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Paul Johann Ludwig Heyse

Kurzbiografie

Paul Johann Ludwig Heyse (*15. März 1830 in Berlin – †2. April 1914 in München) wurde als zweiter Sohn des Altphilologen und Sprachforschers Karl Wilhelm Ludwig Heyse (1797-1855) in ein begütertes und kultiviertes großbürgerliches Milieu hineingeboren. Der Großvater Johann Christian August Heyse (1764-1829) war ein bedeutender deutscher Grammatiker, der Vater, als Erzieher im Hause Wilhelm von Humboldts (1767-1835) und als Lehrer Felix Mendelssohns (1809-1847) tätig, erhielt 1829 eine außerordentliche Professur der Philosophie an der Universität Berlin. Die Mutter, Julie Heyse, geb. Salomon (1788-1863), entstammte der wohlhabenden und kunstinteressierten Familie des kgl. preußischen Hofjuweliers Jakob Salomons und verkehrte in den ästhetischen Salons der Varnhagens, Levys und Hensels. Man schätzte Musik, Literatur, Kunst und die klassisch-humanistische Bildung, die der heranwachsende Heyse genoss, war eine Selbstverständlichkeit in dem liberalen und aufgeklärten Elternhaus. Das Studium der klassischen Philologie, Kunstgeschichte und der romanischen Philologie, die er in Bonn bei Friedrich Diez (1794-1876) mit einer Dissertation über die Poesie der Troubadours abschloss, bescherte Heyse ein Stipendium des preußischen Staates zur Erforschung von Handschriften mit Texten der Romania, so dass er 1852 gemeinsam mit dem Freund Otto Ribbeck (1827-1898) nach Italien aufbrach. Die große Tour mit den für deutsche kulturbegeisterte Italienreisende im 19. Jahrhundert typischen Stationen in Florenz (antiquarisches Interesse), Rom (Hausverbot in der Bibliothek des Vatikans) und Neapel (Amüsement) hatte den größten Einfluss auf Heyses dichterische Berufung. Er trat weit nach dem ‚Ende einer Kunstperiode’ das Erbe der Renaissance und der Klassik an, indem er sein künstlerisches Profil an einem mehr und mehr sich verflüchtigenden humanistisch und idealistisch geprägten Italienbild schärfte. Schon zu Schulzeiten hatte Heyse erste dichterische Versuche unternommen, die Emanuel Geibel (1815-1884), die unangefochtene Autorität des bürgerlichen Literaturverständnisses des 19. Jahrhunderts, aufhorchen ließen, der das junge hoffnungsvolles Talent König Maximilian II. (1811-1864) zur Förderung anempfahl. Von Geibel wurde Heyse auch in das Haus seines zukünftigen Schwiegervaters Franz Kugler (1808-1858) eingeführt, wo er dauerhafte Freundschaften mit Jacob Burckhardt (1818-1897), Theodor Fontane (1819-1898) und Theodor Storm (1817-1888) schloss. Nach der Rückkehr aus Italien folgte der gebürtige Berliner, wie schon andere „Nordlichter“ vor ihm, 1854 dem Ruf des bayerischen Königs, der in der Residenzstadt ein Zentrum des künstlerischen Lebens etablierte. Maximilians Musenhof und seine legendären ‚Symposien’ rekrutierten sich aus jenen Malern, Komponisten, Gelehrten, Schriftstellern und Theaterkünstlern, die als Repräsentanten der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts gelten. In königlichen Gemächern und geselligen literarischen Klubs („Das Krokodil“) begann Heyses literarische und kulturpolitische Karriere, die schon von den Zeitgenossen an Goethes Prestige und privilegierter Stellung in Weimar gemessen wurde. Heyse, der scheinbar mühelos zum Hofpoeten und Fürstenberater aufstieg und ein finanziell gesichertes Leben im Dienste der Kunst genoss, widerstand 1859 dem verlockenden Sirenengesang des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818-1901), der ihn zur Übersiedelung nach Thüringen bewegen wollte – eine sympathische Probe der Klarsicht des epigonalen Literaturbetriebes und der kritischen Selbsteinschätzung Heyses, der sich nicht als Blaupause zu Zwecken der fürstlichen Repräsentation instrumentalisieren ließ. Nach dem Tode des bayerischen Monarchen ging Heyse auf Distanz zum Hof und verzichtete, als Zeichen der Verbundenheit zu seinem Förderer Geibel, welchem aus (kultur-)politischer Raison Ludwig II. (1845-1886) die Pension gestrichen hatte, auf sein Salär. Dieser Akt der Solidarität tat der Reputation Heyses keinen Abbruch: 1871 wurde er in den Kreis der Ritter des Maximilians-Ordens aufgenommen, 1884 erhielt er den Schiller-Preis, 1910 die Ehrenbürgerschaft der Stadt München und wurde mit dem persönlichen Adel geehrt (von dem er nie Gebrauch machte). Im gleichen Jahr zeichnete die Schwedische Akademie der Wissenschaften Paul Heyse als ersten deutschen Dichter mit dem Nobelpreis für Literatur aus.
Heyse war ein außerordentlich produktiver, phantasiereicher und formgewandter Schriftsteller (im Übrigen war er auch ein sehr begabter Zeichner), den sein Publikum liebte. Der poeta laureatus, der zum Bestsellerautor avancierte, gelangte mit dem Roman „Kinder der Welt“ (1873, 3 Bde.) zu hoher Popularität – trotz oder gerade wegen der antiklerikalen und antifeudalen Kritik und der den damaligen Zeitgeschmack frappierenden Freizügigkeit. Vor allem aber war Heyse ein Meister der Novelle; ca. 150 Erzählungen, deren Sammlungen von 1855 bis 1914 unter verschiedenen Titeln erschienen, in alle europäische Sprachen und ins Esperanto übersetzt und auch in Amerika viel gelesen wurden. Besonders die italienische Landschaft und Kultur inspirierten Heyse zu seinen Erzählungen. Italien war für den Dichter nicht nur ein literarisch fruchtbarer Topos, sondern wurde zu seiner Wahlheimat. Im Alter verbrachte er meist die Winter auf Capri, in Sorrent oder auf seinem Landsitz Villa Itolanda in Gardone am Gardasee („Novellen vom Gardasee“, 1902). Durch die umfangreiche Übersetzertätigkeit Heyses wurde die damalige neuere Literatur Italiens mit ihren bedeutenden Vertretern wie Vittorio Alfieri (1749-1803), Alessandro Manzoni (1785-1873), Giacomo Leopardi (1798-1837) oder Giuseppe Giusti (1809-1850) auch dem deutschen Publikum zugänglich („Italienische Dichter seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts. Übersetzungen und Studien. 5 Bde. Berlin, 1889-1905). Auch mit der Lyriksammlung „Italienisches Liederbuch“ (1860), seinen Nacherzählungen „Italienische Volksmärchen“ (1914) und den Übertragungen Ariosts, Lorenzino de’ Medicis und Macchiavellis („Drei italienische Lustspiele aus der Zeit der Renaissance“, 1914) war Heyse einer der führenden Vermittler italienischer Kultur in Deutschland. Ebenso bedeutend wie als Erzähler und Übersetzer war Heyse als Lyriker, der mit einem Spektrum, das vom sangbaren Volkslied bis zu artistischer Kunstdichtung reicht, beeindruckte („Lieder aus Sorrent“, 1852/53; „Skizzenbuch. Lieder und Bilder“, 1877; „Verse aus Italien“, 1880; „Ein Wintertagebuch“, 1903). Mit der Produktion von über 60 Dramen war er fleißig, aber weniger erfolgreich – bis auf „Colberg“ (1865; erschien bis 1914 in 180 Auflagen). Das populäre Stück, das vom tapferen Widerstand gegen die napoleonischen Truppen handelt, wurde um 1900 an vielen Gymnasien Pflichtlektüre, gehörte zum festen Repertoire der Schulfeiern an Kaisers Geburtstag oder am Sedantag und wurde 1943/44 – ohne Nennung des ‚halbjüdischen’ Verfassers – von Veit Harlan zu einem der erfolgreichsten nationalsozialistischen Propagandafilme Nazis entstellt.
Trotz Publikumserfolge und Ehrungen geriet Paul Heyse nach seinem Tod 1914 schnell in Vergessenheit. Als nach dem Ersten Weltkrieg das bürgerliche Zeitalter versank, wurden auch ihre ästhetischen Maßstäbe wie Eleganz, Esprit, Raffinesse und Stilsicherheit einem Paradigmenwechsel unterzogen.

Yvonne-Patricia Alefeld



[30]

Lied von Sorrent.

Zur Melodie: Sto crescenno no bello cardillo.

Wie die Tage so golden verfliegen,
Wie die Nacht sich so selig verträumt,
Wo am Felsen mit Wogen und Wiegen
Die gelandete Welle verschäumt,
Wo sich Blumen und Früchte gesellen,
Daß das Herz dir in Staunen entbrennt –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!

Und die Nacht, wenn so süß Luisella
Ihre lachenden Lieder uns singt
Und der Wirbel der Lust, Tarantella,
Wie ein Flämmchen im Sturme sie schwingt.
An der Bucht sich die Gärten erhellen
Unterm leuchtenden Nachtfirmament –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!

Hier entrinnst du der Sorgen Getriebe,
Und es trägt dich auf Händen die Lust,
Und sogar das Gedächtniß der Liebe,
Hier beschleicht es gelinder die Brust.
[31] Und du tauchst in die heilenden Quellen,
In des heiligen Meers Element –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!

Auch der tobenden Stürme Getümmel,
Hier belebt es nur Blüten zuhauf,
Und es lösen die Wetter am Himmel
In ein fruchtbar Geriesel sich auf.
Wenn die Früchte, die herbstlichen, schwellen,
Ach, wie weit, ach, wie bin ich getrennt!
Dann ade, o du Blüte der Wellen,
Dann ade, du mein schönes Sorrent!



Allgegenwart.

Nach vieltausendfachen Freuden,
Die ich diesem Tag gedankt,
Laß an deinem Bild mich weiden,
Das mich für und für umschwankt.

Wie empfind’ ich deines Herzens
Heimliche Allgegenwart,
Ob mir auch der Sturm des Schmerzens
Sonnig hier besänftigt ward!

Nun beherrscht mich Nacht und Stille,
Und im Stillen herrschest du,
Und der Sehnsucht ew’ge Fülle
Weht mir aus der Runde zu;

Wo in dieser Mondenhelle
Einsam schweift Orangenduft
Und der Klang der Ritornelle
Klagend wandert durch die Luft.



[132]

In Florenz.

Florenz! O helle Tag’ und Nächte,
Einst hier verschwärmt, wie liegt ihr weit!
Wer einen Hauch uns wiederbrächte
Der wonnevollen Knospenzeit!
Du noch so jung, so glückbeklommen,
Des Götterneides unbewußt,
Und ich, der manchen Strom durchschwommen,
Gelandet nun an deiner Brust!

[133] Weißt du, wie in der Abendkühle
Wir wandelten den Fluß entlang,
Wie zärtlich fest sich im Gewühle
Mein Arm um deine Schulter schlang?
Herab den Arno kam gefahren
Mit Fackeln und Musik ein Kahn,
Daß wir den Widerschein, den klaren,
In unsern Augen blitzen sahn.

Und dort im Mezzanin die Zimmer,
Die unser junges Glück bewohnt,
Wo Nachts mit seinem Märchenschimmer
Verstohlen zu uns kam der Mond;
Wenn vor dem Spiegel du die Locken
Dir lös’test mit der schlanken Hand,
Noch stets erglühend süßerschrocken,
Weil dein Geliebter bei dir stand!

Und wenn ich dann beim Tageslichte
Dich durch die heitre Stadt geführt,
Wie ernstbemüht wir Kunstgeschichte
In Farb’ und Stein und Erz studirt!
Des Tizian himmlische Gestalten,
Sie rührten kaum die Seele mir;
Kaum konnt’ ich mich des Rufs enthalten:
Ich weiß, was holder ist als ihr!

Da sah vom hohen Fußgestelle
Der eh’rne Perseus fremd mich an.
Ist’s wahr, schwermüthiger Geselle,
Daß du es einst mir angethan?
Daß ich in hellen Jugendjahren
Die Mär zu deuten wohl vermeint
Von jenem Haupt mit Schlangenhaaren,
Das sterbend dir die Welt versteint?

Und jetzt – nur kurze Frist vergangen –
Wie anders kehren wir zurück!
Noch hält mein Arm dich fest umfangen,
Doch unterm Schleier weint mein Glück.
[134] Du Alles, was mir blieb vom Leben,
So sterbensmüd, so still und blaß –
Ich frage mit geheimem Beben:
Wie lang, ihr Götter, bleibt mir das?

Ja, lieblich war, was wir besessen,
Wir drückten’s jubelnd an die Brust.
Doch um so bittrer unermessen
Wühlt nun im Tiefsten der Verlust.
Das Glück mit seinem süßen Lachen,
Es flog den wilden Strom hinab,
Gleich jenem lichterhellen Nachen,
Versunken in ein dunkles Grab.

Und wir – an all den alten Stätten
Verwandelt blicken wir uns um.
Wir möchten aus dem Lärm uns retten
In ein unnahbar Heiligthum.
Wir sehn den alten Halbgott winken
Und wissen jetzt erst, was sie meint,
Die Mär vom Haupt in seiner Linken,
Das sterbend ihm die Welt versteint.



In Venedig.

Hier unsre letzte Rast, im stillen Haus,
Daran vorbei die schwarzen Gondeln gleiten.
Wie dumpfe Geisterklage tönt daraus
Der Gondoliere Wechselruf zu Zeiten.
Es schläft die Stadt, doch ihre Seele wacht,
Die sonnenscheue, wieder auf bei Nacht.

Und wir, wenn bei umflortem Sternenglanz
Wir wandeln durch die schweigenden Arcaden,
Gleich Schatten unter Schatten, die zum Tanz
[135] Am Acheron die Spukgenossen laden –
Wie der Gedank’ uns lähmend überfällt,
Zurückzumüssen in die Oberwelt!

Zurück zur Heimath, die zur Fremde ward,
Wo nicht mehr lockt, was einst so süß gewesen,
Wo unser nur die Freundesfrage harrt:
Kehrt ihr getröstet wieder, gramgenesen?
Und wenn der Blick noch traurig suchend schweift,
Kaum Einer, der sein Schmerzensrecht begreift!

Denn leicht beweglich fließt der Menschen Blut
Und scheidet hastig aus den fremden Tropfen.
Es sträubt sich, Jahr um Jahr verlornem Gut,
War’s auch des Lebens Krone, nachzuklopfen.
Wir aber, deren Blut der Gram vergällt,
Wie taugten wir noch in die muntre Welt?

Sie gönnt dem Unglück, eine Weile still
In Einsamkeit sich trauernd abzuschließen.
Doch daß zuletzt nicht Alles heilen will,
Nicht wiederkehrt die Sehnsucht, zu genießen,
Daß Treue nicht zu sterben sich bequemt,
Muß sie verdammen, weil es sie beschämt.

O wie sie grausam klug zu trösten weiß,
Wie sie erhaben spricht von Lebenspflichten:
Der Menschenwürde Feuerprobe sei’s,
An neuer Hoffnung sich emporzurichten. –
Doch wenn der Blitz des Baumes Mark verheert,
Wo ist ein Lenz, der neu ihn blühen lehrt?

Die Glücklichen! O, sie verstehn es nie
Und schelten „krankhaft“ den erkrankten Willen.
Die Kühlgesunden! Nie begreifen sie,
Daß Wunsch und Wille nicht das Fieber stillen.
Uns aber laß verstummen, wo uns nicht
Ein Herz vernimmt, das unsre Sprache spricht.

[136] Sieh diese Stadt, der Meere Königin,
Stolz, frei und glücklich einst und allumworben.
Ihr Stern erblich, ihr Purpur sank dahin,
Die Macht, ihr Lebensathem, ist erstorben,
Und wenn die Sonne jetzt dem Meer entsteigt,
Steht sie verschämt und nackt, das Haupt geneigt.

Nur wenn die Nacht kommt und Erinnerung
Im Mondlicht spukt und tausend Schatten schwärmen,
Dann ist’s, als werde sie noch einmal jung
Und dürfe nicht um ihr Geschick sich härmen
Und wieder froh auf ihre Kinder schau’n,
Die stolzen Nobili und blonden Frau’n.

Süß ist der Traum und das Erwachen herb.
Durch ihre Gassen wimmelt neu das Leben,
Doch nur bedacht auf ärmlichen Erwerb,
Der Nothdurft nur und dem Genuß ergeben.
Aus der Paläste todten Fenstern lacht
Nicht mehr das Glück, die Schönheit und die Macht.

Dann der Lagune Bettlermantel schlägt
Die alte Fürstin um die morschen Glieder,
Und in sich selbst versunken, unbewegt
Und klaglos in die Wellen starrt sie nieder,
Im Kleid der Armuth noch der Krone werth! –
Wir aber wissen, wie man Unglück ehrt.



Auf der Heimfahrt.

Es steht ein Haus im Garten,
Kühl an ein Wäldchen angelehnt.
Auf allen meinen Fahrten
Hab’ ich nach ihm mich heimgesehnt.
Wie süß erklang
Dort Vogelsang,
[137] Wie lachten Blumen rings umher!
Wie ging’s im Lauf
Die Stieg’ hinauf –
Nun graut mir vor der Wiederkehr.

Im Haus da ist ein Zimmer,
So luftig hoch, so blank und rein.
Was nur an Sonnenschimmer
Ums Häuschen streifte, drang hinein.
Wie lustig klang
Dort Kindersang,
Kein Winkel war von Spielen leer;
Dort fand ich Rast
Nach Tageslast –
Nun öffn’ ich seine Thür nicht mehr.

Im Haus erklang ein Name
Von allen Lippen fort und fort,
Der hatte wundersame
Gewalt, schier wie ein Zauberwort.
Auf jedem Mund
Ein Lächeln stund,
Als ob’s des Frühlings Name wär’ –
Jetzt geht er stumm
Gespenstig um,
Und wer ihn ausspricht, lacht nicht mehr.



[176]

Weihnachten in Rom.

Wir waren schon zu Römern fast geworden.
Weißt du noch, Freund, wie wir den Lorbeer schmückten,
Aus dessen Laub die Goldorangen blickten,
So süß, wie man sie niemals ißt im Norden?

Der Tisch bedeckt mit römischen Ricorden,
Mit Broncen, Terracotten, frischgepflückten
Campagnaveilchen, die uns hoch entzückten,
Und was noch blühn mag an des Tibers Borden.

Du aber sahst dir die Bescherung an
Und seufztest heimlich wie in großen Schmerzen,
Und deine Augen schienen was zu suchen.

Dann sprachst du: Gern den ganzen Vatican
Gäb’ ich für einen Tannenbaum mit Kerzen
Und ein paar Nürrenberger Pfefferkuchen!



An Hermann Allmers

auf Rechtenfleth,
der die Mitarbeiter an seinem Kalender mit „Poetenwein“ von Marino
honorirt hatte.

Poetenwein! Ah, che divino vino!
Wohl denkt mir’s, wenn in Rom wir zechten spät
Marino, der im Ruf des echten steht,
Wie oft uns Morgens traf das mal gattino.

Nun schickst du unverfälschtesten Marino.
Ihr Grazien, wenn ihr Kränze flechten geht,
Auf, und bekränzt den Mann von Rechtenfleth,
Der so belohnt ein simples Sonettino!

Mög’ er noch oft am Tiberstrande „schlendern“
Und reinen Wein und reine Reime kosten,
Die Welt versehn mit römischen Kalendern.

Mich soll er immer finden auf dem Posten;
Denn eher wird der Mond den Lauf verändern
Als meine Liebe zu Italien rosten.
16. Juli 1884.



[246]

IX.

Landschaften mit Staffage.

Prolog.

Ein irres Stammeln nur,
Ein schüchtern Radebrechen!
Wie glückte mir’s, Natur,
Dein Wesen auszusprechen!

Du hältst mich weich im Arm
Und neigst dich deinem Kinde;
All seinen dunklen Harm
Besprichst du ihm gelinde.

Ich lausch’ empor zu dir,
Du Hohe, Milde, Traute,
Nachlallend voll Begier
Die halbverstandnen Laute;

Magst du in Frühlingspracht
Der eignen Schönheit staunen,
In Sturm und Wetternacht
Erhabne Sprüche raunen.

Dann wieder lächelst du
Und wandelst deine Bahnen,
Und ohne Rast und Ruh’
Folg’ ich in dumpfem Ahnen,

[247] Beglückt, in wachem Traum
Mich dir so nah zu wissen
Und deines Kleides Saum,
O Mutter, dir zu küssen!



Morgen am Ufer.

(Motiv am Gardasee.)

Wie der See so lachend ruht!
Nicht ein Wellchen siehst du wallen.
Gleich smaragdenen Krystallen
Hellgeschliffen glänzt die Flut.

Bis zum tiefsten Grund hinab
Die erstaunten Augen gleiten.
Ihre stummen Heimlichkeiten
Lauschest du den Fischen ab.

Und es regt sich, athmet, spielt
In den schimmernden Verstecken
Alle Lust und aller Schrecken,
Die der Grund verborgen hielt.

Leiseathmend ruht dein Herz
In der Morgenluft, der lauen,
Tief im Grunde magst du schauen
Wie krystallen Luft und Schmerz;

Während dir zu Häupten sacht
Schwirrt im Ulmenbaum die Grille
Und der Wohlklang dieser Stille
Offnen Augs dich träumen macht.



[248]

Auf der Höhe.

Hoch über dem Kloster
Da schwebet ein Weih,
Aus himmelhohen Lüften
Er thut einen Schrei.

Dicht unter dem Kloster,
Wo der Oelwald sich senkt,
Da grünet die Halde,
Vom Gießbach getränkt.

Da klettern die Ziegen
Dem Berg um die Stirn.
Einen Oelzweig in Händen
Sitzt hütend die Dirn’.

Sie schaut in die Ferne
Weit über die Schluft;
Ihr wehen die Haare
In der spielenden Luft.

Auf einmal da lacht sie
Und thut einen Schrei;
Hat nichts zu verkünden,
Ruft Niemand herbei:

Schreit nur, daß die Stille
Nicht sprengt ihre Brust,
Wie der einsame Vogel
Vor himmelhoher Lust.
Toscolano.



Abendstimmung.

Nun versprühn die Strahlengarben,
Dämm’rung deckt die Höh’n und Tiefen.
Ausgebrannt und aschefarben
Sehn herüber die Oliven.

[249] Lautlos faltet schon zusammen
Jeder Uferwind die Flügel;
Der Cypressen dunkle Flammen
Züngeln still empor am Hügel.

Rings die Welt in falbem Lichte;
Aus dem Laub nur dunkelhelle
Leuchten noch wie Zauberfrüchte
Der Orangen goldne Bälle.

Grüßt mir, sanfte Cithertöne,
Das Gesicht mit blassen Wangen,
Das in mondenklarer Schöne
Liebevoll mir aufgegangen!
Saló.



Poetenasyl.

Dieser Oelwald am Gestade,
Hoch durchragt von Lorbeerbäumen,
Scheint für einen Dichter grade
Wie geschaffen, sanft zu träumen.

An das steile, vielgezackte
Ufer brandet laut die Welle,
Und nach ihrem regen Takte
Fügt sich Vers zu Versen schnelle.

Däucht ihm Müh’ und Oel verschwendet
An dem stumpfen Sinn der Menge:
Oelfrucht sonder Mühe spendet
Tröstlich ihm das Laubgehänge;

Und an diesen Lorbeerkronen,
Wipfelstolz wie deutsche Linden,
Würde, sein Gedicht zu lohnen,
Platen selbst Genüge finden.
Toscolano.



[262]

X.

Italienisches Skizzenbuch.

Mit der Palette wandert’ ich durchs Land,
Mein altes Handwerk unterwegs zu treiben,
In raschen Zügen farbig aufzuschreiben,
Woran ich Aug- und Seelenweide fand.

Ich hatte just kein bessres Thun zur Hand.
Ein alter Pinsler kann nicht müßig bleiben,
Und malt er nicht, so muß er Farben reiben
Und sie probiren auf der Leinewand.

So sind die losen Blätter angeschwollen;
Notizen, Studien, Stimmungen, Motive,
Bald schlicht und ernsthaft, bald im Stil des Berni.

Man muß nicht jederzeit das Höchste wollen,
Nicht stets die Welt betrachten in der Tiefe,
Nicht jeden Floh sub specie aeterni!



Bilder aus Neapel!

I.

Zwei Bübchen sah ich heut, in Lumpen beide,
Eins barfuß, eins mit Stiefeln ausgerüstet,
Danach wohl keine Seele sonst gelüstet –
Fast wie das Messer ohne Griff und Schneide.

[263] Sein Spielgesell indessen sah’s voll Neide,
Wie sich der Freund mit seinem Schuhwerk brüstet;
Denn ob es auch der Zahn der Zeit verwüstet,
Strahlt der Besitzer doch in stolzer Freude.

Den Soldo, den er erst erbetteln müssen,
Gab er dem Stiefelputzer, mit Grimassen –!
Grinsend vom einen bis zum andern Ohre.

Und sein Triumphblick that der Welt zu wissen:
Wer Stiefel hat, kann sie auch putzen lassen,
Und wer sie putzen läßt, ist ein Signore.



II.

Wär’ Vater Adam hier am Golf geboren,
Nie hätt’ er sich ums Paradies gebracht;
Den Zorn des Herrn hätt’ er hinweggelacht
Mit echt napoletanischen Humoren.

Heut, da ich wandelt’ ins Gewühl verloren
Am Hafen, fühlt’ ich eine Hand, die sacht
An meinem Rockschooß sich zu schaffen macht’;
Ein Griff – den Schlingel hatt’ ich bei den Ohren.

Doch wie ein Aal entschlüpft’ er mir und stand
Erst in der Ferne still, mit Sehnsuchtsblicken,
Recht wie vom tiefsten Mitgefühl durchdrungen.

Und mich vertröstend winkt’ er mit der Hand:
„Geduld, Signor! ’s wird nächstens besser glücken!“ –
Fast that’s mir selber leid, daß es mißlungen.



[264]

III.

Dies junge braune Schelmenangesicht
Mit Feuerblick und lachend weißen Zähnen!
Wie reizend hexenhaft der wirren Strähnen
Tiefschwarzer Kranz die niedre Stirn umflicht.

Sie kennt nichts Höh’res, als am Sonnenlicht
Im warmen Meersand faul die Glieder dehnen,
Doch muß sie früh schon bei den Fischerkähnen
Mitziehn am Schleppnetz, wie der Weiber Pflicht.

Hernach sitzt sie am Haus und schwingt den Wocken
Und singt dazu und ruft, gehst du vorbei,
Mit Lachen ihr: „Signor, muojo di fame!“

Sie hat gut lachen! Diese Zähn’ und Locken
Und sonst noch Unverfälschtes allerlei
Dürft’ ihr beneiden manche große Dame.



IV.

Das Stirnhaar leicht mit Puder angegraut,
Den Schopf gekrönt mit falscher Flechtenmasse,
Ihr Fähnchen lang nachschleifend auf der Gasse,
Bachstelzenhaft, mit zwitschernd hellem Laut;

Zu jedem Mannsbild, das herüberschaut,
Hinäugelnd, ob ein Netz sich werfen lasse,
Nicht schön, doch zierlich, von gemischter Race,
Kohlschwarz das Aug’, ein bleiches Braun die Haut:

So gehn Neapels Töchter vom geringern
Stand dir vorbei und scheinen keck zu sagen:
Wir sind nicht Römerinnen, mußt du wissen.

Den Austern gleichen wir, den kleinen Dingern,
Die auch, wie wir, das Altern nicht vertragen,
Doch frisch geschlürft sind sie ein Leckerbissen.



[265]

V.

Sie hielten, vierzig Ladendiener, heuer
Ihr Bundesfestmahl in Sorrento’s Frische.
Für Suppe, Maccheroni, Braten, Fische
Und Früchte sind zwei Lire nicht zu theuer.

Doch wie sie tafelten! Mit welchem Feuer
Ein Jeder schlang, damit er ja bei Tische
Auch für sein Geld sein volles Theil erwische,
Portionen ließ verschwinden, ungeheuer!

Beim Nachtisch sangen sie zur Mandoline
Traviata, Rigoletto, Troubadour,
Wo mehr die forti glückten als die piani!

Der Kellner schlich herum mit saurer Miene.
„Vierzig Couverts – zwei Lire Trinkgeld nur! –
Ma che volete? Son Napoletani!“


   

VI.

Das Hirn voll Tand, im Herzen öde Leere,
Sorgsam frisirt, geschminkt die welke Haut,
Mit jedes Hauses kleinem Klatsch vertraut,
Als ob in aller Welt nichts Höh’res wäre,

So schlendert dort der Veteran vom Heere
Der Stutzer, höchlich von sich selbst erbaut,
Voll Stolz, daß er mit Ehren so ergraut
Im strengen Waffendienste der Cythere.

Beruf und Ziel und Inhalt seines Lebens
War Frauenliebe; da ihn die verlassen,
Ist er zu nichts mehr auf der Welt zu brauchen,

Als nur – ein Vorbild manneswürd’gen Strebens
Der goldnen Jugend – auf Neapel’s Gassen
Die langen schwärzlichen Cavours zu rauchen.



[266]

VII.

Im Museum.

Am Sonntag stets und Feiertags mitunter
Ist freier Eintritt hier. Das Volk in Schaaren
Strömt durch die Säle, froh, den Franc zu sparen,
Und gafft und staunt und lacht und plaudert munter.

Ein stattlich Bürgerweib sah ich darunter,
Das einen Säugling trug mit krausen Haaren
Und leider noch viel krauserem Gebahren;
Er strampfte, schrie und trieb es bunt und bunter.

Da, öffnend ihre volle Brust in Eile,
Im Weiterschreiten stillte sie, den Schreier,
Indeß sie selber sättigte die Augen.

Gesegnet Volk! Dir wird das Glück zu Theile,
Den Sinn für Kunst in früher Sonntagsfeier
Schon mit der Milch der Mutter einzusaugen.



VIII.

Ich sah im sechsten Stock auf dem Balkone
Ein Crestaïnchen (auf gut Deutsch: Grisette).
Sie näht’, und mit der Arbeit um die Wette
Flog ihr Gesang im Ritornellentone.

Dazwischen, stolz herab vom hohen Throne,
Als ob sie all die Pracht zu eigen hätte,
Beherrscht’ ihr Blick des Meeres Spiegelglätte,
Capri, Vesuv und rechts Pizzofalcone.

Ein Mann mit Früchten kam vorbei. Nach denen
Ließ sie ihr Körbchen rasch am Seil hinab
Und zog’s gefüllt herauf um wenig Heller.

Dann biß sie tapfer ein mit blanken Zähnen,
Bis ihr zum Stelldichein das Zeichen gab
Ihr Liebster, pfeifend wie ein Vogelsteller.



[267]

IX.

Und jenes blassen Mädchens dacht’ ich da
In meiner Eltern Haus. Ihr dumpfes Zimmer
Sah in den Hof; da saß sie nähend immer,
Bis ihre Hand dem Linnen ähnlich sah.

Was rings in Stadt und Land und Welt geschah,
Warf in ihr dämmernd Leben keinen Schimmer.
Daß schön die Erde sei, erfuhr sie nimmer
Und dacht’ an Eins nur: daß ihr Ende nah.

Am Sonntag kam ein blonder Kammerdiener,
Der ihr von Liebe sprach; und schweigend ließ
Und lächelnd sie’s geschehn, als wär’s zum Spaße.

Zuweilen bracht’ er Kirschen mit, dann schien er
Ein Gott ihr und ein kleines Paradies
Ihr Hinterstübchen in der Behrenstraße.



X.

Die Chiaja dröhnt von Reitern und Carrossen,
Concert im Grünen, lust’gen Menschenschaaren.
Siehst du die schöne Frau mit blonden Haaren,
Stumm an des Gatten Seite hingegossen?

Er blickt so kalt, sie traurig und verdrossen.
Die Dulderin! Kann er ihr’s nicht ersparen,
Dicht an dem Hause dort vorbeizufahren,
Wo er sein freches Liebchen eingeschlossen?

Die zeigt am Fenster sich zur Corsostunde.
Die arme junge Frau sieht stolz vorüber –
Wohin? Dort nach dem Stutzer hoch zu Pferd?

Aufblitzt ein Lächeln an dem blassen Munde,
Ein Wink – ein Blick herüber und hinüber –
O Dulderin! – Ihr seid einander werth!



[268]

XI.

Hier kannst du Gleichheit finden sonder Gleichen.
Sie machen Ernst mit dem erhabnen Spruche,
Wir sollten Brüder sein trotz Kain’s Fluche;
Zumal die Schwestern wissen’s zu erreichen.

Die Häßlichen und Hübschen, Arm’ und Reichen,
Mit Ambradüften oder Fischgeruche,
Sie lesen sämmtlich nie in einem Buche
Und wissen aller Bildung auszuweichen.

Nur was man anziehn, küssen kann und essen,
Scheint werth, daß man danach Verlangen trüge,
Ob höher man geboren sei, ob tiefer.

Das Fischweib neidet nicht die Principessen.
Was Die besitzen, hat sie selbst zur Gnüge:
Liebschaften, Kinder, Eis und Ungeziefer.



XII.

Ihr zählt, mein schönes Kind, kaum vierzehn Jahr’
Und habt ein so erwachsen kluges Lachen,
Und schwatzt so allerliebst von Liebessachen,
Schon aus Erfahrung, dächte man fürwahr.

Auch ist schon Einer – oder Zwei sogar –
Mit Ernst beflissen, Euch den Hof zu machen;
Selbst dem Verehrer Eurer eignen schwachen
Mama bringt Euer Aeugeln schon Gefahr.

Was Ihr nur tragt und thut und sprecht, hat Chic.
Ihr habt den besten Koch, den ersten Schneider,
Der frömmste Beicht’ger sorgt für Eure Tugend.

Begehrlich folgt Euch aller Männer Blick.
Ja, Ihr habt alles, Signorina! Leider
Fehlt Euch nur eine Kleinigkeit: die Jugend.



[269]

XIII.

Auf Capri.

Barfüßig, braun, das Haar zerzaus’t vom Wind,
Trieb sie ihr Eselchen mit sonderbaren
Zurufen an. Da wir gesprächig waren,
So lös’t’ auch ihr das Zünglein sich geschwind.

„Concetta heiß’ ich. Hier auf Capri sind
Die meisten Mädchen hübsch. Vor wenig Jahren
Kam ein Milordo übers Meer gefahren,
Der nahm zur Frau sich ein Capreser Kind.

„Was half das Glück ihr? Weil’s im Norden schneite,
Starb sie vor Frost und Heimweh, poveretta!
Der arme Herr! Tanto carina war sie!

„Man sagt, nun komm’ er wieder, sich die Zweite
Zu holen.“ – Hättest du wohl Lust, Concetta? –
Und sie, ganz ernsthaft: Eh! potrebbe darsi.



XIV.

Vom neuen Friedhof.

Ich sah die Sonne still zur Küste gleiten,
Capri, die Meeressphinx, in Gold getaucht,
Sorrent von zartem Veilchenduft umhaucht
Und um Sant’ Elmo Dämmrung sich verbreiten.

Kaum athmete die Luft von Zeit zu Zeiten.
Das Wölkchen, das dem Feuerberg entraucht,
Hing wie getriebnes Silber, schöngebaucht;
Kein Schatten sonst in allen Himmelsweiten.

Und in mir sprach’s: wie hoch auch Pessimisten
Betheuern, Nichtsein gelte mehr als Sein,
Hier fehlte wohl der Mut zu solcher Phrase.

Ihr, die ihr nicht mehr seid, ihr guten Christen.
Um einen Blick in dieses All hinein
Gäbt ihr das Nichts wohl unter eurem Grase.



[270]

XV.

„Ein Stück des Himmels, das zur Erde fiel,
Der Schöpfung Sonntagskind, ein zweites Eden,
Die Zauberin des Meers, bethörend Jeden,
Den je vorbeitrug seines Schiffes Kiel;

„Ein ew’ger Freudenborn, ein Leidasyl –“
O Freund, genug der überspannten Reden!
Die blanke Larve deckt gar arge Schäden,
Gar schnöder Lüst’ und Leidenschaften Spiel!

Wohl mag dies Land des ew’gen Sonnenlichts
Ein Paradies dir dünken, zauberhelle,
Wo Schlangen locken: kommt und werdet Götter!

Doch Niemand pflegt im Schweiß des Angesichts
Hier abzubüßen seine Sündenfälle,
Und sehr entbehrlich scheinen Feigenblätter.



XVI.

Hier haben wahrlich alle Menschlichkeiten
Ihr Stelldichein. An des Genusses Arm
Schlendert das süße Nichtsthun durch den Schwarm,
Und toller Leichtsinn tanzt dem Paar zur Seiten.

Es sprach von nordischen Bedenklichkeiten
Natur sie los und bannte Reu’ und Harm.
Schwül sind die Tage und die Nächte warm –
Das Laster mag am liebsten nackend schreiten.

Nicht ist das Alter zahm, die Jugend blöde.
Ein Jeder fühlt im brausenden Gewimmel
Geborgen sich und seine liebsten Sünden.

So treibt er, was er mag, und ist es schnöde,
Er denkt getrost: selbst Gottes Aug’ im Himmel
Weiß im Gewühl dich nicht herauszufinden.



[271]

XVII.

Auf Schritt und Tritt, wohin die Augen schweifen,
Hast du hier Reiz und Schönheit zu bestaunen.
Kommst du in grauen Locken oder braunen,
Das alte „Sieh und stirb!“ wirst du begreifen.

Es ließ der Himmel diese Perle reifen
In der humansten seiner Schöpferlaunen.
Was Spötter auch von ihren Flecken raunen,
Wird nicht den Glanz von ihrer Schale streifen.

Hier findest du zu Kauf wie im Bazare
Kunst und Natur, jedweden Schmuck des Lebens,
Daß Nichts dem schwelgendsten Bedürfniß fehle.

Von Allem auserlesne Exemplare.
Nur einen Reiz ersehnst du hier vergebens:
Den schlichten Liebreiz einer schönen Seele.



XVIII.

Villa N.

Ich kannte dieses Haus in frühern Tagen,
Da schimmert’ es von weißen Marmorbildern,
Von goldnen Wänden, Lüstern, Wappenschildern,
Von stolzer Pracht und üppigem Behagen.

Heut weht hindurch ein Herbsthauch von Entsagen,
Die alle Farben dämpfen will und mildern,
In Haus und Park ein reizendes Verwildern,
Noch schöner fast, als da sie Schmuck getragen.

Gleich einer stolzen Seele, die sich lange
Bewußt geblieben strenggemessner Pflichten
Und, um zu glänzen, sich bequemt dem Zwange.

Doch ihrer spotten läßt Natur mit nichten.
Unmerklich folgt das Herz dem tiefen Hange
Nach Freiheit, der es lehrt auf Prunk verzichten.



[272]

XIX.

San Martino.

Wie Fürsten dieser Welt habt ihr gewohnt
Hoch über Stadt und Land und Meergebrause,
Ihr schweigsam stolzen Büßer der Karthause,
Stumm, weil nur Gottes Wort der Mühe lohnt.

Kein Papst noch Kaiser, der so schimmernd thront.
Kunst und Natur umblühten eure Klause;
Sant’ Elmo’s Fort war Schirmvogt eurem Hause,
Das Schätze häufte, die der Rost verschont.

Nun hat man euch zur Welt zurückgetrieben.
Nichts mehr von all dem Glanze blieb euch eigen,
Nicht eures Kreuzgangs kühler Marmorfrieden.

Doch wenn ihr  w o l l t,  ist Alles euch geblieben;
Denn wer da weiß zu schauen und zu schweigen,
Bleibt, auch entthront, ein Fürst der Welt hienieden.



XX.

Das Grab Virgil’s

am Posilip.

Dich nenn’ ich wohl des Glückes Lieblingssohn;
Denn treulich folgend eines Größern Tritten,
Bist du Jahrhunderte hindurchgeschritten
Und glorreich der Vergessenheit entflohn.

Und wieder hob empor zu seinem Thron
Ein Größrer dich, der durch der Hölle Mitten
Zum Führer dich erkor, und wieder glitten
Weltalter hin – du sprachst dem Wechsel Hohn.

[273] Zwar was du sangst von Waffen, Hirt und Heerde,
Hat nie die Welt erschüttert zaubermächtig;
Du aber bliebst der Zaubrer der Poeten.

Es liegt am zauberschönsten Fleck der Erde
Dein Grab, und zu ihm wallt die Welt andächtig,
Wie zu der Gruft der Heil’gen und Propheten.



XXI.

Du weißt es wohl, ich lebe nicht mehr gerne,
Da Jahr um Jahr so herbe Schläge brachten,
Die wohl auch härtre Schultern mürbe machten,
Und ich das Leben bitter fand im Kerne.

Nichts mehr erquickt mich, was ich schaff’ und lerne.
Ich weiß, nur wenig lohnt’s, nach Wahrheit trachten,
Und jenes Laub, wonach Poeten schmachten,
Hält nicht den Blitz von Menschenhäuptern ferne.

Und doch, ob ich allein nach Ruhe strebe –
Vom Sonnenzauber dieser Stadt umglänzt,
Gesteh’ ich’s nur: hier athmen lohnt der Mühe.

Sie grüßt den müden Ringer gleich der Hebe,
Die ew’ger Jugend Nektar ihm kredenzt,
Daß neues Sein im Jenseits ihm erblühe.



XXII.

Der Tag ist wonniglich, die Inseln liegen
Entschleiert wie Sirenen in der Flut.
Die Märchenstadt in San Martino’s Hut
Glänzt wie ein Traum, da wir vorüberfliegen.

[274] Wir können uns bequem im Wäglein wiegen,
Das Laub am Wege wehrt der Mittagsglut.
Fast dünkt das Leben lieblich uns und gut –
Was ist mir nur so feucht ins Aug’ gestiegen?

Ach, siehst du vorn an unsres Pferdes Schopfe
Den Federbusch, der rastlos nickt und weht
Beim lust’gen Schellenklang im Weitertraben?

Den Schmuck trug ja das Pferdchen auch am Kopfe,
Das nun im öden Haus verlassen steht,
Seit seinen kleinen Reiter wir begraben!



Römische Sonette.

Im Coliseo.

Gelinder fließt in dieser Luft das Blut.
Die Seele lernt ihr stürmisch Weh bezähmen,
Des Haftens am Vergänglichen sich schämen,
Wo eine stolze Welt in Trümmern ruht.

Höhnt hier nicht jede Quader: Eintagsbrut,
Willst du dein Zwergen-Ich so wichtig nehmen?
Was ist dein Sehnen, Jauchzen oder Grämen?
Ein Tropfen nur im All der Geisterflut.

Doch während mich umrauscht das ew’ge Fließen
Des uferlosen Meers, in dessen Bette
Spurlos versinkt, was hoch und herrlich war,

Kann wie ein schweres Unheil mich verdrießen
Ein ungefügig Reimwort im Sonette –
O Widerspruch, dein Nam’ ist Mensch fürwahr!



[275]

Am Tiberstrande.

Wenn aus dem Stadtlärm in der Corsostunde
Ich an den öden Tiberstrand mich rette,
Ist mir’s, als ob aus seinem alten Bette
Der Fluß mir rauschte schauerliche Kunde

Von Völkern, die er tief im schlamm’gen Grunde
Begrub, von Gräueln, die an dieser Stätte
Jahrtausende verübten in die Wette,
Da Macht mit Niedertracht so gern im Bunde.

Doch ist denn nicht der Strom ein junger Wandrer,
Der frisch herabsteigt vom Gebirg, dies Rom
Mit Neugierblick in seiner Flut zu spiegeln?

Herüberdräut ein Wissender, ein andrer
Blutzeuge: des Apostels Riesendom,
Der nie ein Beichtgeheimniß darf entsiegeln.



Cives Romani.

Neu überhäuft mit Macht und Glanz und Ehren,
Könnt ihr euch nicht erneu’n an Herz und Sinnen?
Nur eure Weiber sind noch Römerinnen,
Obwohl sie keine Römer mehr gebären.

Mit Groll seht ihr die Fremdenflut sich mehren,
Italiens Banner wehn von euren Zinnen.
Nur daß ihr jetzt am Miethzins mögt gewinnen,
Vermag die finstren Stirnen aufzuklären.

Und doch – statt des Geplärrs der Bettelorden
Wie munter klingt der kriegerischen Banden
Musik, ein frischer Zukunftshauch aus Norden!

Und wenn die päbstlichen Carrossen schwanden
Und Roth- und Violettstrumpf rar geworden,
Blaustrümpfe doch sind reichlich noch vorhanden.



[276]

Begegnung.

Sie stieg vom Capitol die Stufen nieder,
Da purpurn schon die Sonne Roms versank.
Nie sah mein Auge, seit es Schönheit trank,
So stolzes Haupt, so königliche Glieder.

Die junge Brust quoll trotzig aus dem Mieder,
Leis bebten ihre Nüstern, bleich und schlank.
Als früg’ ihr Reiz nach keines Menschen Dank,
Hielt sie gesenkt die breiten Augenlider.

