Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Robert Hamerling

Kurzbiografie

Robert Hamerling, eigentlich Rupert Johann Hammerling, (*24. März 1830 in Kirchberg am Walde – †13. Juli 1889 in Graz) wurde als Sohn eines Webers in Niederösterreich geboren. Durch Stipendien war es ihm möglich das Untergymnasium des Stifts Zwettl und ab 1844 das Schottengymnasium in Wien zu besuchen, wo er sich ab 1848 dem Studium der Philosophie und Philologie widmete. Er wurde Lehrer in Wien, Graz und ab 1854 in Triest, wo er gleichzeitig als Theaterrezensent bei der „Triester Zeitung“ wirkte und Gedichte in diversen Zeitschriften veröffentlichte. Nach einem halben Jahr Aufenthalt in Venedig erschienen als direkte Ausbeute dieser Italienerfahrung die Gedichtsammlung „Ein Sangesgruß vom Strande der Adria“ (1857) und später die lyrisch-epische Dichtung „Venus im Exil“ (1858). Seine deutsch-nationale Geisteshaltung und die Befürwortung der deutschen Einigungsbewegung kamen erstmals in dem in der Nibelungenstrophe gehaltenem „Schwanenlied der Romantik“ (1862) und in dem Poem „Germanenzug“ (1864) zum Ausdruck. Aufgrund einer Darmtuberkulose musste sich Hamerling 1866 zur Ruhe setzen und zog nach Graz. 1870 ließ er sich im nicht weit entfernten Stiftingthal nieder. Weitere Werke waren unter anderem das Epos „Der König von Sion“ (1869), das Festspiel „Teut“ (1872) und die Dichtung „Amor und Psyche“ (1882).
Das lyrische Ich in Hamerlings Italiengedichten wird von der zauberhaften italienischen Landschaft in ihren Bann gezogen. Liebeslyrische und märchenhafte Elemente sind Ausdruck einer mystifizierten Begegnung. Hamerling führt in eine spukhafte italienische Zauberwelt.

Katharina Junk
 


[87]

XLV.

Und gönnt es mir, zu weilen hier im schönen Land
Italia, zu wandeln am Südmeerstrand
Und holden Trost zu suchen für meines Herzens Glut,
Hier, wo hellenscher Schöne Widerschein auf Trümmern ruht!

Nirgend blaut des Äthers Bronnen so schimmernd; so hehr
Spült an Blütenufer nirgend das liebliche Meer;
Nirgend tönt die Lippe so hold, so zauberfroh
Blüht in Frauenbildern der Schönheit Adel nirgendwo!

Die Städte reih’n wie Perlen sich auf prangender Flur
Und heben in des Himmels glänzenden Azur
Edelstolze Zinnen: es schimmert Palast und Dom
Und spiegelt sich in Buchten, in grünen Seen, im Silberstrom!

Und von der Dome Wänden grüßen Bild an Bild
Olympische Gestalten mich als Heil’ge mild;
Darunter Venus-Madonna, wie unter Sternen der Mond,
Mit himmlisch-blauen Augen und süßen Locken, goldig blond!

Marmorbilder winken mir im Lorbeerhain,
Hohe Tempeltrümmer blinken im Abendschein,
Süß träumt sich auf gestürzten Säulen der Vorzeit Traum,
Wenn blühend drüber säuselt des Frühlings ewig junger Baum!

Daß dich der Himmel segne, schönes Blütenland!
Wahre der Vorzeit Abglanz, der, wie auf deinem Strand,
So auch auf deinen Liedern, auf deinen Bildern blüht,
So lang’ dein Himmel blauet und deine Sonne golden glüht!



Quelle:
Hamerlings sämtliche Werke in sechzehn Bänden. Mit einem Lebensbild und Einleitungen hrsg. von Michael Maria Rabenlechner. Zweiter Band. Leipzig: Hesse & Becker Verlag 1922.

~~~~~~



[26]

Romanze aus Neapel.

Die schöne Königin der Nacht
Entrollte den Sternenfächer;
Es liegt das Meer in ruhiger Pracht,
und taghell glänzen die Dächer.

O Napoli, du selige Stadt,
Wie blinken deine Zinnen!
Wie winkst du mit schimmernder Berge Grat
Den wonnig entzückten Sinnen!

Gebreitet in den unendlichen Raum
Erscheint den trunknen Gedanken
Der Sternenhimmel ein Weihnachtsbaum
Voll glitzernder Sprossen und Ranken.

