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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Stefan George

Kurzbiografie

Stefan Anton George (*12. Juli 1868 in Büdesheim bei Bingen – †4. Dezember 1933 in Minusio bei Locarno), Sohn eines Weingutbesitzers und Gastwirts, besuchte das Darmstädter Gymnasium und studierte kurze Zeit Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Danach widmete er sein ganzes Leben ausschließlich der Dichtung. George führte ein unstetes Reiseleben und wohnte bei Freunden, die er aus Altersgenossen, später aus der jüngeren Generation auswählte und systematisch um sich scharte.

George propagierte das aus dem französischen Symbolismus (Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine, Charles Baudelaire) übernommene Kunstideal des „l’art pour l’art“ („Kunst um der Kunst willen“). Hatte George anfangs nur die Erneuerung der Literatur angestrebt, so weitete er später diesen Anspruch auf die Kultur, die Gesellschaft, den Staat und sogar die Religion aus und praktizierte sein elitäres Herrschaftskonzept im Kreis der Freunde und Jünger (‚George-Kreis’).
Georges Dichtertum war durch ein homoerotisches Moment geprägt, wie es exemplarisch in seiner Begegnung mit dem Knaben Maximilian Kronberger (1888-1904) zum Ausdruck kam, den George nach seinem frühen Tod in antiker Tradition zum Gott „Maximin“ erhob (im Gedichtbuch „Der siebente Ring“ 1907; Veröffentlichung 1909). In den frühen Gedichtsammlungen („Hymnen“, 1890; „Pilgerfahrten“, 1891; „Algabal“, 1892) werden die griechisch-hellenistische Welt, die religiöse Welt des Mittelalters und ymnen auf die griechisch-ghelleniscvhe Welt, die PIlgerfahrten auf die religiöse Welt des MiottelaktertsHymnendie Welt des heidnischen Kaisers Heliogabal beschworen. Die bukolischhymnische Thematik der nächsten Sammlung „Die Bücher der Hirten und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten“ (1895) führten zu dem Gedichtbuch „Das Jahr der Seele“ (1897), das als Gipfel von Georges Naturlyrik gilt.

Das folgende lyrische Werk wurde zunehmend von ideologischen und didaktischen Tendenzen geprägt, so die architektonisch streng komponierten Gedichtbücher „Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel“ (1899), „Der siebente Ring“ (1907) und das hundert Sprüche umfassende ‚Gesetzbuch’ des Kreises „Der Stern des Bundes“ (1914). Über die 1892 gegründeten „Blätter für die Kunst“, die bis 1919 in zwölf Folgen erschienen, und das zwischen 1910 und 1912 publizierte „Jahrbuch für die geistige Bewegung“ gewann George großen Einfluss auf die deutsche Geisteswissenschaft. Trotz einer gewissen Nähe zu konservativ-völkischen Gedanken ließ sich George nicht von den Propagandisten des Dritten Reiches vereinnahmen. Seinem elitären Ideal war jegliche Massenorganisation zuwider.

Georges Italienerleben ist literarisch beeinflusst von der Antike, von Goethe und von Nietzsche. Das Rollengedicht „Goethes lezte [!] Nacht in Italien“ spiegelt eigene Erfahrungen in Goethes Selbstreflexionen.

Gunter Grimm

 

 

[53]

Rom-Fahrer

Freut euch dass nie euch fremdes land geworden
Der weihe land der väter paradies
Das sie erlöst vom nebeltraum im norden
Das oft ihr sang mehr als die heimat pries.

Dort gaukelt vor euch ein erhabnes ziel
Durch duft und rausch in marmor und paneelen
Dort lasset ihr vom besten blute viel
Und ewig fesselt eure trunknen seelen

Wenn euch verderbenvoll der schöne buhle ..
Wie einst die ahnen denen dürftig schien
Die kalte treue vor dem fürstenstuhle:
Wunder der Welt! Und sänger Konradin!

Durch euer sehnen nehmt ihr ewig teil
An froher flucht der silbernen galeeren
Und selig zitternd werfet ihr das seil
Vor königshallen an den azur-meeren.


[73]

FELD VOR ROM

An Ludwig von Hofmann

Von höhen maassen wir die abendgegend
Der welten trümmer sich im glanze regend
Wir treten in die fluren öd und streng
Von nah und fern ein hauch macht bang und eng.

Denn mussten wir vor aufgehäuftem prunke
Vor grosser gruft glorreichem säulenstrunke
Weniger weinen? und was war uns seit
Der kronen zier · der völker herrlichkeit!

Wir fühlen scheidend: säen oder roden
Verwehrt den schmerzlichen der stolze boden ..
Sieh! weit in wolken schein des ewigen tors
Und blut- und veilchenfalten eines flors

Auf wehem grün der welligen ebne fliegend
Frascati bleicher an den berg sich schmiegend ..
Noch einmal halt an diesem hügel still
Pflückend die schattenlilie asphodill.


[74]

SÜDLICHE BUCHT

An Ludwig von Hofmann

An grünen klippen laden selige gärten
Wo blumen sich mit blauen wogen mengen
Und frühe winde zart und glühend sprengen
Um den Gebundnen die metallnen härten.

In lila-himmel streuen berge funken –
Hier lockt die dämmerung der safirgrotte
Dort in verklärte fernen zieht die flotte ..
Ihn hat ein schauer jung geküsst und trunken

Dass er berührt vom spiel gewiegter hüfte
Den einen namen seufze sage singe ..
Und starker odem in dem zauberringe
Wie wein und honig meer und tempelgrüfte

Hat ihm in traumes ruhe-reich verholfen ..
Wo er in lied und segen der zypresse
Sein kaltes land und steiles werk vergesse
Langsam sich lösend vor den purpurgolfen.

Quelle:
Stefan George: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 5, Berlin 1932.

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[166]

SÜDLICHER STRAND: BUCHT

Lang zog ich auf und ab dieselben küsten ·
Von stolzen städten eine perlenschnur ·
Hier oder dort den hochzeit-tisch zu rüsten ...
Ein fremdling geht hinaus zur flur.

So oft ich weile auf denselben brücken ·
Nicht weiser – nur vergrämter jedesmal ·
Lass ich von alter hoffnung mich berücken
Umgleit ich harrend manch portal.

Wenn hoch im saale sich die paare drehn
Im bunten schmuck mit blumen um die schläfen:
Folg ich den ärmsten wandlern in den häfen ..
So sehr ist qual allein zu gehn.


[167]

SÜDLICHER STRAND: SEE

Fern liegt die heimat noch als schwarze wüste
Vergessen hinter schneebestreuter wehr ..
Kein laut von dort der nicht vergeblich grüsste!
Die wunderwelt verlockt uns noch zu sehr.

Starr-hohe fichten sanftere oliven
Im garten den ein kühler glanz durchloht –
Noch wartet drunten auf den glatten tiefen
Aus saphir unser gelbbeschwingtes boot

In dieser luft von weihrauch und von rosen
Wo selbst der strenge Fürst des Endes leicht
Als sei er nur der spender von almosen
Mit einem lächeln durch die lande schleicht.


[168]

SÜDLICHER STRAND: TÄNZER

Ihr wart am pinienhage ohne staunen
Ins gras gelagert · junge schwinger · beide
Mit gliedern zierlich regen kräftig braunen
Mit offner augen unbefangner weide.

Ihr hobet euch vom boden auf im takte
Ins volle licht getauchte lächelnd reine
Und schrittet vor und rückwärts – göttlich nackte
Die breite brust gewiegt auf schlankem beine.

Von welcher urne oder welchem friese
Stiegt ihr ins leben ab zum fest gerüstet
Die ihr euch leicht verneigtet und euch küsstet
Und tanzend schwangt auf weiss-gesternter wiese!

Quelle:
Stefan George: Der siebente Ring. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 6 / 7, Berlin 1931, S. 165-166.

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[8]

GOETHES LEZTE NACHT IN ITALIEN

Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer?
Fichten seh ich zwei ihre schwarzen flügel
Recken ins stetige blau der nacht und dazwischen
Silbern in ruhigem flimmern ein einziger stern.
Aus den büschen tritt nun das Paar .. vor dem Bild
Mitten im laub-rund · leuchtender marmor wie sie ·
Tun sie noch immer umschlungen den grossen schwur.
Mächtig durch der finsteren bräuche gewalt
Heben sie nun ihre häupter für herrschaft und helle.
Staunend hört ihren heldengesang die verklärung
Ewiger räume · dann trägt ihn der duftige wind
Über das schlummernde land und die raunende see.

[9] Abschied reisst durch die brust – von dem heiligen boden
Wo ich erstmals wesen wandeln im licht
Sah und durch reste der säulen der Seligen reigen ..
Ich den ihr preisend >herz eures volkes< genannt
>Echtesten erben<: hier hab ich vor armut gezittert ·
Hier ward erst mensch der hier wiederbegonnen als kind.
Durch die nebel schon hör ich euch schmälende stimmen:
>Hellas´ lotus liess ihn die heimat vergessen< ...
O dass mein wort ihr verstündet – kein weiseres frommt euch –
>Nicht nur in tropfen · nein traget auch fürder in strömen
Von eurem blute das edelste jenseit der berge ·
Anteil und sinn euch solang ihr noch unerlöst<.

Euch betraf nicht beglückterer stämme geschick
Denen ein Seher erstand am beginn ihrer zeiten
Der noch ein sohn war und nicht ein enkel der Gäa
Der nicht der irdischen schichten geheimnis nur spürte
Der auch als gast in ambrosischen hallen geweilt
Der dort ein scheit des feuers stahl für sein volk
Das nun sein lebenlang ganz nicht mehr tastet in irre
Der in die schluchten der grausigen Hüterinnen
Die an den wurzeln im Untersten sitzen · sich wagte
Die widerstrebenden schreienden niederrang
Ihnen die formel entreissend mit der er beschwört ...
Solch einer ward euch nicht und ich bin es nicht.

[10] Früh einst – so denkt es mir – trug ein bewimpeltes schiff
Uns in das nachbarlich rheinische rebengeländ ..
Hellblauer himmel des herbstes besonnte die gaue
Weisse häuser und eichen-kronige gipfel ..
Und sie luden die lezten trauben am hügel
Schmückten mit kränzen die bütten · die festlichen winzer ·
Nackte und golden gepuzte mit flatternden bändern ..
Lachend mit tosendem sange beim dufte des mostes
Also stürmte die strasse am tiefgrünen strom
Purpurnes weinlaub im haare der bacchische zug.
Dort an dem römischen Walle · der grenze des Reichs ·
Sah ich in ahnung mein heimliches muttergefild.

Unter euch lebt ich im lande der träume und töne
In euren domen verweilt ich · ehrfürchtiger beter ·
Bis mich aus spitzen und schnörkeln aus nebel und trübe
Angstschrei der seele hinüber zur sonne rief.
Heimwärts bring ich euch einen lebendigen strahl ·
Dränge zutiefst in den busen die dunkleren flammen ·
Euch ein verhängnis solang ihr verworren noch west.
Nehmt diesen strahl in euch auf – o nennt ihn nicht kälte! –
Und ich streu euch inzwischen im buntesten wechsel
Steine und kräuter und erze: nun alles · nun nichts ..
Bis sich verklebung der augen euch löst und ihr merket:
Zauber des Dings – und des Leibes · der göttlichen norm.

[11] Lange zwar sträuben sich gegen die Freudige Botschaft
Grad eure klügsten · sie streichen die wallenden bärte ·
Zeigen mit fingern in stockige bücher und rufen:
>Feind unsres vaterlands · opfrer an falschem altar< ...
Ach wenn die fülle der zeiten gekommen: dann werden
Wieder ein tausendjahr eurer Gebieter und Weisen
Nüchternste sinne und trotzigste nacken gefüge
Ärmlicher schar von verzückten landflüchtigen folgen
Sich bekehren zur wildesten wundergeschichte
Leibhaft das fleisch und das blut eines Mittlers geniessen
Knieen im staube ein weiteres tausendjahr
Vor einem knaben den ihr zum gott erhebt.

Doch wohin lockst du und führst du · erhabenes Paar?..
Sind es die schatten der sehnsucht · lieblich und quälend?..
Säulenhöfe seh ich mit bäumen und brunnen
Jugend und alter in gruppen bei werk und bei musse
Maass neben stärke .. so weiss ich allein die gebärden
Attischer würde .. die süssen und kräftigen klänge
Eines äolischen mundes. Doch nein: ich erkenne
Söhne meines volkes – nein: ich vernehme
Sprache meines volkes. Mich blendet die freude.
Wunder hat sich erfüllt von marmor und rosen ...
Welch ein schauer des ungebahnten erbebt?
Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer?

 

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928.

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