Wie sie mich sah versunken ganz in Schauen,
Fuhr eine Flamm’ aus ihrem Blick, dem stieren,
Als spräche sie: Wie wagst du, mich zu grüßen?

Ich bin von dem Geschlechte jener Frauen,
Die Macht besessen, Kaiser zu regieren,
Und Päbste knieen sahn zu ihren Füßen.



Nach der Beichte.

Ich las heut ein Novellchen in der Frühe
Am Thor von Sant’ Andrea delle Fratte;
Es stand auf einem dunklen Rosenblatte,
Und zu enträthseln lohnte sich’s der Mühe,

Warum von Muthwill’ dieses Lärvchen sprühe,
Das eben noch zerknirscht gebeichtet hatte:
Ob es schon neue Sünden sich gestatte,
Ob noch vom schwülen Hauch der alten glühe?

Stark realistisch klang mir manche Stelle;
Die Lippen sprachen von verstohlnen Küssen,
Nur auf der Stirn sah ich ein Wölkchen liegen.

Da brach ein Lächelglanz hervor, so helle,
So süß – im Stillen hab’ ich seufzen müssen.
Den Schluß vermuth’ ich nur: daß sie sich kriegen.



[277]

Occhiaten.

Mich dünkt, Italiens Volk ist zahmer worden.
Nur selten hörst du noch von Gräuelthaten,
Banditenanfall, blut’gen Coltellaten;
Es blüht nur noch der Beutelschneiderorden.

Doch, mindert sich erfreulich auch das Morden
Selbst in des Südens schlimmverrufnen Staaten:
Nicht auszurotten scheinen die Occhiaten,
Brandpfeile, die uns unbekannt im Norden.

Zum Glück sind sie den Jüngern nur gefährlich
Und prallen ab vom Panzer reifer Tugend,
Wie Schwärmer aus des Feuerwerkers Esse.

Und so studir’ ich heut ganz unbeschwerlich,
Was Herzblut mich gekostet in der Jugend,
Aus reinstem ethnographischem Interesse.



Antiquitäten.

Etruskervasen, Urnen, Opferschalen,
Amphoren, schön bemalt, mit mächt’gem Bauch,
Pompeji’s Lämpchen, noch geschwärzt vom Rauch,
Und Ring’ und Münzen, Spangen und Sandalen –

Was nur verschonten Gothen und Vandalen,
Damit wir lernten alter Zeiten Brauch,
Hier liegt’s gehäuft, und mit der Ehrfurcht Hauch
Beschleichen sacht dich der Begierde Qualen.

Doch tröste dich, wenn dir die Reisekasse
Entsagung auferlegt zu deiner Pein
Bei all den theuren Schätzen dieser Bude.

Man fabricirt hier Alterthum in Masse;
Echt ist und alt der Händler nur allein,
Ein echter alter Fuchs und Ghettojude.



[278]

Andre Zeiten.

Sieh nur, wie strömt’s hinein in Sant’ Agnese!
Ist denn der guten Heil’gen Festtag heute?
So triumphirend stürmt das Thurmgeläute,
Als ob der Pabst heut selbst die Messe läse.

Zu Fuß, zu Wagen – Bettler und Marchese
Im Kampf, daß man ein Plätzchen noch erbeute –
Sagt, was begiebt sich drin, ihr guten Leute?
„Eh! Fra Giovanni singt, Signor Inglese.“

Ja so, der Mönch, der alle Welt entzückt!
Stünd’ heut der Heiland wieder auf, er müßte
Den Kürzern ziehn vor diesem Pracht-Tenore.

Die Kirche trägt, seit sie der Purpur schmückt,
Nach ausverkauften Häusern ein Gelüste,
Und gleich der Oper macht sie gern Furore.



Politisches.

Welch toller Lärm? Was hat sich nur begeben?
Steht wieder vor den Thoren Hannibal?
Nein, nur ein Sammetsessel kam zu Fall:
Im Parlament gab’s ein Ministerbeben.

Das dritte schon, das wir in Rom erleben:
Zuerst Nicotera mit sanfterm Schall,
Herr Crispi dann mit scandalösem Knall,
Und Patriarch Depretis gleich daneben.

Und Alle von der Linken. Laßt das Flunkern,
Als ob das Vaterland gefährdet wäre!
Hier heißt’s ja nur: Steh auf, laß mich hier sitzen!

Nur großer Kampf reift große Charaktere.
Euch fehlt’s an Pfaffen, Socialisten, Junkern
Und andrer schwerer Noth, die wir besitzen.



[279]

Abendandacht.

Ihr sollt mich nicht in eure Kreise locken,
Wo, was daheim ich floh, ich wiederfinde,
In Routs, wo von den Farben schwatzt der Blinde,
Wo Armuth prahlt mit aufgelesnen Brocken.

Nie darf das rieselnde Geplauder stocken,
Auf daß nur ja das Schreckgespenst verschwinde
Des eignen Nichts und minder man empfinde,
Wie eng der Geist, das Herz wie dürr und trocken.

Mit meiner Liebsten zieh’ ich vor, zu Hause,
Wenn Abends im Kamin die Flämmchen summen,
Den Tag zu feiern, der so schön verflossen.

Ein Freund tritt wohl noch ein in unsre Klause,
Und uns vorüberzieht, wenn wir verstummen,
Was alles heut an Wundern wir genossen.



Suum cuique.

Was höhnst du nur die feinen Herrn und Damen,
Die wohlgeschniegelten Philisterfratzen,
Die in der ew’gen Stadt nur ewig schwatzen,
Als ob sie dazu nur von Hause kamen?

Gönn’ ihnen doch die Lust, in Tand zu kramen,
Vor Marmorbildern, Fresken und Arrazzen
Mit ihrem kleinen Ich herauszuplatzen,
Statt andachtsvoll zu flüstern große Namen.

Am Meeresufer in der Abendglut
Siehst du die Weiber ihre Wäsche spülen,
Wobei sich ruhelos die Zungen regen.

Ein Schwimmer stürzt sich schweigend in die Flut,
Im heil’gen Element sein Herz zu kühlen,
Dem stummen goldnen Taggestirn entgegen.



[280]

Im Vatican.

Mußt du, statt einsam durch dies Haus zu schweifen,
Mit Deutschen wandern oder Britenschaaren,
Wirst du in glüh’ndem Unmuth oft gewahren,
Daß sie betasten, was sie nicht begreifen.

Mag auch der Strom der Zeit an ihnen schleifen,
Sie bleiben doch im Herzensgrund Barbaren,
Die frech dem Zeusbild in die Locken fahren
Und vor dem Torso Gassenhauer pfeifen.

Doch mitten im Gewühl der Stumpfgebornen
Trifft dich ein Blitz aus nord’schem Augenlid
Wie Nordlichtschein, wenn rings die Flur vereis’te.

Dann fühlst du tröstlich, daß im Auserkornen
Der schönste Bund noch immer sich vollzieht,
Der Bund hellenischer Kunst mit deutschem Geiste.



Advent.

Am Himmel Wolkenjagd, bleifarb’ge Helle,
In Frost erschauernd lag die Flur, die nackte;
Fern sah herüber spukhaft der Soracte,
Und lautlos schlich die gelbe Tiberwelle.

Ein junges Hirtenpaar, in Ziegenfelle
Gehüllt, schritt mit dem Dudelsack im Takte
Dem Thore zu, bis sie die Wache packte
Und unsanft sie hinwegwies von der Schwelle.

Erblichen ist in Rom, ihr guten Kinder,
Der Stern, der einst in Bethlehem erglommen.
Der Felsen Petri ward zur schroffen Klippe.

Und pochtet ihr am Vatican, noch minder
Wär’ dort die Mahnung an den Stall willkommen,
Wo einst das Heil der Welt lag in der Krippe.



[281]

Sylvester.

Sie feierten Sylvester im Gesù
Mit Kerzenglanz und festlichem Gepränge;
Die Orgel dröhnt’, es braus’ten Chorgesänge –
Mir ging’s zu bunt und laut und lustig zu.

Dem bösen Jahre wünscht’ ich gute Ruh’
Und floh hinaus und wand mich durch die Menge
Zum Capitol hinan die sanften Hänge,
In düstrem Mut. Wohl hatt’ ich Grund dazu.

Da sah ich, eng im Käfig eingegittert,
Die hagre Wölfin neidisch mich beäugen,
Als spräch’ sie: Du bist frei und kannst noch klagen?

Sieh mich! Ich werd’ als Wappenthier gefüttert!
Das ist der Dank, wenn Zwillinge wir säugen
Und gegen Menschen menschlich uns betragen!



Abschied von Rom.

Wer dich erkannt hat, scheidet nie von dir,
Wie von der Mutter nie, die ihn geboren,
Und trennt sich unser Leib von deinen Thoren,
Zurück ein Stück der Seele lassen wir.

Umschließt nicht dies geheiligte Revier,
Was sich an Göttern je der Mensch erkoren?
Bewahrt der Hügelsand nicht unverloren
Die Fußspur aller Weltgeschlechter hier?

Und wie an längst vergessne Schulgeschichten
Die treue Mutter mahnt und uns dazwischen
Mit Lieblingsspeisen pflegt und süßen Früchten,

So weiß dies Rom das Herz uns zu erfrischen
An Vorzeithauch – und römischen Leibgerichten,
Wie der Falcone sie pflegt aufzutischen.



[282]

Nach Hause!

Den letzten Gruß herab von den Terrassen
Des Pincio dir, du Sonne Roms! In Glut
Tauchst du die Hügel rings in deiner Hut,
Eh sie für immer meinem Aug’ erblassen.

Zum letzten Mal umwogt mich in den Gassen
Die heimwärtsströmend rege Menschenflut.
Nachtstimmen Roms – wie kenn’ ich euch so gut
Und soll euch morgen fern verbrausen lassen? –

Doch da ich lag in kurzem Schlummer kaum,
Träumt’ ich, das Wäldchen hört’ ich wieder rauschen
An meinem Haus im Hauch des deutschen Windes.

Und helle Sehnsucht reißt mich aus dem Traum,
Dem Morgenlied des Amselpaars zu lauschen,
Der Spielgefährten meines lieben Kindes.



Städtebilder.

Brescia.

Wie locken mich all deine Lieblichkeiten,
Du schönes Brescia! Nur noch einmal schauen
Möcht’ ich Moretto’s fürstlich-holde Frauen
Und all die werthe Kunst versunkner Zeiten.

Wie durch ein Märchen glaubt’ ich hinzuschreiten
In todtenstillen Gassen, an den grauen
Palästen hin; nur das Geschrei der Pfauen
Drang über Gartenmauern mir zur Seiten.

[283] Doch wo die alten Tempeltrümmer grüßen
Aus dunkler Feigen Laub, trat ich hinein
Und sah die schönste der Viktorien thronen.

Lang ruht’ ich andachtsvoll zu ihren Füßen.
O Göttin, warum mußt du ehern sein!
Ein Kranz aus  s o l c h e r  Hand – wie würd’ er lohnen!



Mailand.

Daß du modern und halb französisch sei’st,
Vom Edelrost Italiens reingescheuert,
Ein blankes Klein-Paris, ward mir betheuert.
Echt sei hier nur, daß man Risotto speis’t.

Und doch, entschwand auch der gewalt’ge Geist,
Der deine Adelshäupter einst befeuert,
Im Kampf mit Oestreich hast du ihn erneuert,
Den Ruhm, daß Nichts dich von Italien reißt.

Wo nur dein Name klingt, wird zweier Werke
Gedacht, zu ew’gen Zierden dir errichtet,
Wie schön’re nie italischen Geist erprobten.

Eins schuf des Lionardo heil’ge Stärke,
Das andre hat dein edler Sohn gedichtet:
Das wundervolle Buch der zwei Verlobten.



Turin.

Groß, still und einsam, wie ein schlichter Held,
Der, wenn er kühn bestanden schwere Proben,
Mit kümmerlichem Dank beiseit geschoben,
Sich stolz zurückzieht vom Geräusch der Welt,

[284] So ruhst du. Deine Gassenadern schwellt
Kein frisches Lebensblut mit muntrem Toben.
Ernst blickt hernieder die Superga droben,
Wo deine Fürsten sich die Gruft bestellt.

Stumm und verödet ragt dein Königsschloß,
Das Adlernest, aus dem zu Kampf und Siege
Aufflog Savoyens Aar mit trotz’gen Flügeln.

Doch wie er glorreich auch zur Sonne schoß,
Niemals vergißt er seiner Jugend Wiege
Im neuen Horst dort auf den sieben Hügeln.



Genua.

Handlung
Ist der Welt allmächtiger Puls.
Platen.

Dein Puls, du stolzes Genua, ist erschlafft.
Noch sieht man herrlich dich im Halbrund thronen,
Als gält’s dem hehren Schauspiel beizuwohnen
Siegreicher Flotten, hoher Heldenkraft.

Doch statt zu handeln, treibst du Handelschaft.
Heut gelten Actien statt der Staatsactionen,
Die Schiffe bringen Waaren fremder Zonen,
Nicht mehr Trophä’n, dem Saracen entrafft.

Vom Geist der Zeit hast du dich bänd’gen lassen.
Ward doch die Bühne, die ihn spiegelt, heute
Ein Markt, wo täglich sich die Curse wandeln.

Das höchste Kunstgesetz sind volle Kassen,
Und sehr verstimmt es die soliden Leute,
Läßt ein Charakterkopf nicht mit sich handeln.



[285]

Pisa.

Beati i matti!
Giusti. Le memorie di Pisa.

Weich ist die Luft an deinem stillen Fluß,
Und Heil und Lindrung suchen hier die Kranken.
Wohl macht der schiefe Thurm mit dem Gedanken
Vertraut, daß Irdisches zur Erde muß.

Hier fand einst Galileo, Schluß an Schluß
Tiefsinnig kettend, in der Ampel Schwanken
Des Pendels Norm, und aus den Blütenranken
Des Camposanto weht’s wie Geistergruß.

Doch freudig, auch von Ernst und Tod umfangen,
Blüht junge Kraft. Hier war’s, wo muntre Schaaren
Beim „Uffero“ mit meinem Giusti schwärmten;

Wo sie das Lied von den drei Farben sangen
Und, wenn sie Nachts voll süßen Weines waren,
„Selig die Thoren!“ durch die Gassen lärmten.



Siena.

Ich sah dich hellgeschmückt vom jungen Lenz,
Du höchstgethürmte von Toscana’s Städten,
Und Blütenbanner friedenvoll umwehten
Die einst’ge Nebenbuhlin von Florenz.

Dein Ruhmesanrecht – nur der Forscher kennt’s.
Der Wettstreit ruht; du bist zurückgetreten.
Doch Aug’ und Herz der Künstler und Poeten
Bestreiten der Jahrhunderte Sentenz.

Hier folg’ ich gerne jener Heil’gen Spuren,
Die rührend edel Welt und Himmel maß
Mit reinstem Blick begnadeter Naturen.

[286] Und wer, der jemals sie geschaut, vergaß
Die andern Wunderwerke dieser Fluren,
Die wonnigen Gestalten Sodoma’s!



Parma.

(Correggio’s Madonna della Scodella.)

Des Himmels höchste Wölbung zu erfliegen
Ist deiner Engel Jubelsturm geglückt,
Und wieder liebtest du, dem Licht entrückt
In spielend süßer Dämmrung dich zu wiegen.

Auch der Gefühle Zwielicht, drin verschwiegen
Die Seele schwelgt, hat deinen Sinn entzückt;
So schufst du die Madonna reizgeschmückt,
Werth, daß die Himmel ihr zu Füßen liegen.

Noch ist sie irdisch ganz. Im Palmenwäldchen
Ruht sie behaglich an der schönsten Stelle,
Bei ihr das Götterkind, das sie geboren,

Die Schale füllt dem blonden Huldgestältchen
Ein Engel aus improvisirter Quelle,
Indeß die Mutter lächelt traumverloren.



Ancona.

Für schlechtriechende Gassen entschädigt und für des Scirocco’s
Drückende Luft der Triumpfbogen am Molo Trajan’s.
Platen.

Zeigst du dich denn noch immer deutschen Dichtern
Im schlimmsten Licht? Es wälzte Nebelmassen
Auch mir Scirocco durch die schmutz’gen Gassen,
Und selbst der Bau Trajan’s stand grau und nüchtern.

[287] Was fabelt hier von schönen Frau’ngesichtern
Das Reisebuch? Zu diesen fieberblassen,
Verkommnen Weibern will das Lob nicht passen;
Als ahnten sie’s, so gehn sie stumm und schüchtern.

Doch ferne sei’s, von deinem trübsten Tage
Auf all die hellen, die dir blühn, zu schließen
Und Leopardi’s Heimathflur zu schelten,

Gleich ihm, dem hohen Genius der Klage,
Dem, was ihm selbst versagt war zu genießen,
Das Glück der Welt, als Irrwahn mußte gelten.



Mantua.

Kommst du nach Mantua, wirst du dir vor allen
Giulio’s berühmte Freskenwelt betrachten,
Sternbilder, Bacchanal, Gigantenschlachten,
Und den Palast del Tè erstaunt durchwallen.

Hast du an dreister Sinnenkraft Gefallen,
Magst du bewundern sein gewaltig Trachten
Und doch im Stillen wohl nach Edlerm schmachten,
Das in der Seele weckt ein Widerhallen.

Dann flüchte zum Archivio notarile,
Wo Wand und Deckenraum Mantegna schmückte,
Mit der Gonzaga Bildern sie belebend.

Hier blüht die Kunst noch rein im schlichtsten Stile,
Eh Virtuosenhochmut sie berückte,
Der Erbschaft Rafael’s sich überhebend.



[288]

Venedig.

Nun ist entthront die stolze Wellenbraut,
Die einst den trotz’gen Nacken bog dem Meere.
Nicht wird sie mehr auf goldner Prachtgaleere
Dem ungestümen Freier angetraut.

Doch in der Lenznacht, wenn mit Donnerlaut
Die Springflut steigt, dann ist’s, als ob die Hehre
Wehrlos dem Element zu eigen wäre,
Auf das sie Tags so kühl herniederschaut.

Hoch über die Piazzetta schwillt die Flut
Und braus’t herein, ersäufend alle Gassen,
Und um San Marco plätschert Ruderschlag.

Das Meer umwirbt die Braut mit Liebeswuth,
Doch nur die Füße darf es ihr umfassen
Und schleicht beschämt von dannen lang vor Tag.



Verona.

Und so entläßt dich, wie sie dich empfangen,
Italiens schöne Tochter an der Schwelle,
Auf daß nach ihrer Mutter Sonnenhelle
Du sehnlich immer müssest heimverlangen.

All ihre Lieblichkeit und stolzes Prangen
Grüßt dich noch einmal aus des Stromes Welle;
Was dir der Süden bot, an dieser Stelle
Ist’s wie im Auszug dir vorbeigegangen.

Amphitheater, Dom, Arcaden, Plätze
Voll Marktgewühls und ausgelassner Schreier,
Ja ein Triumphthor selbst ward nicht vergessen;

Der Mal- und Bildkunst unerschöpfte Schätze,
Glutaugen, leuchtend unter schwarzem Schleier,
Und jenes Giusti-Gartens Prachtcypressen.



[289]

Riva.

Tu adesso riposa, vil maledetto, che
sei venuto dall’ alta montagna per
scendere qua giù abbasso a rompere il
disopra della porta senza diritto!

Ich stieg von Riva jenen Pfad hinan,
Den breitgebahnten, nach dem Ledrothale,
Durch den in Katarakten der Ponale
Sich stürzt; und eh’ ich noch die Schlucht gewann,

Fand ich ein Haus am Weg. Ein Stück daran
War frisch gemauert über dem Portale,
Daneben trug die alte Wand, die kahle,
Die Kohlen-Inschrift, die der Zorn ersann:

„Du halt’ nun Ruh’, vermaledeiter Wicht,
Der du vom Hochgebirg zu dieser Mauer
Kamst, wider Recht den Thürsturz einzubrechen!“

O Vater Shakespeare, dein Kothurn ist nicht
Zu hoch für sie! Wo lernte dieser Bauer
Wie deine Könige und Helden sprechen?



[290]

XI.

Kunst und Künstler.

(Winter 1877/78.)

Was den Modernen gebricht! Sie gehn zur
Natur von der Kunst aus.
Glückliche Alten! Natur leitet‘ euch sicher
zur Kunst.

I.

Favete linguis.

Da ich ein junger Gesell, wie schalt mich oft die Geliebte,
Wenn ich in Schweigen versank mitten im lachendsten Glück,
Um erst ferne von ihr in beflügeltem Wort zu ergießen
All der Gefühle Gewalt, die mir die Nahe geweckt.
So auch wandelt’ ich stumm vorbei an den holden Gebilden
Südlicher Kunst; erst spät kam das Erlebniß zu Wort.
Ist doch Denken Erinnern, und Dichten ein inneres Anschaun;
Worte beschwören den Geist, der sich den Sinnen entzog.
Nachzubeleben entschwundenes Glück vermag die beseelte
Rede; lebend’gem Genuß gnügt ein verworrenes Ach.



[291]

II.

Rath der Götter.

(Relief.)

Aphrodite in eigner Person und Eros und Peitho
Um die Beiden bemüht, die sich zu gut nur verstehn?
Helena senkt schamglühend das Kinn, der kecke Verführer
Scheint zu erwägen, ob auch ehrbar und sittlich der Raub.
O die Losen! Sie spielen die Schüchternen, möchten den Schein sich
Geben, als folgten sie nur zögernd der Himmlischen Rath.
Laßt sie nur zwei Minuten allein, und Helena liegt in
Paris’ Armen; es kann Peitho noch lernen von ihm.



III.

Perseus und Andromeda.

(Relief.)

Sieh, wie ehrerbietig der Held die gerettete Schöne
Leitet die Felsen hinab, da er den Drachen erlegt.
Doch nicht traut sie dem Frieden, sie folgt mit Zagen dem Retter,
Dem appetitliches Fleisch ganz wie dem Unthier behagt.



IV.

Apollo unter den Grazien.

 

(Relief.)

Laß nur nicht von den Mädchen zurück aufs Lager dich locken,
Dem mit schwerem Entschluß kaum du den Rücken gewandt.
Süß wohl schmeicheln sie dir, die gefälligen Kinder. Sie kennen
Jegliche Kunst, die weich Götter und Menschen bestrickt.
Doch es entnervt ihr wonniger Kuß. Nicht glückt dir ein mächtig
Fernhintreffendes Lied, gabst du der Charis dich hin.



V.

Narciß.

Worauf horchst du, Schöner? Auf jenen gewaltig entbrannten
Archäologischen Zank, wie zu benennen du seist?
Schalkheit schürzt dir die Lippen. Du denkst wohl, keiner der Heiden
Noch so sicher getauft, thu’ es an Reiz’ dir zuvor.


 

VI.

Der Farnesische Hercules.

Welch ein schwellend Gebirge von Fleisch und Muskeln! Am Kopf nur
Kam er ein wenig zu kurz; enge sind Schädel und Stirn.
Doch so schuf ihn Natur mit Bedacht; ein Klügerer hätte
So fruchtlosem Geschäft schwerlich das Leben geweiht,
Nicht vom Schmutze gesäubert die Welt, von wüstem Geziefer,
Noch prometheischen Trotz rettend vom Geier befreit.
Aber erkennst du denn nicht, halbgöttischer Thor: des Augias
Stall füllt wieder sich an, wieder ergänzt sich die Zahl
Grimmiger Hydrahäupter; es kreischen die Stymphaliden,
Kraft und Gewalt aufs Neu’ schmieden in Bande den Geist.
Darum senkst du nun freilich das Haupt in zweifelnder Schwermuth;
Doch nicht gänzlich umsonst hast du die Kräfte bewährt.
Glück bei Weibern trägt es dir ein; es liebten sogar die
Schönen Seelen von je diesen athletischen Wuchs,
Mit so geringem Verstande gepaart, und Omphale setzt auf
Solch stiernackigen Freund gerne den zärtlichen Fuß.
Ja, im Olymp, wo Hebe, die Zierlichschwebende, furchtlos
Dir in die schwielige Faust bräutlich ihr Patschchen gelegt,
Stiftest du Zwietracht fast. An ihrem gewaltigen Kriegsgott
Schielt nun Venus vorbei, neidet der Kleinen ihr Glück.
Fast wird eifersüchtig der Vater der Menschen und Götter,
Da leutseligen Blicks Juno den Neuling begrüßt.
Nur die Grazien flüchten entsetzt; es rümpfet Minerva
Höhnisch die Lippe: „Warum ließ man den Hausknecht herein?“



[293]

VII.

Silen’s Nachtbesuch bei den Liebenden.

(Relief.)

Sagt, wer lädt so spät sich zu Gast? Sie wähnten sich sicher,
Aber der Alte, der Gott, spürte die Liebenden aus.
Hier, so ruft den Begleitern er zu, hier will ich ein wenig
Rasten. Der Hausherr war einst mir genauer bekannt.
Untreu ward er dem Alten; es zwang ihn stärkerer Zauber,
Und mit Eros im Kampf pfleg’ ich den Kürzern zu ziehn.
Doch mir kehrt ein Jeder zurück; ich harre geduldig,
Bis die lodernde Glut selbst nach Erfrischung verlangt.
Lös’t mir nun die Sandalen, ihr Knaben. Ich mach’ es als Hausfreund
Gern mir bequem. Doch ihr, trunkene Laffen, entweicht! –
Ach, wie erschrickt das Pärchen! Sie hören die taumelnden Stimmen
Drauß in der Gasse; die Muthwilligen lärmen am Thor.
Seid nur getrost! Ihr seht, kaum hält der Alte sich aufrecht;
Bald entschläft er, und treu hütet dann Eros das Haus.



VIII.

Kunst und Publikum.

Hörst du das freche Geschnatter im Saal der Broncen? – Mir schaudert!
Hätten sich Gänse verirrt in den geheiligten Raum?
Nicht doch! Menschenstimmen! Man lacht, man trällert Passagen.
Shocking! hör’ ich und Well! – Dear me! – Nun seh’ ich sie auch:
Amerikanerinnen, ein halbes Dutzend, die Hütchen
Sehr verwogen und schief über den Scheitel gerückt,
Dort auf dem Marmorsopha, vertieft in Berichte vom letzten
Rout, wo Mistreß und Miß neue Toiletten gesehn;
Und nun folgt Médisance. Es hören die edlen Gebilde
Rings im Saale mit großäugigem Staunen den Klatsch.
Doch was wollt ihr? Man kauft für das Eintrittsgeld im Theater
Wohl die Erlaubniß auch, nur in die Logen zu sehn.



[294]

IX.

Eintritt in Rom.

Dicht vor Ponte molle begrüßt den nordischen Wandrer
Rechts der Täufer und links Christus, zur Taufe geneigt.
Ueber die Breite des Weges sprüht hier die Gnade, zum Zeichen,
Daß ein Tropfe des Heils auch die Verstocktesten trifft.
Aber der Teufel erfand das Dampfroß. Heiden und Juden
Schleichen sich heillos jetzt hinten herum in die Stadt.



X.

Bernini’s Brunnen

auf Piazza Navona.

Ja, er ist nur ein Manierist, doch manchmal im größten
Stil, deß wilder Humor jeden Stilisten beschämt.
Dies Flußgöttergesindel, das ungeschlachte, die Bestien
Um den zerklüfteten Fels, vom Obelisken bekrönt –
Hätt’ ein Größerer hier sich so groß aus dem Handel gezogen,
Mit so guter Manier hier ein Stilist uns ergötzt?



XI.

Dilettantismus.

Im feuchtdunklen Bezirk zu Füßen der wipfelgewalt’gen
Ewigen Eiche – wie breit macht sich der Pilze Geschlecht.
So im Schatten der Kunst, der erhabensten, welche die Welt sah,
Wuchert im ewigen Rom Dilettantismus zuhauf.



XII.

Verwundete Amazone.

Schönes Mädchen, du flößest ins Herz mir inniges Mitleid!
Rührender büßt kein Mensch einen verfehlten Beruf.



[295]

XIII.

Venus aus den Gärten Mäcen’s.

Venus nannten sie dich. Nun schelten sie, daß du zur Göttin
Doch nicht göttlich genug, irdisch vielmehr und gemein.
Schöne Natur, wie reich im Unvollkommnen beglückst du!
Leer ausgehet nur Der, der das Vollkommene sucht.



XIV.

Apoxyomenos.

So hat Mutter Natur in reingeschwungenem Gleichmaß
Sich ihr Lieblingsgeschöpf, so sich den Menschen geträumt,
Ehe der Vater, der Geist, mit dem Uebermaß des Gedankens
Herrisch von oben herab ihre Gebilde verpfuscht.



XV.

Der sterbende Fechter.

Wofür hat er gekämpft? Gleichviel! Und war’s um gemeinen
Taglohn – vornehm erscheint immer im Sterben der Mensch.



XVI.

Juno Ludovisi.

„Wie ein Gesang des Homer“? Und was denn sagte dies Antlitz
Mir vom Zorn des Achill, von der Sirenen Gesang?
Nein, kein dichtender Geist, kein irdscher Zauber beseelt dich:
So unnahbar und kühl leuchtet der Aether allein.



[296]

XVII.

„Die sterbende Meduse“

in Villa Ludovisi.

Dies jungfräuliche Haupt, in des bitteren Todes Umnachtung
Duldend geneigt, die stolz schwellende Braue, der Mund,
Nie von niedrigen Worten entweiht, von stummer Verachtung
Leise gerümpft, noch jetzt, da er das Leben verhaucht –
Wie? ihr nennt sie Meduse? Des Haarschmucks seidene Fülle
Ringelt an Wangen und Hals wirr sich zum Nacken hinab,
Wie von Todesschweiße genetzt, vor Schauder erstarrend,
Doch in Schlangen verkehrt nimmer sich dieses Gelock.
Nie feindselig wird dies Antlitz blicken, das Leben
Rings versteinernd; es sinkt willig hinab in die Nacht.
Denn hier oben im Lichte, der Brutstatt niedern Gezüchtes,
Wo in üppigem Flor nur das Gemeine gedeiht,
Ach, was hielte die Seele zurück, die edelgeboren
Ihres Gleichen umsonst sucht in dem eklen Gewühl?
Fremd durchwallt sie die Pfade des fröhlichen Haufens; sie ist nicht
Wie die Andern, sie hat nicht sich zu schmiegen gelernt.
Hoffart schelten sie ihr den ruhigen Adel, und Kaltsinn
Ihre Trauer; als Schuld schmähn sie ihr eigenstes Selbst.
Nirgends ein ebenbürtiges Glück im Leben, im Tod nur
Darf sie sich hoheitsvoll ihrer Bestimmung erfreun.
Und die Gedankenlosen, die Lustigen, gehn an der Todten
Unversteinert vorbei, höchstens die Achseln gezuckt:
„Warum wollte sie besser als Andere sein? Nun hat sie’s
Schlimmer als Andere; ihr ist nach Verdienste geschehn.“
Und ihr nennt sie Meduse? O nennt sie die Muse der Tragik,
Und wer seelenverwandt, tröste sich dieses Gesichts!



[297]

XVIII.

Auf eine griechische Büste des Traumgottes.

Wer dich bildete, Dämon, geflügelten Hauptes, die Lippen
Höhnisch pressend, den Blick eisig ins Leere gespannt,
Ihm umschwirrten das Lager zu Nacht nur trügliche Larven;
Glückweissagend und treu bist du ihm nimmer genaht.
Stets nur täuschtest du hämisch ihm vor das Bild der Ersehnten,
Das mit Händen berührt schaurig in Nebel zerfloß,
Eh’ es dem Armen vergönnt, an zärtlichen Lippen der Sehnsucht
Fieber zu kühlen, das Haupt bettend der Theuren im Schooß.
Oder du hast all das ihm gewährt, daß nur um so bittrer
Er aus seligem Wahn wieder erwache zur Qual.
Bleibe mir stets vor Augen, den Leichtbetrognen zu warnen,
Daß auch wachend er nie traue dem Traume des Glücks!



XIX.

Naturtrieb.

Wer als strebender Künstler nach Rom wallfahrtet voll Andacht,
Mitleidswürdig zuerst scheint er den Andern und sich.
Denn hier ist so Großes geschehn, so gewaltige Fußspur
Ließen die Alten zurück in dem empfänglichen Staub:
Ach, wie klein, wie verspätet und kümmerlich scheint sich der Enkel!
Pinsel und Meißel und Stift legt er mit Seufzen beiseit.
Aber getrost! Der Naturtrieb wacht. Wie immer das suum
Esse beschaffen, es sorgt, sich’s zu erhalten, der Mensch.
Bald erwählt sich ein Jeder nach seiner Art und Begabung
Irgend ein kleines Gebiet, das er mit Eifer bebaut.
Neben Cypressen und Palmen gepflanzt, nimmt freilich ein Kohlfeld
Nicht zum besten sich aus, aber es nährt doch den Mann.
[298] Und nun malt er vergnügt Ciociaren und bunte Veduten;
Kuppelnde Lohnlakayn führen die Käufer ihm zu.
Einige hab’ ich gesehn vor einem Vierteljahrhundert,
Damals rüstig bemüht, Ruhm zu verdienen und Geld;
Und nun fand ich sie wieder, vom Ruhmesfieber genesen,
Nur noch rüstig bemüht,  G e l d  zu verdienen und Geld.
Ja, Gottlob! Roms Luft ist gesund, und just die Philister,
Hier in der Petersstadt werden sie petrificirt.



XX.

Raffael’s Jonas.

Immer, so oft ich träumend und ziellos schlendre dem Thor zu,
Lockt mich Santa Maria del Popolo – unter den Kirchen
Roms die gepriesenste nicht, doch mein erkorener Liebling –
Mit geheimer Gewalt in ihre bescheidene Pforte.
Still ist’s drinnen und traulich, zumal zur Stunde des Mittags,
Wann die Messe vorüber. Ein honigsüßes Gedüft von
Eben erloschenen Kerzen und Weihrauch wandelt im falben
Zwielicht magisch dahin und spielt in bläulichen Ringeln,
Wo durch bogige Fenster ein Sonnenschimmer hereinbricht.
Solches behagt dort hinten dem Mütterchen. Hüstelnd, den braunen
Rosenkranz in den Händen, hinüberdämmert sie friedlich,
Und auf Filzschuh’n trippelt, als gönn’ er ihr herzlich das bischen
Kirchenschlummer, vorbei ihr Altersgenosse, der Küster,
Der auch mich wohl kennt und mir zu Liebe die Kirchthür
Ein halb Stündlein später verschließt, obwohl er als Ketzer
Längst mich erkannt. Sein Schad’ ist’s nicht, noch bin ich im Weg ihm,
Wenn ich voll Andacht wieder die herrlichen Werke betrachte,
Die verschwenderisch hier des Sansovino beseelter
Meißel, der zärtliche Pinsel des Pinturicchio erschaffen.
Immer zuletzt dann weil’ ich in jener berühmten Capella
Chigi, welche dem großen Saneser Banquier zur Familien-
Gruft Er selber erbaut, der göttliche Rafael. Andre
Traten hinzu, wie ein Schatzkästlein mit Edelgesteinen
Reich zu verzieren den Bau mit unsterblichen Meistergebilden.
Doch er selber entwarf für die Kuppel den Schmuck: die Planeten
Um Gottvater gereiht, des Firmamentes Erhalter,
Und nachschuf mit musivischer Kunst ein venedischer Meister
Sein erhabenes Werk. Doch mehr als Alles ergreift mich
Dort in der Nische zur Linken die Knabengestalt, die der große
Urbinate, so heißt’s, im Marmor bildend vollendet,
Er, den sämmtliche Musen begabt mit Zaubergewalten.
Zu den Propheten gesellt, die vorverkündet den Heiland,
Sitzet der Knabe Jonas, gewandlos, in der Geberde
Ahnungsvollen Erstaunens zurückgebogen, das Haupt nur
Vorgeneigt, wie gebannt von dem Schreckbild, das ihm zu Füßen
Auftaucht, eben ans Ufer gespült: der Rachen des grausen
Meerunholdes. Ergreift das Gemüt des Kindes die Ahnung
Seines Prophetengeschicks und schaudert die knospende Seele,
Weil im Bauche des Fisches dereinst drei Tage zu wohnen
Ihm vom Schöpfer bestimmt? Und doch, glückseliger Knabe,
Gehst du ja wieder hervor zu Licht und Leben und preisest
Um so froher den Herrn, der aus dem Grab dich errettet.
Ach, ich denke zurück an ein anderes Kind, dem auch einst
Wie ein Blitz in die Seele die Ahnung zückte, hinunter
Müss’ es in schaurige Nacht. Aus fröhlichen Spielen auf einmal
Stürzt’ es hinweg und warf mit schreckentgeistertem Antlitz
Sich in die Arme der Mutter. O liebe Mutter, was ist denn
Tod? Muß ich auch sterben? – Und mühsam glückt’ es, den schwarzen
Traum ihm wieder zu scheuchen. Nun ward sein Ahnen verwirklicht;
Doch ihn zog kein gnädiger Gott aus der Tiefe zurück ans
Wärmende Licht, mit den Kindern der Welt sich des Tages zu freuen.
Und mir umflort sich der Blick. Durch täuschende Schleier der Wehmuth
Glaub’ ich das Bild zu erkennen, das ewig nahe, des Lieblings
[300] Dort in der Nische, den Leib von Todesschauern umfröstelt.
Bist du’s wirklich und rufst mir zu: O rette mich, Vater!
Sieh, es verschlingt mich der Tod! – Da rührt ein zitternder Finger
Sanft an der Schulter mich an: Es ist Zeit, Herr! – Und mit den Schlüsseln
Klirrend winkt mir der Alte. Ich wende mich ab, und erschüttert
Wank’ ich hinaus an den Tag, als hätte mich selber der Abgrund
Ausgespie’n und ich trät’ ein Gespenst in das sonnige Dasein.



XXI.

Geisterbeschwörung.

Jeder, und sei er auch noch so jung, hier lernt er Erinnern;
Lernt’ er es sonst schon, – hier wird er ein Meister der Kunst.
Doch hier ist’s kein traulich Geschäft. Von herzlicher Treue,
Inniger Sehnsucht weiß hier die Erinnerung nichts.
Was verschwunden, gehörte der Welt. Es rauscht wie ein Sturmwind,
Wenn sich ein Folioblatt dieser Annalen bewegt.
Nur wer lesen gelernt auch zwischen den Zeilen, erfährt aus
Diesem Gedenkbuch auch heimliches Herzensgeschick.
Dichteraugen erscheint in dem Armband, das in der Villa
Unter dem Schutte sich fand, Mehr als ein goldener Reif.
Ihnen ersteht aus der Asche der Arm und winkt und bewegt sich,
Schmiegt sich schüchtern und fest um des Erkorenen Hals.
Wesenloses gewinnt nun Gehalt, Geringes Bedeutung,
Und aus Moder und Staub lodert noch einmal der Geist.



[301]

XII.

Reisebriefe.

(1871.)

I.

Liebste, da ich heut im Regenzwielicht
Von dir ging, noch unsern Buben herzte,
Und die großen Mädchen sehr verschlafen
Mir zum Abschied Mund und Wange boten,
Dann der Morgenwind mit frost’gem Schauer,
Gar nicht lenzhaft, mein Gesicht umsprühte –
Sinnlos schien ich mir und aberwitzig,
Daß ich fortging, weil der Arzt gerathen,
Alten Gram in neuer Luft zu heilen.
Der Gesundheit, ach, des Friedens Quelle,
Fließt sie einzig nicht im Bann des Hauses?
Auch der schönsten Ferne fremdes Treiben,
Farbenbunt geschäftig Weltgewimmel –
Was dem wunden Herzen kann es bieten,
Das ihm besser nicht daheim erblühte?
Und so drückt’ ich, trutzend und verdrossen,
Fest mich in den dumpfen Fensterwinkel,
Scheinbar schlafend. Doch den Schein benutzte
Ein vergnügtes Flitterwochenpärchen,
Das der Kellner im Hôtel vermuthlich
Allzufrüh geweckt aus Liebesträumen.



