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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Wilhelm von Humboldt

Kurzbiografie

Wilhelm von Humboldt (*22. Juni 1767 in Potsdam – †8. April 1835 in Tegel bei Berlin) wurde als ältester Sohn eines Kammerherrn geboren. Gemeinsam mit seinem Bruder Alexander von Humboldt (1769-1859) erhielt er eine umfassende Ausbildung und Erziehung auf Schloss Tegel. Nach einem Jahr in Frankfurt an der Oder studierte er ab 1788 Jura in Göttingen und vertiefte sich sowohl bei dem Philologen Christian Gottlob Heyne (1729-1812) in die klassischen Altertümer als auch in die Philosophie Immanuel Kants (1724-1804). Ein Jahr später, nach dem Abschluss seiner Studien, begann er als Jurist am Berliner Kammergericht zu arbeiten. In dieser Zeit lernte er Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819), Friedrich Schiller (1759-1805) als auch Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) kennen, zu denen sich Freundschaften entwickeln. Kurz darauf schied er wieder aus dem Staatsdienst aus. 1791 heiratete Humboldt Caroline von Dacheröden (1766-1829), die Tochter eines preußischen Kammergerichtsrates, aus deren Ehe acht Kinder hervorgehen sollten.
Als Humboldt im September des Jahres 1802 mit seiner Familie Berlin verließ, trat er seine erste Reise nach Italien an, um dem preußischen König als Resident beim Vatikan in Rom zu dienen. 1808 berief man ihn als Leiter des Kultus- und Unterrichtswesens in das preußische Innenministerium zurück nach Berlin. 1809 konzipierte er die Berliner Universität, die später nach dem berühmten Brüderpaar benannt wurde. Auch die humanistische Gymnasialbildung wurde in dieser Zeit von ihm entworfen. 1810 kam es zur Gründung der späteren Humboldt Universität. Als Staatsminister und Diplomat sandte man ihn nach Österreich. Sieben Jahre schickte man Humboldt gegen dessen Wunsch erneut als Vertreter preußischer Interessen nach London. Als er endlich 1819 nach Berlin zurückkehren durfte, wurde er zum Minister für ständische und kommunale Angelegenheiten ernannt, jedoch bereits Ende des Jahres wegen der Ablehnung der Karlsbader Beschlüsse und des Versuchs, eine liberalere Verfassung für Preußen durchzusetzen, aller Ämter enthoben. Fortan widmete sich Humboldt hauptsächlich seiner sprachwissenschaftlichen Studien fern abseits jeglicher politischer Auseinandersetzungen. Dieser Schaffensphase entsprangen die Schriften „Über das vergleichende Sprachstudium“ (1820), „Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers“ (1822) und sein Hauptwerk auf diesem Wissenschaftsgebiet „Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java“, das allerdings erst 1836 posthum veröffentlicht wurde. Nach dem Tod seiner Frau 1829 beschloss Humboldt fortan jeden Tag ein Sonett zu verfassen. 1830 erhielt er seinen Sitz im Staatsrat zurück. Am 8. April 1835 verstarb er im Alter von 67 Jahren in Tegel bei Berlin.
Der Aufenthalt in Italien war für Humboldt nicht Kulturerlebnis oder wissenschaftliche Recherchefahrt, sondern in seiner Funktion als Vertreter des preußischen Königs beruflicher Natur. Seine Aufgabe bestand in der Beobachtung und Berichterstattung über die politischen Abläufe am römischen Hofe, die Geschehnisse innerhalb des katholischen Klerus und das Treiben der Ex-Jesuiten. Wenngleich sich Humboldts italienischer Aufenthalt nicht nur auf Rom beschränkte und er auch die politische sowie kulturelle Lage von Mailand, Florenz oder Parma in den Fokus rückte, kann man die „ewige“ Stadt jedoch durchaus als Zentrum von Humboldts italienischen Lebensabschnitt festsetzen. Rom schlug ihn in den Bann. Humboldts Begeisterung für die Stadt der sieben Hügel war – wie auch für Goethe – vorwiegend von ästhetisch-sinnlicher Art. Jedoch reflektierte er dieses träumerisch verklärte Bild und erklärte es sich mit seiner Begeisterung für die Antike. Bei zahlreichen Wanderungen durch die Straßen und Ruinen in und um Rom nahm er auch die wachsende Not der Bevölkerung wahr, die aufgrund des Drucks seitens Bonapartes unter Getreidemangel litt. Humboldts römisches Quartier wurde schon bald Anlaufstelle der deutschen Künstler, zumal dieser als offizieller Gesandter und nicht als Privatmann in der Metropole residierte.


Katharina Junk

 

 

[15]

3.

Gedichte der römischen Zeit.

a.

Die Rossebändiger.

Euch begrüss’ ich zuerst in des Morgens rosiger Frühe,
Die ihr den Flammenmuth bändigt der schnaubenden Ross’.
Blass sinkt Luna hinab, Pamphilis Pinien suchend,
Aber ihr strahlet in Glanz, Licht zu dem Lichte gesellt.
Glücklich der Bildner! er kann mit wenigen Schlägen des Meissels
Heften das Göttergebild, das ihm den Busen entflammt!
Tempel stürzen in Schutt; hinwelken der Menschen Geschlechter;
Doch der gerettete Stein führet die Gottheit zurück.
Gottheit ja stralet aus Euch, Quirinalische Heldenkolosse,
Und in schönere Zeit führt ihr den staunenden Blick!
War denn nur ihnen vergönnt, den glücklichen Alten, nicht rückwärts
Bloss auf das Hohe zu schaun, selbst ihm zu leihen Gestalt?



