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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Hermann Lingg

Kurzbiografie

Hermann Lingg (*22. Januar 1820 in Lindau am Bodensee – †18. Juni 1905 in München), unternahm nach dem Ende seiner Gymnasialzeit (1837) eine längere Italienreise (1838), danach studierte er Medizin in München, Freiburg, Berlin und Prag, und trat 1846 als Arzt in den bayerischen Militärdienst ein. Dass sein Bataillon 1848 revolutionäre Verbände in Baden niederschlagen half, bewirkte bei ihm eine Depression. Lingg wurde in eine Heilanstalt eingewiesen und 1851 als Geisteskranker zwangspensioniert. Eine positive Wende kam durch Eheschließung (1854) und die Publikation seiner Gedichte (1853). Trotz einer umfangreichen Produktion als Dramatiker und Epiker („Die Völkerwanderung“, 1866-68) bilden die Gedichte und Balladen den wichtigsten Teil seines Werkes. Auch im Münchner Dichterkreis um Emanuel Geibel (1815-1884)  und Paul Heyse (1830-1914) spielte Lingg eine wichtige Rolle. 1890 wurde ihm der Adel verliehen. Die Italiengedichte stammen aus dem zweiten Band der dreibändigen Sammlung „Gedichte“. Seine in ihrer rhetorischen Machart von ferne an Schillers philosophische Gedichte erinnernde Lyrik handelt häufig von historischen Themen. Charakteristisch für seine Landschafts- oder Städte-Gedichte sind die historisch-antiquarisch-mythologischen Bildungselemente.    

Gunter Grimm





[24]

Die Priesterin der Isis in Rom.

Heucheln soll ich Zauberkünste,
In den Flammen trüber Dünste
Spähen nach verborgnem Sinn;
Aus der Vögel hohen Flügen
Soll ich Prophezeiung lügen
Um verhaßten Goldgewinn.
Ob nicht bald ein Freier werbe,
Ob ein grauer Schurke sterbe,
Welch ein Frevler ihn beerbe,
Frägt man die Aegypterin.

Völkern hier ein Licht zu schenken
Und zur Wahrheit sie zu lenken,
Wähnte die Prophetenbraut: –
Weh, nun muß ich hier bei Kesseln
Schauen, wie mit Lolch und Nesseln
Schlangenhaut und Kröte braut,
Muß mein edles Wissen schänden,
Hohes sehn aus Sklavenhänden,
[25] Und am Dreiweg Feuerbränden
Niederstreu’n das Lorbeerkraut.

Ich, des großen Landes Tochter,
Wo zuerst auf unterjochter
Erdkraft sich der Geist vernahm,
Jenes Landes, dessen Lehre
Leuchtend über Land und Meere
Einst an alle Völker kam;
Ja, wir waren’s, die am frühsten
Halt geboten Meer und Wüsten,
Mit Gesang die Sterne grüßten,
Thiere zogen fromm und zahm!

Jene Weisheit ist verloren
Unter Gaukler, unter Thoren
Stößt ein fremder Pöbel mich;
Weh, was ließ ich den geliebten
Strand des Nils, o dich Aegypten,
Grab der Könige und dich;
Wo beim Staub der Pharaonen
Theure Seelenwandrer wohnen,
Könnt’ auch ich im Schatten thronen
Hochgeehrt und priesterlich.

Hier ist alles wie zerrissen;
Nirgends knüpft ein Allmachtwissen
Erdennacht und Himmelspol,
[26] Durch bedeutungslose Ferne
Irren tonlos hier die Sterne,
Alles tönt mir leer und hohl;
Ihr zerreißt den Isisschleier,
Aber saget nun, Entweiher:
Sehet die Natur ihr freier,
Seit zertreten ihr Symbol?

Fromme Vögel seh’ ich schweben
Nach dem tempelreichen Theben,
Bald fliegt meine Seele mit;
Wenn der Sternenkreis vollendet,
Wenn zum Thal der Nil sich wendet,
Siegeshoch im Segensschritt,
Nimmer weil’ ich dann hienieden –
Hohe Nacht der Pyramiden,
Nimm mich auf, wenn ich um Frieden
Deine goldnen Thore bitt’!