Quelle:
Gedichte von Paul Heyse. Fünfte, durchgesehene Auflage. Mit einem Bildniß. Berlin. 1893.

~~~~~~


[20]

Kurzes Gedächtniß.

Luftig vom Gebirg herab
Thät die Schenke winke
Eine trutz’ge Schöne gab
Mann und Roß zu trinken.

[21] Schönes Kind, wie heißest du?
Fing in an zu plaudern. –
Non me ne ricordo più,
Sprach sie ohne Zaudern. –

Daß du schön bist, Hexe du,
Daran denkst du immer. –
Non me ne ricordo più;
Ist’s ein Ding zum Essen? –

Ob sie es gelernt im Nu,
Geht, sie selbst zu fragen.
Non me ne ricordo più!
Wird sie freilich sagen.



[105]

Verzogen,
Verflogen,
Alle Vögel aus den Nest!
Nur die Mauern,
Sie dauern,
Ueberdauern die Gäst’.

Junge Zeiten,
Sie schreiten
Wie Geister vorbei.
Wo ist nun geblieben
Das Lachen, das Lieben?
Blieb Keines dir treu?

Von weitem,
Da läuten
Die Glocken wie einst.
Alter Träumer, entrinne,
Daß am Fenster die Spinne
Nicht sieht, wie du weinst!

Sorrent.




[106]

Die Tage schleichen an uns vorüber,
Wie eine dunkle Geschwisterschaar,
Die einen sanfter, die andern trüber,
Doch keiner lachend und freudenklar.
Sie tragen Gaben in bleichen Händen,
Der edeln Güter gar mancherlei,
Doch florumwunden sind ihre Spenden,
Und unbewillkommt ziehn sie vorbei.

Voran geht Einer mit harten Mienen
Und scheuem Trutzblick, gesenkt das Haupt;
Es ist von gleichem Geschlecht mit ihnen,
Doch statt zu schenken, hat er geraubt.

Seitdem mißtrau’n wir den andern allen,
Die sonst wir arglos ans Herz gedrückt.
Auch mit den Schwestern sind wir zerfallen,
Den schönen Nächten, so reichgeschückt.

Ein Tag wird kommen, der wird uns retten,
Ein Weltversöhner, aus allem Harm:
Mitleidig führt er zu ew’gen Stätten
Der stillsten Schwester uns in den Arm.

Sorrent.




O Herzenseigensinn!
Wie Viel ist dir geblieben,
Wie viel noch kannst du lieben,
Und wirfst doch Alles hin?

Seit Ein Geliebtes fehlt,
Zwei Augen sich geschlossen,
Bleibt Alles ungenossen?
Ist dir die Welt entseelt? –

[107] „Und hat denn Liebe je
Gelernt vorlieb zu nehmen?
Muß Treue nicht sich schämen,
Wenn sanfter wird das Weh?

Euch ist die Welt so viel,
Mir gilt sie nur geringe,
Gleich einem goldnen Ringe,
Aus dem die Perle fiel.“

Sorrent.




Horch! In der dunklen Frühe
Herübersummt das Glockenerz.
Zu neuer Qual und Mühe
Wach auf, verschlafnes Herz! –

– Es ist noch viel zu frühe,
Laß schlafen mich ein Weilchen noch.
Wer weiß, ob nicht erblühe
Ein Trost im Träume doch! –

Die falschen Träume fliehe!
Sie bringen nur erträumtes Glück.
Am wachen Leben glühe
Von Neuem auf dein Blick. –

– Umsonst! Dem Frohen sprühe
Das Leben seine Wonnen aus;
Mir in der dunklen Frühe
Nur einen Tropfen Thau’s!

Sorrent.




Kein Wort, kein Blick;
Das lieblichste Glück
Verschwunden, verloren, dahin!
[108] Nie mehr – nie mehr – –
Von den Glücklichen wer,
Wer faßt den vernichtenden Sinn?

Kein flüsternder Gruß,
Kein lächelnder Kuß,
Die scherzende Lippe verstummt;
Die süße Gestalt
Nur starr und kalt
In das traurige Laken vermummt.

Was kann und vermag,
Was will – o sag –
Die Welt, die zu trösten uns meint?
Ihre Zaubergestalt
Erbleicht alsbald,
Wenn das blasse Gesichtchen erscheint.

Ihr lockender Chor,
Nicht zieht er empor
Ein Herz, zur Tiefe gebeugt.
Wir wandeln dahin
Mit verschlossenem Sinn
Und horchen, wie  e r  nun schweigt!

Sorrent.




Es singt und klingt mir im Gemüth
Vom Morgen- bis zum Abendroth;
Das Leben ist ein süßes Lied,
Sein bittrer Kehrreim ist der Tod.

Ich sang das Lied wohl vor mich hin,
Der Kehrreim schuf mir keine Noth.
Das Leben hatte klaren Sinn,
Ein dunkles Räthsel schien der Tod.

[109] Gedämpft ist nur der lust’ge Schall,
Der mir die Brust zu sprengen droht.
Das Leben dunkelt überall,
Und hell und heller winkt der Tod.

Die falschen Töne sind verstummt,
Das Lebens irre Glut verloht –
Ich harre, daß in Schlaf mich summt
Mit sanftem Wiegenlied der Tod.

Sorrent.




Die silberne Luft erglänzt so blaß
Ueber dem schwarzen Meer;
Die Möwe schreis’t, die schwanke,
Ruhlosen Flugs umher.

Ich denk’ an eine Stirne so blaß,
Zwei Augen schwarz und stumm.
Ein einz’ger irrer Gedanke
Geht ruhlos drin um.

Zwischen Sorrent und Capri.




Warum zwitschert ihr mich
Um meinen Morgenschlaf
Mit scharfem Weckruf,
Grausame Vögel!

Ach, ihr scheuchet
Mir von der Seite
Den einz’gen Freund und Erbarmer,
Der bei mir aushielt,
Da vom Haupte
Des Göttervervehmten
Entsetzt hinwegflohn
Alle guten Geister.

[110] Wie qualvoll lang
Im purpurnen Abgrund der Nacht,
Zu dem hinunter
Kein Strahl des Friedens tauchte,
Lag ich mit fieberbangen Sinnen,
Aus furchtbarn Träumen
Zurückgeschreckt
Ins schreckenvollere
Wache Bewusstsein
Meines Unglücks,
Bis endlich nachgab
Der leidermattete Leib
Und ein Tropfe Vergessen
Auf die lechzende Seele thaute.

Den missgönnet ihr mir,
Schadenfrohe Vögel!

Ach, vorzeiten
Meintet ihr’s gut,
Wenn ihr den schlummerberauschten
Knaben und Mann
Hinaus in die lodernde
Pracht des Morgens riefet.
Da war Welt und Leben
Des Wachens werth.

Jetzt ist der dichteste Schleier,
Den Träume weben,
Nur wie ein Spinnweb,
Gelegt auf frische Wunde:
Nur leicht das Blut
Zu hemmen vermag’s;
Doch voll durchtränkt
Mit dem quellenden Naß,
Wird das Gespinnst
Wieder hinweggespült,
Und heißer rieselt die Welle
Am grauen Morgen.

[111] Daß ein Morgen käme,
Der sie stocken machte,
Müßte mit ihr auch
Mein Leben stocken –
Denn, all’ ihr Götter,
Uebermenschlich
Ist diese Pein!

Sorrent.




[113]

Wie so wund nun bist du, arme Seele,
Blutest, ach, verblutest dich nach innen!
Gleich der Taube, der das Rohr des Jägers
Ihren Nestling in die Brust getroffen,
Ihn durchs Herz und sie mit gleichem Schusse
Nicht zum Tode, nur zu Lebensunmacht.
Nun mit welkem, eingeknickten Flügel
Nicht mehr kann sie durch die Wipfel streifen,
Nicht die sonnenwarmen Dächer suchen.
Ueberm feuchten Grund, dem moderkühlen,
Der das Blut gesogen ihres Lieblings,
Wankt sie flatternd hin und her; verloren
Ist der Lenz für sie, vergällt die Liebe,
Leben Todesqual. O hilf und heile,
Wenn du Macht hast, mütterliche Sonne!
Hab Erbarmen mit der Mutterseele,
Der unheilbar zärtlichsten von allen!

Sorrent.




Wie schon jahrelang abgeschieden,
Wandelnd allvergessne Pfade,
Athm’ ich reinen Jenseitsfrieden
Am geliebtesten Gestade.

[114] Nächtens seh’ ich Barken fahren
Weit ins Meer bei Fackelscheine,
Daß ich stiller Geisterschaaren
Hadesfahrt zu schauen meine.

Tags – wie haben Luft und Welle
Alle Zauber ausgegossen!
Von des Empyreums Helle
Fühl’ ich selig mich umflossen.

Kaum ein Gruß wird mir geboten,
Höchstens winkt ein Kinderhändchen,
Und so leb’ ich meinen Todten
Und verschalle den Lebend’gen.

Sorrent.




Die Sonne gleitet still hinab
Ins Wellengrab.
Ein feiner falber Schleier fällt
Rings auf die Welt.

Am blauen Bergeshorizont
Glüht auf der Mond.
Es hellt sein düsterwildes Licht
Die Trübe nicht.

Wir wandeln traurig Hand in Hand
Durchs Todtenland.
Was Jedes denkt so weit von Haus,
Spricht Keines aus.

Ein Nachglanz von verlornem Glück
Blieb uns zurück –
Es hellt sein rothverweintes Licht
Die Trübe nicht!

Pompeji.




[115]

Bezwingst du nicht den dunklen Gram?
Am Firmament
Wie lockt das Licht so wonnesam!“ –
Die Wunde brennt.

„Wer ward nicht schon vom liebsten Glück
Unsanft getrennt!
Wer leben will, schau’ nicht zurück!“ –
Die Wunde brennt.

„Und du, dem so viel reiche Gunst
Ein Gott gegönnt,
Die Seele voll Natur und Kunst – !“ –
Die Wunde brennt.

Neapel.



 
Der Tag verging mir,
Der Abend kam
Aug’ in Auge
Mit meinem Gram.

Freuden pochten
Ans öde Haus;
Er hielt die Wache
Und schloß sie aus.

Träume nahten
Bei Sternenschein;
Die trostbegabten
Ließ er nicht ein.

Er wich und wankte
Vom Bett mir nicht;
Ich sah durch Thränen
Sein starr Gesicht.

[116] Die Nacht verging mir,
Der Morgen kam,
Aug’ in Auge
Mit meinem Gram.

Neapel.




Kennst du die Thränen,
Die nie versiegen,
Das wunde Sehnen,
Wie Fieberglut?

Mit unterirdisch
Geheimer Welle
Rinnt dieses Kummers
Wühlende Quelle,
Und jäh zu Tage
Bricht ihre Flut.

Heut unter lachend
Azurnen Himmel,
In des Toledo
Glanz und Getümmel
Plötzlich zum Herzen
Stürmt mir das Blut:

So viel üppiges
Leben ergossen,
Und du, mein Knabe,
Hast Nichts genossen,
So lebenswürdig,
So schön und gut!

Wehe den Thränen,
Die nie versiegen,
Dem wunden Sehnen,
Das nimmer ruht!

Neapel.




[117]

Hab’ ich denn schon Schmerz gelitten,
Eh ich dieses Glück verlor?
Ward mir schon ins Herz geschnitten
Mit so rauer Hand zuvor?

Stockt mir doch der Quell des Lebens
Wie verschüttet in der Brust.
Nun umschmeichelt sie vergebens
Liebeslockung, Lebenslust.

Wenn ein Tagwerk mich beschwerte,
Wer erquickt mich nun am Ziel?
Und wo ist mein Spielgefährte,
Wenn die Stunde kommt zum Spiel?

Lange Bogenzeilen tragen
Vom Gebirg den reinen Quell.
Lorbeerhaine seh’ ich ragen,
Licht und Luft wie süß und hell!

Golden blitzt des Stromes Welle,
Und ich blicke starr hinein,
Wie vom hohen Fußgestelle
Fühllos jenes Bild von Stein. – –

Rom.




Der Mond stand überm Palatin. Wie ich
Hinaufkam, weiß ich nicht. Das hohe Thor
War offen, ohne Wächter. Ein Stimme
Sprach in mir: Geh hinauf! Du findst ihn dort!
Doch langsam, denn mir klopfte stark das Herz,
Stieg ich die dunkle Treppenflucht hinan
Und stand nun auf der Höhe, rings um mich,
Was von der Hofburg der Cäsaren blieb:
Nur Stein und Schutt, der Gold- und Marmorhülle
Beraubt, wie nacktes Knochenwerk, von dem
Hinweggemodert längst das blüh’nde Fleisch. –
[118] Gewaltig in den veilchenblauen Aether
Zur Rechten mir erhob das Colosseum
Die dunkle Stirn, durch seine leeren Bogen
Quoll goldner Schein; genüber ragt’ empor
Des Friedenstempels dreigetheilte Cella,
Geheimnißdunkel; dran vorüber sah ich
Mondblitz, schlanken Silberpfeilen gleich,
Von Säul- zu Säulenstumpf des alten Forums
Sich schwingen und vom steilen Capitol
Abprallend in der Nebeldämmrung schwinden.
Das sah ich mit dem äußern Auge nur
Und ungerührt. Stieg ich doch nicht hinauf,
Mich am Erhabensten der Welt zu weiden,
Nur weil es in mir sprach: du findst ihn dort!

So wandt’ ich mich und wandelte den Pfad
Vorbei dem Hause des Caligula
Und dem Palast der Flavier, bis zum Rand
Des Hügels, wo in sanften Duft gehüllt
Das Haupt des Aventin herübersah.
Wie Geisterathem leise ging die Luft,
Und jeder Stein und jeder zarte Sproß
Der Bäum’ und Sträucher schien zugleich dem Blick
So deutlich und so märchenhaft, daß mir
In wunderlichem Grau’n die Seele bebte.

Da, wie die Augen ziellos sich ergehn,
Auf jener Wiese, zwischen Lorbeerbüschen
Und wilden Rosen – heil’ge Götter! was
Erblick’ ich! – Ist er’s? – Das geliebte Kind –
Es sitzt mir abgewandt – mit blassen Händchen
Pflückt’s auf dem mondbeglänzten Rasenteppich
Die zarten Anemonen und Tazetten,
Der Todtenblume glockengoldne Sprossen,
Und windet eifrig sie in einen Kranz.
Ein Schrei entringt sich mir – da wendet er
Das Haupt – er ist’s! – und sieht mich, und die Blumen
[119] Vom Schooße schüttelnd springt er hastig auf
Und mir entgegen, steht dann plötzlich still,
Scheu, als besänn’ er sich auf ein Verbot.
Ich aber fasse mir ein Herz: Mein Kind,
Mein holdes Leben! stamml’ ich. Doch er schüttelt
Wehmüthig ernst das Haupt, als woll’ er sagen:
Was sprichst du! Leben? Das ist hin! – Und langsam
Nimmt er die Blumen auf und ordnet sie
In einen Strauß, winkt dann geheimnißvoll
Und geht voran.

Auf einmal ward das Herz
Mir seltsam leicht und froh, als gingen wir
Wie sonst spazieren und betrachteten
Mit hellen Augen rings die Welt. Wo willst du
Nur hin? begann ich. Willst du deinen Strauß
Der Mutter bringen? – Und er nickt’ und sah
Mit einem traurig stillen Blick mich an –
Es war, als wollt’ er plötzlich an die Brust
Mir stürzen, mich zu bitten: nimm mich mit,
Zurück ins Leben: Wo ich jetzt verweile,
Ach, ist’s so schaurig kalt und liebeleer! –
Doch er bezwang sich, hob das Fingerchen,
Wie um zu mahnen: denk nicht drüber nach,
Wie all das ist; es bräche dir das Herz! –
Und so verstummt’ ich. Ach, die Augen hingen,
Sich nicht ersättigend, an dem lieben Antlitz.
Noch feiner schien es, reifer noch, zugleich
Noch weit unschuld’ger, rührender, nur daß
Es nicht mehr glänzt’ in süßem Uebermuth.
Und näher schmiegt’ er sich an mich. Doch nur
Der Duft berührte mich von seinem Strauß,
Nichts von ihm selbst. So, unvermerkt, hinab
Vom Palatin hatt’ er mich weggeführt,
Und scherzend sagt’ ich: weißt du denn Bescheid
Im fremden Rom? Willst du am Capitol
Die Wölfin sehn? Er aber schwieg und ging
[120] Voran mit leichtbeschwingtem Schritt, das Haar
Umwehte Stirn und Schläfen seidenweich –
O wie er lieblich war! – So schritten wir
Die todtenstillen Gassen traulich hin.
Nur meines Schrittes Echo klang, und dort
Der große Brunnen rauschte. Sieh nur, sagt’ ich,
Dies ist der Trevi-Brunnen. Möchtest du wohl
Auf diesen Wasserpferden reiten, Kind? –
Da lächelt’ er, zum ersten Mal. Und weiter
Rastlos den langen Corso ging’s hinab.
Und als wir jetzt dem Hause nahten, wo
Die ärmste aller Mütter schlief, – doch nein,
Sie wachte; durch die Läden schimmerte
Die Lampe noch – da blieb er stehn und sah
Still zum Balkon hinauf. Unschlüssig schien er,
Ob er die Schwelle wohl betreten dürfe.
Und ich: ach, wenn die Zwei sich wiedersehen,
Er nimmt sie mir mit fort! – Da sah ich, wie er
Rasch vor der Thür die Blumen niederlegte,
Dann, gleich als ob er Eile habe, winkt’ er
Mir zu, und durch das monderhellte Thor
Des Volkes führt’ er mich und nach der Villa
Borghese, und wir schritten frei hinein.
Wie zauberherrlich breiteten die Wiesen,
Von Pinienwipfeln bläulich überschattet
Und rings von Säulen, Brunnen, Marmorbildern
Durchschimmert, weit sich aus! – Hier ist es schön,
Nicht wahr, mein Liebling? Sieh nur die Narzissen
Dort auf der Halde. Willst du wieder pflücken? –
Er aber spähte still umher. Da sahn wir
Im Stadium, wo Cypressen rings wie Wächter
Den Plan behüten, schöne Pferde frei
Sich tummeln oder weiden durch das Gras.
Die schlanken Nüstern schnoberten, es flogen
Die langen Schweife, wie sie ihre Sprünge
Fast wie im Reigen machten. Und auf einmal
Kam aus der Koppel zu uns hergelaufen
[121] Ein weißes Füllen. Fromm geduldig stand’s
Vor meinem Knaben, ließ das krause Fell
Von seinen dreisten Händchen willig streicheln,
Und eh ich’s dachte, saß er auf dem Rücken
Des schlanken Thiers, und nun begann das Spiel,
In leichten Sprüngen erst, dann wild und wilder,
Daß ich in Angst erschaudernd rief und bat
Und warnt’ – umsonst! In plötzlich tollem Rasen
Ausbrach der Wildling, wie gepeitscht mit Dornen,
Und mein Geliebter, wie ein Federball
Hinab, hinaufgeschnellt, kaum noch die Mähne
Fest hielt er- zwischendurch aus seinem Auge
Traf mich ein banger Strahl. – Ach, rief ich, hättst du
Es nicht gewagt! Das Leben ist zu wild,
Sah ich auf feuchtem Abhang niedergestreckt
Den holden weißen Leib, die Strahlenaugen
Erloschen, ach, die Blumenglieder nackt
In eine rothe Decke halb verhüllt –
Und sinnlos stürzt’ ich hin. – –

Doch aus der Wiese,
Darauf er lag, sproß eine Blumensaat
Von gelben Todtenblumen und Narzissen
Und frühen Veilchen, und sie wuchsen hoch
Und höher, überwuchernd die erblichnen
Geliebten Glieder, bis ich nichts mehr sah
Von meinem todten Glück. Ins Auge drang
Mir scharf und schmerzend erste Morgenglut
Des neuen Tags, in lautem Weinen brach
Die Qual mir aus, und seinen Namen rufend,
Erwacht’ ich.

Rom. Im März.




[122]

Ich weiß, ein Wahn ist’s und zum Wahnsinn bringt’s,
Ihm nachzuhängen. Dennoch, jeden Tag,
Sobald versank der Sonnenball und noch
Der Trost des Sternenschimmers nicht erblüht,
Nur bleiern bleiches Zwielicht auf dem plötzlich
Entseelten Angesicht der Erde ruht,
Tritt vor mich hin dasselbe Graungespenst.
Mir ist, mein Knabe sei in weiter Ferne
Verirrt und finde nicht nach Haus. Ich seh’ ihn
Durch graue Gassen einer fremden Stadt
Hineilen, seine kleinen Füße wanken,
Von kühlem Thau und kaltem Schweiße klebt
Sein braunes Haar, die Augen suchen irr
Umher, ob sie das Haus nicht wiederfinden,
Wohin er soll, wo ihm das Bettchen steht,
Die Mutter tödtlich sich um ihn zerbangt
Und trostlos sie der Vater trösten will.
Und fremde Leute, hastig theilnahmlos,
Gehn ihm vorbei – er ruft sie an – er fleht:
Bringt mich nach Hause! – Keiner hört auf ihn;
Nicht Eine Pforte thut sich ladend auf,
Nicht Eine Hand zieht ihn ins Wohnliche.
Und so von Thür zu Thüre, hingejagt
Von Hunger, Angst und Sterbensmüdigkeit,
Sucht er und sucht – und keine Zuflucht winkt,
Und dichter, kühler, schauriger umdunkelt
Die Nacht sein banges Leben – schwer und schwerer
Den Athem ringt er aus beklemmter Brust –
Und jetzt – die Kraft versiegt – mit leisem Ach
Hinsinkt er auf den kalten Stein.

Da sendet
Ein güt’ger Dämon, der das Herz mir nicht
Will springen lassen im lebend’gen Leibe,
Ihm Helfer in der höchsten Noth. Ich seh’
Zwei andre Kinder um die Ecke biegen,
[123] Stillgleitend wie mit Flügeln. An der Hand
Führt ein halbwüchs’ger Knab’ ein zierlich Mägdlein,
Das kaum erst trippeln lernte. Stolz und ernst
Glüht unter blasser Stirn das Knabenauge
Und rastet plötzlich auf dem Hingesunknen.
Das Mägdlein aber stutzt und zeigt auf ihn,
Und jetzt, mit holdem, unhörbarem Lachen
Läuft’s auf ihn zu und tupft ihn auf den Kopf,
Und wie er aufsieht, streichelt sie ihm sanft
Das thaubetriefte Haar. Doch ihr Gefährte
Faßt brüderlich den Kleinen unterm Arm
Und richtet ihn empor. Da sehn die Drei
Sich an mit Kinderneugier, rasch vertraut,
Und flink das Mägdlein in die Mitte nehmend,
Gehn sie dahin; mir ist, ihr Lachen hört’ ich,
Ihr kindisch Plaudern, – und wie Flötenhauch
Dringt’s an mein Ohr. So blick’ ich ihnen nach,
Bis vor dem überthauenden Aug’ ihr Bild
Zerrinnt, und dort am Dachesrande glüht
Der goldne Mond empor und übergießt
Mit Balsam mir die angsterlös’te Seele.

Rom.




Rispetti.

1.
Rispetti singt man Abends in der Kühle
Und Mitternachts zur Stunde der Gespenster.
Ein wenig aufzuathmen nach der Schwüle,
Singt sie ein Liebender am Kammerfenster.

Ich singe sie an einem kleinen Grabe,
Drin ruht, was ich zumeist geliebet habe.

Es kommt kein Gruß, kein Flüsterwort zurücke;
Ein armer Spuk nur blieb von so viel Glücke.

[124]

2.
Mir war’s, ich hört’ es an der Thüre pochen,
Und fuhr empor, als wärst du wieder da
Und sprächest wieder, wie du oft gesprochen,
Mit Schmeichelton: Darf ich hinein, Papa?

Und da ich Abends ging am steilen Strand,
Fühlt’ ich dein Händchen warm in meiner Hand.

Und wo die Flut Gestein herangewälzt,
Sagt’ ich ganz laut: Gieb Acht, daß du nicht fällst!

3.
Wir müssen es nur ja der Welt nicht sagen,
Daß sie zu arm, dies Kleinod zu ersetzen.
Sie zuckt die Achseln nur zu unsern Klagen:
„Was man verloren, darf man überschätzen!“ –

Unter vier Augen magst du mir’s gestehen,
Daß wir als Bettler nun durchs Leben gehen.

Unter vier Augen will ich dir’s bekennen:
Es wird kein Glück mehr uns beglücken können.

4.
Um Mitternacht weckt mich die alte Wunde.
Ich seh’ den Mond so still ins Fenster scheinen.
Auch du bist wach, und mit dem Tuch vorm Munde
Ersticken möchtest du dein einsam Weinen.

Ach, sollen mir nicht sagen deine Thränen,
Ich dürfe niemals dich getröstet wähnen?

Ach, sagen sie mir nicht: was dir geblieben,
Sei kaum der Mühe werth, es noch zu lieben?

[125]

5.
Vor unsern Fenstern Nachts erklingt die Cither;
Hörst du? Santa Lucia wird gesungen.
Wie klingt uns nun die süße Weise bitter,
Wie wühlt sie aus dem Schlaf Erinnerungen!

Das Stimmchen, das geliebte, tönt nicht wieder,
Das oft uns sang dies liebste seiner Lieder.

Vom andern Ufer lockt es: Mamma mia,
Deh! vieni all’ agile barchetta mia!

6.
Die Augen weg, die ernsten Kinderaugen,
Die unverrückt mir überm Bette strahlen,
Mir Freud’ und Frieden aus der Seele saugen
Und mich zu Asche glühn in Sehnsuchtsqualen!

Sie fragen: mußten wir denn untergehn,
Eh wir am Buch der Welt uns satt gesehn?

Wär’ deinen, die sich müde dran gelesen,
Willkommner nicht die ew’ge Nacht gewesen?

7.
Es war im Himmel und auf Erden Nichts,
Was uns nicht höher Sinn und Herz entzückte,
Wenn aus dem Spiegel deines Angesichts,
Geliebtes Kind, es uns entgegenblickte.

Der klare Spiegel ward so jäh zerschlagen,
Nun hat die Welt uns weiter Nichts zu sagen.

Nicht lockt uns mehr der Dinge Widerschein;
Wir starren freudenblind in uns hinein.

[126]

8.
Komm! Laß uns hier die Anemonen pflücken;
Dem Liebling sei’s ein Liebesangebinde.
Wir woll’n sie wohlverwahrt nach Hause schicken,
Man soll aufs Grab sie legen unserm Kinde.

Sein kleiner Hügel ist nun überschneit,
Und uns umblüht hier Frühling weit und breit.

Uns scheint die Sonne Rom’s so süß und warm,
Er aber ruht der ew’gen Nacht im Arm.

O weher thut, als Armuth, Ueberfluß,
Wenn ein Geliebtes ewig darben muß!

9.
Das Leben ist ein Meer voll wilder Klippen,
Mit Fischblut gilt es glatt sich durchzuwinden,
Niemals sein Herz zu tragen auf den Lippen,
Niemals an Andrer Glück sein Herz zu binden.

Du lerntest viel zu früh an Andre denken,
An ihrem Wohl und Weh dich freu’n und kränken.

Ach, viel zu frühe singst du an zu lieben;
Du wärst nicht lang ein froher Mensch geblieben!

10.
In junger Zeit, wenn meines Herzens Pochen
Schon lang vor Tage mir den Schlaf vertrieben,
Hab’ ich in Reimen vor mich hingesprochen
Und bei der Kerze noch sie aufgeschrieben.

Der Liebsten bracht’ ich sie zur Dämmerstunde,
Die küßte Zeil’ um Zeile mir vom Munde.

[127] Dies nächt’ge Lied wird kein Geliebtes hören:
Es dient allein, den Schlummer mir zu stören.

Es dient allein, mich vor dem Traum zu retten,
Als ob wir dich noch nicht verloren hätten!

11.
In dieser Welt voll banger Widersprüche,
Wie fühlst du Zweifel deine Brust beklemmen,
Die eklen Dünste dieser Hexenküche
Den Sinn verwirren und den Athem hemmen!

Ich trug einmal ein Blümchen in der Hand,
Vor dessen Hauch ein jeder Mißduft schwand.

Es schien mit seines Kelches zartem Neigen
Mich zu ermuntern, mir den Weg zu zeigen.

Seit mir das Blümchen in den Staub gefallen,
Kann ich den Weg nur tastend weiterwallen.

12.
Ich war ein reingestimmtes Saitenspiel;
Wenn ich erklang, so war’s zur Freude Vielen.
Warum’s dem Meister Schicksal nur gefiel,
So ungestüm und rauh mir mitzuspielen?

Nun ist die edle Harmonie zerstört;
Verstimmen muß ich Jeden, der mich hört.

Nun sind die andern Saiten all’ zersprungen;
Nur eine tönt noch, von Erinnerungen.



Quelle:
Gesammelte Werke von Paul Heyse. Erster Band. Gedichte. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. Beffersche Buchhandlung. 1901.

~~~~~~


[35]

Lalla.

Ein Ritornellenkranz.

Ihr Blumen-Ritornelle,
Ihr windverwehten zarten Liebeshauche,
Laßt ihr euch auch gebrauchen zur Novelle?
Schneeglöckchen läuten:
Versuch’s mit uns! Viel sagt man durch die Blume;
Wie viel kann erst ein voller Strauß bedeuten!
Blühende Winden.
Ja, wer es selbst erlebt, dem mag’s gefallen;
Die Andern werden’s kaum ergötzlich finden.
Primula veris.
Im jungen Lenz ist Rom ein Paradies;
Auf Weg’ und Stegen triffst du holde Peris.
[36] Jelängerjelieber.
Den Pincio meide, wenn die Sonne sank;
Liebschaften lauern dort und Wechselfieber.
Moosrosen, zwei an einem Stiele.
Die vollerschlossne haucht schon Sommerduft;
Die scheue Knospe wär’s, die mir gefiele.
Blüte der Mandeln.
Im Kern ist Gift verborgen. Hüte dich,
Mit jungen Römerinnen anzubandeln!
Blüh’nde Akazie.
Wie reizend sie den Fächer fallen ließ
Und sprach, da ich ihn aufhob: Tante grazie!
Ein namenloses Blümchen.
Darf man erfahren, Fräulein, wie Ihr heißt? –
„Lalla; und hier die Rosa ist mein Mühmchen.“
Ihr bunten Anemonen,
Die sie zerpflückt, o sagt, pflegt dieses Kind
Auch Herzen, die sie stiehlt, nicht zu verschonen?
Blüh’nde Reseden.
Dein Lächeln grüßte mich heut im Gesù;
Die Messe klang, da durften wir nicht reden.
Blaue Cyane.
Heut, mit der Mutter wandelnd, tatst du fremd.
Nun weiß ich, wo du wohnst: Quattro fontane.
Gelbe Ranunkel.
Du machtest mir ein Zeichen mit der Hand;
Was du gemeint, du Schelmin, blieb mir dunkel.
Granatbusch, voll im Flore.
Nun endlich, tiefverschleiert, traf ich dich
Heut auf dem Platze vor Marie Maggiore.
Kennst du die Osterie dort in den Thermen
Diocletian’s? Kein laues Wasserbad.
Ein Feuerwein soll dir das Blut erwärmen.
Falbe Verbene.
Ein jeder Mund, und wär’ er längst verblüht,
Verjüngt sich, wenn er spricht: Ti voglio bene.
[37] Blüte der Linde.
Doch haucht ein Knospenmund: Ich liebe dich!
Alsbald entfaltet sich das Weib im Kinde.
Schwertlilien seh’ ich gerne
Mit dem vertieften Blau. Doch tiefer blauen
So feuchtverklärt saphirne Augensterne.
Wie Pfirsiche, die am Spalier noch hangen,
So zartgeröthet unter leichtem Flaum
Glühn dieser herben Jugend braune Wangen.
Ihr Hyazinthenglöckchen,
Ich weiß, was holder tausendmal als ihr:
Am schlanken Halse diese schwarzen Löckchen.
Gelbblumiger Ginster.
Sei ohne Furcht, der Wirth verräth uns nicht,
Und in dem Eckchen hier ist’s traulich finster.
Blüh’nde Syringen.
Besorgt’ ich nicht, die Mutter möchte’ es hören,
Würd’ ich dir heute Nacht ein Ständchen bringen.
Duftlose Dahlien.
Du gleichst der Psyche, Kind, so im Profile. –
„Wer ist die Dame? Lebt sie in Italien?“
Blüh’nde Narzissen.
Wenn du das nächste Mal zur Beichte gehst,
Sagst du dem Pater auch von unsern Küssen?
Reben, ihr traubenschweren.
„Ihr seid ein Ketzer, Herr; ma non fa niente.
Der Pfarrer sagt, die lassen sich bekehren.“
Verschwiegnes Veilchen.
Kannst du nicht morgen zum Tritone kommen,
Vergiß es nicht und schreibe mir ein Zeilchen.
Blühender Majoran.
Ein Tag vergangen ohne Liebesgruß!
Schreiben ist leicht gesagt, doch schwer gethan.
O Epheuranke!
Da kommt sie schon, ins Tüchlein eingemummt,
Und lacht von fern mich an, die Süße, Schlanke.
[38] Blüh’nde Granaten.
„Nein, nicht geküsst! Ihr wißt, das schickt sich nicht.
Doch laßt uns einmal ernsthaft uns berathen.“
Blume vom Flachse.
„Ich werde sechzehn bald, und Mamma meint,
Heirathen könnt’ ich, weil ich nicht mehr wachse.“
Blühende Schlehe!
Cospetto! Noch nicht volle sechzehn alt,
Und spricht bereits so ernstlich von der Ehe!
Fliegende Blütenflocken.
„Mein Vetter Checco möchte gern mich frei’n.
Er ist ganz hübsch mit den gebrannten Locken.“
Sie lieben’s freilich, beim Friseur zu sitzen!
Der ist der Einz’ge noch, der daran glaubt,
Daß diese Stutzer einen Kopf besitzen!
Gelbe Tazette.
„Kommt und besucht uns doch einmal am Abend.
Erst wird geschwatzt, dann spielen wir tresette.“
Blume der Passion.
„Auch der Herr Pfarrer giebt uns oft die Ehre.
Ein heil’ger Mann! Drei Juden tauft’ er schon.“
Blühende Winde.
Ich soll zur Mutter gehen, um dich zu werben?
Ich fürchte, daß ich keine Gnade finde.
Goldregenblüten.
Ja, wär’ ich Zeus, holdsel’ge Danaë,
Die Mutter würde nicht so streng dich hüten.
Verblüther Oleander.
Ich sprach nur wenig, du verstandst nicht Alles,
Du schwiegst, ich schwieg – so kommt man auseinander.
Spanischer Flieder.
Nichts schuldig ward ich dir, als drei Occhiaten
Und siebzehn Küsse. Hier hast du sie wieder.
Weiße Cyclamen.
Du zogst ein Mäulchen. „Ich will heim. Addio.“
Schon jetzt? – „’s ist spät.“ – Nun denn in Gottes Namen.
[39] Goldblumige Levkoje.
Vielleicht, du junge Klugheit, hast du Recht,
Und besser frühes Leid als späte Reue.
Knospende Myrten.
Wir glaubten wohl, einander gut zu sein,
Nun merken wir beizeit, daß wir uns irrten.
Gepriesene Camelien.
Schönheit entflammt und Munterkeit bestrickt,
Doch eine Seele nur kann uns beseligen.
Blüte der Limone.
Gott schenk’ dir einen Mann und hübsche Kinder
Und werde nicht zu stattlich als Matrone.
Blühende Kalla.
Ich traf dich heut. Doch nicht ein Blick verrieth,
Wie süß du küssen konntest, meine Lalla.
Haselnußstrauch.
Backfisch und praktisch will nur schlecht sich reimen,
Doch hier zu Lande scheint’s nun so der Brauch.
Reifende Stachelbeeren.
So weislich hat Natur sie ausgestattet,
Daß sie der fremden Näscher sich erwehren.
Maßliebchen, o ihr blassen,
Euch send’ ich ihr als meinen Scheidegruß:
Was sich mit Maßen liebt, muß sich verlassen.
Schlanke Cypressen.
Die Frühlingsblume, die du nicht gepflückt,
Durchduftet das Gemüt dir unvergessen.
Schneeweiße Weihnachtsrosen.
Im Norden sitz’ ich hinterm warmen Ofen;
Ein Hauch des Südens kommt, mir liebzukosen.



Quelle:
Gedichte von Paul Heyse. Siebente Auflage. Mit einem Bildniß. Berlin 1901.

~~~~~~


[259]

Sommer und Herbst

Der Dichter und der große Pan

Dichter

Der Mittag glüht,
Die Glieder ermatten.
Hier am See im Olivenschatten,
Wo der Thymian blüht,
Werf’ ich mich hin.
Die Lazerten huschen davon,
Grille, die luftige Springerin,
Schnell hinweg mit surrendem Ton,
Dann alles wieder stumm.
Des Ölbaums silberne Blätter
Und dort der Tamariskenstrauch
Wie erzgegossen; – nirgend ein Hauch!
Ewige Götter,
Wie schön ist eure Welt ringsum!
Fernab von diesem Heiligtum
Der Menschen bunte Lüge,
Ihre arme Liebe, ihr ärmerer Haß.
Hier wehn der alten Mutter Atemzüge.
Beseligend ihr Kind,
Das aus dem Quell des Schlummers Kraft gewinnt
Und aller Wünsche Genüge.
Drüben über der blauen Flut
Wie hebst du feierlich dein Haupt,
Alter Monte Baldo, tief entlaubt
Von Winters stürmender Wut!
Er schläft, der Alte.
Auf seiner Stirn die graue Falte
Scheint sich um Träume zu bewegen.
Die Füße fühlt er in der klaren Flut
Und blickt so sanft, als sei ihm wohl zumut.
[260] Wie aber? seh ich recht?
Beginnt er sich zu regen?
Er blinzt der Sonne still entgegen –
Ein Wesen von der Himmlischen Geschlecht,
Erhaben, mild und groß!
O du dort drüben, sag an,
Wer bist du, herrlicher Koloß?

Pan

Ich bin der große Pan.
Was störst du meinen Mittagsfrieden?

Dichter

O heilig Glück, daß mir beschieden,
Zu schaun, was nur die frommen Alten sahn.
So lebst du noch, Erhabner du,
Waltest in stiller Segensruh
Der Welt und ihrer Zwergengeschöpfe,
Die dein vergessend sich weise dünken?

Pan

Kindisch betrogene Tröpfe!
Keiner der Ewigen kann versinken,
Keiner vergehn.
Haben sie Augen nicht, um zu sehn,
Ohren, zu hören?
Und lassen lieber sich betören
Von jener Glocken dürftigem Gebimmel,
 Die dort herab vom Kloster schallen,
Träumen sich einen neuen Himmel,
Den Weihrauchdüfte widerlich durchwallen,
Statt hier in Lorbeerhallen
Den Hauch zu trinken der reinen Flut?
Armselige Brut!
Rede mir nicht von ihnen.

Dichter

Doch mir – wie bist du mir erschienen,
Verborgner, wundersamer Gott?

[261]

Pan

Deine Seele ist rein von Spott.
Ich sah dich oft an dieser Küste schweifen,
Jetzt in Verzückung stille stehn,
Ein duft’ges Blatt vom Baume streifen
Und staunend, jauchzend weitergehn.
Nur Deinesgleichen haben mich gesehn
Zu allen Tagen;
Darfst aber nichts davon den Spöttern sagen.
Doch tätst du’s auch, sie blieben dennoch blind.

Dichter

Fürwahr, ich dünke mir ein Sonntagskind!

Pan

Sonntag? Was meinst du nur?
Geht nicht die Sonne jeden Tag uns auf
Und zeigt in ihrem Lauf
Geheim’ und offenbare Wunder?
Meinst du den Tag, wo jene Glocken klingen,
Wo sie vor ihrem Götzenplunder
Die unverstandnen Opfer bringen?
Doch nichts davon! Es stört den Schlaf mir nun,
Den jeder braucht, der wirken soll.
Nur diese Stund’ ist mir erquickungsvoll.
Nachts, wenn die andern Götter ruhn,
Hab’ ich erst eben recht zu sorgen,
Alle Wesen zu ihren Werken
Mit neuem Lebenshauch zu stärken;
Kommt dann der Morgen,
Sah Keiner mein geheimes Tun.

Dichter

Und willst du Güt’ger nun
Dich ewig meinem Aug’ entziehn?

Pan

Du arglos Kind! Blick auch in Zukunft nur
Mit stiller Brust ringsum in die Natur
[262] Und such den Alten: sicher findst du ihn.
Aber nur in der stillsten Stunde
Wird das Auge dir aufgeschlossen,
Sonst tausendfach zerstückelt in der Runde
Ist die Gestalt des großen Pan zerflossen.
Nur selten sinkt dem Menschenkinde,
Das fromm den Ew’gen sich vertraut,
Vom Aug’ die dichte Nebelbinde,
Daß er das Unerschaffne schaut.
Lebwohl für heut! Die Welle schäumt
Und wiegt mich neu in Schlummer.
Hab’ noch nicht ausgeträumt!
Süß ist die Ruh! – –

Dichter

Und wieder nun in stummer,
Versteinter Majestät blickt er mich an.
Pan! großer Pan! –
Kein Nicken mehr, kein Ton!
Wie? schläft er schon?
War’s wirklich Götterwort, das ich vernahm,
Oder ein Traum, verwundersam?
Mein alter Monte Baldo dort,
Schlaf ruhig fort!
Horch, es schauert leis in den Bäumen –
Ein Kräuseln furcht den See –
Spürten auch sie des Gottes Näh’?
Still! Laß uns ruhn und träumen!



[289]

Aus dem Mansardenfenster

Schornsteine, Dächer weit und breit,
Trostlose Ziegeleinsamkeit;
Ein Kater, der auf Spatzen jagt,
Kein grüner Halm – Gott sei’s geklagt.

Kein Menschenauge blickt herein,
Kein lampenschimmernd Fensterlein.
Ich bin um jeden Rauch vergnügt,
Der kräuselnd einem Schlot entfliegt.

Hoch ist’s; doch morgen, sprach der Wirt,
Wenn Nummer siebzehn reisen wird – –
Da sieh! was blitzt vom Süden her?
Ihr Götter! mein geliebtes Meer!

Der Fund hat mich so froh erschreckt,
Als hätt’ ich einen Schatz entdeckt.
Nun für den schönsten Saal im Haus
Tauscht’ ich mein Kämmerlein nicht aus.

Und dort der Himmel, Stern an Stern,
Die niedre Welt wie stumm und fern –
Ach, nur ein Blick ins Ew’ge weiht
Die ganze arme Menschlichkeit!

(Genua)




[296]

Sorrent

1852-1854

Rückkehr zur Natur

Als hätt’ uns lang ein Zwist geschieden,
Der nun geschlichtet wunderbar,
So trat ich ein in deinen Frieden
Und ward im Tiefsten still und klar.
Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,
In Frühlingswonnen stand die Flur,
Da warf ich wieder mich in Tränen
An deine Mutterbrust, Natur.

Ich kannte dich, und doch im stillen
Trotzt’ ich der Liebe, die mich zwang,
Die um den spröden Eigenwillen
So zarte Fesseln freundlich schlang.
Am Geiste sucht’ ich mein Genügen,
Und zahme Schwäche schien mir’s nur,
Mich unter deine Zucht zu fügen
Und still zu wandeln deine Spur.

Du schwiegst, und fort und fort in Treuen
Geselltest du dich nah zu mir,
Den nicht’gen Unmut zu zerstreuen,
Und riefst so sanft: Ich bin bei dir!
Du sahst mich an aus Himmelsreine,
Aus Wald und Blumen mütterlich –
Umsonst! Nicht war ich mehr der Deine,
Und so verscherzt’ ich dich und mich.

Empfinden sollt’ ich’s. Wie die Schwüle
Des engen Tagwerks mich umfing,
Wie mir im hastigen Gewühle
Der gleiche Mut verloren ging –
[297] Der Leib verfiel dem lange Kranken,
Die Seele zittert’ in der Pein,
 Da zogen sehnliche Gedanken
An deine Heilkraft in mich ein.

Und nun! – O, magst du schon dem Knaben
Die noch verhüllte Seele weihn,
Den Mann aus hundert Quellen laben,
Dem Greisen eine Freistatt sein:
Nur wer genest, fühlt ganz tief innen
Die Fülle deiner Liebeskraft,
Und rein und reizbar noch an Sinnen,
Umfängt er dich mit Leidenschaft.

So nimm mich wieder, hehres Leben,
In deinem Schoße birg den Sohn!
Du lächelst mir, du hast vergeben
Und segnest den Verirrten schon.
Du übertönst mit Vogelstimmen
Die Beichte, die dein Ohr vernahm,
Und in des Morgens Glühn und Glimmen
Begräbst du dieses Rot der Scham.



Laurella

Du bist noch wild, du bist noch scheu,
Nur von der Mutter gezähmt,
Du weißt noch nicht, wie süß es sei,
Was Menschen entzückt und grämt.

Du lässest dein Haar in die Stirne wehn
Und tief deine Wimper sich senken.
Kein Mann, kein Mädchen soll erspähn,
Was deine Augen sich denken.

Was beißest du in die Orangenfrucht
Mit weißen Zähnen so heftig?
Was wirfst du den Arm in des Tanzes Flucht
Um des Schwesterchens Leib so kräftig?

[298] Was wirst du nur so zornig rot,
Lachen die Bursche, die frechen?
Warum erschrickst du bis in den Tod,
Hörst du von Liebe sprechen?



Rosensünden

Diese flatterhaften Rosen,
Die mir tags Laurella gab,
Fliegen, die gewissenlosen,
Nachts zu Grazia hinab.

Steckt euch denn, ihr Bösewichter,
So die Kuppelei im Blut,
Daß ihr doppelt eurem Dichter
Eure Liebesdienste tut?

Oder ließ sich billig finden
Euer Beichtiger, der Lenz?
Gab er euch für Rosensünden
Im voraus die Indulgenz?



Feuerversicherung

Und nun sprich, wie soll ich’s machen,
Hier des Lebens froh zu sein,
Denn so recht von Herzen lachen
Kann ein Mensch doch nur zu Zwein.

Zwar es trennt die flachen Dächer
Ein verwünschtes Mäuerchen,
Doch darüber sprang in frecher
Schadenlust das Feuerchen.

Als du mir dein warmes Händchen
Reichtest über jene Wand,
Anfangs zuckt’ in mir ein Brändchen,
Doch es wuchs und ward ein Brand.

[299] Und nun sage, willst du’s hindern,
Klettr’ ich dir zum Dach hinein?
Ach, ein solches Feuer lindern
Kann ein Mensch doch nur zu Zwein!



Von Lacerten

1.

Eine fand ich, eine fette,
Die vor ihrem Schlupfloch saß,
Ehrbar, sauber und behaglich
Und die Augen hell wie Glas.

An dem warmbesonnten Steine
Putzte sie das Näschen blank,
Fing sich dann und wann ein Mückchen,
Das sich ihr zu nahe schwang.

Rechts und links durch alle Ritzen
Raschelte die junge Brut.
Sie allein blieb stattlich sitzen,
Wie gereifte Weisheit tut.

Nur zuweilen mit dem Schwänzchen
Zuckte sie bedeutungsvoll,
Trieben es die jungen Leute
In den Kammern gar zu toll.

So in innres Schaun versunken
Und Genuß des Sonnenlichts,
Nicht erschrak sie, da ich nahte,
Denn der Weise fürchtet nichts.

Wie der Philosoph der Tonne
Sah sie mich gelassen an:
Geh mir etwas aus der Sonne,
Unbekannter, junger Mann!

[300]

2.

In Gedanken an die Ferne
Und der Nähe wenig froh,
Senkt man wohl die Augen gerne,
Und auch heut geschah mir so.

Da in weichen Lüften schwanken
Sah ich einen Schmetterling,
Daß sein Schatten auf dem blanken
Gartenweg spazieren ging.

Hell in Sonne lag das Gärtchen,
Die durch zarte Zweige brach,
Und ein törichtes Lazertchen
Lief dem Falterschatten nach.

Dacht’ ihn jetzt der Wicht zu haschen,
War er wieder weit voraus,
Und fast ging ihm bei der raschen
Jagd Geduld und Atem aus.

Zwischen Lachen und Erbauung
Sah ich zu dem holden Trug
Idealer Weltanschauung,
Doch – wer wird durch Schaden klug!

3.

Euch beneid’ ich, ihr Lacerten,
Die ihr an der Mauer tänzelt,
Durch die lichten Rebengärten
Sorglos in der Sonne schwänzelt.

Euer lustiges Gelichter
Achtet nicht der Lorbeerhecken
Dort im Garten, die den Dichter
Aus der süßen Ruhe schrecken.

Nicht der dunkelgrünen Predigt
Jener stattlichen Zypressen,
Die die Seele, kurzbeseligt,
Mit den bangen Schauern pressen.

[301] Ach, und nicht der Myrtenbäume,
Deren Zweige mir verkünden,
Wie viel Wonnen ich versäume,
Bis sie Ihr das Haar umwinden.



Im Süden

Ist die Luft so reingestimmt,
Jeden Mißklang zu versöhnen?
Will doch alles lieblich tönen,
Was mein lauschend Ohr vernimmt.

Ich, um den die Fessel schlang
Leidenschaft, – an dieser Stätte
Klirr’ ich nur mit meiner Kette,
Und schon klingt es wie Gesang.



Durch die Ferne, durch die Nacht

Hab Erbarmen! hab Erbarmen,
Um mich selbst bin ich gebracht,
Wenn du winkest mit den Armen
Durch die Ferne, durch die Nacht.

[302] Lösch, o lösch die kleine Kerze,
Die mir dieses Nackens Pracht
Nur enthüllt zu meinem Schmerze
Durch die Ferne, durch die Nacht!

Deine Stimme laß ertönen,
Denn sie dringt heran mit Macht,
Als umarmte mich dein Sehnen
Durch die Ferne, durch die Nacht!



Idylle

Junges Weib, wie manche Stunde
Seh’ ich deinem Glücke zu,
Wie du auf dem Söller droben
Schaltest ohne Rast und Ruh.

Während du mit kräft’gem Arme
Überm Haupt den Rocken schwingst,
Schnurrt herab die flinke Spindel,
Und du lächelst und du singst.

Singst ein Wiegenlied dem Kleinsten,
Das du schaukelst stet und leis,
Und es tanzt dazu dein Knabe
Mit dem Schwesterchen im Kreis.

Tarantella tanzt die Kleine,
Noch in ihren ersten Schuhn,
Klatscht den Takt mit beiden Händchen,
Alles, wie’s die Großen tun.

Già la luna ’mmiezzo mare –
Und sie werden es nicht müd,
Bis dem kleinen Paar die Wange
Dunkel wie Granate glüht.

Jetzt Orangen aus dem Körbchen
Und ein Brötchen aus dem Schrank
Teilst du aus zum Abendimbiß,
Und sie küssen dich zum Dank.

[303] Und das Kind verlangt zu trinken,
Und das Hündchen springt und bellt,
Und die kleinen Vögel wissen,
Wo man offne Tafel hält.

***

Nun kommt die Nacht, so duftig, mild und klar.
Die Kinder schläfert’s. In dem Bettchen dort
Bringst du zur Ruh das kleine Tänzerpaar;
Das Jüngste schläft im Wiegenkorbe fort.

Du aber trittst hinaus, und vom Balkon,
Ein Liedchen summend, sacht das Haupt gewiegt,
Blickst du umher. Es klingt kein falscher Ton
Durch dieses Herz, das tief in Frieden liegt.

Seitdem du atmest, kennst du alles hier,
Stadt, Meer und Menschen. Doch was kümmert’s dich?
Die Heimat selbst – zur Fremde ward sie dir,
Seit Ein Gefühl den Busen dir beschlich.

Mann – Kinder – Haus, und drüber nur ein Grab.
Du nickst wie träumend, grüßt dich die und der.
Der Nachtwind säuselt gassenauf und -ab,
Der Mond geht auf; du überblickst das Meer.

Ein Nachen von Neapel! Vogelschnell
Durchschneidet er die Flut. Du spähst und spähst –
Ist er’s? – Dein Aug antwortet freudenhell,
Ein Lämpchen zündest du, mit dem du wehst.

Noch kurze Frist, dann klingt ein rascher Fuß,
Der Knabe lacht im Schlaf, das Hündchen bellt,
Die Türe geht – Willkommen, Gruß und Kuß,
Und in zwei Armen hältst du deine Welt!



Mirakel

Heut nach Sant’ Agostino verirrt’ ich mich, wo sie dem wunder-
Tät’gen Madonnenbild küssen den marmornen Fuß.
Und da ließ mich das Glück der Wunder eines erleben,
Wie sie an Fleisch und Blut wirkt der vergötterte Stein.
Wenige Fraun und Mädchen – es läutete grade zur Vesper –
Knieeten dort im Gebet, züchtig die Augen gesenkt,
Tücher ums Haupt, darunter die silberne Nadel hervorsah
Oder der blinkende Reif an dem gebogenen Kamm.
Nur ein finsterer Bursch stand fern am Pfeiler. Er schien nicht
Betens halber und nicht gläubigen Herzens genaht.
Fest hinstarrten die Augen auf eins der knieenden Mägdlein,
Und es glüht’ ihm das Herz bis zu den Wangen hinauf.
Doch sie achtet’ es nicht, sie ließ nicht unter dem Schleier
Nach dem Pfeiler zu ihm wandern verstohlenen Blick.
Freilich, der Bursch war dürftig und unansehnlich; sie selber
Trug in dem Schönheitskampf sicher die Palme davon.
Nun vom Knieen erhob sich eins ums andere. Sittsam
Trat zu der Jungfrau Bild jedes der Mädchen heran,
Heftete Lippen und Stirn und wieder die Lippen in Andacht
Gegen den Marmorfuß, kreuzte sich; knickst’ und verschwand.
Immer noch starrte der Bursch. Da kam die Schönste gegangen,
Knickst’ und küßte den Stein. Jetzt in gewaltiger Hast,
Gleich als lief’ er Gefahr, sein ewiges Heil zu versäumen,
Wild wie ein reißender Wolf zwischen die Schafe sich stürzt,
Drängt’ er die Weiber zurück und küßte die nämliche Stelle,
Und des Kicherns umher achtet’ der Feurige nicht.
Denn er sah nur die Eine, die purpurglühend ihn anstaunt’,
Und, o Wunder! er schien plötzlich verwandelt, der Wuchs
Höher und stolzer der Blick. Du aber schautest mit Lächeln
Auf dein liebliches Werk, Mutter der Gnaden, herab!



Nach der Natur

Pinsel, Griffel und Meißel und was irgend
Macht hat, schwankende Formen festzubannen,
Euch beneidet der Kiel des armen Dichters.
Denn er müht sich vergebens, nachzukritzeln,
Was soeben geschaut die sel’gen Augen.
[305] Weiß denn einer, wie reizend keck das Dirnchen
Auf dem Eselchen thronte, wenn ich melde,
Daß sie zwischen den Körben saß, das eine
Beinchen über des Tiers geduld’gen Rücken,
Frei das andere baumelnd, daß ihr rotes
Röcklein über die Wade sich hinaufzog?
Und so saß sie mit vorgeneigten Schultern,
In die Rechte geschmiegt das Kinn, am kleinen
Finger saugend, verträumt und aus der Wimpern
Schwarzer Seidengardine Blitze sprühend;
Und so ritt sie dahin die wind’ge Gasse,
Daß am Busen das Tuch sich löst’ und flatternd
Halb den kräftig gewölbten Nacken freigab,
Jenen Nacken der Mädchen von Albano,
Drüber üppig geringelt hängt die Flechte,
Wie ein Drache, den stolzen Schatz zu hüten –
Kommt und seht und verzweifelt, arme Dichter!



Der Vesuv

Früh erwacht im Tagesgrauen,
Schwang ich mich das steile Treppchen
Rasch hinan zum flachen Söller,
Und an seiner Brustwehr lehnend,
Ließ ich die entzückten Augen
Weitum in die Runde schweifen.
Noch im leichten Morgenschlummer,
Zugedeckt von Nebelschleiern
Wie von flaumenleichter Decke,
Lag die Küste, lag der glatte
Purpurblaue Meeresspiegel,
Zitternd in dem leisen Windhauch,
Der dem jungen Tag vorausging.
Und nun kommt er! Siegesprangend,
Güldnen Kronreif um die Stirne,
Tritt im Ost er auf die Hügel,
Und sofort die Flammenpfeile
Sendet er in die verträumte
Welt zu Füßen, daß der graue
Nebel reißt, in Glanz zerflatternd.

[306] Und die herrliche Neapel
Hebt sich aus dem Duft, und ihre
Kinder all, die kleinen Städtchen
Längs der Küste, reiben lachend
Sich den Schlummer aus den Augen,
Spiegeln sich im Meer und kränzen
Seinen Strand mit Blütenzweigen.

Doch zur Rechten in den klaren
Morgenhimmel ragt der alte
Feuerberg Vesuv, die Stirne
Zart umglüht von Rosenschimmer.
Ruhig steht er da, behaglich
Seine Morgenpfeife rauchend,
Zu dem Kranz der weißen Städtchen
Niederblickend, die wie Enkel
Um den Großpapa sich drängen.
Aber ich – gedenken mußt’ ich
Alles Unheils, das der Große
Diesen Kleinen angestiftet,
Und die Faust mit Zorngebärde
Nach ihm schüttelnd, rief ich also:

Heuchler du, mit deiner frommen
Menschenfreundlich sanften Miene!
O, man weiß, wie heiße Tücke
Dir im Busen gärt! Umsonst nicht
Nannte jener kranke Dichter
Dich sterminator Vesevo.
Ja, Verwüster und Verheerer
Warst du seit den frühesten Tagen,
Hast die arglos guten Kinder,
Die bei dir sich angesiedelt,
Erst gehätschelt und geliebkost,
Dann bei Nacht in Aschengluten
Sie erstickt, die Ahnungslosen,
Ihre Spur vom Boden tilgend.
Fluch dir! Ohne dich, du Dämon,
Würde dieser benedeite
Erdenfleck ein Paradies sein,
[307] Gleich dem ersten. Aber freilich,
Diesem auch war ein Verwüster
Zugesellt vom Höllenabgrund,
Gleißend, wie du selbst in Schönheit.

So in sittlicher Entrüstung
Mich entladend, hielt den Blick ich
Auf des Kraters Rand geheftet,
Und auf einmal aus dem weißen
Dampf, der aus der Tiefe vorquoll,
Hob sich geisterhaft ein mächt’ges
Haupt, umweht von grauer Mähne,
Wildem Bart, und unter busch’gen
Brauen funkelten zwei Augen,
Blitze sprühend. Deutlich sah ich
Ihren Blick auf mich gerichtet,
Und wie Morgenwindes Sausen
Drang vernehmlich eine Stimme
An mein Ohr:
                        Du naseweiser
Tor, wie wagst du mich, den alten
Herrscher dieser Welt, zu schmähen?
Haben nicht die ew’gen Götter
Hier mir meinen Thron gegründet,
Gaben mir die Feuerseele,
Die, ob ungezählte Jahre
Über meinem Haupt dahinziehn,
Nie erkaltet? Feuergeister
Müssen unerbittlich immer
Wechselnd gut und Böses stiften,
Nicht gezähmt von lauer Tugend.
Und du nennst mich Heuchler? Hätt’ ich
Je verleugnet mein Gemüte?
Wenn die Kleinen dumm-vertraulich
Sich geschmiegt an meine Kniee,
Mußten sie gewärtig bleiben
Meiner Launen. Und du schiltst mich,
Daß in Aschen ich begraben
Jene zwei berühmten Städtchen?
Heuchler dann du selbst! Wie bist du
[308] Erst vor kurzem in Pompeji
Hoch entzückt herumgewandelt,
Hast die Bronzen, ausgegraben
Aus dem Schutt von tausend Jahren,
Im Museo Nazionale
Hoch bewundert, und dem „Dämon“,
Der dies Schauspiel euch gegönnt hat,
Gibst du danklos schnöde Namen?
Doch so seid ihr, wind’ge Menschlein,
Prunkend mit humanen Phrasen,
Aber wenn von fremdem Unglück
Etwas Gutes für euch abfällt,
Laßt ihr’s doch euch trefflich schmecken.
Schäm dich, junger Mann, und bist du
Noch nicht ganz verderbt, geh in dich!

Rief’s’, und plötzlich war das mächt’ge
Haupt, so wie’s erschien, verschwunden.
Ich jedoch, wie ein gescholtner
Schulbub schämt’ ich mich und bat ihm
Alles ab, was ich gelästert,
Rief ihm auch an jedem Morgen
Ehrerbiet’gen Gruß hinüber –
Aber nie mehr hat der alte
Herr von mir Notiz genommen.



Nächstenliebe

Nach Capo di Sorrento wollt’ ich heut.
Die Straße geht bergan, dazu die Glut
Des frühen Sommers. Langsam schritt ich fort
Und trocknet’ häufig an der Stirn den Schweiß.
Wer jetzt ein Wäglein hätt’!
                                             Da, hinter mir,
Wie durch ein Zauberwort herangelockt,
Trapp! trapp! ein Hufgeklapper, ein Geräusch
Von Rädern, atemlos in toller Fahrt.
Denn ohne Pause ließ vom Kutschenbock
Der Wagenlenker auf sein armes Roß
[309] Die Peitsche niedersausen. Presto! Ho!
Carogna!
                 Nur ein magrer Klepper war’s,
Dem man die Rippen zählen konnt’ im Fell,
Krummbeinig, Geifer um das offne Maul,
Und keuchend schwer den steilen Berg hinan.
Im Wagen aber saß zurückgelehnt
Ein dicker Priester – nein, ein Pfaffe nur,
Und blinzelt’ mit den muntren Äuglein sehr
Vergnügt umher ob seiner raschen Fahrt.
Mir schwoll das Herz vor Grimm. Ich stand und rief
Dem Burschen zu: Wahnsinniger! Siehst du nicht,
Daß deinem Gaul die Zunge lechzend schon
Zum Hals heraushängt, und du schlägst ihn noch?
Erbarmt dich nicht der stummen Kreatur?

Doch er, die Zähne fletschend mir zum Hohn:
Was wollt Ihr, Herr? ’s ist eine Bestie nur.
Non ha un’ anima, non è cristiano! –
Bestie du selbst! – Und zu dem Priester – nein,
Dem Pfaffen, hilfeflehend blickt’ ich hin.
Der aber zuckte nur die Achseln, schob
Die Unterlippe vor und wiegte lachend
Den Kopf, als wollt’ er sagen: Nehmt es nicht
So tragisch! Denn fürwahr, der Bursch hat recht.
Avanti, Beppo!
                          Und vorüber fliegt
Das edle Paar. Ich stehe tief empört
Und kummervoll. Wie? Keine Seele hätt’s?
Jawohl, so niedrig keine, wie du selbst!
Und wär’ kein Christ? So einer nicht, wie Ihr,
Hochwürd’ger Herr! Doch wenn am jüngsten Tag
Die Wiederbringung aller Ding’ erfolgt
Und dieses arme Pferdchen neben Euch
Vor unser aller Richter steht, mich dünkt,
Der milde Jesus wird mit düstrer Stirn
Zu Euch sich wenden: Hier im Himmel ist
Kein Platz für die, so kalt und heuchlerisch
Sich meines heilgen Namens angemaßt.
Lehrt’ ich Euch nicht, daß der Gerechte sich
[310] Auch seines Viehs erbarmt? Und sollt Ihr nicht
Die Wesen alle, die mein Vater schuf,
Als Eure Nächsten lieben? Heb dich weg!
Du aber, Rößlein, ob du auch kein Christ,
Du bleibst in meinem Himmel, sollst fortan
Aus goldner Krippe speisen saft’ges Heu
Und Weizenfrucht. Und daß im Müßiggang
Du nicht zu fett wirst, sollst auf grüner Flur
Die Engelsbübchen auf dir reiten lassen,
Wie’s ihre höchste Lust auf Erden war,
Und war’s auch damals nur auf Steckenpferdchen.



[311]

Abschied

Und da ich, mein Sorrent, nun scheiden muß,
Noch stets zu früh nach so viel Wonnetagen,
Laß dir den Dank, mein vielgeliebtes, sagen
Für meines Gastrechts herrlichen Genuß.

Der Wandrer, den sein unstät hast’ger Fuß
Durch Thermen, Tempel und Museen getragen,
Er wird, was mir vergönnt ward, nie erjagen,
Nie ganz verstehn Italiens Genius.

Ich aber durft’ in dieses Volkes Mitte
Belauschen seines Herzens freien Schlag,
Nicht eingeschränkt durch heuchlerische Sitte,

Daß offen seine Seele vor mir lag,
Wie eines Freunds, und jetzt mit herbem Schnitte
Der Abschied ein Stück Herz mich kosten mag.



[313]

Idyllen von Sorrent

I

Schön ist immer der Mai in Sorrent, am Strand, in den Gärten.
Über den Vignen am Fels, schön in den Gassen der Stadt.
Aber am schönsten um Mondaufgang, wenn um den gekrönten
Berg Sant Angelo falb dämmert der trauliche Schein
Und auf Ischia drüben die letzte verglimmende Wolke
Ruht und dem alten Vesuv feierlich rötet die Stirn.
Dann trägt schweigend  L u i s a  – so gern sie plaudert, die Gute –
Mir ein Bänkchen hinauf auf das geebnete Dach.
Dort von des Tags nachdenklichem Nichtstun ruht sich die Seele
Wie zufrieden mit sich aus in der Stille der Luft,
Träumt von diesem und dem, zu den Freunden hinüber, den Fernen,
Schweift mit gesättigter Glut über die Gärten im Grund,
Wo die Feige gemach anschwillt und Duft der Orangen-
Blüte die dunkelnde Frucht nachbarlich wieder umspielt.
Sacht entgleitet den Händen das Buch. Heut war es ein seltsam
Büchlein in Duodez; aber das treffliche fiel
Unsanft; nämlich es flog von zornigen Händen geschleudert
Wider den Rand des Altans, schimpflich am Boden zu ruhn.
Tommaseo, es war dein Werklein: Glauben und Schönheit;
Noch wie wenigen erst über den Alpen bekannt.
Und doch schrieb es ein ganzer Poet, und nicht in der Crusca
Stelzgang spreizt sich der Stil, sondern im Takt des Gemüts.
Wärst du ein weniges nur sparsamer mit Liebesgeschichten!
Auf dein Konto allein kommen an dreißig und mehr;
Ganz zu geschweigen, wie oft, eh’ dich sie gefunden, Maria,
Dein hochherziges Weib, sich in den Männern geirrt.
Freilich berichtest du auch sorgfältig das leiseste Zwinkern
Reizender Augen, den Druck jeder gefälligen Hand,
Härmst dich über Gebühr, weil die und jene vergebens
Nach dir seufze; du selbst schmachtetest nimmer umsonst.
Doch dies sei wie es sei. Man weiß, ihr Südlichen habt ein
Flunkriges Blut, und sogleich – klopft es, so ruft ihr „herein!“
Nur das eine verdroß mich schwer: kaum nennst du das holde
Weib dein eigen, doch ach, wieder gebietet die Not,
[314] Daß du Paris aufsuchst, einsam die Geliebte zurückbleibt,
Gleich droht wieder Gefahr, und du entblödest dich nicht,
Briefe zu schreiben: O komm! o schütze mich! Wenn ich allein bin,
Steh’ ich für nichts. Schon stellt eine Grisette mir nach. –
Schande! so rief ich aus – bei dieser Gelegenheit flog denn
Eben das Buch an die Wand – Schande dem flüchtigen Mann,
Der aus Banden der Liebe sogar sich selbst zu verlieren
Bangt, dem Neigung nicht Treue gebiert und erzieht!
Oder es war nicht Liebe, der Trug nur gaukelnder Sinne,
Oder sie war nicht echt, nicht von der himmlischen Art,
Nicht so echt, wie mir sie die Brust ausfüllet und ausdehnt,
Mich in der Einsamkeit Winter in Flammen erhält.
Nicht als wär’ ich ein Blinder und sähe die glücklichste Bildung
Deiner Geschöpfe, Natur, immer verschlossenen Sinns.
Doch wann schrieb’ ich Briefe der Liebsten: O komm, mich zu schützen,
Weil Giacinta mir sehr, oder Teresa gefällt?
Lebt doch hier im Busen ein heilig Vertraun in die ew’ge
Liebe; die nordische Treu’ gibt mir im Süden Geleit.
Käm’ ein Engel, sie wankte mir nicht! – So sittlich entrüstet
Sah ich den Sünder im Staub streng und bedauerlich an;
Und an der Brüstung lehnend hinab zum Saume des Gartens,
Wo der Olive Gewächs vor dem gekräuselten Meer
Luftige Wipfel bewegt, hin starrt’ ich. Da hört’ ich Geräusch vom
Nachbarsdach; nur schmal trennt es von unserm der Hof.
Drüben am Tag schon sah ich die glänzenden Linnen im Winde
Flattern, in sonnigen Reihn fest an die Schnüre geknüpft.
(Doch es gehörte die Loggie dem Apotheker, dem einz’gen
Honoratioren Sorrents, neben den geistlichen Herrn.)
Jetzo gewahr’ ich ein Mädchen das Dach hinwandeln, geschäftig,
Und in den binsenen Korb wirft sie die Tücher zuhauf.
Angiolina! ruf’ ich. Umsonst; nicht dreht sie das Hälschen.
Angiolina! – Sie schweigt. Wahrlich, es irrte der Blick.
Größer und völliger ist sie, als Angiolina, des Hausherrn
Tochter, und trägt sich zudem nicht so geschniegelt wie die.
Kaum auch würde sich jene dem niederen Dienste bequemen,
Weil sie die Mutter erzog, wie es Gebildeten ziemt;
Und sie lernte Gesang, auch Lesen und Schreiben; es lernen’s
Wenige Töchter Sorrents, und den Gesang von Natur. –
[315] Doch – cospetto! wer ist nun die? Ich kenne doch ziemlich
Hier in der Nachbarschaft jegliches hübsche Gesicht.
Zwar – wie soll ich sie kennen? Ich sah sie noch kaum. Zum Tort mir
Wendet die häßliche Dirn’ immer die Augen mir ab.
Ruhig die Reihen der Tücher hinauf und hinunter hantiert sie,
Nur ein bescheidener Streif wird vom Gesichte gezeigt.
Doch wohl seh’ ich den zierlichen Hals, und hebt sie die Arme –
Welch entzückendes Rund wölbt sich und woget gelind.
Und so lärmt’ ich ein wenig auf meinem Altane mit Pfeifen,
Husten und Singen; sogar sang ich ein zärtliches Lied,
Jenes holde bekannte: Te voglio bene assaie!
Ach, zu sehr nur behielt recht der verwünschte Refrain.
Endlich – sie hatte die letzten der reinlichen Linnen mit kleinen
Händen gelöst, und kaum faßte die Fülle der Korb –
Geb’ ich der Neugier nach, der verderblichen, fasse die reife
Goldorange – von Tisch nahm ich sie mit zum Altan –
Ziel’ und werfe sie sanft ihr zu, und siehe! dem Mädchen
Grade zu Füßen – doch ach! nicht in den Korb. Wie ein Blitz
Schießt ein Blick mir herüber. Sie steht, und die bräunliche Wange
Brennt; nun seh’ ich sie ganz, finster, das Mündchen gepreßt –
Welch ein Mündchen! – die Nas’ ein wenig gerümpft – welch Näschen! –
Doch nicht haschte die Hand – was für ein Händchen! – die Frucht.
Nur so schneller entwich sie mir jetzt, leicht über dem Haupte
Mit dem erhobenen Arm stützend den schwankenden Korb.
Und so stand ich denn wieder allein, unmutig. Auf einmal
Tagt mir’s innen: die Frucht, die ich hinübergesandt,
War schon leise verletzt von spielenden Bissen. Ich nagte
Ganz in Gedanken vertieft unter dem Lesen daran.
Darum hat sie die Gabe verschmäht; denn Zeichen der Neigung
Ist’s, anbeißen die Frucht und der Erwählten sie weihn.
Darum! dacht’ ich in mir, und scharf wie prickelnde Nesseln
Schlug mir ein Ärger ins Herz, daß ich es brennend empfand.
Doch – was seh’ ich im Zorne zuerst? Dich, übelgeschmähtes
Büchlein! Kichert es gar zwischen den Zeilen? Es rührt
[316] Nur ein raschelndes Lüftchen die offenen Blätter. Der Schall von
Meinem Gewissen allein hat sich ins Fäustchen gelacht.
Narr! Was hätt’ ich getan? Kein Stäubchen des schillernden Flügels
Hat an der Fackel des Gottes Psyche so rasch sich versengt.
Doch die Lehre gewann ich, indem ich gelassen den guten
Tommaseo sofort wieder vom Boden erhob:
Immer ein Wagnis bleibt’s, an die Wand sich den Teufel zu malen;
Doch Gott stehe dir bei, malst du dir Engel daran!



II

Was nur denk’ ich davon? Mich lockte die Fülle des Mondes
Wieder hinaus. Nun stand kühl an den Bergen die Nacht.
Noch summt tief in den Gassen gedämpfteren Klanges die Freude,
Aber die Dächer, wie still ruhn sie, verödet und weiß.
Und so blick’ ich hinüber zum Nachbarsdach; in der besten
Unschuld wahrlich, und was hätt’ ich zu suchen gehabt?
Aber – da raunt mir ein Lüftchen ins Ohr: Wo blieb die Orange,
Die du geworfen? Zuvor lag sie doch sichtbar genug,
Dort, noch weiß ich den Fleck, an der Brüstung, wo sich in Töpfen
Angiolina die buntblühenden Nelken erzieht.
Hat wohl die sie gefunden? – Gewiß nicht. Nimmer besucht sie
Abends die Blumen; so hört gleich sie ein jeder im Haus,
Weil aus Robert dem Teufel sie jüngst die Romanze gelernt hat.
Nun, heut war sie vielleicht heiser; sie fand sie gewiß.
Oder die Magd – nichts ist wahrscheinlicher! Oder das Hündchen
Fiffi spielte mit ihr, rollte sie weiter. – Und sind
Nicht auch Katzen genug in Sorrent? Wahrhaftig, die Katzen
Holten sie. Fiffi ist schon viel zu erwachsen zum Spiel.
Oder – wie wär’s? Auch diese Vermutung eitel – so bliebe
Freilich die andere noch, daß sie die Rechte geholt.
Zwar nichts Eitleres kann sich ein Mensch aussinnen, als dieses.
Possen! das trotzige Ding, das die Gekränkte gespielt?
[317] Hast du den zornigen Mund – und welch ein Mündchen –! vergessen,
Und dies Näschen – und welch Näschen! – und wie sie es rümpft’,
Und nun gar den verächtlichen Blick? – Das weiß ich nun freilich
Noch auswendig. – Du siehst also, sie kann es nicht sein. –
All das seh’ ich; und doch, obwohl so schlagend bewiesen,
Daß sie es nicht sein kann, quält es mich, ob sie es war.



III

Liebste, wie lang schon saß ich im lachenden Morgen und starrte
Auf dies Blättchen, und doch ließ ich die Feder in Ruh’.
Denn aus Träumen erwacht sehnsüchtiger Liebe, von Herzen
Brannt’ ich, ein inniges Wort hin zu beflügeln zu dir.
Doch wie red’ ich hinaus in die tödliche Ferne? Wie sag’ ich,
Was hier klopfet und tobt, was die Gedanken verwirrt?
Mein! mein! Immer das eine beschlich eintönig das Ohr mir,
Lauscht’ ich nach innen; es klang jauchzend und traurig zugleich.
Soll ich’s schreiben? Es ist nicht viel; doch ist es mein Alles,
Was ich gewußt und weiß, was mich zu wissen verlangt.
Ach, dich auch? – So fragt’ ich, und selbst antwortend ein helles
Ja! – wie versank ins Meer dieses Gedankens das Herz.
Leibhaft tratst du heran. Da rauschten die Wipfel des Gartens,
Wo wir selig zuletzt eines dem andern gehört.
Wieder das Gras, das hoch in dem Baumgang wucherte, sah ich
Unter dem zierlichen Fuß leise gestreift und gebeugt;
Sahe den Hain von Fichten, den Pfad am Flusse, das Plätzchen
Dicht am wallenden Feld neben der plätschernden Bucht.
Damals schlug’s wie ein Sturm in den Herd frohlockender Liebe,
Deren verstohlene Glut lang in der Asche gezückt
Und nun prächtig und frei aufloderte, allen zur Freude,
Bis das Leben aufs neu’ eines dem andern entriß.
Ach, und den Abschied dacht’ ich, am Bach, der schluchzend dahinlief
Unter dem Weidengesträuch, drin ich zuletzt dich verlor.
[318] Doch mein! rief ich, und mein! Mir war’s, ich hätte dich nimmer
Eigner besessen als heut, näher als heut dich gefühlt.
Und so hätt’ ich die Wonne genährt bis hoch an die volle
Sonne, das Blatt vor mir immer so weiß wie zuerst,
Aber es rief von außen Luisa: Kommet ein wenig
Auf den Altan, Signor, kommt den Kometen zu sehn! –
Was? den Kometen? Es ist ja Tag! – Nun sehet ihn selber;
Gestern aus weißem Papier hat ihn der Bruder gemacht. –
F e r d i n a n d o ? – Ich kam und das Treppchen hinauf zu dem Dachraum
Klomm ich, und droben, verschämt, nickte der Bursche mir zu.
Siebzehn Sommer erlebte der Treffliche; aber er ist schon
Für sein Alter in viel nützlichen Künsten geübt.
Sitz’ ich und tafle, so trägt er die Schüsseln herauf von der Küche,
Bringt mir den rötlichen Wein und die Orangen dazu.
Auch auf Besen und Bürste versteht er sich, tanzt wie ein Dämon
Tarantella, und schon hat er ein städtisches Amt:
Festtags immer die Reihen der winzigen Böller zu laden,
Und mit der Lunte, bedenk! brennt er sie säuberlich ab.
Jetzt – was hat sich der Stolz der Familie Neues ersonnen?
Einen Drachen, die Lust nordischer Knaben im Herbst.
Kunstreich wehte der Schweif, und es rauschten papierene Büschel,
Als sich das Untier nun kühn in die Lüfte verstieg.
Aber er hielt am Faden und lenkt’ ihn, lächelte selig
Über den staatlichen Flug, und ich belobt’ ihn vollauf.
Auch noch andere sahen die Pracht. Vom Dache des Nachbars
Blickt’ ein schönes Gesicht, das mir am meisten gefällt
Hier im mädchenberühmten Sorrent. Mit anderen Sternen,
Die kein Weiser begehrt, ging sie am Abend mir auf
Gestern. Ich fragte Luisen und hörte, sie heißt Mariuccia.
Oftmals staun’ ich sie an; Liebste, versteh: wie ein Bild,
Von Giorgione, von Palma vielleicht. Doch unsre Luisa
Bildet sich ein, ich sei über die Ohren verliebt.
Darum rief sie mich her, ich merkte die Tücke. Sie blinzte
Lustig, und nun aus der Hand nahm sie dem Bruder die Schnur.
Seht, Don Pavolo, rief sie, so seid ihr Männer, wie dieser
Schöne Komet; auch euch regt und beweget ein Wind.
[319] Eben, da weht’s ein wenig vom Meer, gleich dreht sich der Vogel,
Und doch schien er zuvor fest wie der Himmel zu stehn. –
Aber ich lacht’ und erwiderte flugs: Nein, gute Luisa,
Sondern die Männer getreu sind sie wie dieser Komet.
Wie du jetzt am Schnürchen den Flatternden lenkst, so lenkt mich
Fern im Norden und hält immer die Liebste mich fest.
Jetzt wohl schweif’ ich ein Weilchen in diesen gesegneten Lüften,
Wiege mich über dem Meer, steig’ in die Berge hinan.
Aber ich fühle den Faden, und zieht sie ein weniges fester,
Siehe, so kehr’ ich im Nu heim von der schwankenden Fahrt.
Zieh nur einmal, so wirst du gehorsam finden den Irrling,
Zieh ihn heran; er stürzt dir vor die Füße gewiß. –
Aber der Mutwill zog, nur über die Maßen. Auf einmal
Riß in der Mitte die Schnur, und in die Tiefe sofort
Schoß köpflings der Komet und verfing sich im Wipfel des Ölbaums,
Aber ein Lachen erscholl hüben und drüben mit Macht;
Auch Mariuccia lachte. Da habt Ihr’s, spottet Luisa,
Ihr auch macht es vielleicht noch wie der Schelm, der Komet,
Bleibt hier hängen im warmen Sorrent und lasset die Liebste
Droben im frierenden Nord ziehen so viel ihr beliebt. –
War’s denn Schuld des Kometen? erwidert’ ich lachend Das Fädlein
War nur tückisch; es webt Amor ein festeres Band. –
Aber das Mägdlein drüben errötete, lächelt’ und ging dann
Hurtig hinab, und hinab auch die Geschwister, vom Baum
Ihren Kometen zu lösen. Und ich – ich sitze nun einsam.
M e i n!  m e i n! ruf’ ich, und  d e i n! hallt es im Innersten nach.



IV

Ratet, von wem ich komme, Don Pavolo! – Von der Gevattrin?
Falsch! – Von der Schneiderin? – Falsch! – Dann von der Messe gewiß!
Nein, Ihr wollt’s nicht raten! – Bei San Francesco, Luisa,
Gern; wer aber errät Mädchengedanken und -tun? –
Bei Mariuccia war ich. – Bei der! – Nun tut mir der Herr doch,
Gar, als wäre das nichts. – Wenig, Luisa, für mich. –
[320] Habt nur Geduld; gleich kommt es an Euch. Ich macht’ ein Geschäft mir
Heut am Morgen und tat Seidengespinst in den Korb,
Daß sie ein Band mir webe; sie hat im Haus die Geräte.
Und ich fand sie, allein Mutter und Schwester mit ihr,
Richtet’ es aus und hoffte von Euch ein Wörtchen zu plaudern,
Aber die anderen zwei horchten; ich hütete mich.
Und so war ein Stündchen vertan. Da ging ich, und mit mir
Ging Mariuccia. Wie gern hätte sie nun mich befragt!
Also stehen wir unter der Tür. Ich sage: Commare,
Sag’ ich, besuchst du mich nie? – Aber sie schüttelt den Kopf.
Nein, denn ich darf nicht, sagt sie; du weißt, nicht liebt es die Mutter,
Weil ihr ein Wirtshaus habt. – Närrchen, es stehet ja leer;
Noch ist keiner gekommen zum Seebad. – Aber es wohnt doch
Einer bei euch. – Nun der, sag’ ich, – wie findest du den? –
Ei, nicht übel. – Verstelle dich nur, Spitzbübin! du hast ihn
Gern, und du weißt, er dich! sag’ ich. Da lacht sie und schweigt.
Aber auf einmal faßt sie mich um und küßt mich, ich denke
Gleich, sie erstickt mich, und dann läuft sie wie Wetter davon.
Und ich ruf’ es ihr nach: Den Kuß, Mariuccia, bestell’ ich,
Aber du weißt wohl, wem. Richtig; sie dreht sich und nickt:
Tu’s Luisa! und weg, ins Zimmer hinein. Die Arme!
Denk’ ich, sie hätt’ es allein freilich am liebsten bestellt.
Chi va piano va sano; es kommt ihr, eh’ sie es denket.
Aber so stehet es jetzt, Herr, und da hab’ ich den Kuß.
W o l l t  Ihr ihn auch? – O edle Luisa – Also da ist er!
Seht, Don Pavolo, dies tut die Luisa für Euch:
Anderen tät’ sie’s nimmer; doch Ihr, Ihr wisset, was Scherz ist,
Und dies alles, es sind Possen. Nun aber im Ernst:
Geb’ ich den Kuß nicht wieder für Euch? Und hättet Ihr keinen
Mir zu bestellen? Es wär’ jetzo in einem getan. –
Liebe Luisa, ich tat ein Gelübd, nie Küsse zu geben;
Küsse zu  n e h m e n  – ja,  d a s  scheint ein besonderer Fall.



V

Große Gesellschaft hab’ ich zu Mittag, offene Tafel,
Und sie würzt mir das oft überbescheidene Mahl.
Eins und das andere kommt von den Kindern des Hauses und setzt sich
Mit an den Tisch und sieht freundlich dem Essenden zu;
