Moritz (Karl Wilhelm Anton) Graf von Strachwitz (*13. März 1822 in Peterwitz bei Frankenstein – †11. Dezember 1847 in Wien), aus altem schlesisch-katholischen Adelsgeschlecht, besuchte öffentliche Schulen und studierte seit 1841 Rechtswissenschaft in Breslau und seit 1842 in Berlin, wo er Anschluss an den Literaturverein „Tunnel über der Spree“ fand und Theiodor Fontane (1819-1898) begegnete. Nach dem Auskultatoren-Examen absolvierte er das Referendariat beim Kreisgericht Grottkau, doch missfiel ihm die amtliche Tätigkeit, so dass er auf eine bürgerliche Laufbahn verzichtete und sich sogleich auf eine größere Skandinavienreise begab. Seit 1845 lebte er auf dem väterlichen Gut Peterwitz und dem mährischen Landgut Schwebetau. Eine weitere große Reise führte ihn nach Italien, das er, ähnlich wie Platen, zu Fuß durchwanderte. In Venedig, seiner letzten Station, muss er sich eine tödliche Erkrankung zugezogen haben, der er in Wien am 11. Dezember 1847 erlag.
Seine Bedeutung beruht auf seinen Balladen, deren bekannteste, „Das Herz von Douglas“, in der Chevy-Chase-Strophe verfasst ist und die Balladendichtung Theodor Fontanes beeinflusst hat. In seinen beiden Sammlungen „Lieder eines Erwachenden“ (1842) und „Neue Gedichte“ (1848) finden sich romanische, orientalische und germanische Gedichtformen. Strachwitz betont heldisch-konservative Werte, die er an Gestalten und Haltungen des Mittelalters vorexerziert. Seine Gedichte aus Italien gipfeln im nachgelassenen Terzinenzyklus „Venedig“. Im Unterschied zu Platens melancholischer, der Vergangenheit zugewandten Venedig-Dichtung spiegelt sich in Strachwitz’ Gedichten das bunte und pralle Leben der Gegenwart.
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Venedig
1
Ich bin so krank und sterben möcht’ ich gerne
Hier in Venedig, und begraben liegen
In dieser Flut, dem Ruheplatz der Sterne!
In jeder Nacht pfleg’ ich mich drauf zu wiegen,
Und ihrer Tiefe schwärzeste Geschichten
Behorch’ ich dann mit schaurigem Vergnügen. –
Beschloß der Rat der Drei, geheim zu richten
Ein Opfer, des Geschrei’s im Volke wegen,
Und galt’s ein schnell und spurenlos Vernichten:
Da glitt um Mitternacht, dem Mond entgegen,
Die Gondel aus der Seufzerbrücke Schatten,
So schwarz und still, wie alle Gondeln pflegen.
Und lautlos durch Galeeren und Fregatten
Kroch sie hindurch, bis wo des Meeres Enge
Sich dehnt zu breiteren, smaragdnen Matten.
Dort hielt sie still. Dann aber war’s, als sprenge
Ein dumpfer Fall die kaum bewegte Fläche,
Und leise Kreise zitterten in Menge.
Auch war’s den Schiffern, die im Nachtgespräche
An Lido’s Ufern stellten ihre Stricke,
Als ob ein Schrei im Wellenschlag zerbräche.
Die stille Gondel aber schwamm zurücke,
Wie sie gekommen, spurlos und verborgen,
Und schwand im Schattenstreif der Seufzerbrücke:
D o c h d e r V e r b r e c h e r s t a r b a m a n d e r n M o r g e n.
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2
Stets singt und jubelt der Venetianer,
Ihn stören kaum die Säulen alter Tage,
Die ihn umragen, steinerne Ermahner!
Hier schwimmt Musik im Silberwellenschlage
Und die Piazza trieft von Licht und Leben,
Verloren scheint die Sage und die Klage!