Es hängen die Sterne wie Nüsse dran,
Vom blanken Silber umflittert;
Tief unten erstaunt der Meeresplan,
Von Strahlenwonne durchwittert.

Und siehst du das duftige Felseiland,
Dort wo zur Serenade
Die Wellen rauschen im goldnen Sand
An Capris Felsengestade?

Und siehst du verklärt von Zauberschein
Die lauschige Grotte blinken?
Dort, Liebchen, wollt’ ich, wir zögen ein –
Schon seh’ ich die Meerfei Winken.

[27] Da wogt mit lieblichem Schmeichellaut
Das Meer durch die Felsenhalle
Und flutet und ebbt und schimmert und blaut
Um die Pforte mit lustigem Schwalle.

Es umloht die Glut, die befeuchtende,
Den Kahn im blauen Reviere,
Das Ruder umstäuben leuchtende
Demanten und Saphire.

Mit dir in jenes Zauberreich,
Vom blauen Schimmer umflossen,
Träum’ ich mich hin, im Kahne weich
Von deinen Armen umschlossen.

Da wiegt die Liebe, du liebes Kind,
Uns zwischen Himmel und Erde.
Wir fragen, ob wir schon oben sind,
Entrückt der ird’schen Beschwerde?

Denn wo beginnt die Meeresflut,
Wo endet der Ätherbronnen?
Ist alles doch in  e i n e  Glut
Hold ineinander geronnen.

Dann kräuselt sich plötzlich der blaue Golf,
Wo so ruhig die Wellen schliefen;
Und es regt sich der grimme Wasserwolf
In seinen graulichen Tiefen –

Horch, wie der Wind in die Segel pfeift,
Horch, wie er mit keckem Finger
Tief in die Wogenharfe greift,
Ein toller Minnesinger!

Und es tanzen die Wogen ihr wildes Spiel
Und es wälzt ihre heulende Rotte
Sich gegen der Liebe schönes Asyl
Die blauende Wundergrotte.

Wir drinnen aber, wir merken’s nicht:
In den Armen des Wonnetraumes
Ruhn wir, geblendet von Glück und Licht,
Auf den bräutlichen Rosen des Schaumes;

[28] Und wie der Blumenglocke Raum
Oft bringt in duftigem Grunde
Zwei Falter und ihren Liebestraum
In maienseliger Stunde –

Reißt auch die Blume der Sturm dahin,
Die Falter merken und wissen
Es nicht – so sterben mit Göttersinn,
An des Abgrunds Arme gerissen,

Wir Liebende, noch von Rosen umsprüht
Und von blauen Funken umstoben,
Und sinken hinunter, selig erglüht,
Vereint in des Sturmes Toben.

So, Liebste, so möcht’ ich den schönsten Tod,
Den Tod der Liebe, sterben.
Sind Tod und Liebe doch Morgenrot
Dem ird’schen Lose, dem herben.

Es krönt das sterbliche Menschengeschick
Im düsteren Weltgetriebe
Mit einem himmlischen Augenblick
Der  T o d  nur und die  L i e b e.



Hymnen im Süden.

I.

Träume, mein Herz, den Traum der Schönheit!
Den fast verschollnen im wüsten Tagwerk,
Hier träum’ ihn,
Selig einsam,
Unter Zypressen und Lorbeern,
Wo am sonnigen Strand
Die Rebe grünt, vom Perlenschaum
Des Südmeers golden betaut.

Im Norden hört’ ich
Verklingen das Lied
Im Tagslärm.
Andere Melodien will dort die Zeit,
Als die der Schönheit.
Den Heroldsruf
Der Tagesfehde begehrt sie,
Nicht reiner Schönheit Sabbatglockenklang!
Hier aber klingen
Die Lüfte von Rhythmen,
Hier tönt noch,
Welt-unbekümmert,
[30] Anmutiger Herzempfindung
Klangfrohe Musik!
Stimm’ ein, o Lied, und wälze
Schönheittrunken
Aus Seelentiefen
Die süße Tonwoge des Rhythmenstroms!

Blüht Herrlicheres auf irdischen Aun,
Erhabneres in himmlischen Höhn
Als Schönheit?
