausgabe orientiert sich an folgendem Druck: Ferdinand Gregorovius, Capri. Mit Tafeln nach zeitgenössischen Stichen. 2. Aufl. Dresden: Wolfgang Jess Verlag 1949. »Diese >Idylle vom Mittelmeer< schrieb Gregorovius (1821-1891) während seines ersten Aufenthaltes auf Capri im Jahre 1853. In ihrer vorliegenden Form bildet die Schilderung einen Teil des Buches >Wanderjahre in Italien<, das in einer zweiten vollständigen und verbesserten Auflage 1928 im gleichen Verlag erschien. Die Arbeit gilt allgemein als literarische Kostbarkeit des bedeutenden Kulturhistorikers.«
Aus der Zusammenarbeit von Ferdinand Gregorovius, Karl Lindemann-Frommel (1819-1891) und dem Verleger Alphons Dürr in Leipzig ging folgendes Prachtwerk hervor:
Die Insel Capri von Ferdinand Gregorovius mit Bildern und Skizzen von Karl Lindemann-Frommel. Leipzig, Verlag Alphons Dürr 1868.
Das Werk enthält 18 Illustrationen von Lindemann-Frommel in Holzstichen von Richard Brend'amour, Gebr. Daziel u. Johann Gottfried Flegel. Dazu Peter K. W. Freude: Karl Lindemann-Frommel (1819-1891) Ein Malerleben in Rom. Monographie und Werkverzeichnis seines graphischen und malerischen Schaffens. Murnau am Staffelsee, Verlag P. Freude 1996, S. 256. Abbildungen: Druckgraphisches Werk, Nr. 185-203. Vgl. in der Biographie S.42, 49.
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| Ferdinand Gregorovius. Photographie im Alter von 46 Jahren, April 1867. Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana. Quelle: Ferdinand Gregorovius: Römische Tagebücher 1852-1889. Hg. von Hanno-Walter Kruft u. Markus Völkel. München: C.H. Beck 1991, Abb. 1. |
Gregorovius, Ferdinand, Historiker, geb. 19. Januar 1821 in der damaligen Deutschordensstadt Neidenburg in Ostpreußen und gest. 1. Mai 1891 in München.
Gregorovius entstammt einer Familie von protestantischen Theologen und Juristen. In Königsberg absolvierte er das Studium der Theologie, wandte sich jedoch unter dem Einfluß des Hegelianers Karl Rosenkranz philosophischen und literarhistorischen Studien zu. Zur Säkularfeier Goethes 1849 erschien seine Schrift "Goethe's Wilhelm Meister in seinen socialistischen Elementen". 1852 brach er nach Italien auf und erwanderte sich die Halbinsel. Die genaue Beobachtung von Land und Leuten wie die aufgerufenen geschichtlichen und kulturellen Erinnerungen verknüpfte er zu "historischen Landschaften", die er in dem Sammelwerk "Wanderjahre in Italien" (5 Bände, 1856-1877) vereinte. Sein Hauptwerk bildet die "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" (8 Bände, 1859-1872), dem er die "Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter" (2 Bände, 1889) zur Seite stellte. 1876 wurde Gregorovius zum römischen Ehrenbürger ernannt. Zeitlebens blieb er ein protestantisch und national gesinnter Humanist und Weltbürger, der seine Unabhängigkeit keiner festen Anstellung opferte. Seine Schriften sind "ein Muster gelungener Vereinigung streng wissenschaftlicher und ästhetisch anziehender Darstellung" (Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode; zit. n. ADB, Bd. 49, S. 527.)
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