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Joseph Victor Scheffel

Kurzbiografie

Joseph Victor Scheffel (*16. Februar 1826 in Karlsruhe  –  †9. April 1886 ebd.), Sohn eines Majors und Oberbaurats, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Karlsruhe, zwischen 1843 und 1847 studierte er Jura an den Universitäten Heidelberg, Berlin und München. Scheffel war Mitglied der Burschenschaft „Frankonia“. Nach der Promotion arbeitete er als Rechtspraktikant in Säckingen und im Sekretariat des Hofgerichts in Bruchsal.

Scheffel hat insgesamt viermal Italien bereist. Er war vom Scheitern der 48er Revolution enttäuscht, außerdem frustrierte ihn der Juristenalltag am Bruchsaler Hofgericht – so wirkte seine Reise von 1852/53 wie ein Ausbruch. Roms Zauber schlug ihn trotz der „schmutzigen Straßen und des uncomfortablen Aeußeren“ in Bann. In Rom übte er sich selbst im Malen und Zeichnen. Seine Berichte an die Eltern und die Heidelberger Freunde  spiegeln seine Begeisterung über diese unbeschwerte Zeit. Die Geschichtsmonumentalität des alten Rom erwies sich zunehmend als Belastung, wie früher Herder empfand auch er das antike Rom als „Gräberfrieden“. So klagte der von melancholischen Anwandlungen erfasste Dichter, eigentlich sei über Italien „alles schon so ausgeschaut, ausgeschrieben, ausbewundert“. Deshalb wirkte der Aufenthalt in Neapel wie eine Befreiung. Auf Capri führte Scheffel mit dem Dichterfreund Paul Heyse (1830-1914) ein „insulanisches Stilleben“. Dort schrieb er innerhalb von sieben Wochen sein erfolgreichstes Werk, das Epos „Der Trompeter von Säckingen“ (1854).
Sein zweiter großer Erfolg wurde der historische Roman „Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert“ (1855/57). Seit 1857 katalogisierte Scheffel als Hofbibliothekar in Donaueschingen die fürstliche Hofbibliothek. 1859 zog er nach Karlsruhe. Im deutsch-französischen Krieg gehörte er nicht zu den Hurrapatrioten, wie man vielleicht erwartet hätte. 1872 erwarb er das Gut „Seehalde“ bei Radolfzell am Bodensee. 1876 wurde ihm der persönliche Adelstitels verliehen. Scheffel war wegen seiner heute noch bekannten Studentenlieder („Als die Römer frech geworden“; „Alt-Heidelberg, du feine“) aus der Sammlung „Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren“ (1868) populär. Er selbst war alles andere als ein liederfroher Saufkumpan; seine späteren Jahre waren von Depressionen und Melancholie geprägt.

Gunter Grimm




[247]

Durst in Venedig.

Venedig ist eine schöne Stadt,
Doch im Sommer ist sie zu heiße;
Was frommt mich der feurigste Zyperwein,
Wenn das Herz sich sehnet nach Eise?

Was frommt mich mein prunkender Marmorsaal
Im verlotterten, alten Palazzo?
Tret’ ich hinaus auf den hohen Balkon,
Schlimm duftet der Canalazzo.

Die braune Cecccha streckt sich und gähnt,
Zum Haß wie zur Liebe zu faule,
Und selbst Sankt Markus’ ehernem Leu
Hängt die Zunge schlaff aus dem Maule.

Wie traurig, wenn ein Gerechter muß
An verhaltenem Durste leiden!
O, könnt’ ich über die Alpen zur Stund’
Auf geflügelter Schildkröte reiten!

Weit über die Alpen in kälteres Land,
An des Neckars wald’ge Reviere,
[248] Nach Heidelberg, nach Heidelberg,
Der Heimat kühlender Biere.

Den Meister Ludwig klopft’ ich heraus,
Wie einstmals in besseren Tagen.
Er müßt’ mein verkalkendes Duldergebein
Empor zur Molkenkur tragen.

Zur Molkenkur, zum großen Faß,
Zum Falkner … è tutto lo stesso,
Temo, che divenga di questo calor
Tutt’ il mio esser perplesso!



Der See von Nembia.

O zürne nicht, See von Nembia,
Im felsstarr schweigenden Tale,
Daß ein Mensch dich zu besuchen kam
Auf rotegrauem Animale.

Ich kenne dich, See von Nembia,
Ich lese aus deinen Zügen:
In ungekannter Schöne willst
Du nur dir selber genügen!

Fahr wohl drum, See von Nembia,
Und mög’ dich der Himmel bewahren
Vor allen Töchtern Albions
Und germanischen Referendaren!



[256]

In Rom.

Der ich in Deutschland manches Buch studieret,
Das Recht gelernt aus staubigen Folianten,
Der ich das Staatsexamen gut bestanden
Und selbst am Bundestage volontieret –

Der drauf im Schwarzwald lang’ und stolz amtieret,
Der Frevler manchen schlug in Haft und Banden,
Der in der Reihe selbst der Praktikanten
Am Hofgericht mit Lob steht registrieret:

[257] In Rom itzt leb’ ich ohne Amt und Würde,
Vergessen ist der Heimat süße Bürde,
Die Seele schwebt im Reich des ewig Schönen,
Es jauchzt mein Sang in ungewohnten Tönen.



Fontana Trevi.

O Zeit der römischen Wonnen …
Die Mainacht wehte mild,
Hell plätscherte der Bronnen,
Der allen Durst gestillt.

Und seit in jener Stunde
Sein Labtrank mich erquickt,
Hält mich im Herzensgrunde
Ein Zauber süß umstrickt.

Ein Urbild ew’ger Schöne
Schwebt lockend um mich her,
Ich bannt’ es gern in Töne,
Es glückt mir nimmermehr.

Und doch kann ich’s nicht lassen,
Ob auch das Haupt mir glüht –
Ich summ’ durch alle Gassen
Ein unverstanden Lied.

O Braut meiner Seele, Italia,
Wie schlimm ist mir’s ergangen,
Seit mich, den wonnetrunknen Mann,
Dein liebender Arm umfangen!

Der Zauber – tot, zertreten, zerstampft,
Im Nebel erstorben die Lieder …
Der Bierkrug schäumt, die Pfeife dampft,
Altdeutschland hat mich wieder!



[258]

Sehnsucht.

Schmerzbelastet schweifen die Gedanken
Nach Hesperiens kunstbeglückten Auen,
Ach, noch einmal möchten meine kranken
Blicke dich, mein einzig Rom, erschauen.
Ach, noch einmal deine Mortadella
Möcht’ ich kosten, deinen rohen Schinken –
Ach, noch einmal in der Tarantella
Tollem Strudel möcht’ ich untersinken
Und noch einmal in der Palombella
Süßen Lethe von Orvieto trinken!



Ostersonntag 1855.

Die Glocken klingen und singen
Hell über Tal und Fluß,
Summend schwingt sich zu Berge
Ihr Ostermorgengruß:

„Ihr, die in Nacht und Banden
Dem Tag entgegenharrt,
Wacht auf! Wacht auf! – Erstanden
Ist, der gekreuzigt ward.“

Die Wipfel hallen’s wider,
Es weht durch der Erde Schoß,
Und alles strebt zur Sonne,
Und alles ringt sich los.

Jetzund in sieben Wochen
Ist auch mein Ostern da –
Von hoher Alpe ruf’ ich:
Grüß Gott, Italia!



[259]   

Heimkehr aus Italien.

Auf dem Sankt Gotthard.

(8. Juli 1856, mit erfrorenen Händen.)


Ich habe geträumt einen langen Traum:
Das Leben schwungvoll und heiter
Und selbst zum Himmel den Aufgang frei
Auf der Künste goldener Leiter.

Es ist vorbei! – Kraft, Kunst und Gold,
Sie gingen zusammen zu Ende;
Da stehn sie wieder, schneedüster und grau,
Des Gotthards steinerne Wände.

Es ist vorbei! – Der Nordwind saust,
Als zög’ durchs Gebirge ein Klagen,
Ich sitze, ein trauerndes Marmorbild,
Verhüllt in Luzerner Wagen.

Noch einmal folgt dem Ticino der Blick –
Schier will’s mir die Seele zerdrücken …
Es rennt jungfrisch ins Gelobte Land,
Ich kehr’ ihm für immer den Rücken!



Resignation.

Im sonnigen Land Italia,
Von Jugend und Glück umfangen,
Da ist auch mir der goldene Stern
Der Dichtung aufgegangen.

Da hob ich stolz das Haupt und sang
Und schrieb das Beste nicht nieder –
Jetzt bringt mir kaum ein leiser Klang
Das Echo jener Lieder.

 



Quelle:
Scheffels Werke. Herausgegeben von Friedrich Panzer. Kritisch durchgesehen und erläuterte Ausgabe. Erster Band. Leipzig: Bibliographisches Institut. o. J.

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[368]   

Aus:

Das Büchlein der Lieder. Werners Lieder aus Welschland

VIII.

Das drängt und jubelt, singt und klingt
Durch Roms verwitterte Straßen,
Die Narrheit hoch die Fahne schwingt,
Die Mastenschwärme rasen.

Den Korso auf und nieder jagt
Die leichte Schar der Wagen,
Da wird die große Blumenschlacht
Des Karnevals geschlagen.

Mit Ros’ und Veilchen wird scharmützt,
Hei! wie die Sträuße fliegen!
Der traf – Glück zu! ihr Auge blitzt, –
Wirf weiter – du wirst siegen!