[321] Hübsch – Gott sei es geklagt! – nicht eins, doch ehrliche Seelen;
So zutraulich und zudringlich sogar wie daheim.
Fast auch mein’ ich, es sei aus nördlichen Landen ein Kaufherr
Dieses Geschlechts Urahn, welchen die Welle verschlug
Einst an Napolis Strand; da ließ er ein lebend Gedächtnis
Südlicher Freuden zurück, und es vererbte der Mund,
Diese geknetete Nase, der knorrige Wuchs und der Plattfuß,
Aber das biedre Gemüt erbt’ in den Sprößlingen auch.
Und – sie verstehen zu plaudern, zumal die Erwachsenen. Scheu noch,
Stumm an die Lehne des Stuhls drücken die Jüngsten sich an.
Du vor allen gebietest dem Wort, Stammhalter Francesco,
Weil dir häufig vergönnt, gute Gesellschaft zu sehn.
Denn in den Kirchen umher in Sorrent und der Ebene bist du
Tätig, den Festtagsschmuck bunter Tapeten mit Kunst
Hoch von den Pfeilern herab, um Kanzel und Chor zu befest’gen,
Ja und den Hochaltar hüllst du in flitterndes Gold.
Und da geziemt dir’s wohl, dich weisen Gesprächs zu befleißen,
Und mit der Theologie lässest du gerne dich ein,
Nur wie’s eben ein Laie vermag. Doch hast du am Schnürchen,
Wieviel Scudi die schönfarbige Steinmosaik
In Carrotta gekostet, wieviel in Sorrento der Umhang
Um den Altar, und wann neu sie die Kirche getüncht.
Auch vor allem erscheinst du in Wundergeschichten bewandert,
Denn du liebst, wie du sagst, wenn du ein „Faktum“ erfährst.
Auch in der Predigt, so sehr dich übrigens rührt die Betrachtung,
Zieht das Historische doch immer am meisten dich an.
Und so gibst du mir gern die erstaunlichen Wunder zum besten,
Welche der Kirche Patron, Sant Antonino, getan,
Jegliches ganz urkundlich auf hölzerner Tafel verzeichnet
Und ein Gemälde dazu, welches das Faktum bezeugt.
All das hängt in der Krypte. Man sollt’s nicht glauben, bekennst du,
Ständ’ es geschrieben allein; aber es ist ja gemalt.
Hier ein Schiffer in Nöten, in Wolken der Heilige, der das
Wetter beschwört; dort liegt krank an den Masern ein Kind
Und die bekümmerte Mutter am Bett, zu dem Heiligen betend;
Dort mit dem leichten Gefährt gehet zum Teufel ein Gaul;
[322] Aber der Heilige faßt es am Zaum. Dies alles erzählst du
Deutlich, mit Namen und Ort und mit dem Datum der Tat.
Wenn du aber verschnaufst, andächtig versenkt in Betrachtung,
Fällt mit der Tafelmusik hurtig das Schwesterchen ein,
Trillert das schmachtende Lied: Vieni Teresa! der Schiffer
Lieblingsgesang: Fiedelin! oder ihr Michelemmà.
Ich indessen, ich schmause vergnügt und schenke den Gästen
Fleißig den Wein von Sorrent. Aber ins Fenster herein
Sieht der Vesuv und weht der betörende Duft der Orangen,
Gleitet die Sonne, gedämpft, zärtlich die Blumen entlang.
Und so saßen wir heut in herrlichen Freuden. Auf einmal
Klang von unten ein hell silbernes Stimmchen herauf.
Aber es galt der Luisa. Sie winkt’ uns lachend. Da ist sie!
Flüsterte sie. Seid still! Wartet, ich locke sie her.
Damit trat in die Türe der Schalk. Bist du’s, Mariuccia?
Rief sie hinunter. So komm! Komm! denn du findst mich allein. –
Und wir hörten ein Huschen die Stiegen herauf, und die Stimme
Klang schon näher: Ich bin’s; bist du auch wirklich allein? –
Freilich. – So ist mir’s lieb. Wir schwatzen ein wenig. Es hat mir’s
Heute die Mutter erlaubt. – Aber so komm nur herein! –
Darauf kam es heran, zwei trippelnde Füßchen, und plötzlich
Stand an der Schwelle, bestürzt, glühend, das schöne Gesicht.
Lachend hielt sie Luisa zurück, die leise sich sträubte,
Rief: Was fürchtest du dich unter Bekannten zu sein? –
Ach, ich selber, ich war nicht wenig erschrocken. Es schien mir
Aug an Augen im Ernst drohend die holde Gefahr.
Aber ich betete still: Sant Antonino, o hilf mir!
Und das Mirakel geschah; eilig besann sich das Herz.
Sei mir freundlich gegrüßt, Mariuccia, rief ich; du kommst nun
Zwar zum Mahle zu spät; aber versuche den Wein,
Iß von den süßen Orangen, und hier sind Kuchen zum Nachtisch;
Sieh, und ein Sessel ist leer. – Aber die Schüchterne stand,
Über die herrlichen Augen gesenkt zartschattende Wimpern,
Und ihr klopfendes Herz lüftet’ am Busen das Tuch.
Jetzo nahm ich vom Teller ein Törtchen, brach es zu gleichen
Hälften und trat zur Tür: Nimm es, ich teile mit dir. –
[323] Und sie empfing’s zutraulich und hielt’s in der Hand, und den andern
Nickte sie jetzt und trat ohne Bedenken herein.
Aber den Sessel – er stand dicht neben dem meinen – verschmähend,
Nippte sie nur vom Wein, den ich im eigenen Glas
Ihr anbot. So standen wir auch und beschlossen die Mahlzeit,
Und Luisa, vergnügt, führte das muntre Gespräch.
Nur du, werter Francesco, schwiegst; denn die geistliche Würde
Hemmte den freien Erguß weltlicher Scherze mit Recht.
Jetzt zu dem offenen Flur, von wo zum Dache die Stufen
Führen, hinaus in den Tag lenkten wir alle den Schritt.
Dort auch ist das Geländer mit Blumen besetzt, und die Nelken
Blüheten reich am Stock. Dort der Luisa im Arm
Stand der Besuch, und sie pflückten ein Sträußlein. Aber ein Kind saß
Einsam unten im Hof neben dem Kätzchen. Da warf
Ihm Mariuccia ein Blümchen hinab, und die Kleine verwundert
Spähet empor. Doch flink bog sich die Lose zurück.
Und nun traf sie ein zweites, und wieder umsonst in die Höhe
Dreht die Kleine den Kopf. – Über das Närrchen! Es denkt,
Daß vom Himmel herab in den Schoß ihm fielen die Blumen,
Flüsterte lachend das holdselige Mädchen. O weh!
Endlich entdeckt sie mich doch! Maria Grazia, willst du
Mehr von den Nelken? – Das Kind lächelte strahlend herauf.
Nun, weit übergelehnt, vom Stock abpflückend den ganzen
Flor, in den Hofraum warf Blumen das Mädchen hinab.
Und ich weidete mich an dem Anblick, wie auf den Zehen
Stehend die schlanke Gestalt über die Brüstung sich hob.
Aus den Pantöffelchen waren die Füße geschlüpft, und die weißen
Strümpflein rührten noch kaum nur mit den Spitzen daran.
Jetzt – ich ersah mir flink die Gelegenheit, raubte den einen
Schuh und verbarg ihn gleich unter dem Rock. Es gewahrt’s,
Keiner vertieft in das ernste Geschäft, die Stöcke zu plündern;
Nur Francesco allein sah es und drohte mir sanft.
Und wir trieben es weiter mit Scherz und Plaudern ein Weilchen,
Als auf einmal ein Bursch stürmte die Stiegen herauf.
[324] Komm nach Haus, Mariuccia, geschwind! Mich sendet die Mamma.
Ist die böse! Sie schwört, daß sie es lang dir gedenkt.
Nämlich, es sagt’ ihr’s einer, du seist hier bei dem Signore.
Lüge nur immer; du weißt, Checco ist stumm wie ein Tier. –
Auch wir andern standen bestürzt. Sie biß sich die Lippe,
Strich sich die Haare zurück, aber sie redete nichts.
Nur ein Blick zu Luisen beklagte sich: Siehe, mir ahnt’ es!
Dann in den hölzernen Schuh schlüpfte das Füßchen zurück,
Eins nur; aber sie suchte den anderen, während der Bursch noch
Stand. Da sah sie auf mich, und sie erriet es sogleich,
Und nicht mochte sie bitten, noch ich einräumen den Diebstahl.
Leihe mir deinen so lang, bis sich der meinige fand!
Bat sie Luisen, und suche den Zoccolo. Ach – und addio! –
Dann – noch ein Winken, ein Blick, und die Erscheinung verschwand.



VI

Und da liegt er, der arme, verwaisete kleine Pantoffel,
Blickt vom Tische wie ernst zwischen den Büchern mich an!
Zoccolo, bist du mir gram, daß ich dich trennte von deinem
Holden Bewohner? Es wär’ freilich ein triftiger Zorn.
Denn ihr Zoccoli führt das geplagteste Leben von allen,
Habet die Mühen allein, andere ernten den Dank.
Stets in den Gassen den Staub und das Felsengeröll im Gebirge
Schmeckt ihr, und regnet es gar, geht’s in die Pfützen hinein.
Aber um Mittagszeit auf glühendem Sand in der Vigne
Oder den Fahrweg hin knirschet das Leder und ächzt.
Freilich, der hölzernen Sohle verschlägt’s nicht, erst in der Hitze,
Dann gleich wieder im Haus über den Fliesen zu stehn.
Aber es gibt doch ein Ding, das Ehrgeiz heißt; der geringste
Knecht – Festtags in dem Krug prahlt er und spielt er den Herrn.
Ihr bleibt immer zu Haus, wenn’s hoch hergehet, und leider
Schiebt der Gerechteste euch selber die Schuld in die Schuh.
Laß mich’s offen bekennen: man ehrt ja deine Gesinnung,
Aber warum, mein Freund, trittst du so bäuerlich auf?
Wie soll dir ein Mädchen vertraun ein verliebtes Geheimnis,
Wenn zum Handwerk dir immer das Klappern gehört?
[325] Schleicht sie zum Liebsten, der Mutter davon, erst mußt du ins Eckchen,
Weil du die Stiegen hinab immer so laut räsonnierst.
Auch im übrigen bist du und bleibst zu zärtlichen Dingen
Unanstellig. So oft unter dem Tische den Fuß
Ihres Geliebten das Mägdlein sucht, dir muß sie entschlüpfen;
Geht’s zum Tanze, gewiß läßt sie den Zoccolo stehn.
Und ist endlich die Hochzeit da und das Mädchen vermählt sich,
Dem zu dienen du nie Regen und Hitze gescheut,
Anderen räumst du den Platz, Fremdlingen, verzärtelten, die nicht
Nahe gestanden der Braut manch ein beschwerliches Jahr.
Und du bleibst von der Kirche zurück, und die gleißenden Stutzer
Gehn zum Fest und sogar nachts in die Kammer mit ihr.
Und dann führst du im Winkel ein ernstes Gespräch mit dem Bruder:
Oft im schlechteren Rock schlage das bessere Herz,
Und wenn seidene Schufte zu herrlichen Ehren gelangten,
Hülle der Redliche sich still in den eigenen Wert. –
Aber es schmerzt doch immer. Und nun, nun gar im Gefängnis?
Schändlich geraubt? Und warum? – Wüßt’ es der Räuber doch selbst!
Sträflicher Mutwill war’s, und er rächt sich. Seit du das Zimmer
Mit mir teilest, wohin rett’ ich Gedanken und Blick?
Wirst du eitel und denkst, dir gelte die sehnliche Wallung
Hier im Blute? Du irrst. Doch du beschworst mir herauf
Jenes bezaubernde kleine Gespenst des winzigsten Mädchen-
Schuhs, der damals noch trug in die Schule das Kind,
Als ich in all der Kleine zuerst ihn erblickte; das Röckchen
Gab ihn dem Blick noch frei, dem er gewaltig gefiel.
Noch schlief aber das Herz. Nur spukt’ ihm häufig ein Pärchen
Zierlicher Füße behend durch den bedenklichen Traum.
Aber das Schulkind wuchs, und es wuchs zum Erschrecken das Röckchen;
Über des Fräuleins Fuß wallte der schleppende Saum.
Als nun das Herz aufwacht’ und mit staunenden Augen sich umsah –
Ach, wie holder Besitz kam da dem Frommen im Schlaf!
[326] Eins nur fehlte. Doch einst, auf meinem Schoße sie haltend,
Sah ich von Kopf bis zu Fuß fast wie in Zweifel sie an,
Ob nicht gar Melusinens dämonisches Teil sich verriete
Unter dem Saume des Kleids, der sich ein wenig verschob;
Aber ein Schuh sah tröstlich hervor, nun freilich gewachsen,
Dennoch, Zoccolo, viel kleiner und feiner als du.
Zwar unedel erschien’s und ungroßmütig, den Kerker
Dir mit verächtlichem Wort noch zu verbittern; auch du
Bist ein schmucker Geselle. Der Wahrheit aber die Ehre:
Daumensbreite gewiß hast du vor jenem voraus.
Und ihn hab’ ich gekannt von klein auf. Ach, und es bürgt uns
Dauernden Glückes Besitz besser und sicherer nichts,
Als aufwachsen zu sehn mit eigenen Augen das Füßchen,
Dessen Pantoffel dereinst unseren Wandel regiert.



VII

Richtig, es lockt ein Stimmchen, ein Hauch nur, wie ihn ein Vogel
Singt im grauenden Tag, wenn er die Eule noch scheut,
Und da flattert ein Zipfel vom Kleid. Nun, Zoccolo, laß uns
Zu ihr gehen; sie harrt deiner – und meiner? vielleicht.
Sieh, da steht sie und tut ganz fremd und breitet gelassen
Über die Fläche des Dachs sauber zum Bleichen das Garn.
Komm nun oben hinauf. Hier trennt uns immer des Hofes
Breite; doch oben berührt nahe sich Dach mit dem Dach.
Leider, die Mauer verwehrt, mannshoch, hinüberzuwandern;
Ach, es erbaute sie einst fluchend mit eigener Hand
Unser verehrtes Familienhaupt, Francesco. Die kluge
Schwester Luisa, sie war fast noch ein Kind und bereits
Händeln der Liebe geneigt. Oft schlich zu der Kleinen der hübsche
Britische Knabe, der Sohn jenes begüterten Paars,
Welchem der Apotheker die oberen Zimmer vermietet;
Nimmer den englischen Spleen spülten im Golfe sie ab.
Aber das Söhnchen erkor sich ein Mittelchen wider die Langweil,
Bis ihm die Kurzweil, ach! Tücke des Bruders verdarb.
Fand er nun doch hinüber den Weg? Deß schweigt die Geschichte;
Doch wo fände den Weg Liebe, die wagende, nicht?
[327] Mir war immer die Mauer zu hoch, zum klaren Beweise,
Daß nicht Liebe den Fuß leitet’ hinauf zum Altan.
Ehrbar rückte den Schemel ich nah an die leidige Festung,
Über die Zinne nach ihr schaut’ ich bequemlich hinaus.
Erst vollbrachte sie ganz ihr Werk, und den Finger am Munde
Sah sie mich an; derweil dunkelte leise der Tag,
Läuteten ferne die Glocken. Sie späht rings über die Brustwehr,
Aber die Luft schien rein. Jetzt zu dem oberen Dach
Kommt sie; ich seh’s, sie zwingt sich ein ernstes Gesicht zu behaupten,
Doch ein Lächeln umspielt heimlich den schwellenden Mund.
Gebt mir den Zoccolo wieder, Signor! Ihr habt ihn, ich weiß es,
Und was habt Ihr daran? – Dich, Mariuccia; du mußt
Mir stillhalten, so lang mir beliebt. Nun sage vor allem:
Hast du die Mutter versöhnt? – Reden wir leiser, Signor!
Angiolina belauscht uns sonst. Die Schändliche! sie war’s,
Die mir den schimpflichen Streich heut bei der Mamma gespielt.
Neidisch ist sie und jedem verhaßt, wie sehr sie gelehrt ist;
Davon wird ihr Gesicht wie die Limone so gelb.
Sagt, was konnt’ ich dafür? Ich kam zu Luisa, zu Euch nicht;
Und ein Wörtchen mit Euch – wäre die Sünde so groß?
Doch gleich lief sie herum zu der Mutter und rief: Mariuccia
Ist beim Fremden; sie stehn öffentlich auf dem Altan.
Nun, Ihr wißt, wie Mütter sich gleich das Gefährlichste denken;
Meine – sie ist nicht schlimm, doch wie die anderen auch.
Mühsam hab’ ich es ihr auseinandergesetzt. – Die verruchte
Schwätzerin! Höre sie das, wenn sie auch jetzt spioniert! –
Zitto! Seid vorsichtig, ums Himmelswillen. Ich darf nicht
Tun, als wüßt’ ich darum. Sehet, ich stelle mich auch
Freundlich zu ihr. Denn es ginge vom Argen ins Ärgste, versäumt’ ich’s;
Ja, und sie redet sich vor, daß sie mit Grund mich bewacht.
Denn ihr Onkel – Ihr saht ihn wohl, er geht mit dem braunen
Römischen Hute, wie Ihr – machte mir früher den Hof.
Doch dann reist’ er davon, und sie sagen, er sei in Milano
Lange gewesen und gar weiter hinauf in Paris,
Mit Mazzini und anderen Herrn, die alle zerstoben,
Als sich die Könige dann wieder zu Meistern gemacht.
[328] Vor vier Monden erschien er auf einmal hier in Sorrento,
Trat zum Bruder ins Haus, nur mit dem leichten Gewehr;
Aber er trug in den Taschen ein wichtiges Häufchen Dukaten,
Und sie schwatzten: er nimmt jetzt Mariuccia zur Frau.
Seht, wir sind ein wenig verwandt. Doch meine Familie
Kam seit Jahren zurück. Früher – da galt es ihm gleich.
Jetzt – was ist Mariuccia dem Herrn? Mich kümmert es wenig,
Angiolinen sogar freut es; sie gönnte mir’s nicht.
Und nun quält sie mich doch und paßt auf Schritt mir und Tritt auf,
Daß sie an Gallen und Gift noch zur Orange vergilbt.
Und doch tu’ ich, wonach mein Sinn steht. Aber ich muß mich
Hüten, ein anderes Mal offen wie heut es zu tun.
Gebt nun, bitte, den Zoccolo, Herr! – Da ist er! – Ich reicht’ ihn
Über die Mauer, und warm fühlt’ ich die Nähe der Hand.
Wie sie den Fuß nun hob und gebückt anpaßte das Schühlein,
Über das holde Gesicht fielen die Flechten herab.
Und ich sagte: Wie ist’s nur möglich, daß er dich täglich
Sieht, Mariuccia, und nicht dich zu besitzen entbrennt?
Und sie rümpfte das Mündchen und sprach: Habsüchtige Männer!
Schönheit reizet sie wohl, doch es gewinnt sie das Gold.
Oder vielleicht auch haben ihm andere besser gefallen.
Saget, die Mädchen bei Euch sind sie denn schöner als hier?
Eure Geliebte zum Beispiel gleich? – Mir ist sie die Schönste,
Die ich irgend gesehn, aber die Liebste gewiß. –
Diese Ringe – Ihr habt sie von ihr? da muß sie auch reich sein.
Wie alt ist sie? und sagt, bitte, wie heißet sie auch? –
Margherita; sie ist in deinen Jahren; im Wuchs auch
Gleichet sie dir und im Mund, aber die Augen sind braun. –
Seht, mich freut es; ich hab’ Euch gern, Euch gönn’ ich die Beste;
Doch Ihr reiset gewiß bald zu der Liebsten zurück? –
Wär’ dir’s leid, Mariuccia? – Sie schwieg. Ich höre die Tür gehn,
Sagte sie rasch. Lebt wohl! – Bleib noch ein weniges! – Nein,
Aber ich komm’ schon wieder. Felice notte! – Sie lief zum
Treppchen zurück und stand dorten und horchte hinab.
[329] Dann noch einmal blickte sie um und winkte mit beiden
Bräunlichen Armen und ach! lachte mit Augen und Mund.
Langsam stieg ich herab vom Schemel. Des Onkels gedacht’ ich,
Ballt’ unwillig die Faust gegen den flüchtigen Mann.
Einer von uns ist wahrlich ein Tor, so rief ich; mein Auge
Narrt mich, oder der Mensch, der sie verschmäht, ist ein Narr.



VIII

Wisset, ich war in Meta; ich trug zur Tante die Bänder,
Die ich gewebt; sie hält dort sie im Laden zu Kauf.
Doch nicht war sie daheim; ich hatt’ ein Stündchen zu warten,
Und dies Sträußchen indes pflückt’ ich im Garten für Euch.
Denn sie erzieht an Rosen die herrlichsten Sorten das Jahr durch,
Und Ihr, wie ich gesehn, pflegt und betrachtet sie gern.
Und mir sagte Luisa des Vormittags, da ich fortging,
Daß Ihr traurig und blaß säßet, vergraben in Angst,
Weil Euch Briefe gebrächen von Haus. Nun sehet, ich kann nicht
Schreiben; ich schrieb’ Euch gern allerlei Briefe zum Scherz.
Freilich, es wär’ doch keiner von Margherita; was hülf’ es?
Doch Ihr lachtet vielleicht über das alberne Zeug.
Nehmt nun aber die Rosen; sie sind doch immer Gesellschaft.
Fangt sie! Die Mädchen in Rom, denk’ ich, sie lehrten es Euch.
Da! – Und die Freundliche warf. Ich fing mit der Rechten den schönen
Üppigen Strauß, und entzückt taucht’ ich hinein das Gesicht.
Wie nur dank’ ich es dir, Holdselige, daß du so herzlich
Meiner gedenkst, wenn ach! ganz mich die Liebste vergißt! –
Stille davon, und addio für heut! – Du gehst? – In die Kirche
Muß ich. – So spät am Tag, lange nach Ave Marie? –
Ja, noch haben wir Mai, da hält ein Padre des Abends
Immer die Maiandacht, wegen der Mutter des Herrn,
Die im Maien geboren; man weiß nicht sicher, an welchem
Tag. – So feiert Ihr nun jeden, um sicher zu gehn?
Darf ich mit in die Kirche? – Mit mir nicht; aber Ihr könntet
Auch hinkommen, allein, und man begegnete sich.
Horch, da ruft mich die Schwester, Pepina. Wenn ich bei Euch bin,
Immer vergess’ ich die Zeit, oh, und sie schelten mich aus.
[330] Also – Ihr kommt! – So flog sie hinweg. Ich eilig hinunter,
Und mir wiesen sogleich andere Fromme den Weg.
Mädchen zumeist, sittsam in der Hand ein Büchlein, die Köpfchen
Unter den Tüchern versteckt, wie’s in der Kirche sich ziemt.
Nicht in die stattliche ging’s, Sant Antonino geheiligt,
Sondern ein Kirchlein war’s mit in die Häuser gereiht.
Und nun kam Mariuccia daher und die Schwester. Sie sah mich
Gleich und blickte beiseit, aber sie lächelte doch,
Als ich den Strauß an die Lippen erhob. So folgt’ ich den Mädchen
Unter das Vordach erst, dann in der Kirche Bereich.
Traulich beschränkt war’s drinnen und kühl und duftete Weihrauch,
Und zwei Lichter allein brannten im wolkigen Duft.
Und so setzten wir uns, und zwar Weiblein von den Männlein
Züchtig gesondert; vereint aber begann der Gesang
Samt Litanei. Vorsang mit der zitternden Stimme die alte
Lehrerin, welcher Sorrent Nähen und Stricken verdankt,
Und wir anderen fielen mit ein. Mir wies der betagte
Küster das Buch und schrie heiser und falsch mir ins Ohr.
Dich auch hört’ ich heraus mit der hellen und kindischen Stimme,
L’Arrabbiata; ich sah’s, wie du am spätesten kamst,
Finster die Stirne verhängt hinschrittest die Reihen der Bänke
Und zu den Kindern gesellt vorne den Platz dir ersahst.
Endlich verstummt der Gesang; zur offenen Sakristeitür
Schreitet ein Priester heraus, welchem der Knabe voran-
Trägt ein wankendes Lämpchen und leuchtet hinauf in die Kanzel,
Daß nur ein Streiflicht fällt über den stattlichen Kopf.
Und er beginnt eindringlich in schwellendem Flusse. Man horcht’ ihm
Gern; auch flocht er gewandt schöne Legenden mit ein.
Seht, so sprach er, es heißt Maria Santissima „Mutter
Gottes.“ Warum? das weiß, hoff’ ich, ein jedes von euch.
Weil sie den Heiland gebar. Allein, ihr Name „Maria“ –
Wisset ihr auch, was der heißet? Ihr wisset es nicht.
Merkt, ich will es erklären. Ihr wißt, was mare bedeutet,
Meer. Nun aber, da ist manches verschiedene Meer.
[331] Erstlich das große da unten, das mittelländische. Eins dann
Bei Ancona, es wird Adrias Busen genannt,
Und noch andere, anders genannt, groß ist ja die Erde.
Doch ein Urmeer gibt’s, welches die anderen tränkt,
Flüss’ und Seen und Quellen entläßt aus ewigen Füllen,
Welches den Regen ernährt und den erquicklichen Tau.
So wie dieses die Erde belebt und befruchtet und alle
Kreaturen erquickt, also die Mutter des Herrn,
Also Maria, des Heils Urmeer. Welch heilige Namen:
„Mutter des Herrn, Urmeer!“ Bitte, Maria, für uns!
Dich anrufen erquickt das Gemüt und löschet der Seele
Durst. Du aber belohnst köstlich ein gläubig Gebet.
Davon wissen genug hochpreisliche Wunder die heil’gen
Bücher, und eines davon will ich erzählen. So hört!
Einst vor Jahren da lebt’ ein Mönch, jung, aber begnadet,
Und sein lauteres Herz lag vor der Mutter des Herrn
Tag und Nacht auf Knieen; er sang die fünf benedeiten
Psalmen, und jeden beginnt eine der Lettern, versteht:
M-A-R-I-A; die sang er mit brünstiger Seele.
Solches gefiel gar wohl Unserer himmlischen Frau.
Darum bat sie einmal ihr Söhnlein, ihn zu belohnen;
Und wie ward er belohnt? Ratet! – Ihr ratet es nicht.
Laßt euch sagen: der Herr ließ wachsen am Munde des Frate
Eine Rose! Nun denkt! Eine gewöhnliche nicht;
Eine vom Paradiese! Sie duftete himmlischen Wohlduft.
Und was weiter? Es stand golden auf jeglichem Blatt
Eine der Lettern gemalt, der fünf, die den Psalmen voranstehn,
M-A-R-I-A. Solches geschahe mit Fleiß,
Um zu bekunden, wie hold und teuer ein eifriges Beten
Immer der Jungfrau sei. Also versäumet es nicht!
Also verunreint nimmer den Mund mit häßlichen Worten,
Deren ein Türke sogar, ja und ein Jude sich schämt,
Sondern schmücket den Mund mit dem heiligen Namen „Maria“.
Bitte, Maria, für uns! – Und in der Kirche wie still
War’s, kein Atem erging. So stieg er die Kanzel herunter;
Knab’ und Lämpchen voran ging’s in die Pforte zurück.
Doch wir anderen wallten hinaus, ich wieder die Rosen
Fest an die Lippen gedrückt. Unter der Tür im Gewühl
[332] Zu Mariuccia fand ich den Weg. Wir gingen in Schweigen
Nebeneinander. Die Hand rührte geheim an die Hand.
Aber die Hand war heiß, und der Strauß an den brennenden Lippen
War so eilig verwelkt, daß ich im Herzen erschrak.
Draußen die Nacht sternhell und die schauernden Lüfte lebendig,
Und es gelüstete mich nieder ans klingende Meer.
Unten verweilt’ ich lange. Ich sang in die Wellen ein deutsches
Lied, am Rande des Schaums wandelnd das Ufer entlang,
Und ich sah, wie zu Füßen, im Mondschein blinkend, die Ebbe
Meinen erblassenden Strauß riß in die offene See.



IX

Wo sich das äußerste Horn von Sorrentos Bucht in das Meer streckt,
Die wie ein Kind im Schoß Napolis Busen umschließt,
Liegt hart neben dem Ufer ein Fels, am Gipfel geebnet,
Den mit dem Festland noch altes Gemäuer vereint.
Denn vormals schlug römische Hand zwei Brücken hinüber,
Eine bis tief zum Grund, eine im Bogen gewölbt.
Dort tritt tief in den Felsen die Flut ein, mächtigen Kessel
Füllend. Geräuschlos sieht bläulich der Spiegel herauf.
Dorthin wandr’ ich am liebsten. Die Klippe dünkt mich die Grenze
Meines Gebiets; denn hier endet der Bann von Sorrent.
O wie jauchzt’ ich zuerst laut auf, als mit dem geliebten
Freund hieher sich der Fuß längs dem Gebirge verstieg.
Wie durch Wunder erschien zum Bade der Kessel vertiefet,
Wie durch Wunder das Gras über die Klippe gesät.
Und wir lagen und sahn sprachlos in die Weite. Die Inseln
Tauchten herauf. Der Vesuv herrschte geruhig wie je.
Auch von Capri erschien ein Streif, als weiter nach Westen
Wir zum Saume des Meers klommen die Felsen hinab.
Damals saßen wir gern in die heftige Sprache versunken,
Drin sich die Woge bespricht mit dem zerklüfteten Strand,
Sahen der Flut unersättliches Spiel. Nun aber vereinsamt
Wandr’ ich dahin. Du weilst unter den Pinien Roms.
Dein entbehr’ ich – wie sehr! Schon hängt in Blättern die Rebe,
Die noch nackt in die Luft starrte des wilden April,
[333] Als du gingst. Kaum sahst du die zögernden Knospen der Feige;
Weniger Nächte Verlauf lockte zutage das Blatt.
Denn hier reift ein jedes geschwind, hier reifet der Neigung
Blüte, die herbe, wie bald ach! zu der süßesten Frucht,
Reift auch rasch ein empfangenes Lied und die zarte Gestalt auch,
Die wie ein Schatten zuerst schwebte dem Dichter heran.
Und er sieht der beweglichen zu; nun wagt sie sich näher;
Schon umfließt sie ein Hauch dämmernd belebenden Lichts,
Und er rührt mit dem Finger die Stirn ihr. Siehe, sie regt sich,
Blickt mit geistigem Blick; endlich befreit sich das Wort
Von der melodischen Lippe – sie lebt, sie ist deine, sie fühlt sich
Dein – und dennoch, sie lebt völlig ein Leben für sich.
So, als heut zu der Klippe den Weg ich wandelte sinnend,
Zogen dem sehnlichen Blick reizende Schatten voran,
Deren Gestalt ich in Marmor sah im Palast zu Neapel,
Hoch auf adligem Roß reitend ein bräutliches Paar;
Vor dem Verlobten die Braut. Halb siehst du das süße Gesichtchen
Über die Schulter. Sie hebt zärtlich die Augen empor,
Streift mit der Fackel im Spiel an die niedrigen Zweige der Waldung,
Während das willige Roß folgt dem Sklaven am Zaum.
Aber der Mann blickt finster. Er wägt die Geschicke der Zukunft.
Ward er verbannt von Rom? Hat er das Mädchen entführt?
Wortlos geht die Reise den Strand hin. Da von der Klippe
Durch unwirtliche Nacht grüßet mit Lichtern das Haus.
Einst stand dorten ein Tempel des Herkules. Über den Trümmern
Ließ sich den Sommerpalast köstlich der Römer erbaun,
Und dort birgt er den lieblichen Raub. Nun über das Brückchen
Geht’s. Vom Zelter ans Herz hebt er das Mädchen herab.
Und sie steht und betrachtet das Meer, und plötzlich verlockt sie
Unten im Becken die Flut kühl zu dem nächtlichen Bad.
Doch er küßt ihr die Wange, zerstreut. Dann führt er sie nieder
Felsige Stufen. Es sind unten die Zellen bereit.
Nun geht leise der Mond in die Höh und staunt, in der Wildnis,
Wo er zuvor nur dich, ehrliches Schaffnergesicht,
Fand, heut blühende Jugend zu sehn, schwarzlockige Schönheit,
Welcher den silbernen Fuß zitternd die Welle benetzt.
[334] Aber das Glück ist falsch. Vom Wald genüber vernehm’ ich
Schleichenden Fußtritt jetzt. Wachet! es nahet Verrat!
Ist es der griechische Mann von Sorrent, dem, als du hindurchrittst,
Lächelnde Braut, jählings drang in den Busen der Pfeil?
Wär’s ein Bote der Eltern? – Es kommt. Schon schlägt es die Zweige
Auseinander – doch wer zeigt sich am schroffen Gestad?
Angiolinas Onkel, im Jagdrock und mit der Flinte!
Ihm zu Füßen vorauf hüstelt ein zottiger Hund.
Muß mir so der Verhaßte die traulichen Träume zerrütten?
Und er sieht mich, und stracks lenkt er die Schritte zu mir.
Zwar – hübsch ist er, ich räum’ es ihm ein. Von reichlichem Bart ist
Dunkel umrahmt das Gesicht, feurig das Auge, der Mund
Fein und der Anstand sicher. Man ist auch höflich; man grüßt ja
Wahrlich zuerst: Wie geht’s? Herrliches Wetter, Signor! –
Danke, vortrefflich! Und wie geht’s Euch? – Wie’s Jägern ergehn kann,
Die schon Stunden umsonst passen auf glücklichen Schuß.
Seid Ihr Jäger? – Bedaure. Ich schoß nicht übel vorzeiten
Nach der Scheibe. Doch nie hatt’ ich ein lebendes Ziel. –
Nun, hier bietet vielleicht sich Gelegenheit. Bleibet Ihr länger,
Machen wir wohl noch einmal einen geselligen Gang,
So vor Tag, und schießen ein weniges, bis Ihr genug habt. –
Gern. Längst brannt’ ich darauf, mehr zu verkehren mit Euch.
Und wir schüttelten uns mit höflichem Lächeln die Hände,
Während die Bestie mich winselnd und heulend umsprang.
Sagt, sprach wieder der Onkel, wie dünkt’ Euch gestern die Predigt?
Ein Prussiano wie Ihr, den’s in die Kirche verlockt,
Was absonderlich Hübsches erwartet er. Habt Ihr gefunden,
Was Ihr gesucht? – Und mehr, sagt’ ich; es hat mich erbaut.
Wahrlich, der Dienst der Maria, ich kann nicht länger ihm gram sein,
Denn nichts Holderes wird unter dem Monde geübt. –
Hm! kein schlechter Geschmack. Mir ward er ein wenig verleidet;
Doch nicht ständ’ ich dafür, daß er mich wieder bekehrt.
[335] Dann – doch verzeiht! da streift sie heran – der will ich’s gedenken! –
Und von der Schulter im Nu riß er die Flinte. Der Schuß
Rollte die zackigen Ufer entlang. Lauf, Fido! Hinunter!
Rief er dem Hund. Der sprang kläffend hinab in die Flut
Und dort sah ich in zappelnder Angst die verwundete Wachtel
Schwimmen. Es ruderte stark Fido der sinkenden nach,
Faßte sie sauber am Flügel und schwamm eilfertig zurücke;
Triefend, die Wachtel im Maul, kroch er die Felsen empor.
Oben empfing sein Herr die verblutende, während der Hund sich
Schüttelt’ und stäubend umherspritzte die salzige Flut.
Geht, sprach lächelnd der Onkel zu mir, die wollte nach Deutschland.
Stets vom Süden zurück reist sie im Maien. Es sind
Rings an den Küsten die Garne gestellt, da fängt sich so manche;
Manche verlockt auch wohl leckeres Futter vollauf,
Hier in Sorrento das Feld einheimischem Volk zu benaschen,
Und die büßen mit Recht. Nehmet den Vogel, Signor!
Gerne verehr’ ich ihn Euch. Laßt ihn Euch braten zum Abend
Und seid meiner gedenk, wenn er Euch leidlich behagt.
Hieher, Fido! – Er rückte den Hut und neigte sich lächelnd;
Dankbar lächelt’ ich auch. Und in die Waldung zurück
Schritt er, der Hund mit ihm. Ich blieb am Meere, die tote
Wachtel in Händen, und sprach: Trefflicher Onkel, du bist
Höflich und klug und ein Meister der Jagd und feiner Symbolik,
Doch in einem, verzeih, bist du und bleibst du ein Narr.



X

   Heut da kommt mir ein fremdes Gesicht aufs Zimmer. „Ich bin ein
Deutscher, verzeihn’s“. – Nun, dies scheint mir verzeihlich zu sein.
Nehmen Sie Platz, mein Teurer. In wieviel Tagen vernahm ich
Kein heimatliches Wort! – „Schauen’s, so ging mir es halt
Auch; drum bin ich so frei, als Deutscher – wenn Sie erlauben.“
Nehmen Sie Platz! Wie süß tönst du, mein mütterlich Deutsch!
All das welsche Gemunkel, zumal das Napoletanisch,
Süß wie die Feige, doch auch weichlich entartet wie sie.
Endlich wieder ein kräftiges Wort!
[336] Aber, Sie stehn noch immer? – „Verzeihn’s, ich komme direkte
Vom Vesuvio her, wo ich verwichene Nacht
Beim Einsiedler geschlafen. Der Sakrische! der Malefizkerl
Ließ sich zahlen. Zuletzt nahm ich noch Wanzen in Kauf.
Und nun mein’ ich, es sitzt mir im Rock ein Rest des Geziefers,
Und die Racker auch hier nisten sich ein in den Stuhl.
S a l v a  v e n i a, aber es ist halt säuisch im Süden;
Ich vor allen, ich bin sehr an das Propre gewöhnt,
Erst seit kurzem. Ich komme von Gräfenberg, und die Reise
Sollte die Nachkur sein.“ – Hm! ich begreife! ja ja!
Dann ist’s freilich ein anderes Ding. – „Ja, schauen’s, ich hatt’ ein
Magenleiden, und zehn Ärzte, die ersten in Wien,
Setzten mir zu. Was half’s? Da ging ich zuletzt zu dem Prießnitz,
Mitten im Winter; es war letzten Dezember ein Jahr.“ –
So! – „Ja wissen’s, ich fror wie ein richtiger Schneider. Es ist dort
Regel, man deckt in der Nacht nur mit dem Kotzen sich zu.
Solcher ist dünn nur und schmal. Ich kroch im Sommer und Winter,
Eh’ ich zu Prießnitz kam, unter die Federn zu Nacht.
Seine Gewohnheit hat doch ein jeglicher.“ – Wahr! zum Exempel
Ich, um die jetzige Zeit schöpf’ ich ein weniges Luft
Auf dem Balkon, sonst schlaf’ ich die Nacht nicht. (Freilich, die Stunde
War’s, wo ihren Balkon auch Mariuccia betrat,
Nur ein Haus von dem meinen getrennt. Streng hielt sie die Mutter
Tags am Webstuhl fest. Aber sie kam in der Nacht.
War’s auch immer zum Reden zu weit, zum Blicken zu dunkel,
Grüßte sie doch mit Gesang, winkte sie doch mit der Hand.)
„Gehn’s nur,“ bat mich der Wiener. „Die Tür ist offen so können’s
Mich von draußen verstehn. Also wo blieb ich? Ich fror,
Und so geb’ ich dem Hausknecht Geld, er soll mir ein Deckbett
Schaffen. Er schafft es, und ich schlafe die Nacht wie ein Dachs.
[337] Aber was wird mein Prießnitz tun? Was denken’s? Die Runde
Macht er und schaut, ob keins wider die Regel verstößt.
Nun, wie gesagt, ich schlief und ich ahnt’s nicht. Morgens – wie wird mir? –
Lieg’ ich – und klappre vor Frost – unter dem Kotzen allein.
Aber mein Hausknecht klärte mich auf! Der Schlingel! Er wußt’ es
Alles voraus, und doch steckt’ er das Geld in den Sack.
Nicht acht Tage, so war ich’s gewohnt. Jetzt sei mir ein Bette
Kalt wie es will, nur sei’s sauber, so ist mir es recht.
Sehr ein erfahrener Doktor, der Prießnitz!“ –  W i e  es der Werte,
O b  er es weiter bewies, frage mich keiner darum.
Denn jetzt trat sie heraus, ein Lämpchen in Händen, und hängt’ es
Über den Sims des Balkons. Schöner erschien sie als je.
Säße der lästige Mensch nur jetzt in der Tiefe des Kraters
Oder der Hölle, ein Wort rief’ ich hinüber zu ihr!
Doch da sitzt er und schwatzt. Das abscheuliche Deutsch! Wie wohl tut
Ein landüblicher Fluch, hinter den Zähnen gebrummt.
Still! jetzt öffnet sie wahrlich den Mund. Was aber bestürzt sie,
Daß sie auf einmal stumm blickt in die Türe zurück?
Gib ein Zeichen – was ist’s? Was siehst du? – Sie scheint sich zu fassen,
Nimmt das Lämpchen, und jetzt – ach, sie verschwindet im Haus.
Was ist plötzlich geschehn? – Da hör’ ich den ehrlichen Wiener
Zu mir treten. „Und Sie,“ sagt er, „was halten’s davon?“ –
Ich? – „Nun, stimmen’s mir bei?“ – Ja freilich! – „Sie halten die Stirn so;
Ein Kopfschmerzl?“ – Fürwahr, ‘s ist mir beklommen im Hirn. –
„Wissen’s, da tut nix besser, als frisch vom Brunnen ein Sturzbad:
Folgen Sie mir. Ich hab’s oft bei dem Prießnitz erprobt.“ –
Danke! Es bessert sich schon. Allein wahrhaftig, ein Sturzbad,
Das mir das Hirn abkühlt, täte schon lange mir not.



[338]

XI

Soll ich nun ganz mich entwöhnen des schönen Gesichts, das freundlich,
Schwesterlich kam und ging, immer zu trösten bereit?
Ach, wenn widriger Wind in Napoli hemmte die Barke,
Die von der Liebsten ein Blatt heut mir zu bringen versprach,
Und ich stand und im Weiten mit ungeduldigen Augen
Folgte vom offenen Dach jeglichem Segel im Meer,
Dann wohl über die Mauer die liebliche Stimme vernahm ich:
Seid Ihr traurig? Warum? Seht, es betrübt mich sogleich,
Wenn Ihr finster und stille den Kopf hängt. Lasset uns plaudern!
Ist das Leben doch süß; seid Ihr doch jung und geliebt. –
Und was hilft mir der Liebe Gewißheit? Haben ist alles;
Haben allein ist süß; Haben ist Jugend allein. –
Und sie tröstete mich mit dem kindischen Troste: So seid nur
Klug und geduldig. Ihr kehrt wieder und habt sie aufs neu’. –
Kann ich’s glauben? Und zweifle sogar am Gewissesten, daß ich
Einst sie besaß; mir scheint’s nun wie ein Trug, wie ein Traum. –
Unzufriedner! Und kommt nicht fleißig ein Briefchen und sagt Euch,
Daß dies alles sich erst kürzlich und wirklich begab? –
Sonst wohl kam’s, und da glaubt’ ich es leicht. Nun aber entbehr’ ich’s
Schon seit Tagen, und gleich drängt sich der Zweifel ans Herz. –
Ihr habt recht. Schwer ist es, vergangene Dinge zu glauben.
Grade die liebsten, sie sehn heut wie die fremdesten aus;
Jeder erfuhr’s, ich auch, und es braucht nicht Meilen dazwischen,
Daß unmöglich erscheint, was wir mit Augen gesehn.
Vor zwei Jahren einmal, im Sommer, ich war kaum sechzehn,
Faßt’ ein Fieber mich an, eisig und bang wie der Tod,
Und sie dachten, es sei mein Letztes; ich selber, ich dachte
Wenig. So lieg’ ich am Tag, schon für verloren, im Bett,
Gar einsam, denn die Mutter besorgte den Herd, und Pepina
War in Meta. Da kommt einer zur Kammer herein,
[339] Setzt sich neben das Bett und faßt mir die Hand und beschaut mich
Lang. So verworren ich war, dennoch erkannt’ ich ihn gleich
Und schwieg still. Um die Welt nicht hätt’ ich ein Wörtchen geredet.
Doch er sagte: Du bist krank, Mariuccia. Geduld!
Du wirst wieder genesen; ich fragte den Arzt; er versprach mir’s.
Halte das Herz nur still! – Aber er küßte mich auch
Und sprach weiter: Du sollst bald lachen und singen wie früher,
Und viel besser sogar. – Sehet, das sagt’ er und ging.
Von Stund an wie ein Wunder geschah mir’s, daß mich das Fieber
Ließ. Schon Tages darauf saß ich auf offenem Dach.
Doch mein Lachen und Singen – wo blieb’s? Jetzt, seh’ ich denselben,
Ist mir’s immer, es sei falsch und ich hätt’ es geträumt.
Mag’s denn sein, wie es will – was ist’s auch? Aber da schaut nur
Über das Meer. Kommt dort nicht von Neapel das Boot?
Ja, ich erkenne das Wimpel Luigis. Seid Ihr auch jetzt noch
Nicht zufrieden? – Ich wär’s, wäre der Brief mir gewiß,
Brächt’ er Erwünschtes, und hätt’ ich ihn schon. Noch trägt ihn die falsche
Welle. Verzeih! mich treibt’s selbst an den Hafen hinab.
Und sie nickte, die Freundin. Und kam ich zurück und erklomm dann
Jubelnd das Dach, sie stand droben und wartete mein –
Aber nun lest mir ein wenig zum Dank! – Ich tat es, so gut ich
Konnte; das sinnige Deutsch setzt’ ich in welsche Musik.
Und sie lauscht’ und wandte sich dann, schwermütig – Das ist nun
Schon seit Tagen vorbei. Freuden und Schmerzen allein
Muß ich tragen, seitdem ihr liebes Auge zum letzten
Mal mich grüßte bei Nacht und mir so plötzlich entschwand.
Jetzt belagert das Dach hartnäckig die garstige Hexe
Angiolina. Sie tut freilich geschäftig genug.
Bald muß Fiffi heran, da badet und kämmt sie den Armen,
Oder sie nimmt ein Buch, das sie zum Scheine studiert.
[340] Ach, und leider verdunkelt Gewölk am Tage den Himmel,
Kein willkommener Strahl scheucht mir die Neidische fort.
Mir ist doppelt die Sonne versteckt. Ich frage Luisa,
Aber sie weiß nicht Rat, denn sie entzieht sich auch ihr.
Drüben wimmelt das Haus von groß’ und kleinen Spionen;
Hier guckt einer und dort plötzlich ein anderer vor,
Schielt nach mir und verschwindet. Was ist’s nur? Bin ich so sehr denn
Staatsgefährlich? Und was, denken sie, führt’ ich im Schild?
Ich, als merkt’ ich es nicht, gleichgültig in Händen den alten
Vater Homer, vom Altan halt’ ich die Späher in Schach.
Immer das nämliche les’ ich, und nicht nur, weil ich zerstreut bin:
Weil mit neuer Gewalt immer das eine mich rührt.
Wenige Zeilen – sie fassen ein Schicksal. Bei den Phäaken
Weilet Odysseus noch. Aber er sehnt sich nach Haus.
Und so steigt er hinab in den Saal zu den harrenden Fürsten
Aus dem behaglichen Bad. Und an der Schwelle der Tür
Tritt Nausikaa leise zu ihm, in göttlicher Anmut,
Grüßt und bittet: Du gehst, aber versprich mir, daheim
Mein nicht ganz zu vergessen, die gern den Gestrandeten aufnahm.
Und mit herzlichem Wort redet der Dulder zu ihr:
O Nausikaa, Tochter des edlen Alkinoos, gönne
Mir so sicher die Fahrt Zeus an den heimischen Strand,
Als ich deiner auch dort, wie der Himmlischen einer, gedenk bin
Jeglichen Tag, denn du, Liebliche, hast mich erquickt!



XII

Kommt, schon wartet der Wagen am Haus! – Wie soll ich mich trennen?
Gestern – ein Leichtsinn war’s, daß ich es ernstlich beschloß.
Heut – wie am Fenster die Spinne sich anwebt, häng’ ich mit tausend
Fäden im eigenen Netz fest an die Stätte geknüpft.
Lieber Vesuv, wir sehn uns drüben in Napoli wieder,
Aber ein anderer dann bist du – ein anderer ich.
Ruhiges Meer, auch du – nicht mehr in der Glorie schwimmst du
Hinter Olivengesträuch, sondern in schmählicher Fron
[341] Zahllos ankernder Schiffe getrübt die gediegene Klarheit;
Statt des Orangengedüfts dampft an der Reede der Teer.
Und du, innige Stille der Luft, von Stimmen der Liebe
Zärtlich gebrochen, im Lärm Napolis schmacht’ ich nach dir.
Stürzt, mitleidige Tränen! Verfinstert den Blick und entreißt ihm
Näh’ und Weite; er soll jetzt sich bescheiden, er muß.
Bist du hier, o Luisa? Geleite mich! Sinnen- und fühllos
Geh’ ich. Weinest du auch, Mädchen, und bleibst in Sorrent?
Nein, ich fahre mit Euch, bis Castellamare; die Mutter
Auch, Francesco und wen sonst die Karosse noch faßt.
Sonntag ist es, so haben wir Zeit. Als wärt Ihr ein Bruder,
Will Euch jedes im Haus wohl, und das wisset Ihr auch. –
O ihr Guten! – Wir gingen, vorbei dem Altan; ich gewann’s nicht
Über das trauernde Herz, droben noch einmal zu stehn.
Und wir fanden die Mutter im Sonntagsputze, die Schwestern
Und Francesco im Flur. Aber sie schmückten mich erst
Wie ein Opfer mit Blumen und steckten mir dunkler Orangen
Zwei in die Hand. Mit Not wehrt’ ich ein Dutzend mir ab.
Ach, und am Haustor harrte die leidige Kutsche. Vergnügt saß
Ferdinando bereits neben dem Kutscher mit Stolz.
Jetzt wir anderen hurtig hinein, sechs Große, dazwischen
Zwei von den Kleinen; am Bock hing sich ein drittes mit an.
Freundliche Nachbarn kamen, die Hand mir reichend zum Abschied,
Hoben die Kinder hinein, daß ich sie herzte wie sonst,
Und fort stob das beladne Gefährt. Indessen an eins nur
Dacht’ ich: Und du nur bleibst, du, Mariuccia, zurück?
Nicht am Fenster erschien sie. Es hing kaltsinnig der Vorhang,
Und kein Fältchen verschob, winkend und scheidend, die Hand.
Sei’s! So will ich auch dies ausstreichen in mir, in die Zukunft
Blicken und hoffen. Ein Gott nehme des andern sich an!
Siehe, der Tag ist heiß. Kaum blieb im Rücken die Ebne,
Und den gewundenen Weg schnaufen die Gäule hinan,
Breit in den Felsen gebaut, der steil in die Wogen hinabsteigt,
Als uns alle befällt Plage der goldenen Glut.
Nun entfalten wir eilig den Schirm, nun ducken sich alle
Unter das Dach, das rot lachende Wangen bescheint.
[342] Jedes in Sonntagslaune und tut sein Bestes mit Schwatzen;
Nur die Luisa blickt schweigend hinaus auf das Meer.
Ich, am Rande des Schlags, mir zwischen den Knieen das jüngste
Mädchen, von allen befragt, stand ein Erhebliches aus.
Niemals machte zuvor Bosheit so heiß mir die Hölle,
Wie ich im biederen Kreis dieser Verehrten geschwitzt.
Aber sobald um den Felsen die Fahrt bog oder ein Garten
Schatten verstreute, sogleich tauchten wir wieder hervor,
Zeigten einander den wechselnden Schmuck der gesegneten Ufer,
Oder das leuchtende Meer tief an dem gelben Gestein.
Und es erzählte die Mutter: Dereinst – sie säugte das erste
Kind – stieg plötzlich das Öl über die Maßen im Preis.
Und da sagt’ ihr Bippo einmal: Frau, wenn wir ein eignes
Gärtchen besäßen, es wär’ heuer ein braves Geschäft.
Aber, woher soll’s kommen? – Darauf, sie bewahrte die Worte
Still im Herzen, beschlief’s ein’ und die andere Nacht;
Endlich da war es gefunden: sie tat ihr alles an Ringen,
Spangen und Ohrengehäng, so sie getragen als Braut,
Auch von der seligen Ahne das Schaustück fein in ein Kästchen,
Ferner die Kette: sie ging zehnmal bequem um den Hals.
All das trug sie dem Goldschmied hin, der tauscht’ es für blankes
Silber; sie bracht’ es dem Mann, welcher sie staunend befrug,
Schalt und belobte zuletzt, und sie kauften den Ölbaumgarten,
Und er gedieh. Niemals hat sie der Handel gereut.
Seht, was hatt’ ich den Schmuck auch not? Ich hatte die Kinder,
Hatte den Mann, und blieb immer von Festen zurück. –
Doch du sagtest darauf, Francesco, Diener der Kirchen:
Mutter, ich war unlängst drüben im Garten und sah
Unsere heurige Ernte. Fürwahr, mich dünket es gottlos,
Wie zusehends das Kreuz dort an der Mauer verfällt.
Denket, am Heiland gar ist völlig die Farbe verwaschen,
Und doch wirket der Herr Segen in jeglichem Herbst.
Was dünkt Euch? Wir wenden die paar Karlin an den Tüncher,
Daß er das Bild auffrischt. Aber die treffliche Frau
Nickt’ und sprach: So soll es geschehn, Francesco. Es ist dies
Deines Amtes. Du weißt, was für den Himmel sich schickt.
Also plauderten sie; nur als von ferne das weiße
Castellamare sich zeigt, wurden wir stiller und still.
Jetzt in den Bahnhof lenkt das Gefährt, jetzt spring’ ich hinunter,
Hebe die Mutter heraus, reiche den Mädchen die Hand.
[343] Und wir standen und schwiegen. Wie viel will scheidend gesagt sein,
Und wie weniges doch sagt man einander zuletzt.
Aber ich zog Luisen beiseit. Grüß mir Mariuccia;
Grüß und sage, wie sehr ich sie am Fenster vermißt. –
Wißt, sprach leise das Mädchen, zuvor nicht mocht’ ich es sagen
Wegen der andern. Ich sprach heut in der Messe mit ihr,
Und ich gab ihr das seidene Band. Sie sagte: Der Herrgott
Weiß, wie gern ich ihm selbst dankte, so gut wie er ist.
Doch – was sagst du, Luisa? – der Carlo, sagt sie (der Onkel
Angiolinens, versteht!) kam zu der Mamma und warb.
Wenige Tag’ ist’s her, und es war schon finster. Ich stand noch
Auf dem Balkon. Da klopft’s innen, da tritt er herein,
Sagt’s mit wenigen Worten, um was er komme. Die Mutter
Weinte vor Freuden, und ich – siehe, Luisa, der Tod
Kann mir das Herz nicht stärker als diese Wonne beklemmen,
Als er die Hand mir dann gab wie in früherer Zeit.
Aber du mußt noch schweigen; er will nicht, daß es herumkommt,
Sagt sie. Ich hätt’ auch dir nicht das Geringste vertraut.
Doch er nahm mir im Ernste das Wort ab, nimmer den Fremden
Wiederzusehn; ich gab’s, sagt sie, und mußt’ ich es nicht?
Nicht aus Laune geschieht’s das sag ihm. Weißt du, er war mir
Freundlich und ich ihm hold, wie es für Nachbarn geziemt.
Vielmals grüß’ ich ihn aber und Margherita, und beiden
Bringe die Hand von mir. Nehmt sie, und meine dazu! –
Und frohlockend ergriff ich die Hand. Glückselige Botschaft!
Rief ich. So ist nun hier alles geschlichtet und gut.
Laß dich küssen, Luisa! – Und Euer Gelübde? – Die Heil’gen
Wissen, mit reinerem Sinn wurde noch keines verletzt.
Grüße sie wieder zu tausendmal, und hör, auch den Onkel! –
Und wir schieden. Dahin fuhr ich im brausenden Zug.
Sei, holdseliges Mädchen, so rief ich, sei mir gesegnet,
Die mir den Abschied auch, die mir die Träne versüßt!
Segne das Glück dir Garten und Haus und am Hause die Reben,
Segne das Kind, das holdlachend im Schoße du wiegst;
Und im Glück – o gedenke des Freunds, der nicht dir es neidet,
Führt ihn dem eigenen auch zögernd ein Gott in den Arm!



[378]

Frühling am Gardasee

Und so seh’ ich doch dich wieder,
Mein Italien, teures Land! –
Vincenzo Monti

Vision

Durch mein Fenster, wenn ich kaum die Augen
Aufgeschlagen, von der Küste drüben
Grüßt mich schon die junge Morgenröte,
Droht mir lächelnd mit dem Rosenfinger,
Daß ich faul mich noch im Bette dehne,
Da sie selbst so pünktlich aufgestanden.
Holde Göttin! ruf’ ich, hier an deinem
Schönen See in Ferienlaune weil’ ich,
Aller Arbeit ledig, als nur etwa
Einen Brief zu schreiben in die Heimat,
Oder lieber noch ein Cartolinchen.
Gönne mir’s, auf meinem Lotterbettlein
Noch ein Weilchen dämmernd hinzuträumen,
Bis die strenge Herrin dir, die Sonne,
Folgt, die abhold allem Müßiggange.
Zeit dann wird es sein, mich aufzuraffen.

Und die Göttin hört’s und scheint’s zufrieden.

Aber heut, da wieder mit verstohlnem
Kuß auf meine Augen sie mich, weckte,
Wen erblick’ ich ihr zur Seite schwebend?
Ist’s ein Nebelspuk, dem See entstiegen?
Nein, ein Frauenbild, in duft’ge Schleier
Eingehüllt; und jetzt empor sich schwingend,
Langsam, wie ein Schwan zum Äther aufstrebt,
Dann sich wieder senkend, steten Fluges
Mir entgegen strebt sie. Ja, nun kenn’ ich
Dich, geliebtes Antlitz meiner Muse,
Die geheimnisvollen Götteraugen,
Die mit ernster Frage jetzt mich anglühn.

Ist’s bedauernd, ist’s mit leisem Vorwurf?
Doch alsbald mit beiden Lilienarmen
[379] Winkend, wie man einen Säumigen antreibt,
Nachzufolgen, in die obern Lüfte
Schießt sie wie ein Sternbild und verschwindet.

Und ich starr’ ihr nach. O hehre Göttin,
Ruf’ ich, Freundin du der Morgenröte,
Dank dir, daß du kamst, mich zu beschämen!
Und nun will ich rüstig mich ermannen,
Deiner Spur zu folgen. Aber wirst du,
Wenn ich schweifend im Olivenwäldchen,
Oder dort am Seegestad dich suche,
Wie ein Liebender der Liebsten nachgeht,
Gern dich finden lassen, deinem Treuen
Helle Lieder in die Seele hauchend,
Süßmelodische, wie du in den Tagen
Unsrer jungen Liebe sie mir gönntest?



Vorfrühling

Sieh, die Kastanien – noch nicht entfalten
Sie ihre Knospen, harzig gebräunt.
Den weißen Schneehut hat aufbehalten
Der Monte Baldo, mein alter Freund.

Der schöne Frühling kommt zögernd heuer;
So warm der Mittag, die Nacht ist rauh.
Auch im Kamin ist ein kleines Feuer
Noch sehr willkommen der lieben Frau.

Jungfräulich herbe sind noch die Lüfte,
Noch hat kein Vogel sein Nest gebaut,
Doch von der Halde wehn Veilchendüfte,
Süß wie der Atem der jungen Braut.

Wer weiß, wie bald uns der Lenz beschieden,
Des holde Nähe sich schon verriet.
Ich fand heut früh an des Märzen Iden
Schon Pfirsichblüten und dieses Lied.



[380]

Salò

Straßen, arm an Sonnenschein,
Kieselpflaster, spitz und klein,
In der kellerkühlen Luft
Käse-, Öl- Limonenduft,
Trockner Fisch, Johannisbrot
Und was sonst zum Schmausen not,
An den Fenstern junge Fraun,
Die aus schwarzen Augen schaun,
Kinder mit zerzaustem Haar,
Dem kein Kamm gefährlich war,
Dunkle Läden, vor der Tür
Fleißig Handwerk für und für,
Draußen überm blauen See
Möwen kreischend in der Höh,
Fern im goldnen Sonnenstrahl
Greises Berghaupt, weiß und kahl,
An dem Hafen dichtgereiht
Kleine Barken, fahrtbereit,
Aus der Ferne dann und wann
Schrillt des Dampfers Pfiff heran,
Männer, im Café zuhauf,
Blicken von der Zeitung auf,
Ihres süßen Nichtstuns froh – –
„Wenn ich solche Worte singe,
Braucht es dann noch großer Dinge,
Dich zu preisen“, mein Salò?



[381]

Toscolano

Ja, das sind die alten Gassen,
Mauerschluchten, schauerkühl,
Wie ich damals dich verlassen,
Mein gesegnet Herbstasyl!

[382] Über jener dunklen Türe,
Die sich gastlich mir erschloß,
Hängt verwittert noch das früh’re
Herbergsschild, das „weiße Roß“.

Kahl und düster war mein Zimmer,
Doch das Bette breit und rein;
Eßbar wohl die Kost nicht immer,
Aber trinkbar stets der Wein.

Und wie herrlich all die Pfade
Bei dem Kirchlein steil hinab,
Wo am blauen Seegestade
Mir der Ölwald Schatten gab!

Steil hinauf zu den Zypressen
Um Gainos Klösterlein,
Wo ich saß und weltvergessen
Träumte weit ins Land hinein.

Wenn die Sonne dann versank, o
Wie beglückt ich heimwärts ging,
Wo mich im cavallo bianco
Mein frugales Mahl empfing!

Bracht’ ich doch im Skizzenbuche
Manches Landschäftchen mit heim,
Sehr bescheidne Pfuschversuche
Und dazwischen manchen Reim.

Dann mit meinem Wirt vertraulich
Schwatzt’ ich noch im Gärtchen lang,
Wenn die Nachtluft weich und laulich
Überm See die Flügel schwang.

Liebste, und es nimmt dich wunder,
Daß ich gern hier blieb zu Gast,
Da mir all der eitle Plunder
Der Kulturwelt tief verhaßt?

[383] Ihre Fratze stört mich minder
Hier am Busen der Natur,
Unter Menschen, die wie Kinder
Harmlos gehn auf ihrer Spur.

Etwas Einsamkeit und Stille,
Etwas Schönheit ringsumher,
Traum und Zauber der Idylle –
Was bedarf ein Dichter mehr?

Da ich all dies hier besessen,
Dünkt mich wie ein Zauberschloß
Trotz dem mangelhaften Essen
Toscolanos „Weißes Roß“.



[384]

In der Barke

Zwei fröhliche Leutchen,
Nicht lang noch vermählt.
Er hat sich zum Bräutchen
Die Schönste gewählt.

Ihr sonniger Nachen
Die Wellen durchfliegt.
Die Augen ihr lachen,
Dicht an ihn geschmiegt.

Mit schwellendem Segel
Den gleitenden Kahn
Umflattern die Vögel
Auf leuchtender Bahn.

Sie wirft, um zu locken
Die gierige Brut,
Weißschimmernde Brocken
Hinaus in die Flut.

Das Herzchen, von reiner
Glückseligkeit voll,
Verlangt, daß nicht einer
Leer ausgehn soll.

[385] Und wie sie sich zanken
Und tauchen zum Grund,
Von süßen Gedanken
Verklärt sich ihr Mund.

Sie flüstert so munter
Zum Liebsten empor.
Der beugt sich hinunter
Und küßt ihr das Ohr.

Der Alte, der Ferge
Mit braunem Gesicht,
Blickt still in die Berge,
Als merkt’ er es nicht.

Er denkt wohl: O blieben
Sie lang in Salò!
Wie macht junges Lieben
So königlich froh.

Vor Kosen und Küssen
Er wünscht nicht einmal
Die Taxe zu wissen,
Der junge Gemahl.

Mir kommt es gelegen;
Denn landen wir an,
Wie Könige pflegen,
Bezahlt er mich dann.



[386]

San Guiseppe

Warum so festliches Geläut?
Wem gilt der frohe Lärm? Ja so!
Sie feiern San Guiseppe heut
In allen Kirchen von Salò.

Man dankt es ihm, daß er nicht fern
Und schmollend bei der Krippe stand,
Als überm dürft’gen Stall der Stern
Den Kön’gen winkt aus Morgenland.

[387] Nährvater sein dem Gottessohn –
Die Ehr’ und Mühe war nicht klein,
Und er empfing als Himmelslohn
Den wohlverdienten Heil’genschein.

Drum macht er auch an seinem Fest
Zumal bei jungen Frauen Glück,
Und selbst im allerkleinsten Nest
Bleibt keine von der Kirch’ zurück.

Zudem, in Welschland Sitte war’s
Von je: geht einer ein und aus
Als Hausfreund eines Ehepaars,
Beschenkt er heut die Frau vom Haus.

Naive Theologen sind
Des Südens Kinder allzumal.
Auf der Mysterien Deutung sinnt
Ihr kecker Geist gar sehr real.

Und scheint, was sich hier unten schickt,
Uns Nordischen manchmal Blasphemie,
Die gute Mutter Kirche drückt
Eine Auge zu und duldet sie.



[388]

Lebensgeheimnis

Und sie fragen, was mich jung erhält,
Da ich lang’ schon wandre durch die Welt,
Und sie staunen, daß noch nicht sich satt
Meine Seel’ am Licht getrunken hat!

Fangt nur auch, so wie ich stets getan,
Jedes Frührot neu zu leben an,
Jedes Tags alltäglichen Gewinn
Als ein neues Wunder nehmt ihn hin!

Ist’s der Jugend holdes Vorrecht doch:
Alles Leben überrascht sie noch.
Unerschöpft im Brunnenschacht der Brust
Sprudeln Quellen ihr der Lebenslust.

Ein Geheimnis dünkt ihr jedes Ding,
Märchenhaft, im weiten Weltenring.
Noch verhüllt ihr eines Zaubers Duft
Den erbarmungslosen Spuk der Gruft.

Noch umfangen zukunftslos vom Heut,
Rafft sie an sich, was die Stunde beut,
Und doch hebt sie überm Wust das Haupt,
Da sie schwärmend noch an Ew’ges glaubt.

Oft betrogen immer neu vertraun,
Freudig auf den Sieg der Wahrheit baun,
Als ein arglos frommes Kind der Welt –
Und sie fragen, was mich jung erhält!



[389]

Nur ein Laie

Heut traf ich einen Gelehrten an,
Schien mir soweit kein übler Mann,
Ein Professor der Universität,
Allwo er hoch in Ehren steht,
Chemie und auch Physik doziert
Und fleißig experimentiert.
Und da im Laboratorium
Die Schüler lauschen in Ehrfurcht stumm,
Nistet’ Allwissenheitsbewußtsein
Sich allgemach in seine Brust ein,
Und heiter sprach er fort und fort
Über all und jedes das letzte Wort.

Nun kam die Rede natürlich auch
Hier in Italien auf Sitt’ und Brauch
Des Volks, sein Wesen und seinen Sinn,
Und unter anderm warf ich hin:
Versagt wohl sei ihm manche Gabe,
Die hohen Preis im Norden habe,
Doch was von jeher mir gefiel
An diesen Menschen: sie haben Stil.
Der Professor zog die Brauen hinauf:
Wie meinen Sie das?

Und ich darauf:
Stil hat, was mit ureigner Kraft
Die rechte Form seinem Wesen schafft,
Von innen her gestaltet wird,
Durch keinen fremden Zwang beirrt
Der Bildung oder Konvention.
So lebt hier jeder Muttersohn
Aus hohem oder niederm Haus
Sich unverlegen harmlos aus
Und läßt im Guten wie im Schlimmen
Nur vom Naturtrieb sich bestimmen.
Und da das südlich heiße Blut
In Lieb’ und Haß, in Scherz und Wut
Die Adern ihnen höher schwellt,
Als Kindern einer kühlern Welt,
[390] Ergeht sich auch in Ernst und Spiel
Ihr Tun und Reden in größerm Stil,
In Formen, die sich trefflich schicken,
Poeten und Maler zu entzücken.

Und er darauf: Der Form entspricht
Nur leider oft der Inhalt nicht.
Man sieht’s an jeder hohlen Blase.
Hier in Italien herrscht die Phrase.
(Woher erfuhr’s der große Mann?
Kam gestern erst hier bei uns an.)
Doch wer da pflegt in allen Fällen
Zunächst die Fakta festzustellen,
Wie mir’s Bedürfnis wurde, kraft
Meiner exakten Wissenschaft,
Der findet in dieses Volks Natur
Von höherem Inhalt keine Spur,
Der auch zu höherer Form berechtigt.
Auch ihre Kunst ist mir verdächtig,
Und ich behaupte frank und frei,
‘s ist wenig Woll’ und viel Geschrei.
Selbst die sistinische Madonne,
Die aller Kunstbeflissnen Wonne,
Hat mich enttäuscht, muß ich gestehn.
Ich hab’ genau sie angesehn.
Nun ja, ein artiges Gesicht,
Doch Göttliches entdeckt’ ich nicht,
Nichts von dem überirdischen Geist,
Den man so enthusiastisch preist.
Ich kann’s nicht anders definieren:
Die Mutter und das Kind  p o s i e r e n.
Ja, dieser Raffael überhaupt,
An den die Welt kritiklos glaubt!
Er wird von der Ästhetik jetzt
Doch gar zu töricht überschätzt.
Ich hasse jeden Aberglauben,
Auch in der Kunst, und sprech’ ich hier
Als Laie nur, ich lasse mir
Gleichwohl mein gutes Recht nicht rauben,
Zu sagen, wie ein Ding mir scheint,
[391] Und ob sich alle Welt vereint,
So oder so es anzuschauen:
Ich kann nur  m e i n e n  Augen trauen. –

Nach diesem letzten stolzen Trumpf
Genoß er lächelnd den Triumph,
Daß niemand der Madonna wegen
Wagt’ eine Lanze einzulegen.
Ich aber sprach: Sie haben recht!
Es lebt im heutigen Geschlecht
Zuviel Respekt noch vor der Phrase.
Ein jeder folge seiner Nase!
Und wenn ein kühner Geist, wie Sie,
Dem Gott gesunde Sinne lieh,
An Raffael nichts finden kann,
So sag er’s dreist. Selbst ist der Mann,
Auch wenn er fremd Gebiet durchstreift.
Man gleicht dem Geist, den man begreift,
Und lehrreich ist’s, wenn man von Laien
Erfährt, wes Geistes Kind sie seien.



[395]

Sermione

„Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln
Mein Augenstern, so viel’ in klaren Landseen
Und Meeresweite rings der Wassergott hütet,
Wie froh erblick’ ich, wie zufrieden dich wieder!“
Und wem, im Frühling landend an Catulls Eiland,
Entschlüpfte nicht gleich ihm ein Wonnestoßseufzer,
Darf er auch nicht wie er „im eignen Bett ausruhn“!
Wie lieblich, hier im lichtgepflanzten Ölwalde
Hinwandeln, oder unter schattigen Laubkronen
Des dunklen Lorbeers sich behaglich hinstrecken,
Von Anemonen rings umblüht und Würzkräutern!
Wie schön, durch Trümmer hochgewölbter Torbogen,
Durch die der See heraufglänzt in Smaragdbläue,
Hinüberschaun zu schneebedeckten Berghäuptern,
Die kahle Stirnen baden in Aprilsonne!
Nur die Zikade singt ihr schrilles Volksliedchen
Im Gras verborgen, sonst kein Laut, als einlullend
Des großen Pans eintönig tiefe Schnarchtöne.
Hier mochte wohl der Dichter friedlich ausrasten
Vom Fieber Roms und zweifelhaften Liebschaften
Und seiner Lesbia Wankelmut und Untreue.
Doch diese Villa, ungeheuren Umfanges,
Mit Hallen, Bädern, Pfeilern, des August würdig,
Die hättest du, Poete, dir erbaun lassen,
Der, nicht an Gunst der Großen dem Horaz ähnlich,
Den Freund Fabullus du zu Tisch dir einludest,
Ein köstlich Mahl verheißend, wenn er selbst nämlich
Das Essen und den Wein dazu sich mitbrächte,
Indem dein Beutel nur gefüllt mit Spinnweben?
Man weiß, wie damals Publikum und Buchhändler
[396] Ein Bändchen Lyrik schlechter noch als heut zahlten,
Und du zumal warst nimmer ein Erfolgjäger.
Nein, hier an deiner Lieblingsinsel Nordspitze
Besaßest du vielleicht ein schlichtes Landhäuschen,
Im Erdgeschoß zwei Zimmer oder drei höchstens,
Und eine Loggia mit den schönsten Ausblicken,
Und stiegst zum Bad hinunter in die Seefluten,
Die von den Gliedern wie vom Geist die Gluthitze
Der Weltstadt Rom samt ihrem Ehrgeiz abspülten.
Doch was an Wohllaut dir die Welle zurauschte,
An reinem Balsam dir Natur ins Blut flößte,
Um das beneiden konnte dich dein Nachfolger,
Der niederriß dein Häuschen und die Prachtbauten
Mit hundert Sklaven prahlerisch hier aufführte
Und ärmer blieb inmitten seiner Wollüste,
Als du, trotz deines Beutels voller Spinnweben.



Abschied

Zum letztenmal
Meinen Lieblingspfad
Am Bergesabhang
Durch Rebengärten,
Wo zartverschränktes Olivenlaub
Unter den dunklen Lorbeerwipfeln
Freundlichen Schatten streut,
Wandl’ ich dahin.

Still ist die Luft.
Nur ein lichtes Wölkchen
Steht regungslos
Drüben auf der weißen Stirn
Des greisen Monte Baldo,
Und die kleinen Städtchen, gelagert
Zu Füßen des Alten
Wie artige Kinder,
Torri und Garda
Mit San Vigilios Kap
Und südlicher Bardolino
Schimmern mit blanken Häuschen
[397] Über der purpurnen Bläue des Sees
Den nicht ein Windhauch kräuselt.

Wonniger Frieden weitum.
Still atmet die Natur
Der Nacht entgegen,
Und drüben im Äther hängt
Die Mondenscheibe,
Eine Silberflocke,
Wie eine Blüte des Frühlingshimmels.

Dort aber das Haus,
Zu dem ich oft den Schritt gelenkt –
Vor dem niederen Eingang
Auf verwitterter Treppenstufe
Die spielenden Knäbchen
Verstummen, da sie mich sehn,
Das Hündchen belfert mich an,
Das magre, scharrende Hühnervolk
Stiebt auseinander,
Nur die Kaninchen fahren
Sorglos fort, die Kräuter zu rupfen
Im hohen Gras.
Und jetzt die junge Herrin der Hütte.
Der zweite Knabe
Hat die blauen Augen der Mutter,
Der ältre des Vaters Augen –
Occhi furbi.
Der mag wohl sitzen
Heut am Sonntag
In der Schenke drunten,
Über deren Tür man liest:
Al tempo perduto.

Lächelnd bietet das junge Weib
Mir guten Abend
Und steht, indem ich raste,
Vor mir, und wir plaudern
Von ihrem mühsamen Tagwerk,
Ihrer Kindersorge,
[398] Die selten nur ihr erlaubt
Den Gang zur Messe.
Die höre der Mann statt ihrer.
Brav sei er und fleißig
Und halte sie gut.

Und das junge Gesicht
Von zarter Blässe,
Indem die Augen
Ruhn auf den Kleinen,
Strahlt von geheimem Stolz und Glück,
Wie jener Römerin,
Die ihre Kinder der Freundin zeigte
Als ihren Schatz an Kleinoden.

– Und da in der Schürze, Frau,
Was tragt Ihr her aus dem Gärtchen?
– Eine Handvoll Salat,
Heut abend zur Polenta.
Siam poveri!

O reiche Armut!
Erhalte sie dir ein gnädig Geschick
Und schütze deine Reben
Vor Hagelsturm
Und böser Krankheit
Und diese Kinderhäupter
Vor argen Gedanken,
Daß, wenn ich wiederkehre
Zu dieser Stätte,
Ich unversehrt noch finde
Deinen reichen Besitz
Am Köstlichsten der Welt:
Ein Haus voll Liebe,
Lebensgenüg’ und Frieden!



[399]

Ein Wintertagebuch

(Gardone 1901 – 1902)

 

Ankunft

15. Nov. 1901

Nun seid gegrüßt mir, Land und See und hoch am Berg du altes Nest,
Ihr Vignen, längst nicht mehr geschmückt mit rothem Herbstlaub wie zum Fest,
Olivenhalden, Lorbeerweg, du Bach, der wild zu Tale schießt,
Und ihr zumal am Seegestad, mein Haus und Garten, seid gegrüßt!

Ich find euch nach der Sommerglut noch frisch und grün am alten Fleck.
Die Erd’ hat in Salò gebebt, ihr kamt davon mit bloßem Schreck,
Und dir, o mein Villino, wuchs inzwischen noch ein Flügel an,
So daß ich mich zum Winterschlaf in dir bequemer strecken kann.

Und diesen stört auch selten nur von draußen ein lebend’ger Klang,
Gedämpft ertönt das Glockenspiel zu mir herab vom Bergeshang,
Vom See nur eines Dampfers Pfiff, ein Eselchen schreit dann und wann,
Und alle Stücke kenn’ ich längst, die drunten spielt der Orgelmann.

Und wenn am Haus die Glocke tönt, sie meldet lahme Bettler nur;
Ein Nachbar, der zu plaudern kommt, tritt selten ein in meinen Flur.
[400] Es lockt uns kein Konzert hinaus, ein Schauspiel bietet nur der See,
Und Langweil hüllt uns dichter ein, als hoch im Norden Eis und Schnee.

Ein hochverehrlicher Kurvorstand sorgt eifrig und gewissenhaft,
Daß ja nur keine Lustbarkeit den Wintergästen Fieber schafft,
Daß Keinem, der zu sterben kam, hier, wo ihm letzte Frist gewährt,
Der Abschied von der schönen Welt durch Lebensfreuden werd’ erschwert.

Doch da’s einmal nicht anders ist, so füg’ ich mich gefaßt darein,
Die Welt zu meiden winterlang, um länger auf der Welt zu sein.
Und überdies – ein Winterschlaf hier unter Palmen – in der Tat,
Ich finde, daß trotz alledem er seine stillen Reize hat.

Sagt Hamlet doch: „Was uns im Schlaf für Träume kommen, ja, da liegt’s!“
Wohl Manches, was mir hier geträumt, nicht mit dem Morgenrot verfliegt’s.
Einstweilen sei’s im Tagebuch hier zwanglos zu Papier gebracht,
Und somit, halb im Traume schon, wünsch’ ich mir selber gute Nacht!



Andere Zeiten

In einem alten Buch fand ich beschrieben,
Wie’s fürstlich hohe Herrn und edle Damen
Vor Zeiten hier an der Riviera trieben.

Historien, bunt und wild, mit wundersamen
Kriegsläuften, Mordgeschichten, und in ihnen
Stets klangvoll hocherlauchte welsche Namen,

[401] Visconti und Gonzaga, Ghibellinen
Und Guelfen, die die kleinen Städte zwangen,
Abwechselnd dem und jenem Herrn zu dienen.

Fast siebenhundert Jahre sind vergangen,
Seit Donna Margherita nach Gardone
Mit ihrem Fra Dolcino durchgegangen,

Dem Albigensermönch, da nach Sermione
Sich seine Glaubensbrüder hingeflüchtet,
Bis sich aufs Haupt gesetzt die Herrscherkrone

Mastino della Scala, der errichtet
Das mächtige Kastell, so fest und groß,
Daß es so bald kein Sturm der Zeit vernichtet.

Beatrix della Scala, Bernabò’s
Gemahl, erhielt von ihm als Morgengabe
Die reiche Flur Maderno’s und Salò’s.

Und sie verfügte: nicht zu herrschen habe
Ob der Riviera, wie bisher, Maderno;
Sich beugen sollt’s des Nachbarn Richterstabe.

Darob ein Kampf entbrannt’ um das governo,
Höchst blutig, und die Küste, die bisher
Ein Paradies war, wurde zum Inferno;

Und wie im Lauf des Cinquecento dies
Umstrittene Gebiet, das vielbegehrte,
Der Meeresbraut Vasallenpflicht erwies,

Dann an Verona kam und wieder kehrte
Unter des Dogen Schutz und heftig dort
Sich gegen Brescia’s Oberhoheit wehrte.

So wallt’ und wogt’ im Zeitenstrome fort
Kampf, Eifersucht und Unheil, bis am Ende
Die Wut gelinder ward. Am selben Ort,

[402] Wo einst gelodert wilde Kriegesbrände,
Schien brennende Genußsucht nur zu walten,
Gelenkt vom Szepter weißer Frauenhände.

Ein Bankettieren, Tanzen, Festehalten,
In goldenen Karossen Tag und Nacht
Lustfahrten, daß die Ufer wiederhallten.

In allen Schlössern zügellose Pracht,
Ein Lotterleben, stets frivol und heiter,
Bis ihm die strenge Zeit ein Ende macht.

Dann Bonaparte’s sieggewohnte Streiter,
Dann Garibaldi’s heldenhafter Zug,
Der Tag von San Martino – und so weiter!

Mich dünkt fürwahr, an diesem sei’s genug
Zum Zeugnis, daß der Boden, den wir treten,
Die Spur schon größerer Geschicke trug.

Heut geht’s in der Riviera kleinen Städten
So still zu, wie die Luft an dieser Küste
In allen Vignen rings und Oliveten.

Nichts, was an alte Zeit dich mahnen müßte.
Statt glatter welscher rauhe deutsche Namen,
Anstatt der Chronik eine Fremdenliste.

Hüstelnde alte Herrn, nervöse Damen,
Vorsorglich dicht sich hüllend in den Pelz,
Da sie in einen „Winterkurort“ kamen.

Zu ringen um die Herrschaft – heute fällt’s
Maderno und Salò nicht ein. Es machen
Den Rang sich streitig höchstens die Hôtels.

Nicht in Maderno’s „Palazzino“ krachen
Champagnersalven, keine Lauten klingen,
Kein Tanz, kein Spiel, noch andre schöne Sachen.

[403] Und statt der Ritter, die aufs Roß sich schwingen
Mit holden Frau’n, aus Furcht, sich zu entadeln,
Wenn sie gutbürgerlich zu Fuße gingen,

Sieht du die feine Welt – vorüberradeln.



Ersatz

12. Dez.

Nun auf winterlicher Flur
Sind die Blumen all verschwunden.
Bleiche Weihnachtsrosen nur
Hab’ ich in der Schlucht gefunden.

Doch die wilde Myrte sprießt
Immergrün an Weg und Stegen,
Und aus Lorbeerbüschen fließt
Kräft’ger Würzduft mir entgegen.

Sind die Blumen auch dahin,
Die ich brach im jungen Leben,
Unverwelklicher Gewinn
Ward mir zum Ersatz gegeben:

Sie, die ich zumeist geliebt,
Bleibt mir wandellos zur Seite,
Und die holde Muse gibt
Winters auch mir das Geleite.



Ein Tantalus

Nino ist todt. Heut in der Frühe fand
Sein Herr auf dürft’gem Lager ihn entseelt,
Die Miene sanft, wie eines Schlafenden,
Doch alles Rütteln, aller Zuruf war
Umsonst. Zu seiner Tagesfrone stand
Er nicht mehr auf.
                              Undank, der Lohn der Welt,
Auch dir, du frommer Knecht, ward er zu Teil.
Denn von den Deinen, denen Jahre lang
[404] Du treu gedient, ward eine Träne kaum
Dir nachgeweint, kein Grabgesang ertönt:
In steinigem Acker wirst du eingescharrt
Und morgen schon vergessen.
                                                  Ich nur widme
Bewegt dir einen Nachruf. Denn du warst
Zwar nur ein Pferd, doch gut und sanft und wohl
Auch hübsch in deiner Jugend, bis die Last
Der Arbeit dir das glatte Fell verdarb
Und dir der Rücken einsank. Dies zwar ist
Gemeines Pferdelos. Dich aber traf
Ein schlimmres, denn du warst ein Tantalus.
Dein Herr, der Fruttajuol, ein wackrer Mann,
Doch ahnungslos für Pferdeseelenschmerz,
An jedem frühen Morgen spannt’ er dich
Vor seinen Karren, drauf in Körben frisch
Ein mancherlei Gemüse lag, Salat,
Kohl, Artischocken, Petersilie, auch
Spinat und würz’ger Fenchel und was sonst
Gott in Italiens Gärten wachsen läßt.
Dann hui! und omm! und Peitschenknall, auch wohl
Ein Peitschenhieb, und auf der Straße fort
Zogst du die grüne Ware für den Tisch
Der Villen, hieltst vor jeder Türe still
Und hörtest hinter dir die Köchin feilschen
Mit deinem Herrn um Leckerbissen, die
Du nie gekostet. Wenn die Hausfrau dir,
Mitleidig gegen jegliches Getier,
Ein Weißbrot spendet’ und zuweilen auch
Ein Stücklein Zucker, dankbar nahmst du’s hin
Und seufzend doch – ach, nur ein Tropfen war’s
Auf heißen Stein! Wie hättst du erst geschwelgt
Im saft’gen Grünzeug, dem du vorgespannt!
Und wieder hui! und omm! und weiter ging’s
Den Leidensweg. Sic vos non vobis –! klagte
Dein vorwurfsvoller Blick.
                                            Nun ruhst du aus
Von ungestillter Sehnsucht, und ein andrer,
Nicht braun wie du und auch so mager nicht,
Ein muntrer Scheck zieht den Gemüsekarren,
[405] Noch ganz vergnügt. Ich aber seh’ voraus,
Was seiner harrt, und seufze mitleidsvoll:
Auch du bist von des Tantalus Geschlecht!



Pasqua

Diese Last von schwarzen Haaren,
Dieser Augen dunkle Glut,
Und so scheu und unerfahren,
Dieses Mündchen rot wie Blut;

Runde, zarte Kinderwangen,
Glatt und weiß wie feiner Samt,
Die in Schreck und Scham und Bangen
Rosenschimmer überflammt –

Ach, mit deinen Reizen allen
Bist du einem niedren Loos,
Kleine Pasqua, doch verfallen,
Heute noch so ahnungslos.

Hätte dich in goldner Wiege
Weich geschaukelt je das Glück,
Spräche wohl von manchem Siege
Dieser sprüh’nde Feuerblick.

Jetzt in ödem Haus vergeht dir
Karg das Leben, glückverwaist.
Nur ein Malerblick verrät dir
Dann und wann, wie schön du seist.

Und du dünkst dich hochbeseligt,
Wenn, bevor das Alter winkt,
Dich ein grober Bauer ehlicht,
Der nicht täglich sich betrinkt.

Manchmal blickst du wohl mit Neide
Einer stolzen Dame nach,
Die in Pelz und Samt und Seide
Ein par Worte mit dir sprach.

[406] Aber weißt du, ob der Schönen,
Die besitzt, was dir versagt,
Nicht zu Haus mit tausend Tränen
Heißer Gram am Herzen nagt

Um den Mann, er sie umschmeichelt,
Bis er werbend sie betört,
Und nun längst schon nicht mehr heuchelt,
Daß sein Herz nur ihr gehört?

Früh muß sich die Blum’ entblättern,
Drauf zu heiß das Licht geglüht.
Kleine Pasqua, dank den Göttern,
Daß im Schatten du erblüht!



Chi bella non è ...

Ich sah im Olivenwalde
Ein Mägdlein wandeln durchs Gras,
Das Beeren, zerstreut auf der Halde,
Gebückt in ihr Schürzchen las
Und sang, als ob ihr groß Leid geschah:
Chi bella non è, fortuna non ha!

Es klang so traurig und trübe
Von einsamer Todesstund’,
Als klagt um verlorene Liebe
Ein nimmergeküßter Mund:
Die Häßlichen sterben allein, ach ja!
Chi bella non è, fortuna non ha!

Da blickte sie auf, und mit Staunen
Gewahrt’ ich ein reizend Gesicht.
Es lacht aus den Augen, den braunen,
Ein schalkhaft blitzendes Licht.
Mit solchen Augen, wer klagte da:
Chi bella non è, fortuna non ha!

Die Schelmin sah mit Erröten,
Wie sehr sie den Fremdling behext,
[407] Fand gleichwohl nicht vonnöten,
Zu ändern den seufzenden Text,
Und sang mit Lachen, so lang sie mich sah:
Chi bella non è, fortuna non ha!



Letzte Blüten

Noch eine Ros’ am kahlen Strauch
Fand im Advent ich aufgeblüht,
Noch eines Liedes zarter Hauch
Klang mir verstohlen im Gemüt.

Der Rose Blätter taumeln hin,
Da ich sie kaum berührt, ins Beet,
Das Liedchen schwand mir aus dem Sinn –
Für Sommerkinder ist’s zu spät!



Im Advent

Die längsten Nächte. Drüben hinterm Vorgebirg
Von San Vigilio schläft noch in den Tag hinein
Frau Sonn’ und kann sich nicht entschließen aufzustehn.
Zeit wär’ es längst. Doch sie, wie eine Königin,
Die weich sich dehnt im seidnen Bett und gähnend denkt,
Es eile nicht, von ihrem goldnen Thron herab
Ihr Weltreich zu regieren, schläfrig blinzelt sie
Nur schwach hervor aus grauer Wimper, zieht sodann
Das Nebeldeckbett hoch sich übers Angesicht
Und schlummert weiter.
[408]                               Auch hernach, wenn endlich sie
Beginnt ihr Tagwerk, nur im Schlafrock schleicht sie dann
Mit ungestrählten Haaren, sehr unaufgeräumt
Des Wegs dahin, im Wolkenmantel dicht vermummt,
Als friere sie. Denn ach, nur eine Fabel ist
Das ewig blaue Firmament Italias!
Auf ihrer Stirn auch spukt gar oft zur Winterszeit
Ein Schatten grauer Schwermuth. Ihre Kinder dann
In kellerkalten Häusern, wo kein Ofen brennt,
Ums Reisigfeu’r am Herd trübsinnig kauern sie,
Vor Frost erschauernd. Stumm im kleinen Käfig sitzt
Die Drossel. Auch am Rocken jetzt und Webestuhl
Erklingt kein Ritornell und kein Rispetto mehr,
Und vorwurfsvoll ertönt nur noch des Mäuschens Pfiff,
Da ein Polentabröckchen kaum ihm übrig bleibt. –
Doch nur Geduld! Nach kurzen Wochen, hingedehnt
Im Nebelhalbtraum, denkt Frau Sonne wiederum
Vor Scham erglühend ihrer alten Schuldigkeit
Und holt, was lang versäumt ward, um so eifriger
Nun wieder ein. Den Reif vom Laube schüttelt sie
Den Lorbeern und Oliven, lockt mit warmem Hauch
Krokus und blaue Veilchen schon im Februar
Hervor auf allen Wiesen. An den Reben sacht
Beginnt’s zu knospen. Ja sogar ein Vögelchen,
Wenn glücklich es dem Blei des Jägers winterlang
Entgangen, denkt bereits an neues Nesterbau’n
Und zirpt und wirbt um eine Braut.
                                                         Und ähnlich so
Ergeht’s dem Dichter. Sacht in seinem Busen schon
Rührt sich Gesang, wenn früh am Tag er wohlgemut
Auf luft’ger Höhe wandelt, nur im leichten Rock
Und, was das Beste – denn verhaßt vor allem sind
Ihm diese nordischen Gräuel –, ohne Gummischuh’!



Eine Weihnachtsepistel

Du neidest mich mit deinem gönnenden
Selbstlosen Neide, Freund, um all den Zauber
An Farb’ und Licht und immergrünem Flor
Des Winters hier im Süden. Einzig nur,
[409] Daß es um Weihnacht uns an Schnee und Eis
Und Schlittenbahn gebricht, „was doch durchaus
Gehört zu einem  r i c h t i g e n  heil’gen Christ“,
Müss’ ich wohl auch beklagen.
                                                   Freilich war’s
Mir selbst verwunderlich, als frühe schon
Die heil’ge Nacht vom klaren Firmament
Herabsank und ich hoch am Bergeshang
Hinschlendernd auf den See herniedersah, –
Weitum der Ufer reingeschwungner Ring,
Der einer edlen Silberschale gleich
Die dunkle Flut umfaßte, – daß mich noch
So lind die Luft umspielte, wie bei euch
Im Mai, und dachte: Heut ist Heiligabend;
Heut flockt vielleicht der Schnee in dichtem Schwarm
Auf Münchens Gassen, oder schneit es nicht,
So heult ein rauher Winterwind mit Macht
Weit vom Gebirg daher, daß, die verspätet
Noch unterwegs sind, ihre roten Nasen
Tief in den Kragen stecken und trotzdem
Den trefflichsten Katarrh nach Hause bringen. –
Nun, ländlich sittlich. Auch ein Schnupfen wohl
Gehört zu einem „richtigen“ Weihnachtsfest,
Und mit Sylvesterpunsch kuriert man ihn.

Mich aber dünkt, die  e r s t e  Weihnacht, die
Historische, hat von Katarrhen nichts
Und Sturm und Schnee gewußt. Lag doch, gehüllt
In leichte Windeln nur, im offnen Stall
Das liebe Christkind. Und die Hirten, die
Des Engels Botschaft hörten, ihre Herden
Auf freiem Felde hütend bei der Nacht,
Sie krochen frierend nicht in dumpfe Hütten,
Denn lau und lieblich war die Luft. Auch ragt’
Ein Lorbeer wohl hoch an des Stalles Mauer
Und strömte seinen Duft aufs Kripplein nieder,
Noch ehe die drei Könige mit Weihrauch
Und Myrrhen kamen. Eines Palmbaums Krone
War ausgebreitet als ein Baldachin
Zum Schirm der dürft’gen Wiege. Drinnen aber
[410] Das Himmelskind bedurfte wahrlich nicht
Der goldnen Kerzchen unsrer Weihnachtstannen.
Denn in der Nacht des Südens funkelte,
Geschart um jenen Leitstern, das Gewimmel
Der Goldgestirne – fast wie überm See
Sie heut erglänzen, wo aus tiefem Blau
Sie nach und nach aufglimmen, während rings
Geläut ertönt – meinst du nicht doch, man könn’
Auch ohne Schnee und Eis an dieser Stätte
Die  r i c h t i g e  Weihnacht feiern? – – –



Die Pergola

Vier schlanke Pfeiler im Geviert, darüber
Von braunem Holz ein leichtes Sparrenwerk,
Der offne Bau von Mäuerchen umsäumt
Und zierlichen Balustern nach dem See,
So steht an meines Gartens Uferrand
Die Pergola.
                     Noch klettern lustig nicht
Die Bangsiarosen bis zum Dach empor.
Doch übers Jahr schon wölben ihre Ranken
Ein luftig Schattendach, das mir den Brand
Der Maiensonne dämpft. Und auf der Bank
Darunter sitzend, kann hinüber ich
Zum Greisenhaupt des Monte Baldo schau’n,
Und an die Brustwehr träumend hingelehnt
Dem Plätschern lauschen der kristallnen Flut,
So klar durchsichtig, daß ich spielen seh’
Die Fischlein drunten überm Kieselgrund,
Blitzend wie lautres Silber.
                                            Hier zu ruhn
Nach heißem Tagwerk in der Abendkühle
Wird köstlich sein. Und noch willkommner einst
Die  l e t z t e  Ruh’, die ewige – nicht zu bald,
So hoff’ ich! Dann jedoch, statt eingepfercht
In eines Friedhofs Mauerring, mein Haupt
Hier frei zu betten wär’ ein tröstlicher
Gedank’, und hier, wenn noch ein Abgeschiedner