[16]

Der Publicische Weg.

Wo zum Junonischen Tempel der Zug der Gläubigen aufstieg,
Als sie der Göttin Bild brachten, mit Waffen erkämpft;
Da besteig’ ich die Höhn Aventinus, des einsamumwohnten,
Wohl ein Gläubiger auch, herrschet auch Juno nicht mehr.
Denn wann der zögernde Schritt durchirret die Traubengeländer
Wo jetzt epheuumrankt Trümmer nur heben ihr Haupt;
Wann die Glöcklein erschallen der sparsambesucheten Klöster,
Welchen der Göttinnen Schaar wich von den gipfligen Höhn;
O! dann versenkt sich der Geist, wo, zückend in flammenden Blitzen,
Redet ein einsamer Gott, hörbar dem Gläubigen nur!



Das Haus des Sura.

Die du, Sura, ersahst vom säulengetragnen Gemache,
Hier wo das Murcische Thal willig zum Circus sich bog,
Spiele der Rennbahn! oft vergleicht man dem Drange des Lebens
Euch, wann schäumend die Kraft ringt mit der strebenden Kraft.
Stürmen ja seh’ ich sie wohl, sich vorzukommen in Eile,
Höre der Rosse Gewieh’r; mancher auch küsset den Staub;
Aber wo winket das Ziel? und wo der Geber des Kranzes?
Endlos schlingt sich verwirrt, nie in sich kehrend, die Bahn. –
Plötzlich drum hemmet den Lauf der Weise; es riss ihn der Strom fort;
Aber er merkt den Betrug; lacht des vergeblichen Spiels.



[17]

Der Lorbeer.

Ha! ich ersehe den Sprössling, dem Weithintreffer geheiligt,
Welcher von fernher schon zeigt mir der Schwester Altar.
Herrlich grünst du empor! den schönren erblickte ich niemals,
Nicht in Hesperiens Flur, nicht wo Iberia thront.
Grüne ferner auch so! – Auch mir, ach! blühte der Sohn einst,
Herrlich an Wuchse wie du, lieblich, wie Tauben, an Sinn.
Und er schied mir dahin! ich find’ ihn bei Lebenden nimmer,
Darum senkt sich so gern jetzt zu Staube mein Blick.



Rom.

Nichts geht über Einsamkeit, Freund, die im Busen geniesset,
Wer in der heiligen Rom steht auf den Gipfeln Quirins.
Nichts vermisset sein Herz, auch die Nähe nicht der Geliebten;
Alles was schön ist und gross, stehet lebendig vor ihm.
Und aus der Grösse Gefühl spriesst Ruh des beschwichtigten Busens,
Die nach tieferer Ruh drunten im Grabe sich sehnt.
Ein Pfad führet allein zum sternumglänzten Olympus,
Tief durch der Erde Geklüft geht er in Schatten der Nacht.
Furchtbar wol mag er erscheinen, wer einsamen Fusses ihn wandelt,
Mein, ach! harret des Sohns freundlich geleitende Hand.



b. Antwort.

An Graf Moltke.

Gern lauscht das Ohr des Wohllauts Silberwogen,
wann reich entströmt Hesperiens Gesang,
zu hoher bald, zu sanfter Töne Klang
der Sänger spannt Apollons goldnen Bogen.
Doch raschren Flugs zum Aether fortgezogen,
der Quelle nah, die Dirce’s Schwan einst trank,
schwingt sich der sinnbegabten Sprache Gang,
die mit der Muttermilch wir eingesogen.
[18] Drum ist kein Spiel den Sängern Teuts die Kunst.
Sie fühlen nur der Dichtung heil’ges Quellen,
wo tief der Geist die innren Kräfte spüret.
Schwer giebt Begeisterung der Muse Gunst. –
Stumm lang, fühlt’ ich erst heut die Brust sie schwellen,
da Freundeshand sie mir herbeigeführet.

c.

Wer weint nicht, wenn bei Romas Siegesgrussen,
wann auf zum Capitol die Heerschaar zeucht,
gefesselt zu des Triumphirers Füssen,
knirschend der Krieger, bang sein Weib erbleicht,
wenn von des Rheines heimischen Gestaden
der Enkel Romuls den Germanen scheucht,
um, folgend ihm auf nie betretnen Pfaden,
der Knechtschaft und der Arbeit schnöde Last
auf des Barbaren freies Haupt zu laden?
Barbaren! – Ja, den Wald, den Windsbraut fasst,
die von des Nordens eisgem Pole stürmet,
durchwandernd hordenweis ohn Ruh noch Rast,
ward nicht von müder Götter Hand beschirmet
der Anne, dem im Busen Schmerz und Lust
sich stark, doch rauh, wie Meeresbrandung, thürmet.
Fern fiel von da, wo kaum sich selbst bewusst
leicht sich und zart des Lebens Knosp’ erschliesset,
wo gleich dem Schwan, wenn um die Silberbrust
die klare Flut der Bach ihm kosend giesset,
im Einklang mit der Sphären weitem Kreis,
hin der Gesang in stolzen Weisen fliesset,
sein ernstes Loos ihm; Bahnen, die das Gleis
rückkehrend niemals in sich selbst verschlingen,
wies an ihm des Geschickes Machtgeheiss,
um durch der Kräfte allgewaltges Ringen
wie Funken sprühen aus dem harten Stein,
Unendlichkeit dem Irrdschen abzuzwingen.