Sei’s, daß auf blumiger Lenzflur,
Auf blauenden Seen im Glanzduft,
Oder am schroffen Gebirg
Ihr goldener Fittich schwebt –
Sei’s, daß das Rätsel des Daseins
In reiner, lebendiger Menschenblüte
Sie bildend löst,
Durch den  R e i z  d e s  M a ß e s
Den  S c h m e r z  d e r  S c h r a n k e  versöhnt,
Und mit Ahnungswonne
Künftiger Lebensvollendung
Der Dichtersehnsucht
Urewige Qualfrage beschwichtigt –
Sei’s, daß die Ströme der Brust
In süßen Gesangs
Zauberschale sie auffängt
Und, wild Erquollnes
Zart umgrenzend
In holder Schranke des Rhythmus,
Formprächtige Tonkristalle
Wie Perlen ausstreut.

Mir hat sie die Seele berauscht,
Das Herz mir umstrickt mit goldichtem Netz,
Ihr Sklave bin ich!
Zukunftspropheten,
Welt-Heilsapostel,
Scheltet mich nicht!
Zeihet mich nicht der Tatlosigkeit!
D e r  S c h ö n h e i t  E v a n g e l i u m  s e i  e i n s
Mit dem der  Z u k u n f t!



[31]

II.

Glückselig, wem zu Füßen
Des Häßlichen Wolke sich wälzt,
Indes er mit leuchtender Stirn
Aufragt in der Schönheit
Heiteren Äther.

Sterbliche leben,
Unselige, die verdammt sind
Zur Hölle der Unschönheit:
Durch den Schlamm
Wie Würmer im Pfuhl
Geschleppte Seelen, an die der Gemeinheit
Fratze sich ankrallt, daß sie vergebens
Abschütteln den Unhold.
Andere sind, die rein
Hinwandeln, doch ihr Gemüt
Schaut Unholdes,
Und wo sie staunen,
Springt grinsend hervor
Das Häßliche wie ein Kobold.
Gespenster hetzen
In sternlosen Nächten sie müd’,
Und wenn sie den Griffel fassen,
Leben hinzustellen,
So ist’s des Lebens kleinlich Unschönes,
Oder verzerrt Lachwürdiges,
Oder sein trostloser, lichtscheuer Abgrund,
Was sie gestalten.

Noch andere aber sind
Die Seligen, Sonnensöhne,
Die die Nacht nicht kennen und, wenn ins Dunkel sie
Hinunterstiegen,
Mitbrächten das Licht.
Ihnen jauchzt aus allem Lebendigen
Entgegen der Sonnenfunke des  U r l i c h t s,
Farbig gebrochen in  U r s c h ö n e.

Wie Sonnenblumen
Sind ihre Augensterne:
Das Häßliche schauen sie nicht,
[32] Als vom Gipfel des Lebens aus,
Wo es einklingt
In die Lebenschöre des Allseins.
Von ewiger Schöne Pfeil
Zum Tode getroffen,
Doch selig entzückt,
Tönt ihr Mund nur Schönes,
Und keine Lust,
Als die Lust am Schönen,
Und keinen Schmerz,
Als die Sehnsucht nach Schönheit.

Mit diesen möcht’ ich
Aufstreben und immerdar
Hinwallen,
Wie Sonnenaare morgendlich
Schweben und Schwäne trunken
Gleiten in abendroter Glanzflut.


III.

Göttergesegnet,
Wenn auch schmerzlich bewegt und einsam,
Wandelt dahin
Der Liebhaber der Schönheit,
Das unauslöschliche Bild
Eines künftigen Reichs des Schönen
In seiner Brust.

Zuweilen aber,
In sonnelosen Stunden,
Steigen Dämonen um ihn auf, deutend
Auf des Lebens Wirrsal und matt
Schleichenden Niedergang,
Und sie flüstern ihm zu:

Sieh, fernab wandelt,
Fern und immer ferner
Vom Pfade der Schönheit
Dies Geschlecht.
Nicht bilderstürmerisch zwar
Stürzen sie die verehrten
Idole des Schönheitstempels;
[33] Aber sie rührt nicht mehr
Der Formenzauber des Schönen im Lied,
Nicht ideale Schönheit im Bilde,
Ein Höchstes den Griechen,
Und Raffaels Genossen.

Und sie merken nicht,
Daß der Schönheit Blütenstaub
Unvermerkt ihnen wegschwindet
Von der Blume des Lebens selbst.
Es verkümmert um sie das Dasein:
Und über des engen Kreises
Schranke hinweg
Nach schöneren Sphären zu blicken,
In goldenen Altern,
Bei den Götterbegnadeten
Der Vorzeit, edleren Menschentums
Bild in die Seele zu fassen,
Wer hat noch Sinn und Liebe genug?