Mich aber packt ein innerstes Erbeben,
Seh’ ich um dieses wimmelnde Gewürme
Die alte Pracht ihr fürstlich Haupt erheben!
Wie dumpfer Vorwurf tönt der Mund der Türme,
Und von dem Meere durch des Löwen Mähne
Ergeht ein Wehen längst verbrauster Stürme!
Hinaus, hinaus, wie stille, schwarze Schwäne
Ziehn dort die Gondeln, draußen ist es stille,
Ich muß im Stillen weinen eine Träne:
Venedig fiel, das war, o Herr, Dein Wille! –
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3
Der alte Gondolier beginnt zu plaudern,
Liebkosend, sanfter streichelt er die Fluten,
Die leicht im kalten Mondenlichte schaudern!
Indes verlodern der Piazza Gluten,
Es ist, als hörte man in Tropfen leise
Das Herz Venedigs durch die Stille bluten!
Und mit gedämpfter Stimme spricht der Greise:
„Wenn so der Vollmond durch die Kolonnade
Der Dogen zittert, wie verlorene Weise,
„Dann kommt entlang die schattende Arkade
Ein schwarzes Weib, den schwarzen Zendel tragend,
Und lehnt sich schweigend an die Balustrade.
„Darauf, den Schleier aus der Stirne schlagend,
Hebt mit dem Antlitz sie, dem stolzen, bleichen,
Zum Mond empor ihr dunkles Auge klagend.
„Und ob des Meers mondschimmernden Bereichen
Erteilt sie so mit zärtlich bangem Blicke
Aus schlanker Hand des Kreuzes Segenzeichen.
„Gesenkten Hauptes wallt sie dann zurücke,
Und mancher meint, daß aus des Schleiers Welle
Das goldne Horn der Dogenkrone blicke.
„Durchs Tor La Casta wandelt sie ins Helle,
Und von der Riva Säulen sieht man schieben
Sich eine Gondel, schlank wie die Gazelle.
„Noch auf der Puppa rückwärts stehn geblieben,
Wirft auf die Löwenstadt die blasse Fraue
Den letzten Blick mit schwermutsvollem Lieben –
Dann schwimmt die Gondel rasch hinaus ins Blaue!“
[272]
4
Der alte Gondolier hört auf zu plaudern,
Aus seinen Falten scheint es leis’ zu rinnen,
Durch ganz Venedig weht geheimes Schaudern.
So ist’s! – Du wardst entfernt und gingst von hinnen,
Doch ängstlich kehrst Du heim mit frommer Treue,
Dein Aug’ zu weiden an den teuren Zinnen.
Ich sah Dich schon, es war mit heil’ger Scheue;
Denn Sonnenglorie schwamm um Deine Züge,
Gold war Dein Mantel und Dein Thron der Leue!
Die Welle kam, daß sie sich dienend schmiege
An Deinen Fuß, Du trugst die Mauerkrone,
Um ihre Zacken stob der Sturm der Siege!
Vor seinem Hauche stürzten Kaiserthrone,
Und hingeschmettert wimmerten die Heere
Und sanken Flotten, stolze Amazone!
So sah ich Dich im Schimmer höchster Ehre,
Ein glücklich Weib, um das man gerne würbe –
Nun aber schweifst Du einsam durch die Meere,
Und niemand ist, der für Dich lebt’ und stürbe!
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5
Im Gondelkissen ruht der fremde Kranke,
Sich sonnend in der wundervollen Kläre,
Da stürmt ihn auf ein tödlicher Gedanke:
Und wenn ich wirklich nun gestorben wäre
Und meines Dichtens unglücksel’ger Schatte
Dahingeweht im Hauche dieser Meere,
Dann kämest Du, die ich verloren hatte,
Vielleicht hierher, Venedigs Glanz zu schauen,
Und mit Dir käme ein geliebter Gatte!
