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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Kurzbiografie

Heinrich Hoffmann von Fallersleben (*2. April 1798 in Fallersleben − †19. Januar 1874 in Corvey) besuchte 1812 das Gymnasium in Helmstedt. Im Frühling 1816 begann er in Göttingen ein Theologiestudium, wechselte nach einem Semester zum Studium der klassischen Philologie und der Archäologie, wobei er den Vorsatz hatte, zur Bildung Reisen nach Italien und Griechenland anzutreten. Nach einer Begegnung mit Jacob Grimm (1785-1863) im Herbst 1818 wandte er sich der jungen Disziplin Germanistik zu. Durch Vermittlung seines Lehrers Friedrich Gottlieb Welcker (1784-1868) ging Hoffmann von Fallersleben 1819 nach Bonn, wo er mit der burschenschaftlichen Bewegung sympathisierte. Nach Aufenthalten in Holland, Belgien, Berlin und Breslau berief ihn der preußische Minister von Altenstein (1770-1840) 1830 zum a.o. Professor und 1835 zum Ordinarius für Sprache und Literatur an der Universität Breslau. Während dieser Zeit reiste Fallersleben zu Bibliotheksbesuchen nach Österreich, Holland, Belgien, Frankreich, in die Schweiz und nach Skandinavien. 1840 veröffentlichte er die „Unpolitischen Lieder“, deren satirische und polemische Gedichte die Restauration in Deutschland kritisierten. Am 26. August 1841 verfasste er auf der damals britischen Insel Helgoland das „Deutschlandlied“. Nach dem Verbot seiner politischen Lyrik wurde Fallersleben 1842 aus dem Staatsdienst entlassen. 1844 begab er sich mit dem Grafschaftsbesitzer Friedrich Ludwig Tenge (1793-1856) auf Kavaliersreise nach Italien, die sie nach Mailand, Genua, Pisa, Rom und Florenz führte und wo sie Natur, Kunst und gesellschaftliche Ereignisse in vollen Zügen genossen. An der Revolution 1848 war Fallersleben nicht beteiligt. Seit 1849 lebte er in Bingerbrück, Neuwied und Corvey, wo er 1874 verstarb.
In den letzten Jahren seines Lebens verfasste er die Autobiographie „Mein Leben“ (1868), in welcher er auch die Erlebnisse in Italien beschreibt. Seine Italienlyrik relativiert die damalige große Italieneuphorie: So werden in „Via mala“ die italienischen Beamten kritisiert, in „Testimonium paupertatis“ wird ein Zusammenhang zwischen einer Italienreise und künstlerisch hochwertigem Schaffen negiert und das Gedicht „Der hl. Goethe“ spottet über den Deutschen, der nach Italien reist, nur weil Goethe es tat.

Gerd Gruitrooy

 

[126]

Diavolini.

1848.

Fürsten prägen so oft auf kaum versilbertes Kupfer
Ihr bedeutendes Bild; lange betrügt sich das Volk.
Schwärmer prägen den Stempel des Geists auf Lügen und Unsinn;
Wem der Probierstein fehlt, hält sie für redliches Gold.
                Goethe, Venediger Epigramme Nr. 56.

Via mala.

Zürich, 18. Oktober 1844.

Man schützt vor Aria cattiva sich
Und auch vor Aqua toffana,
Doch nimmer und nirgend kann man entgehn
Der Polizei und Dogana.

[127] Man reiset im welschen Land, als geschäh’s
Nur wegen des Passaporto;
Und untersucht wird man überall,
Will man auch zum Campo morto.

Es können umsonst und frei ins Land
Nur Schnaken und Skorpionen;
Bezahlen müssen den langen Weg
Sonst alle andern Nationen.

Und gern zahlt Michel und ist bereit,
Als Deutscher, Gott zu danken,
Wenn der preußische Konsul den Paß visiert
Für vier französische Franken.



Der hl. Goethe.

Zürich, 23. Oktober 1844.

Römer sollten den Goethe doch ehren
Und verherrlichen immerdar,
Sollten zum heiligen Peter ihn stellen,
Liest auch keiner den alten Barbar.

Groß sind seine Verdienst’ um die Römer,
Seit er die römische Reise gemacht:
Mehr als seinem Verleger, dem Cotta,
Hat er den Römern eingebracht.

Michel sparet nicht Zeit und nicht Gelder,
Rom ist seiner Wißbegier Ziel,
Um zu sehen, was Goethe gesehen,
Schön zu finden, was Goethen gefiel.

Römer, ihr habet karrarischen Marmor,
Unseren Goethe, hauet ihn aus!
Mehr noch als euer eherne Peter
Lockt er euch nordische Gäst’ ins Haus.



[128]

Konservativer Boden.

Mailand, 12. Oktober 1844.