So steigt vom Throne
Der Kunst, des Lebens,
Die Schönheit,
Umschleiert ihr Antlitz
Und wandelt hin
In die Verbannung. –

Steigt etwa dereinst
Eine  n e u e  Schönheitsgöttin
Aus dem Zeitenstrome der Zukunft?
Schwer ist’s, zu glauben,
Das müde Leben
Sei noch mutterkräftig genug,
Zu gebären neue Götter.
Einst wohl sprangen sie
Aus seinem kraftüppigen Schoß
Mit den Geburten der Urwelt
Frisch und zahllos:
Doch heute, wo sind
Die Blumen-, die Tiergestalten,
Die neu auftauchen
Als nachgeborne Gedanken des Urgeists?
[34] Geschweige neue Götter!
Nichts Neu-Lebendiges mehr
Sproßt hervor,
Das Alte aber
Taucht eins ums andre
Zur Tiefe hinab. –

So flüstern die Dämonen;
Der Liebhaber der Schönheit aber,
Mit halbem Ohre nur lauscht er,
Lächelt, stille bewegt,
Und zieht sich zurück
In die Heiligtume des Herzens,
Wo in Sehnsuchtsfluten sich ihm
Der Verheißung Sterne spiegeln,
Und Zeugnis geben,
Daß der Himmel noch blaut,
Weltentief und gestirnt,
Und die ewige Liebe wacht
Wie in Urzeiten,
Auch über gesunknen Geschlechtern.



Sommernacht am Meere.

Ich hab’, im Schaun versunken
Goldheller Mondespracht,
Zu tief in mich getrunken
Den Hauch der Sommernacht.
Wer löscht die Flammenwelle
In meiner Seele nun?
Ich kann in meiner Zelle
Nicht rasten und nicht ruhn.

Die Plätze sind verlassen,
Die Hallen schweigend leer:
Ich wandle durch die Gassen
Hinab ans dunkle Meer.
Da liegt sein blauer Spiegel,
Ein Weltenliebesbrief
Mit goldnem Sternensiegel,
So schweigend und so tief!

[35] Sieh, hier auch in der Welle
Sprüht ein geheimer Glanz;
Es spielt die Sternenhelle
Um sie wie Funkentanz.
Erglüht in schwülen Träumen
Sogar der Meeresgrund?
Wie lange willst du säumen,
Du kühle Morgenstund’?



[37]

Lenznacht im Süden.

Prachtvoll ist im Süden die Lenznacht
In Meeresstädten, wo
Vom felsigen Seeufer
Villen und Gärten schimmern,
Ragend über der Stadt,
Die tagüber, eine schlummernde Königin,
Die Stirne gelehnt an dorrende Felshänge,
Den blendenden Fuß zur kühleren Meerwoge hinabstreckt,
Lechzend im Sonnenbrande.

Wenn aber nun
Der sprühende Sonnenhymnus
Verklungen ist und purpurn die See glänzt,
Da schlägt die Schlummernde
Die sonnenmüden Augen wieder auf,
Mit Wollust trinkt ihr schwellender Busen
Meerfrischer Abendlüfte labenden Strom,
In weichen Bewegungen
Auf bebt ihr üppiger Leib, wie einer Schönen,
Die, von der Nachtigall aus erstem Schlummer geweckt,
Mit pochender Brust
Und lodernden Augen den Freund erwartet
Bei Sternenschein
Im blütenberauschten Garten.
Hei, wie wälzt durch alle Gassen sich
Die Luftwoge, wie locken
Des Südens Lüfte den Wandelnden an!
Von Gesängen hallt und Saitengetön’ die Stadt,
Voll reizender Fraun
[38] Prangt allwärts der Markt, der Korso wimmelt
Von wehenden Schleiern und schwarzfunkelnden Augen,
Und abseits drängt
Auf breiterem Pfade sich, duftige Baumreihen entlang,
Von Müßiggängern ein rauschender, sel’ger Schwarm.
Und wenn die Katarakte der Lust
Gemach vertoben,
Wenn die fernen Klänge verstummen
Und einzelne Waller nur
Noch singend heimziehn
Durch stillere Gassen
Um Mitternacht,
Dampft ungestüm dir noch immer
Des Herzens Blutwelle, pochen
Des Lebens Pulse dir
In Sehnsuchtstakten, denn es weht Gedüft
Aus Gärten, und Nachtigallen
Schlagen und schmettern an allen Fenstern.
