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Jacob Christoph Burckhardt

Kurzbiographie

Jacob Christoph Burckhardt (*25. Mai 1818 in Basel – †8. August 1897 ebda.), Sohn eines Pfarrers und Antistes der reformierten Kirche, nahm 1837 in seiner Heimatstadt das Studium der Evangelischen Theologie auf, das er jedoch nach vier Semestern abbrach, um sich in Berlin der (Kunst-)Geschichte und der Philologie zuzuwenden. An der Friedrich-Wilhelms-Universität hörte Burckhardt von 1839 bis 1843 Johann Gustav Droysen (1798-1886), Leopold Ranke (1795-1886), August Boeck (1785-1867), Franz Theodor Kugler (1808-1858) und Jacob Grimm (1785-1863). Burckhardt bewegte sich in der preußischen Hauptstadt in den spätromantisch und national-konservativ geprägten Kreisen, wo er die sein genuin humanistisches Weltbild fortbildenden Bekanntschaften schloss; so auch mit Bettina von Arnim (1785-1859). 1843 wurde Burckhardt in absentia in Basel promoviert und habilitierte sich im folgenden Jahr dort für Geschichte. Neben seiner kurzzeitigen Tätigkeit als politischer Redakteur bei der „Basler Zeitung“ (1844/45) und der Abfassung diverser Artikel für das „Brockhaussche Konversationslexikon“ unternahm Burckhardt zwischen 1846 und 1848 eine Reihe von Bildungsreisen nach Italien, vor allem nach Rom, die seinen kunstgeschichtlichen Studien galten. Das Studienobjekt beflügelte auch Burckhardts dichterisches Talent: Aus den in Italien erworbenen „kultur“-historischen Kenntnissen und ästhetischen Eindrücken entstanden Gedichte in der Bildersprache der Italiendichtung Goethes und jene Lyrik, die sagenhafte und historische Sujets der italienischen Geschichte behandelt. Entscheidend jedoch für Burckhardts eminente Bedeutung für Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft wurde die heuristische Funktion Italiens, die sich seiner romantischen Antikenrezeption verdankt, die Geschichte als ästhetischen Bildungsprozess begreift. Die Burckhardt gebührende „Entdeckung“ der italienischen Renaissance wurzelt in dem europäisch-humanistischen Ethos Winckelmanns und Goethes; ein aufgeklärter Konservatismus, der jedoch angesichts des rasant sich vollziehenden sozialen und kulturellen Wandels am Ausgang des 19. Jahrhunderts mehr und mehr kulturpessimistische Züge zeitigte. Von 1855 bis 1858 war Burckhardt ordentlicher Professor für Kunstgeschichte an der Eidgenössischen Hochschule in Zürich. 1858 übernahm er in Basel das Ordinariat für Geschichte, wo er seit 1886 ausschließlich Kunstgeschichte lehrte. Innerhalb des umfassenden Oeuvres Burckhardts, zu dem auch Novellen und Gedichte in alemannischer Mundart gehören, gelten als Hauptwerke „Die Zeit Constantins des Großen“ (1853 u.ö.); „Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens“ (1855 u.ö.); „Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch“ (1860 u.ö.); die postum erschienene „Griechische Kulturgeschichte“ (4 Bde., 1898-1902, ausgearb. seit 1870) und die vielgelesenen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ (1905, entstanden 1868-1873). Burckhardts „Cicerone“ war bis zum Ersten Weltkrieg für Italienreisende der bedeutendste Führer durch die italienische Kunst von der Antike bis zur Gegenwart. Mit „Die Cultur der Renaissance in Italien“, dem ersten erschöpfenden Werk über diese Ära, etablierte sich Burckhardts Ruf als Mitbegründer der modernen Kunstgeschichte. Den Italientopos erschließen auch die nachgelassenen Schriften „Unbekannte Aufsätze aus Paris, Rom und Mailand“, eingel. u. hrsg. von Josef Oswald, 1922; „Gedichte“, nach den Handschriften des Jacob-Burckhardt-Archivs in Basel, hrsg. von Karl E. Hoffmann (1926); „Der Briefwechsel Jacob Burckhardts mit Paul Heyse. 1849-1890“, hrsg. von Erich Petzet (1916) und „Drei Briefe Jacob Burckhardts aus Rom“, überreicht von der Jacob-Burckhardt-Stiftung (1918).

Yvonne-Patricia Alefeld

 

[17]

Das Saitenspiel

Erster Gondolier

Schön ist der Abend, und die Wogen blitzen,
Wenn leiser West die grüne Fläche kräuselt.
Fern sinkt die Sonne an den Alpenspitzen,
Ein sanftes Wehen um die Gondel säuselt.
Du dort in deiner Barke, laß uns singen,
Bis uns die Nacht ereilt auf düstern Schwingen.

 

Zweiter Gondolier

San Marcos Kuppeln seh’ ich purpurn leuchten;
Es sinkt die Sonne und die Nacht ist nah;
Dort wo Buran entsteigt dem Meer, dem feuchten,
Das Dogen oft sich dort vermählt sah –
Dort schiff’ ich hin! – Wir singen  T a s s o s  Lieder,
Bis sich die Nacht senkt auf das Meer hernieder.

 

Erster Gondolier

Gern hör’ ich von Rinaldos Heldenmute,
Doch wenig nur hab’ ich davon behalten.
Als aber jüngst ich in dem Schifflein ruhte,
Da hört’ ich Stangen, die so lieblich schallten:
Von einem Ritter war’s, der in der Nacht
Vor einem Schloß ein Ständchen hat gebracht.

 

Zweiter Gondolier

Ich war der Sänger, hörte einst dieses Lied,
Als in Neapel ich für Bourbon stritt.
Als nach dem Krieg ich von Ancona schied,
Bracht’ ich die Töne im Gedächtnis mit.
Du weißt das Lied? So laß es uns beginnen,
Schon glänzen röter der Paläste Zinnen! –

 

[18] Erster Gondolier

In Blut und Feuer sanken lange Jahre,
Bis Fried’ erglänzt’ verödeten Gefilden.
Getrennet waren tausend Liebespaare,
Denn mancher Jüngling fiel im Kampf, dem wilden.
Im Traum erschienen oft, von Blut gerötet,
Den Bräuten die Geliebten, die getötet.

 

Zweiter Gondolier

Nach Hause schiffte Don Gennaro fort,
Und als er fern am Meer das Schloß der Teuern
Erblickte, stieg er in dem nahen Port
In eine Barke, nachts dorthin zu steuern.
Und wie die Sonne sank ins dunkle Meer
Nahm er das Ruder, froh der Wiederkehr.

 

Erster Gondolier

Und dunkle Mitternacht umhüllt’ ihn schon,
Kaum sieht das Schloß er in die Lüfte ragen;
Nur seines Ruders gleichen Plätscherton
Vernimmt er – bald hat ihn die Flut getragen
Ans hohe Schloß, des Mauern sie beschäumet.
Indes er liebend von der Dame träumet.

 

Zweiter Gondolier

Die Saiten fängt er lieblich an zu schlagen
Und um ihn sammeln lauschend sich Delphine,
Doch über ihm nur Eulen krächzend klagen
Und mischen sich ins Spiel der Mandoline.
Er singt – kein Fenster öffnet sich den Tönen,
Und nirgends schimmert ihm das Tuch der Schönen.

 

[19] Erster Gondolier

Und als das Morgenrot am Himmel glänzte,
Als purpurn aus dem Meer die Sonne stieg,
Da sah er auf an das sonst goldbekränzte
Vielzinn’ge Schloß – die Mandoline schwieg.
Verbrannt, verheert, so lag’s vor ihm die Trauer,
Und ihn durchhebt’ der Ahnung Höllenschauer.

 

Zweiter Gondolier

Noch einmal rauscht’ er wild seine Saiten:
Betrogen bin ich um mein Lebensglück!
Was kann die Liebe fürder mir bereiten?
Das Feuer gibt die Toten nicht zurück! –
So singend ist er in die Flut gesprungen –
Die Saiten hatten noch nicht ausgeklungen …

 

Erster Gondolier

Ihn sah man nie mehr! – Doch es liegt im Rachen
Des Liebenden erhab’nes Saitenspiel.
Wenn abends spiegelhell die Fluten lachen,
Dann zeigt sich oft der wundervolle Kiel;
Ein süßes Tönen auf den Fluten schwebet,
Der Hörer Herz vor Furcht und Wonne bebet.

 

Zweiter Gondolier

So lebet ewig fort der Liebe Sänger,
Das Herz in grausem Liebeskampf zerrissen. –
Doch sieh! Die Schatten werden immer länger;
Es naht die Nacht mit schwarzen Finsternissen.
Hier ist Burano. Laß ans Lang uns treten!
Schon hör ich Ave läuten, laß und beten!

 

[20] 

Dantes Traum

Still von Florenz her nahte Dante sich
Der ew’gen Roma, wo er Wissenschaft
Erlernen sollte, aber trauervoll
Beachtet’ er der Tempel Trümmer nicht,
Die ernsten Schweigens jeden Wandrer rufen.
Er sieht Augustus’ prächt’ges Grabmal nicht,
Noch der Paläste und der Kirchen Menge;
Stillseufzend schleicht er durch die ganze Stadt,
Nur auf dem Forum steht er weinend still:
„Zerstörung“, seufzt er, „leitet meinen Schritt
Und mein zerstörtes Glück’ seh’ ich sich spiegeln
In diesen Trümmern wie in meinem Herzen.
Dich mußt’ ich fliehn, Beatrix, Heilige!
Und nur dein Schatten bleibt und meine Liebe!“
So klagend sank er nieder auf die Erde,
Vom Wege müd in eines Lorbeers Schatten,
Und er entschlief.
                               Im Träume schaut’ er Rom
In seiner alten Herrlichkeit und Pracht.
Der Tempel gold’ne Zinnen sah er blitzen,
Das Capitol stand da mit hohen Thürmen
Und golden glänzt’ der Siegesbogen Zahl.
– Und aus des Capitoles eh’rnen Toren
Stieg zu ihm nieder, herrlich anzuschaun,
Ein Greis, der sich Virgil und Jüngling nannte. –
In eines Tempels Hallen führt’ er ihn
In dessen Heiligtum ein Sarkophag
Aus einem Stein Lafurs dem Staunenden
Sich zeigte. Drinnen lag in weißem Kleid,
Und bleich wie weiße Rosen, die Geliebte.
Des Jünglings schwerbeklommne Brust versagte
Des Schmerzes Ausbruch ihm; in dunklem Wahn
Blickt’ er dem Greise ins Gesicht; doch dieser
[21] Spricht ernst zu Dante, dem Verzweifelnden:
„Las diese! Nicht verzehre dich der Gram! –
Zu größern Werken bist du aufbehalten,
Doch wird das Unglück immer dich verfolgen;
Drum stähle dich und werde stark dagegen! –“

Und ihn mit einem Lorbeerzweig berührend,
Erteilt’ er ihm die heil’ge Dichterweihe!
Und ernst und kräftig fühlt’ sich Dantes Geist:
„Doch soll ich nie Beatrix wiedersehn? –“
„Du wirst es! Ich auch werde wieder dir
Erscheinen und Gesichte zeigen, wie
Kein Erdenkind sie nich geschauet hat;
Doch Hoh’res wird Beatrix dir bereiten:
Des Himmels Tor dir öffnen! –“
                                                      Und der Greis
Verschwand – und Dante wachte auf vom Traum.

Schon dämmert’ es, und golden glänzten noch
Des Capitoles Trümmer; leiser West
Bewegte noch den Lorbeer, dessen Zweig’
Dem Jüngling säuselnd um die Schläfe spielten.
Ernst stand er auf, schritt in die dunkle Nacht …

 

[36]

Isola bella
- Juni 1800-

Wolken über den Himmel jagen,
Des empörten See’s Wogen
Unten an die Terrassen schlagen
Und ein Sturm kommt hergezogen.
Horch! Cypress’ und Lorbeer rauscht!
 Unter den Bäumen,
 Blickend auf der Fluten Schäumen
Steht der bleiche Konsul still und lauscht.

Beim Gelag in dem Palast
Jubel und Gesang sich einen;
Gerne gönnt er fröhliche Rast,
Die er nicht bedarf, den Seinen.
Denn sie ahnen nicht wie er,
 Wie des Krieges
 Wage schwankt und daß des Sieges
Schale sinkt, doch blut- und tränenschwer.

„Soll die grause Schlacht ich wagen? –
Eh’ beginnt der Waffen Spiel,
Will ich noch das Schicksal fragen:
Du, das mir gewährt so viel,
Gib mir aus dem Sturm ein Zeichen!
 Hohes Glück!
 Sprich, muß sieglos ich zurück?
Soll der Osten, soll der Westen weichen?“

„Ha, wie tönt des Donners Tosen!
Dort kämpft mit der Flut ein Rachen!
Mit dem Schicksal will ich losen,
Mag die Hölle drüber lachen!
[37] Schifflein, sieglos will ich sein,
 Wenn du strandest –
 Doch, wenn unversehrt du landest,
Bin ich Caesar und die Welt ist mein.“ –

Doch stets wird der Himmel trüber –
Wellen sich ums Schifflein hüllen –
Wütend schlagen sie darüber,
Ja, er sieht, wie sie es füllen,
Wie dem Schiffer das Ruder knickt –
 Ha! Wie ringt er!
 Doch der Insel näher dringt er –
Noch ein Sprung – Jetzt ist es ihm geglückt!

An den gold’nen Gürtel greifend,
Einen Dolch der Konsul zieht;
Eines Lorbeers Rinde streifend
Ritzt er drein was bald geschieht –
Fühlend sich dem Schicksal nah,
 Und es ahnend
 Und sich selbst zum Aufbruch mahnend,
Gräbt er ein das Wort ‘battaglia’.

Doch durch Sturm und See’stoben
Aufwärts die Terrassentreppen
Hört er mühsam nun nach oben
Einen müden Schritt sich schleppen.
Vor ihn tritt der Schiffer hin:
 Tief sich neigend
 Reicht er einen Brief ihm schweigend –
„Desair’ Hand! – Was meldet er mir drin?“

Wie er liest, und Flamm’ auf Flamme
Spricht sein Aug’ und Flammen wieder,

[38] Weht der Sturm vom Lorbeerstamme
Einen Zweig aufs Haupt ihm nieder –
„Jetzt verheißt das Glück uns viel! –
 Auf! zum Lande!
 Löst die Barken dort am Strande!
Auf! Denn Desair nahet uns vom Nil!“

Und neun Tage sind verflossen;
Still und ruhig glänzt die Flut,
Und der Lorbeer ragt, durchgossen
Von der Abendsonne Glut.
Aber es dröhnet dumpf von fern,
 Denn es betauen
 Jetzt mit Blut sich Marengos Auen,
Und Italien huldigt seinem Herrn!

[40] 

Fiesole

Heiß ist im Sommer Florenz, bezeug’ es jedglicher Fremdling,
Der im Zeichen des Löwen, im Zeichen der glühenden Jungfrau
In der etruskischen Stadt Paläst’ und Tempel bewundert.
Sonnenstich droht dir, wenn aufwärts schauend dein Auge
An der unsterblichen Meister Gebäu, an edlem Gebälk, sich
Freut, auch Fieber und Wehe des Haupts weissaget der Welsche.
Komm’, erfrage das pintische Tor, gefällig und freundlich
Weist ja den Weg den Fremden der florentinische Jüngling –
Größerer Tugenden Rest ist dies, so wollt’ es das Schicksal.

Leicht ist die Straße zu kennen; es schau’n dort über die Mauern
Hohe Akazien, Pinien auch und dunkle Cypressen,
Und von fern schon siehst du das Tor und drüber die Lilie.
Draußen führt dich der Pfad aufwärts, zerfallende Mauern
Rauben die Aussicht, aber der immergrünende Epheu,
Von Eidechsen belebt, und Stämme der schattigen Feige
Lassen dich leicht vergessen das blaue Gebirg und den Arno.
Maultiertreiber geleiten dich stets, sei’s daß sie des Morgens
Saftige Pfirschen gebracht von den seligen Höh’n und Gemüse,
Und nun leer heimkehren, sei’s schwerbeladen mit Hausrat;
Denn steil windet der Weg sich hinauf, es nahen sich selten
Wagen den Höh’n; als Wunder bestaunen die Knaben des Orts sie.
Kluges Gespräch wirst oft du finden, wenn freundlich zu jenen
Du dich gesellst, sie nennen dir rühmend jegliche Villa
Und die Flecke umher, und preisen die zierlichen Mädchen.
Unvermerkt so klimmst du hinan den Fels, wo das schöne
F i e s o l e  liegt, das Edelgestein in der Krone von Hügels,
Welche  F l o r e n z  umgibt, die Stadt so herrlich vor allen.

Drunten liegt sie im Tal, hoch ragt die Kuppel des Domes,
Raget der Turm am alten Palast aus dem Meere von Häusern;
Golden ergießt sich darauf der duftig italische Abend,
Und tiefblau ziehn sich die Schluchten des Apennins hin.
Kühl ist der Platz, stets säuseln vom sanftem Winde die Bäume,

[41] Und gern lehnest du dich an die Mauer der Kirche, wenn Vespern
Ruft die Mädchen des Orts; schön sind Etruriens Jungfrau’n
Und von manchem Gemäld’ siehst hier du schöner das Urbild.
Doch sie schweben vorbei, und still ist’s wieder wie vorher
Auf dem beschatteten Platz; zur Seiten in dunkeln Gebüschen
Zieh’n sich empor die Häuser der Stadt bis droben zum Kloster.
Eine etruskische Burg war’s einst, und daneben des Kriegsgott’s
Mächtiger Tempel; es beten an altehrwürdiger Stätte
Bärtige Mönche nunmehr, und aus den Gängen des Klosters
Schau’n in müßigen Stunden hinab sie gegen den Arno
Und die blühende Stadt und gegen das ferne  P i s t o i a.
Dort fiel einst Catilina; aus Fiesoles Toren bei Nachtzeit
Zog er hinaus, längst hatt’ er hier gesammelt die Heermacht
Hoch in der Burg, wie der Aar seit Nest anklebt an die Bergwand.
Oft in stürmischer Nacht tönt’s hier wie römische Namen;
Blutige Schatten begegnen sich dann, umschwebend das Kloster,
Während drinnen im Chor die Mönche murmeln die Horen.

Wenig gedenkt entschwundener Zeit der fleißige Landmann;
In des Theaters Ruin knüpft fröhlich singend er oftmals
Hoch an die Ulme die Rebe; du blickst durch schwankende Bogen
Östlich gewandt in ein lachendes Tal; weit über die Scena
Raget empor das blaue Gebirg mit den Villen und Klöstern.
Herrlich, wohin du blickst entrollt sich das milde Toscana
Und dir erhebt die Brust der großen Männer Gedächtnis,
Seiner Söhne, und eines vor allen: Verbannt vom Gebiete
Jener Stadt kam  D a n t e  im Pilgermantel hierher einst,
Nach zehnjährigem Elend das vielgeliebte Florenz noch
Einmal zu seh’n; gern nahmen ihn auf die gastlichen Mönche,
Nicht im braunen Gewand erkennend den hohen Priore.
Doch um die Mitte der Nacht erhob sich vom Lager der Pilgrim;
Mondhell war’s; er durchschritt die Bogengänge des Klosters,
Und sein strenges Gemüt zerfloß in brennenden Tränen.
Einen Blick noch entsandt’ er den hellbeschienenen Türmen
Drunten im Tal, und schleuniges Schrittes durcheilt’ er die Berge. –

[42] Selig, wem stets offen das hohe Tor von Florenz steht!
Freudigen Muts magst dann du Fiesoles Felsen besteigen,
Und der vergangenen Zeit gedenken oder der Zukunft,
Oder der Gegenwart in fröhlicher Freunde Gesellschaft.

[43] 

Palazzo Doria
(Genua)

Leise rauschen die Cypressen
In dem Abendwind,
Unter denen Er gesessen,
Er, des Mittelmeeres Lieblingskind.

Immernoch an die Terasse
Wirft die dunkle Flut
Huldigend der Wogen Masse
Wo Andreas Doria geruht.

Und die Stadt, die er gerettet,
Liegt im Abendglanz
An dem süßen Golf gebettet,
Noch bespült von blauer Wellen Tanz.

Und vom Springquell niederschauet
Noch auf Stadt und Meer
Des Neptunus Bild und tauet
Tausendfarb’ge Strahlen um sich her.

In dem Hafen auf der Rhede
Stehn der Schiffe viel;
Aber schauend all’ und jede
Miss’ ich einen edeln, teuern Kiel:

Jene goldene Galeere,
Sagt, wo ist sie hin?
Genueser, sucht im Meere,
Sucht sie auf, des Meeres Königin!

Einst zu mitternächt´ger Stunde
Schwebt sie hafenein,
Und die Schlösser in der Runde
Mit den fremden Bannern stürzen ein.

[44] Und die Fenster am Palaste
Glühn von Blitzen hell,
Und der Schiffe hohe Maste
Neigen sich, und freudig braust die Well’!

[45] 

Seebad

Wehet weiter, Abendwinde,
Weiche Wellen mir entgegen,
Daß sie wallend und gelinde
Tau´n auf mich den milden Regen;
Daß, geschaukelt von der süßen
Warmen Wucht thyrrhenischer Wogen,
Ich Italien kann begrüßen,
Das mich fest ans Herz gezogen!

In dem Arm der heil’gen Fluten
Laß ich tragen mich und wiegen;
Ueber mir des Abends Gluten
Golden ausgespannet liegen.
Wellen von Ciciliens Küsten
Und von Afrikas Gestaden –
Jede strebt, zu ihren Brüsten
Mütterlich mich einzuladen.

Altverklung’ne Wiegenlieder
Aus der Fluten tiefstem Grunde
Tönen mir im Ohre wieder
Schön wie aus Sirenenmunde:
„Der die Alpen du erklommen,
Da wir dein so lange harrten,
Fremdling, sei uns froh willkommen
Im hesperischen Zaubergarten!“ – 

[46] 

Castagnola

Heil dir, gastfreundlich schönes Gelände, Heil!
Du, dessen Ufer neben den rauschenden
Kastanienhainen stolz sich spiegeln
In des kristallenen See’s Wogen.

Dir schickt die Sonne täglich den ersten Strahl
Wenn rings noch Alles ruhig im Schatten schläft,
Sie nimmt von dir den spätsten Abschied,
Wenn sie im Westen sich eilt zu bergen.

Dir duftet, wenn rings alles im Schneegewand
Noch schläft, das süße dunkele Veilchen schon,
Und an dem Arme des Geliebten
Wandelt die Braut, und sie sieht’s und pflückt es.

Und auf dem sonnbeschienenen Hügel steigt
In stolzem Wuchs die blühende Reb’ empor,
Ob sie vermählt sich mit dem Lorbeer,
 Ob mit dem blassen begrünten Ölbaum.

Von den Terrassen, wo die Orange reift,
Wo blühend oft die Aloë ragt, entschwebt
Ein Wohlgeruch weit übern See, es
Streiten um ihn sich die Abendwinde.

Doch wenn in einsam schweigender Nacht sich hebt
Des Vollmonds Licht und silbern erglänzt die Flut –
Wie bist du schön, o Castagnola!
Welche Gefühle erweckst du dann mir! 

[47] 

Monte Cenere

Hier laßt mich schlummern, Gefährten,
Im Farrnkraut, weich und lind,
Ueber mir wogt die Kastanie,
Bewegt vom Mittagswind.

Und neben mir rauscht die Quelle
Kühl aus dem Felsen hervor,
Und zwischen mächt’gen Bergen
Blinkt unten, der Lago maggior’.

Seht, wie in dem schwülen Dufte
Die Täler und Schluchten ruhn!
Welch böser Dämon verbietet
Euch Narren, ein Gleiches zu tun? –

Ich muß hier träumen und schwärmen
Von jetzt und von künftiger Zeit,
Und von allmächtiger Liebe
Wird mir so eng und so weit.

Und wenn die Banditen kommen,
Sagt ihnen: hier ganz still
Liegt auch noch Einer im Farrnkraut,
Aus dem Nichts werden will. 

[48] 

Im Agnotale

Süße Waldnacht von den Bergen steigt
Und es rauscht der Fluß in Träumen,
Und die Sonne, die zum Abend neigt,
Will die Talschlucht golden säumen.

Drüben schwebt ein Dorf am Bergeshang,
Schlummernd im Kastanienwalde,
Kühn getürmt! Haus über Haus, entlang
Jener steilen, dunkeln Halde.

Lockt’s dich nicht? Ein Mädchenchor vielleicht
Sitzt dort unter Bogenhallen,
Zartes Stroh verwebend luftig leicht,
Während heit’re Lieder schallen. –

Vorwärts! Allzuschön ist dieser Ort,
Laß die schmucken Mädchen weben,
Laß das Dorf, im Wald verloren, dort
Als ein süß Geheimnis schweben!

 [49] 

Fontana nuova

Gruß dir, o heller Silberstrahl,
Der auf verborg’nen Wegen
Durch stille unterird’sche Nacht
Geeilt dem Licht entgegen!

Mutwillig nun entprudelst du
Granit’nem Löwenrachen;
In der granit’nen Schale tönt
Dein fröhlich plätschernd Lachen.

Ach, wie dich droben im Gebirg
Kastanien kühl umdunkelt,
Daß selten Sonnenblicke nur
In deine Flut gefunkelt:

Das hast du hier auf städt’schem Markt,
O wilder Strahl! vergessen;
Dir huldigt Halle und Balkon
Und dein Geleit, Cypressen.

Wie stille war’s im dunkeln Wald
Wo deine Quellen rauschten!
Nur Vögel pickten am Gesträuch
Und kluge Schlangen lauschten. –

Hier übertönt dich früh und spät
Gespräch und lautes Rufen;
Hier zieht der Reichtum einer Welt
Vorbei und tausend Hufen.

Die Schelle tönt, es klirrt das Rad;
Die Führer streiten, drängen;
Durch halbverhang’ne Fenster dringt
Gesang zu Saitenklängen. –

[50] In heißer Mittagsstunde nur,
Wenn lautlos ruhn die Hallen,
Da hört man dein Gesprudel weit
Und deines Beckens Wallen.

Da schläft von deinem Trunk erquickt
Im Schatten oft ein Müder;
Und furchtlos schwebt auf deinen Stand
Ein Schwarm von Tauben nieder.

Und Herrscher in der stillen Nacht
Bist du für diese Gassen,
Im schwarzen Dunkel wie beim Licht
Des Mond’s, dem silberblassen.

O, daß mit doppel-lautem Klang
Dein Strahl darniederstiebe!
Unhörbar sei der scheue Schritt,
Das scheue Wort der Liebe!

Sei uns gesegnet, frischer Born,
Und die dich tränkt die Wolke! –
Gib von Geschlechte zu Geschlecht
Gesundheit diesem Volke!

Es soll dein ernstes Löwenhaupt
Die Schönheit dieser Frauen
Noch manch Jahrhundert unverwelkt
In Enkelinen schauen. –

Doch wenn der Krieg nach diesem Land
Will seine Wagen lenken,
Und wenn des Feindes Reiter nah’n
Die Rosse hier zu tränken,

[51] 

O, dann versiege, wilder Quell,
Bis seine Scharen bluten!
Der sieggekrönten Heimat gib
Aufs Neue deine Fluten!

 [61]

Monte Argentaro

Eine Nacht auf Sturmeswellen war geflogen unser Boot,
Und ob schwarzem Felsgebirge stieg herauf das Morgenrot;
Eine Insel war’s, mit steilen Gipfeln und mit schroffen Talen –
Gruß dir, wilder Argentaro, in den ersten Morgenstrahlen!

Einsam, meerumwogt Gebirge, dran die Brandung donnernd prallt,
Gönne nur dem Geist des Pilgers einen kurzen Aufenthalt!
Laß ihn in Gedanken irren durch die morgenblauen Schluchten
Und vorbei den Warten, wo einst Sarazenen Landung suchten.

Send’ entgegen deine Schemen ihm im öden Felsrevier,
Denn ein Traum aus ferner Jugend will lebendig werden hier
Vom verfall’nen Marmortempel, ragend über steiler Halde,
Rings verhüllt von tausendjährigem, ewiggrünen Eichenwalde!

Einst – wie hat er weiß geleuchtet übers weite Meer ringsum,
Und der Schiffer rief Gelübde nach dem fernen Heiligtum; –
Jetzt in Waldesnacht vergraben, ungeschaut und längst vergessen
Ragen seine schlanken Säulen grünumlaubt und nie vermessen.

Offen sind die eh’rnen Pforten, eingestürzt das Cederndach,
Und des Südens blauer Himmel schaut ins modernde Gemach,
Das zum stillen See verwandelt die verirrte Tempelquelle,
Drin der Göttin Bild sich spiegelt, als entstieg es frisch der Welle.

Denn sie ist’s die Meergeborne, mit dem feuchten Sehnsuchtsblick,
Lächelnd noch, als höchste Herrin, selbst ob göttlichem Geschick;
Um die wunderbaren Glieder senkt sich vom Ruin der Nische
Die Liane, leise flüsternd in des Morgenwindes Frische.

Und es schwebt von Blumenkelchen um die Stirn ein blauer Kranz,
Drauf sich Schmetterlinge wiegen in der Morgensonne Glant …
„Horch – ein Schuß! – Unseliger, kannst du über alten Tempelträumen
Vier französischer Fregatten solennellen Gruß versäumen!“

[62] 

Ein Stück römische Nacht
Vor dem Triton-Brunnen auf Piazza Barberini

O steinerner Götze, der Wasser speit
In die kühle, die duftende Nachtluft,
Es regt sich der Neid, wenn still man erwägt
Was du gesehn und erlebt hast!
Dein Plätschern verhüllt manch zärtliches Wort,
Auch käuflicher Liebe Geflüster,
Wenn abends der römische Bursche im Arm
Die schmucke Minente herumführt.
Ausländischer Tölpel, sie merken es kaum,
Wenn längst nach Ave Maria
Das leise Geschwätz den Triton umzischt,
Ob Geld, ob Liebe verlangt wird!
Ein römisches Ohr und ein römischer Mund
Und römisch poetisches Elend
Und zierliche Faulheit und reizender Schmutz –
Zusammen ein Spiel der Natur scheint’s.
Dazwischen ertönt das „Fünf! Acht! Neun!“
Der Mora aus schmierigen Kneipen,
Wo hinter dem Zahltisch ein Lämpchen raucht
Vor einer verrußten Madonna,
Damit sie beschütze den Herrn vom Haus,
Wenn er Wein verfälscht mit Grünspan. –
„Giftmischer! o schone die Jugend doch,
Die kommt, an den Bänken zu kleben,
Sieh an den feinen, den reizenden Wuchs
Des Mädchens, umfangen vom Arme
Der dunkelgelockten Banditengestalt,
Und hast du noch Ächten im Vorrat,
So spare dein Gift!“ –
 Horch, draußen ertönt
Castagnettengeklapper; es klingen
[63] Mandolinen und Pfeifen; in trauerndem Moll
Zieht über den nächtlichen Platz hin
Des fernen Gebirgs Saltarellmelodie
Und blitzschnell räumt man die Tische
Hinweg in den Kneipen und – flugs stehn da
Glutblickende, reizende Paare.
– Da naht von fern aus dem Tosen der Stadt
Ein Trauergesang – und die Häuser 
Erglühn von rötlichem, qualmendem Schein –
Das sind die barmherzigen Brüder;
Sie holen vermummt eine Leiche – eine Hand
Bebt unter gewichtiger Fackel!
Es mischt sich ihr Gang in die Tanzmelodie,
Bis traurig die Bergmusikanten
Den Kürzeren ziehn und verschwinden, indes
Der Kneipe erzwungene Andacht
In Stoßgebeten gen Himmel steigt – –
„Genug!“ rauscht mir der Triton zu –
„Das seh’ ich jede allnächtige Nacht,
Drum laß mich speien in Frieden!“ –

 [64] 

In Neapel
Auf E. W. Ackermanns Tod, 1846.

O sieh Neapels Golf im goldnen Abendschimmer,
Sieh tausend Barken ziehn, der Segel weiß Geflimmer,
  Die Stadt am Strande meilenlang,
Die Inseln! Dann Sorrents goldblaue Felsenwände,
Von Villen reichdurchblitzt das grüne Luftgelände
  An Posilippos Felsenhang!

Und über allem sieh den Feuerkönig thronen,
Den hoh’n Vesuv. Dann sprich: „Hier möchte’ ich ewig wohnen
  Und Ruhe finden im Gemüt.“ –
Und doch ein Wandrer kam – wohl kennst du seinen Namen –
Er, der Unseligste von Allen, die da kamen,
  Ist still hier in sich selbst verglüht.

Denn wie hier in die Luft der Aloë Fackeln greifen,
So ließ sein Schicksal nur in ihm die Schmerzen reifen,
  Bis niedersank die schwere Frucht.
Nun stehen wir, die ihn gekannt zu haben wähnen,
An seinem Grab und weih’n ihm unverstand’ne Tränen –
  Wohl ihm, er hat den Tod gesucht!

Denn seine Wiege schon umstanden einst Dämonen,
Die sich’re Beute zu betrachten ohne Schonen,
  Und sangen leis ihr Schicksalslied:
„Gruß dir, du Geistersohn! Gruß dir du Unsresgleichen!
Spät, aber sicher wird die Kunde dich erreichen
  Des, was dich von den Menschen schied!“

„Hoch über dem Gewühl, doch einsam wirst du stehen,
Du wirst geliebt und kannst vor grimmer Sehnsucht Wehen
  Nicht wieder lieben was dich liebt;
Durchsichtig, wie Kristall, wirst du die Welt erblicken
Als großes Nichts – drum soll dich auch kein Trunk erquicken,
  Den sie aus tausend Quellen gibt.“

[65] „Ja, wirf verzweifelnd dich zuletzt ins Meer der Dinge!
Es schäumt und zieht um dich leuchtendsaphir’ne Ringe,
  Allein es fühlt und letzt dich nicht!
Im Geistesäther fleug die kühnsten Geistesflüge,
Bald sinkst du müd herab, rufst: Lüge, Lüge, Lüge!
  Und blutest, bis dein Herze bricht!“

„Wohl wird ein schöner Gott mitleidig dich umschweben,
Er wird Sekunden dir voll reiner Wonne geben,
  Als wärst du sein geliebtes Kind, -
Dann löst sich wohl dein Leid in wunderbares Klagen,
In goldne Lieder auf, bis wir darüber tragen
  Die alte Nacht, den Sturmeswind.“

„Denn uns gehörst du an, wir müssen einst dich morden,
Dreimal Unseliger! Was bist du Mensch geworden!
  O dir weht unser Flügelschlag!“ –
So sangen sie; wohl hört der Knabe leis Geflüster;
Auf seiner Stirne blieb majestätisch Düster,
  Sein Brandmal war’s seit jenem Tag! –

Und er erwuchs. – Die Welt mit Hassen und mit Lieben
Umfing ihn heiß, doch er, von seinem Stern getrieben,
  Begriff die Welt und schalt sie Trug.
Was Herzen heiligt hat er grübelnd durchempfunden,
Was Geist war war im Ding, er hat es überwunden,
  Und doch, des Sieg’s war nie genug!“

Oft, wenn vom müden Aug’ rannen die heißen Tropfen,
Leis an des Herzens Tür’ hört’ er die Liebe klopfen:
  „Ich bringe Glück, o laß mich ein!“
Doch aus dem Dunkel sah er Hände warnend winken
Und von den Wänden her die Geistesaugen blinken,
  Und zaudernd, zagend rief er: Nein! –

[66] So schließt sich auf vor ihm des Lebens Höllentiefe;
Die Selbstsucht, ewig wach, ob auch die Träne triefe,
  Baut hoch um ihn den Marmorwall;
Und durch sein Dichten selbst, dies prächt’ge Flammensprühen,
Und mitten durch Genuß und aller Sinne Glühen
  Geht leis und scharf ihr Widerhall …

Du weiß es, wie er schied! Die letzten Marterstunden
Hast in der Ferne du wie keiner nachempfunden;
  Drum laß und schweigen insgesamt!
Laß hüllen dies Gebein in Königsmantelfalten;
Denn, wie ob solchem Haupt das Schicksal möge walten –
  Von Göttern war er doch entflammt!

Und du, azurnes Blau, sieh mild versöhnend nieder
Auf dieses Grab! und ihr, o Sträuche, säuselt Lieder
  Und duftet Balsam drüber hin!
O schütte aus, Natur, hier deiner Schönheit Fülle!
Wohl schlummert ruhiger die qualverzehrte Hülle,
  Wenn Rosen blühn und Wölkchen ziehn!

Doch, wenn einst im Vesuv sich die Cyklopen regen,
Und durch die Lava quillt wildsprüh’nder Aschenregen,
  Und graue Nacht die Stadt umwebt,
Und wenn in wilder Flucht die Wagen strandwärts fliegen,
Und Scharen, halbentseelt, vor Gnadenbildern liegen,
  Indes der Boden brüllt und bebt –

Und Türme stürzen ein, es schüttert Straß’ an Straße,
Laut donnernd stürmt herein vom Meer die Wogenmasse;
  Es mischen sich zur Melodie
So Erd’ als Meer, als wär’s die letzte Nacht der Nächte,
Dann wißt: „Dämonen sind’s, die unterird’schen Mächte,
  Und ihrem Sohne rufen sie! – “

 [67] 

Aus Venedig

Ja, Cyperwein und schöne Frau’n
Und Gang und Klang bis Mitternacht,
In Gondeln liegend anzuschaun
Bei Mondlicht der Paläste Pracht,
Und von Canale zu Canal
So still und pfeilschnell hinzugleiten –
Mein Junge, komm, probir’s einmal,
Das sind der Erde Herrlichkeiten!

Und doch, es stillt dies Herze nicht,
Es gibt ihm nicht den süßen Frieden,
Der leis aus R o m s Ruinen spricht,
Wenn voll die Sonne hingeschieden,
Wenn Abendglut die Stadt umwallt,
Und Tau sich mischt und Blütendüfte,
Wenn von den sieben Hügeln schallt
Der Glocken Laut in reine Lüfte.

Dort krönt des Coelius steiles Haupt
Der Passionisten Klostergarten
Mit ewigen Eichen dichtbelaubt,
Und wie von hoher Veste Warten
Schaust du hinab und schaust ringsum
Nur Trümmer aus Weltherrschaftstagen,
Ein weltgeschichtlich Heiligtum,
Und in den Wipfeln um und um
Duftet’s und Nachtigallen schlagen …

Schwarz ragt ins gold’ne Abendrot
Des Capitols geweihte Veste,
Drunten im Forum reihen sich
Der Tempel und der Bogen Reste,
Und in des Colosseums Schlund
[68] Siehst du hinein – dann ohne Grenzen
In Vignen, Klöster, bis von fern
Des Lateranes Giebel glänzen.

Und ernst dir gegenüber steht
Der Trümmerberg, der Palatin,
Dem einst verheißen vom Geschick
Die „Herrschaft ohne Ende“ schien.
Am grünbewachs’nen Bogen lehnt
Der Kapuziner Klosterhalle,
Und eine hohe Palme weht
Im Abendwind am Mauerwalle. –

Hier war’s, mein Junge, wo mir einst
Im Herzen alle Wünsche schwiegen;
Mein Schicksal schwand, vertrauensvoll
Dem Weltgeschick sich anzuschmiegen,
Und freier schlug das enge Herz
Vor der Geschichte Gegenwart –
Doch sieh, schon steigt der Vollmond auf!
Der Markusplatz, die Gondel harrt!

 [69] 

Am Golf von Neapel
– auf einem Briefbogen mit Bild –

Die Dame und der schmucke Cavalier,
Die du so kunstreich siehst gebildet hier
Im wechselseitigen Herzensrappel –
Südländer sind’s, und diese blaue Flut
Und jene fast zu gelbe Abendglut –
‘S ist Golf und Himmel von  N e a p e l.

Und die Terrasse und der Park am Meer,
Mir ist, als wär’ es noch nicht lange her,
Daß selbst ich stand an jener Stelle;
‘S ist der Palast – er heißt, ich weiß nicht wie,
In  R e s i n a,  wenn nicht in  P o r t i c i,
Und dies ist seines Gartens Schwelle.

Wohl dir, o höchst romantisches Liebespaar,
Daß du, der Tracht nach, wohl zweihundert Jahr
Im Tode schlummerst, ungeschoren!
Denn wißt, der Adel hat Bankrott gemacht,
Die Villen gibt ein Speculant in Pacht
Als Mandatar der Creditoren.

Und ach! an wen? an Fremde von Geschmack? –
Nein, an affröses, wildes Lumpenpack:
Roßjuden, Gärtner, Carrozzieren,
Weinkrämer, Coconzüchter, die sich müh’n
Die Villa und den Park und all sein Grün
Nach besten Kräften zu verheeren.

Sieh nur das Tor! der eine Flügel fehlt,
Weil jemand ihn zum Brennholz auserwählt
Und Angeln hat verkauft und Globe;  –
Breitspurig zog hier die Verwüstung ein
Von Saal zu Saal schuf sie Wüstenein
Bis zu dem flachen Dache oben.

[70] Gestohlen ist, was eines Diebes Hand
 Mit Zangen und mit Eisen von der Wand
Und von der Decke brechen konnte;
Die Spiegel, drauf manch schönes Auge glitt,
Die Marmorplatten, drauf man zierlich schritt,
Die Fenster selbst der Gartenfronte. –

Hinaus aus der Verwüstung! Komm entlang
Dem ruinierten, öden Säulengang,
Des Statuen still im Grase liegen;
(– Denn stehlenswerte Eisenklammern trug
Ihr Rücken! –) Der Zerstörung ist genug,
Mag sie dies Schloß denn ganz besiegen!

Noch bleibt der Park! Sie haben’s nicht gewagt,
Den Pinienhain, der dort in’s Blaue ragt,
Mit Diebesäxten anzugreifen;
Noch stehn die Lorbeerbäume dunkelgrün,
Noch glänzt das Meer! laß deine Blicke kühn
Hinaus nach jenen Inseln schweifen! –

Und ihr, o Geister jenes Liebespaars,
Das einst – dort über der Terrasse war’s –
Sich eingestand der Liebe Nöten –
Hier ist es noch wie einst!  Der Himmel lacht
Blaugolden noch ob dieser Küsten Pracht
Und purpurn in den Abendröten –

Kommt wieder! Kommt um Mitternacht hieher,
Wann Vollmondschein hinzittert über’s Meer,
Indes die Nachtigallen klagen!
Vielleicht aus manchem Baumgang still hervor
Schwebt dann um euch ein schöner Geisterchor
Von Liebenden aus frühern Tagen.

[71] Denn unter euch, tief in der Lava Schoß,
Liegt Herakles’ versenkte Stadt; es goß
Darauf einst der Vesuv sein Feuer;
Und wie viel Liebe im dem glüh’nden Graus
Versank, das sagt uns keine Zunge aus –
Wer nachgräbt, findet nur Gemäuer! – –

Doch mitternachts, dem Hades leis entschwebt,
Ziehn Schatten her, von Sehnsucht neu belebt,
Zu sehn des Golfes Silberfunkeln,
Zu schlürfen diese Balsamluft der Nacht,
Und ach! durchbebt von alter Liebesmacht,
Sich aufzusuchen dort im Dunkeln.

Und wer noch wacht und sieht’s vom Palast her,
Sei’s Roßjud, Gärtner und Carrozzier’,
Weinkrämer oder Coconzüchter,
Der schlägt ein Kreuz und fürchtet sich und denkt:
„Sante Maron, wir werden doch gehenkt,
Denn drunten tanzt das Nachtgelichter!“
[72] Was soll mir fürder dieser Norden

Was soll mir fürder dieser Norden
Mit seinen trivialen Horden?
Was Schönes auch sein Schoß erzeugt, –
Es stirbt verbittert und gebeugt.

Was will die Kunst mit ihrem Buhlen?
Des Wissens eitler Zank in Schulen?
Was soll die Habgier und die Not?
Neun Zehnteil lägen besser tot!

Und dieses Busens letztes Glühen
Soll ich im Stillen hier versprühen?
Hervor mein Stab und Wanderhut,
Es wird noch „alles, alles gut“!

O nimm, du heißgeliebter Süden!
Den Fremdling auf, den Wandermüden!
Erfülle seine Seele ganz
Mit deinem heitern Sonnenglanz!

Laß rings um ihn den Wunderreigen
Der alten Götter leuchtend steigen,
Zeig’ ihm aus alt- und neuer Zeit
Gestalten voll Unsterblichkeit!

Laß ihn dein Volk, laß deine Frauen
In abendlichen Tanze schauen!
Mit aller Schönheit Zauberwein
Schläfre die bange Seele ein!

[73] 

Asyl

Versenkt mich ins Tyrrhenische Meer!
Das ist die stillste Grabesgrotte!
Dort liegt von alten Zeiten her
Manche karthag’sche Silberflotte.

Von türkischem Erze mancher Schild,
Von Rom und Tyrus Schiffesschnäbel,
Und manch hellenisch Götterbild,
Und mancher Sarazenensäbel.

Bei diesen Altertümern mag
Eminus Conservator werden;
Dann freßt euch auf, ihr Lumpenpack,
Daß wieder Stille wird auf Erden!

Vielleicht in später, später Zeit,
Wann wieder jung die Welt geworden,
Tönt auf den Fluten weit und breit
Jubel von hohen Schiffesborden.

Auf gold’nem Deck wird Helena,
Von Paris Arm umschlungen, thronen;
Ob ihrer Schönheit fern und nah
Jauchzen die Nymphen und Tritonen.

Bekränzte Purpursegel schwellt
Ein Balsamhauch, und Lieder tönen:
„Wandelt vorbei, Zeitalter der Welt!
Ewige Jugend verbleibt dem Schönen!“

[131] 

Genua

Draußen donnert die Flut, gejagt vom Sturme des Märzmonds,
Hoch an den Fels, am Ende der Stadt, der jenes erhellte
Häuschen trägt. Welch brausende Nacht! es mischt sich dem Regen
Zischender Schaum aus dem Tiefen empor; die Glocken der Klöster,
Gellend sonst – nun winseln sie nur in das Tosen der Schöpfung.
Aber im hellen Gemach, umschlungen vom Arm Ariannas,
Lehnt ein staunender Mann und schaut in des mächtigen Weibes
Aug’ – stumm beben in ihm die ungesprochenen Worte:
„Fürstliche Stirn’ und trotziger Mund und dunkle Wogen
Ringsumwallenden Haar’s, und herrschende Strahlen des Auges,
Mehr als sterbliches Haupt! Gestalt von dauernder Jugend!
Nicht ein Wahn trieb jene hinaus in Tod und Vernichtung,
Die Du, Schlimme, geliebt! Es lohnte zu sterben im Zweikampf
Oder auf stürmischem Meer in weitentlegenden Zonen,
Da Du ihnen geraubt ihr Selbst und dann sie verstoßen. –

Einen hab’ ich gekannt und leiden gesehen – Du weißt es,
Und unerwartet von mir nur heitere Stunden, so sagst Du –
Keine Liebe, und willst vor Dir mich, Schreckliche, warnen.
Wohl, längst bin ich gewarnt! oft sah ich Jenen im Irrsinn
Wandeln über der Stadt auf felsigen Höh’n, und der Sturmwind
Jagt’ ihm das Haar ums bleiche Gesicht; einst lag er am Morgen
Tot am Fuße des Wall’s; Dein alter Freund, der Abbate,
Las zwei Messen für ihn – wie alle Ligurier sparsam. –

Doch nicht Dein ist die Schuld! nicht Dein! – o sprich, Arianna!
Nicht aus teuflischem Hohn schuf einst die Natur das erhab’ne
Götterbild und beseelt’s mit solch tiefsonnigem Auge!
Süßer Schmerz und tötliche Huld, sehnsüchtiger Jubel
Flammen versengend daraus entgegen dem Liebenden – Weh mir!
Schon verzehret es mich – mich selbst! …“
      Auf fliegt die Balkontür
Längst erschüttert vom Sturm, und draußen auf tobender Meerflut
Auf und nieder bewegt sich ein Licht, schon jagt es vorüber.
Lächelnd schaut das gewaltige Weib dem Geliebten ins Antlitz:

[132] „Sage, warum so blaß? weshalb dies Beben und Fiebern? –
Wegen des Boots? – Ich errate Dich schon, Du glaubst dem Gerede,
Dort unten vorbei ein Fahrzeug schwebe bei Nachtzeit,
Nur von Schatten bewohnt! – Matrosengeschwätz! – die Gestorb’nen
Grämen sich nicht. Doch geh! Für jene Liebe – die letzte,
Die mir zu lieben bestimmt, will selbst ich den Würdigen suchen,
Welcher begehrt mit mir zu versinken in göttlichen Wahnsinn. –

Liebt’ ich je? Kaum weiß ich es selbst; ich suchte den Stärkern,
Und fand Schwächere nur, gewohnt und bedürftig der Herrschaft.
Alle verstieß ich, bevor sie untreu wurden, die Schwachen,
Gab die Geschenke zurück – Du weißt, arm blieb Arianna,
Die nun Mörderin heißt. – Du erschrickst ja wieder? verlaß mich! –

Aber seilig der Mann, des Seele der meinigen wert ist
Und sich entzündet an ihr: Zwei Flammen in einer verglühn wir,
Und dies irdische Sein – als Asche zerstiebt’s, und die Winde
Tragen den wenigen Rauch empor in das sonnige Luftreich. –
Doch Du hoffst und verlangst noch viel: Erwerben und Wagnis
Führt Dich gefesselt hinaus in die Welt, als stürbest Du besser
Auf zerschellendem Schiff, in der Schlacht, ja, selbst auf dem Bette,
Wenn Du, seelenverarmt, hinwelkst in verlassenem Alter. –
Geh nun! Laß mich allein, zu belauschen die Töne der Sturmnacht;
Denn Dein Leben und meins schied Fühlen und Denken und –
       Schicksal.“

Quelle:
Jacob Burckhardt: Gedichte. Nach den Handschriften des Jacob Burckhardt-Archivs in Basel. Hrsg. V. Karl Emil Hoffmann. Basel 1926.

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