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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Heinrich Leuthold

Kurzbiografie

Heinrich Leuthold (*5. August 1827 in Wetzikon bei Zürich – †1. Juli 1879 in Zürich) wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Eltern bäuerlicher Herkunft wurden 1831 geschieden. Trotz ungünstiger familiärer Vorraussetzungen studierte er nach dem Besuch der Mittelschule in Fribourg seit 1845 an den Universitäten Zürich, Bern und Basel Jura. Wegen schwindenden Interesses und Überforderung durch den Umstand, sein Studium selbst finanzieren zu müssen, kam es nicht zu einem akademischen Abschluss. Mit größerem Interesse hörte er in Basel philosophische Vorlesungen, deutsche Literatur bei Wilhelm Wackernagel (1806-1869) und Geschichte bei Jacob Burckhardt (1818-1897). Mit Lina Trafford-Schulthess, die er in Zürich kennengelernt hatte, pflegte Leuthold eine jahrelange Liebesbeziehung (1849-1870) und unternahm mit ihr längere Reisen in die französische Schweiz, nach Savoyen und Italien. 1857 ging der Dichter nach München, wo er Mitglied des literarischen Vereins „Krokodile“ wurde und sich mit Emanuel Geibel (1815-1884) anfreundete. Seit 1860 war Leuthold als Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ tätig, 1864 wechselte er zur „Schwäbischen Zeitung“ in Stuttgart, wo er zwar offiziell für den politischen Teil zuständig war, tatsächlich jedoch meistens als Literatur- und Kunstkritiker arbeitete. 1866 kehrte er nach München zurück, wo er sich erneut mit Energie seinem literarischen Schaffen zuwandte. Wegen Paralyse wurde er 1877 in die Heilanstalt Burghölzli bei Zürich eingewiesen, wo er zwei Jahre später verstarb.
Leutholds bedeutendstes Schaffen liegt in der Lyrik. Das immer noch bekannteste Gedicht ist wohl „Der Waltsee“. Anlässlich seiner Reise nach Italien entstanden 1857 die „Lieder von der Riviera“, in welchen er u.a. den positiven Einfluss Italiens auf sein Wohlbefinden beschreibt. In Geibels „Münchener Dichterbuch“ (1862) war er mit dreizehn Liedern vertreten. Kurz vor seinem Tod erschien eine von Leutholds Freunden Gottfried Keller (1819-1890) und Jacob Baechthold (1848-1897) herausgegebene Sammlung „Gedichte“ (1897).

Gerd Gruitrooy



[38]

Ave Maria

Mit ihren Wonneschauern naht sie sacht,
Auf leichten Sohlen schleicht sie mild einher,
Die sanfte Zauberkönigin, die Nacht,
Und ihres Sternenmantels stille Pracht
Ausspannt sie langsam übers Mittelmeer.
Vom Kirchlein, einsam auf dem Fels am Strand,
Weht leises Läuten über Meer und Land.
Sonst alles still. Nur durch das Schilf spielt lind
Der Abendwind …
Ave Maria!

Nun lehnt der braune Schiffer stumm am Mast
Und sinnend starrt er in die offne See;
Er denkt der Seinen bei der Abendrast,
Und ihn, des Meeres stäten rauen Gast,
Erfaßt ein banges ungewohntes Weh.
Ob er sie wiedersehen wird, ob nicht,
Die ferne Heimat? Ach, er weiß es nicht.
Er betet leis und Tränen rieseln lind
Für Weib und Kind …
Ave Maria!

Der finstere Bandit im Apennin
Wirft hin die Beute, die er frech geraubt.
Das Abendläuten, fremd ergreift es ihn;
Er schlägt das Kreuz, liegt reuig auf den Knien,
Geneigt sein trotziges verfemtes Haupt.
Des Tages Sorgen warf er über Bord;
Die Hände, die noch blutig sind von Mord,
Er streckt sie himmelwärts. Durch seine Seele geht
[39] Ein stumm Gebet …
Ave Maria!

Ich aber steure lässig meinen Kahn;
Des Weltengeistes Odem lausch ich stumm
Und meine Seele taucht, ein weißer Schwan,
Sich in der Sehnsucht stillen Ozean:
Die Liebe sei  m e i n  Evangelium.
Im Norden fern im engen Kämmerlein
Weint jetzt ein blondes Kind und denket mein.
Die jedes Glück, die mir den Frieden lieh
Und Poesie …
Sei gegrüßt, Marie!


Mittagsruhe

Mit schattigem Kastanienwalde
Senkt sich vom Apennin die Schlucht;
Limonen schmücken reich die Halde
Und Öl und Wein umkränzt die Bucht.
Ein dunkles Kloster liegt zur Seite,
Der Weg von Blüten überschneit.
Vor und dehnt sich des Meeres Weite,
Ein Sinnbild der Unendlichkeit.

Es tönt die Welt mit keiner Kunde
In unsern Frieden störend ein.
Wie zählen weder Tag noch Stunde:
Das ist ein süß Begrabensein,
Das ist ein seliges Verbluten,
Dem unsre Seelen sich geweiht.
[40] Natur wälzt ihre Wollustfluten
Lautlos um unsre Einsamkeit.



[41]

Bei Nervi

In diesen Silberhainen von Oliven
Hab ich die Heilung aller meiner Wunden
Und auch die heitre Lösung nun gefunden
Von meines Lebens ernsten Hieroglyphen.

Unstät und finster war ich einst im Norden;
Wie dieser Himmel fließen nun die Tage
Mir blau und sonnig hin und selbst die Klage
Ist mir zu lieblicher Musik geworden.



Nach einem ligurischen Volksliede

Mein Liebster keck ist ein Matros,
Er kämpft mit Wind und Wasserhof;
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Von seinem Schiff und meiner Brust
Band er die Taue los.

Ich zöge gern mit Herz und Hand
Das flüchtge Schiff zurück zum Strand;
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Doch meine Sehnsucht treibt es nur,
Es flieht schon weit vom Land.

Mein Liebster spannt das Segel quer;
Wie rauscht sein Kiel durchs wilde Meer!
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Ich weiß nicht, bringt ihn wiederum
Ein guter Wind mir her?

[42] Was baut ich auch, ein töricht Kind,
Auf Häuser, die entführt der Wind!
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Nun wein ich mir die Wangen blaß
Und meine Augen blind.

Mein Liebster steuert südenwärts,
Die Flut empfindet nicht den Schmerz;
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Er führt so kräftgen Ruderschlag
Und jeder trifft mein Herz.

Schlag er das Meer nur immerhin,
Das treulos ist und falsch von Sinn!
– Das Schiff zieht in die Ferne –
Doch warum schlägt er auch dies Herz,
Das nichts geliebt als ihn?



Das Mädchen von Recco

Dort stand die herrliche Gestalt am Strand.
Dem Schleier gleich, der Land und Meer umwob,
So der Pezotto ihren Leib umwand,
Ein Duftgewand,
Das kecken Spiels die Tramontana hob.

Hinzog ein Schiff. Ein Jüngling stand am Mast,
Er jubelte und schaute kaum zurück;
Es schien, als fühlt’ er sich erleichtert fast
Von einer Last,
Als träumte er von einem künftgen Glück.

[43] Sie aber wandte hastig sich; sie kam.
Welch schlanker, welch harmonisch schöner Leib!
Auf ihrem Antlitz mischten wundersam
Sich Zorn und Scham;
Halb war sie Kind noch, halb ein blühend Weib.

Fern trieb sein Schiff. Vor seinem Auge stand
Die reiche Welt, ein täuschend Farbenspiel,
Indes hier eine Perl aus feiner Hand
Ihm in den Sand,
Vielleicht die einzge seines Lebens, fiel.

Es dunkelte. Die Brandung jauchzte wild.
Am fremden Strande schritt ich sinnend hin;
Mein trotzger Sinn ward weich gestimmt und mild
Vor diesem Bild …
Mir war, als läg ein ganzes Leben drin.



[44]

In ein Album

Genua! es geht die Rede,
Ohne Fische sei dein Meer
Und dein Land an Bäumen leer,
Deine Männer senza fede.

Wären Wahrheit diese Lügen,
Würde reichlich zum Ersatz
Schon der  e i n e  seltne Schatz
Deiner schönen Fraun genügen.



Auf eine Italienerin

Nach dem Takte fremder Lieder
Schwebst du lieblich hin im Tanz;
Dieses Ebenmaß der Glieder
Fesselt meine Sinne ganz.

Diese Locken, diese dunkeln,
Dieser Glieder stramme Kraft
Und im Auge dieses Funkeln
Einer trunknen Leidenschaft.

[45] Aber Maß und Anmut zügeln
Die Begier; sie schweigt besiegt,
Wo die Schönheit sich auf Flügeln
Ihres eignen Wohllauts wiegt.



Die Kapelle am Strande

Langsam und kaum vernehmbar teilt
Die wellenlose Flut der Kiel …
In meiner Seele zittert nach
Der Ton aus einem Saitenspiel.

Kaum sichtbar schwebt am Horizont
Ein weißes Segel durch die See …
So durch das spiegelklare Herz
Bebt mir ein leises süßes Weh.

Horch, dieser sanft gedämpfte Laut,
Der Erd und Himmel mild versöhnt!
Das Abendläuten ists, das fern
Von der Kapelle niedertönt.

Bescheiden von dem Felsgrund sieht
Sie übers Meer, so endlos weit …
So schauet wohl ein fromm Gemüt
Hinüber in die Ewigkeit.



Für Musik

(Sampierdarena)

Wenn des Leuchtturms milde Helle
Überströmt die Meereswelle,
[46] Wenn der Sterne schimmernd Heer
Ausstellt seine ersten Wachen,
Dann, o Leben, treibt mein Nachen
Heiter übers goldne Meer.

Reiche Ladung dann zum Molo
Lenkt der braune Barcajuolo,
Während ihm zu sichrer Ruh
Winkt vom Hafen die Laterne …
Doch mich locken schönre Sterne
Einem süßern Ziele zu.

Wie Geräusch des Wellenschlages
Leis verhallt der Lärm des Tages,
Die Gewerke schlummern ein;
Stumm die Darsena, der Bagno …
Aber drüben am Bisagno
Wacht und harrt die Liebe mein.

Nimmer schreckt mich Flut noch Brandung;
Herrlich die verwegne Landung
Lohnt sie, wenn ich bei  i h r  bin …
Niemals größre Wonnen fand er,
Wenn die Sehnsucht zog Leander
Zu der schönen Gestierin.



Neapel

Den Vesuv, doch ohne Feuer,
Seh ich, aber leider solo.
Auf dem vielberühmten Molo
Wandl ich ohne Abenteuer.

[47] Auch Gesindel hier, doch ohne
Jene genialen Funken.
Hie und da nur schlafestrunken
Grinst mich an der Lazzarone.

In der Ferne meerumschlungen
Ragt dort Capris felsig Eiland,
Wo Sirenen hausten weiland
Und wo Platen jüngst gesungen.

Eine Barke zieht vom Stapel.
Gähnend schau ich die Gesichter
Zum Beweis, daß selbst ein Dichter
Sich gelangweilt in Neapel.



Fragment aus Sizilien

Wo der azurnen Woge Spiel
Sich bricht am Apenningeklipp,
Begrüßt ich jüngst auf leichtem Kiel
Dein Grab, Virgil,
Am grottenkühlen Posilipp!

Und Platens Gruft besucht ich heut
Hier, wo Siziliens fremder Strand
Ihm seinen schönsten Lorbeer beut
Und Blüten streut,
Die ihm versagt das Vaterland.

So ging zur Ruh im Aschenkrug
Nun jenes Herzens mächtger Puls,
Der, als er noch begeistert schlug,
[48] Mit Pindars Flug
Vereint den weichen Ton Tibulls.

Ruh sanft, o Platen! Wer verbannt
Vom Volk, das er zumeist geliebt,
Wer von der Heimat, schwer verkannt,
Sich abgewandt,
Ist müd, auch wenn er ihr vergibt.

Und doch beneid ich dich. Denn dort,
Wo sie dich kühl verleugnet, rauscht
Dein Name schon geflügelt fort;
Es zählt dein Wort
Zu jenen, drauf die Zukunft lauscht.



Mit Freunden

Freunde, lagert euch im Schatten
Dieser üppigen Platanen,
Windet um die heißen Schläfen
Grünen Efeu und Lianen!

Schenke, spend uns nun des Weines
Flüssig Gold im Überflusse!
Denn wir brauchen reiche Opfer
Zum Gedächtnis hoher Ahnen.

Diesen vollen Becher jenen,
Die im Reich der Kunst, des Geistes
An der Vorzeit kolossale
Mythische Giganten mahnen:

[49] Goethe! Byron! die den kleinen
Geistern, die seither erstanden,
Wie die Sonne den Planeten
Vorgezeichnet ihre Bahnen.

Hier, wo sie gewandelt, laßt uns
Üben den Gesang und opfern,
Daß zur Dichterweih um unsre
Seelen schweben ihre Manen.

Doch auch wir sind Nachgeborne.
Was wir ziehn, ist spielend Laubwerk,
Das sich rankt um Riesenbauten
Jener mächtigen Titanen.



[55]

Venedig

Venetia, wie bist du tief gesunken!
Herrin des Meeres einst und dreier Reiche,
Nun leblos, eine schöne Marmorleiche,
Um die noch Gold und irdsche Flitter prunken.

[56] Und deine Kunst! Wie oftmals stand ich trunken
Vor Tizian, dem keiner sich vergleiche,
Bellin und Paul und Palma, deren reiche
Schöpferische Kräfte lichte Gottesfunken.

Und doch ich kann, ich kann nicht um dich trauern,
Ob deine Heldengröße auch zertrümmert,
Ob auch entblättert deine Lorbeerkrone:

Blieb doch die Schönheit noch in deinen Mauern.
Ein Tor, der um Vergangenes sich kümmert,
Sieht er das Volk hier in Palästen wohnen!


Genua

1

Von diesen braunen trotzigen Kastellen
Siehst du die stolze prächtge Stadt sich dehnen;
Der Hafen wimmelt, wie von Riesenschwänen,
Von Schiffen, deren weiße Segel schwellen.

Die Küste liegt im Glanz, im morgenhellen,
Colombos Heimat, Voltri, reich an Kähnen;
Hier Pegli mit den Gärten und Fontänen;
Das ferne Korsika entsteigt den Wellen.

Groß stimmt mich die Pracht, die niegeschaute,
Dies Meer, die reichen Wein- und Ölgelände,
Die Schönheit, die erhabne kunstgebaute.

Nur manchmal, wenn der Tag sich neigt zu Ende,
Vermiß ich jene heimatlichen Laute
Und eine Seele, die mit mir empfände.



[57]

2

Denkst du des Abends noch, des zauberischen,
Der uns so süß verging und, ach, so flüchtig
In jener Kirche, wo uns eifersüchtig
Die Heiligen ansahn aus ihren Nischen?

Und als du später wiederkehrtest zwischen
Den lästigen Verwandten ernst und züchtig,
Wie eilt ich mich, dein rauschend Kleid nur flüchtig
Zu streifen, mich den Betenden zu mischen!

Doch, – o des Glücks! – da, täuschend die Begleiter,
Du mir die süßen Zeilen zugeschoben
Und Andacht heuchelnd langsam schrittest weiter.

Die Töne stiegen von dem Chore droben
Herab wie Engel auf der Himmelsleiter …
Doch meine Seele flog entzückt nach oben.



3

Wie lieb ich jene Zeit, wenn schwach und schwächer
Der Tag verhallt mit seinen lauten Stimmen
Und wenn im Grau der Dämmerung verschwimmen
Bastei und Aquädukt und flache Dächer!

Denn wenn die Nacht ausspannt den dunkeln Fächer,
Darin der Sterne Diamanten glimmen,
Wenn Nachtigallen weich zur Klage stimmen,
Dann, scheuen Schritts, verläßst du die Gemächer.

Ich aber harre dein, wo unter düstern
Weinranken, die die laue Nachtluft würzen,
Mich Marmorsphinxen ansehn, weiß und lüstern,

[58] Bis du dich nahst, in meinen Arm zu stürzen
Und fester noch mit deinem süßen Flüstern
Des eignen Lebens Rätsel mir zu schürzen.


4

Als einst zum Sturm Jerusalems der Glaube
Europa wappnete, da war dein Sohn
Der Sarazenen Schreck, ein Führer schon
Dem frommen Ritter mit der Eisenhaube.

Doch später, unermeßlich reich vom Raube,
Den Franken sprachst du, sprachst Venedig Hohn,
Dem Griechenkaiser gabst du seinen Thron
Und Pisa lag durch deine Hand im Staube.

Du herrschtest über die Tyrrhenerflut,
Im Osten blühten deine Kolonien,
Chios und Cypern zahlten dir Tribut.

Was du auch unternahmst, es war gediehen
Und laß, wie man zu Gütern kauft ein Gut,
Sahst du den Ruhm durch goldne Tore ziehen.


5

Einst wagte keine Macht mit euch zu ringen.
Man warb um eure sieggewohnten Streiter;
Nach außen dehnte voller stets und breiter
Die kleine Handelsrepublik die Schwingen.

Nach fernen Küsten warf sie ihre Schlingen;
Ihr war das Glück, der Sieg war ihr Begleiter.
Sie wagte bis zum Hellespont und weiter
Zum Schwarzen Meere herrschend vorzudringen.

[59] Doch innen war sie schwach schon; in Entzweiung
Der Adel. Dieses Völkchen von Ligurien
Rang, ungestraft ihr trotzend, nach Befreiung.

Sie aber spielte, schon gepeitscht von Furien
Des Bürgerzwists und wogender Parteiung,
Mit fernen Kronen noch in ihren Kurien.


6

Seesieg bei Ponza

Noch einmal war das Glück euch hold im harten
Seeheldenkampf: zwei Könige in Banden;
Gefangen Prinzen, Paladine, Granden;
Erbeutet Gold und Purpur und Standarten.

Jedoch vergebens des Triumphzugs harrten
Die Euern. An der Küste landen
Heißt euch Visconti. Eure Sonnen schwanden.
Es war die letzte eurer Heldenfahrten.

Pisani hat, ein Rächer der Pisaner,
Verdunkelt schon bei Chioggia euern Glanz,
Auf euern Schultern stehn die Venezianer.

Und eure Kolonien des Morgenlands
Erzittern; denn schon nahn Mohammedaner,
Die der Prophet zum Sturm führt vor Byzanz.


7

Andreas Doria

Du hoher Römer, überhäuft mit Ehre
Von einem Kaiser, dem du mit der Linken
Gedient, daß deine Rechte dem Versinken
Der in sich selbst zerfallnen Heimat wehre!

[60] Und wie du siegreich herrschtest auf dem Meere,
Schwieg die Parteiwut auch bei deinen Winken;
Selbst Fieschis Stern schien nur bestimmt zu blinken,
Daß sinkend er dein Heldenhaupt verkläre.

Das Recht des niedern Volkes eng begrenzend,
Hast du die starre Satzung umgegossen,
Den Adel durch die Bürger klug ergänzend.

Was nur ein Mensch kann, tatst du unverdrossen
Und nochmals hob dein Vaterland sich glänzend, –
Doch bei den Göttern war sein Fall beschlossen.


8

Wo, stolzes Genua! sind deine Flotten?
Wo deine Schätze, Helden und Galeeren,
Mit denen du als Fürstin auf den Meeren
Auszogst, die Nebenbuhler auszurotten?

Der Nobili Prachtvillen, Gärten, Grotten,
Niemand bewohnt sie, dem Verfall zu wehren;
Der Wind pfeift durch die Räume, durch die leeren,
Als wollt er ihres frühern Pompes spotten.

Doch neues Leben füllt des Golfes Schale:
Es schmücken Feigen, Wein und Öl und Pinien
Die Höhn und neue Bauten schaun zu Tale;

Und rings weht von den Forts der Festungslinien
Und hier am Hafen überm Arsenale
Die zukunftsfrohe Flagge von Sardinien.


9

Von euern Säulenhallen und Geländern
Bog sich die Pracht, die statt des Ruhms geblieben;
[61] Die rüstge Mannheit hatte sie vertrieben
Und herrschte üppig nun in Goldgewändern.

Ihr aber, als das Los nicht mehr zu ändern,
Rieft, die der eigne Boden nie getrieben,
Talente, welche eure Taten schrieben,
Und große Meister aus entlegnen Ländern.

Ihr selbst ruht lang im Grabe nun, im stillen;
Die stolze, von den Strömen zweier Täler
Umarmte Stadt dient einem fremden Willen.

Doch eurer Größe schöne Totenmäler,
Die Schätze seltner Kunst, Archive, Villen
Habt ihr zurückgelassen als Erzähler.


10

Gern mag ich, wenn sie abends sich beleben,
Die Strada nuova hin und Balbi schreiten,
Wo in entseelter Pracht auf beiden Seiten
Die schweigenden Paläste sich erheben.

Und träumend laß ich euch vorüberschweben
Im Glanze längst begrabner Herrlichkeiten,
Ihr stolzen Nobili der alten Zeiten,
Und euer üppig reich bewegtes Leben!

Einst wehten Pfauenfächer. Goldne Schleppen
Durchrauschten diese pompgeschmückten Säle
Und Fürsten harrten auf den Marmortreppen;

Indessen trugen keuchende Kamele
Euch Asiens Reichtum her durch ferne Steppen
Und auf dem Mittelmeer gabt ihr Befehle.



[62]

Aus dem Süden

Zwar winkt hier der Genuß gleich Marmorbüsten,
Die lüstern weiß aus dunklen Hainen lauschen,
Und beut in ewig wechselndem Berauschen
Befriedigung den leisesten Gelüsten.

Doch laß ich täglich längs den reichen Küsten
Vom leichten Winde meine Segel bauschen,
Den offnen Arm der Wollust zu vertauschen
– O Einsamkeit – mit deinen reinen Brüsten.

Erst jetzt begreif ich, wie hier an der Sonne
Der Mensch mit souveränem Hochvergnügen
Sich dehnt, ein Diogen selbst ohne Tonne.

Fast wähnt der Einzelmensch mit seinen Flügen
In diesem Land, auf das Gott alle Wonne
Bacchantisch ausgoß, selbst sich zu genügen.


Neapel

O schöne Tage! – da geschmückt mit Kränzen
Dies Winzervolk sich drängt in bunten Ketten
Beim Ton von Tamburin und Kastagnetten
Zu wildbewegten Tarantellatänzen.

O süße Nächte! – wenn die Sterne glänzen,
Mich sanft an eine schöne Brust zu betten
Und mit der Liebe farbigen Paletten
Des Tages fremde Bilder zu ergänzen.

Wohl uns, mein Kind! Hier gibt es keine Rotte
Von Moralisten, die, uns zu belauschen,
Neugierig späht in die umlaubte Grotte.

[63] Und leichter, scheint mir, läßt sich hier berauschen
Der grämliche Verstand vom kleinen Gotte,
Durch den wir selig unsre Seelen tauschen.


Sorrent

Die Stadt, im Freudentaumel wie verloren,
Mich drängts, daß ich um deinen Reiz sie meide,
Du schön Sorrent, das trotz dem Blütenkleide
Oft ernste Bilder in mir heraufbeschworen!

Sorrent, das seinen Tasso einst geboren,
Dess’ Lorbeer troff von unermeßnem Leide,
Das sich, dem Pöbel weichend und dem Neide,
Ein deutscher Pindar zum Asyl erkoren.

Hier lehrt mich das Gedächtnis solcher Dichter,
Daß, wie das Leben auch uns mag umnachten,
Ein stolz Bewußtsein bleibt der beste Richter.

Hier lern ich endlich nach dem Höchsten trachten
Und Lüge, Neid und niederes Gelichter
Und selbst die Schläge des Geschicks verachten.


Auf Uhland

Wie staunt ich einst in meinen Schülertagen,
Wenn Türme, Schlösser, hochgewölbte Hallen,
Wenn Saitenspiel, Turnier und Waffenschallen
In deinem Buche vor mir offen lagen!

[64] Wie liebt ich jene weichen Sängerklagen
Der Troubadours, die Ritter und Vasallen,
Die rotbekreuzt zum heilgen Grabe wallen!
Wie lauscht ich gierig all den Heldensagen!

Heut les’ ich am Gestad Sorrents dich wieder …
Die königliche Sonne mit dem reichen
Purpurnen Mantel steigt ins Meer hernieder.

Und Heimweh fühl ich meine Brust beschleichen,
Denn durch die frische Lenzluft deiner Lieder
Ist mir, als hör ich Rauschen deutscher Eichen.



[96]

An der Riviera

Es ist nicht vieles verwandelt,
Die Dinge gehn ihren Lauf;
Es sprossen, wo du gewandelt,
Noch immer Rosen auf:

Euch blühende wilde Rosen
Entblättert unter Liebkosen
– Meerüber jagend – der Wind,
So wie uns unter Verlangen
Und süßem Gewähren vergangen
Die glücklichsten Tage sind.



[97]

Erinnerung

Es flüstert in den Zypressen
Am verfallenen Gartentor;
Nie kann, wer dich einmal besessen,
Vergessen,
Was er an dir verlor!

Es weht um die Lauben, die düstern,
Wie verhaltene Sehnsucht nach dir …
Ich höre ein Grüßen und Flüstern,
So lüstern,
Als wohntest du noch hier.



[104]

Im Welschenlande

Ihr Helden, ruhm- und tatenreich,
Normannenfürsten, ihr kecken,
Als ihr gründetet dieses sizilische Reich,
Was wart ihr für herrliche Recken!

[105] Und du, o gefürchteter Genserich,
Ihr kühnen Vandalenhorden,
Was seid ihr im tropischen Himmelsstrich
Für schnöde Memmen geworden!

Die Mannskraft, mit der ihr Reiche nahmt
Mit schneidigem Schwerteshiebe
Und Völker warfet, sie ist erlahmt
In den üppigen Kämpfen der Liebe.

Ihr lerntet Flöten- und Saitenspiel
Und lerntet Weiber küssen!
Drum habt ihr nach ruhmvoll errungenem Ziel
So schmachvoll enden müssen.

Ihr laget lüsternen Frauen im Schoß
Und seufztet Liebesgedichte …
Im Grunde gibt es kein tragisches Los
In der ganzen Weltgeschichte!

Auch du, o deutsche Ritterschaft,
Ihr markigen Hohenstaufen,
Verlort im Welschland die beste Kraft
Und verlerntet das Herrschen und Raufen!

Die Gärten des Südens, sie duften zu stark,
Hier lispeln zu süß die Töne
Der Liebe; das frißt sich wie Gift ins Mark
Der gewaltigen Nordlandssöhne.

O Weib, schließ deinen Sirenenmund
Und die Glieder laß unentkleidet:
Mit ist in der Seele tiefstem Grund
Dieser südliche Zauber verleidet.



[149]

Elegie aus dem Süden

Zweite Elegie

Gib mir den Arm, o Freund! Schon senkt sich die Sonne; vom Kloster
Mahnte der silberne Mund Gläubige schon zum Gebet.
Sieh nur, verschleiernd bereits die lieblich geschwungenen Linien,
Überm Sabinergebirg dämmert ein bläulicher Duft;
Auf den Ruinen und um das versunkene Marmorgebälke,
Leben verbreitend um Tod, wuchert das Efeugelock.
Immer den Bergweg fort durch den Hain der Orangen; wie würzig,
Nordischen Sinnen wie fremd, duftet im Süden die Nacht!
Hörst du die Schüsse der Böller, dazwischen den Klang der Gitarre,
Klirren des Tamburins und der Raketen Gezisch?
Lärmen des Festes ists, das hier im entlegenen Felsnest
Irgendein mythischer Brauch jährlich zu feiern gebeut.
Christlichen Ursprungs nennt es der Prete. Als heiligen Joseph
Neben dem Eselein ehrt er den Schlemmer Silen.
Mythische Deutung gibt dem Feste das Volk; es entstamme
Uralt heidnischem Dienst eines vergessenen Gotts.
Denn es wechseln die Götter; dem Kultus der Freude nur bleibst du,
Mühsalduldend Geschlecht sterblicher Menschen, getreu.
Unscheinbar ist der Ort, doch trieft er vom Segen der Götter,
Wein- und rosenberühmt sind die Gelände umher.
Festschmuck prangt an den Häusern, Girlanden von Blumen und Efeu,
Gräßlich – in Fresko gemalt – auch wohl ein „Santo“ dabei.
[150] Schwärmer durchschwirren die Luft. Es schweifen an Rosengehegen,
Taghell beschienen vom Mond, glückliche Paare dahin.
Hier wird Mora gespielt; dort kämpfen improvisatori;
Wogend im Wechselgesang tönt die melodische Schlacht.
Alles ist hier osteria; albergo der marinari
– Wo ihm der Schiffbruch droht – nannte mir Cecco den Schank.
Sieh, dort glitzert ein Schild und drüben, entfesselt im Tanzraum,
– Nur noch der Thyrsus fehlt – rast die bacchantische Schar.
Hierher wende den Schritt. Hier sind die „gebildeten Klassen“,
Honoratioren des Orts, Künstler und städtisches Volk.
Schau, wie den lockigen Knaben, die Kunst labyrinthischen Tanzes
Übend, die Töchter des Lands neckisch sich nahen und fliehn.
Schön vor allen jedoch ist Annina. Wie reizend die Büste,
Wölbig und schlank zugleich, über den Hüften sich wiegt!
Hoheit thront auf der Stirn, wenn sie naht, und unendliche Anmut,
Wenn sie geschmeidigen Leibs wieder dem Arm sich entzieht.
Sieh, nun führt sie den Chor! Voll Adel ist jegliche Wendung,
Rhythmischen Wohllauts voll jede Bewegung an ihr;
Alles an ihr ist Seele vom Haupt bis zum niedlichen Füßchen,
Alles ist Leben und doch plastische Ruhe an ihr.
[151] Endlich verstummen Gitarre und Trommel. Nun komm mit dem Mädchen,
Cecco! Den heimlichsten Platz hab ich gefunden für euch,
Dort am äußersten Ende der rebenumrankten Veranda,
Luftig – und frei den Blick über das leuchtende Meer.
Aber du lächelst, Annina, und schweigst? In etruskischen Krügen
Bringe der Geschenke des Weins, welcher die Zunge dir löst!
Laßt uns die Mondnacht denn mit Gesang und mit Reigen durchschwärmen!
Bis des Okeanos Flut Eos, die Göttin, entsteigt
Und im ambrosischen Reiz mit den rosigen Fingern des Tagwerks
Allzeit nüchternen Pfad Sterblichgebornen weist,
Feiern wir Eros, den Schalk, und den Spender der Lust, Dionysos,
Wein- und rosenberauscht, wie es Anakreon sang.



[152]

Sonnenuntergang

O wie träumt es sich süß am myrtenumbuschten Gestade,
Wenn in das leuchtende Meer scheidend die Sonne sich taucht!
Feierlich schweigt die Natur. Kaum lispeln die Silberoliven;
Leise mit würdigem Ernst neigen die Pinien das Haupt.
[153] Hie und da nur erklingt eintönig die Weise des Fischers,
Der des kristallenen Golfs riesigen Spiegel durchfurcht.
Heiliger Frieden umwohnt wie der Seligen Inseln dies Eden;
Auch in der eigenen Brust wiegt er den Kummer in Schlaf.

Bilder der Heimat ziehn an der Seele vorüber. Mit Liebe
Denk ich der Freunde und fast möcht ich den Feinden verzeihn;
Was sie auch Schlimmes gewollt, mir wandte sich alles zum Guten.
Bittre Erfahrungen selbst stärken und läutern das Herz.
Einst, wenn schon lange des Neids unlautere Quellen versiegt sind,
Geb ich der Heimat dafür Ströme des Wohllauts zurück;
Denn die Gabe des Worts zur lieblichen Frucht des Gesanges
Hast du dem Fremdling indes, südliche Sonne, gereift.

Ha, wie scheidest du dort, verklärt nur vom eigenen Lichte,
Königlich groß noch im Tod, segenverbreitend Gestirn!
Stolz und geräuschlos wie du zu verbluten im Dienste der Menschheit
Und zu verzichten auf Dank, ist ein erhabenes Los.
Selbst auf das niedre Gewölk, das neidisch den Pfad dir umdunkelt,
Wirfst du den Abglanz noch, während du siegend versinkst.
Rosige Segel ziehn fernhin … und gehüllt in den Purpur,
Den es von dir sich geborgt, schlummert das ewige Meer.



[154]

Serenade

Schweigen rings. Im Garten der Villa plaudert
Nur der Springquell. Zwischen verschlafnen Büschen
Lauschen Marmorgötter und überm Meere
Zittert das Mondlicht.

[155] Reiz und Anmut teilen allein dein Lager;
Deinen schwanweiß schimmernden Hals umnachtend,
Löst sich stromfallähnlich die Fülle dunkel
Flutenden Haares.

Schlaf umfängt dein zauberverbreitend Antlitz,
Deiner Glieder griechisch geformten Bau nun
Und ins Herz dir träufelt der holde Traumgott
Sanftes Vergessen.



[160]

Gegen Rom

Einst am Felsen Petri zerschellte unsrer
Hohenstaufen Kraft und noch heut den deutschen
Kaiserpurpur schändet die ungesühnte
Schmach von Canossa.

Allzulang im Namen des ewgen Gottes
Alle Frevel übte das Rom der Päpste
Und erhielt in Schrecken die Welt mit Bannfluch,
Folter und Holzstoß.

Sieh und kaum entsank dem Apostelfürsten
Seines Weltreichs Zügel, erhebt er nochmals
Alles wagend über die Macht der Krone
Jene der Inful.

Unerhörtes maßt der zum Gott erhobne
Greis sich an; und mündige Menschen fragen
Staunend, ob das Joch des geweihten Irrsinns
Nochmals der Welt droh;

[161] Oder ob der Genius jenes Volkes,
Das dereinst das Rom der Cäsaren beugte,
Auch dem Machtwahn römischer Priesterherrschsucht
Endlich ein Ziel setzt.


Quelle:
Heinrich Leutholds Gedichte. Nach den Handschriften wiederhergestellt. Leipzig: Insel-Verlag 1910.

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