Droben aber wandern die blitzenden
Sterngruppen, ihr goldner Glanz taut
Feuriger Wünsche Traumsaat, süße Begier.
Da aber wandle
Abseits der lebensschwülen Gassen
Zum einsamen Molo.
Da liegt in seinen Tiefen
Wie niedergetaute Silbersternglut,
Der Golf so rein, und drüben die Bergkuppen
Erblühn, aufragend in goldigen Mondesduft.



[52]

Sirokko.

Sirokko, der gliederlösende,
Brütet über dem Golf,
Weiche Nebel hängen herein
Über Meer und Stadt,
Und trübe brennen in den Gassen die Lichter,
Die abendlichen:
Doch um so feuriger blitzen
Die schwarzen Augen der Schönen
Und die weichen Lüfte stimmen das Herz begehrlich.
Über den Markt hin lockt es,
Zu folgen dem Schwarm,
Den Müßiggänger,
Dieweil er arglos in sich trinkt
Den holderschaffenden,
Süß-aufregenden,
Unvermerkt das Herz berauschenden Südhauch.

Sie sagen, Müdigkeit triefe von seinen Schwingen
Und lähme, weich einschmeichelnd, schaffende Tatkraft;
Ich aber lieb’ ihn:
Himmlische Müdigkeit ist Mutter des Schönen.
Der Adler nicht, der machtvoll kreist um die Gipfel des Hochgebirgs,
Und nicht die Lerche, die fröhlich trillert im Morgenrot –
Du, müder Schwan,
Der hinschmilzt in süßen Gesängen
Auf weichen Fluten des Sees,
Du bist der Vogel Apollons!



[86]

Lieder aus Venedig.

I.

San Marco.

Heil’ger Markus, segne gnädig
Diesen Schwarm von Tagedieben,
Arm und reich, beweibt und ledig,
Häßlich, schön, dumm, durchtrieben:
Alle, wie sie sich, dem Strome
Folgend, aus entfernten Ländern
Herbemüht, vor deinem Dome
Fleißig auf und ab zu schlendern.

Nachts auch wimmeln noch von Betern,
Welche deiner Ehre huld’gen,
Und von frommen Pflastertretern
Deine Steine, die geduld’gen.
Einsam andre Heil’ge harren,
Doch dir strömen zu die Wandrer:
Soviel Weise, soviel Narren
Sieht, wie du, bei sich kein andrer.



II.

Das alte Lied.

Kennt ihr vom hehren Venedig
Das alte ewige Lied?
Das werden die Reisebeschreiber
Zu singen nimmer müd’:

[87] Ein Demokrit ist der Himmel
Und lächelt das ganze Jahr,
Pomeranzen und Zitronen
Blühn wonnig im Januar;

Am Ponte Rialto flittert’s
Von Gold und flimmert und flirrt,
Der Markusplatz ist immer
Mit den schönsten Damen garniert;

Auf der Riva wimmelt und wogt es
Lebendig den ganzen Tag,
Matrosen und Gondoliere
Sind ein reizender Menschenschlag.

Doch in Kanälen und Gassen,
Da löset sich Stein um Stein
Und fällt melancholisch langsam
In die düstere Flut hinein.

Und in den alten Kirchen
Schreckt Moderduft den Sinn,
Die Dogen auf ihren Gräbern,
Sie haben alle den Spleen.

Ruinen sind die Paläste,
Die Lagunen ein weites Grab,
Und nur die fremden spazieren
Gemütlich auf und ab.

Das ist vom hehren Venedig
Das alte ew’ge Lied;
Das werden die Reisebeschreiber
Zu singen nimmer müd’.



III.

Die Künstler.

„Ist es nicht die medizä’sche
Venus, welche dort, o Wonne,
Auf dem alten Steindamm Wäsche
Trocknet in der Maiensonne?

[88] Ach, wie sind die guten Kinder
Hierzulande gar so lieblich!
Wäre nur zu Lande minder
Hier das Körbegeben üblich!

Hab’ ich nicht ein solches Schätzchen
Jüngst verfolgt – o Schwabenstücklein! –
Über vierundzwanzig Plätzchen,
Vierzig calli, sechzig Brücklein?

Bin ich nicht am letzten ponte,
Ohne daß ich sie erbitten
Oder nur erreichen konnte,
Haltend mit den längsten Schritten

Einer hökernden Matrone
Schwächlich in den Korb getreten,
Die im allerschärfsten Tone
Für die Zukunft sich’s verbeten?“



IV.