In seiner Nacht des Lebens inne wird,
[411] Das droben weiterbraust, vernehm’ ich wohl
Im Traum, wie Enkel und Urenkel fröhlich
Im Garten spielen. Unter ihnen wandelt
Mit ernstem Lächeln dann die teure Frau,
Die mich vermißt, wenn all den andern schon
Mein Bild verblich. O liebe, liebliche,
Ewig Geliebte, dein Gedächtnis wird,
Solang ein Ton von meiner Leier noch
Die Welt durchzittert, nie vergehn! Und die
Vorüberschiffen auf dem See, sie deuten
Auf dich und sprechen: ‘s ist des Dichters Frau,
Der hier gewohnt und diesen See geliebt
Und nun den letzten Schlummer schläft im Schatten
Der Pergola.



[413]

Mittagsruhe

Goldner Nebelsonnenduft
Überhaucht Gebirg und Flur.
Droben steht ein Wölkchen nur
In der windstill reinen Luft.

Auf dem See ein Fischerkahn
Mit den Segeln gelb und blau,
Drauf gemalt die Himmelsfrau,
Zieht wie träumend seine Bahn.

Rings kein Laut der wachen Welt
Um des Monte Baldo Thron,
Gleich als wüßten’s Alle schon,
Daß der Alte Siesta hält.

Leis am Ufer gluckst die Flut;
Auch der Kummer, der zu Nacht
Mich um meinen Schlaf gebracht,
Hält den Atem an und ruht.



[414]

Die Schlucht

Tret’ ich, die Brust zu lüften, aus dem Haus
Aufatmend in den Wintertag hinaus,
So lockt mich, eh’ ich fünfzig Schritte tat,
Vom Fahrweg links hinweg ein Schattenpfad
Zu einem Gittertor. Da tret’ ich ein,
Und mich empfängt ein lichter Erlenhain,
Sich wölbend über eines Bächleins Lauf.
Links steigt der Abhang dichtbelaubt hinauf,
Rechts breitet sich ein sanfter Wiesengrund
(Der Lieblingstummelplatz für meinen Hund)
Und drüber, auf des Tales Rand erhöht,
Ein weiß Kapellchen. Ihm zur Seite steht
Ein dunkles Paar Zypressen, hingestellt
Als Wächter dieser traumhaft stillen Welt.
Rings unten auf dem dichtbegras’ten Plan
Und zu den schattigen Halden hoch hinan
Wird, wenn die ersten lauen Lüfte wehn,
Ein märchenbunter Lenzesflor erstehn,
Von Primeln schimmert’s golden, Veilchen blühn,
Aus wilden Myrten äugelt Immergrün,
Doch jetzt ist Winter.
                                    Sacht schreit’ ich empor,
Bis wo sich auftut hoch und schmal ein Tor:
Zwei schlanke Stämme, wuchernd dicht umrankt
Von Epheu, der bis in die Wipfel langt.
Hier ist der Eingang, wo die Schlucht sich engt
Und ew’ge Wildnis dämmernd dich umfängt.
[415] Vom Bach, der rauschend in die Tiefe fährt,
Wird üppig grüne Pflanzenbrut genährt,
Hängt sich in wirren Ranken links und rechts
Um nackte Zweige jedes Baumgeschlechts,
Hirschzungen, Farn und Brombeer, urwalddicht,
Schwach trieft herein von oben her das Licht.
Hier kannst nach Herzenslust du einsam sein,
Denn selten nur verirrt sich hier hinein
Ein Wintergast. Und wo die Kluft sich schließt,
Siehst du den Bach, der rauschend sich ergießt
Aus braunem Felsspalt und zerstiebt im Fall
Und füllt die Schlucht mit seines Sturzes Schall.
Das Bänklein hier, vom hellen Gischt umsprüht,
Lockt nur zur Rast, wenn schwer der Sommer glüht.
Doch jetzt ist Winter; aber weich die Luft
In dieser moderkühlen Felsengruft,
Und würzig weht dich an um Weihnacht auch
Des immergrünen Unkrauts feuchter Hauch.

Hier ist’s, wo manche Stund’ an manchem Tag
Ich still verweilend der Betrachtung pflag,
Der Welt und ihrem Lärmen weit entrückt,
Von Geistergruß im Innersten beglückt,
Tief in den Frieden der Natur versenkt,
Die Seel’ und Leib aus reinen Quellen tränkt.
Denn der Gealterte – was kann die Welt
Ihm geben, das dem Glück die Wage hält
Einsamer Einkehr in sich selbst! Der Wahn,
Antwort auf Schicksalsfragen zu empfahn,
Des Weltgeheimnisses zweideut’gen Sinn
Je zu enträtseln, – längst schwand er dahin.
Des bunten Lebens vielgestalt’ger Zug,
Der uns vorbeiflieht, schon bekannt genug
Dünkt uns sein Wechselbild; schon tausendmal
Rührt’ er an unser Herz in Lust und Qual.
Nur was aus Tiefen unsrer eignen Brust
Aufsteigt, uns wie ein Traum nur halbbewußt,
Veraltet nie, ein unerschöpfter Quell
Begieriger Betrachtung, dunkelhell.
Denn ob die Fordrung niemals sich erfüllt
[416] Der Selbsterkenntnis, nie doch wird gestillt
Die Sehnsucht, aus dem weiten Weltenrund
Zu flüchten in des eignen Wesens Grund
Und zu genießen rein und ungestört,
Was unentreißbar einzig uns gehört,
Sich uns enthüllend in der Zwiesprach nur
Mit unsrer alten Mutter, der Natur.

Wie bist du hier mir nah, du heil’ge Macht,
Im dunklen Zauber dieser Waldesnacht!
Im Wasserfall, der schäumend niederschießt,
Hör’ ich die alte Weisheit: Alles fließt.
Und wie aus tausend Keimen Leben dringt
Und rankend sich empor zum Äther schwingt,
Ob auch der Winter draußen starr und wild
In Eis und Schnee die Bergesgipfel hüllt,
So fängt die Brust, die schon erstorben schien,
Mit tausend neuen Trieben an zu blühn,
Und aus der immergrünen Schlucht hinaus
Kehr’ ich gestärkt an Haupt und Herz nach Haus.



Das Konzert

In meinem Zimmer mir zur Augenweide
Hängt überm Schreibtisch jenes Meisterwerk
Giorgione’s, das Konzert, das Kleinod aus
Dem Schatz Palazzo Pitti’s. In der Mitte
Der blasse junge Mann im schwarzen Kleid,
Der auf den Tasten eines Orgelwerks
Die schlanken Hände ruhen läßt, als schlüg’ er
Den Schlußakkord, den feierlichen, an
Der geistlichen Motette, die den Zwei’n
Er vorgespielt, den Freunden, gleich ihm selbst
Verehrer Palestrina’s. Oder war’s
Ein Stück, entsprungen aus der eignen Seele
Des Spielers, oder freie Phantasie?
Nein, eines Meisters Schöpfung muß es sein.
Denn zu dem Alten hinter ihm das Haupt
Umwendend, scheint sein mystisch heißer Blick
Zu fragen: Ist’s nicht wunderbar? Und hab’
[417] Ich dir’s zu Dank gespielt? Allein der Freund
(Wohl ein Prälat, der Kleidung nach; ein Kranz
Von dunklem Haar umzirkt sein kahles Haupt),
In stiller Rührung zuckt’s um seinen Mund,
Und traulich auf des Jünglings Schulter legt er
Die Rechte, gleich als spräch’ er: Bravo, Freund!
Du spieltest wundervoll! – Die linke Hand
Hält einer Laute schlanken Hals umfaßt
(Auch er übt wohl Musik, als Dilettant),
Indes der Dritt’ im Bunde, jener Jüngling
In Federhut und adligem Gewand,
Herausblickt aus dem Bilde, wie noch ganz
Versunken in Entzückungen, und scheint
Mich anzureden: Hättest du’s gehört,
Du stündest unterm Zauber noch, gleich mir!

Und fühl’ ich anders? In das seelenvolle
Gesicht des Spielers blickend, ist es mir,
Als höb’ ein sanftes Klingen geisterhaft
Sich an und dringe mir mit magischer
Gewalt an Seel’ und Sinn und fülle mir
Das Herz mit Wonneklang, indes von draußen
Der See, anstürmend an die Uferwehr,
Mit tiefem Orgelbaß die Melodie
Begleite.
Heil’ge Musen, schwesterlich
Fürwahr reicht ihr euch oft die Hand. Denn hier
Aus des Giorgione stummberedtem Bild
Tönt zauberisch mit längst verklungner Macht
Ein Hauch italischer Tonkunst mir entgegen.



Ermutigung

Sei nur getrost! Was auch geschieht,
Werd’ an dir selbst nicht irre, mein Herz!

Sieh, auf schwankender Lebensfahrt,
Der stürmevollen,
Bleibt kein anderes Heil,
[418] Als zu vertrauen dem Dämon,
Der deines Schiffleins Steuer
Lenkt mit eigenwilliger Hand.
Ob er führt zum sichern Port,
Ob scheitern lässet an Klippen,
Du bist sein Meister nicht,
Mit klügelnder Torheit
In den Arm ihm zu fallen.
Denn er ist’s, der dir von Anbeginn
Ward zum Lenker gegeben,
Daß deine Bahn du vollendest,
Nachtwandlerisch nach verhülltem Ziel
Und wissest nicht, was sie wollen mit dir,
Die dunklen Mächte.

Sie aber wissen’s.
Denn was du blindlings, dem Dämon getreu,
Vollbringst an deinen sprossenden Tagen,
Mehr ist’s und fruchtet reicher,
Als was du tätst, auf den Zuruf horchend
Der fremden schwatzenden Menge.
Und wär’ es herrlich, es wär’ nicht dein,
Wär’ nur ein Knechtswerk,
Unwirksam, dich zu beglücken.

Sei nur getrost! Was auch geschieht,
Werd’ an dir selbst nicht irre, mein Herz!



[419]

Sündenregister

Stets nahm ich dich in Schutz und bliebe
Dein Anwalt gegen eine Welt,
Du Volk Italiens, das ich liebe,
So manches mir an dir mißfällt.

Doch unter uns und ohne Zeugen
Nehm’ ich ein Blatt nicht vor den Mund
Und kann als Freund dir nicht verschweigen:
Sie tadeln dich nicht ohne Grund.

Das süße Nichtstun – deinen Kindern
Verwehrt’s die liebe Sonne nicht,
Und fremde Reisende zu plündern,
Scheint jedem Gastwirt Ehrenpflicht.

Man schilt auch, daß du ohn’ Erröten
In schmutz’gen Mauerhöhlen wohnst,
Die kleinen Vögel liebst zu töten,
Jedoch das Ungeziefer schonst;

Und daß man selbst den Angestellten
Vergolden mag die hohle Hand –
Nun, dies und andres noch, nicht selten
Trifft man’s wohl auch in anderm Land.

[420] Doch Schlimmres noch: Brigantenhorden
In deiner Berge wildem Schoß,
Vendetta, die, zur Pflicht geworden,
Geschlechter mordet gnadelos,

Der Wälder gräuliche Verwüstung,
Camorra, die das Ärgste wagt,
Und wes in sittlicher Entrüstung
Dich gutes Volk man sonst verklagt:

Das alles dünkt dir sehr verzeihlich,
Was Hohn Europens Sitte spricht,
Nur eine seltne Tugend freilich
Macht Vieles gut: du heuchelst nicht.

Auch ich, so sehr ich dir gewogen,
Bin nicht für deine Fehler blind.
Ich weiß, du wurdest schlecht erzogen,
So bliebst du stets ein großes Kind.

Unarten, die in deinem Blute
Verderblich nisteten bis heut,
Sie wurden nicht mit scharfer Rute
Von deinen Zwingherrn ausgebläut.

Sie knechteten dich manch Jahrhundert,
Mit schlauer Priesterschaft im Bund,
Daß billig  e i n s  nur uns verwundert,
Wie unverwüstlich du gesund.

Gewiß, dir wäre hoch vonnöten
Ein deutscher Unteroffizier,
Würd’ auch sein Drill so manches töten,
Was liebenswürdig ist an dir.

Doch da man endlich aus Ruinen
Verjährten Wust beiseite räumt,
So malerisch er lang erschienen,
So wundersam man drin geträumt;

[421] Da selbst in Roms verfallne Gassen
Dem Licht man einen Weg gebahnt,
Ob auch erhabne Trümmermassen
An ferne große Zeit gemahnt,

So wünsch’ ich, daß du, neu erstanden
Aus langem Schlummer, dich befreist
Von den jahrtausendalten Banden,
Die dir umschnürten Seel’ und Geist;

Daß du, was nie zuvor du lerntest,
Dich selber nimmst in strenge Zucht
Und vollgereift nun endlich erntest
All deiner edlen Gaben Frucht.

Dann wirst du deine Rache nehmen
Und, die dich höhnten dünkelhaft
Als „Land der Toten“, stolz beschämen
Durch Taten freud’ger Lebenskraft.



Wintersturm

Nun braust’s in den Lüften, nun donnert der See,
Aus schwarzblauen Klüften schäumt’s wild in die Höh’.
Mit wiehernden Rossen kommt über den Plan
Weißmähnig geschossen der Herrscher Orkan.

Es zittern die Mauern, die Scheiben erklirr’n,
Die Palmen erschauern und beugen die Stirn.
Die hohen Oliven mit silbernem Laub,
Sie schwanken und triefen, dem Sturme zum Raub.

Zu Nacht auf den Kissen bang horcht’ ich hinaus,
Dem Schlummer entrissen vom wüsten Gebraus.
O wehe, mein Garten, um dich ist’s geschehn!
Wie wird es den zarten Jungpflanzen ergehn?

Doch sieh, da die Sonne mich früh schon erquickt,
Im Garten, o Wonne! kein Pflänzchen geknickt,
[422] Nur feucht noch die Blätter, nur schimmernd erfrischt
Vom sausenden Wetter und sprühenden Gischt.
Italiens Kinder, so lodert die Glut
Des Zornes nicht minder euch jählings im Blut:
Ein wütend Gebrülle, morddroh’nden Gesichts,
Dann plötzliche Stille – viel Lärmen um nichts!



Servite Domino in laetitia

Sonntag. Die Gassen still und leer.
Kein Laut aus einem Hause dringt,
Nur aus der hohen Kirche klingt
Der Orgel Summen zu mir her.

Und durch die Pforte tret’ ich sacht
Und seh’ in Dämmrung eingehüllt
Das Volk, das alle Bänke füllt,
Doch Keiner hat des Ketzers Acht.

Männlein und Weiblein hingebückt
Und lautlos betend aus dem Buch,
Die Frau’n im schwarzen Schleiertuch,
Das auch das jüngste Mägdlein schmückt.

Am Ehrenplatz beim Hochaltar
Mein alter Vize-Sindaco.
Da thront er, seiner Würde froh,
Hochaufgesträubt sein schneeweiß Haar.

Die Sindachessa im Gebet
Kniet bei den Ärmsten an der Tür.
Sie hofft, Gott lohnt die Demut ihr;
Wer sich erniedrigt, wird erhöht.

Durch bunte Scheiben glüht herein
Ein warmer Glanz im Chore dort.
Zuweilen tönt ein Priesterwort,
Und kurz nur fällt die Orgel ein.

[423] Und jetzt das Ite missa est.
Doch rührt noch Keines sich, zu gehn,
Denn auf des Orgelchores Höh’n
Beginnt nun erst das schönste Fest.

Und alle lauschen andachtsvoll
Dem Nachspiel, das so weltlich tönt.
Sie sind’s von Jugend auf gewöhnt,
Daß so das Hochamt enden soll.

Was hör’ ich? Verdi? Ja, fürwahr,
Aus Traviata, Troubadour.
Von frommen Weisen keine Spur
Im Haus des Herrn, wie sonderbar!

Und wild und wilder jauchzt und stöhnt
Verliebte Lust und Leidenschaft,
Bis mit des ganzen Werkes Kraft
Zuletzt ein flottes Tanzlied tönt,

Im Polkatakt! Doch ringsumher
Nicht Einer hat ein Arg daran.
Gern fingen sie zu tanzen an,
Wenn’s in der Kirche Sitte wär’.

Des dumpfen Alltags Not und Leid
Umfängt sie wieder bald genug.
Am Sonntag denken sie mit Fug:
Wir dienen Gott in Fröhlichkeit!



Jagdvergnügen

Nun knallt es wieder an allen Enden
In Ölbaumhalden und Rebgeländen,
Den kleinen Vögeln den Tod zu bringen,
Die kaum erst schüchtern ihr Liedchen singen.
Denn mit dem Frühling an dieser Küste
Erwacht den Menschen das Mordgelüste.
Mit Schießgewehren von allen Arten
Schleichen sie durch den Gottesgarten,
[424] Zumal den Sonn- und Feiertag
Man so am liebsten „heiligen“ mag,
Und wo sie erspähn ein klein Gefieder –
Piff paff! – da taumelt’s zerfledert nieder.
Den armen Braten, der in zwei Bissen
Verschluckt ist, könnten sie leichtlich missen,
Und mit dem sprühenden Vogeldunst
Zu treffen, ist auch keine sondre Kunst.
Es ist nur eben ihr liebster Sport,
Stets zu betreiben den Vögelmord,
Und da „bekanntlich!“ nicht wie wir
Den Schmerz der Wunde spürt ein Tier,
Auch Tiere keine Seele haben,
Können getrost die bösen Knaben
Singvögel in enge Käfige setzen
Und mit Leimruten, Dohnen und Netzen
Und Pulver und Blei nach ihnen zielen. –
Dürft’ ich nur einmal Gottvater spielen,
Nur auf ein Stündlein, – ich führe dazwischen,
Und wo ich irgend tät’ erwischen
In flagranti solch einen groben Bengel,
Ich ließ’ im von einem handfesten Engel
Fünfzig mit feuriger Rute geben –
Die Jagdlust verging’ ihm fürs ganze Leben!



[429]

Horaz

Hier am Ufer des Sees, der mir von Süden her
Unterm Hauche des Föhn hoch an die Brüstung spritzt,
Wandl’ ich lesend und sinnend,
Meinen alten Horaz zur Hand;

[430] Noch das nämliche Buch, draus in der Prima schon
Lang versunkener Welt Zauber mich angerührt;
Denn es kehrt zu der ersten
Lieb’ uns immer das Herz zurück.

Und ich denke, wie früh ernst ich beflissen war,
Dem Venusischen Schwan zagenden Flügelschlags
Mich auf rhythmischen Flügen
Nachzuschwingen begeistrungsvoll;

Wie ich groß mich gedünkt, wenn im alkäischen
Oder sapphischen Maß eine der Oden mir
Nachzustammeln geglückt war
In pedantischem Schülerdeutsch.

Damals zog ich zumeist jene Gedichte vor,
Drin ein zärtlicher Hauch wittert der Leidenschaft
Und des Leides, mit dem die
Falschheit immer der Treue lohnt.

Pyrrha glaubt’ ich zu sehn, von dem begünstigten
Neuen Liebsten umarmt unter der schattigen
Rosenlaube, dieweil sich
Stolz der Dichter zurückezog;

Und in eigener Brust fühlt’ ich der Eifersucht
Brand, wenn Lydia frech rühmte des Telephus
Ros’gen Nacken, die schönen
Arme, weiß wie aus Wachs geformt.

Gute Jugend! Es liest jeder ein andres sich
Aus den Versen heraus eines Poeten, dem
Als dem Liebling der Götter
Wenig Menschliches ferne blieb.

Jetzt, da längst ich wie du hing an der Tempelwand
Auf mein triefendes Kleid, als ein Votivgeschenk
Jenem Gott, der im Hafen
Wohlbehalten mich landen ließ,

[431] Lausch’ ich, alter Horaz, lieber verständnisvoll
Deinem klugen Gespräch, wenn du vom Weltenlauf
Mit gelassner Entsagung
Sprichst und rühmst die Genügsamkeit.

Dein Kollege Katull drüben auf Sirmio,
Ruhlos bis an den Tod brannte das Herz in ihm.
Du taugst besser zum weisen
Hausfreund einem Gealterten.



[432]

Flock

Täglich steig’ ich in stiller Mittagssonne
Nach Gardone di sopra und Morgnaga
Oder höher hinauf den weitgeschwungnen
Bergpfad über die Schluchten bis Fasano.
Mir zur Seite, doch öfter weit voraus mir,
Trabt mein Wandergenoß, mein kleines Hündchen
Flock, ein munterer Spitz. Zwar reiner Rasse
Kann er nicht sich berühmen, doch so manchem
Preishund läuft er den Rang wohl ab an Schönheit
Und an Temperament. Wenn er so hinspringt,
Hoch das Näschen, den Schweif wie eine Fahne
Aufrecht tragend, gespitzt die braunen Öhrchen,
Grüßen ihn die Gardoner Gassenkinder
Schon von weitem, und Flocki! Flocki! rufend,
Suchen schmeichelnd sie ihn heranzulocken.
Doch er windet sich ungerührt und vornehm
An der jungen Verehrerbrut vorüber,
Läßt zuweilen zu kleiner Köter Spielen
Sich leutselig herab und rauft mit großen,
Die ihm neidisch am Hals das rote Schleifchen
Bös zerzausen, worauf aus ehrenvollen
Wunden blutend er heiter mir zurückkehrt,
Ein geschlagener Held, doch ein Charakter.
[433] Manchmal, wenn ich im duft’gen Lorbeerschatten
Müd vom Klettern auf einem Bänklein raste –
Schön ist’s droben; die sanften Lüfte fächeln
Rings das silberne Laub der Ölbaumhalden,
Und mit purpurnem Blau durch ihr Gezweige
Schimmert drunten der See – mein Flock ist freilich,
Wie die Hunde gewöhnlich, kein Naturfreund.
Ruhig liegt er im Gras an meiner Seite,
Manchmal schnappend nach einer kleinen Fliege,
Manchmal still mich betrachtend, gleich als fragt’ er:
Woran denkst du nur jetzt? ‘s ist unbegreiflich,
Daß die Menschen beständig denken müssen.
Wir sind klüger. Schon Lessing sagt: wer möchte
Denken, wenn er genießt! Und ich genieße
Meine Ruhe, die wohlverdient, nachdem ich
Heut Lazerten gejagt und ganze sieben
Tot zur Strecke gebracht. (Denn dies ist leider
Eine noble Passion, von der bisher ihn
Zu entwöhnen mir nicht gelang. Es fröhnen
Hohe Herren ja auch des edlen Mordwerks,
Nicht zur Ehre der Menschheit.) Und zur Antwort
Auf die schweigende Frage sag’ ich: Flöckchen,
Was ich eben gedacht, hat einem andern
Deiner Brüder gegolten – Schnautz geheißen,
Schnäutzlein nannten wir ihn – der auch vor Zeiten
Mich getreu zu begleiten pflag auf manchem
Bergweg, bis er zuletzt so fett geworden,
Daß nur keuchend er aufwärts kroch. Ich mußt’ ihm,
Da ihm irdische Freuden nicht mehr blühten,
Selbst verkürzen die Qual. Doch wie er dalag,
Um das struppige Haut – er war vom Stamm der
Rattenfänger – ein dickes Tuch, getränkt mit
Chloroform: an des Herzens Schlägen sah ich,
Daß schon nahe das Ende. Da auf einmal
Aus dem feuchten Verband hervor sich windend,
Hob der Sterbende auf zu mir sein treues,
Still anklagendes Aug’, als wollt’ er sagen:
Bessres hofft’ ich um dich verdient zu haben,
Als so kläglichen Tod von deinen Händen! –
Ach, er wußte ja nicht: zu seinem Besten
[434] Ihm durchschnitt ich den morschen Lebensfaden,
Der nur quälend die zott’ge Brust umschnürte.
Doch mir folgte noch lang in meine Träume
Dieser scheidende Blick. Nicht wünsch’ ich, Flöckchen,
Je dein Auge mit ähnlich stummem Vorwurf
Auf mir ruhen zu sehn. Du bist der Jüngre,
Sollst noch lange, wenn ich dahingeschieden,
Deines Lebens dich freu’n, Lazerten jagend
Und darüber des guten Herrn vergessend,
Rascher, als er dich selbst vergessen würde,
Wenn ihn später als dich Freund Hein besuchte.



Beata solitudo

In diesen linden Lüften
Wie ruht es sich so gut,
Umhaucht von leisen Düften
Der jungen Veilchenbrut!
Kein Laut der Tiefe dringet
Hier störend zu mir hin,
Und tröstlich immer klinget
Der Spruch mir durch den Sinn:
Beata solitudo,
Sola beatitudo!

Ein Schifflein kommt gegangen
Tief unten auf der Flut.
Die Segel niederhangen,
Da jeder Fahrwind ruht.
So spielt mit meinem Herzen
Ein windstill süßer Traum;
Der tausend alten Schmerzen
Und Freuden denk’ ich kaum.
Beata solitudo,
Sola beatitudo!

Ich habe lang mein Leben
Geschäftig durchgestürmt,
Gar oft in Furcht und Beben,
Wenn Wolken sich getürmt.
[435] Nun, da ich hier geschieden
Vom Weltgetümmel bin,
Sing’ ich in sel’gem Frieden
Mein Sprüchlein vor mich hin:
Beata solitudo,
Sola beatitudo!



Sonntagsruhe

Im April

Die Sonne ging so goldenrot
Auf über San Vigilio’s Cap.
Mit blauem Segel schwimmt ein Boot
Langsam den weiten See hinab.

Wo lärmend sonst die Möwen schrie’n,
Sich zankend überm flachen Strand,
Seh’ ich den braunen Falken ziehn,
Weit seine Schwingen ausgespannt.

Von tausend Rosen weht der Duft,
Wohin ich wandeln mag, mir zu.
Kein Laut in klarer Morgenluft
Stört die geweihte Sonntagsruh.

Nur unten, wo das Flutgeroll
Sich rastlos an das Ufer schwingt
Ertönt das Lied geheimnisvoll,
Das nie der See zu Ende singt.



Nachtgesicht

11. Mai

Schwül war gestern die Nacht. Herauf vom Süden
Wetterleuchtet’ es stark, und wie der Atem
Eines Stöhnenden fuhr in schweren Stößen
Durch den Garten der Föhn. Aus kurzem Schlummer
Schreckt’ ich auf, und ein Weilchen lag und sann ich,
Dann vom Bett mich erhebend und notdürftig
Mich bekleidend, hinaus zur Türe trat ich
Meines hohen Balkons.
[436]                                Da strömt’ entgegen
Mir die Feuchte der Nacht und vom Spaliere
Süßes Rosengedüft, indessen drüben
In der Ferne die lange Garda-Insel
Jetzt aufleuchtet, ein weiß Gespenst, im Zucken
Grell elektrischen Scheins und jetzt in Nacht sinkt.

Drunten wogte die Seeflut, hochaufspritzend
Weit herein in den Garten, daß die Palmen
Zitternd standen, besprüht vom Schaum der Wellen.
Und mich lüstet’ es auch nach solchem Staubbad;
Nur die Schläfer im Haus zu wecken bangt’ ich,
Noch so leise die Trepp’ hinunterschleichend.
Doch da lehnt ja an des Balkones Brustwehr,
Die der Gärtner vergaß, die Sprossenstange,
Die zur Leiter ihm dient, aus höchstem Wipfel
Die Oliven zu pflücken. Flugs hinunter
Klettr’ ich Sprosse für Sprosse, bis eratmend
Ich den Boden erreicht. Im Stillen freilich
War’s nicht ganz mir geheuer. Denn wohl würde
Meine Liebste mich schelten, säh’ sie hier mich
Leichtbekleidet bei Nacht herumspazieren.
Doch nun ist es geschehn, und fröhlich wandl’ ich
An der Brüstung dahin, gekühlt vom feinen
Hauch der brandenden Flut. O weiche Feuchte!
Zauber südlicher Nacht! Und weit mich beugend
Übers Mäuerchen, blick’ ich in die Tiefe,
Wo es brauset und rauscht.
                                             Da lenkt auf einmal
Mir zur Rechten den Blick ein heller Lichtschein,
Nichts Elektrisches. Ruhig kommt’s geschwommen
Von Gardone daher, und jetzt erkenn’ ich –
Corpo della Madonna! – eine blanke,
Schlanke Weibergestalt! – vielleicht die schöne
Russin aus dem Hotel, die Lust verspürte,
Grad um Mitternacht noch ein Bad zu nehmen?
Solchem emanzipierten Überweibe
Säh’s wohl ähnlich. Und jetzt – es gleitet näher,
Hoch das Haupt aus der Flut gereckt, die Fülle
Schwarzer Haare – doch nein, sie schimmern grünlich,
[437] Und am Rücken, behaglich hingebettet –
Ist’s denn möglich? ein Kind! ein nacktes Bübchen,
Das so sicher hier ruht wie in der Wiege,
Leicht ein Ärmchen geschlungen um den weißen
Hals der Mutter!
                            Im ersten Schreck entfährt ein
Ruf mir. Aber die Schwimmerin, im mindsten
Nicht verlegen ob ihres mangelhaften
Badeanzugs, hinauf zu mir mit Grinsen
Fletscht sie lachend die spitzen weißen Zähne,
Und nun seh’ ich es deutlich: statt der Füße
Regt sie rosige Flossen, auch das Knäbchen
Ist kein richtiges Menschenkind – die Beiden,
Die mir drunten genaht, sind Seegeschöpfe,
Doch leibhaftige, da für Fabelwesen
Sie mir immer gegolten!
                                        Sacht indessen
Rudert weiter das Weib, am Wassertreppchen
Taucht sie auf, und den Kleinen niedersetzend
Auf die unterste Stufe, schießt alsbald sie
In die Tiefe zurück und gleich nach oben
Kehrt sie wieder, in der erhobnen Rechten
Einen zappelnden Fisch. Den auseinander
Bricht sie, ihrem begier’gen Kind die Hälfte
Reichend, das mit den Zähnchen frisch hineinbeißt,
Und so halten mit lautem Schmatzen Beide
Ihren nächtlichen Schmaus.
                                             Da horch! Zur Linken
Rauscht’s heran, noch im Wellenschaum verborgen.
Plötzlich fährt aus dem Gischt empor ein strupp’ges
Männerhaupt, und mit wildem Lachen reckt es
Zwischen Mutter und Kind sich in die Höhe,
Patscht mit schuppiger Hand des Knäbchens Rücken
Und entreißt ihm den Fisch. Doch grimmig fauchend
Zieht die Mutter es an sich, stirnrunzelnd,
Und will flüchten mit ihm. Es scheint, sie hat wohl
Grund dem Gatten zu grollen, der vielleicht sich
Einer sträflichen Liebschaft schuldig machte
Mit der Nixe von San Vigilio oder
Von Malcesine, und sie sagt’ entrüstet
[438] Von dem Falschen sich los, der nun des Knaben
Sich bemächtigen will. (Das Seegesindel
Ist natürlich durchaus nicht tugendhafter,
Als das Menschengeschlecht.)
                                                  Ein Weilchen zerren
Mann und Weib an dem Bübchen, das sich kläglich
Winselnd sträubt. Doch auf einmal wird der Vater
Meister über das Kind, und durch die Wellen
Trägt er’s rauschend davon, im nach mit rauhem
Möwenkreischen das Weib und jäh entschwindet
Meinem Blick der Roman der Seefamilie.

Kühler wehte der Wind. Ein leiser Schauer
Lief mir über den Leib, und nach dem Hause
Strebt’ ich eilig zurück, erklomm die Leiter
(Wie mir’s glückte, mir selber schien’s ein Wunder)
Und rasch wieder ins Bett.
                                            Am andern Morgen,
Als beim Frühstück ich beichtete meiner lieben
Frau, was gestern im Garten leichtbekleidet
Ich erlebt, und der wohlverdienten Schelte
Harrte, sah sie mich lächelnd an: Da hat dir
Wundersames geträumt. – Geräumt? O bitte!
Mit leibhaftigen wachen Augen sah ich
All die Wassergeschöpfe, wie auch Böcklin
Sie gesehn und gemalt. – Nun ja, genau wie
Gestern Abend in unsrer Böcklin-Mappe
Du sie sahest noch kurz vor Schlafengehen.
Oder denkst du, ich soll dir glauben, du mit
Deinen hundertundachtzig Pfund vermöchtest
Auf der schwankenden Leiter wie ein Eichhorn
Auf und nieder zu klettern? Überdies hat
Sie der Gärtner am Abend weggetragen,
Daß nicht Diebe bei Nacht ins Haus uns steigen.
Sieh nur nach, ob sie heut noch am Balkon lehnt.

Nun per Bacco! und wär’ dies alles richtig:
Was ich sah, ob im Wachen oder Träumen,
Streitet Keiner mir ab, und so behaupt’ ich,
Daß ich jetzt um die Nixenschaft im Garda-
[439] See so ziemlich Bescheid weiß, da ich schaute,
Was kein Fischer Gardone’s noch ein Kurgast
Je gesehn, den zu baden Nachts gelüstet.



Abschied

20. Mai

Hab’ ich ihn nun ausgeträumt,
Meinen Wintertraum im Süden,
Wo die Flut am Strand verschäumt,
Als ein Schlummerlied dem Müden?
Nordwärts zieht das rasche Schiff
An der schönen Bucht vorüber;
Einen Abschiedsgruß hinüber
Schickt des Dampfers hoher Pfiff.

Lange noch zurück vom Bord
Wandern Augen und Gedanken
Zu dem hellen Häuschen dort,
Das die Rosen hoch umranken,
Wo im linden Sonnenschein
Unter Palmen und Zypressen
Holdbetrogen ich vergessen,
Daß es Winter sollte sein.

Doch getrost! Nun wirst du bald
Holden Heimatklängen lauschen.
Wieder wird der deutsche Wald
Kühl die Stirne dir umrauschen,
Wenn an des Benacus Strand
Alle Kreatur verschmachtet
Und die Luft, auch wenn es nachtet,
Nie sich kühlt vom Tagesbrand.

Danke, daß erreicht du hast,
Was dem Menschen blüht so selten,
Daß er als vertrauter Gast
Bürger sei in zweien Welten
Und zu träumen sich erkühnt,
Trotz des Alters frost’gem Schauer,
Daß in märchenhafter Dauer
Ew’ger Frühling ihn umgrünt.



[440]

Heimkehr

Das ist die Heimat wieder,
Durch hohe Gartenwipfel
Winkt mir Willkommen das alte Haus.
Wie schüchtern erst
Ist aufgesprossen an allen Zweigen
Maigrünes Laub im herben Hauch
Des deutschen Lenzmonds!
Nirgends glüht mir entgegen,
Wie dort zu tausenden,
Nur Eine Rose,
Maasliebchen allein im Wiesengrund
Und zart entfaltet am Strauch
Der Päonie Knospen.
Doch trauen sie nicht der trüglichen Sonne,
Die lockend niederäugelt,
Denn gestern erst, so hört’ ich,
Hat’s wieder einmal
Geschneit in den Münchner Frühling.

Beklommnen Herzens
Überschreit’ ich die Schwelle.
Werd’ ich, verwöhnt
Durch südliche Sonnenglut,
An dieser kühlen Heimat
Blasses Licht mich zurückgewöhnen?
Doch da breitet am Fuß der Treppe
Der Adorante die schlanken Arme
Aus, wie betend zur Gottheit,
Daß mein Eintritt gesegnet sei,
Und wie empor ich steige,
Begrüßt mich eine vertraute Schaar,
Die meiner geharrt im langen Winter:
Erinnerungen, trüb’ und frohe,
Hier angesiedelt in jedem Raum,
Wo ich gelebt, geliebt, gelitten,
Jung gewesen und alt geworden
Und mein redlich Herz
In festen Händen gehalten.
[441] Und in mir ruft’s: Sei froh der Heimkehr!
Hier bist du zu Haus und drunten
An deinem See nur zu Gast.
Denn deines Wesens tiefste Wurzeln
Sind zäh gesenkt in die deutsche Erde,
Wenn auch der Wipfel sich gern
In italischen Lüften wiegt.

Morgen aber,
Wenn du im alten Bett zu Nacht
Geruht und Amselgesang
Früh dich lieblich ermuntert,
Gehst du durch wohlbekannte
Gassen und Plätze,
Nicht wie da unten freilich
Von Lorbeerhecken durchduftet,
Doch zum Ersatz dafür
Begegnet dir hin und wieder
Ein freundlich grüßend Gesicht,
Und Mancher stellt dich und drückt dir die Hand:
Grüß Gott! Bist glücklich zurückgekehrt?
Wir haben dich so lange vermißt.
Nun, hoff’ ich, bleibst du ein Weilchen hier!

Ja, alte Freunde!
Wenn die uns fehlen, fehlt uns das Beste doch
Im Land auch, wo die Zitronen blühn.

25. Mai 1902




[458]

Reisebriefe

An Joseph Viktor v. Scheffel in Karlsruhe

Lieber alter Freund, gedenkst du
Unsrer Sorrentiner Tage,
Da wir in der Rosa magra,
Jener billigen, bescheidnen
Künstlerherberg’ alten Stiles,
Traulich hausten Tür an Tür?

Du, von Capri erst gelandet,
Da wir kaum in rotem Landwein
Uns den Willkomm zugetrunken,
Gabst des Säckinger Trompeters
Erst Kapitel mir zum besten,
Frischgedichtet in Paganos
Palmenschatten; ich dagegen
Ließ dich sehn die Arrabbiata,
Kaum noch von der Tinte trocken.
(Lest Ihr eine Predigt? fragt’ uns
Die Luisa, die von anderm
Mündlich feierlichem Vortrag,
Von Gedichten und Novellen
Nie ein Sterbenswort gehört.
Und wir lachten.) Sacht inzwischen
Hatte sich Laurellas Urbild,
Jener braune, fünfzehnjähr’ge
Wildfang, bei uns eingeschlichen.
Einen Rosenstrauß in Händen
Raste sie um Tisch und Stühle,
Keines heft’gen Zurufs achtend,
Bis ich bei den schwarzen Flechten
Sie ergriff; da fletschte wild sie
Ihre blanken Katzenzähne,
Mich mit scharfem Biß bedrohend,
Wenn ich etwa hinterm Gitter
Des Balkons sie zähmen wollte;
Aber plötzlich sich besinnend
Warf sie ins Gesicht den Strauß mir
Und entsprang mit hellem Schrei.
[459] Draußen war indes der Vollmond
Rot am Horizont erglommen,
Hatte bald um Strand und Gärten
Ausgespannt sein weiches Goldnetz,
Das die Seelen magisch einfängt,
Und hinaus zum offnen Söller
Lockt' uns seine Zauberpracht.

Welche Nächte! Welche Wonnen!
Über allen Zauber Jugend!
Weit hinaus im Glanz verduftend
Schwamm das Meer; die eigne Zukunft
Schien uns wie ein Wundereiland
Fern emporgetaucht zu grüßen,
Und wir standen, starrten, staunten,
Bis vom Wind gewiegt das letzte
Ritornell am Strand verstummte
Und der Schlaf, der Freund der Jugend,
Uns auf hartem Bett umfing.

Hart wohl in der Rosa magra
War das Lager, hart zuweilen
Das arrosto oder fritto,
Doch die Herzen weichgeschaffen
(Sempr' allegra, ma onesta!
Klang Luisas biedrer Wahlspruch),
Und wir lebten so vergnüglich,
Wie ich dies in den Idyllen
Von Sorrent hernach des Breitern,
Nur vielleicht zu offenherzig,
Beichtet’ einem günst'gen Leser,
Einer strengen Leserin.

Kürzlich nun, nach fünfundzwanzig
Langen süß’ und bittren Jahren,
Da im Zauberland der Jugend
Ich gesucht ein Leidasyl, –
Gleich des herzlichen Genossen
Jener Tage mußt' ich denken,
Wie auch er aus andern Augen
[460] Heut in Meeresweite blicken,
Wie auch er mit anderm Herzen
Grüßen würde diesen Strand.

Zwar den groß’ und kleinen Hafen,
Die gewundne Treppensteile,
Grau und schlüpfrig, fändst du wieder,
Fändst die wohlbekannten schmalen,
Mauerschluchtig dunklen Gassen
Noch wie damals von Gerüchen –
Stockfisch, Öl, Johannisbrotfrucht –
Hexenküchenhaft durchduftet;
Noch wie damals auf den Schwellen,
Loggien, Mäuerchen, Balkonen
Braune Weiber, wockenschwingend,
Ihre nackten, funkeläugigen
Kinder säugend oder kämmend,
Mit dem Ruf: Muojo di fame!

Nur die großen Fremdenfallen,
Die Hotels, an allen Ecken
Sind sie mächtig aufgeschossen,
Daß die schmächt’ge Rosa magra
Vollends schamhaft sich verkriecht.
Dann die Piazza – traun, du kenntest
Einzig an der Schlucht sie wieder,
Die von Brücken überwölbet
Schauerkühl zum Meer hinabsinkt.
Ringsumher stehn neue Häuser;
Auf dem Ehrenplatz inmitten,
Unter Kutschern, Eseltreibern,
Müßig lungerndem Gesindel,
Tassos weißes Marmorstandbild,
Halb ein Landsknecht, halb ein Geck.

Armer Dichter! Noch im Tode
Spürt’ er seines Unsterns Walten,
Und von allen Marmorstümpern
Fiel dem Gröbsten er anheim!

Doch genug von toten Steinen!
Unser Herz gehört Beseeltem,
Menschen unser Angedenken.
Zwar, die Menschen, wenn nicht zeitig
Von der Bühne sie verschwinden,
Tauschen seltsam oft die Rollen.
Aus dem Helden wird zuweilen
Ein Philister, feig und schäbig,
Aus Naiven tragische Mütter,
Aus dem Primo amoroso
Ein moroser alter Narr.

Besser fand ich’s hier im ganzen.
Freilich, aus der Rosa magra
War die Mutter weggestorben,
Weggezogen alle Kinder,
Nur Gennaro, der als Jüngster
Damals noch im Hemd herumlief,
Hält mit seinem jungen Weibe
Aufrecht ihres Hauses Ruhm.
Doch Luisa heimzusuchen,
Mußten wir nach Meta wandern,
Wo sie, eines Stubenmalers
Ehweib, mit der einz’gen Tochter
(Ganz ihr Abbild! non è bella,
Ma simpatica, sapete!)
Haust in mäßigem Behagen
Und ein Farbenlädchen hält.

Sempr’ allegra, ma onesta
Gab sie den Besuch uns wieder,
Kam mit Mann und Kind und Schwester,
(Die in feurig süßem Wein sich
Einen Spitz trank, poverella!)
Und viel tausend Grüße soll ich
Dir bestellen, Don Pepino,
Und sie wußten noch den kleinsten
Umstand jener alten Zeit.

Auch die Arrabbiata fand ich,
Da sie just im Hof am Ziehbrunn
[462] Wasser schöpfte. Näher tretend
Bat ich: Reicht mir auch zu trinken!
Und so übern Krug hinüber:
Kennt Ihr mich nicht mehr, Laurella?
(Selbst erkannt’ ich kaum die alten
Übermüt’gen Züg’ im breiten,
Ruhigen Matronenantlitz.)
Doch sie wiegt’ ihr Haupt verneinend,
Noch im Schmuck der schwarzen Flechten,
Dran ich damals sie gezügelt,
Und erzählte mir, wie vieles
Unterdes sich zugetragen,
Wie sie ihren Mann gefunden
Und verloren, sieben Kinder
Ihm geboren, vier begraben,
Nur zwei Mädchen noch im Hause
Und der Sohn ein rüst’ger Schiffer.
Wahrlich, sieben Kinder löschen
Wohl der eignen Kinderpossen
Angedenken in dem Herzen
Eines schlichten Weibes aus.

Und wir reichten uns die Hände;
Auch die beiden Mädchen kamen,
Schön und schlank herangesprossen,
Zahmer als die Mutter damals,
Und mit stillem Segenswunsche
Schritt ich aus dem stillen Haus.

Doch auf deinen Lippen lang schon
Seh’ ich eine Frage schweben
Nach der Lieblichen, der Liebsten,
Jener stillen, schöngeäugten
Jungen Nachbarin, die damals
Schwesterlich das Herz mir rührte,
Ihres auch mir freundlich neigte,
Sehr unschuldig. Waren beide
Herzen doch in festen Händen,
Beide, wie in Ferienlaune,
[463] Wärmten sich an fremdem Feuer,
Bis die Scheidestunde schlug.

Wohl! auch Mariuccia fand ich,
Noch im alten finstren Häuschen,
Täglich am Balkone sitzend,
Träumrisch, ihr Gestrick in Händen
Und beträchtlich stark geworden,
Um sie her ein schwirrend, gurrend,
Glucksend Volk von Hühnern, Tauben,
Auch ein Kätzchen im gebräunten
Lehnstuhl kauernd; rings die Wände
Rauch- und staubgeschwärzt; die alten
Möbel dürftig, blind das Spieglein
An der Wand, vergilbt die bunten
Heil’genbilder überm Bette,
Daß beklommen, da ich eintrat,
Sich das Herz zusammenzog.

Und ich saß ihr gegenüber,
Und wir suchten eins im andern
Die entschwundne Jugend wieder.
Sag mir, Mariuccia, fragt’ ich,
Warum bist du einsam blieben?
Angiolinas Onkel, weißt du,
Jener schlanke Apotheker,
Warst du nicht mit ihm versprochen?
Und er liebte dich, und du auch
Liebtest ihn – –

Im nächsten Jahre,
Sprach sie still, ist er gestorben,
Und seitdem Ihr weggegangen,
Ist kein andrer mehr gekommen,
Mariuccia schön zu finden.
Seht, ich bin’s auch nicht geblieben;
Wer betrübt ist, altert frühe.
Und nun führ’ ich meinem Bruder
Hier das Haus seit manchem Jahre.
An Gesellschaft ist kein Mangel,
[464] Wie ihr seht; ich bin genügsam.
Immer seh’ ich vom Balkone
Einen Tag dem andern folgen,
Bis zuletzt der letzte kommt.

Fünfundzwanzig lange Jahre,
Nicht voll süß’ und bittrer Stunden,
Liebeleer, in ödem Gleichmaß,
Statt von holden Kinderlauten,
Nur umschwirrt von Vogelstimmen,
Ach, und das ein Menschenleben?
O Mariuccia, armes Herz!

Und wir reichten uns die Hände,
Und ich sah auf mir die schönen
Junggebliebnen Augen ruhen
Ohne Wunsch und ohne Klage,
Und mit tiefbewegter Seele
Schritt ich aus dem stillen Haus.

Abends, da mit meiner Liebsten
Ich im Dante las – dem kleinen
Exemplar, das du mir scheidend
In Sorrent zurückgelassen,
Noch am Rand die Spuren deines
Hermeneutischen Bemühens –
Und der Mond durch der Oliven
Zartes Silberlaub hereinsah,
Und wir an die Stelle kamen,
Wo Francesca seufzt: Es ist kein
Größrer Schmerz, als sich im Leid auf
Altes Glück zurückbesinnen! –
Plötzlich aus den Händen gleiten
Ließ ich stumm das Buch; im Sessel
Lehnte sich mein Weib zurücke,
Und ich sah, wie große Tropfen
Schwer ihr aus den Wimpern quollen.
Woran dachten wir? O Teurer,
Still davon! Es soll der Wehmut
Dunkler Kelch nicht überfließen.
[465] Birgt doch auch geheime Süße
Alten Glückes treu Erinnern.
Des zum Zeichen, von der Küste
Napolis, der lebensfrohen,
Trag’ im Winter dieses Blatt dir
Einen Hauch des Südens zu!

Neapel, November 1877




An Arnold Böcklin in Florenz

Als ich in Rom nur eine Nacht geschlafen,
An die Ripetta zog es mich hinab,
Zu jenem Hause, wo wir oft uns trafen.
Heut sahn die Fenster fremd auf mich herab.
Stumm schlichen hin des alten Stromes Wellen,
Und niemand war, der mir Willkommen gab.
Wo sind sie nun, die fröhlichen Gesellen,
Die Bienen gleich hier schwärmten aus und ein,
Der Künste Honig tragend in die Zellen?
Ich überwand mich nicht und trat hinein.
Ich stand in alter Tage Traum verloren
Und glaubte wieder jung und froh zu sein.
Von neuem klang der Lärm vor meinen Ohren,
Wie jenen Morgen, da an diesem Haus
Der Wagen hielt, den wir zur Fahrt erkoren
Zum Haine der Egeria hinaus,
Wo Jahr um Jahr das lustige Gelichter
Zu halten pflegte den Oktoberschmaus.
Nun stiegen ein sechs lachende Gesichter,
Bildhauer drei, zwei Maler außer dir
Und auf den Bock ein grüner junger Dichter.
