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Goethes Italienische Reise, Rom

»Römische Elegien«

Begriffserklärungen

 

XX.
 Zieret Stärke den Mann und freies mutiges Wesen,
    O, so ziemet ihm fast tiefes Geheimnis noch mehr.
 Städtebezwingerin, du, Verschwiegenheit! Fürstin der Völker!
    Teure Göttin, die mich sicher durchs Leben geführt,
 Welches Schicksal erfahr’ ich! Es löset scherzend die Muse,
    Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen Mund.
 Ach! schon wird es so schwer der Könige Schande verbergen!
    Weder die Krone bedeckt, weder ein phrygischer Bund
 Midas’ verlängertes Ohr: der nächste Diener entdeckt es,
    Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimnis die Brust.
 In die Erde vergrüb’ er es gern, um sich zu erleichtern,
    Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht;
 Rohre sprießen hervor und rauschen und lispeln im Winde:
    »Midas! Midas, der Fürst, trägt ein verlängertes Ohr! «
 Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimnis zu wahren
    Ach den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht!
 Keiner Freundin darf ich’s vertraun: sie möchte mich schelten,
    Keinem Freunde, vielleicht brächte der Freund mir Gefahr.
 Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen zu sagen
    Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug.
 Dir, Hexameter, dir, Pentameter sei es vertrauet
    Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich beglückt.
 Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die Schlingen,
    Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt;
 Klug und zierlich schlüpft sie vorbei und kennet die Wege,
    Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig empfängt.
 Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht sehe,
    Rausche, Lüftchen, im Laub! niemand vernehme den Tritt.
 Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und wieget
    Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft,
 Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre geschwätzig,
    Eines glücklichen Paars schönes Geheimnis zuletzt.

   

„ Wenn die diachrone Abfolge der historischen Kulturen durch ihre synchrone Existenz im Bewußtsein des Ich aufgehoben wird, so erscheint in den Elegien als „Realität“ alles das, was die Rede als Sprechakt zu verknüpfen vermag, welcherart auch sonst sein Status sei. Wenn es aber „Realität“ nur im Sprechakt des Ich gibt (und alles, was gesagt wird, wird letztlich vom Ich wiedergegeben bzw. zitiert), muß konsequent postuliert werden, daß alles, was existiert, sei es auch das bewußt Verborgene, sei es im öffentlich-politischen, sei es im privat-erotischen Bereich, zur Sprache drängt.“

(Wünsch 1975, S. 205)

 

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