Ein Schimpfvirtuose zur Abwechslung.

„Kunstgenüsse gibt’s hier manche,
Doch es fehlt an gutem Biere,
Und so ist’s gar sehr natürlich,
Daß ich schon mich ennuyiere.

Schöne Kirchen sind zu sehen,
Und der Markusplatz ist prächtig;
Aber die Kanäle duften,
Und das Volk ist niederträchtig.

Und was sind sie, diese Welschen,
Nicht für prahlerische Wichte!
Stets vom eignen Ruhme sprudeln
Sie bombastische Gedichte!“ –

Ja, mein Freund, es pocht der Welsche
Gern auf alten Geistesadel;
Doch er ist nur groß im  S e l b s t l o b,
Nicht in fremden Volkes  T a d e l:

[89] Aus den schmetterndsten Posaunen
Schleudert er des  P r e i s e s  Psalme;
Aber in der Kunst des Schimpfens,
Hermannsenkel, nimm die Palme!



[108]

Venedig 1856.

I.

Siehe, nun hast du das Meer und die Stadt und die wonnigen Inseln,
Alles nun hast du, o Herz, was du solang’ dir ersehnt!
Prangend begrüßen sie dich, San Marcos Pforten und Zinnen,
Ernst, doch eigen und reich, fesseln sie lange den Blick.
Neugier aber beflügelt den Schritt. Schon gleit ich auf schwanker
Gondel des breiten Kanals flüssige Pfade hinab.
Silbern hebst, o Salute, das mächtige Kuppelgewölb’ du:
Nicht einsam – du beginnst hohen und herrlichen Reihn.
[109] Hei, wie tauchen sie rings aus grünlicher Woge, die stolzen
Palastfronten, der Kunst ewige Wunder, empor!
Säul’ an Säule raget hinan, romanischen Halbrunds
Ruhige Linie gesellt gotischem Schwunge sich hold.
Reizvoll lächelt Cadoro dem Blick und Pesaros Prachtbau,
Siegend bestrickst du den Sinn, Vendramin, Perle der Kunst!
Doch es bewältigt Fülle den Blick. Wer zählte die hohen
Marmorschwellen, die grüngoldig die Woge bespült?
Aber es spiegelt im Meer sich die scheidende Sonne mit ihnen,
Dämmriger Schleier umwallt Zinnen und Säulen umher.
Langsam gleitet die Barke dahin. Was blickt ihr so düster
Nun, ihr Paläste, mich an? Du, o geruhige Flut,
Sage, was stimmst du gemach stillflüsternden Klagesang an?
Ach, ich kenne dich wohl, ewiges düsteres Lied!
Von dem zerfetzten Panier, vom zersplitterten Zepter der Macht weht
Kunde wie Seufzergetön mir auch ans fühlende Herz.
Doch was dämmert so hell fernher vom Osten herüber?
Goldene Ströme des Lichts regnen hernieder, es grüßt
Stadt und Lagune den Mondaufgang und prächtig entschleiert
Sich Venezias Reiz wieder in wonnigem Glanz.
Ja, ob die Herrschergewalt auch schwand und goldnen Besitzes
Blinkende Fülle versank –  S c h ö n h e i t  blühet noch hier:
Hoch aus den Trümmern der Macht, aus zerstiebener Asche des Mammons
Hebt sie mit ewigem Reiz siegend und heiter die Stirn!
Die einen flüchtigen Schein ihr die Schönheit scheltet, die Künste,
Müßiges Spiel nur, o seht Hellas, Venedig und Rom:
Lang’ schon starben sie hin und zerbröckelten nun rosten die goldnen
Machtdiademe, die stolz ihnen die Häupter geschmückt;
Aber ihr Leichnam hält in der Hand, der erstarrten, noch blühend
Frisch, die spielend sie einst pflückten,  d i e  B l u m e  d e r  K u n s t!



II.

Reißen sich Rhythmen mir los von den Tempeln umher und den Zinnen?
Haucht pindarisches Maß griechisches Säulengebälk?
Ja, hier klingen die Wogen, es klingen die Lüfte von Rhythmen;
Rhythmen, sie regen sich nun frisch in der Seele mir selbst.
[110] Klangfroh schäumt sie aufs neue, die Woge des Herzens, bewegt auf,
Die mir solang’ in des Leids frostigem Banne geruht!