Auch du, mein Herz, sei freudig heut,
Vergiß, was du gelitten,
Laß alte Zeit und altes Leid
Von Blumen überschütten!



IX.

Am grünen See von Nemi
Ein alter Ahorn steht,
Durch die laubschweren Wipfel
Ein traurig Flüstern geht.

Am grünen See von Nemi
Ein junger Spielmann sitzt,
Er summt ein Lied, derweil ihm
Die Trän’ im Auge blitzt.

Am grünen See von Nemi
Die Flut zieht leis und still:
Der Ahorn und der Spielmann,
Weiß keiner, was er will.

Am grünen See von Nemi
Ist die allerfeinste Schenk’,
– Preiswürd’ge Makkaroni,
Preiswürdigstes Getränk.

[369] Der Ahorn und der Spielmann
Sind zwei verrückte Leut’,
Sonst gingen beid’ hinüber
Und tränken sich gescheit.



X.

Im Herz tobt altes Grollen,
Der Sturm pfeift durch die Luft –
„Du kommst mir eben rechte
Des Weges, welscher Schuft!

„Dein Dolchstoß ist parieret,
Nun, werter Freund, hab’ acht,
Wie auf den welschen Schädel
Die deutsche Klinge kracht!“

– Die Sonn’ war untergegangen
Fern, fern beim Vatikan;
Sie schien des andern Morgens
Auf einen toten Mann.



XI.

O Ponte molle, du treffliche Bruck,
Bei der ich geschlürft schon manch tapfern Schluck
Aus strohumflochtener Flaschen,
O Ponte molle, was ist mit mir?
Als einsamer Trinker sitz’ ich allhier,
Kaum mag ich des Weines naschen.

O Ponte molle, ’s war seltsam heut,
Die süße verklungene Jugendzeit
Und die alte Liebe kam wieder,
Es zieht ein heißer Scirocco durchs Land,
Im Herzen lodert der alte Brand,
Es regt sich wie Sänge und Lieder.

O Tibrisstrom, o Sankt Peters Dom!
O du ganzes gewaltig allmächtiges Rom!
– Mögt allsamt gestohlen mir werden.
[370] Wohin auch die unstäte Fahrt mich trieb,
Die stille, holdselige Schwarzwaldlieb’
Bleibt doch das Schönste auf Erden.

O Ponte molle, – wie war sie schön!
Und müßt’ ich viel tausend Fräulein noch sehn,
Ich priese doch stets nur die eine.
Und käme sie jetzo des Wegs vorbei,
Dir selbst, du solides Quadergebäu,
Durchzuckte es Mark und Gebeine.

Doch vergeblich die Sehnsucht, vergeblich das Leid,
Die Sonn’ ist zu glühend, der Weg zu weit
Und das Fliegen noch nicht erfunden.
Padrone, noch eine Flasche herein!
Der perlenreiche Orvietowein
Mag auch dem Traurigen munden.

O Ponte molle, du treffliche Bruck,
Ich glaube, du lohnest mit bösem Spuk,
Daß ich mich in Träume verloren!
Es wirbelt ein Staub an der Heerstraß’ auf;
Jetzt sperrt mir ein Ochsen- und Büffelhauf’
Den Heimweg zu Romas Toren!



XII.

(Monte testaccio.)

Ich weiß nicht, was da noch werden soll?
Schon dämmert’s im feuchten Grunde,
Die Fledermaus macht ahnungsvoll
Um den alten Stadtwall die Runde,
Am Scherbenberg wird’s öd und still,
Ich glaub’, die alte Wirtin will
Bereits die Schenke verschließen.

Ein Käuzlein hör’ ich drüben schrei’n,
Wo die Grabzypressen trauern,
Campagnanebel ziehen herein,
[371] Verhüllt stehn Tor und Mauern;
Es wogt und wallt wie ein Geisterheer
Um Cestius’ Pyramide her,
Was mögen die Toten wollen?

Jetzt zuckt und flammt um den Berg ein Licht,
Die grauen Wolken verfliegen;
Es kommt mit neidisch gelbem Gesicht
Der Vollmond aufgestiegen.
Er scheint so grell, erscheint so fahl,
Er scheint mir mitten in Weinpokal,
Das kann nichts Gutes bedeuten.

Und wer von der Liebsten scheiden gemüßt,
Dem wird sie nur um so lieber,
Und wer zu lang’ in der Nachtluft sitzt,
Bekommt in Rom das Fieber.
Schon löscht die Wirtin die Lampen aus –
Felice notte! ich geh’ nach Haus,
Die Zeche bezahl’ ich morgen.



Quelle:
Scheffels Werke. Herausgegeben von Friedrich Panzer. Kritisch durchgesehen und erläuterte Ausgabe. Zweiter Band. Leipzig: Bibliographisches Institut. o. J.

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