 


[19]

d.

Aus tiefen unerforschten Quellen
Quillt ewger Hofnung [!] Strom daher;
Der Himmel ruht auf ihren Wellen,
Ist selber dieses Stromes Meer.
Unendlich ist der Liebe Sehnen,
Unendlich ist der Wahrheit Trieb;
Was fliesset den ihr, meine Thränen,
Als wär die Erde mir so lieb?



[23]

4. Rom.

An Frau von Wollzogen
Gebohrne von Lengefeld.

[25] Tibris, der du rollst die stolzen Wogen,
Denkst du wohl noch jener grauen Zeit,
Wo noch nicht, gewägt auf luftgen Bogen,
Stand des Capitoles Herrlichkeit;
Roma’s Name, noch von Nacht umzogen,
Nicht des Nachruhms Stimme war geweiht? –
Kehrt einst Nacht, die wieder ihn verschlinget?
Strahlt ein Tag, wo keinem Ohr er klinget? –

Nein! so lang auf seinen Felsensäulen
Ragt das schmale, meerumflossne Land,
Das der Götter Ahnherrn einst sah weilen,
Gründen goldne Reich’ an seinem Strand,
Mag dahin das Rad der Zeit auch eilen,
Wird die Siebenhügelstadt genannt.
Ewig hiess sie in der Vorwelt Munde,
Ewig tönt der Nachwelt ihre Kunde.

Wenn der Tiefe Flut in wüstem Schwalle
Sich empört’ auch auf vom Meeresgrund,
[26] Die jetzt schlummern, die Vulkane alle,
Flammen spieen aus umdampftem Schlund,
Auf das Land mit unerhörtem Falle
Beide stürzten in vereintem Bund,
Dass, wo jetzt den Ulm umschlingt die Rebe,
Leicht zerrissen Well’ an Welle bebe;

Staunend würde doch der Schiffer lauschen
Rufen: „Freunde, zieht die Segel ein!
Höret Ihr die Welle stolzer rauschen?
Seht! auf wogt sie vom Romulschen Hain.
Erd’ und Meer kann wohl sein Loos vertauschen,
Doch vertilgt nie Römername seyn.
Todt Gebilde nicht ists, was ihn träget,
In der Menschen Brust ist er gepräget.“

Als Aeneas zu Evanders Hütte,
Wälzend, kam, des grossen Krieges Last,
Und in seiner Opfertische Mitte
Nun der Held empfieng den neuen Gast,
Wankten schon durch Trümmer ihre Schritte,
Die die grause Hand der Zeit erfasst.
„Phryger, schaue diese öden Reste;
Hier stand Janus, dort Saturnus Veste!“

[27] Also sprach Arkadiens Greis und stillte
Seines Freundes Sehnsucht – ahndungslos,
Welcher Werke Pracht noch Nacht umhüllte,
Welche Zinnen, wunderhehr und gross,
Da, wo ihm die frohe Heerde brüllte,
Einst entstiegen dunkler Zukunft Schooss.
Ach! die da noch nicht das Licht getrunken,
Liegen wieder jetzt in Schutt gesunken!

Und wenn einst in später Jahre Rollen
Seinen Schritt hieher der Waller lenkt,
Wird vielleicht er Trümmern Wehmuth zollen,
Wo sich jetzt die Menschenwelle drängt,
Wenn herab den heilgen gnadenvollen
Segen mild der Fürst der Priester senkt.
Der sich jetzt des nahen Aethers freuet,
Jener Dom, liegt dann in Staub zerstreuet.

Stadt der Trümmer! Zufluchtsort der Frommen!
Bild nur scheinst du der Vergangenheit;
Pilger deine Brüder, nur gekommen,
Anzustaunen deine Herrlichkeit;
Denn vor allen Städten hat genommen
Dich zum Thron die allgewaltge Zeit.
[28] Dass du seyst des Weltenlaufes Spiegel,
Krönte Zeus mit Herrschaft deine Hügel.

Oft sah ich von Aventinus Spitze,
Wo sich engt der Pfad von Ostia her,
Tiber, unter Cacus altem Sitze,
Hin dich rollen zum Tyrrhener Meer.
Wie, geschmelzt an hohen Ofens Hitze,
Erz sich wälzet, langsam, gelb und schwer,
Rollst du ernst und feierlich die Wellen,
Die das Herz mit tiefer Wehmuth schwellen.

Starr verfolgt die Woge, wie sie gleitet,
Festgebannt der thränumwölkte Blick,
Und wenn sie zur fernsten Fern’ ihn leitet,
Kehrt mit gleicher Sehnsucht er zurück.
Dieser Wogen finstres Rollen deutet
Wohl des Menschen innerstes Geschick.
Wenn den Busen Freud’ und Kummer engen,
Ist es mehr als dunkles Wogendrängen?