So einst war ich beglückt, als ich trunken auf Bergen der Heimat
Schweifte, der Liebe, des Ruhms Bilder in pochender Brust,
Oder im Grunde des Tals, zu berauschenden Träumen der Zukunft
Unter die Föhren ins Moos schmiegte das lockige Haupt.
Ach, wo schwanden sie hin, die beglückenden, flammengebornen
Ströme, die wild in der Brust dort mir gewogt und gerauscht?
Holde Begeistrungen, ach, ich wähnt euch ewig und ließ euch
Ebben, und leise wie Schaum schwandet und starbt ihr zuletzt.
Doch, noch wallt um die Stirn mir in flatternder Locke die Jugend;
Mut! ein Genius streift wieder im Flug mir das Haupt!



[111]

Norditalische Reisesonette.

I.

Venezia.

Auftauchen sie, die meerumrauschten Zinnen,
Zahllos wie Zacken eines Riesenspeeres;
Die goldne Zauberstadt im Schoß des Meeres,
Sie muß das sprödeste Gemüt gewinnen!

[112] San Marco hält das süßberauschte Sinnen
Des Nachts im Banne  s e i n e s  Flammenheeres;
Leicht wird ein schweres Herz und voll ein leeres,
Und jeden überkommt ein selig Minnen.

Hier baun mit Recht sich, froh des goldnen Traumes,
Poet’sche Wandervögel ihre Nester,
Gleichwie im Schatten eines Wunderbaumes.

Bist nicht umsonst der Aphrodite Schwester,
Venezia, gleich ihr ein Kind des Schaumes:
Denn wer dir naht, den hältst du täglich fester!



II.

Die Lagunenbrücke.

O Wunderbrücke, die in Meeresmitte
Des Dampfes Rosse donnernd überfliegen,
Bist du, gefügt von Götterhand, entstiegen
Dem Zauberreich der blauen Amphitrite?

Die Woge seufzt, als ob ungern sie litte,
Daß sich auf ihr die schweren Joche wiegen:
Ha, Stolze, mußtest du dich endlich schmiegen,
Und setzt ein Sieger dir aufs Haupt die Tritte?

Nicht die bezwangen dich, die dich erwählten
Zum Wohnsitz, trauend dir und ihrem Glücke,
Nicht jene Dogen, die sich dir vermählten,

Roch der den Markuslöwen hieb in Stücke:
Die Hände taten’s erst, die ungezählten,
Die auf dich legten diese Riesenbrücke!



III.

Torcello.

Du bist das liebste mir der Meereilande,
Die in Venedigs Golf ihr Haupt erheben,
Soviel der Woge mutterzärtlich Leben
Umheget mit saphirnem Liebesbande.

[113] Trägt mich entlang an deinem Blütenstrande
Die Gondel, wo Granaten blühn und Reben,
Da dünk’ ich als ein Falter mir zu schweben
Auf einer Zauberblume goldnem Rande.

Du träumst so süß in blauer Wellenwiege,
Und ich in  d i r  , wenn traulich, schmerzenthoben,
Mein Haupt ich unter deine Blumen schmiege.

D e i n  Blütentraum ist’s, dessen sel’ges Toben,
Indes im hohen Gras ich sinnend liege,
Durchs Herz mir weht und klingend jauchzt nach oben.



IV.

Monte Berico in Vicenza.

Vicenza! Schönheitszauber, nicht zu sagen,
Durchwaltet deine Gassen, deine Räume;
Hier lockt mich’s wundersam, auf daß ich säume,
In holde Bande fühl ich mich geschlagen.

Wie edel rings die Prachtpaläste ragen,
Palladios steingewordne Griechenträume!
Olympisch heiter wandl’ ich. Unter Bäume
Den Berg hinan fühl ich mich wie getragen.

Da glänzt die Perle nordital’scher Lande
Auf goldner Au, wo Grün und Blüten regnen,
Im Kranz der Höhn mit dämmerblauem Rande.

Und wie im Überflusse mich zu segnen,
Muß von des Bachiglione grünem Strande
Mir noch die Rabenlockigste begegnen!



V.

Villa Giusti in Verona.

Ich sah, Verona, dich von deinen Brücken.
Reizprangend, unter mir die Flut, die schnelle;
Doch herrlicher von dieser trauten Stelle,
Wo Rosen und Zypressen mich entzücken.

[114] Schön bist du, doch du wolltest dich nicht schmücken
Bloß mit Palästen, Grün und Stromeswelle;
Den Mauerkranz der Zinnen und Kastelle
Wolltst, ernste Jungfrau, dir aufs Haupt du drücken.