Ich sehe schon in Deinem Auge tauen
Der reinsten Seele keuschestes Entzücken,
So wie der Vollmond schwimmt im Dunkelblauen.
Ich seh’ Dich gehn mit wundersel’gen Blicken
Durch diese duftgewobenen Arkaden,
Die feeenhaft sich ineinander stricken!
Ich seh’ Dich trunken dann im Glanze baden,
Wenn der Piazza Feiernächte blinken
Und ganz Venedig schwimmt in Serenaden.
O stolzes Glück, Dein selig A c h zu trinken,
Und Hand in Hand auf einem Meer zu schweben,
Drin Mond und Sterne jubelnd untersinken.
Doch mitten in dem farbenreichsten Leben
Soll sich vor Dir ein längst vergess’ner Name,
Des armen Träumers bleich Gespenst erheben!
Und sprechen soll es mit melod’schem Grame,
Wie ferner Wellen klagendes Getose:
„Laß mich Dein Führer sein, o schöne Dame!
„Bis zu des Abgrunds muschelreichem Moose
Kenn’ ich Venedig und ich will erschließen
Den tiefsten Kelch Dir dieser Meeresrose.
[274] „Als man mich damals riß von Deinen Füßen,
Da sucht’ ich noch dies Ufer zu erreichen,
Um meinen Schmerz erhaben zu genießen!
„Hier prangt der Tod mit tausend Siegeszeichen,
Doch ew’ge Schönheit strahlt von seiner Hippe,
Und wölbt sich glorreich über stolzen Leichen!
„Es wirft die Kunst um bleichende Gerippe
Ihr Purpurkleid im reinsten Farbentone,
Bis daß sie lächeln, süß wie Deine Lippe! –
„Sprich! bin ich nicht ein guter Cicerone?
Wie blüht Venedig! Doch der Hauch der Grüfte
Wogt fast berauschend aus der Blumenkrone.
Durch all’ den Jubel goldgestirnter Lüfte.“
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6
Kannst Du das Leben nicht lebendig leben,
Statt über diesen feuertrunknen Farben
Auf schwarzem Fittich alten Grams zu schweben?
Venedig fiel und seine Helden starben! –
Doch sieh, der Markusplatz ist lauter Feuer
Und wirft ins Wasser tausend Strahlengarben.
Hier schwimmt die Lust und wirft hinweg das Steuer,
Hier wehn der Schönheit jugendlichste Lichter
Um alter Meister herrlichstes Gemäuer.
Da unten aber wogt es dicht und dichter;
Und zwingt Dich nicht zum reizenden Vergessen
Die Lebensfülle strahlender Gesichter?
Der tiefe Himmel wölbt den Platz indessen
Mit Amethyst zum säulenstolzen Saale,
In keinem schönern bist Du je gesessen! –
Umsonst, umsonst! Mein Auge schmerzt vom Strahle,
Mein Herz ist müd – laß schnell Dein Ruder triefen,
Mein Gondolier, hinab den Gran Canale!
Wenn Licht und Lärm sich hinter uns verliefen,
Dann kann mein Aug’ auf Mondeswellen schweifen
In öder Fenster schwermutsvolle Tiefen!
Hier weht von wundervollen Säulenknäufen
Der Schwermut Schlingkraut über Tor und Mauer,
Hier kann mein Herz im Stillen blühn und reifen!
Nicht kam ich her zu diesem Wonneschauer,
Venetia, daß kurzer Glanz mich bade,
Ich kam zu Dir, zu teilen Deine Trauer!
Kein Fenster klirrt auf meinem öden Pfade,
Und nur die Welle, träumerisch und trübe,
Spielt an Venedigs marmorne Gestade
Mit leisem Schlag ein Lied – verlorner Liebe!
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7
Venedigs Tochter mit dem schönsten Busen,
Wie sie gemalt die Kunst des Veronesen,
Was ist für Dich der fremde Sohn der Musen?