Schnell vorüber rauscht der Freud’ Entzücken,
Langgehegt wird Schmerz und Kummer mild.
Wenn es fern die Jahr’ und fern entrücken,
Schwankt erbleichend das geliebte Bild.
Ewger Wechsel taumelt vor den Blicken,
Und eh Lösung tief die Sehnsucht stillt,
[29] Schlingt das Grab die streitenden Gefühle,
Dumpf und still, wie Sommermittagsschwüle.

So von Oed’ und Kummer trüb’ umschwebet,
Blicken, wie durch zarten Trauerflor,
Roms Gefild’, und einsam klagend strebet
Trümmer dicht an Trümmer nur empor.
Gräber, von der Vorzeit Hauch durchbebet,
Schweigend ewig dem erschrocknen Ohr,
Hingestreut in wechselnden Gestalten,
Feiern Orkus dunkler Mächte Walten.

Denn bis wo des Meeres Woge schwillet,
Vom Gebirg her am Sabiner Land,
Das mit tiefem Blau die Luft umquillet,
Wo der Sonne glühend heissen Brand
Sparsam schattiges Gehölz umhüllet,
Herrschet der Zerstörung grause Hand.
Wehmuth hat ihr Reich hier aufgeschlagen;
Wehmuth flüstern tausend stumme Klagen.

Doch wie, wem des Lebens Kraft versieget
Von der Liebe heissem Wonnekuss,
Schlürfet, inniger stets angeschmieget,
Ihrer Flammen tödtenden Erguss;
So in sehnsuchtsvoll Erstarren wieget
Dieser Himmelsfluren Zaubergruss.
[30] Segnen muss der Mensch, auch wenn er kranket,
Doch den Epheu, der ihn fest umranket.

Stets an Albas ernster Scheitel hängen
Möchte zauberisch gebannt der Blick,
Wo einst Latium mit Festgesängen
Flehte von dem Donnrer Sieg und Glück,
Zu Sokrate’s lichten Höhn sich drängen,
Kehren über Tiburs Hain zurück;
All die tiefen, schweifenden Verlangen
Halten in dem engen Raum gefangen.

Denn in dieses engen Raumes Schranken
Ruht der Umfang einer halben Welt,
Wie in Einem flüchtigen Gedanken
Oft ein Menschenleben dar sich stellt.
Ferner Völker stolze Throne sanken
Hier, an Roma’s Felsenmacht zerschellt,
Und mit Blüthen, fremder Zon’ entpflücket,
Stand sie da, die Herrscherstirn geschmücket.

[31] Wie von Helios zu Selenens Glanze,
Kehrt zwar von der Heldin blutgem Schwert
Und der schlachtenfroh gebäumten Lanze
Gern der Geist zu der, die, gramverzehrt,
Mit der Locken wild zerrauftem Kranze
Sitzet an dem umgestürzten Heerd,
Deren Schmuck, mit Siegeshand entführet,
Nun der Stolzen hohe Mauern zieret.

Arme Hellas! traure nicht bekümmert!
Hebe froh den gottdurchströmten Sinn!
Wenn in heilger Tempel Halle schimmert
Waltend deine Nebenbuhlerin,
Wenn mit Mavors Städte sie zertrümmert,
Wurde dir ein höherer Gewinn;
Du nur sangst im Götterreihn der Musen,
Du nur herrschest in der Menschen Busen!

An Ilissos sanft gewundnem Strande,
Wo Platanen wehrten Helios Strahl,
Führten lieblicher gewobne Bande
Durch des Erdenlebens dunkles Thal.
[32] In der Dichtung magischem Gewande
Stand die Weisheit bei der Freude Mahl,
Und, begeisterter empor zu flammen,
Schmolz mit Freundschaft Liebe fest zusammen.

Wenn der Perser wilde Schaaren drohten,
Glühte jedem Griechen hoch der Muth,
Und von allen Küsten her entboten,
Spendeten der Freiheit sie ihr Blut.
Ueberdeckt mit Trümmern und mit Todten,
Ausgespieen von des Meeres Wut,
Können Salamis Gestade zeugen,
Ob dem Joche sich Hellenen beugen.

Doch wenn sie des Friedens Opfer weihten,
Rosteten die Waffen unberührt.
Knechtschaftsfesseln einer Welt bereiten
Ist nicht, was Hellenenbrust verführt:
Für des Vaterlandes Götter streiten;
Aber, wenn der Freiheit Kranz sie ziert,
Froh den Reigen um die Freien schliessen.
Und der Hohen Gegenwart geniessen!

Ihren Geist – der Erd’ und Himmel füllet,
Flüstert in dem gottgeweihten Hain,
[33] In des Meeres dunkler Woge schwillet,
Furchtbar starrt im nakten Felsgestein,
Zart der Schönheit Wellenform entquillet –
Schlürfen mit geweihten Sinnen ein,
Tief die Brust in alles Leben tauchen,
Und es bildend wieder von sich hauchen.

Aus dem Nichts da sprangen die Gestalten,
Die umsonst die Hand der Zeit bezwang,
Deren überirrdisch Götterwalten
Jetzt noch füllt den Sinn mit Himmelsdrang,
Die der Schönheit Urform rein entfalten,
Rhythmisch, wie der Sphären Feierklang,
Und sich, wie sie frei den Aether schlürfen,
Huldreich fügen menschlichem Bedürfen.