Land des Stillstands, der Erhaltung,
O wie groß und wunderbar!
Ohne Fortschritt, ohn‘ Entwicklung,
Alles bleibet, wie es war.

Hätten nicht die lieben Alten
Wasserleitungen gemacht,
Kardinäl’ und Päpste hätten
Auch noch jetzt nicht dran gedacht.

Hätten jene nicht gebauet
Eine Via Appia,
Ohne gute Weg’ und Straßen
Wär’ noch heut Italia.

Hätten jene nicht vollendet
Manches Bild in Erz und Stein,
Würd’ in anderer Gesellschaft
Jetzt der Heil’ge Vater sein.

Hätten nicht die Raffaele
Diese Galerien geschmückt,
Heute wär’s den Italienern,
Heute schwerlich wohl geglückt.

Hätte nicht die Weltgeschichte
Diesen Boden hier geweiht,
Schwerlich würd’ es jetzt geschehen
Oder noch in künft’ger Zeit.

Ja, wie hier die Menschen, schlafen
Auch die Kräfte der Natur:
Alles Leben ist ein Leben
Der vergangnen Zeiten nur.



Römisches Helldunkel.

Zürich, 18. Oktober 1844.

Wenn ich die vielen Pfaffen sehe
Zu Rom in ihrer schwarzen Tracht,
Dann wird’s am hellen, lichten Tage
Vor meinen Augen dunkle Nacht.

[129] Erst beim Ave-Maria-Läuten,
Wenn heim die Pfaffen ziehn zu Nest,
Dann ist es mir in Rom geworden,
Als ob der Tag sich blicken läßt.



Michel-Kunstkenner.

Mailand, 12.Oktober 1844.

Die Alpen hat er überschritten,
Nun wird er ganz begeistrungsvoll;
Er träumt von nichts als von Madonnen,
Vor Torso, Venus und Apoll.

Begeistrung weckt ihn aus dem Schlummer,
Begeistrung treibt ihn fort geschwind.
Er dringt in alle Galerien,
Die irgend nur geöffnet sind.

Er hat den Katalog in Händen,
Er sieht und sieht, damit er’s sah,
Es ist, als ob er sehn nur wollte,
Ob jedes Bild noch wirklich da.



[130]

Plastische Naturdressur.

Florenz, 8. Oktober 1844.

Mit dicker Mauer eingefriedigt,
Liegt an des nahen Berges Hang
Ein großer Garten mit Gebäuden
Und manchem kiesbestreuten Gang.

Beschnittne lange Lorbeerhecken,
Mit Marmorstatuen ausstaffiert,
Die ziehn sich fort in jeder Richtung,
Daß man im Schatten stets spaziert.

Dazwischen liegen Blumenbeete
In wunderbaren Schnörkelein,
Die eingefaßt mit niederm Buxus
Gar milden Wohlgeruch verleihn.

Es zirpen auf besonntem Rasen
Zikaden ihr anmutig Lied,
Und durch der Pinie Perücke
Schirokko sanft vorüberzieht.

Erhabne feierliche Stille
Und tiefes Schweigen überall;
Nur plätschert hie und da ein Springborn,
Auch wohl ein sanfter Wasserfall.

Die hohn Zypressenobelisken,
Die Hecken unter strenger Schur,
Sie harmonieren zu dem Ganzen
Und machen plastisch die Natur.

Ja, schöne Form ist Baum und Hecke
Und Kunstgeschmack der ganze Park.
Ihr Deutschen, kommt in diese Villen!
Denn was ihr habt, ist wilder Quark.



[131]

Vierfüßige Epigonen.

Mailand, 12. Oktober 1844.

O Land der Gegensätze!
Da stehn in Reih’ und Glied
Die marmornen Paläste,
Wie man sie nirgend sieht.

Und drinnen Spinngewebe
Und alter Staub und Schmutz;
Verwittert sind die Fenster,
Blind ist der Wände Putz.

Hin sind die alten Zeiten,
Und alles Leben wich;
Ein Kätzlein sitzt im Winkel
Und streicht das Pfötchen sich.



Italismus.

Mailand, 12. Oktober 1844.

Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister
des neuen Roms verwüstet.
        Goethe, Italienische Reise, 7. November 1786.

„Vandalismus! Vandalismus!“
Ruft der welsche Antiquar,
Wird er in der Weltgeschichte
Kunstzerstörungen gewahr.

Und er hält dann über Deutsche
Gleich ein strenges Kunstgericht,
Und die Deutschen sind Vandalen,
Italiener sind das nicht. –

Geht nach Florenz, nach Arezzo,
Gehet nach Perugia,
Gehet was an euren Domen
Dort von e u r e r Hand geschah!

Abgeschnitten ist der Kirchen
Angesicht von schnöder Hand,
Und vom alten Frevel zeuget
Heute noch die nackte Wand.

