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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Johann Wolfgang von Goethe

Kurzbiografie

Johann Wolfgang von Goethe  (*28. August 1749 in Frankfurt am Main – †22. März 1832 in Weimar, geadelt 1782).

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[11]

Mignon.

Kennst du das Land, wo die Citronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
                                Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, gethan?
Kennst du es wohl?
                                Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg;
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth,
Kennst du ihn wohl?
                                 Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!


 

 

[233]

Römische Elegien.

I.

Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht?
Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern.
Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still.
O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick’ ich
Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt?
Ahn’ ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer,
Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit?
Noch betracht’ ich Kirch’ und Palast, Ruinen und Säulen,
Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise benutzt.
Doch bald ist es vorbei; dann wird ein einziger Tempel,
Amors Tempel, nur sein, der den Geweihten empfängt.
Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.



[234]

II.

Ehret wen ihr auch wollt! Nun bin ich endlich geborgen!
Schöne Damen und ihr Herren der feineren Welt,
Fraget nach Oheim und Vetter und alten Muhmen und Tanten;
Und dem gebundnen Gespräch folge das traurige Spiel.
Auch ihr Übrigen fahret mir wohl, in großen und kleinen
Cirkeln, die ihr mich oft nah der Verzweiflung gebracht.
Wiederholet, politisch und zwecklos, jegliche Meinung,
Die den Wandrer mit Wuth über Europa verfolgt.
So verfolgte das Liedchen  M a l b r o u g h  den reisenden Briten
Einst von Paris nach Livorn, dann von Livorno nach Rom,
Weiter nach Napel hinunter; und wär’ er nach Smyrna gesegelt,
Malbrough! empfing ihn auch dort! Malbrough! im Hafen das Lied.
Und so mußt’ ich bis jetzt auf allen Tritten und Schritten
Schelten hören das Volk, schelten der Könige Rath.
Nun entdeckt ihr mich nicht so bald in meinem Asyle,
Das mir Amor der Fürst, königlich schützend, verlieh.
Hier bedecket er mich mit seinem Fittich; die Liebste
Fürchtet, römisch gesinnt, wüthende Gallier nicht;
Sie erkundigt sich nie nach neuer Mähre, sie spähet
Sorglich den Wünschen des Mann’s, dem sie sich eignete, nach.
Sie ergetzt sich an ihm, dem freien rüstigen Fremden,
Der von Bergen und Schnee, hölzernen Häusern erzählt;
[235] Theilt die Flammen, die sie in seinem Busen entzündet,
Freut sich, daß er das Gold nicht wie der Römer bedenkt.
Besser ist ihr Tisch nun bestellt; es fehlet an Kleidern,
Fehlet am Wagen ihr nicht, der nach der Oper sie bringt.
Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes,
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib.



[236]

III.

Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben!
Glaub’ es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe,
Dringen die andern in’s Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen;
O, so hätt’ ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.
Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende
Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Fluth.
Rhea Sylvia wandelt, die fürstliche Jungfrau, der Tiber
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars! – Die Zwillinge tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt.



[237]

IV.

Fromm sind wir Liebende, still verehren wir alle Dämonen,
Wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt.
Und so gleichen wir euch, o römische Sieger! Den Göttern
Aller Völker der Welt bietet ihr Wohnungen an,
Habe sie schwarz und streng aus altem Basalt der Ägypter,
Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus Marmor geformt.
Doch verdrießet es nicht die Ewigen, wenn wir besonders
Weihrauch köstlicher Art Einer der Göttlichen streun.
Ja, wir bekennen euch gern, es bleiben unsre Gebete,
Unser täglicher Dienst Einer besonders geweiht.
Schalkhaft munter und ernst begehen wir heimliche Feste,
Und das Schweigen geziemt allen Geweihten genau.
Eh’ an die Ferse lockten wir selbst, durch gräßliche Thaten,
Uns die Erinnyen her, wagten es eher, des Zeus
Hartes Gericht am rollenden Rad und am Felsen zu dulden,
Als dem reizenden Dienst unser Gemüt zu entziehn.
Diese Göttin, sie heißt  G e l e g e n h e i t ; lernet sie kennen!
Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.
Tochter des Proteus möchte sie sein, mit Thetis gezeuget,
Deren verwandelte List manchen Heroen betrog.
So betriegt nun die Tochter den Unerfahrnen, den Blöden;
Schlummernde necket sie stets, Wachende fliegt sie vorbei;
Gern ergibt sie sich nur dem raschen thätigen Manne;
Dieser findet sie zahm, spielend und zärtlich und hold.
Einst erschien sie auch mir, ein bräunliches Mädchen, die Haare
Fielen ihr dunkel und reich über die Stirne herab,
[238] Kurze Locken ringelten sich um’s zierliche Hälschen,
Ungeflochtenes Haar kraus’te vom Scheitel sich auf.
Und ich verkannte sie nicht, ergriff die Eilende, lieblich
Gab sie Umarmung und Kuß bald mir gelehrig zurück.
O wie war ich beglückt! – Doch stille, die Zeit ist vorüber,
Und umwunden bin ich, römische Flechten, von euch.



[239]

V.

Froh empfind’ ich mich nun auf klassischem Boden begeistert;
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg’ ich den Rath, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt;
Werd’ ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt.
Und belehr’ ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh’ ich den Marmor erst recht; ich denk’ und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug’, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen;
Überfällt sie der Schlaf, lieg’ ich und denke mir viel.
Oftmals hab’ ich auch schon in ihren Armen gedichtet,
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf dem Rücken gezählt. Sie athmet in lieblichem Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis in’s Tiefste die Brust.
Amor schüret die Lamp’ indeß und denket der Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn gethan.



[240]

VI.

„Kannst du, o Grausamer! mich in solchen Worten betrüben?
Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch?
Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! und bin ich
Etwa nicht schuldig? Doch, ach! schuldig nur bin ich mit dir!
Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin Zeugen,
Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten beweint.
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,
Grau, im dunkeln Surtout, hinten gerundet das Haar?
Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche Maske gewählet?
Soll’s ein Prälate denn sein! gut, der Prälate bist du.
In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu glauben, doch schwör’ ich:
Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung gefreut.
Arm war ich leider! und jung, und wohl bekannt den Verführern.
Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft,
Und ein Kuppler Albani’s mich, mit gewichtigen Zetteln,
Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt.
Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab’ ich von Herzen
Rothstrumpf immer gehaßt und Violettstrumpf dazu.
Denn „ihr Mädchen bleibt am Ende doch die Betrognen,“
Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es nahm.
[241] Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest
Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen gedenkst.
Geh! Ihr seid der Frauen nicht werth! Wir tragen die Kinder
Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und Begierde
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!“
Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom Stuhle,
Drückt’ ihn küssend an’s Herz, Thränen entquollen dem Blick.
Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher Menschen
Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht!
Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und dampfet,
Wenn das Wasser die Gluth stürzend und jählings verhüllt;
Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden Dämpfe,
Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf.



[242]

VII.

O wie fühl’ ich in Rom mich so froh! gedenk’ ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte,
Farb- und gestaltlos die Welt um den ermatteten lag,
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne;
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum’ ich? Empfänget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?
Ach! hier lieg’ ich, und strecke nach deinen Knieen die Hände
Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich!
Wie ich hereingekommen, ich kann’s nicht sagen; es faßte
Hebe den Wandrer, und zog mich in die Hallen heran.
Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrthums Gewinn!
Deine Tochter Fortuna sie auch! Die herrlichsten Gaben
Theilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.
Bist du der wirthliche Gott? O dann so verstoße den Gastfreund
Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!
„Dichter! wohin versteigest du dich?“ – Vergib mir; der hohe
Capitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.
Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später,
Cestius Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.



[243]

VIII.

Wenn du mir sagst, du habest als Kind, Geliebte, den Menschen
Nicht gefallen, und dich habe die Mutter verschmäht,
Bis du größer geworden und still dich entwickelt; ich glaub’ es:
Gerne denk’ ich mir dich als ein besonderes Kind.
Fehlet Bildung und Farbe doch auch der Blüthe des Weinstocks,
Wenn die Beere, gereift, Menschen und Götter entzückt.



[244]

IX.

Herbstlich leuchtet die Flamme vom ländlich geselligen Herde,
Knistert und glänzet, wie rasch! sausend vom Reisig empor.
Diesen Abend erfreut sie mich mehr; denn eh’ noch zur Kohle
Sich das Bündel verzehrt, unter die Asche sich neigt,
Kommt mein liebliches Mädchen. Dann flammen Reisig und Scheite,
Und die erwärmete Nacht wird uns ein glänzendes Fest.
Morgen frühe geschäftig verläßt sie das Lager der Liebe,
Weckt aus der Asche behend Flammen auf’s neue hervor.
Denn vor andern verlieh der Schmeichlerin Amor die Gabe,
Freude zu wecken, die kaum still wie zu Asche versank.



[245]

X.

Alexander und Cäsar und Heinrich und Friedrich, die Großen,
Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms,
Könnt’ ich auf Eine Nacht dieß Lager jedem vergönnen;
Aber die armen, sie hält strenge des Orkus Gewalt.
Freue dich also, Lebend’ger, der lieberwärmeten Stätte,
Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.



[246]

XI.

Euch, o Grazien, legt die wenigen Blätter ein Dichter
Auf den reinen Altar, Knospen der Rose dazu,
Und er thut es getrost. Der Künstler freuet sich seiner
Werkstatt, wenn sie um ihn immer ein Pantheon scheint.
Jupiter senket die göttliche Stirn, und Juno erhebt sie;
Phöbus schreitet hervor, schüttelt das lockige Haupt;
Trocken schauet Minerva herab, und Hermes, der leichte,
Wendet zur Seite den Blick, schalkisch und zärtlich zugleich.
Aber nach Bacchus, dem weichen, dem träumenden, hebet Cythere
Blicke der süßen Begier, selbst in dem Marmor noch feucht.
Seiner Umarmung gedenket sie gern und scheinet zu fragen:
Sollte der herrliche Sohn uns an der Seite nicht stehn?



[247]

XII.

Hörest du, Liebchen, das muntre Geschrei den Flaminischen Weg her?
Schnitter sind es; sie ziehn wieder nach Hause zurück,
Weit hinweg. Sie haben des Römers Ernte vollendet,
Der für Ceres den Kranz selber zu flechten verschmäht.
Keine Feste sind mehr der großen Göttin gewidmet,
Die, statt Eicheln, zur Kost goldenen Weizen verlieh.
Laß uns beide das Fest im Stillen freudig begehen!
Sind zwei Liebende doch sich ein versammeltes Volk.
Hast du wohl je gehört von jener mystischen Feier,
Die von Eleusis hieher frühe dem Sieger gefolgt?
Griechen stifteten sie, und immer riefen nur Griechen,
Selbst in den Mauern Roms: „Kommt zur geheiligten Nacht!“
Fern entwich der Profane; da bebte der wartende Neuling,
Den ein weißes Gewand, Zeichen der Reinheit, umgab.
Wunderlich irrte darauf der Eingeführte durch Kreise
Seltner Gestalten; im Traum schien er zu wallen: denn hier
Wanden sich Schlangen am Boden umher, verschlossene Kästchen,
Reich mit Ähren umkränzt, trugen hier Mädchen vorbei,
Vielbedeutend gebärdeten sich die Priester, und summten;
Ungeduldig und bang harrte der Lehrling auf Licht.
Erst nach mancherlei Proben und Prüfungen ward ihm enthüllet,
Was der geheiligte Kreis seltsam in Bildern verbarg.
[248] Und was war das Geheimniß! als daß Demeter, die große,
Sich gefällig einmal auch einem Helden bequemt,
Als sie Iasion einst, dem rüstigen König der Kreter,
Ihres unsterblichen Leibs holdes Verborgne gegönnt.
Da war Kreta beglückt! das Hochzeitbette der Göttin
Schwoll von Ähren, und reich drückte den Acker die Saat.
Aber die übrige Welt verschmachtete; denn es versäumte
Über der Liebe Genuß Ceres den schönen Beruf.
Voll Erstaunen vernahm der Eingeweihte das Mährchen,
Winkte der Liebsten – Verstehst du nun, Geliebte, den Wink?
Jene buschige Myrte beschattet ein heiliges Plätzchen!
Unsre Zufriedenheit bringt keine Gefährde der Welt.



[249]

XIII.

Amor bleibet ein Schalk, und wer ihm vertraut, ist betrogen!
Heuchelnd kam er zu mir: „Dießmal nur traue mir noch.
Redlich mein’ ich’s mit dir, du hast dein Leben und Dichten,
Dankbar erkenn’ ich es wohl, meiner Verehrung geweiht.
Siehe, dir bin ich nun gar nach Rom gefolget; ich möchte
Dir im fremden Gebiet gern was Gefälliges thun.
Jeder Reisende klagt, er finde schlechte Bewirthung;
Welchen Amor empfiehlt, köstlich bewirthet ist er.
Du betrachtest mit Staunen die Trümmern alter Gebäude,
Und durchwandelst mit Sinn diesen geheiligten Raum.
Du verehrest noch mehr die werthen Reste des Bildens
Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt besucht.
Diese Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, ich prahle
Dießmal nicht; du gestehst, was ich dir sage, sei wahr.
Nun du mir lässiger dienst, wo sind die schönen Gestalten,
Wo die Farben, der Glanz deiner Erfindungen hin?
Denkst du nun wieder zu bilden, o Freund? Die Schule der Griechen
Blieb noch offen, das Thor schlossen die Jahre nicht zu.
Ich, der Lehrer, bin ewig jung, und liebe die Jungen.
Altklug lieb’ ich dich nicht! Munter! Begreife mich wohl!
War das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten!
Lebe glücklich, und so lebe die Vorzeit in dir!
Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir ihn geben,
Und den höheren Styl lehret die Liebe dich nur.“
[250] Also sprach der Sophist. Wer widerspräch’ ihm? und leider
Bin ich zu folgen gewöhnt, wenn der Gebieter befiehlt. –
Nun, verrätherisch hält er sein Wort, gibt Stoff zu Gesängen,
Ach! und raubt mir die Zeit, Kraft und Besinnung zugleich;
Blick und Händedruck, und Küsse, gemüthliche Worte,
Sylben köstlichen Sinns wechselt ein liebendes Paar.
Da wird Lispeln Geschwätz, wird Stottern liebliche Rede:
Solch ein Hymnus verhallt ohne prosodisches Maß.
Dich, Aurora, wie kannt’ ich dich sonst als Freundin der Musen!
Hat, Aurora, dich auch Amor, der lose, verführt?
Du erscheinest mir nun als seine Freundin, und weckest
Mich an seinem Altar wieder zum festlichen Tag.
Find’ ich die Fülle der Locken an meinem Busen! das Köpfchen
Ruhet und drücket den Arm, der sich dem Halse bequemt.
Welch ein freudig Erwachen, erhieltet ihr, ruhige Stunden,
Mir das Denkmal der Lust, die in den Schlaf uns gewiegt! –
Sie bewegt sich im Schlummer, und sinkt auf die Breite des Lagers
Weggewendet; und doch läßt sie mir Hand noch in Hand.
Herzliche Liebe verbindet uns stets und treues Verlangen,
Und den Wechsel behielt nur die Begierde sich vor.
Einen Druck der Hand, ich sehe die himmlischen Augen
Wieder offen. – O nein! laßt auf der Bildung mich ruhn!
[251] Bleibt geschlossen! Ihr macht mich verwirrt und trunken, ihr raubet
Mir den stillen Genuß reiner Betrachtung zu früh.
Diese Formen, wie groß! wie edel gewendet die Glieder!
Schlief Ariadne so schön; Theseus, du konntest entfliehn?
Diesen Lippen ein einziger Kuß! O Theseus, nun scheide!
Blick’ ihr in’s Auge! Sie wacht! – Ewig nun hält sie dich fest.



[252]

XIV.

Zünde mir Licht an, Knabe! – „Noch ist es hell. Ihr verzehret
Öl und Docht nur umsonst. Schließet die Läden doch nicht!
Hinter die Häuser entwich, nicht hinter den Berg, uns die Sonne!
Ein halb Stündchen noch währt’s bis zum Geläute der Nacht.“
Unglückseliger! geh und gehorch’! Mein Mädchen erwart’ ich;
Tröste mich, Lämpchen, indeß, lieblicher Bote der Nacht!



[253]

XV.

Cäsarn wär’ ich wohl nie zu fernen Britannen gefolget,
Florus hätte mich leicht in die Popine geschleppt!
Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen Nordens,
Als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhaßt.
Und noch schöner von heut an seid mir gegrüßet, ihr Schenken,
Osterien, wie euch schicklich der Römer benennt;
Denn ihr zeigtet mir heute die Liebste begleitet vom Oheim,
Den die Gute so oft, mich zu besitzen, betriegt.
Hier stand unser Tisch, den Deutsche vertraulich umgaben;
Drüben suchte das Kind neben der Mutter den Platz,
Rückte vielmals die Bank, und wußt’ es artig zu machen,
Daß ich halb ihr Gesicht, völlig den Nacken gewann.
Lauter sprach sie, als hier die Römerin pfleget, kredenzte,
Blickte gewendet nach mir, goß und verfehlte das Glas.
Wein floß über den Tisch, und sie, mit zierlichem Finger,
Zog auf dem hölzernen Blatt Kreise der Feuchtigkeit hin.
Meinen Namen verschlang sie dem ihrigen; immer begierig
Schaut’ ich dem Fingerchen nach, und sie bemerkte mich wohl.
Endlich zog sie behende das Zeichen der römischen Fünfe
Und ein Strichlein davor. Schnell, und sobald ich’s gesehn,
Schlang sie Kreise durch Kreise, die Lettern und Ziffern zu löschen;
Aber die köstliche  V i e r  blieb mir in’s Auge geprägt.
Stumm war ich sitzen geblieben, und biß die glühende Lippe,
Halb aus Schalkheit und Lust, halb aus Begierde, mir wund.
[254] Erst noch so lange bis Nacht! dann noch vier Stunden zu warten!
Hohe Sonne, du weilst und du beschauest dein Rom!
Größeres sahest du nichts und wirst nichts Größeres sehen,
Wie es dein Priester Horaz in der Entzückung versprach.
Aber heute verweile mir nicht, und wende die Blicke
Von dem Siebengebirg früher und williger ab!
Einem Dichter zu Liebe verkürze die herrlichen Stunden,
Die mit begierigem Blick selig der Mahler genießt;
Glühend blicke noch schnell zu diesen hohen Fassaden,
Kuppeln und Säulen zuletzt, und Obelisken herauf;
Stürze dich eilig in’s Meer, um morgen früher zu sehen,
Was Jahrhunderte schon göttliche Lust dir gewährt:
Diese feuchten mit Rohr so lange bewachs’nen Gestade,
Diese mit Bäumen und Busch düster beschatteten Höhn.
Wenig Hütten zeigten sie erst; dann sahst du auf einmal
Sie vom wimmelnden Volk glücklicher Räuber belebt.
Alles schleppten sie drauf an diese Stätte zusammen;
Kaum war das übrige Rund deiner Betrachtung noch werth.
Sahst eine Welt hier entstehn, sahst dann eine Welt hier in Trümmern,
Aus den Trümmern auf’s neu fast eine größere Welt!
Daß ich diese noch lange von dir beleuchtet erblicke,
Spinne die Parze mir klug langsam den Faden herab;
Aber sie eile herbei, die schön bezeichnete Stunde! –
Glücklich! Hör’ ich sie schon? Nein; doch ich höre schon Drei.
So, ihr lieben Musen, betrogt ihr wieder die Länge
Dieser Weile, die mich von der Geliebten getrennt.
Lebet wohl! Nun eil’ ich, und fürcht’ euch nicht zu beleid’gen;
Denn ihr Stolzen, ihr gebt Amorn doch immer den Rang.



[255]

XVI.

„Warum bist du, Geliebter, nicht heute zur Vigne gekommen?
Einsam, wie ich versprach, wartet’ ich oben auf dich.“ –
Beste, schon war ich hinein; da sah ich zum Glücke den Oheim
Neben den Stöcken, bemüht hin sich und her sich zu drehn.
Schleichend eilt’ ich hinaus! – „O, welch ein Irrthum ergriff dich!
Eine Scheuche nur war’s, was dich vertrieb! Die Gestalt
Flickten wir emsig zusammen aus alten Kleidern und Rohren;
Emsig half ich daran, selbst mir zu schaden bemüht.“ –
Nun, des Alten Wunsch ist erfüllt; den losesten Vogel
Scheucht’ er heute, der ihm Gärtchen und Nichte bestiehlt.



[256]

XVII.

Manche Töne sind mir Verdruß, doch bleibet am meisten
Hundegebell mir verhaßt; kläffend zerreißt es mein Ohr.
Einen Hund nur hör’ ich sehr oft mit frohem Behagen
Bellend kläffen, den Hund, den sich der Nachbar erzog.
Denn er bellte mir einst mein Mädchen an, da sie sich heimlich
Zu mir stahl, und verrieth unser Geheimniß beinah.
Jetzo, hör’ ich ihn bellen, so denk’ ich nur immer: sie kommt wohl!
Oder ich denke der Zeit, da die Erwartete kam.



[257]

XVIII.

Eines ist mir verdrießlich vor allen Dingen, ein andres
Bleibt mir abscheulich, empört jegliche Faser in mir;
Nur der bloße Gedanke. Ich will es euch, Freunde, gestehen:
Gar verdrießlich ist mir einsam das Lager zu Nacht.
Aber ganz abscheulich ist’s, auf dem Wege der Liebe
Schlangen zu fürchten, und Gift unter den Rosen der Lust,
Wenn im schönsten Moment der hin sich gebenden Freude
Deinem sinkenden Haupt lispelnde Sorge sich naht.
Darum macht Faustine mein Glück; sie theilet das Lager
Gerne mit mir, und bewahrt Treue dem Treuen genau.
Reizendes Hinderniß will die rasche Jugend; ich liebe,
Mich des versicherten Guts lange bequem zu erfreun.
Welche Seligkeit ist’s! wir wechseln sichere Küsse,
Athem und Leben getrost saugen und flößen wir ein.
So erfreuen wir uns der langen Nächte, wir lauschen,
Busen an Busen gedrängt, Stürmen und Regen und Guß.
Und so dämmert der Morgen heran; es bringen die Stunden
Neue Blumen herbei, schmücken uns festlich den Tag.
Gönnet mir, o Quiriten! das Glück, und jedem gewähre
Aller Güter der Welt erstes und letztes der Gott!



[258]

XIX.

Schwer erhalten wir uns den guten Namen, denn Fama
Steht mit Amorn, ich weiß, meinem Gebieter, in Streit.
Wißt auch ihr, woher es entsprang, daß beide sich hassen?
Alte Geschichten sind das, und ich erzähle sie wohl.
Immer die mächtige Göttin, doch war sie für die Gesellschaft
Unerträglich, denn gern führt sie das herrschende Wort;
Und so war sie von je, bei allen Göttergelagen,
Mit der Stimme von Erz, Großen und Kleinen verhaßt.
So berühmte sie einst sich übermüthig, sie habe
Jovis herrlichen Sohn ganz sich zum Sklaven gemacht.
„Meinen Hercules führ’ ich dereinst, o Vater der Götter,“
Rief triumphirend sie aus, „wiedergeboren dir zu.
Hercules ist es nicht mehr, den dir Alkmene geboren;
Seine Verehrung für mich macht ihn auf Erden zum Gott.
Schaut er nach dem Olymp, so glaubst du, er schaue nach deinen
Mächtigen Knieen; vergib! nur in den Äther nach mir
Blickt der würdigste Mann; nur mich zu verdienen durchschreitet
Leicht sein mächtiger Fuß Bahnen, die keiner betrat;
Aber auch ich begegn’ ihm auf seinen Wegen, und preise
Seinen Namen voraus, eh’ er die That noch beginnt.
Mich vermählst du ihm einst; der Amazonen Besieger
Werd’ auch meiner, und ihn nenn’ ich mit Freuden Gemahl!“
Alles schwieg; sie mochten nicht gern die Prahlerin reizen:
Denn sie denkt sich, erzürnt, leicht was Gehässiges aus.
[259] Amorn bemerkte sie nicht: er schlich bei Seite; den Helden
Bracht’ er mit weniger Kunst unter der Schönsten Gewalt.
Nun vermummt er sein Paar; ihr hängt er die Bürde des Löwen
Über die Schultern, und lehnt mühsam die Keule dazu.
Drauf bespickt er mit Blumen des Helden sträubende Haare,
Reichet den Rocken der Faust, die sich dem Scherze bequemt.
So vollendet er bald die neckische Gruppe; dann läuft er,
Ruft durch den ganzen Olymp: „Herrliche Thaten geschehn!
Nie hat Erd’ und Himmel, die unermüdete Sonne
Hat auf der ewigen Bahn keines der Wunder erblickt.“
Alles eilte; sie glaubten dem losen Knaben, denn ernstlich
Hatt’ er gesprochen; und auch Fama, sie blieb nicht zurück.
Wer sich freute, den Mann so tief erniedrigt zu sehen,
Denkt ihr! Juno. Es galt Amorn ein freundlich Gesicht.
Fama daneben, wie stand sie beschämt, verlegen, verzweifelnd!
Anfangs lachte sie nur: „Masken, ihr Götter, sind das!
Meinen Helden, ich kenn’ ihn zu gut! Es haben Tragöden
Uns zum Besten!“ Doch bald sah sie mit Schmerzen, er war’s! –
Nicht den tausendsten Theil verdroß es Vulcanen, sein Weibchen
Mit dem rüstigen Freund unter den Maschen zu sehn,
Als das verständige Netz im rechten Moment sie umfaßte,
Rasch die Verschlungnen umschlang, fest die Genießenden hielt.
Wie sich die Jünglinge freuten! Mercur und Bacchus! sie beide
Mußten gestehn: es sei, über dem Busen zu ruhn
[260] Dieses herrlichen Weibes, ein schöner Gedanke. Sie baten:
Löse, Vulcan, sie noch nicht! Laß sie noch einmal besehn.
Und der Alte war so Hahnrei, und hielt sie nur fester. –
Aber Fama, sie floh rasch und voll Grimmes davon.
Seit der Zeit ist zwischen den zweien der Fehde nicht Stillstand;
Wie sie sich Helden erwählt, gleich ist der Knabe darnach.
Wer sie am höchsten verehrt, den weiß er am besten zu fassen,
Und den Sittlichsten greift er am gefährlichsten an.
Will ihm einer entgehn, den bringt er vom Schlimmen in’s Schlimmste.
Mädchen bietet er an; wer sie ihm thöricht verschmäht,
Muß erst grimmige Pfeile von seinem Bogen erdulden;
Mann erhitzt er auf Mann, treibt die Begierden auf’s Thier.
Wer sich seiner schämt, der muß erst leiden; dem Heuchler
Streut er bittern Genuß unter Verbrechen und Noth.
Aber auch sie, die Göttin, verfolgt ihn mit Augen und Ohren;
Sieht sie ihn einmal bei dir, gleich ist sie feindlich gesinnt,
Schreckt dich mit ernstem Blick, verachtenden Mienen, und heftig
Strenge verruft sie das Haus, das er gewöhnlich besucht.
Und so geht es auch mir: schon leid’ ich ein wenig; die Göttin
Eifersüchtig, sie forscht meinem Geheimnisse nach.
Doch es ist ein altes Gesetz: ich schweig’ und verehre;
Denn der Könige Zwist büßten die Griechen, wie ich.



[261]

XX.

Zieret Stärke den Mann und freies muthiges Wesen,
O! so ziemet ihm fast tiefes Geheimniß noch mehr.
Städtebezwingerin, du Verschwiegenheit! Fürstin der Völker!
Theure Göttin, die mich sicher durch’s Leben geführt,
Welches Schicksal erfahr’ ich! Es löset scherzend die Muse,
Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen Mund.
Ach, schon wird es so schwer, der Könige Schande verbergen!
Weder die Krone bedeckt, weder ein phrygischer Bund
Midas verlängertes Ohr; der nächste Diener entdeckt es,
Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimniß die Brust.
In die Erde vergrüb’ er es gern, um sich zu erleichtern:
Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht;
Rohre sprießen hervor, und rauschen und lispeln im Winde:
Midas! Midas, der Fürst, trägt ein verlängertes Ohr!
Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimniß zu wahren;
Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht!
Keiner Freundin darf ich’s vertraun: sie möchte mich schelten;
Keinem Freunde: vielleicht brächte der Freund mir Gefahr.
Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen zu sagen,
Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug.
Dir, Hexameter, dir, Pentameter, sei es vertrauet,
Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich beglückt.
[262] Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die Schlingen,
Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt;
Klug und zierlich schlüpft sie vorbei, und kennet die Wege,
Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig empfängt.
Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht sehe;
Rausche, Lüftchen, im Laub! Niemand vernehme den Tritt.
Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und wieget
Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft,
Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre geschwätzig,
Eines glücklichen Paars schönes Geheimniß zuletzt.



[305]

Epigramme.

Venedig 1790.

Wie man Geld und Zeit verthan,
Zeigt das Büchlein lustig an.

[307]

1.

Sarkophagen und Urnen verzierte der Heide mit Leben:
Faunen tanzen umher, mit der Bacchantinnen Chor
Machen sie bunte Reihe; der ziegengefüßete Pausback
Zwingt den heiseren Ton wild aus dem schmetternden Horn.
Cymbeln, Trommeln erklingen; wir sehen und hören den Marmor.
Flatternde Vögel! wie schmeckt herrlich dem Schnabel die Frucht!
Euch verscheuchet kein Lärm, noch weniger scheucht er den Amor,
Der in dem bunten Gewühl erst sich der Fackel erfreut.
So überwältiget Fülle den Tod; und die Asche da drinnen
Scheint, im stillen Bezirk, noch sich des Lebens zu freun.
So umgebe denn spät den Sarkophagen des Dichters
Diese Rolle, von ihm reichlich mit Leben geschmückt.



2.

Kaum an dem blaueren Himmel erblickt’ ich die glänzende Sonne,
Reich, vom Felsen herab, Epheu zu Kränzen geschmückt,
Sah den emsigen Winzer die Rebe der Pappel verbinden,
Über die Wiege Virgils kam mir ein laulicher Wind:
Da gesellten die Musen sich gleich zum Freunde; wir pflogen
Abgeriss’nes Gespräch, wie es den Wanderer freut.



[308]

3.

Immer halt’ ich die Liebste begierig im Arme geschlossen,
Immer drängt sich mein Herz fest an den Busen ihr an,
Immer lehnet mein Haupt an ihren Knieen, ich blicke
Nach dem lieblichen Mund, ihr nach den Augen hinauf.
Weichling! schölte mich einer, und so verbringst du die Tage?
Ach, ich verbringe sie schlimm! Höre nur, wie mir geschieht:
Leider wend’ ich den Rücken der einzigen Freude des Lebens;
Schon den zwanzigsten Tag schleppt mich der Wagen dahin.
Vetturine trotzen mir nun, es schmeichelt der Kämmrer,
Und der Bediente vom Platz sinnet auf Lügen und Trug.
Will ich ihnen entgehn, so faßt mich der Meister der Posten,
Postillone sind Herrn, dann die Dogane dazu!
„Ich verstehe dich nicht! du widersprichst dir! du schienest
Paradiesisch zu ruhn, ganz, wie Rinaldo, beglückt.“
Ach! ich verstehe mich wohl: es ist mein Körper auf Reisen,
Und es ruhet mein Geist stets der Geliebten im Schoos.



4.

Das ist Italien, das ich verließ. Noch stäuben die Wege,
Noch ist der Fremde geprellt, stell’ er sich, wie er auch will.
Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens;
Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht;
Jeder sorgt nur für sich, mißtrauet dem andern, ist eitel,
Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.
Schön ist das Land; doch ach! Faustinen find’ ich nicht wieder.
Das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verließ.



[309]

5.

In der Gondel lag ich gestreckt und fuhr durch die Schiffe,
Die in dem großen Kanal, viele befrachtete, stehn.
Mancherlei Waare findest du da für manches Bedürfniß,
Weizen, Wein und Gemüs’, Scheite, wie leichtes Gesträuch.
Pfeilschnell drangen wir durch; da traf ein verlorener Lorbeer
Derb mir die Wangen. Ich rief: „Daphne, verletzest du mich?
Lohn erwartet’ ich eher! Die Nymphe lispelte lächelnd:
Dichter sünd’gen nicht schwer. Leicht ist die Strafe. Nur zu!


6.

Seh’ ich den Pilgrim, so kann ich mich nie der Thränen enthalten.
O wie beseliget uns Menschen ein falscher Begriff!


7.

Eine Liebe hatt’ ich, sie war mir lieber als alles!
Aber ich hab’ sie nicht mehr! Schweig’, und ertrag’ den Verlust!

 

8.

Diese Gondel vergleich’ ich der sanft einschaukelnden Wiege,
Und das Kästchen darauf scheint ein geräumiger Sarg.
Recht so! Zwischen der Wieg’ und dem Sarg wir schwanken und schweben
Auf dem großen Kanal sorglos durch’s Leben dahin.


9.

Feierlich sehn wir neben dem Doge den Nuncius gehen;
Sie begraben den Herrn, einer versiegelt den Stein.
Was der Doge sich denkt, ich weiß es nicht; aber der andre
Lächelt über den Ernst dieses Gepränges gewiß.



[310]

10.

Warum treibt sich das Volk so, und schreit? Es will sich ernähren,
Kinder zeugen, und die nähren, so gut es vermag.
Merke dir, Reisender, das, und thue zu Hause desgleichen!
Weiter bringt es kein Mensch, stell’ er sich, wie er auch will.


11.

Wie sie klingeln die Pfaffen! Wie angelegen sie’s machen,
Daß man komme, nur ja plappre, wie gestern so heut!
Scheltet mir nicht die Pfaffen; sie kennen des Menschen Bedürfniß!
Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen wie heut!


12.

Mache der Schwärmer sich Schüler, wie Sand am Meere – der Sand ist
Sand; die Perle sei mein, du, o vernünftiger Freund!


13.

Süß den sprossenden Klee mit weichlichen Füßen im Frühling,
Und die Wolle des Lamms tasten mit zärtlicher Hand;
Süß voll Blüthen zu sehn die neulebendigen Zweige,
Dann das grünende Laub locken mit sehnendem Blick.
Aber süßer, mit Blumen dem Busen der Schäferin schmeicheln;
Und dies vielfache Glück läßt mich entbehren der Mai.


14.

Diesem Amboß vergleich’ ich das Land, den Hammer dem Herrscher,
Und dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt.
[311] Wehe dem armen Blech! wenn nur willkürliche Schläge
Ungewiß treffen, und nie fertig der Kessel erscheint.


15.

Schüler macht sich der Schwärmer genug, und rühret die Menge,
Wenn der vernünftige Mann einzelne Liebende zählt.
Wunderthätige Bilder sind meist nur schlechte Gemählde:
Werke des Geists und der Kunst sind für den Pöbel nicht da.


16.

Mache zum Herrscher sich der, der seinen Vortheil verstehet:
Doch wir wählten uns den, der sich auf unsern versteht.


17.

Noth lehrt beten, man sagt’s; will einer es lernen, er gehe
Nach Italien! Noth findet der Fremde gewiß.


18.

Welch ein heftig Gedränge nach diesem Laden! Wie emsig
Wägt man, empfängt man das Geld, reicht man die Waare dahin!
Schnupftabak wird hier verkauft. Das heißt sich selber erkennen!
Nieswurz holt sich das Volk, ohne Verordnung und Arzt.


19.

Jeder Edle Venedigs kann Doge werden; das macht ihn
Gleich als Knaben so fein, eigen, bedächtig und stolz.
Darum sind die Oblaten so zart im katholischen Wälschland;
Denn aus demselbigen Teig weihet der Priester den Gott.



[312]

20.

Ruhig am Arsenal stehn zwei altgriechische Löwen;
Klein wird neben dem Paar Pforte, wie Thurm und Kanal.
Käme die Mutter der Götter herab, es schmiegten sich beide
Vor den Wagen, und sie freute sich ihres Gespanns.
Aber nun ruhen sie traurig; der neue geflügelte Kater
Schnurrt überall, und ihn nennet Venedig Patron.


21.

Emsig wallet der Pilger! Und wird er den Heiligen finden?
Hören und sehen den Mann, welcher die Wunder gethan?
Nein, es führte die Zeit ihn hinweg: du findest nur Reste,
Seinen Schädel, ein paar seiner Gebeine verwahrt.
Pilgrime sind wir alle, die wir Italien suchen;
Nur ein zerstreutes Gebein ehren wir gläubig und froh.


22.

Jupiter Pluvius, heut erscheinst du ein freundlicher Dämon;
Denn ein vielfach Geschenk gibst du in Einem Moment;
Gibst Venedig zu trinken, dem Lande grünendes Wachsthum;
Manches kleine Gedicht gibst du dem Büchelchen hier.


23.

Gieße nur, tränke nur fort die rothbemäntelten Frösche,
Wäss’re das durstende Land, daß es uns Broccoli schickt.
Nur durchwäss’re mir nicht dieß Büchlein; es sei mir ein Fläschchen
Reinen Araks, und Punsch mache sich jeder nach Lust.


24.

Sanct Johannes im Koth heißt jene Kirche; Venedig
Nenn’ ich mit doppeltem Recht heute Sanct Marcus im Koth.



[313]

25.

Hast du Bajä gesehn, so kennst du das Meer und die Fische.
Hier ist Venedig; du kennst nun auch den Pfuhl und den Frosch.


26.

Schläfst du noch immer? Nur still, und laß mich ruhen; erwach’ ich,
Nun, was soll ich denn hier? Breit ist das Bette, doch leer.
Ist überall ja doch Sardinien, wo man allein schläft;
Tibur, Freund, überall, wo dich die Liebliche weckt.


27.

Alle Neun, sie winkten mir oft, ich meine die Musen;
Doch ich achtet’ es nicht, hatte das Mädchen im Schoos.
Nun verließ ich mein Liebchen; mich haben die Musen verlassen,
Und ich schielte verwirrt, suchte nach Messer und Strick.
Doch von Göttern ist voll der Olymp; du kamst mich zu retten,
Langeweile! du bist Mutter der Musen gegrüßt.


28.

Welch ein Mädchen ich wünsche zu haben? Ihr fragt mich. Ich hab’ sie,
Wie ich sie wünsche, das heißt, dünkt mich, mit Wenigem viel.
An dem Meere ging ich, und suchte mir Muscheln. In einer
Fand ich ein Perlchen; es bleibt nun mir am Herzen verwahrt.



[314]

29.

Vieles hab’ ich versucht, gezeichnet, in Kupfer gestochen,
Öl gemahlt, in Thon hab’ ich auch manches gedrückt,
Unbeständig jedoch, und nichts gelernt noch geleistet;
Nur ein einzig Talent bracht’ ich der Meisterschaft nah:
Deutsch zu schreiben. Und so verderb’ ich unglücklicher Dichter
In dem schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst.


30.

Schöne Kinder tragt ihr, und steht mit verdeckten Gesichtern,
Bettelt: das heißt, mit Macht reden an’s männliche Herz.
Jeder wünscht sich ein Knäbchen, wie ihr das dürftige zeiget,
Und ein Liebchen, wie man’s unter dem Schleier sich denkt.


31.

Das ist dein eigenes Kind nicht, worauf du bettelst, und rührst mich;
O, wie rührt mich erst die, die mir mein eigenes bringt!


32.

Warum leckst du dein Mäulchen, indem du mir eilig begegnest?
Wohl, dein Züngelchen sagt mir, wie gesprächig es sei.


33.

Sämmtliche Künste lernt und treibet der Deutsche; zu jeder
Zeigt er ein schönes Talent, wenn er sie ernstlich ergreift.
Eine Kunst nur treibt er, und will sie nicht lernen, die Dichtkunst.
Darum pfuscht er auch so; Freunde, wir haben’s erlebt.



[315]

34a.

Oft erklärtet ihr euch als Freunde des Dichters, ihr Götter!
Gebt ihm auch, was er bedarf! Mäßiges braucht er, doch viel:
Erstlich freundliche Wohnung, dann leidlich zu essen, zu trinken
Gut; der Deutsche versteht sich auf den Nektar, wie ihr.
Dann geziemende Kleidung und Freunde, vertraulich zu schwatzen;
Dann ein Liebchen des Nachts, das ihn von Herzen begehrt.
Diese fünf natürlichen Dinge verlang’ ich vor allem.
Gebet mir ferner dazu Sprachen, die alten und neu’n,
Daß ich der Völker Gewerb’ und ihre Geschichten vernehme;
Gebt mir ein reines Gefühl, was sie in Künsten gethan.
Ansehn gebt mir im Volke, verschafft bei Mächtigen Einfluß,
Oder was sonst noch bequem unter den Menschen erscheint;
Gut – schon dank’ ich euch, Götter; ihr habt den glücklichsten Menschen
Eh’stens fertig: denn ihr gönntet das Meiste mir schon.


34b.

Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine;
Kurz und schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag.
Aber so wende nach innen, so wende nach außen die Kräfte
Jeder; da wär’s ein Fest, Deutscher mit Deutschen zu sein.
Doch was priesest du Ihn, den Thaten und Werke verkünden?
Und bestochen erschien’ deine Verehrung vielleicht;
Denn mir hat er gegeben, was Große selten gewähren,
Neigung, Muße, Vertraun, Felder und Garten und Haus.
[316] Niemand braucht’ ich zu danken als Ihm, und manches bedurft’ ich,
Der ich mich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter, verstand.
Hat mich Europa gelobt, was hat mir Europa gegeben?
Nichts! Ich habe, wie schwer! meine Gedichte bezahlt.
Deutschland ahmte mich nach, und Frankreich mochte mich lesen.
England! freundlich empfingst du den zerrütteten Gast.
Doch was fördert es mich, daß auch sogar der Chinese
Mahlet, mit ängstlicher Hand, Werthern und Lotten auf Glas?
Niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König
Um mich bekümmert, und Er war mir August und Mäcen.


35.

Eines Menschen Leben, was ist’s? Doch Tausende können
Reden über den Mann, was er und wie er’s gethan.
Weniger ist ein Gedicht; doch können es Tausend genießen,
Tausende tadeln. Mein Freund, lebe nur, dichte nur fort!


36.

Müde war ich geworden, nur immer Gemählde zu sehen,
Herrliche Schätze der Kunst, wie sie Venedig bewahrt.
Denn auch dieser Genuß verlangt Erholung und Muße;
Nach lebendigem Reiz suchte mein schmachtender Blick.
Gauklerin, da ersah ich in dir zu den Bübchen das Urbild,
Wie sie Johannes Bellin reizend mit Flügeln gemahlt,
Wie sie Paul Veronese mit Bechern dem Bräutigam sendet,
Dessen Gäste, getäuscht, Wasser genießen für Wein.



[317]

37.

Wie, von der künstlichsten Hand geschnitzt, das liebe Figürchen,
Weich und ohne Gebein, wie die Molluska nur schwimmt!
Alles ist Glied, und alles Gelenk, und alles gefällig,
Alles nach Maßen gebaut, alles nach Willkür bewegt.
Menschen hab’ ich gekannt, und Thiere, so Vögel als Fische,
Manches besondre Gewürm, Wunder der großen Natur;
Und doch staun’ ich dich an, Bettine, liebliches Wunder,
Die du alles zugleich bist, und ein Engel dazu.


38.

Kehre nicht, liebliches Kind, die Beinchen hinauf zu dem Himmel;
Jupiter sieht dich, der Schalk, und Ganymed ist besorgt.


39.

Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge! Wir strecken
Arme betend empor; aber nicht schuldlos, wie du.


40.

Seitwärts neigt sich dein Hälschen. Ist das ein Wunder? Es träget
Oft dich ganze; du bist leicht, nur dem Hälschen zu schwer.
Mir ist sie gar nicht zuwider die schiefe Stellung des Köpfchens;
Unter schönerer Last beugte kein Nacken sich je.


41.

So verwirret mit dumpf willkürlich verwebten Gestalten,
Höllisch und trübe gesinnt, Breughel den schwankenden Blick;
[318] So zerrüttet auch Dürer mit apokalyptischen Bildern,
Menschen und Grillen zugleich, unser gesundes Gehirn;
So erreget ein Dichter, von Sphinxen, Sirenen, Centauren
Singend, mit Macht Neugier in dem verwunderten Ohr;
So beweget ein Traum den Sorglichen, wenn er zu greifen,
Vorwärts glaubet zu gehn, alles veränderlich schwebt:
So verwirrt uns Bettine, die holden Glieder verwechselnd;
Doch erfreut sie uns gleich, wenn sie die Sohlen betritt.


42.

Gern überschreit’ ich die Grenze, mit breiter Kreide gezogen.
Macht sie Bottegha, das Kind, drängt sie mich artig zurück.


43.

„Ach! mit diesen Seelen, was macht er? Jesus Maria!
„Bündelchen Wäsche sind das, wie man zum Brunnen sie trägt.
„Wahrlich, sie fällt! Ich halt’ es nicht aus! Komm, gehn wir! Wie zierlich!
„Sieh nur, wie steht sie, wie leicht! Alles mit Lächeln und Lust!“
Altes Weib, du bewunderst mit Recht Bettinen! du scheinst mir
Jünger zu werden und schön, da dich mein Liebling erfreut.


44.

Alles seh’ ich so gerne von dir; doch seh’ ich am liebsten,
Wenn der Vater behend über dich selber dich wirft,
Du dich im Schwung überschlägst und, nach dem tödlichen Sprunge,
Wieder stehest und läufst, eben ob nichts wär’ geschehn.



[319]

45.

Schon entrunzelt sich jedes Gesicht; die Furchen der Mühe,
Sorgen und Armuth fliehn, Glückliche glaubt man zu sehn.
Dir erweicht sich der Schiffer, und klopft dir die Wange; der Seckel
Thut sich dir kärglich zwar, aber er thut sich doch auf,
Und der Bewohner Venedigs entfaltet den Mantel, und reicht dir,
Eben als flehtest du laut bei den Mirakeln Antons,
Bei des Herrn fünf Wunden, dem Herzen der seligsten Jungfrau,
Bei der feurigen Qual, welche die Seelen durchfegt.
Jeder kleine Knabe, der Schiffer, der Höke, der Bettler
Drängt sich, und freut sich bei dir, daß er ein Kind ist, wie du.


46.

Dichten ist ein lustig Metier; nur find’ ich es theuer:
Wie dies Büchlein mir wächst, gehn die Zechinen mir fort.


47.

„Welch ein Wahnsinn ergriff dich müßigen? Hältst du nicht inne?
„Wird dieß Mädchen ein Buch? Stimme was Klügeres an!“
Wartet, ich singe die Könige bald, die Großen der Erde,
Wenn ich ihr Handwerk einst besser begreife, wie jetzt.
Doch Bettinen sing’ ich indeß; denn Gaukler und Dichter
Sind gar nahe verwandt, suchen und finden sich gern.



[320]

48.

Böcke, zur Linken mit euch! so ordnet künftig der Richter:
Und ihr Schäfchen, ihr sollt ruhig zur Rechten mir stehn!
Wohl! Doch eines ist noch von ihm zu hoffen; dann sagt er:
Seid, Vernünftige, mir g’rad’ gegenüber gestellt!


49.

Wißt ihr, wie ich gewiß zu Hunderten euch Epigramme
Fertige? Führet mich nur weit von der Liebsten hinweg!


50.

Alle Freiheits-Apostel, sie waren mir immer zuwider;
Willkür suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du Viele befrein, so wag’ es Vielen zu dienen.
Wie gefährlich das sei, willst du es wissen? Versuch’s!


51.

Könige wollen das Gute, die Demagogen desgleichen,
Sagt man; doch irren sie sich: Menschen, ach, sind sie, wie wir.
Nie gelingt es der Menge, für sich zu wollen; wir wissen’s:
Doch wer verstehet, für uns alle zu wollen; er zeig’s.


52.

Jeglichen Schwärmer schlagt mir an’s Kreuz im dreißigsten Jahre;
Kennt er nur einmal die Welt, wird der Betrogne der Schelm.


53.

Frankreichs traurig Geschick, die Großen mögen’s bedenken;
Aber bedenken fürwahr sollen es Kleine noch mehr.
Große gingen zu Grunde: doch wer beschützte die Menge
Gegen die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann.



[321]

54.

Tolle Zeiten hab’ ich erlebt, und hab’ nicht ermangelt,
Selbst auch thöricht zu sein, wie es die Zeit mir gebot.


55.

Sage, thun wir nicht recht? Wir müssen den Pöbel betriegen.
Sieh nur, wie ungeschickt, sieh nur, wie wild er sich zeigt!
Ungeschickt und wild sind alle rohe Betrognen;
Seid nur redlich, und so führt ihn zum Menschlichen an.


56.

Fürsten prägen so oft auf kaum versilbertes Kupfer
Ihr bedeutendes Bild; lange betriegt sich das Volk.
Schwärmer prägen den Stempel des Geists auf Lügen und Unsinn;
Wem der Probierstein fehlt hält sie für redliches Gold.


57.

Jene Menschen sind toll, so sagt ihr von heftigen Sprechern,
Die wir in Frankreich laut hören auf Straßen und Markt.
Mir auch scheinen sie toll; doch redet ein Toller in Freiheit
Weise Sprüche, wenn, ach! Weisheit im Sklaven verstummt.


58.

Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen,
Halb nur geachtet den Mann, dem sie vom Munde nicht floß.
Nun lallt alles Volk entzückt die Sprache der Franken.
Zürnet, Mächtige, nicht! Was ihr verlangtet, geschieht.



[322]

59.

„Seid doch nicht so frech, Epigramme!“ Warum nicht? Wir sind nur
Überschriften; die Welt hat die Capitel des Buchs.


60.

Wie dem hohen Apostel ein Tuch voll Thiere gezeigt ward,
Rein und unrein, zeigt, Lieber, das Büchlein sich dir.


61.

Ein Epigramm, ob wohl es gut sei? Kannst du’s entscheiden?
Weiß man doch eben nicht stets, was er sich dachte der Schalk.


62.

Um so gemeiner es ist, und näher dem Neide, der Mißgunst;
Um so eher begreifst du das Gedichtchen gewiß.


63.

Chloe schwöret, sie liebt mich; ich glaub’s nicht. Aber sie liebt dich!
Sagt mir ein Kenner. Schon gut; glaubt’ ich’s, da wär’ es vorbei.


64.

Niemand liebst du, und mich, Philarchos, liebst du so heftig.
Ist denn kein anderer Weg, mich zu bezwingen, als der?


65.

Ist denn so groß das Geheimniß, was Gott und der Mensch und die Welt sei?
Nein! Doch niemand hört’s gerne; da bleibt es geheim.



[323]

66.

Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld’ ich mit ruhigem Muth, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider;
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und †.


67.

Längst schon hätt’ ich euch gern von jenen Thierchen gesprochen,
Die so zierlich und schnell fahren dahin und daher.
Schlängelchen scheinen sie gleich, doch viergefüßet; sie laufen,
Kriechen und schleichen, und leicht schleppen die Schwänzchen sie nach.
Seht, hier sind sie! und hier! Nun sind sie verschwunden! Wo sind sie?
Welche Ritze, welch Kraut nahm die entfliehenden auf?
Wollt ihr mir's künftig erlauben, so nenn’ ich die Thierchen Lacerten;
Denn ich brauche sie noch oft als gefälliges Bild.


68.

Wer Lacerten gesehn, der kann sich die zierlichen Mädchen
Denken, die über den Platz fahren dahin und daher.
Schnell und beweglich sind sie, und gleiten, stehen und schwatzen,
Und es rauscht das Gewand hinter den eilenden drein.
Sieh, hier ist sie! und hier! Verlierst du sie einmal, so suchst du
Sie vergebens; so bald kommt sie nicht wieder hervor.
Wenn du aber die Winkel nicht scheust, nicht Gäßchen und Treppchen,
Folg’ ihr, wie sie dich lockt, in die Spelunke hinein!



[324]

69.

Was Spelunke nun sei, verlangt ihr zu wissen? Da wird ja
Fast zum Lexikon dieß epigrammatische Buch.
Dunkele Häuser sind’s in engen Gäßchen; zum Kaffee
Führt dich die Schöne, und sie zeigt sich geschäftig, nicht du.


70.

Zwei der feinsten Lacerten, sie hielten sich immer zusammen;
Eine beinahe zu groß, eine beinahe zu klein.
Siehst du beide zusammen, so wird die Wahl dir unmöglich;
Jede besonders, sie schien einzig die schönste zu sein.


71.

Heilige Leute, sagt man, sie wollten besonders dem Sünder
Und der Sünderin wohl. Geht’s mir doch eben auch so.


72.

Wär’ ich ein häusliches Weib, und hätte, was ich bedürfte,
Treu sein wollt’ ich und froh, herzen und küssen den Mann.
So sang, unter andern gemeinen Liedern, ein Dirnchen
Mir in Venedig, und nie hört’ ich ein frömmer Gebet.


73.

Wundern kann es mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben;
Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so der Hund.


74.

Frech wohl bin ich geworden; es ist kein Wunder. Ihr Götter
Wißt, und wißt nicht allein, daß ich auch fromm bin und treu.



[325]

75.

„Hast du nicht gute Gesellschaft gesehn? Es zeigt uns dein Büchlein
Fast nur Gaukler und Volk, ja was noch niedriger ist.“
Gute Gesellschaft hab’ ich gesehn, man nennt sie die gute,
Wenn sie zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit gibt.


76.

Was mit mir das Schicksal gewollt? Es wäre verwegen,
Das zu fragen; denn meist will es mit Vielen nicht viel.
Einen Dichter zu bilden, die Absicht wär’ ihm gelungen,
Hätte die Sprache sich nicht unüberwindlich gezeigt.


77.

Mit Botanik gibst du dich ab? mit Optik? Was thust du?
Ist es nicht schönrer Gewinn, rühren ein zärtliches Herz?
Ach, die zärtlichen Herzen! Ein Pfuscher vermag sie zu rühren;
Sei es mein einziges Glück, dich zu berühren, Natur!


78.

Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches
Hat er euch weis gemacht, das ihr ein Säculum glaubt.


79.

„Alles erklärt sich wohl“, so sagt mir ein Schüler, „aus jenen
Theorien, die uns weislich der Meister gelehrt.“
Habt ihr einmal das Kreuz von Holze tüchtig gezimmert,
Paßt ein lebendiger Leib freilich zur Strafe daran.



[326]

80.

Wenn auf beschwerlichen Reisen ein Jüngling zur Liebsten sich windet,
Hab’ er dieß Büchlein; es ist reizend und tröstlich zugleich.
Und erwartet dereinst ein Mädchen den Liebsten, sie halte
Dieses Büchlein, und nur, kommt er, so werfe sie’s weg.


81.

Gleich den Winken des Mädchens, des eilenden, welche verstohlen
Im Vorbeigehn nur freundlich mir streifet den Arm,
So vergönnt, ihr Musen, dem Reisenden kleine Gedichte:
O, behaltet dem Freund größere Gunst noch bevor!


82.

Wenn, in Wolken und Dünste verhüllt, die Sonne nur trübe
Stunden sendet, wie still wandeln die Pfade wir fort!
Dränget Regen den Wandrer, wie ist uns des ländlichen Daches
Schirm willkommen! Wie sanft ruht sich’s in stürmischer Nacht!
Aber die Göttin kehret zurück! Schnell scheuche die Nebel
Von der Stirne hinweg! Gleiche der Mutter Natur!


83.

Willst du mit reinem Gefühl der Liebe Freuden genießen,
O, laß Frechheit und Ernst ferne vom Herzen dir sein.
D i e  will Amorn verjagen, und  d e r  gedenkt ihn zu fesseln;
Beiden das Gegentheil lächelt der schelmische Gott.



[327]

84.

Göttlicher Morpheus, umsonst bewegst du die lieblichen Mohne;
Bleibt das Auge doch wach, wenn mir es Amor nicht schließt.


85.

Liebe flößest du ein, und Begier; ich fühl’ es, und brenne.
Liebenswürdige, nun flöße Vertrauen mir ein!


86.

Ha! ich kenne dich, Amor, so gut als einer! Da bringst du
Deine Fackel, und sie leuchtet im Dunkel uns vor.
Aber du führest uns bald verworrene Pfade; wir brauchten
Deine Fackel erst recht, ach! und die falsche erlischt.


87.

Eine einzige Nacht an deinem Herzen! – Das andre
Gibt sich. Es trennet uns noch Amor in Nebel und Nacht.
Ja, ich erlebe den Morgen, an dem Aurora die Freunde
Busen an Busen belauscht, Phöbus, der frühe, sie weckt.


88.

Ist es dir Ernst, so zaudre nun länger nicht; mache mich glücklich!
Wolltest du scherzen? Es sei, Liebchen, des Scherzes genug!


89.

Daß ich schweige, verdrießt dich? Was soll ich reden? Du merkest
Auf der Seufzer, des Blicks leise Beredsamkeit nicht.
Eine Göttin vermag der Lippe Siegel zu lösen;
Nur Aurora, sie weckt einst dir am Busen mich auf.
[328] Ja, dann töne mein Hymnus den frühen Göttern entgegen,
Wie das Memnonische Bild lieblich Geheimnisse sang.


90.

Welch ein lustiges Spiel! Es windet am Faden die Scheibe,
Die von der Hand entfloh, eilig sich wieder herauf!
Seht, so schein’ ich mein Herz bald dieser Schönen, bald jener
Zuzuwerfen; doch gleich kehrt es im Fluge zurück.


91.

O, wie achtet’ ich sonst auf alle Zeiten des Jahres;
Grüßte den kommenden Lenz, sehnte dem Herbste mich nach!
Aber nun ist nicht Sommer noch Winter, seit mich beglückten
Amors Fittich bedeckt, ewiger Frühling umschwebt.


92.

Sage, wie lebst du? Ich lebe! und wären hundert und hundert
Jahre dem Menschen gegönnt, wünscht’ ich mir morgen, wie heut.


93.

Götter, wie soll ich euch danken! Ihr habt mir alles gegeben,
Was der Mensch sich erfleht; nur in der Regel fast nichts.


94.

In der Dämmrung des Morgens den höchsten Gipfel erklimmen,
Frühe den Boten des Tags grüßen, dich, freundlichen Stern!
Ungeduldig die Blicke der Himmelsfürstin erwarten,
Wonne des Jünglings, wie oft locktest du Nachts mich heraus!
[329] Nun erscheint ihr mir, Boten des Tags, ihr himmlischen Augen
Meiner Geliebten, und stets kommt mir die Sonne zu früh.


95.

Du erstaunest, und zeigst mir das Meer; es scheinet zu brennen.
Wie bewegt sich die Fluth flammend um’s nächtliche Schiff!
Mich verwundert es nicht, das Meer gebar Aphroditen,
Und entsprang nicht aus ihr uns eine Flamme, der Sohn?


96.

Glänzen sah ich das Meer, und blinken die liebliche Welle
Frisch mit günstigem Wind zogen die Segel dahin.
Keine Sehnsucht fühlte mein Herz; es wendete rückwärts,
Nach dem Schnee des Gebirgs, bald sich der schmachtende Blick.
Südwärts liegen der Schätze wie viel! Doch einer im Norden
Zieht, ein großer Magnet, unwiderstehlich zurück.


97.

Ach! mein Mädchen verreis’t! Sie steigt zu Schiffe! – Mein König,
Äolus! mächtiger Fürst! halte die Stürme zurück!
Thörichter! ruft mir der Gott: befürchte nicht wüthende Stürme:
Fürchte den Hauch, wenn sanft Amor die Flügel bewegt!


98.

Arm und kleiderlos war, als ich sie geworben, das Mädchen;
Damals gefiel sie mir nackt, wie sie mir jetzt noch gefällt.



[330]

99.

Oftmals hab’ ich geirrt, und habe mich wieder gefunden,
Aber glücklicher nie; nun ist dieß Mädchen mein Glück!
Ist auch dieses ein Irrthum, so schont mich, ihr klügeren Götter,
Und benehmt mir ihn erst drüben am kalten Gestad’.


100.

Traurig, Midas, war dein Geschick: in bebenden Händen
Fühltest du, hungriger Greis, schwere verwandelte Kost.
Mir, im ähnlichen Fall, geht’s lust’ger; denn was ich berühre,
Wird mir unter der Hand gleich ein behendes Gedicht.
Holde Musen, ich sträube mich nicht; nur daß ihr mein Liebchen,
Drück’ ich es fest an die Brust, nicht mir zum Mährchen verkehrt.


101.

Ach, mein Hals ist ein wenig geschwollen! so sagte die Beste
Ängstlich. – Stille, mein Kind! still! und vernehme das Wort:
Dich hat die Hand der Venus berührt; sie deutet dir leise,
Daß sie das Körperchen bald, ach! unaufhaltsam verstellt.
Bald verdirbt sie die schlanke Gestalt, die zierlichen Brüstchen.
Alles schwillt nun; es paßt nirgends das neuste Gewand.
Sei nur ruhig! es deutet die fallende Blüthe dem Gärtner,
Daß die liebliche Frucht schwellend im Herbste gedeiht.


102.

Wonniglich ist's, die Geliebte verlangend im Arme zu halten,
Wenn ihr klopfendes Herz Liebe zuerst dir gesteht.
[331] Wonniglicher, das Pochen des Neulebendigen fühlen,
Das in dem lieblichen Schoos immer sich nährend bewegt.
Schon versucht es die Sprünge der raschen Jugend; es klopfet
Ungeduldig schon an, sehnt sich nach himmlischem Licht.
Harre noch wenige Tage! Auf allen Pfaden des Lebens
Führen die Horen dich streng, wie es das Schicksal gebeut.
Widerfahre dir, was dir auch will, du wachsender Liebling –
Liebe bildete dich; werde dir Liebe zu Theil!


103.

Und so tändelt’ ich mir, von allen Freunden geschieden,
In der Neptunischen Stadt Tage wie Stunden hinweg.
Alles, was ich erfuhr, ich würzt’ es mit süßer Erinnrung,
Würzt’ es mit Hoffnung; sie sind lieblichste Würzen der Welt.



Quelle:
Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 1. Band. Weimar 1887.


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