Da entströmeten der Hymnen Töne,
Wenn in Elis und des Isthmos Flur,
Eifernd, ob des Sieges Kranz sie kröne?
Flog zum Ziel der Flammenräder Spur.
„Eins sind Götter, eins der Menschen Söhne,
Aber beiden Eine Mutter nur.
Werden jene vom Olymp getragen,
Können auf zu ihnen wir doch ragen!“

[34] So vom Hauch der Schönheit überthauet,
So ergriffen von der Grösse Macht,
Drang der Geist, von Morgenröth’ umgrauet,
Tiefer in des Menschenschicksals Nacht.
Keiner hat es je so klar geschauet. –
Wie der Zorn der Eumeniden wacht,
Wie das Leben irrt, ein Traum am Tage,
Ewig tönts des Chores Wechselklage.

Klagt Euch selber; denn kaum flüchtge Spuren
Liess von Euch zurück Barbarenwuth.
Argos trauert, und Mykenes Flut;
Oed’ ist Aulis strudelreiche Flut;
Der Zerstörung wilde Stürme fuhren
Da, wo Götter menschlich einst geruht.
Wie der Leier Tön’ in Luft verhallen,
Muss des Lebens zartste Blüthe fallen.

Nicht gegeben ward Euch, zu gründen,
Was durch grauer Zeiten Alter lebt.
Der selbst, dessen kühnem Ueberwinden
Dienstbar Indus Ufer einst gebebt,
Konnte Welten wohl mit Ruhm entzünden;
Doch es sank, was er mit Müh’ erstrebt.
Wie der Gott im Zweigespann der Tiger,
Zog dahin und schwand der trunkne Sieger.

Wer empor ein fest Gebäu will führen,
Trotzend Zeit und Schicksal unverwandt,
[35] Muss das Irrdsche muthig zu berühren
Nimmer scheun mit arbeitkühner Hand,
Und des innren Busens Kräfte spüren
Näher mit der Erde Staub verwandt,
Wie die Eiche tief die Wurzeln senket,
Wenn am Aether sie die Zweige tränket.

Zwar sie schöpfend von des Himmels Zinnen,
Goss ins Bild, das starrte kalt und taub,
Jene Gluten, die uns noch durchrinnen,
Kühn Prometheus; doch der Stoff war Staub.
Nun in jedem menschlichen Beginnen
Wird des Himmels Frucht der Erde Raub.
Was entflammt den freigeschwungnen Kräften,
Muss sich an die Nacht des Bodens heften.

Ewig hätt’ Homeros uns geschwiegen,
Hätte Rom nicht unterjocht die Welt;
Nimmer wär’ aus Grabesnacht gestiegen,
Der die Seele fest im Leiden hält,
Da die Glieder Schlangen ihn umschmiegen,
Und der Knaben Tod den Busen schwellt,
Liess nicht Titus einst von Siegestrümmern
Seine weiten goldnen Hallen schimmern.

Wie empor, den Himmel tragend, strebet
Atlas, eine allgewaltge Wehr.
[36] Dicht von Wolken ist sein Haupt umschwebet,
Und die Wurzel birgt das dunkle Meer.
So von dort, wo Dichtung Fabeln webet,
Ragt zu uns Roms mächtig Schicksal her.
Was von Thatenkunde wir vernahmen,
Wölbet sich um ihrens tolzen Namen.

Nicht ein frei Geschenk aus Göttergüte,
Ward der Thron der Welt des Römers Loos.
Wie stets neu zürnend Haupt erblüthe
Lernes Drachen aus der Wunde Schooss,
Hob die oft Besiegte sich, und sprühte
Neue Flammen auf den Sieger los,
Bis ihr letztes Blut er nun vergossen,
Und sich Janus hohe Pforten schlossen.

Stark, der Arbeit Riesenlast zu wägen,
Schritt Quirinus Volk den Ringerpfad;
Schnöd verschmähend, Ruh nach Kampf zu pflegen,
Erntend ewig neuer Siege Saat;
Von des Ruhmes lichtbestrahlten Wegen,
Achtend nichts als Herrscherwort und That;
Gern vergeuderisch mit Blut und Schweisse,
Wenn es nur der Welten Richter heisse.

[37] Denn des Rechtes eherne Gesetze
Hielt es den erschrocknen Völkern vor;
Dass Gewalt den Schwachen nicht verletze,
Der zum Schirm es flehend sich erkohr,
Und zum Sieg der Rache Schwert es wetze,
Lieh es dem Bedrängten gern sein Ohr.
So von einem Meeresstrand zum andern
Liess es seine blutgen Schaaren wandern.

Doch eh’ kühn sie waget ferne Züge,
Uebt daheim erst Roma Schlachtenmuth.
Denn dass, kaum gebohren, sie erliege,
Zischt um sie der Nachbarvölker Wut;
Doch die Hände streckt sie aus der Wiege,
Und erwürget liegt der Nattern Brut.
Bändigend Ausonien ihrem Worte,
Steht sie an der Weltbeherrschung Pforte.

Und das Meer lacht ihren stolzen Füssen,
Und es reitzt sie, sich ihm zu vertraun.
„Mag den Uebermuth Carthago büssen,
Und Circejis Wald die Fluten schaun!“
Ruft sie, und mit lauten Siegesgrüssen
Senden ihre Flotten Todesgraun.
Zwischen Schiff’ und Schiffen kühne Brücken
Schlagen sie sich auf der Woge Rücken.