„Italismus! Italismus!“
Wollen künftig sagen wir,
Wo wir sehn bei euch zerstöret
Deutscher Baukunst Pracht und Zier.

[132] Italismus hat gepfuschet,
Hat zerstöret und zerfetzt
Und an Mailands Marmordome
Sich ein Denkmal selbst gesetzt.



Memento mori!

Schloß Roland, Oktober 1846.

Auf Papier gemalte Wappen
An der vordern Kirchenmauer,
Totenköpf’ auf jedem Lappen –
Eine eigne Art von Trauer!

Soviel Wappen am Gemäuer,
So viel Seelenmessen las man,
Nahm das Geld fürs Fegefeuer,
Und den Toten, den vergaß man.



Testimonium paupertatis.

Schloß Roland, Oktober 1846.

„Er ist in Rom gewesen!“
O armer, armer Mann,
Wenn man von dir als Künstler
Nichts weiter rühmen kann!

Hast du es Hohn, Erhabnen
Und Schönen viel gesehn –
Du bist doch leer geblieben
An eigenen Ideen.

Hast du die großen Meister
Auch fleißig angegafft –
Du bist kein Meister worden
Voll frischer Schöpferkraft.

Es ist von eignem Leben
In dir nicht eine Spur,
Und was man dein kann nennen,
Das ist dein Dünkel nur.

Du bist in Rom gewesen!
O armer, armer Mann,
Wenn man von dir als Künstler
Nichts weiter rühmen kann!



[133]

Evangelium infantiae.

Florenz, 7. Oktober 1844.

Wie Planeten um die Sonne
Dreht sich um die Kunst von weiland
Alles nur um die Madonne,
Aber nicht um unsern Heiland.

Und der Heiland ist kein Lehrer,
Nur ein Kind aus ihrem Schoße,
Und der alten Kunst Verehrer
Nennen dies das Hoh’ und Große.



Laßt die Toten ihre Toten begraben!

Zürich, 18. Oktober 1844.

Es stehn im Vatikane
Die Büsten der Imperatorn,
Der Philosophen und Dichter,
Der Künstler und Oratorn.

O folgten die Philologen
Doch alle hinterdrein,
Das sollten neue Ostern
Fürs deutsche Vaterland sein.

Dann wäre Deutschland endlich
Von e i n e r Sklaverei,
Dem ewigen Leichendienste
Der Vorwelt einmal frei.

Und Deutschlands röm’sche Juristen,
Die gäben wir in den Kauf,
Dann hörte das Korpus Juris
Mit Herrn von Savigny auf.



Überraschung.

Schloß Roland, Oktober 1846.

Und so wandl’ ich viele Tage,
Und so wandl’ ich kreuz und quer
Durch die Städte, durch die Landschaft,
Vom Gebirg’ bis an das Meer.

[134] Selten mal ein heitres Lächeln,
Selten mal ein schönes Gesicht,
Aber düstre Blicke seh’ ich,
Draus nur Not und Elend spricht.

Freud’ und Schönheit lebt im Marmor
Und auf alter Leinwand nur,
In Italias blauem Himmel
Und den Wundern der Natur.



Addio!

Rom, 28. September 1844.

M e l.: Herz, mys Herz, warum so trurig?

Nun, so will ich fröhlich scheiden:
Lebe wohl, berühmtes Land!
Wo ich wenig zu beneiden,
Wo ich nichts zu wünschen fand.

Lebet wohl, ihr Überreste
Der vergangnen größern Zeit,
Tempel, Säulen, Prachtpaläste
Neben Schmutz und Dürftigkeit.

Lebe wohl, was uns versöhnen
Muß mit heut’gem Stank und Dunst,
Du Idee des Ewig-Schönen
In Italias alter Kunst.

Lebet wohl, ihr Berg’ und Matten
Mit dem ew’gen Sonneschein,
Bäume, die uns keine Schatten,
Kein’ Erquickung uns verleihn.

Lebe wohl, du Tageshelle,
Drin umsonst sich das Gemüt
Suchet eine traute Stelle,
Wo auch ihm ein Blümchen blüht.

Lebe wohl, du Volk der Wichte,
Das vom Ruhm der Vorwelt zehrt
Und das Land der Weltgeschichte
Heute nur durch Nichtstun ehrt.

Lebet wohl, ihr Pomeranzen,
Makkeronen, Pilz’ und Kohl,
Esel, Büffel, Flöh’ und Wanzen,
Heil’ger Knoblauch, lebe wohl!



Quelle:
Hoffmann von Fallersleben. Auswahl in drei Teilen. Hrsg. mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Augusta Weldler-Steinberg. Zweiter Teil. Zeitgedichte, Gelegenheitsgedichte und Trinksprüche. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Deutsches Verlagshaus Bong  Co o. J. [1912].

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