Ich sage Dir, es ist ein Tag gewesen,
Wo nicht umsonst mich so Dein Aug’ betrachtet,
Das Köstlichste hätt’ ich herausgelesen!
Ich weiß recht gut, wenn’s im Canale nachtet,
Wie man sich schwingt zu maurischen Geländern,
Wo hinter Blumen solch ein Auge schmachtet!
Süß ist es dann ins Meer hinauszuschlendern,
Und Stirn an Stirn im Mondenstrahl zu stützen: –
Die Lieb’ ist schön in diesen schönen Ländern!
Du siehst indes das Ruder Perlen spritzen
Und leichter Seewind kühlt der Wange Flamme; –
Doch all den Reichtum darf ich nicht besitzen!
Es ist ein kaltes Land, woher ich stamme,
Und kalte Augen werden mich begrüßen,
Doch sieh! schon liegt mein Schiff am Hafendamme!
Mein Herz will möwengleich durch Meere schießen,
Und über Alpen kriecht es auf den Knieen,
Damit’s daheim getreten sei mit Füßen –
Doch mir, Signora, sei von Dir verziehen!
[277]
8
So fahre wohl, Venetia,
Es donnert das Signal!
Die Woge spricht vom Märchenglanz
Mir ach! zum letztenmal!
Hab’ treuen Dank, Du Meeresfee,
Für Deine reiche Huld,
Und, daß ich nicht vergessen kann –
Es war nicht D e i n e Schuld.
Schwarzäugige Venetianerin,
Die in der Gondel liegt,
Indes das prächtige Gelock
Im Wellenwinde fliegt,
Es spielt Dein Finger in der Flut,
Dein Auge flammt mich an –
Und wenn ich hier nicht glücklich war,
Du bist nicht schuld daran.
Glorreiche Kunst, die, perlengleich,
Im Meeresschoß gereift,
Prachtvolle Schwermut, fahre wohl,
Die hier so üppig träuft!
Wie reizend bist Du, Stern der See!
Aus Norden weht es kalt!
Wer h i e r Vergessen nicht gelernt,
Der lernt es nicht so bald!
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9
Venedig schwindet in des Meeres Düften,
Schon rankt sich farbig in Gewind’ und Lauben
Des Herbstes Rebe über samtnen Triften.
Der erste Staub beginnt am Weg zu stauben,
Und fast verwundert hör’ ich wieder Pferde
Nach langer Zeit im Morgenwinde schnauben.
Doch fast erbittert mich die grüne Erde! –
Du edle Stadt aus Wasser und aus Steinen,
Weiß Gott, wann ich Dich wiedersehen werde.
Als wie ein Traumbild willst Du uns erscheinen,
Und wie ein Traumbild seh’ ich Dich verwehen,
Und schaue nach und möcht’ am liebsten weinen!
Denn wer gehört das Lied der Meeresfeeen,
Der starrt so lang’ ins feuchte Aug’ der Tiefe,
Bis er versinkt – und wird nicht mehr gesehen!
Und wenn mich nicht ein andres Auge riefe,
So scheu und tief, wie Adria’s Gewässer,
Geblieben wär’ ich, bis mein Herz entschliefe –
Und nirgend schläft ein müdes Herze besser!
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10
Und weißt Du, was ’ne Gondel ist,
Und wie sich’s drinnen wiegt?
Ein Ding, das kaum die Woge küßt,
Wenn’s zierlich drüber fliegt!
Sie schwebt so gleich, Du ruhst so weich,
Der Äther liegt im Meer,
Du denkst, Du schwimmst im Himmelreich,
Die Sterne um Dich her!
Sei mir gesegnet, schwarzer Schwan,
Wie hast du mich verwöhnt –
O weh! das ist die Eisenbahn,
Ha, wie das keucht und stöhnt!
Das Ohr ist taub, das Herz ist matt,
Nun rumpelt es von dann’ –
Und wer das Ding erfunden hat,
Der war – ein großer Mann!