[38] Und der Kampf nun auf den schwachen Brettern
Tobt’, als wütet’ er auf Felsengrund.
Vor des Römerschwertes Flammenwettern
Sinkt der Poene in der Wellen Schlund,
Und von seinen Siegern, wie von Rettern,
Bettelt er des Friedens schmählgen Bund.
Von dem schönen, dreigezackten Lande
Muss er fliehn zu seinem öden Strande.

Aus der Heimath ist sie nun geschritten,
Morgendlich, gleich schöngeschmückter Braut;
Muth und Stärke hat sie sich erstritten,
Dass vor keinem Kampf sie mehr ergraut.
Zwar noch blutgen Regen auf sie schütten
Ungewitter, denen Nacht entthaut;
Doch sie harret aus, die Wolken fliehen,
Und es sinkt die Welt zu ihren Knieen.

Und nach jedem schwer bestandnen Streite
Heftet, noch vom Kampfgewühle heiss,
An der Götter Tempel sie die Beute,
Des vergossnen Blutes theuren Preis.
Mit den Grenzen dehnt sich in die Weite
Auch der Stadt, der Einzgen, heilger Kreis;
Denn zum Heerd des Reichs ist sie geweihet,
Wo sich ewger Flamme Vesta freuet.

[39] Um den Siebengürtel dieser Hügel,
Deren Stirn die hohen Zinnen trägt,
Schwingt der Sieg die goldumstralten Flügel,
Treu dem Kreise, der ihn einzig hegt.
Ewger Herrschaft unverletztes Siegel
Hat hier nieder das Geschick gelegt;
Wohl verpflanzen lässt sich Muth und Tugend,
Aber nicht des Glückes Götterjugend.

Als einst von der Gallier Siegerhänden
Rom verbrannt in Graus und Schutte lag,
Und den neuen Aufbau zu vollenden,
Es an Muth dem müden Volke gebrach,
Wollten sie sich feig nach Veji wenden;
Doch Camill, der kühne Retter, sprach:
„Von der Väter Heerde wollt ihr fliehen?
In die Stadt besiegter Götter ziehen?

So, Quiriten, traget ihr nur Liebe
Zum Gebälk, von Menschenhand erbaut?
So umfasst ihr nicht mit inngerm Triebe
Dieser Muttererde süssen Laut?
Nein! wenn auch nur jene Hütte bliebe,
Die den grossen Gründer einst geschaut,
[40] Möcht’ ans Herz ich diese Oede drücken,
Lieber, als den alten Sitz verrücken.

Oft mit Thränen netzte meine Wangen,
Als ich weilt’ in Ardea verbannt,
Hier nach diesen Fluren tief Verlangen,
Nach des Tibers altgewohntem Strand,
Nach dem Himmel, von dem hold umfangen,
Mir der ersten Jugend Blüthe schwand.
Dass nicht Sehnsucht trübe unsre Freuden,
Lasst uns nie vom süssen Boden scheiden!

Und wer wird den Göttern Opfer bringen,
Deren Dienst von unsern Vätern stammt?
Deine Schilde wer, Gradivus, schwingen,
Wenn kein Bürgerheerd mehr wirthlich flammt,
Und, wo jetzt der Freiheit Kräfte ringen,
Ist zur Wüste dann der Markt verdammt?
Vestas Lohe wer zu löschen wagen?
Wer auf Feindesheerd sie frevelnd tragen?

Fest noch steht die hohe Burg gegründet,
Aller Götter Häuser unversehrt.
Wem die Brust das Vaterland entzündet,
Dem bleibt kein Beginnen je verwehrt.
[41] Für die oft, in Schlachtenreih verbündet,
Ihr gekämpft mit blutgefärbtem Schwerdt,
Diese wüsten Mauern, o Quiriten,
Lasst aufs neue Trotz den Zeiten bieten.“

Und sie wankten zweifelnd hin und wieder.
Da zieht übers Forum Kriegerschaar,
Und begeistert schallt es durch die Glieder:
„Hier zu bleiben frommt uns, immerdar!
Senket hier der Adler stolz Gefieder!“
Und als tönte Götterstimme klar,
Hört vom Markt man und des Rathes Stufen,
„Hier zu bleiben frommt uns!“ alle rufen.

Und seitdem mit aller Götter Gnaden
Ward die Herrscherin der Welt beschenkt;
Schauend von des weiten Aethers Pfaden
Grössres nichts, worauf den Strahl er senkt,
Ists, als ob, in Glanze sie zu baden,
Phöbus seine Flammenrosse lenkt.
Wo nur Hauch der Menschlichkeit je wehte,
Sehnt die Brust sich nach der Stadt der Städte.

Denn als hin das erste war gesunken,
Blüht’ in ihr empor ein neues Reich.
[42] Die durch Blut und Kampf schritt siegestrunken,
Herrscht nun sonder Schwert und Lanzenstreich;
Liebe weckt in ihr die Himmelsfunken,
Statt des Lorbeers, grünt der Palme Zweig.
Tod und Knechtschaft hat sie sonst entsendet,
Segnend jetzt die Welt sich zugewendet.

Zwar auch dieses Glanzes Strahlen bleichen.
Was die Erde Grosses je gesehn,
Sinkt einst vor des Schicksals mächtgen Streichen,
Fortgewirbelt in des Poles Drehn.
Selbst die Sonne muss am Abend weichen,
Neu am Morgen glühend zu erstehn.
Doch der Geist, der tief verborgen weilet,
Wird von keiner Flucht der Zeit ereilet.

Und zu ihm, der, licht entflammt dem Himmel,
Um die Wange dieser Hügel schwebt,
Fliehet freudig aus dem Weltgetümmel,
Wem Betrachtung still die Seele hebt.
Balsam ist der Schatten Nachtgewimmel,
Wenn den Busen Ahndung bang durchbebt.
Aus dem Leben in die Wüste schweifen,
Muss, wer kühn will Göttliches ergreifen.

Soviel Saiten tief im Busen schwingen,
Wenn der Welten Einklang rührt das Herz;
[43] Soviel Töne allgewaltig dringen
Auf von diesem Boden himmelwärts.
Grabestrümmer, öd’ und wüst, durchklingen
Bang die Brust mit sehnsuchtsvollem Schmerz;
Grösse ruht auf Mauern und Gefilden;
Schönheit flammt aus himmlischen Gebilden.

Wann, von ihrem Lichte, Ihr, umflossen,
Göttersöhne, die ihr, ewig jung,
Stehet bei den wildgebäumten Rossen,
Hebt die Brust zu überselgem Schwung,
Wie dann in einander mild ergossen
Strömen Wehmuth und Bewunderung,
Bis der Geist, von Ahndungsblitz gerühret,
In dem Loos der Menschheit sich verlieret!

Denn es soll vergehn des Menschen Treiben;
Ewig währet nur, was leblos starrt.
Nichts soll von der langen Vorzeit bleiben,
Was nicht lebend trägt die Gegenwart;
Kraft an Kraft sich funkensprühend reiben,
Hauch beleben Hauch, nach Geisterart.
Der selbst, von dem alles Leben stammet
Ist nur ewig, weil er stets neu flammet.

Darum sonder bittrer Klag’ Entsenden,
Senken edle Trümmer hier das Haupt,
[44] Als verziehn sie den Barbarenhänden,
Die der Pracht der Jugend sie beraubt,
Sanft noch lächelnd in den öden Wänden,
Von des Epheus dichtem Schmuck umlaubt;
Wie der Saat, die bald der Sommer bleichet,
Still im Herbst des Halmes Aehre weichet.

Niedern Dienst dem neuen Wohner leihet
Hoher Säulen schöngeformter Knauf;
Achtlos, ob er Werk der Kunst entweihet,
Stützt er häusliches Geräth darauf.
Soll, der sich des Augenblickes freuet,
Greifen in der Zeiten raschen Lauf?
Blüthen, die aus ihrem Schoose spriessen,
Mögen welkend hin mit ihnen fliessen.

Grosses ewig muss der Mensch erzeugen,
Weil zum Himmel auf sein Wesen strebt;
Doch das Grosse muss der Zeit sich beugen,
Der im Busen wieder Grössres webt,
Schlingen so sich hin ein Götterreigen,
In dem Schönes Schöneres belebt.
Nur ein Leben aus dem Tod Entfalten
Ist der Menschheit schmerzumwölktes Walten.

Der des Menschen Busen heiss durchglühet,
Hält die Welten auch im ewgen Gleis,
[45] Und die Funken, die er flammend sprühet,
Fasset keiner Ewigkeiten Kreis.
Neues auch aus seinem Schooss erblühet,
Ohne dass er ahndungsvoll es weiss.
Er auch kennt nur ewig neu Entwinden,
Ringt, im Grössren wieder sich zu finden.

Denn das Neue doch ist heimisch wieder,
Stammt aus gleich verborgnem Urquell her.
Drum wer lenken will des Geists Gefieder
Um der Erde Rand, der Sterne Heer,
Steige nur zum eignen Busen nieder,
Schwelle, wie der Ströme Flut das Meer,
Ihn mit aller Schöpfung reichem Leben,
So um Einen lichten Punkt zu schweben.

Denn, ein Abglanz göttlicher Gedanken,
Reisset, theilend keines Irrdschen Loos,
Aus der Alltagsbilder irrem Wanken
Plötzlich, still verklärt, Gestalt sich los.
Grösse, die nicht Wandel kennt, noch Schranken,
Ruht in ihrer Züge tiefem Schooss;
Was dem Geist entflieht, als reine Wahrheit,
Strahlt aus ihr in hoher Sinnenklarheit.

So erwuchsen durch der Gottheit Segen
Diese Hügel in der Horen Tanz.
[46] Was die Brust kann Grosses je bewegen,
Hängt an ihrer Gipfel heitrem Glanz,
Um die sich der Menschheit Loose legen,
Wie um Heldenstirn ein Lorbeerkranz.
Welcher Laut hat menschlich je geschallet,
Den die Vorzeit hier nicht wiederhallet?

Ihren Tönen lass mich, Freundin, lauschen!
Mag, was leicht, wie Windes Hauch, verweht,
Immerhin sein Wechselloos vertauschen;
Was das ernste Schicksal will, besteht.
Lass den Augenblick vorüberrauschen!
Nur das Meer, des Fluten, glanzbesät,
An der Menschheit tiefe Wurzeln schlagen,
Ist es werth, den müden Geist zu tragen.



[183]

119. Tivoli.

Zwei sonnigwarme, felsge Hügel stehen
in Tiburs Flur, nah an Gennaros Rücken.
Bestrahlt vom Abendroth die zu erblicken,
fast alle Tage ich und Stella gehen.

Sie bleibt, bis vor der nächtgen Kühle Wehen
des Tagsgestirnes letzte Strahlen zücken,
und ihre Züge stille Ruh’ ausdrücken,
wenn wir nach Hause uns dem Ort zu drehen.

Ihr Ernst dann schwebt an jene milde Strenge,
die auf der Stirn der Götterbilder lieget,
und jede harte Leidenschaft besieget.

Mich dieser Ausdruck mächtig an sich ziehet,
[184] dass mich die ganze Nacht der Schlummer fliehet,
und ich allein an der Erinnrung hänge.



[213]

214. Die Römer.

Dass sich der Menschheit Schicksal wölbend baue,
geschaffen ward des Römervolkes Sitte,
dass, pfeilerähnlich stehend in der Mitte,
wie Janus, es nach vorn und rückwärts schaue.

Ein Fels, an dem des Meeres Wut sich staue,
wich es dem Trotz nie, selten flehnder Bitte,
[214] und vorwärts schritt mit nie gehemmtem Schritte,
nicht achtend, dass den Fuss ihm Blut umthaue.

Der Kunst und Dichtung schöpferischen Funken
nicht zeugte seine Brust, begeistrungtrunken.
Die Harfentöne seiner Dichter hallten

nur nach den vollern, die von Hellas schallten.
Nur auf des Völkerthrones ehrnen Stufen
zu herrschen einzig, fühlt’ es sich berufen.



[216]

220. Stella.

Ich hörte sie herab die Treppe steigen,
und sah sie nächtlich strahlend sich mir zeigen,
durch Roms Gemäuer sollt’ ich sie geleiten,
die sieben Hügel auf und nieder schreiten.

Ihr Blick hing in betrachtungsvollem Schweigen
an jenen Trümmern, hoher Vorwelt Zeugen;
mich kümmern nicht die alten Römerzeiten,
da mir die neuen Gram und Schmerz bereiten.

Ich übe unverbrüchlich feste Treue,
doch wie ich jeden Tag sie ihr erneue,
es scheint die Sonne wohl, der Mond erbleichet,

doch Stellas Brust für mich sich nicht erweichet.
Kaum dürfen meine Lippen Bitte wagen,
und schweigend muss ich ihre Kälte tragen.



[296]

Der Monserrate.

Die, öffnend ihren Mund nur heilgen Grüssen,
vorüber an einander schweigend gehen,
ihr Leben hier der niedren Welt verschliessen,
und an den Pforten schon des Himmels stehen.

Die Dumpfheit sie des Nebelthals verliessen,
verlangend nach des Bergeshauches Wehen;
in Fasten und Gebet und strengem Büssen
die Tritte sie um schroffe Klippen drehen,

und wenn sie auf zum steilen Gipfel steigen,
auf Stufen, in den Felsen eingehauen,
des Himmels weiten Kreis zu überblicken,

dann bei der Abendsonne stillem Neigen
des Flehens Thränen ihrem Aug’ entthauen,
sie bald der Erde Schranken zu entrücken.



[303]

545. Rom.

Durch Dich begeistert, hab’ ich Dich besungen,
und glaubte nie mich mehr von Dir zu trennen;
jetzt hör’ ich fern nur Deinen Namen nennen,
und jeder Rückkehr Hoffnung ist verklungen.

Von Deiner Göttergrösse still durchdrungen,
fühl’ ich zwar Sehnsucht mir im Busen brennen,
doch in der Sehnsucht tiefestes Erkennen
hat andre Sehnsucht hindernd sich verschlungen.

Wie könnt’ ich von der theuren Stelle weichen,
wo ich mir ewge Heimath süss gegründet?
wie täglich nicht die nie Vergessne grüssen?

Nur hier kann meine Tage ich beschliessen;
[304] wie Epheu, es unlösbar mich umwindet,
dass dort ich sie nur kann von hier erreichen.



[437]

1144. Stella.

In tiefe Wehmuth liess mich Rom versinken;
wenn alle Sinne hohe Milde trinken,
in Weichheit hin der Seele Kräfte gehen,
und sich zu stillergossnen Thränen drehen.

Verfallne Riesentrümmer ernst uns winken;
die Zeiten, die die edelsten uns dünken,
auf diesem Boden lehren uns verstehen,
was sie, als Schicksalsausspruch, uns zuwehen:

dass Menschenglück kann nie und nimmer währen,
dass es, wie Rauch, sich in der Luft verlieret,
allein dass Schmerz zu tiefrem Daseyn führet,

und Menschenglück ist Glück vergossner Zähren.
Da Wehmuth mich in Rom zu Härte wandte,
die nie mein weicher Frauensinn sonst kannte.



Quelle:
Wilhelm von Humboldts Werke. Hrsg. von Albert Leitzmann. Neunter Band. Gedichte. Berlin 1912
(= Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Band IX. Erste Abteilung: Werke IX).

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