[188]  
 

Neapels Golf.

1.

Die See geht hoch, die Sterne glänzen,
Neapels Golf liegt vor uns da
In Nacht, geschmückt mit allen Kränzen,
Hier Cap Misen, dort Ischia!

Wie Riesen trotzig, feste Thürme
Schau’n von dem Ufer in das Meer,
Aus früher Zeit der Völkerstürme,
Des Zaubergürtels Schutz und Wehr.

O lockend war’s um dich zu ringen
Italien, Seebraut huldgekrönt,
Wie oft hat hier, dich zu bezwingen,
Der Krieger Schlachtenruf getönt!

Entstammt von deinem Ruhmeskranze
Bekämpften sich die Sturmeswehn,
Mit Feuer, Schwert und Eisenlanze
Bandale, Sachse, Sarazen.

[189] Nun drunten längst in Klipp’ auf Klippen,
Schläft bei des Pariers Marmorstein,
Bei Gold Carthago’s, bei Gerippen
In Sidons Purpur ihr Gebein.

Sie greifen oft im Traum von Siegen
Zum Schwerte, das die Feinde traf,
Doch Amphitrite’s Töchter wiegen
Die Helden wieder ein in Schlaf;

Und Eos streuet Rosen lächelnd
Auf Inseln, Vorgebirg und Schlucht,
Und ihr entgegeneilet fächelnd
Ein Zephir über Bajä’s Bucht.


[190]

2.

Das Grab Virgils schmückt ewig ein Blüthenkranz
Im dunklen Reblaub über dem Felsenpfad,
Und drüben in Sorrento flüstern
Schwellende Wogen Gesänge Tasso’s.

Auch dort, wo Typhons Zorn in den Kratern rollt,
Wo donnernd ausströmt Rauch und unendlich Glühn,
Aus Asche blüht auch dort Weinstock;
Siege, ja siege Lyäus, Sieger!

Du, kühn mit Panthern scherzender Genius,
O schreit’ hervor aus deinem Gebirg, wo spät
Der Eremit noch kniet, und Mondlicht
Zwischen den Säulen des Klosters schimmert!

Wenn aus den Kratern bis zu der Sterne Chor,
Daß selbst der Erdgrund bebt, Meteore sprühn,
Dann komm’ zu uns, und sei mit uns – und
Lach’ uns im perlenden vollen Kelchglas!



[191]

Auf dem Vesuv.

Wir hatten uns am Kraterrand
Die Fackeln angezündet,
Und schwangen nun in unsrer Hand
Die Gluth vom Feuerherde,
Der aus dem Grund der Erde
In Flammen sich entschlündet.

Ich ließ voraus den Führer gehn,
Und blieb in Nacht und Stille
Allein noch bei den Felsen stehn,
Nur über mir die Sterne,
Nur tief aus dunkler Ferne
Der Nachtgesang der Grille.

Nur hie und da ein Meteor
Stieg aus den Kratertiefen
Ins schweigende Azur empor,
Und zeigte mir die Spuren
Erloschner Lavafluren,
Die ringsum lautlos schliefen.

[192] Welch ungeheures Todtenreich!
Und außer mir kein Leben,
Kein Leben fühlt’ ich, und zugleich
Fühlt’ ich ein tödtlich Trauern,
Ein namenloses Schauern
Mein einsam Herz durchbeben.

Ich sah in dieser dunklen Kraft,
Die ewig gährt und nimmer
Trotz aller Gluthen Segen schafft,
Das Abbild eines Strebens,
Das groß ist, doch vergebens,
Das schön ist, doch nur Schimmer.

Unendlich einsam fühlt’ ich mich;
Mir war’s, als ob der warme,
Aus meiner Brust, der Odem wich,
Als sänk’ ich schon den kalten
Planetischen Gewalten
Versteinert in die Arme.

Und eine Sehnsucht ging mich an
Nach oft geschmähten Banden;
Mich zog’s nach allem Weh und Wahn
Des Erdenlebens wieder.
Erhöhter stieg ich nieder,
Als oben ich gestanden.

[193] Wie leuchtete das Licht so schön
Aus den gestirnten Fluren
Auf Buchten, Haine, Rebenhöh’n
Durch’s Dunkel der Kastanien;
Die Nacht lag auf Campanien
Und auf dem Meer azuren.



[194]

Pompeji.

Auferstandne Stadt der Heiden,
Sei gegrüßt, Ersehnte du!
Heut noch heiter wie beim Scheiden
Lachst du deiner Sonne zu.

Ueberall aus dunkler Lava
Drängen Blumen sich an’s Licht,
Die Reseda, die Agava,
Auch die Myrthe fehlet nicht.

Rosen blühn im Schlafgemache –
Lippen, die schon längst verdorrt,
Sprachen in der schönsten Sprache
Hier dereinst der Liebe Wort.

Um die Säulen rankt sich wilder
Epheu und wie früher schau’n
Die erstandnen Marmorbilder
Auf zum alten Aetherblau’n.

[195]
Nur des Meeres wechselvolle
Woge, die sonst hier gekreis’t,
Wich von ihrer Uferscholle,
Und wie sie der Menschengeist.

Eine andre Menschheit baute
Dieser Tempel heitern Raum,
Und nur fremd sieht die ergraute
Ihrer Jugend fernen Traum.

Nur wie halbverstandne Dichtung
Mahnt auch mich, was hier noch glänzt;
Ach, ich fühl’s, wie gut Vernichtung
Und Vollendung sich begrenzt.

Freudig kam ich, Stadt der Alten,
Und mit Wehmut scheid’ ich nun.
Würdest unter deiner kalten
Lava du nicht besser ruhn?

Auf die Worte der Beschwörung
Stiegst du zögernd aus der Gruft;
Jetzt erst faßt dich die Zerstörung,
Schatten taugt nicht Himmelsluft.



[196]

Bajä.

Mit Purpursegeln fliegt nach der Küste zu
Ein reizend Prachtschiff, ist es ein Geisterboot
Aus jener alten Heideninsel,
Eine der goldenen Gondeln Nero’s?

Nach seiner marmorstrahlenden Villa fährt
Der Herrscher Roms und kost der Geliebten Haupt
Und zärtlich spricht er: „Nimm die Lyra,
Rühre die Saiten, geliebte Cypris!“

Horch, voll die Lyra klang, und es sang das Kind:
Als jene Gluthnacht wüthend um Rom sich schlang,
Da warf das Feuer vor dich nieder
Einen verbrennenden Zweig vom Lorbeer.

Ich sah auf dich, Herr! Ruhig erhobst du dich,
Schlugst deine weltmüd-trunkenen Augen auf,
Und lächelnd sprachest du die Worte:
„Ilions Flammen verdunkelt  e i n  Tag.“

[197] So möcht’ auch ich von liebender Gluth verzehrt
Zu deinen Füßen sterben, und sterbend noch
Dich küssen! Siehe, deine Sklavin
Bietet dir Persephoneia’s Aepfel.

Die schöne Nymphe sang es, und Nero sprach:
„Wenn einst hereinbricht meine Verhängnißnacht,
Erhebe dich zuerst und stürze
Ueber die Scheiter mir nach zum Orkus!“



[198]

Lied im Süden.

Sonnenuntergang!
Lautlos ruhen Säulengang
Und verlassne Marmorbäder,
Wo den stillen Weg entlang
Noch antiker Wagenräder
Furchen trägt der Lavastein.
Roth im Abendschein
Wirft der Oelwald längre Schatten
Längs der braunen Felsenplatten
Um den Bergabhang –
Sonnenuntergang.

Abenddämmerung!
Blumen athmen wieder jung!
Und in uns erblühn die weißen
Rosen der Erinnerung.
Könnt’ ich sie verwelken heißen?
Schnell im Süden kommt die Nacht,
Flüchtig ist die Macht
[199] Deines schwärmerischen Glückes,
Wie die Flammen eines Blickes,
Voll Begeisterung,
Abenddämmerung.

Sommermitternacht!
Nur noch die Cicade wacht,
Ringsum ruhn die dunkeln Thäler.
Unter alter Tempelpracht,
Wo gestürzte Capitäler
Meine Kissen, wo mein Haupt
Lorbeer selbst umlaubt,
Sollt’ ich’s nicht gestehn im Liede,
Wie dein tiefer, stiller Friede
Ganz mich glücklich macht,
Sommermitternacht!



[200]

Pästum.

Brütend liegt der Mittag über
Pästums öder Fiebergegend,
Schwüle Nebel niederlegend,
Selbst die Sonne schimmert trüber,
Und die alte Stadt Poseidons,
Stumm und einsam liegt sie da,
Ein zerstörtes Sodoma.

Auf zerbrochnen Steincolossen
Umgestürzter Architrave
Blühen Cactus und Agave,
Um die alten Mauern sprossen
Rothe Blumen und Akanthus;
Duftig wuchern drüberhin
Thymian und Rosmarin.

Nur ein gelber Tempelriese
Trägt noch seine Quaderbalken,
Um den Giebel fliegen Falken,
Epheu rankt sich um die Friese;
[201] Und die Natter und die Eidechs
Sonnt sich an der Tempelwand,
Wo geflammt der Opferbrand.

Ungebrochen stehn die schlanken
Dorersäulen; ein Jahrtausend
Sahen sie vorüberbrausend;
Throne stürzten, Völker sanken;
Ueber ihre Marmorhäupter
Wie durch’s Meer, dem sie geweiht,
Weht ein Hauch der Ewigkeit.



[202]

Capri.

Am Abend kamen die Winde frischer,
Wir fuhren das holde Capri vorbei,
Die Barcarole sang ein Fischer
Und hing sein tropfend Ruder bei.

Zwei Vorgebirge, die Bucht umragend,
Erhoben, von Kaktus und Wein umlaubt,
Der Vorzeit Mauerkronen tragend,
Ihr sonnverbranntes Felsenhaupt.

Dort drüben die Villa des Römertyrannen,
Ein wüster zertrümmerter Steincoloß,
Und hier, fast wie aus deutschen Tannen
Ein hohenstaufisch Felsenschloß.

Der Schiffer wußt’ uns viel zu erzählen
Vom finstern Cäsar Tiberius,
Wie er dort oben in prunkenden Sälen
Gehaust voll Angst und Ueberdruß,

[203] Und wie er um die hohlen Schläfe
Beim Blitzgezuck am Meeresstrand,
Befürchtend, daß der Gott ihn träfe,
Den Lorbeer schlang mit feiger Hand.

Und weißt du, fragt’ ich, nichts zu sagen
Von jenen andern Trümmern dort?
Lebt auch von ihres Herrschers Tagen
Noch ein Gedächtniß der Menschen fort?

Der Schiffer fuhr sich über die Stirne,
Und sprach: das ist ein vergessener Traum;
In meinem alten Matrosengehirne
Vergehn die Märchen wie Meeresschaum.

Er sprach’s und eine Mandoline
Erklang vom Strand – es mahnte mich,
Als käm’ aus jener Burgruine
Ein klagend Echo: Friederich.

Und nicht mehr in den öden Gängen
Den finstern Römer sah ich drohn;
Ich sah bei Fest und Minnesängen
Constanza’s blondgelockten Sohn.

[204] Ich sah an des Altanes Borden
Ihn sinnend stehn, auf’s Schwert gelehnt,
Im Geist bekümmert um den Norden,
Das Herz dem Süden zugesehnt.

Und als schon Nacht den Strand umwebte,
Der Mond im dunkeln Meer erblich:
In meiner Seele Tiefen bebte
Noch lang das Echo: Friederich.



[205]

Im Colosseum.

Es leuchtet mir Orion
Vom dunkeln Himmelssaum,
Versteinter Hyperion,
In deiner Oede Raum.

Hier ragten einst die Hallen
Wie du Titan zum Licht;
Es hieß in Schutt sie fallen
Ein ewiges Gericht.

Nun lerne Stolz sich beugen,
Wo Trümmer unerreicht
Von solcher Größe zeugen,
Daß Grau’n das Herz beschleicht.

Einst Meer von Menschenwogen,
Käfigt und Kerkerschlund
Auf Pfeilern, Säulenbogen
Ein kleines Erdenrund.

[206] Das Wuthgebrüll des Tigers,
Wie klang es angenehm
Dem Satyrohr des Siegers
In Band und Diadem.

Des Fechters trotzige Miene
Zeigt noch im Tod die Wuth;
Ha! träufelt Baldachine
Den Balsam in sein Blut.

O mich ergreift ein Schauer!
Die Welt, die hier verging,
War marmorn wie die Mauer,
An die sie Kränze hing.

Trotz aller Blumenkränze
Blieb Erz des Heiden Brust,
Trotz aller Lust der Tänze
Und aller Chöre Lust. –

Noch lang wird mich begleiten
Das Bild von einem Sein,
Daß hier in alle Zeiten
Laut spricht aus jedem Stein.

[207] Wo Wuth und eitle Größe
Um Menschenblut geloost,
Fließt nun für Noth und Blöße
Der Gottesliebe Trost.



[208]

Ode an die Dioskuren.

Dein in Nacht eindunkelndes Land, o Rom, und
Alles ruht schon, aber am Himmel zuckt es
Wetterschwül herauf, und erhellt die beiden
Erz’nen Colosse.

Euch begrüß’ ich, mächtige Meerbeherrscher!
Euch begrüßt mein Lied, Polydeukes dich, und
Castor! muthvoll euch zum Olymp auf schwingt ihr
Söhne der Leda!

Während Blitz auf Blitz mit dem Dunkel streitet,
Eilt ihr her auf schimmernden Rossen – flatternd
Nachtgewölk hindurch und dem Schiffer hülfreich
Mitten im Seesturm!

Tief ins Vorzeitgrau zu den Göttern führt ihr
Meinen Blick zurück zum Heroenalter,
Und zurück zu Helena’s unvergänglich
Lockendem Liebreiz.

[209]
Welch ein herrlich Menschengeschlecht umblüht euch!
Jagdenfroh, kühn, wild, in der vollen Schönheit
Erster Jugendkraft, in beständ’gem Kampf mit
Himmel und Erde. –

Doch als lang hernach in der Zeiten Umlauf
Hellas’ Volk aufblüht in erhab’ner Freiheit,
Horch, da schallt Siegsruf, am Olymp, am Isthmus
Donnern die Wagen!

Auf zum Wettkampf eilt, was Athen, was Argos
Oder Sparta’s Fluren bewohnt, es drängt sich
Schar an Schar kampftüchtiger Männer, hoher
Göttergestalten.

In des Tempels schattigem Hain, wo hochher
Ueber Lorbeer Pinien schau’n, da schimmern
Weihgeschenke rings, und in Purpur goldreich
Strahlende Gürtel.

Auf! ans Ziel jetzt! Zügelt die Hengste, Knaben! –
So zwingt Muth, rein menschlicher Muth die Wildheit,
So hält Freiheit ruhig die Zügel aufrecht,
Ruhig und siegreich!

[210] Welch ein Tag, ihr Himmlischen! Wie das Volk jauchzt!
Um den Sieger jauchzt, den der Fichtenzweig krönt!
Von des Sängers Lippen erblüht ihm – ewig
Dauernder Nachruhm.

Doch nur ihr seid Allen das schönste Vorbild
Edlen Sinns und muthiger Jugend! Liebend
Theilt ihr euch in alle Gefahr und alle
Freude des Sieges!

Auch am Himmel bleibt ihr vereinigt; liebend
Steigt ihr selbst zum Orkus hinab, und theilet
Dort Unsterblichkeit, und zugleich die dunkeln
Loose des Todes. –

Längst in Erzguß ragend am Meer sah staunend
Euch die Nachwelt; aber es kamen einstmals
Feindlich her, hochsegelnd im Kriegschiff, siegsstolz
Trotzige Römer.

Und zu Schiff mit, Walzen und Tau nachschleppend,
Trug das kriegslustschnaubende Volk posaunend
Im Triumph euch Herrliche zu des Cäsars
Hohem Palastthor.

[211] Hier nun knie’n auch wir, von dem fernsten Grenzland
Dieses Weltreichs über Gebirg und Meerfluth
Angelangt, wir Fremdlinge; euch den Rettern
Nah’n wir mit Dankgruß.

Schirmt auch uns, auch ferner noch! Lenket huldreich
Unsre Heimfahrt, gebt uns Geleit und Segen
Auf dem Weg nach Haus, nach der süßen Heimath,
Söhne des Aethers!



Egeria-Grotte.

Egeria, lieblicher Name, du lebst
Im Hain noch, im Felsen der Quelle,
Im Dunkel der Eichen! Du weilst, du webst
Am Brunnen, im Eppich der Schwelle!
  
Hier ward, o Nymphe, mit Reigentanz
Dein Fest gefeiert in Chören –
Die Stürme der Zeit vermochten nicht ganz
Den heiligen Frieden zu stören.
  
Hier könnt’ ich vergessen all’ irdische Pein,
Die Sorgen in Lethe versenken.
O Tal der Liebe, stets will ich dein,
Hetrurisches Tempe, gedenken!
  
Ich glaub’, es kommen in deinem Raum
Vom Born, aus dem sie stammen,
Die Seelen der Menschen, beflügelt im Traum,
In heimlichen Stunden zusammen.
  
[213] Im Schlummer führt Eros an liebender Hand
Zu Lauben im Schatten der Myrten,
Aus Fluthen den Schiffer an’s heimische Land,
Zu Hirten aus Nacht die Verirrten.



[214]

Campagna Roms.

Wie mild erleuchtend längs der Ruinen dort
Des Herbstes frühaufstrahlender Mond erglänzt,
In goldnen Schlummerwellen hinströmt
Ueber den Hügeln der Oede Romas!

Der Bäder, Aquädukte, der Tempel Rest –
Dazwischen uralt heiliger Haine Nacht,
Zerstörte Circusmauern, Trümmer
Ruhend im Dunkel und tief im Grabschutt.

Erhab’ner Anblick, düster und ernst genug,
Daß aller Schauer einer versunk’nen Zeit,
Und  w e l c h e r  Zeit! uns anweht, jener
Eh’rnen Epoche der Welterob’rung.

Ein Klang der Vorzeit rauscht mit des Adlers Flug
Aus jedem Denkmal, aber noch schwebt ihr Geist
Im stolzen Laut der alten Sprache
Ueber den einst unterjochten Erdkreis.



[249]

Neapel.

Vom Golf Neapels bis zur Nordsee klaffen
Die Länder auf in Haß – hie Ghibellinen,
Hie, Welfen, hie Verwüstung und Ruinen!
Hie Flammen, Sturmlauf, Rosse, Banner, Waffen!

Canossa läßt die Rache nicht erschlaffen,
Vom Gotthardt führt mit seinen Paladinen
Der Rothbart die gewaffneten Lawinen –
Wer wird der Welt Alleingewalt erraffen?

Nicht Friedrichs hohe Kraft und nicht sein zweiter
Nachkomme sieht den Krieg, die Feinde taufen
Mit neuer Gluth stets neu erglühte Streiter.

Kann deinen Frieden, Erde, nichts erkaufen,
Als rollend unter blutbespritzte Scheiter
Das blonde Haupt des letzten Hohenstaufen?



Quelle:
Hermann Lingg: Gedichte. Erster Band. Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1871.

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[316]

Der Doge an das Meer.

Wenn Morgen sich erhebt am Himmelsbogen
Die Sonne strahlend aus Venedigs Wiege,
Nimm hin den Ring zur Mitgift seiner Siege,
Das Pfand der Treue, das noch nie getrogen.

Weh! wenn es je dem Grunde deiner Wogen,
Dem Schooß der anvermählten Fluth entstiege,
Entankert von dem Eisenarm der Kriege,
Vom Netz des blinden Glücks emporgezogen.

Es sink’, daß uns die Wellen es versöhne,
Die tausendfach um dieses Eiland prallen,
Der Tugend reinstes Gold und alles Schöne

Kann so dem Abgrund, so der Nacht verfallen.
Hinab, ihr Nachtgedanken! übertöne
Die Furcht, o Meer, mit deinen Stürmen allen!



[379]

Deutsch-italische Grenzstädte.

Am Eingang zu dem Zauberlande,
Worin die schöne Göttin ruht,
Steht ihr wie Riegel, Schloß und Bande,
Ihr alten Mauern, auf der Hut.

Von Höhn, wo nah’ den Wolkenballen
Der Adler trinkt die Alpenluft,
Scheint ihr ins Thal herabgefallen,
In Rebenlaub und Lindenduft.

Ihr selber seid ja Adlerhorste,
Den Felsen an- und eingebaut;
Um eure Schluchten, eure Forste,
Wie warm des Südens Himmel blaut!

Die wilden Gletscherbäche münden
An Rebhöhn in der Sonne Gluth
Und die läßt ihre Strahlen zünden
Am Eis noch in der Traube Blut.

In diesen tiefen Felsenrachen
Voll Urwelttrotz, voll Zaubertrug,
Hier war es, wo die Brut des Drachen
Der Held, der deutsche Recke, schlug.

[380] Hier war’s, wo man der Erker baute
Und Burgen in das Felsgestein,
Und während unten klang die Laute,
Schlug oben Schwerterklang darein.

Dann ging’s mit raschen Eisenschritten
Hinunter durch Italiens Thor,
Verwandelt wurden Sprache, Sitten,
Gewaltig, wie noch nie zuvor.

Ihr alten Städte seid die Zeugen
Des Uebergangs der Wanderung,
Ihr saht die alte Welt sich beugen,
Die neue werden stark und jung!

Und Dome bauten dann die Recken,
Zu ruhn darin, nicht in der Gruft,
Sich auf dem Steinsarg auszustrecken,
Im Tod noch hoch in freier Luft.

So ruhn sie in den Sarkophagen
Und reden von dem langen Streit,
Von Dietrichs Fahrt, von Chriemhilds Klagen
Und von der Rosengartenzeit.



[381]   

Abschied von Venedig.

Noch tief im Morgenschlummer ruht
Die Königin der Meeresfluth,
Kaum hie und da ein Ruderschlag,
Der Gruß von einem Gondolier,
Der über Nacht zufrieden hier
In seiner Barke lag,
Bekündet schon den Tag.

Aus Nischen flackert hie und da
Ein Schimmer, dem Erlöschen nah,
Zuweilen schmettert wie im Traum,
Man weiß nicht wo, mit süßem Schall
Ihr letztes Lied die Nachtigall,
Zuweilen winkt ein Blüthenbaum
Von stiller Höfe Raum.

Lebwohl nun, stolze Stadt im Meer,
Von dir zu scheiden wird mir schwer;
Bei diesem Glas voll Sonnengluth,
Bei diesem Glas voll Malvasier,
[382] Für manchen schönen Traum in dir
Hab’ Dank, du Fee der Meeresfluth –
Für jeden Blick, der mir gelacht
Aus deiner Augen Nacht!



[383]    

Ravennas Pinienwald.

An Inseln bist du reich, an wundervollen,
O heilig Meer, an Felsengrotten auch,
Doch ganz scheint dir der Pinienwald entquollen,
Womit Ravenna schmückt dein Zauberhauch!
Da rauscht’s in luft’gen Höhn wie Wogenrollen.
Das Sonnenlicht umspielt den Rosenstrauch,
Wie Perlen schön und reicher noch und bunter
Blüht als Mosaik Wiesenschmuck darunter.

Zuweilen rauscht’s wie eines Raben Schwingen,
Lacerten huschen an dem Weg vorbei
Und wilde Rosse tummeln sich und springen
Und schaun dich an und schnauben stolz und frei,
Ja hier ist etwas, das von Schmerz bezwingen,
Das Unglück lindern kann, wie groß es sei.
Den Herzen, welche schwer gelitten hatten,
Entweicht der Gram in dieser Bäume Schatten.

Weit draußen ruhn vergangner Größe Spuren
Und fernher nur dringt noch ein Widerhall
[384] Der Schlachten, die dereinst vorüberfuhren,
Um Mauern, bald sich neigend zum Verfall.
Hier blühn in unversehrtem Schmuck die Fluren,
Hier singt im Lorbeerbusch die Nachtigall
Und in dem Ernst der hohen Wipfel walten
Allein der Dichtung heilige Gestalten.



Quelle:
Hermann Lingg: Gedichte. Zweiter Band. Stuttgart 1871.

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