Daß  S a n m i c h e l i  Herrliches vollbringe,
Berührt’ ihn, als er ruht’ in tiefem Sinnen,
Der Römeraar mit seiner mächt’gen Schwinge:

Der, ob auch die Jahrhunderte verrinnen,
Auf der  A r e n a  steingetürmtem Ringe
Noch sitzt und nächtlich kreist um ihre Zinnen.



[128]

Italienisches Lied.

O, wie kann ein feurig Auge
Wundersam beglücken,
Tief hinein in Herz und Seele
Wundersam erfreun!
[129] Ach, warum vermag ich nimmer
Würdig auszudrücken,
Welche Wonnen, denk’ ich ihrer,
Sich in meiner Brust erneun!

Auf dem schimmernden Balkone
Stand die Schwarzgelockte,
Stand die Hohe, Schöne, Schlanke,
Zauberreiz-umblüht:
Und aus ihren Sternenaugen,
Drin der Himmel wogte,
Kam es wie der Blitz geschossen,
Der in Sommernächten sprüht!

Ach, ich weiß nicht, was sie meinte
Mit dem Flammenblicke!
War es mehr als flücht’ge Laune,
Daß sie hold mir zugelacht?
Eins nur weiß ich, dies nur weiß ich,
Daß ich schwamm im Glücke,
Daß ich eine lange Mondnacht
Einzig nur an sie gedacht!



[156]

Fahr’ wohl, du sonniger Süden.

Fahr wohl, du sonniger Süden,
Du schimmerndes Meer, ade!
Es lockt den Sonnenmüden
Nach waldiger Bergeshöh’.

Führ’ mich vom Meer, dem blauen,
Du Dampfroß, feurig und kühn,
In tauige Blumenauen,
In schattiges Alpengrün!

Der Renner schnaubt in die Zügel,
Er liebt nicht Halfter und Zaum,
Springt donnernd über die Hügel,
An felsiger Schlünde Saum;

Doch endlich lenkt das frische
Bergtöchterlein, die Mur,
Ihn sacht durch Blütengebüsche
Zu Styrias goldenster Flur.

Sei gegrüßt von meinem Psalter,
Du reizende Grazienstadt:
Du ruhst wie ein prangender Falter
Auf einem Lorbeerblatt!

Hold ruhst du auf grünenden Auen,
Du Perle der Steiermark:
Voll Seele deine Frauen,
Und deine Söhne voll Mark!



[157]

Erinnerung an Venedig.

I.

Ruhn still im Abendglanze die Cadoren,
Des Alpenzuges letzte Hügelgruppe,
Da strebt, als ob ein Falter sich entpuppe,
Mein Herz meerüber nach des Westens Toren.

Und in der Meeresferne still verloren,
Streift ab mein Aug’ des Erdenstaubes Schuppe;
Da dämmert ihm San Marcos Silberkuppe,
Die Mondesstrahlen wunderbar umfloren.

Und liebe Stätten, altgewohnte Pfade
Der Zauberstadt, sie tauchen auf, es schimmert
Der Fackelkranz, es wimmeln die Gestade.

O Wunderbrücke, die die Nacht mir zimmert,
Du zeigst zu oft mir jene Serenade,
Und, ach, das Aug’, das mir im Schwarm geflimmert!



II.

Ein Auge war es, schwarz und mitternächtig,
Und taghell doch, das Aug’, dem ich ergeben:
So liebefeucht, so mild in süßem Beben,
Und doch so kühn, so stolz, so zaubermächtig.

Was war des Mondes Scheibe, rein und prächtig,
Was war mir der Piazetta rauschend Leben
Und aller Gondeln meergewiegtes Schweben?
Ich schaute  s i e, von süßer Flamme trächtig.

Die Melodien, der Glanz, des Äthers Milde,
Das alles schien von  i h r  nur herzufließen
Und blieb verknüpft mir ihrem lieben Bilde.

So mußt’ ich  m i t  ihr all die Pracht verschließen,
In meines Herzens Zauberspiegelschilde,
Zu steter Sehnsucht schmerzlichem Genießen.



Quelle:
Hamerlings sämtliche Werke in sechzehn Bänden. Mit einem Lebensbild und Einleitungen hrsg. von Michael Maria Rabenlechner. Vierter Band. Leipzig: Hesse & Becker Verlag 1922.

~~~~~~

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit