| Johann Gottfried Herder |
Kurzbiografie
Johann Gottfried Herder (*25. August 1744 in Mohrungen – †18. Dezember 1803 in Weimar) wurde als Nachkömmling einer Handwerkerfamilie im ostpreußischen Städtchen Mohrungen geboren, wo er in protestantisch karger Atmosphäre seine Jugend verbrachte. Im Sommer 1762 verließ er seine Heimatstadt für immer und verbrachte zwecks des Studiums der Theologie zwei Jahre in Königsberg, wo er auf Immanuel Kant (1724-1804) traf, dessen Vorlesungen besuchte und dessen Gedanken fortan Herders Schaffen stark beeinflussen sollten. Eine ebenfalls folgenreiche Begegnung war jene mit Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), den er 1770 in Straßburg kennen lernte. Nach einer Zeit in Bückeburg als Hofprediger und Konsistorialrat folgte er schließlich einem Ruf nach Weimar, wo der Theologe 1776 die Stelle des Oberhofpredigers, Generalsuperintendenten und Pastor primarius antrat. Herders Schriften zeichnen das Bild eines Universalgelehrten, der zum einen versuchte das Gesamtwissen seiner Zeit zu sammeln, zum anderen der Kulturphilosophie neue Wege wies. Diese Symbiose zeigt sich besonders in seinem Hauptwerk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ von 1784 und in den „Briefen zu Beförderung der Humanität“ von 1793, welche wohl beide zu den wichtigsten Werken der Weimarer Klassik gezählt werden können. Auch das posthum veröffentlichte „Journal meiner Reise im Jahre 1769“ (1846) bietet mit den Eindrücken Herders von seiner Reise von Riga nach Nantes ein extraordinäres Werk der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Seine Forschungen insgesamt reichen von Ästhetik und literarischer Kritik über Theologie, Philosophie und Psychologie bis hin zu Archäologie und Geschichte. Die letzten Jahre von Herders Leben in Weimar waren von Krankheit und Vereinsamung gezeichnet. Auch die Italienreise von 1788/89 konnte seine Lebensgeister nicht neu entfachen. Von Goethes Italienschwärmerei in seiner Reiseabsicht bestärkt, brach der kränkelnde Theologe am 6. August 1788 in Weimar auf, um im Gefolge des lebenslustigen katholischen Prälaten Hugo von Dalberg (1752-1812) den Weg über die Alpen anzutreten. Herder war finanziell auf die Reisegruppe angewiesen, deren Route seit der Ankunft von Dalbergs Mätresse in Augsburg oftmals deren Gemütsschwankungen unterworfen war. Zudem standen die Tätigkeiten Herders als sozusagen wissenschaftliche Begleitperson nicht im Fokus des Interesses. Erst im November war es ihm möglich sich mit einer Abfindung ausgestattet von der Gruppe zu trennen. In Rom schloss er sich daraufhin der Reisegesellschaft der Weimarer Herzogin Anna Amalia (1739-1807) zur gemeinsamen Weiterreise nach Neapel an. Im Frühjahr 1789 verweilte Herder erneut in Rom, um schließlich über Ferrara, Florenz und Venedig die Heimreise anzutreten. Weitere Aufenthaltsorte waren Padua, Verona, Parma und Mailand. Am 9. Juli kehrte Herder wieder in Weimar ein. Während die Italienreise und vor allem ein Aufenthalt in Rom von Herders zeitgenössischen Dichterkollegen als der Zenit eines Bildungserlebnisses wahrgenommen wurden, wurde der sittenstrenge Geistliche von der ausschweifenden Sinnlichkeit des italienischen Alltags eher abgestoßen. Er ließ sich nicht in den Kreis der deutschen Künstler in Rom aufnehmen, sondern umgab sich vormals mit dem hohen römischen Klerus, von welchem er sich aber auch bald abwenden sollte. Die Hingabe fand Herder lediglich in der Beschäftigung mit der Kunst der Antike, deren Darstellungen der römischen Götter ihm als Materialisation des reinen Menschentums galten. Anstelle einer Liebe zu Italien entwickelte sich bei ihm eher eine Aufwertung und Verstärkung des Gefühls für die eigene Nation, so dass er schließlich von der Reiselust geheilt in deutsche Lande zurückkehrte.
Katharina Junk
[170]
Parthenope.
Ein Seegemählde bei Neapel.
Ermüdet von des Tages schwerem Brande Setzt’ ich danieder mich ans kühle Meer. Die Wellen wallten liebend hin zum Strande Des holden Ufers, das mich rings umher Umfing mit seinem zaubrischen Gewande Mit seiner gaukelnden Sylphiden Heer; Der Liebe luftger Schleier, rings umflogen Von Zephyretten, spielte mit den Wogen.
Und über mir, hoch über mir in Lüften Des blauen Aethers säuselte der Baum, Der reingeläutert von der Erde Düften, Ein himmlisches Gewächs, den runden Saum Umschreibet mit der Sonne goldnen Schriften Und giebt dem Fluge der Begeistrung Raum, Die schlanke, schöne Königinn der Bäume, Die P i n j e rauschte mich in goldne Träume.
Ich hört’! und aus des Meeres leisen Wogen Erhob sich einer Stimme Silberton: „Vernimm mich! Nie hat dich dein Herz betrogen, Du liebest Wahrheit, und verdienst zum Lohn, Daß dir die Hülle werd’ emporgezogen, Die alle Wesen bis zum lichten Thron [171] Der schaffenden Natur in Schatten hüllet; Vernimm mich, und dein Wunsch wird dir gestillet.“
Ich sah; und aus des Meeres zarten Wellen Hob eine Nymphe göttlich sich empor. Ihr Antlitz schien die Dämmrung aufzuhellen, Bis an der Sonne goldnes Abendthor. Die Wogen küßten sie mit sanftem Schwellen; Um ihren Busen wallt’ ein reger Flor; Sie sang; ein Saitenspiel von zarten Saiten War schüchtern, ihre Stimme zu begleiten.
Sie sang: „Was rings dir deine Blicke zeigen, Was alldurchwallend die Natur bewegt, Was droben dort in jenem heilgen Schweigen Des Aethers, drunten sich im Staube regt, Und in der Welle spielt, und in den Zweigen Der Fichte rauscht, und dir im Herzen schlägt, Und dir im Auge, jetzt von Thränen trübe, Jetzt freudentrunken himmlisch glänzt, ist – L i e b e.
Nur L i e b e war die Schöpferinn der Wesen, Und ward der Liebgebohrnen Lehrerinn. Willst du den Sinn des großen Buches lesen, Das vor dir liegt; s i e ist die Seele drinn. Und will dein Geist, und soll dein Herz genesen, So folge treu der hohen Führerinn; Wer außer ihr, der Mutter alles Lebens, N a t u r und W a h r h e i t suchet, sucht vergebens.
[172] Sie ist Natur; sie bildete Gestalten, Naht und verknüpfet und beseligt sie; Sie läßt den Keim zur Blume sich entfalten, Daß in der schönen Blume Liebe blüh’. Die zarten Bande, die das Weltall halten, Die ewigjunge rege Sympathie, Die Himmelsglut, in der die Wesen brennen, Wie willst du anders sie, als L i e b e nennen?
Schau, wie die Welle, nahend dir, am Rande Des Ufers spielet, und es leise grüßt; Sie gleitet weg von dem geliebten Strande, Zerfließend, wie ein süßer Wunsch zerfließt, Und kehrt zurück zu dem geliebten Lande, Wie wiederkehrend sich das Herz ergießt; So drängen sich mit immer neuem Schwellen In aller Schöpfung Meer der Liebe Wellen.
Schau, wie umher der ganze Himmel trunken Sich spiegelt in des Meeres Angesicht! In A m p h i t r i t e n s heilgen Schooß gesunken, Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht! Und droben glühen schon der Liebe Funken, Die Sterne. Sieh, auch Luna säumet nicht; Sie schleicht heran mit zarten Silberfüßen, Um ihren Liebling, ihren Freund zu grüßen.
[173] Dort steht sie; sieht bescheiden sich im Spiegel Der Wellen an, und weilt und schämet sich, Und blickt hinan zu jenem Schlummerhügel: „ E n d y m i o n , ich lieb’, ich liebe dich!“ Und drückt auf ihn der Sehnsucht zartes Siegel: „ E n d y m i o n, auch du, du liebest mich!“ – – “ So sang Parthenope; mit süßen Schmerzen Fuhr ihrer Stimme Pfeil zu meinem Herzen.
Ich sah, ich sah bei ihren Freudenmahlen Die Götter und der Freuden Ueberfluß; Da labet Z e v s sich in den süßen Stralen Des schönen Jünglings mit dem ewgen Kuß. Sein Auge küßt; es küßt zu tausendmalen Und blickt in alle Himmel Wohlgenuß; Läßt Göttlichkeit in jede Ader fließen Und r e i n e L i e b e sich durchs W e l t a l l gießen.
Ach, sprach ich, und die Menschheit, in der Kette Der Erdewesen sie der erste Ring, O! daß sie noch das Kleinod U n s c h u l d hätte, Das ihr die Mutter an den Busen hing, Als liebend mit den Göttern um die Wette Ihr erster Mutterkuß sie froh umfing; [174] „Geh, sprach sie, zartes Kind. Im Erdgetümmel Wird L i e b’ und U n s c h u l d dir allein zum Himmel.
Versäume nie, zu stolz für diese Freuden Die L i e b’ und U n s c h u l d auf beblümter Flur. Verschmähe nie dein Glück, und suche Leiden Der Unvernunft auf falscher Weisheit Spur!“ Ach, aber ach, getrennt von ihnen beiden, Von L i e b’ und U n s c h u l d, W a h r h e i t und N a t u r, Wie taumelt jetzt der Mensch, und sucht dem Herzen Ein süßes Gift, für L i e b e – Gram und Schmerzen.
So seufzte ich. Die Königinn der Wogen Erhob noch einmal ihren Silberton: „Vernimm Dein Herz. Nie hat es dich betrogen. Du liebest Unschuld, und sie wird dein Lohn. Was unter diesem goldnen Himmelsbogen Von meinem Meere, bis zu J o v i s Thron Erklingt, das klinget dir im Herzen wieder, In d e i n e m Herzen.“ – Und sie schlüpfte nieder.
[568]
Stanzen aus Italien.
1789.
Im ersten Herbst von meinen Lebensjahren, nachdem mich mancher schwüle Tag gedrückt, nachdem ich beiderlei Geschick erfahren, das eigne Schuld und fremdes Glück uns schickt, auch mancherlei Gespenst des Wunderbaren und manche Lieb’- und Huldgestalt erblickt, rief eine Stimme mich, jenseit der Höhen das Land der Abentheur und Kunst zu sehen.
„Lebt,“ sprach ich, „lebet wohl ihr meine Freude mein Trost, und meiner Wünsche kleine Schaar ihr, deren Anblick mir in manchem Leide ein Nektartropfe vom Olympus war [569] und du, an der ich meine Seele weide, die mir mich selbst, die mir mein Glück gebahr lebt alle wohl und laßt mich jetzt verschwinden, Bald neuverjüngt euch freudig wiederfinden!“
„Leb wohl,“ so sprach mit Schluchzen und mit Weinen großmüthig Ariadne, „lebe wohl!“ Und schlang den Arm um mich und unsre Kleinen; noch hör’ ich es, wie ihre Stimme scholl. Noch seh’ ich mir ihr liebes Bild erscheinen, Die Hände ringend, ruffend: „Lebe wohl!“ und bin gewiß, so lang der Ton mich leitet, daß nie mein Schritt, nie meine Hoffnung gleitet.
Ich schied; und über Nebel, Berg’ und Thale zog mich der Weg ins schöne Frankenland, wo ich bei manchem alten Ehrenmale der Deutschen Kunst auch Deutsche Sitten fand und, wie vorübergleitend mit dem Strale der Sonne, manches gute Herz gekannt. So glitt ich sanft hinab, und mit Vergnügen Sah ich im Geist die Alpen vor mir liegen.
Ach! aber da umfing in Augspurgs Mauern mich welch ein böser fürchterlicher Traum! Schreckbilder sah ich vor mir, um mich lauern; ich sah und traute meinen Augen kaum. „Was hilft dir“, sprach ich, „deine Angst, dein Trauern? gib deinem Herzen, deinen Blicken Raum!“ Und sieh, da kam, von Westen hergetragen, Pandora an auf Epimetheus Wagen.
„Ich komme nicht um mich, nur eurethalben; verschönen will ich euer Wandeln euch.“ So sprach sie, duftend ihrer Büchse Salben, als öfnete sie uns Cytherens Reich. „Uns werden Rosen blühn; die welken, falben, verwandeln sich vor uns in Knöspchen gleich.“ So sprach sie; aber ach, ihr guten Stunden, ihr waret mir, mir war mein Glück verschwunden!
Wie zog ich mich auf grauer Alpen Rücken, beschwert im Herzen, mühsam auf und ab! [570] Jedweder Fels schien ächzend mich zu drücken, jedwedes Thal schien meiner Wünsche Grab; und als mit neuem, wonnigem Entzücken Verona seinen Schoos dem Blicke gab, da sprach zu mir, nie werd’ ich es vergessen, ein Geist herab vom Wipfel der Cypressen.
Ich stand, der Abendsonne mich zu freuen, und übersah die weite Lombardei. „Woher“, sprach ich, „o Geist, dies Misgedeihen Schuldloser Wünsche? sprich, woher es sei?“ „Die alte Schuld unwahrer Buhlereien!“ So sprach der Geist und rauschte sanft vorbei. „Statt jetzt dies Land in Friede zu genießen, kamst du hieher, für alte Schuld zu büßen.
„Verwöhnt von deinen nur zu milden Sternen, schien dir zu arm des Lebens reichstes Glück. Was du genossen, sollst du kennen lernen; denn nur im Darben sieht der Thor zurück. Drum hieß von deinen Lieben dich entfernen dein günstiges, dein besserndes Geschick. Du sollt, um deine Weisheit neu zu üben, jetzt B i l d e r sehn und M e n s c h e n lernen lieben.
„Nie hast du im Geräusch der Welt den Frieden des eignen Herzens sittsam dir bewahrt, nie zwischen Mensch und Menschen unterschieden, nie eingesehn, was für ein Glück dir ward, es zu betrüben, nie genug vermieden, es zu genießen, nie genug gespart; dafür, den treusten Herzen jetzt entnommen, bist du hieher ins Land der Künste kommen.“
Er sprachs; und ach, wie wahr hast du gesprochen, Geist der Cypresse, wie so grausam wahr! Ihr guten Herzen seyd genug gerochen, ich sehe mich und euch so hell und klar. Was thätig und unthätig ich verbrochen, macht jeder Schritt mir kund und offenbar. Ich seh’, ich mußte mich von euch entfernen Und durch Verlust, des Lebens Weisheit lernen.
[571] Dank also euch, ihr göttlichen Medusen, die mich gelehrt, daß Ihr Medusen seyd. Dank euch, ihr todten Künste, kalte Musen, zerfallne Mauern, Grab der Eitelkeit. Wenn je dem falschen, je dem Marmorbusen statt wahrer Herzen, Weihrauch ich gestreut, so nehmt von mir den letzten Zoll hienieden, der Reue Zoll, und laßt mich ziehn in Frieden.
Auch Euch, ihr der Natur erhabne Scenen, Gebürge, Felsen, Ebnen, Ufer, Meer, du Meer von Adria und ihr Syrenen Parthenope’s, ihr Inseln um sie her, Dank Euch, daß, mit mir selbst mich zu versöhnen, ihr meine Brust von Seufzern machtet schwer; Mit Unschuldvollem Liebeszarten Sehnen weiht’ ich, der Menschheit froh, euch stille Thränen.
Und ihr erquicktet mich, als in Verona die Sonne nieder, als sie aufwärts stieg in Rimini, und ich dann in Ankona mich mit dem Meer vermählete und schwieg; mit Dir vermählt’ ich mich, o Dea Bona du gute Göttinn mit der Hoffnung Sieg. Und wie die Sonne war ich Liebestrunken aus deinem Arm in deinen Schoos gesunken.
O gute Göttinn, darf ich, darf ich nennen den heilgen Namen? Nenn’ ich Dich Natur? Nenn’ ich Dich Liebe? Ach, nur Dich zu kennen, irr’ ich umher auf alles Wissens Spur, und doch, um reiner Flamm’ in Dir zu brennen, bedarf ich reiner Lieb’ und Weisheit nur. Nicht Kunst, nicht Wissenschaft. Die Kunst des Lebens ist Wissenschaft; sonst ist die Kunst vergebens.
Du Göttinn weißt, daß ich an jedem Bilde des schönsten Marmors Dich, nur Dich gelernt; daß Du, so freundlich und mit Weisheit milde, durchs Schöne mir nur den Betrug entfernt. Dann schlich ich mich in andere Gefilde, als die man mit Palett’ und Meißel lernt [572] ich lernt’ an eurem Knie, an eurem Busen nichts als – Humanität, erhabne Musen.
Und sah sie in den göttlichsten Gestalten, sah Weisheit, Güte, Macht als Menschenbild, sah jeder Knospe Schönheit sich entfalten, sah jede Art in Menschenform gehüllt, sah Kräfte sprossen, wachsen und veralten und jeden Zweig von s e i n e m Saft erfüllt, sah hier das Licht aufgehen, steigen, schwinden und lernte stets die Menschheit wiederfinden.
Daneben sah ich – darf ich Dich auch nennen, Du inhumanes, alt- und neues Rom? Doch, wer wird Dich im Namen nicht schon kennen, du Kapitol und du St. Peters Dom? Du Pfuhl, aus dem die Erde zu verbrennen ausging ein alter und ein neuer Strom. Von Kriegern einst bewohnt und Senatoren, Von Pfaffen jetzt bewohnt und Monsignoren.
Ich lernte Dich und Deiner theuren Prinzen Und Deiner Prinzessinnen schönes Heer, die Wüsten Deiner darbenden Provinzen, und Deiner Wissenschaften todtes Meer; die Weisheit lernt’ ich sehn mit Augen blinzen, die Andacht sehn, von altem Taumel schwer, die Heuchelei mit stolzen Sklavenminen, den Knecht der Knechte, dem die Völker dienen.
O daß mir einst, dies alles zu verkünden, der Erdengenius sein Buch verlieh’, daß ich, wie Geister allgemach erblinden und Heilige erkranken wie ein Vieh, daß ich das große Buch der Menschensünden entwickeln könnt’ mit seinem Wann und Wie? Vom ganzen Heer Kastratennachtigallen sollt’ Ave! Amen! in die Lieder schallen.
Jedoch mein Geist, wohin schwingst du die Flügel und moderst noch in dieser Todtengruft? Erst über Strom und Wüsten, Berg’ und Hügel, bis dich ein neuer, mildrer Athem ruft. [573] Dann fühle froh der Gottheit großes Siegel, dann schweb entzückt im holden Frühlingsduft, und dann laß, süßumarmt von allen Deinen, was in dir glänzt, auch andern wiederscheinen!
Angedenken an Neapel.
1789.
Ja, verschwunden sind sie, sind verschwunden, Jene kurzen, jene schönen Stunden, Die auch ich am Pausilipp erlebt. Holder Traum von Grotten, Felsen, Hügeln, Inseln und der Sonne schönen Spiegeln, Seen, Meer – du bist mir fortgeschwebt!
Fortgeschwebt die zaubernde Sirene, Die mich ohne süßer Flöten Töne Schwesterlich in ihre Arme nahm; Und mein Herz schlug voller und geschwinder, Und mein Blut floß reiner und gelinder, Da ihr Athem mir entgegen kam.
Sehnend sah ich ihres Busens Wellen Sanfter sich und reger zu mir schwellen, Schwamm dann mit der Fläche sanft dahin; Sah den schönen Kranz von Fels und Hügeln, Sah die Sterne, sah den Mond sich spiegeln In der süßen Freudegeberin.
Sah die Inseln in den Wellen schweben, Träumt’ auf ihnen ein beglücktes Leben, Unbekannt und aller Welt entflohn; Sammelt’ nur um mich den Kreis der Meinen – Ach, ihr Wellen, oft saht ihr mich weinen Um sie, für sie, zu der Göttin Thron!
Wenn die Abendröth’ im stillen Meere Sanft verschwebte, und mit seinem Heere Glänzender der Mond zum Himmel stieg, Ach, da flossen mit so neuem Sehnen Unschuldvolle, jugendliche Thränen; Nur ein Seufzer sprach, und alles schwieg.
[574] Nimmer, nimmer sollt ihr mir entschwinden, Immer wird mein Herz euch wiederfinden, Süße Träume, rein und zart und schön. Nie wird euch mein Auge wiedersehen, Doch ein Hauch wird lispelnd zu euch wehen: „Ich, auch ich war in Arkadien.“
[686]
4. Dem 24. Oktober 1788 in Rom.
(Componirt vom Feldherrn Friedrich von Dalberg.)
Sei gegrüßet, schöne Sonne! Sei willkommen, Tag der Wonne, In der Musen Heiligthum! [687] Ihre Schwester kommt zu ihnen; Holde Musen, Ihr zu dienen Schafft uns ein Elysium.
Fühl’ ich nicht von jenen Höhen, Heitre, schöne Lüfte wehen, Voll Gesundheit, voller Ruh? – Ach, die Wünsche Ihrer Treuen, Die entfernt sich mit uns freuen, Wehn uns diese Lüfte zu.
Wir, die heute Sie umschließen, Die Sie liebend näher grüßen, Gehn am Glücke Jenen vor. Helfet Sie mit uns umschließen, Helfet Sie mit uns begrüßen, Musen, werdet mit ein Chor!
*
Apollo, komm! Laß deine Locken fliegen, Und weih’ Ihr deinen jüngsten Kranz. Wie Weste sich um ihre Göttinn wiegen, Umschwebe Sie der Charitinnen Tanz. Hygea schling’ in ihre Tänze, In ihren jugendlichen Reihn, Den schönsten ihrer Kränze, Den Kranz der Freuden ein.
*
Genieße diese Tage, die lang’ erwünschten Tage im alten Heiligthum. Auch im Andenken werde Dir einst auf fremder Erde Rom ein Elysium.
Quelle: Herders Sämmtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. Neunundzwanzigster Band (= Poetische Werke. Fünfter Band. Hrsg. von Carl Redlich). Berlin 1889.
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