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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Johann Michael Friedrich Rückert

Kurzbiografie

Johann Michael Friedrich Rückert (*16. Mai 1788 in Schweinfurt – †31. Januar 1866 in Neuses bei Schweinfurt), Sohn einer Juristenfamilie, verbrachte im fränkischen Oberlauringen seine Kindheit und Jugend, deren Eindrücke und Erfahrungen er in den „Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannsohns“ (1829) festhielt. Von 1802 an besuchte Rückert in Schweinfurt das Gymnasium und zog 1805 für drei Jahre nach Würzburg und Heidelberg, um erst Jura und dann Philologie zu studieren. Im Anschluss an das Studium misslang dem politisch sehr interessierten Rückert der Versuch in das österreichische Heer aufgenommen zu werden. Nach zwei Jahren bei den Eltern in Ebern folgten 1810 die Promotion und schließlich die Habilitation. Er wurde in Jena zwei Semester als Privatdozent für Altphilologie eingestellt. 1812 arbeitete er für zwei Jahre als Gymnasiallehrer und Privatgelehrter in Hanau, Würzburg und auf der Bettenburg. Nachdem es ihm 1814 erneut versagt wurde, sich am Krieg gegen Napoleon zu beteiligen, widmete er dem flüchtenden französischen Kaiser „74 Geharnischte Sonette“ (in „Deutsche Glimpf- und Schimpflieder“) und machte sich somit als politischer Lyriker bekannt. 1815 wurde er leitender Redakteur bei Johann Friedrich Cottas (1764-1832) „Morgenblatt für gebildete Stände“, wo er viele seiner Gedichte publizieren konnte. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Rom 1817/18 machte er auf der Heimfahrt in Wien Bekanntschaft mit dem berühmten Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856). Dieses Treffen hatte immensen Einfluss auf Rückerts weiteren Werdegang: von nun an vernachlässigte er die politische Lyrik und widmete sich der Auseinandersetzung mit arabischer, türkischer und persischer Sprache und Literatur. 1821 vermählte er sich in Coburg mit Luise Wiethaus-Fischer (1797-1857). Bis zu seiner Berufung als außerordentlicher Professur für orientalische Sprachen an der Universität Erlangen im Jahre 1826 übernahm er die redaktionelle Leitung des „Frauentaschenbuchs“. Der Tod zweier seiner Kinder im Winter 1833/34 überschattete die Ehe und löste bei Rückert zunehmende Verdüsterung und Verbitterung aus. Es entstanden unter dem Eindruck dieser Ereignisse die später zum Teil von Gustav Mahler (1860-1911) vertonten über 400 „Kindertodtenlieder“. Dieser Schaffensphase entstammten außerdem u.a. die Werke „Die Weisheit des Brahmanen“ (1836-1839), „Rostem und Suhrab“ (1838) sowie „Brahmanische Erzählungen“ (1839). Als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) Rückert 1841 nach Berlin zu einer „Winterprofessur“ für Orientalistik berief, folgte er nur unwillig. Die meiste Zeit des Jahres verbrachte der Schriftsteller auf dem Familiengut in Neuses, wohin er 1848 endgültig übersiedelte. Als 1857 seine Frau verstarb, vereinsamte er vollends. Von dem Stellenwert eines geeinten Deutschland überzeugt, veröffentlichte er 1863 „Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein“. Rückert verstarb 1866 an Darmkrebs.
Mehr als 10.000 Gedichte umfasst Rückerts Gesamtwerk. Der einjährige Aufenthalt in Italien war für ihn kein Ur-Erlebnis wie bei vielen zeitgenössischen Dichterkollegen, deren Reise einer geistigen Erneuerung entsprach. Im Herbst 1817 reiste der knapp 30jährige Dichter über Mailand, Bologna, Florenz und Avena nach Rom, das er im Oktober erreichte. Er fand alsbald Anschluss an die dort residierenden deutschen Künstler und Gelehrten. Der Dichter schilderte in seinen Tagebucheinträgen fast in ethnologischer Manier die täglichen Lebensgewohnheiten der Römer. Im Frühjahr 1818 reiste er nach Neapel und Capri und verbrachte den Sommer in den Albaner Bergen. Zusammen mit dem schwedischen Dichter und Literaturhistoriker Per Daniel Amadeus Atterbom (1790-1855) trat er im Oktober über Bologna, Florenz und Venedig die Heimreise an.

Katharina Junk





[119]   

Aus dem römischen Tagebuch,

von Allerheiligen bis Weihnachten 1817.

83. Die Totenkapelle der Kapuziner.

Den Kapuzinern war ich zugesprochen
In diesen Allerseelenfestes-Tagen,
Und sah daselbst tiefsinnige – kann ich sagen –
Verzierungen von Leichnamen und Knochen.

Im Tode nicht der Ordenskutt’ entkrochen,
Die Mumien, sah ich stehn und Kerzen tragen,
Davor die Lebenden auf Knieen lagen,
Um einst auch so zu stehn in Jahr und Wochen.

Die Wände waren rings geschmückt mit Blumen,
Bald einzeln, bald in Sträußen, Kränzen, Schnüren,
Und jede Blume war Zusammensetzung

Von Knochenwerk. In diesen Heiligtumen
Des Todes hat das Schauderhafte rühren
Mich nur gekonnt, ohn’ Ekel noch Verletzung.


84. Ebendazu.

Die nie mit ihren strengen Ordensmienen
Sich auf des Lebens Blumen durften richten;
So haben sie nun ihre Knochenschichten
Gegeben, um zu Blumen selbst zu dienen!

Und denen nie der Freude Sonnen schienen,
Auf deren Licht sie mußten dumpf verzichten;
Geworden sind, die Grabesnacht zu lichten,
Zu Lampen Augenhöhl’ und Schädel ihnen.

Die blassen Blumen reden sanfte Trauer,
Wie Andacht schwärmerisch dem Freudelosen
Trostreichen Schein der Blumen abgewinnet.

Und jene Lampen sprühen ernste Schauer,
Zu solchem Schmuck verblühn die ird’schen Rosen,
Wie an des Lebens Docht das Öl verrinnet.



[120]    

85.

Herr! laß mich nicht im fremden Lande sterben,
Wo keine Hand die Augen zu mir drücket,
Und keine mir den Ort mit Blumen schmücket,
Wo man mich hinwirft bei zerbrochnen Scherben.

Einst wünscht’ ich eine Stätte zu erwerben
An jenem Orte, der seitdem entrücket
Dem Geist ward wie den Augen, wo gepflücket
Vom Tod ich sah die schönste Blum’ entfärben.

Das waren Wünsche, die ich that in Reimen,
Als ich, mit Blumenspielwerk überhäufend
Ein Menschengrab, Abgötterei getrieben.

Jetzt fühl’ ich still den Ernst im Herzen keimen,
In nächt’ger Stund’, und flehe Thränen träufend:
Herr! laß mich sterben heim bei meinen Lieben!



86. Tobias,

eine Handzeichnung von Overbeck, als Denkblatt für einen Heimreisenden.

Der Vater mit gesenktem Angesicht
Sitzt in der Halle; wozu sollt’ er’s heben?
Die Mutter, nicht so blind wie er ergeben,
Blickt in die Fern’, und sieht den Sohn doch nicht.

Der Sohn, der bringt des Vaters Augenlicht
Und seiner Mutter Trost, wo weilt er eben?
Dort aus der Ferne sehn wir her ihn streben,
Wie er, vorangeeilt, zum Engel spricht:

„Gesell, laß uns die Schritte rascher lenken!
Ich weiß, daß jeden Tag und jede Stunde
Die Eltern zählen, bis ich bin bei ihnen. –

Das spricht von dieses Blatts einfachem Grunde;
Was konnte Zarteres die Kunst erdenken,
Zum Denkblatt dir, Heimreisender, zu dienen!



87. In der Farnesina.

Die Geschichte von Amor und Psyche, entworfen von Raphael, ausgemalt von seinen Schülern.

Die zarte Braut, die Seele, die, verlangend
Nach ihrem ihr entrissenen Gemahle,
Dem Himmelsamor, tief im dunklen Thale
Der Erde seufzt, verlassend, zagend, bangend;

Dann, den beseligenden Ruf empfangend,
Geleitet aufwärts zum olympischen Saale,
[121] Froh aufgenommen wird beim Göttermahle,
Den Bräutigam, auf ewig nun, umfangend:

D e n  Todesschmuck hat sich dein Geist ersonnen,
O Raphael, und dann sich heimgewendet,
Eh’ auf der Wand das Bild war ausgeführet.

Doch solche Schüler waren dir gewonnen
Die haben, was du schufest, so vollendet,
Daß man im Werke deinen Geist noch spüret.



88.

Auf Monte Mario bin ich heut gestanden,
Und habe dort, da ich im warmen Glimmen
Der Abendlichter Romas Welt sah schwimmen,
Gedacht, wie’s wintert jetzt in deutschen Landen.

Da pflückt’ ich Eichlaub, das mir kam zu Handen,
Als müßt’ ich es zu Sträußen euch bestimmen;
Und wie für euch las ich beim Niederklimmen
Am Hügel bunte Muscheln, die sich fanden.

Dürr wird das Laub der immergrünen Eichen,
Die Müschelchen zerbröckeln sich zu Spreue,
Eh’ ich sie euch kann senden oder reichen.

Doch was ich oft gefühlt, fühl’ ich aufs neue:
Daß mich nichts Fremdes freuet, wenn ein Zeichen
Ich euch dabei nicht gebe, daß mich’s freue.



89.

Ich weiß nicht, wie es kommt an jedem Abend,
Wenn mit den Blicken Rom ich überfliege,
Wo hinter Hügeln dort in goldner Wiege
Die Sonne sinkt, sich hell im Duft begrabend;

Wie bei dem Anblick zauberisch und labend
Ich stets der süßen Täuschung unterliege,
Als ob im Westen dort die Heimat liege,
Da ich doch herkam sie im Norden habend.

Im Abend enden sich des Tages Kreise,
Gen Abend geht die Sonn’ im aufgethanen
Schoße der Nacht zur Ruh’ von ihrer Reise:

So denkt der Mensch auch seines Lebens Bahnen
In Ruh’ zu schließen; und so muß mich leise
Stets West und Abend an die Heimat mahnen.



90. Die Pifferari.

Madonnenbilder stehn an Straßenecken,
Wo sie die Andacht schmückt mit mancher Schleife,
[122] Mit goldnem Flitter, buntem Pfauenschweife;
Nachts pflegt davor man Lampen anzustecken.

Doch Morgens kommen aus den fernen Flecken
Zur Stadt herein Landleute, weiß vom Reife,
Mit ländlicher Musik, Schalmei und Pfeife,
Das Kindlein auf der Mutter Schoß zu wecken.

Uns städtische Schläfer weckt das frühe Klingen,
Das jeden Morgen nun sich hebt von neuen,
Vier Wochen vom Advente bis Weihnachten.

Daß ihrem Gruß noch jetzt die Hirten bringen,
Es muß gewiß die Mutter so noch freuen,
Wie sie in Bethlehem zuerst ihn brachten.



91. Weihnachten.


Man sagt mir, daß die Nacht wir heute feiern,
In der das Kind uns ist geboren worden;
Ich hört’ auch längst der Pifferari Orden
Frühmorgens mir es in den Ohren leiern.

Weihnachten ist mit stillen weißen Schleiern,
Gewebt aus Schnee, geschmückt bei uns im Norden;
Und hier, so grün ist’s an der Tiber Borden,
Wie dort zum Feste mit den bunten Eiern.

Die Glocken klingen festlich wie zu Hause;
Doch anders als sie dort den Klang empfanden,
Empfinden hier ihn die erstaunten Ohren.

Mir ist, als ob mit hellbewegtem Brause
Sie immer läuteten: Christ ist erstanden!
Statt, wie es sich gebührt: Christ ist geboren!



92. Briefe zum Fest.

Das Fest der lichten Mutter, die zum Preise
Der Demut ward ersehn in Finsternisse
Der Welt den Himmel zu gebären; wisse,
Daß es ein Fest ist für Familienkreise!

Drum machten sich Gesandten auf die Reise,
Von jenen, deren Näh’ ich hier vermisse;
Daß ich mit ihnen ohne Hindernisse
Das Fest begehn kann auf gewohnte Weise.

Die Zettel sind’s, die großen und die kleinen,
Die Stellvertreter der Familienglieder,
Selbst um mich still sich bildend zur Familie.

Mit diesen will ich heut zum Fest mich einen,
Da gestern mich zerstreuten nur die Lieder
Von Sant Maggiores rauschender Vigilie.



[123]

93. In Santa Maria Maggiore.

Es war vor achtzehnhundertachtzehn Jahren
Bei der Geburt des Kindes eine kleine
Versammlung: Vater, Mutter, im Vereine
Mit wen’gen Hirten, die im Felde waren.

Seit dieser Zeit hat’s alle Welt erfahren,
Und weitverbreitet herrscht das Licht, das Eine;
Die Krippe ward zum Tempelbau von Steine,
Wo anzubeten kommen Völkerscharen.

Es ist dadurch entstanden ein Gedränge,
Wo die Versammlung sich muß selber stören,
Die Andacht wird zerstreut vom Festgepränge.

Und wie die Menschen singen laut in Chören,
So können sie die himmlischen Gesänge
Der Engel nicht so hell, wie dort, mehr hören.



94. Ebendaselbst.

Wenn die Versammlung dieses Orts empfände,
Ganz die Bedeutung dieser Schöpfungsnacht,
In der zur Erde wird das Licht gebracht,
Das löschen kann der Sünde Flammenbrände;

Die Priester könnten falten ihre Hände
So ruhig nicht, vor des Entzückens Macht;
Nicht könnten mit der aufgelegten Pracht
Kalt, unerschüttert, stehn des Tempels Wände.

Doch wie die Form auch starr gefroren sei,
Es bleibt ihr Zweck auch so den Geist zu ehren,
Der, zwar von ihr gebunden, doch ist frei.

Das Ganze fordert Schranken; doch es wehren
Die Schranken nicht dem Einzelnen, dabei
Sich selbst dem Schrankenlosen zuzukehren.



95. Abschied des Sonettes.

Sonett, mein Knabe, komm heran! wir wollen
Abrechnen, deine Dienstzeit ist verstrichen;
Treu spieltest du mit unveränderlichen
Bemühungen veränderliche Rollen:

Des Feindes Grollen und der Freundin Schmollen,
Den ritterlichen Kampf, und minniglichen,
Die Liebe die erblüht, und die erblichen,
Und was du sonst noch hast vollführen sollen.

[124] Gern geb’ ich, willst du andern Herrn nun dienen,
Das Zeugnis dir: daß du bist wohl zu brauchen,
Und mit Verstand zu jedem Zweck zu lenken.

Wohl geh’ es dir, als wie bei mir, bei ihnen!
Und daß sie nie dir einen Fuß verstauchen,
Und nie die zarten Glieder dir verrenken!



[148]    

Italienische Gedichte.

Hochzeitgedicht aus Rom.

1817.

Römische Sonnen, italische Lüfte,
Südlicher Himmel, hesperisches Licht!
Bringet mir Strahlen und Farben und Düfte,
Helfet mir weben ein Hochzeitgedicht!
Daß es sich Alpen-hinüber entschwinge,
Draußen auf deutschen Gefilden erklinge,
Wo sich ein Kranz nun, ein bräutlicher, flicht.

Flechtet ihr draußen zum Feste der Freude,
Flechtet, was irgend von Blumen mag blühn!
Frühling! dein Alles du hier nicht vergeude,
Daß sie nicht draußen umsonst sich bemühn!
[149]     [149] Ich in die Kränze, die deutschen, will flechten
Hier von italischen Blumengeschlechten
Brennendste Farben und dunkelstes Grün.

Zweie, von denen viel singen und sagen
Manche, die nie euch in euerem Glanz
Sahen, ich seh’ euch, ich brech’ euch, und tragen
Müsset den Glanz ihr hinaus mir so ganz!
Lorbeer und Myrte! ihr zwei unzertrennlich,
Myrte so weiblich, und Lorbeer so männlich,
Seid ungetrennt mir den beiden im Kranz!

Kann ich gleich hier von den Zäunen euch brechen,
Wahrlich doch brech’ ich euch nicht so vom Zaun!
Lorbeer, der darf wohl zum Bräutigam sprechen,
Der sich in Waffen ließ ritterlich schaun.
Und, will Erinnerung mich nicht betrügen,
Was sie mir vorhält von Zeichen und Zügen,
Darf sich die Myrte zur Braut auch getraun.

Aus sorrentinischem Wald der Citronen,
Der in der Milde des Winters gereift
Goldene Früchte in laubigen Kronen,
Und zur Verändrung das Blühn nun ergreift,
Hol’ ich die schönsten der Früchte, der Blüten;
Mögen den Glanz und die Düfte sie hüten
Draußen, wo rauherer Wind sie bestreift!

Schön ist’s, ein Baum der Citronen zu prangen;
Immer nur thut er, was wohl ihm beliebt,
Bringet die Frucht, eh’ die Blüte vergangen,
Die aus der Frucht sich von neuem ergiebt.
Diesen gedoppelten südlichen Segen
Kann auch im Norden die Liebe wohl hegen,
Wenn sie je wieder von neuem sich liebt.

Heiße Granaten, ihr feurigen Herzen,
Die sich erschließen, wann Sommer erglüht!
Jetzt da die Lüfte des Lenzes noch scherzen,
Hab’ ich nach euch nur umsonst mich bemüht.
Dennoch so brech’ ich zwei Knospen, verschlossen,
Mystische Bilder von zweien Genossen,
Denen ihr Sommer noch schläft im Gemüt.

Lieblich errötende Blüte der Mandeln,
Ach wie so schnell ist um dich es gethan.
Lüfte des Lenzes, die über dich wandeln,
Nehmen dich hin, eh’ die Augen dich sahn.
[150] Flocken, die hier von den Bäumen ihr wallet,
Streuet euch, daß ihr vergebens nicht fallet,
Streut euch zwei Liebenden dort auf die Bahn!

An die Gezweige des Baumes der Feigen
Hab’ ich mit forschendem Auge geblickt,
Ob er nicht wolle die Blüten auch zeigen,
Er, der mit Früchten uns dreimal erquickt.
Aber da ward mir von Blüten nichts ruchtbar;
Ist er auch blütenlos, ist er doch fruchtbar;
Ob nicht sein Blatt auch zum Kranze sich schickt?

Aber sich drängen so still und bescheiden
Her die Oliven; ihr Grün ist ein Grau;
Dennoch vom Kranze nicht soll man sie scheiden;
Klebet an ihnen nicht köstlicher Tau?
Ihre Gezweige sind häuslicher Frieden,
Und in dem Saft ist die Fülle beschieden,
Wie einst der alttestamentlichen Frau.

Unter der Pinie schwebendem Schatten
Breiten sich Teppiche blumengestickt,
Wo die so farbigen Farben sich gatten,
Wie sie kein Maler in Träumen erblickt.
Das sind die freudigen bunten Ranunkeln;
Alle der Schar, die am herrlichsten funkeln,
Sind euch im Geiste zur Hochzeit geschickt.

Alles, was dort euch die Gärten nur hüten,
Wächst hier behaglich im Freien so hin.
Also auch brech’ ich mit blaulichen Blüten
Hier vom gewaltigen Waldrosmarin.
Nordwind, die Zweige der Kraft nicht beraube,
Daß sie ersprossen und werden zur Laube,
Wo ihr zu dreien könnt sitzen darin!

Leider verblüht sind die blauen Violen,
Aber die blühn euch nun selber wohl ja;
Dafür so will ich die gelben euch holen,
Wo ich sie neulich hoch über mir sah:
Des Kolisees kolossalischen Trümmern,
Ohne sich um die Verwüstung zu kümmern,
Sind sie entsprossen, euch pflückt’ ich sie da.

Eitles Geschäfte, vergebliche Sorgen,
Nichtiges Streben, verlorene Mühn!
Meinst du, sie brauchen von Trümmern zu borgen
Blumen, die ihnen im Leben nun blühn?
[151] Sie nicht bedürfen der Blumen der Tiber,
Ihnen genüget Jelänger Jelieber,
Ihnen der Liebe wohl immerndes Grün.

Durch paradiesische Blumengestade
Führt hier ein Weg mich, der wohl mir gefällt;
Doch es sind irrende wandernde Pfade,
Es ist das Glück nicht, das dauert und hält.
Ob ich nach des Paradieses Durchwandern
Komme zu dem euch gefundenen andern,
Bleibet dem Himmel anheim noch gestellt.

Die ihr gefunden, ihr glücklichen beiden,
Habet den Weg in das selige Land!
Ohne zu irren und ohne zu scheiden,
Führe die Lieb’ euch hindurch an der Hand,
Lehre sie Blumen so schöne euch finden,
Daß wie ein Nichts die dagegen verschwinden,
Die euch mein Wunsch aus der Ferne gesandt.



Unter deutschen Künstlern in Rom,

bei der Feier des 18. Oktobers 1817.

Seit in den Oktobertagen
Ist auf Leipzigs Flammenherd
Jenes Feuer ausgeschlagen,
Das der Knechtschaft Schmach verzehrt;
Hat man Feuer angeschüret
Jedes Jahr in einer Nacht,
Dreimal hab’ ich neugerühret
Diese Feier mitgemacht.

Und nun hat von Deutschland heuer
Mich getrennt freiwill’ger Bann,
Daß ich keine Freudenfeuer
Auf den Höh’n nicht sehen kann.
Deutscher Kaiser hat vordessen
wohl gewaltet auch in Rom;
Jetzt ist diese Macht vergessen
Längst am gelben Tiberstrom.

Aber wie ist mir geschehen?
Bin ich noch im Vaterland?
Oder will hier neu erstehen
Deutsches Reich am Tiberstrand?
[152] Solch ein Deutschland vorgefunden
Hab’ ich hier zu dieser Frist,
Daß mir jenes nicht entschwunden,
Sondern recht gewonnen ist.

Dieses Blut aus deutschen Landen,
Das den weiten Weg gereist,
Die sich hier zusammen fanden
All’ beseelt von Einem Geist;
Diese strebenden Gemüter,
In der Heimat ließen sie
Ihre Lieben, ihre Güter;
Was zu suchen, sind sie hie?

Auf Erobrung ird’scher Schätze
Ist ihr Trachten nicht gestellt;
Aufgethan sind andre Plätze
Dazu in der neuen Welt.
Wir wallfahren zu der alten,
Zur Entsagung gern bereit,
Uns hier ernst an das zu halten,
Was not thut der neusten Zeit.

Angezündet sind die Flammen
Tief in jeder einzlen Brust;
Schlagend hier in Eins zusammen,
Werden sie sich’s erst bewußt:
Das ist ein Oktoberfeuer
Auch für’s große Vaterland;
Nicht in Deutschland kann man treuer
Schüren den Oktoberbrand.

Wie sich diese Flamme nennet?
Diese Flamme nennt sich Kunst;
Unter allem, was da brennet,
Kenn’ ich keine höh’re Brunst:
Denn es ist, wo aufgegangen
Rechter Art ist dieser Brand,
Alles drin mit inbefangen,
Tugend, Gott und Vaterland.

Stoßt die Becher heiß zusammen,
Daß es bis nach Deutschland klingt,
Und ein Zuck von unsern Flammen
Übern Schnee der Alpen springt!
Ist nicht deutscher Wein beim Mahle?
Welschen mag ich heute nicht;
[153] Reicht mir eine röm’sche Schale
Voll des Rheins trinkbarem Licht!

Habt ihr nicht aus einem Römer
Rheinwein schon am Rhein gezecht?
Jedes Glas ist hier ein Römer,
Und zum Rheinwein drum gerecht;
Aber auf den großen alten,
Wo man Kaiser sonst gekrönt,
Wie man’s künftig auch mag halten,
Sei indes hier angetönt!

Alle Deutschen sollen leben,
Die zu Deutschen dies gemacht,
Daß dem Vaterland ihr Leben
Sie zum Opfer dargebracht.
Die das konnten nicht erwerben,
Sollen leben doch zur Zeit,
Wenn fürs Vaterland zu sterben
Sie in Zukunft sind bereit.

Jeder ist auf seine Weise
Mit zum großen Kampf vereint;
Aber hier in unserm Kreise
Ist die Kunst zuerst gemeint,
Die gekämpft hat allerwegen,
Und noch kämpft zu dieser Frist,
Und nur drum nicht ist erlegen,
Weil sie selbst unsterblich ist.

Engel, der mit ird’schen Stoffen,
Himmlisch sie zu läutern, kämpft,
Siehe, hier dein Feld ist offen,
Und der Mut ist ungedämpft
Deiner Jünger, die dir schwören,
Ungeteilt mit Herz und Hand
Ganz nur dir anzugehören,
Und durch dich dem Vaterland.

Wessen Hand ein Werkzeug rühret,
Das du ihm zum Eigentum
Gabest, wie er’s treulich führet,
Führ’ er’s fort mit Glück und Ruhm!
Heut als Deutsche laßt uns zechen,
Morgen malen, dichten, baun,
Daß einmal die Welt soll sprechen,
Echt deutsch sei es anzuschaun.



[154]    

Lied.

Die Erde war ein bunter
Blumengeschmückter Dom,
Vom Bergaltar herunter
Ergoß sich Duftarom.
Die Nachtigallen sangen,
Und Maienglocken klangen,
Ich ging im Frührot munter
An Romas heil’gem Strom.

Ich dachte, wie die Zeiten
Sich wechselnd umgetauscht,
Seit an der Weltstadt Seiten
Der Strom hinunter rauscht;
Wie nichts der Welt geblieben,
Als daß noch Herzen lieben,
Und Phantasie dem Gleiten
Der Lebenswogen lauscht.

O Frühling, ewig neuer,
Der eh’r als Rom gelebt,
Und um dies alt Gemäuer
Mit Jugendglanz noch webt!
Wie sollt’ ich denn mich kümmern,
O Welt, um deine Trümmern?
Ich fühle nur das Feuer,
Das mir den Busen hebt.

Du ziehst, o gelbe Tiber,
Hinaus nach Ostia:
Mir aber wär’ es lieber,
Wär’ hier mein Liebchen nah;
Sie weilt in ihrem Ache
An einem deutschen Bache,
Und fragt, warum ihr Lieber
Zog nach Italia?

Warum ich fortgezogen
Von dir und deinem Bach?
Um hier der Lüfte Wogen
Zu schwellen durch mein Ach,
Um in der Tiber Wellen
Zu weinen meine Quellen,
Und unter Tempelbogen
Zu denken an dein Dach.

[155] Wohl alle Bäche fließen,
Und alle Ström’ ins Meer,
Und Liebesaugen gießen
Sich niemals thränenleer.
O weine du dort eine,
Wie ich hier eine weine,
Und eine Muschel schließen
Soll sich um beide her.

Meerfrauen, die ihr gerne
Mit Perlen schmückt das Haar,
Nehmt aus dem Muschel-Kerne
Das stille Liebespaar,
Sprecht: Dieser milden Lichter
Stammt eins von einem Dichter.
Und eins von einem Sterne,
Der fern dem Dichter war.



An Blandusias Quelle.

(Rückert schrieb Blandusia für Blandusia.)

An Blandusias dürft’ger Quelle
Hinten im Sabinerland,
Saß ich und im Sonnenbrand
Dacht’ ich kühler Heimat Schwelle.
Im Horatius eine Stelle
Las ich, wo viel schöner stand
Alles, als ich hier es fand,
Und im Geiste ward mir’s helle:
Welches hohe Götterpfand
Sei gelegt in Dichterhand,
Das mein Herz mit Stolz empfand.

Kunstgenosse, hochbeglücket!
Hier der schweigenden Natur
Hast du überall die Spur
Deines Daseins aufgedrücket.
Herrlich hat dein Lied geschmücket
Nicht die hohe Roma nur,
Sondern auch die öde Flur,
Die durch anders nichts entzücket. –
Heimat, höre meinen Schwur!
Kehr’ ich heim, mit Schnur um Schnur
Schmück’ ich dich aus Golde pur.
[156] Süße meiner Kindheit Auen,
Die ich lange nicht gesehn;
Wenn von euch die Lüfte wehn,
Fühl’ ich meine Augen tauen.
Städt’ und Länder mocht’ ich schauen
Blaß an mir vorüber gehn,
Aber eure Hügel stehn
Im Gedächtnis ohn’ Ergrauen,
Könnt’ ich es vom Glück erflehn,
Nach der Jahre zweimal zehn
Noch einmal euch blühn zu sehn!

Wo die Leinach und die Lauer
Suchen sich im Wiesengras,
Deren Bett mein Sprung ermaß
Unterm dunkeln Erlenschauer;
Brüderbäche kurzer Dauer,
Zwischen denen ich besaß
Doch des Glückes Eiland, das
Faßt kein Ozean, kein blauer!
Was ich Großes sonst vergaß,
Nie vergess’ ich eines: was
Ich an euch für Veilchen las.

Seht mich euer hier gedenken,
Wo durch dürrer Schluchten Riß
Vom Gebirg Lucretilis
Sich Blandusias Fluten senken.
Mit Begeistrung soll mich tränken
Ihr horazisch Wasser, bis
Über Alpen-Hindernis
Sich zu euch mein Schritt darf lenken;
Dann besing’ ich euch gewiß,
Wann ich allem mich entriß,
Wes mein Lied sich sonst befliß.



Aus der Jugendzeit

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!

Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Das jetzt noch klingt?

[157] „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.“

O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund
Wie Salomo!

O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil’gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!

Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.

Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt,
Und der leere Kasten schwoll,
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird’s nie mehr voll.

Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
Dir zurück, wonach du weinst;
Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:

„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.“



Die Kirche zu Puteoli.

Von Neapel ging ich nach Puteoli.
Mich schleppen ließ ich hergebrachtermaßen
Durch alle Steine, die einst Römer hie
Der Pracht gehäuft, und nun dem Schutt gelassen.

Die Tempeltrümmer ließ ich hinter mir:
Ich stütz’ euch nicht, ihr mögt nur ferner sinken!
Da sah ich rechts am Weg in stiller Zier
Mir eine kleine Gotteskirche winken.

Und eine Inschrift, die daran sich fand,
Hielt meinen Blick, es ging mein Fuß nicht weiter;
Hier als der Kirche Schutzherr war genannt
Sankt Raphael, der Reisenden Geleiter.

[158] O wie du einstmal des Tobiä Sohn
Hast heimgeleitet zu der Eltern Hause,
So wirst du mich auch heimgeleiten schon,
Den müden Wandrer, aus der Fremde Brause.

Ich trat hinein. Ein heil’ges Dunkel barg
Den innern Raum. Und als mein Blick nun forschte,
Da sah ich ausgestellet einen Sarg,
Drin eines Pilgers müder Leib vermorschte.

Sankt Raphael! dies ist der Reise Ziel;
Und diesen hast du heim in Gott geleitet.
Nun führe den auch, der durchs bunte Spiel
Des Lebens noch und seine Trümmer schreitet.



Die Fahrt um den Posilip.

1.

Ich fuhr von Neapel am frühen Morgen,
Und warf ins glänzende Meer die Sorgen.
Ich ließ mich wiegen im schwanken Kahn,
Und schaute links zum Vesuv hinan,
Der seinen Dampf zu einem holden
Duft von der Sonne ließ vergolden.
Den Riesen ließ ich hinterm Rücken,
Und sah vor mir die Stadt sich schmücken,
Ihre Scheitel gekrönt von Kastellen,
Und ihren Fuß bespült von Wellen,
Weit sah ich lagern die Königin,
Und fuhr am Saume des Kleids ihr hin.
Das Brausen des Toledo verklang,
Ich hörte nur meines Ruders Gang.
Mein kleines Segel schwellte der Wind;
Ich fuhr, wo die letzten Häuser sind,
Die von den Straßen hinaus sich dehnen,
Und still an den Posilip sich lehnen.
Vorüberfahrend, einen Gruß
Gab ich dem Grab des Virgilius:

O der du sangest laut genug
Die Waffen und den Mann, der sie trug,
Der du sangest den Pflug und die Felder,
Die Gärten, Wiesen und die Wälder,
Den Gott der Hirten und die Herde,
Das Meer, den Himmel und die Erde!
Mit Recht, o Sänger, hat man diesen
Platz zum Grabe dir angewiesen,
[159] Der hoch vom luftigen Gebiet
Meer, Erd’ und Himmel übersieht.
O stehest du jetzt im Morgenglanz
Auf deiner Gruft, mit dem Lorbeerkranz,
Und siehest heller, als ich es kann,
Die Welt mit Dichteraugen an?
Hier liegt, hier um den Golf herum,
Das du besangst, Elysium;
Und hinterm Posilipo fern,
Dem Blick verdeckt, liegt der Avern.
O Posilipo, du Sorgen-Ende,
Ja Pausilipos, du Kummer-Wende!
Des Dichters Kummer ist gewendet,
Dem du das schöne Grab gespendet.
Ich aber fahre sorgenfrei,
Als ob ich auf dir begraben sei,
Mit morgenhellem Jugendsinn
An deinen blühenden Rändern hin.

2.

Ich fuhr dahin am blühenden Rand,
Den Posilipo zur rechten Hand;
Zur Linken fernhin schloß den Golf
Die Insel Capri, wo der Wolf
Tiberius, versteckt im schroffen
Geklipp, in scheußlichen Lüsten ersoffen.
Ich aber wandte rechts den Blick,
Wo um ein liebliches Verstrick
Von Blüten, das den Strand berankte,
Mein Kahn auf glatten Wogen schwankte.
Vorsprünge von Felsen vielgestaltig,
Abhänge von Hügeln mannigfaltig,
Mit Reben hier und dort mit Halmen,
Mit Pinien hier und dort mit Palmen,
Die Häuser zwischendurch gestreut,
Neu-altertümlich und alt-erneut.
Dann Trümmer aus dem Meere ragend,
Von untergegangener Prunkwelt sagend,
Als hier der Römer gebaut am Strand,
Dem zu eng war das feste Land,
Und der zu belasten das Meer gewußt
Mit den Gebäuden seiner Lust.
Ich fragte jetzt nicht viel nach denen,
Mich zogen an die stillern Scenen,
[160] Die Gärten, die ins Meer her hingen,
Wo oben die Gärtner, die Winzer, gingen;
Die Treppensteige, die schmal sich wanden
Herab, wo die Kähne, die Fischer standen.
Ein Fischer atmend stieg hinauf,
Er trug die Fische zum Verkauf,
Oder er tauschte vom Gärtner wohl
Um den Fisch die Frucht und den Kohl.
Zwei Alte saßen im Geschwätze,
Und besserten zerrißne Netze.
Seitab am Strand das Fischermädchen
Spann an der Spindel ein feineres Fädchen;
Ihr dürfte, wenn sie wollte angeln,
Gewiß der beste Fang nicht mangeln.
Doch Knaben wateten im Wasser,
Sie suchten Austern für städtische Prasser,
Oder Muscheln für sich zum Spiel;
Bis ihnen mein Kahn ins Auge fiel.
Den Fremdling mit den langen Haaren
Sahen sie stumm vorüber fahren,
Anstaunend mit Augen starr und fix,
Als sei es ein meerentstiegner Nix.
Und als ich bog um die Felsenwand,
Glaubten sie, daß ich ins Meer verschwand.
Vom Land her wehte Sommerluft
Mit lauem Hauch und Blütenduft,
Dazwischen gastliche Gerüche
Von einer nah versteckten Küche.
Die Augen waren nun zu Gaste,
Nicht gut ist, daß auch der Magen faste;
Ich legte meinen Nachen bei,
Und ging zu sehn, wo die Küche sei.

3.

Ich stieg auf Spuren der Gerüche
Hinauf zur wunderbarsten Küche.
Dünn überschattet’ einen Raum
Ein weitgeasteter Feigenbaum;
Da war der Eingang mäßig groß
Zu einem gehöhlten Felsenschoß,
Der, vorn vom Tageslicht dämmernd, tief
Hinten sich in die Nacht verlief.
Das sollte nicht die Küch’ allein,
Sondern alles in allem sein.
[161] Vorn, wo gedämpftes Sonnenlicht
Matt mit den inneren Schatten ficht,
War der gastliche Herd bereit,
Bratspieß und Pfann’ in Thätigkeit;
Und bei des Feuers Flackerhelle
Floß aus der Felswand eine Quelle.
Das Klima war hier sommerlich,
Dann kam ein andrer Himmelsstrich,
Zehn Schritte tiefer in die Gruft
Wehte des Herbstes lieblicher Duft.
Da lagen die Früchte kühl verwahrt,
Die Hausvorräte jeder Art;
Es hingen in der köstlichen Frische
Die Schinken vom Gewölb’ und die Fische.
Eine goldgefleckte Muräne
Wies mir Staunendem ihre Zähne.
Ich schritt ins Dunkel weiter hinter,
Da war nun ein vollkommener Winter,
Wie nur am heißen italischen Tag
Man sich im Sommer ihn wünschen mag.
An Flaschen und Tonnen ward mir klar,
Daß ich im Reiche des Kellers war.
Mir ward hier gleich ein Trunk gebracht,
Dann vorne die Anstalt zum Mahl gemacht.
Dem mußte die Muräne dienen,
Der Fisch, dem kostbare Piscinen
Einst hier herum Lucull gebaut,
Wovon ich im Meer die Trümmer geschaut.
Er galt für den edelsten Leckerbissen;
Und wenn die Gelehrten recht es wissen,
So hat man dem goldgefleckten Drachen
Einst, um ihn schmackhafter zu machen,
Gegeben Menschenfleisch zum Fraß.
Der aber, von welchem ich jetzt aß,
Hatte meines Wissens keins gefressen,
Ich konnt’ ihn mit gutem Gewissen essen.
Der Wirt versorgte mit Wein den Tisch,
Damit fein schwimmen möchte der Fisch.
Und als der Hunger war gedämpft,
Und nur der Durst noch nicht bekämpft,
Die Sonn’ am Himmel höher rückte,
Und schwüler herein der Mittag drückte,
Verfügt’ ich, um zu löschen schneller,
[162] Mich selber statt des Wirts in den Keller,
Setzte zurecht mich am besten Faß,
Und goß mir zu ohn’ Unterlaß.
Drauf hab’ ich, an mein Faß gelehnt,
Zu der Siesta mich ausgedehnt.
Und als sich draußen gekühlt die Luft,
Trat ich wie neubelebt aus der Gruft,
Ließ meinen kleinen Kahn vom Stapel,
Und war am Abend in Neapel.



Neapolitanische Lieder.

1.

Auf der Magdalenenbrücke,
Wo Neapels kleiner Fluß
Sich zum großen Golfo windet,
Steht Sankt Januarius.

Und die schöne Stadt im Rücken
Die zu schirmen sein Beruf,
Wendet er den steingehaunen
Finger auf nach dem Vesuv,

Ihn bedräuend, daß er schone
Mit dem Aschenregenguß
Diese Stadt, die schutzbefohlne
Des Sankt Januarius.

2.

Groß ist das Königreich und hehr
Beider Sicilien,
Ein Volk, getrennt von einem Meer,
In zwei Familien.

Du Land, du bist mein Vaterland,
Napoletanisches!
O Eiland, du bist mir verwandt,
Sicilianisches!

Du stehst vor Napel, o Vesuv,
Du flammenhauchender!
Und das ist drüben dein Beruf,
Ätna, du rauchender!

Laßt ungestört an eurem Fuß
Wohnen die Eurigen,
Und unsern Feinden einen Gruß
Gebet, ihr Feurigen!

Wer löschen den Vesuvius,
Den Ätna dämpfen wird,
Der ist’s, der nach des Himmels Schluß
Dies Reich erkämpfen wird.



[164]    

Lied am Vesuv.

Der Vesuv, an dem wir hausen,
Der mit einem Ausbruch droht;
Bis die Lavaströme brausen,
Schreckt uns weiter keine Not.

Wer in hohen Häusern wohnet,
Hat vom Einsturz mehr Gefahr;
Meines bleibt vielleicht verschonet,
Weil es immer niedrig war.

Räumen sollten wir die Hütten,
Wo die Väter wohnten? Nein!
Bis der Sturm sie wird zerrütten,
Reißen wir nicht selbst sie ein.

Süße Vaterlandes-Erde,
Zwar von Lava schwarz gestreift,
Wo noch weidet meine Herde,
Wo noch meine Traube reift.

[165] Meine Herde will ich weiden,
Meinen Most in Scherben thun;
Was da kommt, ich will es leiden,
Und solang’ in Frieden ruhn.

Als die Asche kam zu regnen,
Wurden Städte dort bedeckt;
Dieses kann uns auch begegnen,
Doch es hat uns nicht geschreckt.

Fruchtbar wird der Boden werden,
Wann der Sturm vorbeigeflohn;
Enkel weiden meine Herden,
Trauben keltern wird mein Sohn.

Knabe sieh, die Nacht will dunkeln,
Treib die Herde langsam ein!
Nächtlich soll im Becher funkeln
Unser Christithränenwein.



Venetianisches Lied.

(Übersetzung.)

In der Gondel gestern abend
Ich mein schönes Blondchen führte;
Vom Vergnügen, das sie spürte,
Sank in Schlaf das arme Kind;
Schlief, an diesem Arme liegend,
Und ich weckt’ es immer wieder,
Doch der Nachen, leise wiegend,
Wiegt’ es wieder ein gelind.

Von dem Himmel, halb enthüllet
Aus Gewölkchen schaute Luna
In die spiegelnde Laguna,
Und zur Ruhe war der Wind.
Nur ein einzig Lüftchen säuselnd
Trieb mit ihren Löckchen Spiele,
Hob den zarten Schleier kräuselnd,
O wie reizend war das Kind!

Leise, leise schaut’ ich nieder
Auf das Antlitz meiner Holden,
Auf die Locken golden, golden,
Auf den Busen atmend lind.
Und ich fühlte süße Gluten
In der Brust, wie soll ich sagen?
Stille ringsum auf den Fluten!
O wie rann die Nacht geschwind.



[166]

Nach einem altitalienischen Sonett.

Mir im Herzen vorgenommen,
Gott zu dienen, hab’ ich nun,
Um dereinst zum Ort zu kommen,
Wo man soll in Freuden ruhn.

In den Schoß des Paradieses
Möcht’ ich doch allein nicht gehn.
Könnt’ ich freun mich, ohne dieses
Blonde Haupt bei mir zu sehn?

Nicht als ob ich Erdenlüste
Suchen wollt’ in Himmelsaun,
Sondern weil mich’s freuen müßte
In der Glorie sie zu schaun.



[167]

Reisegruß.

Die Deutschen ziehn auf allen Wegen
Aus ihrem schönen Vaterland
Dem Schönen in der Fremd’ entgegen,
Wo blühn es mag am fernen Strand.
Der offne Sinn ist ihnen eigen,
Es zu erfassen treu und schlicht,
Mit Liebe sich ihm zuzuneigen,
Doch dran sich zu verlieren nicht;
Es führt die mitgeborne Liebe
Zum angestammten Vaterland,
[168] Beschwichtend alle Reisetriebe,
Sie endlich heim mit starker Hand.
Zwei Sänger wir aus nord’schen Nestern,
Jetzt heimwärts lenkend unsern Zug,
Begrüßen euch zwei deutsche Schwestern
Hier eilig im Vorüberflug.
Uns führt der Weg zum alten Norden
Von Rom durchs blühende Florenz;
Euch führen wird von Arnos Borden
Zum Tiberstrand der nächste Lenz.
Wie wir uns so geschickt begegnen,
So tauschen wir die Grüße aus;
Ich geb’ euch einen angelegnen
Nach Rom, gebt einen mir nach Haus!
Grüßt mir die Stadt der sieben Hügel
Und alles was auf ihnen lebt,
Und was mein Geist auf leisem Flügel
Der Sehnsucht oft hinfort noch schwebt!
Grüßt mir die Berge der Lateiner,
Wo einen Sommer ich versaß,
Und gern gebannt im Kreise kleiner
Beschränkung, meinen Zweck vergaß.
Sagt mir, was ich von euch soll grüßen,
Wann Alpen mir im Rücken stehn,
Und sagt, an welchen deutschen Flüssen
Wir selbst uns werden wiedersehn?



Auf ein Blatt des Maler-Denkbuches einer Kunstfreundin.

Leid’ger Zwang, der knappe Schneider,
Schnitt die Zeit zu kurz mir leider,
Die ich auf Florenz darf wenden,
Und es fehlt an allen Enden.
Wie ich es auch an mag fangen,
Vorn und hinten will’s nicht langen.
Von dem Morgen bis zum Abend,
Laufend, rennend, schnaufend, trabend,
Hab’ ich doch in manchen Straßen
Manches unbesehn gelassen;
Und auch was ich angeschauet,
Ist deshalb noch nicht verdauet.
Der Paläst’ und Kirchen Menge,
Und der Galerien Gedränge,
Und die alten Malernamen,
[169] Die mir nie zu Ohren kamen;
Altertum auf allen Schritten,
In der Stadt des Volkes Sitten,
Draußen vor dem Thor die Landschaft,
Und dazu noch die Bekanntschaft.
Kostet’s Zeit erst sie zu schließen,
Fehlt dann Zeit sie zu genießen;
Eh’ man lernt einander kennen,
Muß man wieder weiter rennen.
Selbst zu langen Abschiedszeichen
Will die kurze Zeit nicht reichen.
Enger Raum ist uns gegeben;
Füllen wir das Blättchen eben! –
Die ihr, euch in Düfte tauchend,
Wenig ird’sche Stoffe brauchend,
Ohne Pinsel und Palette
Malt mit Malern um die Wette,
Aus gespaltnen Federspitzen
Laßt des Lichtes Funken blitzen,
Lockt aus einfach schwarzen Säften
Farbenglanz mit Wunderkräften;
Die ihr könnt nach Wohlgefallen
Bald als Laut vorm Ohre wallen,
Bald mit bildenden Gewalten
Vor den Augen euch gestalten;
Die ihr könnt nach eignen Wahlen
Musizieren oder malen,
Bildhaun, zeichnen, kupferstechen,
Die ihr alles könnet – sprechen;
Musen, auf! mit eurem Tande
Füllt das Blättchen bis zum Rande!
Daß dies Blatt mit seinem Spruche
Sich vor keinem Blatt im Buche
Schämen müsse, wo die Prahler
Zeigten ihre Kunst, die Maler,
Die mit ihren hellsten Farben
Um des Platzes Ehre warben.
Auch mit Schreib- statt Zeichenstiften
Läßt sich ein Gedächtnis stiften.
Laßt die dunklen Hieroglyphen
Von geheimem Zauber triefen,
Und ein magisch Wirken keime
In dem zarten Trieb der Reime
[170] Laßt die leichten Füße hüpfen,
Die Bewegung sich verknüpfen,
Und die Glieder sich verschlingen,
Und ein Netz zuwege bringen!
Will von den geschriebnen Zeilen
Der Besitz’rin Blick enteilen,
Müsse schnell das Netz ihn fangen,
Und gebannet müss’ er hangen,
Und nicht eh’r sich weiter lenken,
Bis uns wird ein Angedenken!
Wollt ihr euch so viel getrauen?
Darf ich so weit auf euch bauen?
Soll ich neue Formeln häufen,
Und Beschwörungszauber träufen?
Sei es wie das Glück es wende,
Denn das Blättchen ist zu Ende.



Nachklang.

Hier an deutscher Zitterpappel,
Die im leisen Westhauch schwankt,
Denk’ ich, wie mich einst, o Napel,
Dort dein Zauber hielt umrankt.

Wo die Strahlen mich umflirrten,
Die dein Tag zur Erd’ ergießt,
Wo die Blumen mich umwirrten,
Die dein Lenz zum Himmel sprießt.

Dort, wo schreiend Farben tosen,
Die hier schweigend lächeln mir,
Mit Geruch betäuben Rosen,
Die bescheiden duften hier.

Napolis! von zweien Meeren
Stets betäubt dich Wogenbrand,
Eins in dir von Menschenheeren,
Draußen eins an deinem Strand.

Und die Wog’ an deinem Strande
Brandet so gewaltsam nicht,
Wie die Menschenflut am Lande,
Die sich im Toledo bricht.

Aber hier in diese Stille
Tönst du sanft gedämpft mir nach
Wo beim Sommerlied der Grille
Murmelnd träumt der Wiesenbach.

[171] Wo die Sonne mit Gelindheit
Ihren Glanz durch Zweige taut,
Die dort Augen schlägt mit Blindheit,
Wann sie aus dem Löwen schaut.

Und wie die gedämpfte Sonne
Ohne Blendung mich erquickt,
Also hat mit leiser Wonne
Mich die Lieb’ hier angeblickt.

Nicht an Mittelmeeres Borden
Hat der Lenz allein sein Fest;
Nachtigall im stillen Norden
Baut sich gern ihr Frühlingsnest.

Und die Strahlen all, die lauen,
Eingesogen am Vesuv,
Im Gesang hier auszutauen,
Nachtigall! ist dein Beruf.

Kommet, ohn’ euch zu ermüden,
Höret alle, was sie singt!
Wandern braucht ihr nicht zum Süden,
Weil ihn ihr Gesang euch bringt.

Unter Pinien, unter Palmen,
Unter Myrten wohnt die Lust;
Aber unterm Dach von Halmen
Wohnt die Lieb’ in treuer Brust.

Nicht der Frühling kann dir’s geben,
Geben musst dem Frühling du
Seinen Glanz, sein Blütenleben,
Seinen Frieden, seine Ruh’.



Erinnerung.

Als ich einst das Heimweh hatte
In dem Land Italia,
Wissen mochte gar das matte
Herz nicht, was das Auge sah;

Nicht der hohen Roma Zinnen
In der Abendlichter Glut,
Nicht den Glanz der Römerinnen,
In des Korsos Maskenflut.

Was von andern Gegenständen
Soll ich sagen? Liebchen, schau:
An den Raphaelschen Wänden
Waren mir die Farben grau.

[172] Da – ich weiß noch wohl die Stelle,
Und das Thor, durch das ich ging,
Wo mit einmal Frühlingshelle
Wie ein Zauber mich umfing.

Rechts am Wege war ein Garten,
Hinter ihm die Felsenwand,
Wo mir unbekannter Arten
Buschwerk durcheinander stand.

Und hier hatte so sein Feuer
Lenz entzündet neuerdings,
Daß vom Abglanz das Gemäuer
Sich veredelsteinte rings.

Pfirsichfarb’ und Purpurröten,
Goldnes Gelb und lichtes Grün,
Schienen kämpfend sich zu töten,
Ringend wieder aufzusprühn.

Meine Augen wollt’ ich schließen,
Wie’s das dumpfe Herz gebot,
Daß darein nicht möchte fließen
Lebensgrün und Freudenrot.

Doch schon war ein Strahl geschossen,
Der das Aug’ im Fluge traf,
Und, ins Herz hinab geflossen,
Rüttelte den Todesschlaf.

Und es half kein Widerstreben,
Und der eigensücht’ge Gram
Mußte sich dem Licht ergeben,
Das in seine Nächte kam.

Lust mich fühlt’ ich übermannen,
Sieger ward der Lenz an mir,
Und so hell ging ich von dannen,
Liebliche! wie heut von dir.



Aufgegebene Reisen.

Wenn ich wär’ eine Nachtigall,
So ging’ ich vielleicht auf Reisen,
Und hörte draußen meinen Schall
Von fremden Zungen preisen.

Die Nachtigall, der Musikus,
Hat eine Sprach’ erkoren,
Die jedes Herz empfinden muß,
Wo auch das Ohr sie geboren.

[173] Und wenn ich eines Malers Hand
Und Farbenherrschaft hätte,
So zög’ ich auch von Land zu Land
All mit dem Lenz um die Wette.

Der Frühling und ein Maler kann
Sein Farbenfeuer schüren,
Wo’s ihm beliebt, und jedermann
Mit Augen wird es spüren.

Aber da ich ein Dichter bin,
Will ich zu Hause bleiben,
Wo sie allein verstehn den Sinn
Von dem, was ich kann schreiben.

Ich kann nicht malen fremde Fraun,
Und mit nach Haus sie bringen;
Und würde dort sie schlecht erbaun,
Wollt’ ich sie deutsch besingen.

Wie also bleiben sollt’ ich nicht,
Wo meine Sprache tönet,
Die, weil sie meine Liebste spricht,
Sich mir im Ohr verschönet.

O Nachtigall, an deutschen Grund
Gebannte, laß das Reisen,
Und lern, o  F r e i m u n d , aus dem Mund
Der Liebe solche Weisen,

Daß gern der deutsche Wiederhall
Sie singe nach, und gerne
Hafis, die Persernachtigall,
Geb’ Antwort aus der Ferne.





Quelle:
Friedrich Rückerts Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Professor Dr. Conrad Beyer. Dritter Band. Erste Abteilung: Lyrik. Leipzig: Max Hesses Verlag o. J.


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