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Joseph von Eichendorff

Kurzbiografie

Joseph von Eichendorff (*10. März Schloss Lubowitz, Oberschlesien – †26. November 1857 in Neisse) genoss in seinen Kinder- und Jugendjahren eine ausgeprägte katholische Erziehung, die nachhaltigen Einfluss auf sein dichterisches Werk nahm. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Breslau absolvierte er von 1805-1810 sein Jurastudium in Halle, Heidelberg und Berlin. Während dieser Zeit schloss er Bekanntschaft mit Joseph von Görres (1776-1848), Adam von Müller (1779-1829), Achim von Arnim (1781-1831), Heinrich von Kleist (1777-1811), Clemens von Brentano (1778-1842) und befreundete sich mit „Isidorus Orientalis“, Otto Heinrich Graf Loeben (1786-1825). 1810 siedelte Eichendorff nach Wien über, wo er heiratete und in dem Kreis um Dorothea (1763-1839) und Friedrich Schlegel (1772-1829) verkehrte. In dieser Zeit entstand Eichendorffs erster Roman „Ahnung und Gegenwart“, der 1815 von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) herausgegeben wurde. 1813 bis 1815 nahm Eichendorff bei dem Lützowschen Freikorps an den deutschen Befreiungskriegen teil und schlug danach eine preußische Beamtenlaufbahn in Breslau, Berlin und Königsberg ein. Damit begann die fruchtbarste Periode seines künstlerischen Schaffens. Es entstehen u.a. das romantische Kunstmärchen „Das Marmorbild“ (1819) und die berühmteste seiner Novellen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1826). Von großer Bedeutung für die Spätromantik sind ebenso seine volksliedhaft-schlichten Gedichte, die 1837 in einer Gesamtausgabe erschienen und zuvor schon vereinzelt oder in seinem erzählerischen Werk veröffentlicht wurden. Eichendorffs populäre Lyrik wurde später u.a. von Robert Schumann (1810-1856), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Johannes Brahms (1833-1897), Hugo Wolf (1860-1903) und Richard Strauss (1864-1949) vertont. Seit 1836 widmete sich Eichendorff intensiv der spanischen Literatur und veröffentlichte neben literarischen Werken eine Reihe literaturkritischer und politischer Schriften, die dem Geist des Katholizismus verpflichtet sind. Obwohl Eichendorff nie in Italien war, ist der Italientopos konstitutiv für sein erzählerisches und lyrisches Werk. Zum einen wird der Einfluss von Goethes „Italienische Reise“ deutlich, zum anderen ist Eichendorffs Italienbild ein Produkt der Ikonographie der Hochrenaissance und literarischer Diskurse, die die italienische Kulturepoche des 16. Jahrhunderts und ihre Frühlingsmythologie nachbilden. Wie in Eichendorffs Werk Orte und Landschaften sich prinzipiell der geografischen Fixierung entziehen und somit der Seelenlandschaft der bukolischen Welt Vergils ähnlich sind, ist Italien als symbolische Landschaft vielfältig konnotiert: als Land romantischer Sehnsucht schlechthin, als Musterland für Kunst und Dichtung, als märchenhafter Ort der Erfüllung erotischer Sehnsüchte und vor allem als Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen klassischer Antike und Christentum, wobei der die Eichendorffsche Italienallegorese bestimmende Spiritualsinn und ihre eschatologische Bedeutung zu einem religiösen Bekenntnis avancieren.


Yvonne-Patricia Alefeld

 

[14]

Wanderlieder.

Der Musikant.

1.
Wandern lieb’ ich für mein Leben,
Lebe eben, wie ich kann,
Wollt’ ich mir auch Mühe geben,
Paßt es mir doch gar nicht an.

Schöne alte Lieder weiß ich,
In der Kälte, ohne Schuh’
Draußen in die Saiten reiß’ ich,
Weiß nicht, wo ich abends ruh’.

[15] Manche Schöne macht wohl Augen,
Meinet, ich gefiel’ ihr sehr,
Wenn ich nur was wollte taugen,
So ein armer Lump nicht wär’.

Mag dir Gott ein’n Mann bescheren,
Wohl mit Haus und Hof versehn!
Wenn wir zwei zusammen wären,
Möchte’ mein Singen mir vergehn.


[41]

Täuschung.

Ich ruhte aus vom Wandern,
Der Mond ging eben auf,
Da sah ich fern im Lande
Der alten Tiber Lauf,
Im Walde lagen Trümmer,
Paläste auf stillen Höhn
Und Gärten im Mondesschimmer –
O Welschland, wie bist du schön!

Und als die Nacht vergangen,
Die Erde blitzte so weit,
Einen Hirten sah ich hangen
Am Fels in der Einsamkeit,
Den fragt’ ich ganz geblendet:

„Komm’ ich nach Rom noch heut’?“
Er dehnt sich halbgewendet:
„Ihr seid nicht recht gescheut!“
Ein’ Winzerin lacht herüber,
Man sah sie vor Weinlaub kaum,
Mir aber ging’s Herze über –
Es war ja alles nur Traum.



Schöne Fremde.

Es rauschen die Wipfel und schauern,
Als machten zu dieser Stund’
Um die halbversunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund’.

Hier hinter den Myrtenbäumen
In heimlich dämmernder Pracht,
Was sprichst du wirr wie in Träumen
Zu mir, phantastische Nacht?

Es funkeln auf mich alle Sterne
Mit glühendem Liebesblick
Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem, großem Glück. –



[51]

Heimkehr.

Wer steht hier draußen? – Macht auf geschwind!
Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
Es ist der lustige Morgenwind,
Der kommt durch den Wald gepfiffen.

Ein Wandervöglein, die Wolken und ich,
Wir reisten um die Wette,
Und jedes dacht’: Nun spute dich,
Wir treffen sie noch im Bette!

[52] Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
Die drin noch Küsse tauschen!
Wir brechen sonst mit der Thür ins Haus:
Klang, Duft und Waldesrauschen.

Ich komme aus Italien fern
Und will euch alles berichten,
Vom Berg Vesuv und Romas Stern
Die alten Wundergeschichten.

Da singt eine Fei auf blauem Meer,
Die Myrten trunken lauschen –
Mir aber gefällt doch nichts so sehr
Als das deutsche Waldesrauschen!



[253]

Geistliche Gedichte.

2.
Von kühnen Wunderbildern
Ein großer Trümmerhauf’,
In reizendem Verwildern
Ein blühnder Garten drauf;

Versunknes Reich zu Füßen,
Vom Himmel fern und nah’,
Aus anderm Reich ein Grüßen –
Das ist Italia!

Wenn Frühlingslüfte wehen
Hold übern grünen Plan,
Ein leises Auferstehen
Hebt in den Thälern an.

Da will sich’s unten rühren
Im stillen Göttergrab,
Der Mensch kann’s schauernd spüren
Tief in die Brust hinab.

Verwirrend in den Bäumen
Gehn Stimmen hin und her,
Ein sehnsuchtsvolles Träumen
Weht übers blaue Meer.

[254] Und unterm duft’gen Schleier,
So oft der Lenz erwacht,
Webt in geheimer Feier
Die alte Zaubermacht.

Frau Venus hört das Locken,
Der Vögel heitern Chor,
Und richtet froh erschrocken
Aus Blumen sich empor.

Sie sucht die alten Stellen,
Das luft’ge Säulenhaus,
Schaut lächelnd in die Wellen
Der Frühlingsluft hinaus.

Doch öd’ sind nun die Stellen,
Stumm liegt ihr Säulenhaus,
Gras wächst da auf den Schwellen,
Der Wind zieht ein und aus.

Wo sind nun die Gespielen?
Diana schläft im Wald,
Neptunus ruht im kühlen
Meerschloß, das einsam hallt.

Zuweilen nur Sirenen
Noch tauchen aus dem Grund,
Und thun in irren Tönen
Die tiefe Wehmut kund.

Sie selbst muß sinnend stehen,
So bleich im Frühlingsschein,
Die Augen untergehen,
Der schöne Leib wird Stein.

Denn über Land und Wogen
Erscheint, so still und mild,
Hoch auf dem Regenbogen
Ein andres Frauenbild.

Ein Kindlein in den Armen
Die Wunderbare hält,
Und himmlisches Erbarmen
Durchdringt die ganze Welt.

Da in den lichten Räumen
Erwacht das Menschenkind,
Und schüttelt böses Träumen
Von seinem Haupt geschwind.

Und, wie die Lerche singend,
Aus schwülen Zaubers Kluft
Erhebt die Seele ringend
Sich in die Morgenluft.



Quelle:
Eichendorffs Werke. Hrsg. v. Richard Dietze. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. Erster Band. Leipzig 1891.

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