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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Johann Ludwig Willhelm Müller

Kurzbiografie

Johann Ludwig Willhelm Müller (*7. Oktober 1794 in Dessau − †1. Oktober 1827 ebd.) stammte aus einer ärmlichen, jedoch geachteten Bürgerfamilie. Er studierte ab 1812 klassische Philologie und Geschichte an der Universität Berlin. 1813/1814 beteiligte er sich als Freiwilliger des preußischen Heeres an den Befreiungskriegen. Nach zweijähriger Unterbrechung nahm er sein Studium in Berlin wieder auf, er war u.a. mit Achim von Arnim (1781-1831), Clemens Brentano (1778-1842) und Ludwig Tiek (1773-1853) bekannt und widmete sich dem Studium der althochdeutschen Sprache. Mit den „Bundesblüthen“ erschienen 1815 seine ersten dichterischen Versuche. Müller begann 1817 mit dem Baron – später Graf – Sack eine wissenschaftliche Reise: Zunächst gingen beide für zwei Monate nach Wien, dann nach Italien, wo ihr Weg sie über Venedig und Florenz nach Rom führte. In Florenz genoss Müller die toskanische Kunst, Rom erreichte er am 4. Januar 1818. Ostern 1818 reiste Graf Sack mit dem Architekten Franz Christian Gau (1790-1853) nach Ägypten, Müller blieb in Italien, begab sich nach Neapel und kehrte wieder zurück nach Rom. Juli und August verbrachte er in Albano, wo er die meisten seiner Briefe aus „Rom, Römer und Römerinnen“ verfasste. Am 30. August begann er seine Rückreise über Orvieto, Perugia, Florenz, Verona und Tirol, in Deutschland dann über München bis nach Dessau, wo er Anfang 1819 eintraf. Dort arbeitete er als Gymnasiallehrer für Latein und Griechisch und wurde 1820 mit der Verwaltung der Bibliothek des Herzogs beauftragt. Müller widmete sich vermehrt der Lyrik und wurde 1824 zum Hofrat ernannt. Bekannt wurde er durch seine Gedichte zum griechischen Freiheitskampf, wozu u.a. die in zwei Bänden erschienenen „Lieder der Griechen“ (1821/1822) gehören. Die im ersten Band der „Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines Waldhornisten“ (1821) enthaltene Gedichtsammlung „Die schöne Müllerin“ wurde 1823 von Franz Schubert vertont. In der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1827 verstarb Müller in Dessau im Kreise seiner Familie.
Müllers Lyrik wäre heute vergessen, hätte nicht Franz Schubert einige seiner Zyklen vertont („Die schöne Müllerin“, „Die Winterreise“). Seine Gedichte zeichnen sich durch leichte Sangbarkeit und flüssige Melodik aus und stellen sie in die Nähe Eichendorffs, ohne freilich dessen Eigenart zu erreichen. Auch in seinen Italiengedichten herrscht kein eigener Ton: Eklektisch vermengt Müller anakreontische und romantische Topoi und Klischees, die er in einem liedhaft-flüssigen Parlandostil präsentiert.

Gerd Gruitrooy



[155]

Zu der Musterkarte.

Die Blutorange.

Epistel aus Sorrent.

In Sorrento’s Felsengärten
Hört’ ich heut’ ein Mährchen sagen
Von der blutigen Orange
Und der Blüthe der Granate.
Also sprach der kluge Gärtner:
Golden, wie noch heut’ die Schale,
Glühten einst die innern Säfte
Dieser würzigen Orangen
Von dem Baume hier am Ufer.
Und ein Sprößling der Granate,
Jung und schlank, wuchs auf daneben.
Als der Winter zog von dannen,
Trieb das Bäumchen erste Knospen,
Und gleich heißen Blutes Flammen
Brachen Blüthen aus den Keimen.
Und die Nachbarin Orange,
Staunend, wie in Liebesandacht,
Bog die hohen Zweige schmachtend
Nach der fremden Gluth hinüber,
Daß die Silberblüthen alle
Offnen Auges landwärts schauten,
Und das Meer nur Grünes sahe.
Und als nun der Herbst gekommen,
Und den ersten goldnen Apfel
Prüfend ich vom Baume pflückte,
Ward mir klar der Zweige Schwanken
[156] Und der Blüthen seltsam Drängen:
Denn gleich heißen Blutes Flammen,
Voll, wie langverhaltnes Sehnen,
Floß der Saft aus goldner Schale.

Also sprach der kluge Gärtner,
Und ich pflückte mir Orangen
Von dem seltnen Uferbaume.

Ist zu Ende nun die Sage,
Schweig’ auch ich, und was im Herzen
Mir sich regt mit jedem Schlage,
Hat sich heute stillgetrunken
In dem kühlen Wundersafte,
Und so send’ ich ohne Deutung,
Freundin, dir die Gärtnersage.



[238]

Lieder aus dem Meerbusen von Salerno.

Meeresstille.

Wirf Rosenblätter in die Fluth:
Sie ist so spiegelglatt.
Ich fische sie mit meinem Hut
Und küsse jedes Blatt.

Und streust du Blätter auf das Meer,
So schaust du selbst hinein –
Dann schwimmen zwischen ihnen her
Vier volle Röselein.

Die Wangen und die Lippen dein,
Sie mein’ ich alle vier.
Ach, schwämmen diese Röselein
Doch auch heran zu mir!



Die Meere.

Alle Winde schlafen
Auf dem Spiegel der Fluth;
Kühle Schatten des Abends
Decken die müden zu.

Luna hängt sich Schleier
Über ihr Gesicht,
Schwebt in dämmernden Träumen
Über die Wasser hin.

[239] Alles, Alles stille
Auf dem weiten Meer!
Nur mein Herz will nimmer
Mit zur Ruhe gehn.

In der Liebe Fluthen
Treibt es her und hin,
Wo die Stürme nicht ruhen,
Bis der Nachen sinkt.



Das flotte Herz.

Wann’s im Schilfe säuselt,
Wann die Fluth sich kräuselt,
Wird mir flott das Herz,
Möcht’ aus der Brust mir fliegen,
Möcht’ auf den Wogen sich wiegen,
Unter sich tauchen in Luft und in Schmerz.

Fischerin, du kleine,
Schiffe nicht alleine
In das große Meer!
Hinter dir hergezogen
Kommt schon mein Herz durch die Wogen –
Fischerin, sind deine Netze noch leer?

Nimm’s in deinen Nachen,
’S wird nicht schwer ihn machen,
’S ist ja nichts darin,
Als nur du selber alleine,
Leichte, lustige Kleine,
Du mit dem windigen, flatternden Sinn!



Das Bad.

Sie ist in’s Meer gegangen –
Wie wird so roth das Meer!
Wird’s roth von ihren Wangen?
Wird’s roth vom Himmel her?

[240] Wie glühen meine Wangen!
Ist’s Gluth vom Himmel her?
Ist’s Gluth, die mein Verlangen
Entsog dem tiefen Meer?

Im Schilfe hör’ ich’s rauschen.
Ist es der Abendwind?
Ich möchte gehn und lauschen,
Und bebe wie ein Kind.

Ich möcht’ vom höchsten Baume
Mich stürzen in die Fluth!
Ich möchte zu weichem Schaume
Verspülen meine Gluth!

Und du, o Meer, kannst liegen
So ruhig und so kalt,
Und darfst dich schlingen und schmiegen
Um sie mit Allgewalt!



Die Schiffer.

Von allen stolzen Flaggen,
Die auf dem Meere wehn,
Will ich nicht mehr als eine,
Die kleine weiße sehn.

Die Flagge sei der Schleier
Von meiner Liebsten Haupt,
Den schlingt sie um das Steuer,
Wann sie mich nahe glaubt.

Dann stech’ ich durch die Wogen
Dem kleinen Boote nach;
Die Fluthen spritzen und schäumen
Von meinem Ruderschlag.

Und sieh, es flieht der Nachen
Vor dem Korsaren nicht:
Sie rudert ihm entgegen
Mit lachendem Gesicht.

[241] Ich hebe meine Beute
In meinen Kahn geschwind:
Nun schaukl’ uns fort die Woge,
Nun wieg’ uns ein der Wind!

An meinen Kahn gebunden
Zieht ihrer hinterdrein;
Und finden wir noch zwei Lieben,
Die nehmen wir hinein;

Und schiffen nach der Insel –
Sie ist der Reise werth –
Wo man von Luft und Liebe
Sein Lebenlang sich nährt.



Schifferreigen.

Erster Schiffer.

Es kömmt ein Fink geflogen
Des Morgens über Meer,
Der bringt mir Grüß’ und Lieder
Von meinem Liebchen her.

Wenn ich ein Vogel wäre,
Stellt’ ich das Schiffen ein,
Und wenn ich wär’ kein Schiffer,
Ein Schwimmer müßt’ ich sein.

Zweiter Schiffer.

Ich lass’ mein Schifflein treiben
Hinauf, hinab die Fluth;
Ob Wind und Woge schlafen,
Das Schiff sich nimmer ruht.

Gieb mir mein Ruder wieder,
Und laß das Spielen sein,
O Diebin, oder nimm mich
In deinen Nachen ein!

[242]

Dritter Schiffer.

Es kömmt ein Schwan gezogen
Des Abends auf der Fluth;
Ich will am Strande liegen,
Es träumt sich da so gut.

Es schwimmen auf den Wogen
Viel Schiffe groß und klein:
Ich kann nicht mit euch fahren,
Mein Nachen sank mir ein.

Schifferin.

Ich bin zur Welt gekommen
In Wogen und in Wind,
Und Wind und Wogen wiegten
Mich als ein kleines Kind.

Dann bin ich Jungfrau worden,
Bekam ein Herz geschwind,
Und Herz und Jungfrau waren
Wie lauter Wog’ und Wind.

Bald klar und still zu schauen,
Bald wieder wild und kraus;
So lock’ ich manchen Nachen
Auf Klipp’ und Sand hinaus.

Ihr Schiffer, laßt das Singen!
Es geht in Wog’ und Wind.
Ihr solltet doch wohl wissen,
Was das für Dinge sind.



Doppelte Gefahr.

Ich armer Fischerbube,
Wo soll ich schiffen hin?
Es ist so klein mein Nachen,
So schüchtern auch mein Sinn.

[243] Im hohen Meere draußen
Da sind die Wogen groß,
Da läßt aus Ost und Westen
Der Himmel die Stürme los.

Da jagen die Korsaren
Nach jungem Christenblut,
Da singen die Sirenen
Und locken hinab in die Fluth.

Am Ufer sitzt ein Mädchen,
Die hat ein Augenpaar,
Das droht mit Feuerflammen
Mir tödtliche Gefahr.

Sie strickt an einem Netze,
Da springt der Fisch hinein:
In ihres Haares Flechten
Soll ich gefangen sein.

Du liebliche Sirene,
Sirene von dem Strand,
Laß deine Stimme tönen
Hell über Meer und Land!

Tief unten in den Fluthen
Da ist ein goldnes Haus,
Da ruhn versunkene Schiffer
In weichen Armen aus.

Auf diesem Liebesmeere
Wo wird die Ruhstatt sein?
Entweder an deinem Herzen,
Ach, oder im Grabe mein?



Die glückliche Fischerin.

Sie stand im Boot und fischte,
Ich sah’s vom Ufer her:
In’s Netz die Fischlein sprangen,
Als ob’s zum Tanze wär’;

[244] Wollt’ keins im Meere bleiben,
Das Netz war viel zu klein,
Sie ließ es sich gefallen,
Und dacht’, es muß so sein.

Sie stieg aus ihrem Boote,
Am Strande blieb sie stehn.
Da schwoll das Meer und wogte,
Als möcht’ es mit ihr gehn;
Und Muscheln und Korallen
Trieb es ihr hinterdrein:
Sie hob sie auf vom Boden,
Und dacht’, es muß so sein.

Ich armer Hirtenbube,
Was frommt mein Werben mir
Mit Blumen und mit Bändern?
Die Welt gehöret ihr.
Ihr schlagen alle Herzen,
Und wären sie von Stein.
Sie nimmt’s, wie Wogenrauschen,
Und denkt, es muß so sein.

Könnt’ ich ihr selber bringen
Der Sterne Silberlicht,
Des Himmels Abendbläue,
Was Neues wär’ es nicht.
Sie hielt’ es vor die Augen,
Und spräch’: es ist ja mein!
Vergäße mir zu danken
Und dächt’, es muß so sein.

Was frommt dein blödes Klingen,
Mein kleines Saitenspiel?
Ist auch ihr Fenster offen,
Sie hört dich doch nicht viel,
Vor Hörnern oder Pfeifen,
Vor Flöten und Schalmein;
Sie tanzt dazu den Reigen,
Und denkt, es muß so sein.



[245]

Die Muscheln.

Die letzten Meereswellen
Verschäumen um den Strand,
Und bunte Muscheln streuen
Sie auf den bleichen Sand.

Ein kleines Fischermädchen,
Zum Küssen groß genug,
Kam flink daher gegangen,
Ein Netz am Arm sie trug.

Und von den weißen Füßen
Band ihre Sohlen sie,
Und gürtete das Röckchen
Sich auf bis an das Knie.

So fing sie an, zu waten
Hinein in Schaum und Sand
Und suchte bunte Muscheln
Sich auf dem nassen Strand.

Sie warf sie in ihr Netzchen,
Bis daß es überquoll,
Dann nahm sie auf ihr Röckchen
Und las den Schooß sich voll.

Gleich ward das Meer lebendig.
Als hätt’ es Fleisch und Blut:
Je mehr sie hub das Röckchen,
Je höher stieg die Fluth.

Da fing sie an zu schreien
Und ließ die Zipfel los,
Und alle Muscheln fielen
Aus ihrem vollen Schooß.

Ich trug sie aus den Wellen
Heraus in flinkem Lauf,
Ich fischt’ ihr aus dem Wasser
Die Muscheln wieder auf;

[246] Und wollte dann sie werfen
In ihres Röckchens Schooß,
Sie aber hielt das Netzchen
Mir hin, und thät sich groß.

Was soll ich mit dem Netze?
‚S geht keine mehr hinein.
Ich bin ja keine Welle –
Du sollst nicht wieder schrein.



Sonnenschein.

Wenn auf der spiegelklaren Fluth
Der goldne Strahl der Sonne ruht,
Springt ’s Fischlein selig in die Luft
Und schnappt nach rothem Abendduft,
Und es kräuseln sich plätschernd die Wogen.

Wenn ich dein helles Auge seh’,
Wird ’s Herz mir in der Brust so weh,
Und möcht’ mit  e i n e m  Sprung heraus
Aus seinem stillen, dunkeln Haus,
Sich zu sonnen in deinen Strahlen.

Dein liebes Antlitz merkt es nicht,
Es scheint, so wie der Sonne Licht,
Ob es auf Wogenspiegeln ruht,
Ob unter ihm sich hebt die Fluth,
Ob Herzen und Fischlein springen.



Nachtstück.

Es fällt ein Stern vom Himmel,
Ich fing’ ihn auf so gern!
Wohin bist du gefallen,
Du wunderschöner Stern?

„In’s Meer bin ich gefallen,
Tief in die schwarze Fluth;
Das Leuchten muß ich lassen,
Und in mir brennt die Gluth.“

[247] Dianen seh’ ich wandeln
Wohl über das tiefe Meer.
Was schleichst du, keusche Göttin,
So traurig hin und her?

„Mein Stern ist mir gefallen
Tief in die schwarze Fluth;
Heraus möcht’ ich ihn ziehen:
Wer sagt mir, wo er ruht?

Ihr Sternlein, helft mir suchen,
Steigt nieder auf das Meer,
Mit euren Silberlampen
Schwebt leuchtend um mich her!

Hör’ ich die Wogen rauschen,
Mir ist’s, als ob es ruft –
Will es empor zum Himmel?
Soll ich hinab zur Gruft?“

So trieben’s Mond und Sterne
Die liebe, lange Nacht,
Und weil ich nicht kann tauchen,
Hab’ ich ein Lied gemacht.



[381]

1818.

Goethe’s Osterie in Rom.

Rom, den 5. Juni 1818.

Freunde, wohin steht der Sinn?
Nach dem Neuen, nach dem Alten?
Gönnt mir heut’ ’mal freies Schalten,
Weil ich just bei Laune bin.

Steckt nur keinen  V a s i  ein,
Keine Pläne laßt mich wittern,
Wollt ihr mich nicht recht erbittern:
I c h  will euer Führer sein.

An dem Kapitol vorbei –
Soll es nach dem Forum gehen? –
Fort und fort, nicht umgesehen
Nach dem Kaiserkonterfei! –

Zum Theater des Marzell
Mit dem schwarzen Adlerschilde?
Führst du uns zur Judengilde? –
Aufgeschaut, wir sind zur Stell’!

[382] Seht die grünen Reiser hie
Und das Bild der goldnen Glocke!
Sagt nicht, daß ich euch verlocke,
Klassisch ist die Osterie.

Klassisch jedes Bechers Rand,
Klassisch Boden, Tisch und Bänke:
Wißt, es wird die Glockenschenke
Goethe’s Schenke zugenannt!

Zecher, schließt das heil’ge Rund!
Wein, Herr Wirth, vom allerbesten,
Gläser von den allergrößten,
Flaschen mit weitoffnem Mund!

Solches heischt des Festes Lust,
Das wir heute hier begehen:
Soll’s nicht im Kalender stehen,
Steht es doch in unsrer Brust.

Stoßt die ersten Becher an!
Hei, wie innig sie erklingen!
Noch ein Stoß! dem wir sie bringen,
Hat’s nicht sanfter hier gethan.

War ja stets dem Halben gram,
Und somit auch halben Flaschen,
Allem Liebeln, Skribeln, Naschen
Und dem Anthologenkram.

Aus des Lebens vollem Flor,
Aus der Erde tiefem Herzen
Sog er  a l l e  Lust und Schmerzen,
keinen Tropfen er verlor.

Hier im Haus ist er Patron,
Paul und Peter wird’s nicht wehren,
Und nach unsres Heil’gen Lehren
Müßt ihr’s treiben heute schon.

[383] Sitzt kein Liebchen mir zur Hand,
Daß wir mit dem Saft der Reben
Auf dem Tisch uns Zeichen geben?
Er macht’ uns die Kunst bekannt.

Elegia horcht am Thor,
Was die deutschen Zecher singen,
Ob sie ihr wohl Kunde bringen
Von dem Gast, den sie verlor.

Oftmals schleicht sie hier umher,
Wo sie ihn so gern gefunden
In den kühlen Abendstunden,
Und ihr Blick ist thränenschwer.

Quod amamus weit und breit!
Ist es nicht am Tiberstrande,
Die ich lieb’ im Vaterlande,
Dieses Glas ist ihr geweiht.

Treuer Sinn giebt hellen Klang!
Wenn wir hoch die Becher schwingen,
Mag’s ihr durch die Seele dringen
Mit Musik und Jubelsang!

Und wer den Pluralis übt,
Leert für Jede einen Becher,
Weil man nur dem weiten Zecher
Auch ein weites Herz vergiebt.

Neue Flaschen auf den Platz!
Sind wir mit dem Vivat fertig,
Seid des Pereats gewärtig,
All’ ihr Brüder Goliaths!

Goethe, großer General,
Laß dich unsern Simson nennen,
Der du ihre Saat verbrennen
Thätst so kecklich allzumal.

[384] Pereat, wen das verdrießt!
Und, soll’s toleranter klingen,
Pereat vor allen Dingen,
Wer statt Kerns die Schale frißt!



Der Einsame.

Durch die dunkelgrünen Zweige,
Durch den düfteschweren Himmel
Silberweißer Blüthensterne
Schaun mit großen Flammenblicken
Die Orangen nach der Sonne,
Die in rosenrothem Lichte
Wiederscheint aus glühen Wogen,
Bange Scheidegrüße winkend.

In den Oleanderlauben,
Um die weißen Marmorbilder
Muntrer Nymphen und Tritonen,
Die aus Hörnern und Syringen
Kühle Silberschäume sprudeln,
Lagern sich zum Abendspiele
Mit der Zither, mit dem Balle,
Mit den ritterlichen Dienern
Zierlich die geschmückten Frauen,
Und die schlanken Pagen fliegen,
Und die Funkenwürmchen flattern
Durch die Reihen, durch die Myrten.

Und der Wandrer geht vorüber
An den Lauben, an den Spielen.
Nach den fernen blauen Höhen
Muß er schauen, muß er ziehen,
Wo aus nächtigen Zypressen
Heimlich ein vertrauter Schimmer
Auf den Fremdling niederstrahlet.
Treue, bleiche Mondensichel,
Suchst du mich, willst du mich rufen? –
Schüchtern, wie die junge Liebe,
Hüllst du dich in rothe Wolken
[385] Vor des Festes heitern Blicken:
Aber Augen, naß und selig,
Starren auf zu deinem Lichte,
Suchend nach zwei andern Augen,
Die, wie sie, sich drinnen spiegeln.

Rom, den 22sten Juni 1818.




Epigramme aus Rom 1818.

1. Früher Lenz in der Campagna di Roma.

Wahrlich, hier muß ich den Lenz als kecken Gesellen begrüßen,
Wie er sein lustiges Zelt in der Campagna bewohnt,
Das er aus Düften sich bauet, das leichte Zephyre bewachen,
Und zu Gaste darin Amor, das zärtliche Kind.
Und auf den Bergen umher da lauert der tückische Winter
Noch in dem Panzer von Eis, jeglichem Kampfe bereit;
Mit ihm die wüthenden Heere der Stürme, die Hagelgeschütze:
Klein ist der Weg nur herab, Boreas Fittig so schnell.
Amor, du liehest gewiß  d e i n  Augenbindchen dem Wirthe,
Daß er die Feinde nicht merkt, bis er am Ohre sie fühlt.



2. Freies Leben.

Rasch aus der Stube die Kleinen! Was sollen sie heut’ in der Wiege?
Dumpfig und finster ist die, draußen ist’s heiter und warm.
Lieget im Rasen, ihr Lieben! Welch schwellendes, duftiges Bette!
Schatten die Fülle für euch bietet das Myrtengebüsch.
Wie ihr die Kinder gewöhnt, so treiben’s die Großen. – Behüte
Mich vor der Stube, o Herr! ist ein romanisch Gebet.



[386]

3. Himmel und Erde.

Sieh, wie der Himmel so nahe mit klarer und wonniger Bläue
Über den Pinien ruht, möchte noch tiefer herab,
Aber die Erde, sie streckt ihm entgegen die Arme voll Sehnsucht,
Und nach dem Himmel mit Lust ringt sich die keimende Welt.
Schmächtige Rebe, wohin? Schon erfaßt sie den Wipfel der Ulme;
Daß sie nicht höher noch kann, senket sie traurig das Haupt.



4. Lebensfülle.

Hinter den hangenden Ranken des Epheus, unter der Grotte
Lauert die Nymphe, sie neckt gerne den Wanderer hier,
Ihn mit der marmornen Schale begrüßend, und lustige Sprudel
Gießt sie ihm über die Stirn, will er sich netzen den Mund.
Also sprudelt das Leben in Rom. Ihr mäßigen Weisen,
Nippet nur immer daran, oder es wäscht euch den Kopf



5. August.

Über die Dächer erhebt sich die Sonne und spiegelt im Fenster
Unserer Nachbarin sich. – Schließe die Laden, mein Kind!
Denn es beherrschet den Himmel der grimmige Löwe, der sendet
Giftige Pfeile herab, zückend durch Fenster und Thor.
Aber bald wachsen die Schatten, umfächelt von kühlenden Lüften,
Sieh, und der stolze Tyrann stürzt in die Fluthen des Meeres.
Rasch nun öffnet die Schöne den Laden, und hell aus dem Vorhang
Schaut sie herüber und nickt: Glücklichen Abend! mir zu.
Glücklichen Morgen! so grüß’ ich zurück.  D e i n  Auge beherrsche,
Tag mir gewährend und Nacht, mild mich im harten August!



[387]

6. Amor, ein Cicerone.

Britten die sah ich in Rom, auch Deutsche, die auf den Ruinen
Taschen und Tücher sich voll steckten mit Ziegeln und Kalk.
Schwerstein nennen sie das, und es dient zur Zierde dem Schreibtisch,
Wenn es geformt und polirt ruht auf dem leichten Papier.
Lasset die Steine den Steinen! Sie werden den classischen Trägern
Herzen und Köpfe daheim drücken so krumm und so dumm.
Athm’ ich nur classisches Leben! So schweb’ ich am Arme Cupido’s
Über die Trümmern, und er ist Cicerone bei mir.



7. Die heilige Stadt.

Kinder bemerkt’ ich in Rom in Petri prächtigem Dome
Hinter den Kerzen sich her schleichen in emsiger Lust,
Und von dem Boden das Wachs, das heruntergetröpfelte, schaben;
Draußen verkauften sie es, nannten es heiliges Wachs.
Kannst du mir deuten dies Bild, dann kennst du die heilige Roma
Innen und außen fürwahr. Reise nach Hause, mein Freund!



8. Der kolossale Tibris.

Eures vergötterten Stromes Koloß, wo ist er geblieben,
Romulus Volk? – In Paris ließ ihn Canova zurück. –
Aber was bracht’ er zum Tausche dafür von dem Strande der Seine? –
Feinen, polirten Geschmack, und Komplimente dazu.



[441]

Sehnsucht nach Italien.

Wenn ich seh’ ein Vöglein fliegen,
Wenn ich seh’ ein Schifflein fahren,
Wird die Brust mir selig weit.
Herz, mein Herz, bleib’ stille liegen,
Wollen unsre Segel sparen
Zu der jungen Maienzeit!

Wenn sie aus der dumpfen Halle
Die Orangenbäume tragen
An das warme Sonnenlicht,
Will mit Duft und Glanz und Schalle
Unsre Lieb’ uns wieder fragen:
Kommt ihr diesen Sommern nicht?

[442] Herrin, die ich sinnig meine,
Sieh, ich führ’ auf meinem Hute
Immergrün Zypressenreis!
Herrin, die ich ferne beweine,
Sieh, ich heg’ in meinem Muthe
Sehnsucht, unerlöschlich heiß!

Wieder Sehen, wieder Meiden –
Heißt das Loos, um das ich weine,
Selige Hesperia;
Und du stehst bei Lust und Leiden
In dem ewig hellen Scheine
Deiner Blüthensterne da!

Als ein Pilger will ich ziehen
Mit der blanken Muschelschale
Durch der Alpen Eis und Schnee,
Will zur Erde niederknieen,
Wo die erste Blum’ im Thale
Fragt nach meinem süßen Weh.

Öffnet mir die Waldkapelle,
Daß ich Stab und Muschel weise
An dem heiligen Altar;
Die Zypresse an der Schwelle
Kennt mich noch an einem Reise,
Das ich trag’ in meinem Haar.



Altitalienisches Volkslied.

O Tod, du mitleidloser,
Was that ich dir zu Leide?
Du raubtest mir mein Mädchen,
Sie, alle meine Freude!
Bei Nacht und auch bei Tage,
Beim rothen Morgenscheine,
Noch nie hab’ ich ein Mädchen
Gesehn von solchem Preise
[443] Wie meine Katharina,
Sie, alle meine Freude!
Sie hielt mir meinen Bügel,
Wollt’ ich zu Rosse steigen,
Sie schnallte mir die Sporen,
Sie that das Schwert mir reichen,
Sie setzte mir den Helm auf.
Ich sprach von Lieb’ und Leiden:
„Leb’ wohl, mein holdes Mädchen!
Nach Avignon ich reite,
Von Avignon nach Franken,
Mir Ehren zu erstreiten;
Und wenn ich Lanzen breche,
Ist’s nur für deine Liebe;
Und wenn ich fall’ im Kampfe,
Fall’ ich zu deinem Preise.
Dann sprechen alle Frauen:
Da liegt er, den wir meinen.
Dann sprechen alle Mädchen:
Für uns fiel er im Streite.
Dann sprechen alle Witwen:
Wie ehren wir die Leiche?
Wo soll’n wir ihn begraben?
Im Dom zu Sankt-Mareien.
Womit soll’n wir ihn decken?
Mit Rosen und mit Veilchen.“



Quelle:
Wilhelm Müller. Gedichte. Vollständige Kritische Ausgabe. Mit Einleitung und Anmerkungen besorgt von James Taft Hatfield. B. Behr’s Verlag. Berlin 1906.

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