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Johann Gottfried Seume

Kurzbiografie

Johann Gottfried Seume (*29. Januar 1763 in Poserna/Kursachsen – †13. Juni 1810 in Teplitz/Böhmen), Sohn eines Landwirts und Böttchers und einer Bauerntochter. Nach abgeschlossener Schulzeit studierte Seume seit 1780 an der Universität Leipzig Theologie, ein Fach, das allerdings nicht seiner freigeistigen Gesinnung entsprach. 1781 wurde er in Vacha/Thüringen von Soldatenwerbern ergriffen und vom berüchtigten Landgrafen von Hessen-Kassel an die englische Armee verkauft. Zwischen September 1782 und August 1783 hielt er sich in Amerika auf, ohne in Kämpfe verwickelt zu werden. Kaum zurückgekehrt, wurde er von Werbern Friedrichs II. gefasst und als Musketier in Emden bis 1787 eingesetzt. Zwei misslungene Fluchtversuche büßte er mit einer Kerkerstrafe, dann kam er gegen eine Kaution frei und konnte Jurisprudenz, Philosophie, Altphilologie und Geschichte in Jena studieren. 1790 arbeitete er als Hofmeister beim livländischen Grafen von Igelström, erwarb den Magistergrad und habilitierte sich 1792. Ein stilles Gelehrtendasein war ihm freilich nicht beschieden. In seine Zeit als Sekretär beim russischen General von Igelström fiel die Niederschlagung des polnischen Aufstandes in Warschau (Januar 1793). Nachdem er aus der russischen Armee ausgeschieden war, wirkte Seume als Hauslehrer in Leipzig, anschließend als Korrektor im Verlag von Georg Joachim Göschen in Grimma. Anfang Dezember 1801 brach er zu seiner legendären, seit 1797 geplanten fast einjährigen Fußwanderung durch Italien auf; er marschierte in nur neun Monaten von Wien über Triest, Venedig, Bologna und Rom bis Neapel, dann fuhr er per Schiff nach Palermo und wanderte um Sizilien herum. Der Rückmarsch führte ihn über Neapel, Rom, Florenz, Mailand nach Zürich und Basel, Paris, Nancy und Straßburg. Im August 1802 kehrte er nach Leipzig zurück. Literarisches Produkt der Reise war sein berühmtestes Werk, die Reisebeschreibung „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ (1803). Darin grenzte er sich von den traditionellen gelehrten und ästhetischen Reise-Motivationen ab. Sein Augenmerk galt denn auch der italienischen Gegenwart mit ihren sozialen Problemen, mit beißender Kritik wandte er sich gegen Feudalismus und Klerus. Eine weitere Reise führte Seume zwischen April und September 1805 nach Polen, Russland, Finnland, Schweden und Dänemark („Mein Sommer 1805“, publ. 1806).
Seume war ein aufrechter, zuweilen knorriger Republikaner, der nicht müde wurde, für die freie bürgerliche Gesellschaft zu kämpfen und gegen die feudale Gesellschaft Front zu machen. Auch in seiner Italienlyrik wird diese republikanische Gesinnung deutlich, ebenso der aufklärerische Auftrag, der für ihn in der politischen Erziehung des unmündigen Menschengeschlechts bestand.

Gunter Grimm




[74]

[Canovas Hebe]

Ich stand von süßem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
Die hold auf mich herunter sah,
Und meine Seele war in Funken:
Hier thronte mehr als Amathusia.
Ich war der Sterblichkeit entflogen,
Und meine Feuerblicke sogen
Aus ihrem Blick Ambrosia
Und Nektar in dem Göttersaale;
Ich wußte nicht, wie mir geschah:
Und stände Zeus mit seinem Blitze nah,
Vermessen griff ich nach der Schaale,
Mit welcher sie die Gottheit reicht,
Und wagte taumelnd jetzt vielleicht
Selbst dem Alciden Hohn zu sagen,
Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen.



[107]

[Am Wasserfall des Velino]

Hier hat vielleicht der große Mann gesessen
Und dem Entwurfe nachgedacht,
Der seinen Namen ewig macht;
Hat hier das Riesenwerk gemessen,
Das größte, welches je des Menschen Geist vollbracht.
Es war ein göttlicher Gedanke,
Und staunend steht die kleine Nachwelt da
An ihres Wirkens enger Schranke,
Und glaubet kaum, daß es geschah.
Wie schwebte mit dem Regenbogen,
Als durch die tiefe Marmorkluft
Hinab die ersten Donnerwogen
Wild schäumend in den Abgrund flogen,
Des Mannes Seele durch die Luft!
So eine selige Minute
Wiegt einen ganzen Lebenslauf
Alltäglichen Genusses auf;
Sie knüpft das Große an das Gute.
Es schlachte nun der zürnende Pelide
Die Opfer um des Freundes Grab;
Es zehre sich der Philippide,
Sein Afterbild, vor Scheelsucht ab;
Es weine Cäsar, stolz und eitel,
Nach einem Lorbeerkranz um seinen kahlen Scheitel;
Es mache sich Octavian,
Das Muster schleichender Tyrannen,
Die je für Sklaverei auf schöne Namen sannen,
Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:
Die Motten zehren an dem Rufe,
Den ihre Ohnmacht sich erwarb,
Und jedes Säkulum verdarb
An ihrem Tempel eine Stufe.
Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,
Und segnend färbt der Sonnenstrahl
Des Mannes Monument im Thal,
Wo sanft der Oelbaum nickt, und hoch am Firmamente.
Das Feuer gluht [!] mir durch das Rückenmark,
Und hoch schlägt’s links mir in der Seite stark;
Wer so ein Schöpfer werden könnte!



Quelle:
Prosaische und poetische Werke von J. G. Seume. Zweiter Theil. Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Erster Theil. Von Leipzig nach Syrakus. Berlin: Gustav Hempel o. J.

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[45]

Trauer der Ceres.

Meine Wiege, wie bist Du verödet, Du liebliches Eiland,
Ach, wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,
Wo die Götter der Sterblichen einst den Olympus vergaßen!
Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,
Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!
Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,
Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Aug’ beim Jammer des Anblicks.
Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen, seligen Kinder
Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,
Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?
Ach, wo find’ ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,
Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter,
Welche die hohe Karthago bedrohten mit Macht und mit Reichthum
Und die höhere Rom? Wo find’ ich die Reihen der Jungfrau’n,
Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,
Daß die Olympier selbst mit Scheelsucht neidisch herabsah’n?
Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren,
[46] Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,
Durch die reichen Gefilde, die ich bedeckte mit Garben.
Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings
Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort,
Für die Sache der Freiheit und für des Vaterlands Sache.
Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,
Vom Symäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.
Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,
War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.
Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen
Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!
Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,
Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,
Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.
Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes
Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas
Mächtig durch die Gebirge, und schufen den Felsen zum Tanzsaal
Gegenüber des Aetna ewigem Feuerhaupte.
Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes.
Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen, gesunkenen Auge,
Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blöße behangen;
Und im Antlitz furcht noch die Wuth des heiligen Unsinns.
Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören
Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,
Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.
Finster lauscht jetzt Mißtrau’n tief in den Furchen der Stirne;
Stumm und einsam schleicht es daher, und tönet die Seele
Unwillkürlich Gesang, so klingt er wie Aengste des Todes.
Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,
Und er wandelte froh wie in den Fluren der Heimath.
Wildniß starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,
Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.
Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen,
Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner;
Als besäß’ es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,
Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube,
Und noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.
Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,
Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!



[64]

[Gauner in Salerno]

Mein Freund, Du suchest in Salerne
Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;
Denn zeigt er sich auch nur von ferne,
So eilen Kutten und Kaputzen,
Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,
Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.
Da löscht man des Verstandes Zunder,
Und mischt mit Pfaffenwitz des Widersinnes Plunder,
Zum Trost der Schurkerei, zum Wunder;
Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,
Und wirklich dumm ist oder Dummheit heuchelt,
Kniet hin und betet, geht und meuchelt,
Gewiß, Vergebung seiner Sünden
Beim nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.



[65]

[Von Salerno nach Pästum]

Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen
Mir links und rechts in einem Zauberchor
Den Vorgeschmack des Himmels vor,
Und laue, leise Weste trugen
Mich im Genuß für Aug’ und Ohr
[66] Durch Gras wie Korn, und Korn wie Rohr.
Balsamisch schickte jede Blume
Mir üppig ihren Wohlgeruch,
Der Göttin um uns her zum Ruhme,
Aus Florens großem Heiligthume;
Und rund umher las ich das schöne Buch
Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.
Die goldnen Hesperiden schwollen
Am Wege hin in freundlicher Magie,
Und Mandeln, Wein und Feigen quollen
Am Lebensstrahl des Segensvollen
In stillversteckter Eurhythmie,
Und Klee wie Wald begrenzte sie.
Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,
Und fühlte schon voraus die Wonne,
Mit Pästum’s Rosen in der Hand,
An eines Tempels hohen Stufen,
Wo Maro einst begeistert stand,
Die Muse Maro’s anzurufen.
Die Tempel stiegen, groß und hehr,
Mir aus der Ferne schon entgegen,
Da ward die Gegend menschenleer
Und öd’ und öder um mich her,
Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.
Da stand ich einsam an dem Thore
Und an dem hohen Säulengang,
Wo eh’mals dem entzückten Ohre
Ein voller Zug im vollen Chore
Das hohe Lob der Gottheit sang.
Verwüstung herrscht jetzt um die Mauer,
Wo einst die Glücklichen gewohnt,
Und mit geheimem tiefem Schauer
Sah ich umher und sahe nichts verschont;
Und meine Freude ward nun Trauer.
Umsonst blickt Titan hier so milde,
Umsonst bekrönet er im Jahr
Zwei Mal mit Ernte die Gefilde;
Du suchst von Allem, was einst war,
Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar
Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,
Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,
[67] Um den verschütteten Altar.
Nur hie und da im hohen Grase wallt,
Den Menschensinn noch greller anzustoßen,
Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.
Freund, denke Dir die Seelenlosen,
In Pästum blühen keine Rosen!



[73]

[Der Vesuv]

Vom Schädel des Verderbers sieht
Mein Auge weit hinab durch Flächen,
Auf welchen er in Feuerbächen
Verwüstend sich durch das Gebiet
Der reich geschmückten Schöpfung zieht.
Wo steht der Nachbar ohne Grausen,
Wenn zur Zerstörung angefacht
Aus seinem Schlund der Mitternacht
Ihm hoch die Eingeweide brausen?
Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,
Und sie im Streit der Elemente,
Als ob des Erdballs Asche brennte,
Hinab in’s Meer hoch über Städte wälzt?
Der Riese macht mit seinem Hauche
Die schönste Hesperidenflur
Zur dürrsten Wüste der Natur,
Wenn er aus seinem Flammenbauche
Mit rother Gluth und schwarzem Rauche
Die Brandung durch die Wolken hebt,
Und meilenweit, was Leben trinket,
Wo die Zerstörung niedersinket,
In eine Lavanacht begräbt.
Parthenope und Pausilippe bebt,
Wenn tief in des Verwüsters Adern
Die Feuerfluthen furchtbar hadern;
Und was im Meer und an der Sonne lebt
[74] Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,
Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken.
Es kocht am Meere links und rechts,
Bis nach Sorrent und bis zu Bajä’s Tannen,
Wo er die Bäder des Tyrannen
Aus der Verwandtschaft des Geschlechts,
Indem er weit umher verheeret,
Mit seinem tiefsten Feuer nähret.
Er macht die Berge schnell zu Seen,
Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,
Und rauschend zeigen seine Bahn,
So weit die schärfsten Augen gehen,
Die Inseln in dem Ocean.
Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet,
Daß er nicht einst in allgemeiner Wuth
Noch fürchterlich mit seiner Fluth
Den ganzen Golf zusammen schüttet?
Nicht Alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,
Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde,
Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde,
Mit seinen Lavaschichten füllt?
Hier brach schon oft aus seinem Heerde
Herauf, hinab des Todes Flammenmeer,
Und machte siedend rund umher
Das Land zum größten Grab der Erde.



[84]

[Rhapsodie über das Kapitol]

Du zürnst, daß dort mit breitem Angesichte
Das Dunstphantom des Aberglaubens glotzt
Und jedem Feuereifer trotzt,
Der aus der Finsterniß zum Lichte
Uns führen will; Du zürnst den Bübereien,
Dem Frevel und dem frechen Spott,
Mit dem der Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott
Zum Unsinn macht; den feilen Schurkereien,
Und der Harpye der Mönchereien,
Dem häßlichsten Gespenst, das aus dem Kokyt entkroch,
Das aus dem Schlamm der Dummheit noch
Am Leitseil der Betrügereien
Zehntausend hier, zehntausend dort in’s Joch,
Dem willig sich die Opferthiere weihen,
Zum Grabe der Vernunft berückt,
Und dann mit Hohn und Litaneien
Aus seiner Mastung niederblickt:
Du zürnst, daß man noch jetzt die Götzen meißelt,
Und mit dem Geist der Mitternacht
Zu ihrem Dienst die Menschheit niedergeißelt,
Und die Moral zur feilen Dirne macht,
Bei der man sich zum Sybariten kräuselt
Und Recht und Menschenwerth verlacht.

Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!
Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung
Und Kraft und Muth zur Besserung;
Indessen lau mit seichtem Hirne
Der Schachmaschinenmensch nach den Figuren schielt,
Und von dem Busen seiner Dirne
Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.

Geh’ hin und lies, fast ist es unsre Schande,
Es scheint, es war das Schicksal Roms,
In Geierflug zu ziehn von Land zu Lande;
Es schlug die Erde rund in Bande
[85] Und wechselt’ nur den Sitz des Doms.
Was einst der Halbbarbar in’s Joch mit Eisen sandte,
Beherrschet nun der Hierophante
Mit dem Betruge des Diploms.
Jetzt thürmet sich am alten Vatikane
Des Aberglaubens Burg empor,
In deren dumpfigem Arkane
Sich längst schon die Vernunft verlor,
Und wo man mit geweihtem Ohr
Und Nebelhirn zur neuen Fahne
Des alten Unsinns gläubig schwor.
Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spottes,
Mit dem er Menschensinn verhöhnt;
Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,
Einst hier die Burg des Donnergottes,
Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:
Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde
Des Wahnsinns stygischer Betrug
Der armen Welt die größte Wunde
Zur ewigen Erinn’rung schlug?

Hier herrschten eisern die Catonen
Mit einem Ungeheu’r von Recht,
Und stempelten das menschliche Geschlecht
Despotisch nur zu ihren Frohnen;
Als wäre von Natur vor ihnen Jeder Knecht,
Den Zeus von seinem Kapitole
Mit dem Gefolge der Idole
Sich nicht zum Lieblingssohn erkor;
Und desto mehr, je mehr er kühn empor
Mit seines Wesens Urkraft strebte
Und sklavisch nicht, wie vor dem Sturm das Rohr,
Beim Zorn der Herr’n der Erde bebte.
Nur wer von einem Räuber stammte,
Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,
Bepanzert mit dem dicksten Erz,
Zum Hohn der Menschheit lodernd flammte,
Wer alle Andern, wie Verdammte,
Zur tiefsten Knechtschaft von sich stieß
Und den Beweis in seinem Schwerte wies; –
Nur der gelangte zu der Ehre,
[86] Ein Mann zu sein im großen Würgerheere.
Oft treibt Verzweiflung zu dem Berge,
Dem Heiligen, dem Retter in der Noth,
Wenn blutig des Bedrückers Scherge
Mit Fesseln, Beil und Ruthen droht:
Und, was erstaunt jetzt kaum die Nachwelt glaubet,
Dem größten Theil der Nation,
Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet
Der Blutgeist selbst die Rechte der Person,
Und setzt ihn mit dem Vieh der Erde
Zum Spott der Macht in eine Heerde.
Der Wüstling warf dann in der Wuth,
Für ein zerbrochnes Glas, mit wahrer Römerseele,
Den Knecht in die Muränenhöhle
Und fütterte mit dessen Blut
Für seine schwelgerischen Tische
Die selt’nen, weitgereisten Fische:
Und für die Kleinigkeit der Sklavenstrafe ließ
Mit Zorn der schlau’ste der Tyrannen,
Den seine Welt Augustus hieß,
Zehn Tage lang den Herrn von sich verbannen.
Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies,
Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;
Was ihre Zehner kühn gewannen,
Durch die man frech die Menschheit von sich stieß.

Wer zählet die Proskriptionen,
Die der Triumvir niederschrieb,
In denen er durch Henker ohne Schonen
Die Bande von einander hieb,
Die, das Palladium der Menschlichkeit zu retten,
Uns brüderlich zusammenketten.
Durch sie ward Latium in allen Hainen roth
Bis in die Grotten der Najaden,
Und mit dem Grimm des Schrecklichen beladen,
Des Fluchs der Erde, gingen in den Tod
An Einem Tage Myriaden:
Und gegen Sulla’s Henkergeist
Ist, zu der neuen Zeiten Ehre,
Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,
Ein Genius, der mild und menschlich heißt.

[87] Man würgte stolz, und hatte man
Mit Spott und Hohn die Unthat frech gethan,
So stieg man hier auf diesen Hügel
Und heiligte den Schreckenstag,
Der unter seiner Schande Siegel
Nun in der Weltgeschichte lag.
Man schickte, ohne zu erröthen,
Den Liktor mit dem Beil und ließ
Im Kerker den Gefangnen tödten,
Der in der Schlacht als Held sich wies,
Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte
Und nicht sie zu bekämpfen wagte.

Dort gegenüber setzten sich
Die Cäsarn auf dem Palatine,
Wo noch die Trümmer fürchterlich
Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene
Auch aus dem Schutte der Ruine,
Wie in der Vorwelt Eisenzeit,
Mit Ohnmacht nur Gehorsam noch gebeut.
Dort herrschten, hebt man kühn den Schleier,
Im Wechsel nur Tyrann und Ungeheuer;
Dort grub der Schmeichler freche Zunft
Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;
Dort starben Recht und Zucht und Ehre,
Dort betete man einst Sejan,
Narciß und sein Gelichter an,
Wenn die Nerone und Tibere
Nur scheel auf ihre Sklaven sahn –
Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,
Die Qual und Tod mit einem Wink geboten!

Dort ragt der Schandfleck hoch empor.
Wo, wenn des Scheusals Wille heischte,
Des Tigers Zahn ein Menschenherz zerfleischte,
Und wo der Sklaven grelles Chor
Dem Blutspektakel Beifall kreischte
Und keinen Zug des Sterbenden verlor;
Wo zu des Römerpöbels Freude
Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,
Der mit dem Dolch im Eingeweide
Und Grimm im Antlitz starb.

[88] Von außen Raub und Sklaverei von innen,
Bei Cato wie bei Seneca,
Stehst Du noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,
Und stellst sie auf des Ruhmes Zinnen?
Vergleiche, was durch sie geschah,
Von dem Sabiner bis zum Gothen;
Die Kapitolier bedrohten
Die Menschheit mehr als Attila,
Trotz allen preisenden Zeloten.
Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh’,
Für einen Titus schreibest Du
Stets zehn Domitiane nieder.
Behüte Gott nur uns und unsre Brüder
Vor diesem blutigen Geschlecht,
Vor Römerfreiheit und vor Römerrecht!
Wenn Peter stirbt, erwache Zeus nicht wieder!



Quelle:
Prosaische und poetische Werke von J. G. Seume. Dritter Theil. Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Zweiter Theil. Von Syrakus nach Leipzig. Berlin: Gustav Hempel o. J.



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