Den großen Korb zu hüten gab man mir
Mit unserm Vorrat, dem gewalt’gen Braten
Und allem, was gehört zur Tafelzier;
Dazu die Aschenurne voll Pataten,
Ein Fläschchen goldnen Öls war auch zur Hand
Und was an Früchten ließ der Herbst geraten.
So sausten wir durch Rom. Die Sonne stand
Klar am Oktoberhimmel; jede Linie
Des Horizontes scharf und rein gespannt.
[466] Und wo dem Tore nah die alte Pinie
Herüberwinkend ihren Wipfel hob,
Hielt das Gefährt vor einer schlichten Vigne.
Der Vignerol, ein zottiger Zyklop,
Lud uns ein Fäßlein Roten auf den Wagen,
Der mit der neuen Last von dannen stob.
So auf der Gräberstraße hingetragen,
Sah ich die Wüste Roms zum erstenmal
Und bald auch der Oase Wäldchen ragen.
Du sagumklungen quellenkühles Tal,
Dem zwei Jahrtausende vorübergingen,
Seit Numa sich zu seiner Nymphe stahl,
Nie sahst du schönre Glut zum Himmel dringen,
Als wir entfacht im Eichenschatten dort,
Wo wir uns lagernd unser Fest begingen.
Du aber zogst, o Freund, den Neuling fort,
Ihm erst der Grotte Heiligtum zu zeigen,
Versteckt im Hochgras, sommerlich verdorrt.
Rings die Campagna lag im Mittagsschweigen,
Und wie wir traten aus der feuchten Nacht,
Sahn wir den Rauch in stiller Wolke steigen
Aus immergrünen Wipfeln, wie gemacht
Zum Tempel, drin ein Opfer zu entflammen
Den alten Göttern, deren ew’ge Macht
Die klugen Nachgebornen kühl verdammen.
Wir aber schlangen wucherndes Gerank
Des Efeulaubs zu Kränzen leicht zusammen.
Die fanden bei den andern lauten Dank,
Und so bekränzt nun überm stillen Tale
Erhoben wir die Hand zu Speis’ und Trank.
Gedenkst du noch, wie Franz mit voller Schale
In Priesterandacht unsres Herdes Glut
Umschritt, den Göttern spendend vor dem Mahle?
Und hoch und höher stieg der Übermut.
Bacchantisch überschwoll die Festeslaune,
Genährt von des Velletri dunkler Flut;
Bis unser Däne dann, der Bärt’ge, Braune,
Die Kleider abwarf und ums Feuer nackt
Mit Jauchzen sprang gleich einem ries’gen Faune.
[467] Drei taten’s nach von gleichem Rausch gepackt,
Und an den Schultern festlich sich umschlingend,
Den Boden stampften sie im Reigentakt,
Im Vierklang eine nordische Weise singend,
Die hell und wild die Wipfel überflog,
Mit dunklem Heimweh uns das Herz bezwingend.
Da rauscht’s im Busch, und auseinanderbog
Die Zweige scheu ein strupp’ger Campagnuole,
Den der Gesang aus seiner Hütte zog.
Er fuhr zurück und floh mit hast’ger Sohle,
Als er den nackten Satyrntanz erschaut,
In blinder Angst, daß ihn der Teufel hole.
Wir aber eilten nach und lachten laut,
Ihm Mut einsprechend, und ein voller Becher
Aus unserm Fäßchen macht’ ihn bald vertraut.
Dann wieder ehrbar lagerten die Zecher
Und brieten plaudernd der Kastanie Frucht;
Der Abend sank, die Flamme brannte schwächer.
Doch meine Augen hatten Franz gesucht,
Der von den andern still sich weggeschlichen,
Und bald entdeckt’ ich ihn am Rand der Schlucht.
Ich dacht’, er sei des Weines Macht gewichen
Und schlummre nun, in sel’gen Traum versenkt.
Doch er, das Blondhaar von der Stirn gestrichen,
Die Hand zum Willkomm überm Haupt geschwenkt,
Rief mich heran, daß ich sein Lager teile,
Den Blick ins stille Land hinausgelenkt.
So ruhten wir und schwiegen eine Weile
Und sahn im Abendduft die Berge glühn
Und rot des Aquäduktes Bogenzeile
Auftauchen aus der Wiesen tiefem Grün.
Er aber blickt’ empor, wo eben leise
Des Mondes Silberlilie wollt’ erblühn.
Und plötzlich fing er wunderlicherweise
Zu reden an, wie mit dem eignen Ich
Ein Träumer spricht, einfältiglich und weise.
Es klang so tief und rein und feierlich,
Daß Worte kaum die Flut der Stimmung faßten
Und atemloses Staunen mich beschlich.
[468] Wie wenn ein Meister auf den elfenen Tasten
Die Finger gleiten läßt, daß unbewußt
Die Seele sich in Tönen kann entlasten:
So drang hervor aus dieser jungen Brust
In regem Spiel geheimste Lebensfülle,
Die Rätsel dieser Welt in Leid und Lust,
Der Schmerz, der in der Tollheit bunter Hülle
Die Stacheln birgt, wenn uns das Wort der Kunst
Zweideutig klingt wie Sprüche der Sibylle.
Denn ach, wie launisch gönnt sie ihre Gunst!
Wie läßt sie oft den Lechzenden versiechen
Und kühlt mit keinem Tropfen seine Brunst!
Bis er, empört, am Boden hinzukriechen,
Zum eignen Flug sich aufschwingt frech und froh
Und dünkt sich gleich den Göttern oder Griechen.
Was soll’s? Was mühet sich die Seele so?
Ist denn Natur nicht aus sich selbst vollkommen?
Harrt sie auf uns, daß irgendwie und wo
Der blinden Schöpfung wir zu Hilfe kommen?
Kann dort die Abendglut erst selig sein,
Wenn von der Leinwand sie zurückerglommen? – –
Genug! Laß mich Erinnrung nicht entweihn,
Nachstammelnd jene gottverworrnen Worte,
Die mir das Blut erregt wie heißer Wein.
Ihm lauschend lag ich am geweihten Orte
Wohl eine Stunde lang, indessen er
Stets neues Gold mir bot von seinem Horte.
Wie war er reich! Wie schien er die Gewähr
Des höchsten Kranzes in der Brust zu tragen!
Und dennoch gab er seiner Zeit nicht mehr.
Natur, die weich auf Händen ihn getragen,
Ihm Aug’ und Seele mütterlich gefeit,
Was mußte sie dem Liebling eins versagen,
Wodurch allein sie Herrschgewalt verleiht:
Die süße Dumpfheit, jedes Höchsten Quelle,
Die seine Wurzeln tränkt mit Lauterkeit!
Sein Auge war zu scharf, sein Geist zu schnelle;
Er ward zu klug aus allem, was er schuf;
Der Baum erkrankt bei steter Lampenhelle.
[469] Zu willig folgte Weisheit seinem Ruf
Und lehrte sinnend ihn das All umfassen,
Da Schranken heischt des Schaffenden Beruf.
So hat er manch ein Werk zurückgelassen,
Beseelt von seines Wesens edlem Hauch,
Doch nicht erklingt sein Namen auf den Gassen.
Und damals, wie er schwieg und endlich auch
Zurück sich wandte nach der Feuerstätte,
Erblickt’ ich dich bei einem Ginsterstrauch.
Du hattest mit den andern um die Wette
Kastanien in der Asche dir geglüht,
Als ob die Welt nicht höh’re Freuden hätte.
Kein schwärmend Wort war deinem Mund entsprüht,
Doch tief im Innern sammelnd alle Gluten
Des schönsten Abends, brannte dein Gemüt.
Indes auf Farb’ und Form die Augen ruhten,
Sog still der Geist das Mark der Schöpfung ein
Und stählte sich im Bad der Schönheitsfluten.
Kunst ist ein Schatz, und Geister hüten sein.
Wer glaubt und schweigt, kann ihn heraufbeschwören;
Wer spricht, dem wird der Zauber nicht gedeihn.
Und ob sie deine Zirkel wollten stören,
Dich meisternd locken aus dir selbst heraus,
Du lerntest früh dir schweigend angehören.
So wuchsest du in stolzer Kraft dich aus,
Da unser Freund so früh dahingegangen;
Ich aber dachte beim Ripettahaus
Des Herrlichen, was wir von dir empfangen.

Rom, 20. Dezember 1877




An Otto Ribbeck in Leipzig

Neulich, Teuerster, hab’ ich lachen müssen,
Da ein schöner Essay mir in die Hand kam,
Drin ein trefflicher Gönner deines Freundes
Leben, Taten und Romfahrt abgeschildert,
Mit pragmatischer Kunst die Fäden knüpfend
[470] Eines schlichten Poetenlebensläufleins.
So erzählt er die Mähr, wie Martinucci
Aus der Bibliothek der Vaticana
Mich harmlosesten Fremdling weggewiesen,
Der ich fröhlichen Mutes hingepilgert,
Als romanischer Philolog in herba
In handschriftlichen Staub mich einzuwühlen.
Denn so stand es in meinem Paß geschrieben,
Da zu diesem Behuf ein wohlgeneigtes
Ministerium einen Reisepfennig
Mir bewilligt. Ich dacht’ ihn heimzuzahlen
Mit sehr löblichen Troubadourexzerpten.
Doch verdächtig erschien’s dem heil’gen Vater,
Und so sandt’ er den Engel, in Gestalt des
Monsignore Custode, mich aus seinem
Pergamentenen Paradies zu bannen.
Nur ein winziges Blatt aus Edens Garten
– Nicht zu stehlen, behüte! – nachzuzeichnen
Hatt’ ich Tor mich erkühnt, durch so verwegnen
Sündenfall des Permesses Heil verscherzend.
Wohl ihm! ruft der verehrte Freund; durch diesen
Sehr verstimmenden Zwischenfall entschied sich’s,
Daß er ganz sich der Dichtung zugewendet.
Uns entging ein gelehrter Handschriftkenner
Mehr, wie Mätzner und Mahn und Bartsch und Tobler,
Doch statt dessen erhielten wir – das weitre
Lies du selber am angeführten Orte.

Lachen mußt’ ich fürwahr. Ich sah im Geist mich,
Nicht unwürdig des Vaters, Ahns und Oheims,
Auf erhabnem Katheder, einer Handvoll
Guter Jünglinge den Petrarc erklären,
Altfranzösisches Epos oder Lopes
Dramen oder Cervantes in zweistünd’gem
Schwachbesuchtem Kolleg zum besten geben
Und alljährlich die Zahl der Texte mehren,
Dran Velduo Velnemo, jenes treue
Paar romanischer Leser, sich ergötzen.
War’s das bessere Teil? Wer weiß! der Tropfen
Philologischen Bluts in meinen Adern
[471] Wär’ zum Strome vielleicht noch angeschwollen,
Und „Erkanntes erkennen“, wie einst Vater
Boeckh der Philologie das Ziel gewiesen,
Hätte mehr mich getröstet, als im Irrsal
Armer menschlicher Schuld und Schicksalsnöte
Tastend mich zu ergehn voll Furcht und Mitleid,
Um des Lebens Geheimnis nachzustammeln.
Doch was frommt es, verlornen Möglichkeiten
Nachzugrübeln? Es denkt der Mensch, der heil’ge
Vater lenkt, und ein deutsches Dichterlos wird
An der Schwelle des Vatikans entschieden.

Nein, im Ernste: von dir, vor dessen Augen
Jener geistliche Bann an mir vollstreckt ward,
Wünscht’ ich heut mir ein unverdächtig Zeugnis,
Ob mich wirklich so tief des Interdiktes
Blitz getroffen, ob wirklich unter Seufzen
In die Pforte des Vatikans ich einschlug
Jenen Nagel, daran den Philologen
Ich auf ewige Zeiten hing, verzichtend
Auf der Mätzner und Mahn und Tobler Lorbeern.
Noch des ferculum primum wohl gedenkst du
„Vom Refrain bei den Provenzalen“ (cuius
Tu pars magni fuisti, da mit meinem
Eignen bißchen Latein ich schier zu Ende);
Noch, wie seelenvergnügt, indes du selber
Dich an würdigen Pergamenen mühtest,
Ich in Villen, Museen und Kirchenhallen
Als ein fröhlicher Ignorant herumstrich,
Sonn’ und Lieder und Orvieto schlürfend,
Die du freilich denn auch zu schätzen wußtest.
Ach, schon lange geheim im Busen warnte
Mich mein Genius: Eitle Müh’ und Arbeit,
In den Spuren des großen Diez zu wandeln!
An historischem Sinn gebricht dir’s leider,
Der Gewesenes schätzt, dieweil es da war,
Und was lange vermoderter Geschlechter
Herz nur mäßig bewegt, mit öder Andacht
Aus papierenen Grüften neu ans Licht zieht.
Wohl! unsterbliches Werk vom Unkraut säubern,
[472] Den ihm Toren und Klügler angeheftet,
Aus erblichener Spur des Geistes Wandeln,
Aus zerstückeltem Trümmerwerk der Dichtung
Und des Lebens Gestalt herauszudeuten,
Ist des Schweißes der Edlen wert; doch dazu
Braucht’s bewährterer Hand, berufnen Auges,
Und nicht pfusche des Dilettanten Fürwitz
Hoher kritischer Meisterschaft ins Handwerk.
Dir ward andres verhängt: ein unverfälschter
Sohn des Heute zu sein, des gegenwärt’gen
Weltlaufs buntes Gebilde zu verew’gen
Mit nachdenklichem Wort. Darum ins Leben
Lenke rüstig den Schritt vom Dunst des Bücher-
Saals und blick in die Welt und in dich selber,
Und dann sage der Welt, was du erschautest.

So mein eigener Dämon, der in simplem
Deutsch mich immer berät und von Romanisch
Wenig weiß. Und ich tat nach seinen Winken,
Und so hab’ ich in fünfundzwanzig Jahren
Oft ein Heimweh gespürt nach Ponte Molle,
Nach den Villen, Museen und Kirchenhallen,
Nach dem Hause der Dame Rubicondi,
Wo beim strohernen Fiasco wir so manche
Nacht verplauderten in Lucians Gesellschaft:
Nie nach jenem verbotnen Paradiese,
Wo vom Baum der Erkenntnis des Erkannten
Noch manch seltene Frucht sich pflücken ließe.
Ja, gesteh’ ich es frei – und mag voll Mitleid
Auch ein Archäoman die Nase rümpfen –:
Nicht unwillig betracht’ ich heut der neuen
Ära Spuren, so flach und breit sie manchmal
Zwischen hehre Vergangenheit sich hinpflanzt.
Traun, noch übergenug des unvergänglich
Hohen Alten verblieb, das Herz zu stillen
Und den Geist des Betrachters einzuwiegen
In elegischen Traum vom Fluß der Dinge!
Doch dem Wachen gehört die Welt. Erwacht ist
Heut Italiens Volk und hat des Reiches
Thron im Herzen des Landes aufgerichtet,
[473] Mag darüber des Vatikanes Zwingherr
In ohnmächtigem Grimm als ein entthronter
Erdengötze sich tief in Wolken hüllen.
Ja, heut ließe sich hier vom Erdenirrsal
Nicht nur friedlich mit andern Toten ausruhn
In der Cestiuspyramide Schatten, –
Nein, auch  l e b e n, von hochgeschwellter Woge
Des lebendigen Zeitenstroms getragen.
Wie ergreifend erklang sein tiefes Brausen,
Als er neulich entlang dem alten Korso
Eines trefflichen Herrschers ird’sche Hülle
Trug in düsterem Pomp, und mit dem Zuge
Schritt der Erbe der deutschen Kaiserkrone,
Dessen ragendes Haupt noch lang die Sonne
Tatenfreudiger Kraft umleuchten möge.
Und nach wenigen Tagen wieder strömt’ es
Über Piazza Colonna, und ein ganzes
Volk, um Monte Citorio sich scharend,
Horcht’ in glühender Stille, wie sein junger
Fürst ihm schwor, an Gesetz und Recht zu halten,
Jenes teuerste Gut der Volkesfreiheit
Gleich dem Vater ihm unversehrt zu hüten.
Laut vom Pincio erdröhnten Böllerschüsse,
Laut nachdonnerte Jauchzen tausendstimmig,
Als der trauernde Sohn vom Sarg des Vaters
Aufnahm eines Regenten Dornenkrone
Samt dem schneidigen Kriegsschwert der Savoyer.
Und ich fühlte den Puls des Heute kraftvoll
Durch die menschengeschwellten Gassenadern
Der ergreiseten Weltenherrin pochen,
Höher wahrlich als einst, da Pio nono,
Auf dem Sessel herumgetragen, schläfrig
Übers knieende Volk den Segen nickte,
Weihrauchwolkenumqualmt, von Pfauenwedeln,
Einem Dalai-Lama gleich, umfächelt.

Abends, als sich der Mond im Blau verkündet,
Mit dem Strome des Volkes übers Forum
Am zerklüfteten Palatin vorüber
Langsam wandelten wir zum Coliseo.
[474] Sonst die schweigende Stätte dunkler Schwermut,
Nur durchschwirrt von der Brut des Nachtgevögels,
Ein entseeltes Geripp, ein wundersamer
Quadernplesiosaurus; heut von fern schon
Klang’s und wimmelt’ es von lebend’gem Regen.
Genuesische Lanzenreiter, ihrem
Toten König ein letzt Geleit zu geben,
Hatten jagend die ungeheure Strecke
In drei Tagen zurückgelegt und Obdach
Hier gefunden im alten Riesenrundbau.
Rings in hochüberwölbten Trümmerhöhlen,
Kaum sich selber die dürftige Streu vergönnend,
Daß nur ja sie den Tieren nicht ermangle,
Lagernd, schlendernd, die blanken Gäule striegelnd
Trieb die reisige Schar sich hin und wieder.
In Kavernen, wo einst gedungne Fechter –
Morituri! – geharrt des grausen Kampfspiels,
Oder bebenden Märtyrern von ferne
Dumpfes Löwengebrüll herüberdrohte,
Dann durch manches Jahrhundert blöde Mönche
Vor den hölzernen Kruzifixen näselnd
Litaneien gesummt, erscholl von neuem
Die Parole lebend’ger Volksgeschichte,
Zwar gedämpft in der frischen Grabestrauer,
Herzbeweglicher doch, als selbst der dunkle
Weltschmerzselige Laut von Byrons Klage.
Sacht aufglühte der Mond, die schöne Cella
Dort am Tempel der Venus und der Roma
Leicht vergoldend, und still im Mondlicht wallte
Aus Feldkesseln der Rauch, darin die karge
Nachtkost rüsteten die bescheidnen Gäste.
Doch im bleichen Gewölk erblickt’ ich träumend
Wundersames Gesicht, Italiens Zukunft
Mir vordeutend – genug! Dich seh’ ich lächeln,
Daß nun gar der Poet sich des Propheten-
Amts zu walten erkühnt. So laß uns leben,
Wir erleben’s vielleicht. – Vale faveque!

Rom, 23. Januar 1878




[475]

An Wilhelm Hertz in Berlin

Dilettant heißt der kuriose Mann,
Der findet sein Vergnügen dran,
Etwas zu machen, was er nicht kann

So hab’ ich selbst einmal gesprochen,
Aller Pfuscherei den Stab gebrochen,
Und war doch selber unter der Hand
Ein gottvergnügter Dilettant,
Den’s höchlich auferbaut, zuzeiten
Sein Steckenpferdlein frisch zu reiten.
Noch denkst du wohl der Tage, Freund,
Da wir selbander umhergestreunt
In Thürings Berg- und Waldgeheg,
Allwo dir kund sind Weg und Steg,
Und wie wir oft im Grünen saßen,
Überm Kritzeln Speis’ und Trank vergaßen,
Ein Bröckchen Fels, ein alt Gemäuer
Hinstrichelten mit heil’gem Feuer
In jenes Büchlein schlank und schmächtig,
Das du erstanden wohlbedächtig
In Jena neben Frommanns Haus,
(Sah wie ein Schülerschreibheft aus,
Blau der Umschlag und dünn die Blätter).
Doch wir in gut’ und schlechtem Wetter
Erprobten darin mit Leidenschaft
Unsre verstohlne Künstlerkraft,
Fanden auch nichts Kurioses dran,
Daß einer macht, was er nicht kann.

Ach, wenn in Ferien dann und wann,
Wer einer Kunst sich zugeschworen,
Oder sonst ein schwer Geschäft erkoren,
In andern freien Künsten pfuscht,
Flöte bläst oder Bildlein tuscht,
Niemand zur Last, sich zum Vergnügen,
Zumal auf einsamen Wanderzügen,
Soll man nicht gleich so hitzig lästern.
Sind doch die Musen liebe Schwestern:
Führt man die eine heim als Frau,
Sie nimmt’s wohl einmal nicht genau,
[476] Wird lächelnd durch die Finger sehn,
Tut man mit einer Schwägerin schön,
Da es ja in der Familie bleibt;
Dafern man’s nur in Züchten treibt,
Mit seinem stillen Dilettieren
Nicht vor den Leuten will renommieren.

So hab’ ich’s all mein’ Tag’ getrieben,
Ist mir darum auch fern geblieben
Das Naserümpfen und höhnisch Lachen,
Wenn’s andre eben nicht anders machen.
Ja, oft empfand ich einen Neid,
Sah ich die Himmelsseligkeit,
Womit ein unbefugt Talent
Von hoher Schöpferlust entbrennt,
Skizzenbücher zusammenschichtet,
Dicke Hefte voll Lieder dichtet
Und wie ein Geiziger, wenn es nachtet,
Den angehäuften Schatz betrachtet.
Blieb’s nur dabei! Doch leider reißt
Die Guten hin ein böser Geist,
Dem Licht auch endlich zu offenbaren,
Wie vergnügt sie im Dunkeln waren,
Da dann am kalten Blick der Welt
Ihr Reichtum nicht die Probe hält.
Dann wird der Segen schönster Stunden
Gezählt, gewogen, zu leicht erfunden.

So hat in Rom mich ungescheut
Mein bißchen Pfuscherei erfreut,
Und wo sich hinlenkt unser Schritt,
Wandert das Zeichenbüchlein mit,
(Nicht wie in junger Zeit fürwahr,
Wo’s manchmal ein Galeotto war
Und etwa mir bei schönen Augen
Mußte die Tür zu öffnen taugen,
Da ein pittore in Dorf und Stadt
Stets unverdächtigen Zutritt hat.)
Heut ging’s hinunter nach dem Tore
Vorüber an Marie Maggiore
[477] Da wächst empor eine neue Stadt,
Sechs Stock hoch, weißgetüncht und glatt,
Gemütlos widerwärtige Kasten,
Die baß zum Köpnickerfelde paßten.
Dazwischen schaut ein Ruinentrumm
Verlegen und betrübt sich um
Und scheint von naher Zeit zu träumen,
Wo es denn auch den Platz soll räumen.
Wir sahn das braune Gemäuer winken,
Einen hohlen Zahn mit schartigen Zinken;
Unweit dahinter herübersah
Die alte Minerva medica,
Auch ein Stück eines Aquädukts,
Und gleich mir in den Fingern zuckt’s,
Als ob hier was zu holen sei.
Nun lag ein Hüttlein nebenbei,
Dem Altertum just gegenüber;
Giuoco di bocce las man über
Der niedren Tür, und aus der Küche
Kamen Zwiebel- und Weingerüche,
Wie man’s wohl kennt in römischen Schenken.
Dahin wir flugs die Schritte lenken
Und bitten, daß man vor die Tür
Uns ein paar Sitze trüg’ herfür,
Mein Pfuschwerk eilig zu beginnen.
Ein junges Ehpaar hauste drinnen,
Das eben sein pranzo mit Salat
Und Brot und Wein vollendet hat.
Die trugen zwei Sessel vor das Haus,
Saßen dann selbst zu uns hinaus,
Und während flink mein Stift sich rührte,
Man eine Zwiesprach zusammen führte.
Ein Jahr erst waren sie vermählt,
Hatten dies arme Nest erwählt,
Weil niemand sonst dazu sich fand,
Da es längst auf dem Abbruch stand.
Die Frau, ein harmlos muntres Wesen,
Wär’ gar so übel nicht gewesen,
Hätt’ nur ein wenig Waschen gebraucht,
So war sie staubig und angeraucht.
[478] Ihr Gatte grüßte mich als Kollegen:
Er tät’ einst selber der Malkunst pflegen.
Nach Solferino hab’ er einmal
Wund müssen liegen im Spital
Viel öde Wochen und Monden lang,
Da hab’ er so aus Herzensdrang
Mit Zeichnen sich die Zeit vertrieben,
Nun sei ihm nur die Lust geblieben.
Er könn’ an Berg’ und Mauern dort
Sich nimmer satt sehn fort und fort.
Ich sollt’ auch fein die zwei Zypressen
Dort auf dem Hügel nicht vergessen,
Auf daß doch immer ein Abbild bliebe,
Wenn hier der Neubau sie vertriebe.
Er selber hab’s versucht; doch sei
Es ihm zu schwer, er sag’ es frei.

So plauderten ein Stündlein wir
In guter Freundschaft alle vier.
So still und lieblich war der Ort,
So lenzhaft schien die Sonne dort
Schon in des Februars Beginne –
Es ward uns wunderwohl zu Sinne.
Und als mein Skizzchen nun vollbracht –
Eilfertig, wie’s ein Stümper macht –
Mußt’ ich mit meiner lieben Frauen
Das Hüttlein auch von innen schauen.
Da war nun alles nach Landesbrauch
Gar dürftig, kahl, voll Ruß und Rauch,
Der Tisch am Herde schlecht und recht,
Ein Riesenfiasko in Strohgeflecht,
Nur wenig Hausrat ringsumher,
Als stammt’ er noch von den Tagen her,
Da Hannibal vor den Toren stand.
Doch hinter der schwarzen Bretterwand
Tat sich noch auf ein Kämmerlein,
Da führt das Paar uns stolz hinein.
War zwar nichts Köstlichs dran zu sehn,
Kaum Platz, sich eben umzudrehn,
Ein Bett mit Strohsack, vielgeflickt,
[479] Doch wie wir forschend umgeblickt,
Sahn wir die niedren Wände rings,
Die schiefe Decke rechts und links
Tapeziert mit Bildern allerhand,
Sämtlich von einer schweren Hand
Mit bunten Stiften übermalt.
Unseres Wirtes Auge strahlt,
Da er uns seine Werke wies.
„Ecco! Das Kapitol ist dies,
Und dies der Hafen von Triest;
Auch dies sich wohl erkennen läßt;
Die spanische Treppe stellt es vor,
Und dies den Lateran, Signor,
Und dies – und dies – – sind arme Sachen,
Und war doch lustig, sie zu machen.“

Wir aber standen und staunten mächtig,
Belobten alles gar andächtig
Und sprachen unter uns: Es heißt
In Wahrheit „Selig, die arm an Geist“.
Der biedre Künstler hier, ich wette,
Erwacht er früh in seinem Bette
Und sieht ringsum an Deck’ und Wand
Die bunte Schöpfung seiner Hand,
Nicht Raffael war so selig, da
Ihm vorgeschwebt die Disputa.

Und also schieden wir. Der Gute
Wünscht’ meinem Weib buona salute.
Seitdem, seh’ ich mein Büchlein an,
Hab’ ich auch meine Freude dran
Und spreche getrost: sind arme Sachen,
Und war doch lustig, sie zu machen.

Rom, 11. Februar 1878.




An Wilhelm Hemsen in Stuttgart

Hast du das Goethebildchen im Sinn? Vor neunzig und einem
Jahr entstand es in Rom, da hier mit dem wackeren Tischbein
Er sich bescheiden vertrug, wie im Storchenneste der Adler
[480] Sich zu wohnen bequemt, weitab in die Ferne verschlagen.
Nicht die Tafel, die ihn „als Reisenden zeigt, in den weißen
Mantel gehüllt, im Freien, auf umgestürztem Getrümmer,
In die Campagna die Blicke gekehrt“; nein, jenes geringre
Blatt, mit der Feder umrissen und leicht schattiert mit dem Pinsel,
Wo er so bäuslich erscheint in der Sommerfrühe, nur eben
Aus dem Bette gesprungen und erst notdürftig bekleidet,
Wie er, den hölzernen Laden zurückgeschlagen, des schönen
Römischen Morgens genießt und bequem hemdärmlig am Simse
Lehnt und der Sonne die Brust und das atmende Antlitz zukehrt.
Nur vom Rücken belauschest du ihn, doch glaubst du in jeder
Linie den Hauch zu empfinden des Wohlseins, der aus dem Lichtquell
Sich durch Adern und Nerven des Neuerweckten ergossen.
Selbst im Nacken das Zöpfchen, der Fuß, der aus dem Pantoffel
Halb sich erhob, die Schnalle, die unterm Kniee den Strumpf hält,
Jeglicher Zug spricht aus: dem Mann ist wohl; wie ein Halbgott
Schlürft er, vom Zwange befreit, den verjüngenden Atem der Frühe.

Sieh nun, unter dem nämlichen Dach – nur wuchs es um einen
Stock seitdem noch hinauf – ward deinen Freunden zu wohnen
Vom Geschicke vergönnt. Wir wanderten neulich im Korso,
Scharf nach Täfelchen spähend, darauf uns winkte die Losung
Camere mobiliate da affittarsi. Und „gegen
Rondanini über“ begrüßt’ in Marmor gegraben
Uns die Notiz, „es hab’ hier einst Unsterbliches dichtend
Wolfgang Goethe gewohnt (Volfango nennt ihn der Römer);
Des zum Gedächtnis sei von der Stadt die Tafel gestiftet“.
Doch wir wandten enttäuscht uns weg, wie übelbehauste
Fremdlinge tun, die selbst denkwürdigsten Stätten vorbeisehn,
Nur von der Sorge bewegt, wo nachts sie ihr Haupt hinbetten.
Just da holt’ uns die Botschaft ein des Wohnungsvermittlers:
Zwei vortreffliche Zimmer am Korso könn’ er empfehlen,
Casa Goethe. – Fürwahr, dir hat dein Glaube geholfen!
Rief ich. Umsonst nicht hast du ihn nun zeitlebens vergöttert.
Wie dem redlichen Priester im Heiligtume zu wohnen
Nicht als Frevel erscheint, so ziemt’s auch dir, in den Mauern,
Die sein Name geweiht, dein winterlich Wesen zu treiben.

[481] Ach, nur leider die Jahre, sie haben der teuren Erinnrung
Traulichste Spuren verwischt. Er selbst, wenn heut er der alten
Römischen Zeit Schauplätze mit Geisterschritten durchwallte,
Fände den Saal nicht mehr, darin er über den Sommer
Kühl und still sich gehalten, aus dem hinab in die Gasse
Nachts die Geigen erklangen und schöne Musik, bis drunten
Ein musikalischer Wagen, auf nächtlicher Runde begriffen,
Anhielt, Sang und Klang mit vollem Orchester erwidernd,
Während das lauschende Volk mit Händeklatschen dem schönen
Doppelkonzert Dank sagte, vorab dem reichen Milordo,
Der so treffliche Künstler in seinem Hause versammelt.
Kaum das Fenster erkennt’ er vielleicht, aus welchem herüber
Ihm Angelika winkte, die Künstlerin, etwa dem Freunde
Mitzuteilen: Ich hole dich ab zu Wagen; der Tag ist
Schön. Acqu’ acetosa verspricht uns herrliche Fernsicht. –
Alles ist längst verwandelt vom neuernden Geiste der Enkel;
Nur nach Süden der Blick schweift über den Garten am Hause,
Über die Nachbargärtchen, getrennt durch schwärzliche Mauern,
Zwar auch sie nicht mehr „mit einfach edeler Baukunst,
Gartensälen, Balkonen, Terrassen und offenen Logen“
Frei und lustig geschmückt; ein unansehnlich Gewinkel
Strebt vielfältig empor und dient allein dem Bedürfnis.
Doch wie damals noch erfreun Zitronen und reife
Goldorangen den Blick, „ein grünendes, blühendes Eden“,
Und zwei Brünnlein sprühn in reinliche Becken die Welle,
Die es erfrischt. Und wenn hoch über den Dächern die Sonne
Mitten im starrenden Winter den Hauch ausbreitet des Frühlings
Ist’s gar lieblich dahinten, und allerlei Götter und Geister
Meinst du schweben zu sehen entlang den sonnigen Pfaden,
Ganz wie am lachenden Morgen, da droben im oberen Stockwerk
Sich ein Laden geöffnet und aus zwei strahlenden braunen
Augen ein hoher Mensch in das niedere Gärtchen hinabsah.

Wohl! Er hatte die Augen, die sonnenhaften, gewohnt ins
Helle zu schaun, und gleich den Königskindern im Märchen,
„Vor ihm Tag und hinter ihm Nacht“, durchschritt er das Leben
Leuchtenden Haupts. Wie vor des Gestirns Glutpfeilen der Nebel
Weicht, schien jegliche Trübe vor seinen siegenden Blicken
Sich zu zerstreun und sanft zum Farbenspiele der Dichtung
[482] Selbst die Schatten des Todes versöhnt auseinanderzuklingen.
Ach, mit solcher Gabe, der köstlichsten, wähnt’ ich mich selber
Einst vor vielen begnadet. Talent zur Freude zu haben,
Rühmt’ ich mich oft; stets war ich bedacht, den Neid der Dämonen
Nicht durch Prahlen zu reizen, und nicht durch frostigen Undank
Mir zu verscherzen das himmlische Gut. Und sonnige Jahre
Lebt’ ich fruchtbar hin. Nun aber umspann mich das Schicksal
Mit so dichtem Gewölk, daß mir die Wimper, die schwere,
Lang schon haftet am Boden, und wie ein Vogel im Regen
Unter dem Dachfirst stumm den triefenden Flügel gesenkt hält,
Sitz’ ich beklommen und starr und keinem Gestirn mehr trauend,
Das noch blinzelnd zuweilen aus tiefer Umschleierung vorbricht.
Denn zu schwer im Tiefsten verwundete diesmal der Parze
Schnitt, die den goldensten Faden aus unsres Glückes Gewebe
Hart lostrennend zerriß. Nun ward das zarte Gebilde
Unbarmherzig zerrüttet. Das Händlein, das so geschäftig
Mit an dem Einschlag helfend die buntesten Blumen hineinwob,
Ruht in ewiger Nacht. Wir aber leben von Dämmrung
Schaudernd umgraut. Nichts Holdes und Sonniges kommt uns zu lichten,
Selbst hier unter dem römischen Dach, wo jener gewalt’ge
Sohn des Lichtes den Hauch der Erinnerung wärmend zurückließ.
Und ich frage mich: Hätt’ auch ihn so Herbes getroffen,
Wie wohl hätt’ er’s getragen? mit welchem Balsam der Wunde
Fieber gekühlt? Wär’ auch so seelumnachtende Trübsal
Vor dem strahlenden Auge des Welterleuchters zerronnen?
Hätt’ ein Gott ihm gegeben, auch das von Herzen zu singen,
Sein verlornes Geliebtes mit dichtender Kraft zu verew’gen?
Doch was frommt es, zu grübeln, wie wohl ein Stärkrer geduldet,
Wie er bewältiget hätte sein Weh! Ich dulde das meine,
Wehrlos gegen die Übergewalt, obwohl ich in andrer
Not nicht schimpflich bestand und ein Kämpfer zu sein mir bewußt bin.
Mehr als geliebt ja hab’ ich dies Kind: es war meine letzte
Leidenschaft. Nie wird so Liebliches je mir begegnen,
Nie so Liebenswürd’ges die brennende Sehnsucht kühlen.
Liebt’ ich in ihm doch  m i t  die verlorenen beiden. In ihm war
All das Holde versammelt in sprossenden Trieben und Keimen,
Was, zu frühe gewelkt am sengenden Strahle des Lebens,
[483] Wieder dem Staub sich vermählt. Es schienen die ewigen Mächte
Vollen Ersatz zu vergönnen in diesem beglückenden Kinde,
Das, als ahnt’ es, wie früh auch ihm vom Stamme gerissen
Hinzuwelken bestimmt, so süß in klammernder Inbrunst
Mit liebkosendem Wort, das sonst aus reifem Gemüt nur
Quillt, in lachender Lust all seine Geliebten umarmte.
Ach, was gilt der erhabenen Macht ein jauchzendes Lallen
Armer sterblicher Menschen! Sie selbst ist kummer- und freudlos,
Und wie ein Fremdling nur, ein geduldeter, mischt sich die Freude
In der Genien Rat, die am Werk teilhaben des Schicksals.
Uns nur ist sie die höchste von allen beseelenden Kräften,
Die aus glimmender Wärme der Menschenbrust wie ein Flämmchen
Aufschlägt, rings in frostiger Nacht des irdischen Daseins
Unsern Weg zu erleuchten und Herz am Herzen zu wärmen.
Wird auch  u n s  noch wieder, den Schwerverzagten, der Funken
Aufglühn, der so traurig in Staub und Asche verglommen?
U n s  das brennende Aug ins sonnige Leben noch einmal
Wieder zurück sich gewöhnen? – Für jetzt noch mögen die Freunde
Still im Schatten uns dulden. Es tränt zu heftig die Wimper,
Die ins Helle sich wagt. Und hier in der heiligen Roma
Sind umschatteter Stätten genug, von Menschen gemieden,
Die nichts Teures besessen und nichts verloren. Zu denen
Laß uns flüchten, sobald an jenen Fenstern vorüber,
Draus Angelika grüßt’ und winkend der Freund ihr entgegnet,
Wieder der Karneval braust, den er so farbig geschildert.

Rom, 31. Januar 1878




[524]

An Wilhelm Jensen

Wie mir’s gehe, seitdem nun endlich zu meinem geliebten
Gardasee ich wiedergekehrt, in Villa Annina
Sehnlich der Ankunft harre des hier auch zögernden Frühlings,
Fragst du mich, Freund, und sagst, du gönnest mir, über des Gartens
Palmen und Lorbeerlauben und dunkle Zypressen die Blicke
Weithin schweifen zu lassen zu Kap Manerba, der Garda-
Insel, die lang hinlagernd, vergleichbar einer gekrönten
Schlange, das Haupt aus den Wellen erhebt, und drüben zur Küste
San Vigilio’s, zart von silbernem Duft umwoben,
Während das goldene Licht mit zitterndem Glanz in der weiten
Fläche des Sees sich spiegelt, das Herz im Busen belebend.
Wem dies alles zu schauen vergönnt, dem müsse, so schwärmst du,
Auch die Seele sich weiten und still zum Empfange der hohen
Muse sich rüsten, die hier vor zwei Jahrtausenden gern schon
Weilte, seitdem Katull sein Häuschen in Sirmio baute.
Und so rufst du mir fröhlich Glück auf! und erwartest mit Nächstem
Wieder ein dichterisch Werk des Freunds zu empfangen, darinnen
Leise das Rauschen erklingt von der purpurnen Flut des Benacus.

Fromme Wünsche, mein Teurer! Es ändern sich leider die Zeiten,
Wir mit ihnen. Und wär’ auch die Hand des Gealterten, die einst
Unermüdlich die Saiten gerührt, noch kundig des zarten
Musischen Spiels, heut regt nur selten sich noch in der Seele
Irgend ein dichtender Trieb, und der ich jeglichen Tag einst
Für verloren erachtet, an dem die Muse mir fern blieb,
Jetzt, wenn irgend ein Traum mir ihr Nahn ankündigt, erschreck’ ich,
[525] Daß sie mich unwert fänd’, und möchte mich gern ihr verleugnen.
Fühl’ ich es doch: das Beste, das Eigenste, was ich zu geben
Hatte der Welt, längst gab ich’s dahin, und da ich mein Herzblut
Nimmer gespart, wie Wein, in eigener Vigne gekeltert,
Und aus Vollem geschenkt, ich hätte nur dürftige Neigen
Jetzt zu kredenzen den Freunden, die einst ich besser bewirtet.

Ach, und leider versäumt ich, obwohl in mancherlei Künsten
Ich mit Glück mich versucht, von allen die schwerste zu lernen:
Müßig zu gehn! Was köstlich bedünkt an der Schwelle der Achtzig
Tausenden, jetzt von den Mühen des lebenslänglichen Werktags
Auszuruhn, gleichsam in beständiger Sonntagsfeier
Still zu verzehren ihr Ruhegehalt, das sauer verdiente,
Täglich des Otiums froh cum dignitate – und wär’s auch
Ohne besondere Würde –, vor Augen stand es mir immer
Als ein drohend Gespenst, nicht Lohn, nein Strafe des Dichters.
Anders freilich genießt dies Los, wer nur um des Lebens
Notdurft kämpfend in schwerem Geschäft, nun endlich die Bürde
Abwirft, täglich beglückt, daß nicht am Morgen die Pflicht ihn
Zwingt, halb ausgeschlafen, das wohlige Bett zu verlassen,
Um zur Arbeit zu gehn, dran nie sein Herz sich erquickte;
Anders der Glückliche, der, stets auf des Genius Weckruf
Lauschend, das Werk nur schuf, das tief im Busen ihm reifte.
Wenn nun der ihm verstummt, ward alles umher ihm auf einmal
Öd und tot. Nicht klingt der Natur melodische Stimme
Ihm noch lieblich ans Ohr. Er wandelt ein lebender Schatten
Unter der strebenden Menschen Gewühl, als hätte das Recht er
Mitzuatmen verscherzt und stünd in der Welt, ein verdorrter
Baum, dem nimmer vergönnt, in Früchten den Saft zu entladen.
Dann wohl neidet er selbst die Genügsamen, welche die leeren
Stunden des müßigen Tags ausfüllen mit allerlei Kurzweil,
Sei’s mit Altersgenossen beim Skat im Café und am Abend
Am Biertische die Weltpolitik wohlweise bekrittelnd,
[526] Oder sie treiben vergnüglich mit ernster Beeiferung eine
Liebhaberei als Sammler und Dilettanten und täuschen
Spielend sich drüber hinweg, daß jetzt mit dem Ernst es vorbei sei.
Wer sein Leben dem Schönen geweiht, die höchste der Wonnen
Kostete, die nur der Künstler genießt, im Äther der reinen
Phantasieen zu schweben, den irdischen Nöten enthoben,
Dem kann, wenn er verloren die Flugkraft und auf der niedern
Erde dahin soll schreiten, den Sinn nichts wieder erheitern,
Wie dem Kraniche, dem es versagt mit zerschossenem Flügel
Seinen Gefährten zu folgen. Nun brütet er trauernd und einsam,
Auch wenn Futter vollauf ihm gereicht wird, über sein herbes
Los, an die Scholle gebannt im Staub notdürftig zu kriechen.

Doch, was sag’ ich nur dir, was längst im Freundesgemüt du
Ahnst und vielleicht einst selber erfährst? Auch wirst du den schalen
Trost mir ersparen, womit Wohlmeinende gleich bei der Hand sind,
Wenn dem Alten einmal in verdrossener Stunde der Seufzer
Über die Lippen sich wagt: nicht leicht sei’s, müßig am Austrags-
Stübel zu sitzen und still in den Schoß die Hände zu legen.
Viel ja hast du geschafft, so sagen sie, und dir den Feier-
Abend verdient. Nun magst du auf Lebensernten zurückschaun,
Die dir danken die Besten der Zeit, ein reiches Vermächtnis.
O ihr Guten, nur allzu viel, wohl weiß ich es, schuf ich,
Wertlos manches und einiges doch, das wohl noch ein Weilchen
Mich überdauert, so daß der Richter mich nicht zu den faulen
Knechten gesellt, die schlecht mit ihrem Pfunde gewuchert.
Doch – und wäre mir Höheres noch, mir Höchstes beschieden,
Daß mein Bestes bestünd’ im launischen Wandel der Zeiten
Und noch spätesten Enkeln vertraut mein Name erklänge –
Nie hat Hoffen und Wunsch, nach solchem Kranze zu streben,
Je mich erfüllt und die Schritte gelenkt und die Seele beflügelt.
Nur zu genügen dem inneren Drang tiefwurzelnder Bildkraft,
Wie ein Weib das empfangene Kind ans Licht zu gebären
Ringt in seliger Qual, so schuf ich meine Gebilde,
Keinem der Menschen zulieb und nicht hinhorchend im Volke,
[527] Ob sie auch wohlgeraten und beifallswürdig erschienen.
Tat ich doch nur, was nicht ich zu lassen vermocht’ und so gut ich’s
Konnt’. Ein Schelm gibt mehr als er hat, und des eignen Gewissens
Spruch wiegt schwerer, als Lob und Tadel des mäkelnden Haufens.
Hätt’ um Ruhm ich der Muse gedient, bei klarem Besinnen
Wär’ ich ein Tor mir erschienen, des Alltags Götzen betrachtend,
Denen das Volk zujauchzt und heut verschwenderisch Weihrauch
Streut, um morgen sie schon von den eitlen Altären zu stürzen,
Hingeopfert dem neusten Idol. So schwebte der Ruhm mir
Nie vor Augen als Ziel, das glücklich errungen die Sehnsucht
Stillt’ im schaffenden Geist und süß nun machte das Ausruhn.

Nein, ein besserer Trost im schleichenden Winter der Jahre
Bleibt nach allem Verzicht: in fröhlichen Kindern und Enkeln
Sich fortleben zu sehn und Lieb’ im Kreise der Nächsten
Reich zu empfahn und zu geben. Und wie auch dürft’ ich der hohen
Freundin, die so getreu ausharrt bei dem Greisen, vergessen?
Weisheit ist ihr Name. Sie ist die Letzte von allen
Himmlischen Musen und bleibt, wenn ihre Schwestern gegangen.
Zwar nur wie im Kamine die Glut die fröstelnden Glieder
Wärmt, nicht lieblicher Hauch der sonnigen Lüfte des Sommers,
Hegt sie und hütet sie uns vor eisigem Seelenerstarren
Und ist traun nicht immer bequem. Sie raubt uns die letzten
Täuschungen, läßt so manches, daran ein alterndes Herz sich
Kindisch selbst sich betrügend, ergötzt, als nichtigen Trug uns
Mitleidslos durchschauen und weniges nur frei ausgehn
Aus dem großen Bankrott des irdischen Glückes. Doch lehrt sie
Auch mit gefaßtem Gemüt erkennen die schicksalsvolle
Macht der Notwendigkeit, der sich mit Würde zu fügen
Göttern und Menschen geziemt.
Nur manchmal, wenn sich wie heute
Über Gebirg und See der lachende Frühlingshimmel
Breitet, die Kinder des Orts auf dem Schulweg jauchzend vorbeigehn
Und sein Eselchen treibend ein Bursch die Straße daherkommt
[528] Vor dem beladenen Karren – er knallt mit der Geißel und singt aus
Vollem Halse sein Ritornell und dem lockigen Mädchen
Nickt er mit lustiger Schalkheit zu – da mag wohl ein Heimweh
Heimlich den Alten beschleichen nach lange verschollener Jugend,
Und er gäbe die Weisheit gern, die teuer erkaufte,
Gegen die selige Dumpfheit hin der Kinder und Toren,
Wenn er auch noch so stoisch sich beugt der ehrnen Ananke.

Gardone, 28. März 1909




[585]

In Rom

Viel hier lehren die Trümmer, doch eins, was nirgend gelehrt wird,
Selten im Leben und nie spricht man in Schulen davon:
G a n z  s e i n. Wenn du es einmal warst, so mögen Barbaren
Trümmern und bröckeln an dir: deine Gestalt – sie besteht.


Quelle:
Paul Heyse: Hadrian / Alkibiades. Gedichte und Übersetzungen. Stuttgart 1924 (Paul Heyse: Gesammelte Werke. Dritte Reihe. Band V.).

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit