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Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg

Kurzbiografie

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg (*7. November 1750 im dänischen Bramstedt/Holstein – †5. Dezember 1819 auf Gut Sondermühlen bei Osnabrück), zweiter Sohn des Grafen Christian Günther zu Stolberg-Stolberg und dessen pietistischer Ehefrau Christiane, geb. Gräfin zu Castell-Remlingen, genoss mit seinem älteren Bruder Christian Privatunterricht durch französische und deutsche Hofmeister und studierte seit 1770, wieder zusammen mit dem Bruder Christian Jurisprudenz in Halle und in Göttingen. In Göttingen wurden sie 1772 in den Dichterbund Göttinger Hain aufgenommen und vermittelten die Bekanntschaft mit Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), dem Idol der jugendlichen Dichter. 1774 wurde Friedrich Mitglied der Hamburger Freimaurer-Loge „Zu den drei Rosen“. 1775 begaben sich die Brüder, zusammen mit Goethe, auf eine Bildungsreise in die Schweiz. Die Rückreise führte über Weimar, Berlin und Hamburg. Seit 1777 war er in verschiedenen diplomatischen Bereichen tätig: Von 1777 bis 1780 als Gesandter des Fürstbischofs von Lübeck und Herzogs von Oldenburg in Kopenhagen, 1781 bis 1783 als Obermundschenk an der Eutiner Residenz, 1786 bis 1788 als Amtmann in Neuenburg bei Oldenburg, 1789, nach dem Tod seiner Frau, als dänischer Gesandter in Berlin, wo er seine zweite Frau Sophie Charlotte Eleonore von Redern kennen lernte (Heirat 1790). Die Familie unternahm zwischen 1791 und 1793 eine längere Reise in die Schweiz und nach Italien. Nach der Rückkehr bekleidete er das Amt eines Präsidenten der fürstbischöflichen Kollegien in Eutin. Infolge seiner Konversion zum Katholizismus (1. Februar 1800) trat er aus dem Dienst des Fürstbischof Peter Friedrich Ludwig (1755-1829) aus und ließ sich in Münster und Lütkenbeck nieder. In Münster gehörte er zum Kreis um die Fürstin Amalie von Gallitzin (1748-1806) und Franz von Fürstenberg (1729-1810), widmete sich, finanziell unabhängig, seinen religionsgeschichtlichen Interessen. Die Jahre 1812 bis 1816 verbrachte er auf Schloss Tatenhausen bei Bielefeld, 1816 bis 1819 auf Schloss Sondermühlen bei Osnabrück.
Friedrich Leopold Stolberg war gleichermaßen fruchtbar als Dichter von Oden, Balladen, Satiren, Reisebeschreibungen, Dramen (Tragödie „Timoleon“, 1784; „Theseus“, 1787) und der Novelle „Die Insel“ (1788), wie als Übersetzer („Ilias“, 1778; Plato, 1796-1797; Aischylos, 1802; Ossian, 1806). Als Dichter trat er erstmals 1783 mit den von Heinrich Christian Boie (1744-1806) publizierten „Gedichten der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg“ hervor. Wichtig für das poetologische Verständnis der Stürmer und Dränger sind seine beiden theoretischen Texte „Über die Fülle des Herzens“ (1777), „Vom Dichten und Darstellen“ (1780) und „Über die Begeisterung“ (1782). Seine große Italien-Reise beschrieb er in dem Werk „Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien in den Jahren 1791 und 1792“ (1794). Für die frömmlerischen Tendenzen seiner Spätzeit steht die 1806 bis 1818 verfasste 15bändige „Geschichte der Religion Jesu Christi“. Als Dichter antiker Oden steht er zwischen Klopstock und Hölderlin (1770-1843); beeinflusst von jenem, hat er auf diesen poetisch eingewirkt.

Gunter Grimm

[369]

An meine Schwester
Henriette Catharine
in Rom.

Den 5. December 1783.

Heute bin ich in Rom, wiewohl die Winde des Ostmeers
Mich umsausen, in Rom bin ich im Geiste, bei dir!
Fühlst du mich nicht im hauchenden Weh’n der herrschenden Tiber,
Wie man durch Kühle des Hains zitternde Strahlen noch fühlt?
Faßt dich plötzlich ein Schau’r auf einem der fruchtbaren Hügel?
Dich in dem Capitol? Dich in dem Felde des Mars?
Ich bin’s, der dich ergreift. Die hehren Schatten der Vorzeit
Hält Elysiums Thal, strahlend im Glanze des Ruhms.
Scipio kehret nicht, und nicht der heilige Numa,
Und von Göttern verehrt, kehret nicht Cato zurück!
[370] Brutus lauschet ihm dort, und seine Porcia hanget
An des Göttlichen Arm, schön wie Elysiums Mond,
Wenn er den goldenen Aether durchstrahlt, und der reineren Sonne
Abglanz lächelnd dem Schooß schimmernder Fluthen entsteigt.
Ich bin’s, der dich ergreift! Laß keine Schauer dich täuschen;
Auch mich fassen, wie dich, Schauer der edleren Zeit!
Schauer vom Capitol, das oft von weitem mir glänzte,
Wie der heimischen Stadt wogenerleuchtender Thurm
Schiffern glänzt, umsonst! es trieb die launige Windesbraut
Sie, der Hoffnung so voll, in den umwirbelnden Sand.
Heute bin ich mit dir im Capitol, wo es jährig
Wird, daß Tullius Rom dräuenden Flammen entriß;
Doch das gefeierte Fest des großen Tullius rief mich
Nicht hinüber; mich rief, Schwester! ein süßeres Fest:
Ach, zu feiern den Tag, der deinen liebenden Brüdern,
Deinen Schwestern dich gab, vielen Geliebten dich gab!
Festlich gehet er auf; im goldenen Strahle der Sonne
Weilet der Morgenstern, zögernder schwindet der Mond.
Festlich strahlet er hin auf’s Capitol, und es folget
Seinem Wagen ein Zug, welcher die Seele mir schmelzt.
[371] Hehrer mir, als Gefolge der stolzen Triumphe, wo Sieger
Jauchzten, hoch wie ein Gott saß auf dem Wagen der Held,
Und in der klirrenden Fessel ihm Könige – ha, in der Fessel! –
Folgten, ihm, der frei, Herrscher nicht war und nicht Knecht!
Hehrer und süß ist mir des schönen Tages Geleite,
Welches, sichtbar dem Geist, schwebet um dich und mich.
Ach, ein Geleite von frohen Erinnerungen der bunten
Kindheit, schimmernd und schön, wie die bethauete Flur,
Wenn an bebenden Tropfen der duftenden Blümchen die Sonne,
Sanft von Lüften behaucht, tausend Mahl tausend Mahl hängt!
Ach, ein Geleite von edlen Erinnerungen der Jugend
Rauschet, hell wie ein Bach, Welle nach Welle dahin!
Ach, ein Geleite von trüben Erinnerungen der späten
Jahre schwebet im Hauch weinender Sehnsucht heran!
Heiliges Dunkel, durchschimmert von mondlichen Strahlen, umwallet
Diese, mit Nachtigallton klagen sie zärtlich und bang!
[372] Senke den weinenden Blick nicht auf den Boden! es schweben
Heilige  Schatten, in Nacht, aber in Mondnacht, gehüllt!
Ach, sie umschweben dein Haupt; ich höre der Himmlischen Fittig,
Sehe der Himmlischen Blick: zärtlich wie ehmahls, und treu,
Glänzt er von Thränen; auch Himmlische kennen die Thräne der Wehmuth;
Aber sie trübet den Blick nimmer, sie glänzet im Blick!
Ich umarme die Luft, die ihr umschwebtet! o lispelt
Segen der Sterblichen zu, Worte des Himmels ihr zu!
Lebe, Geliebte, wohl! Ihr aber, Geliebte des Himmels,
Schwebet um sie und um mich, schwebt um die Euren umher!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. Erster Band. Hamburg: Friedrich Perthes, 1827.

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[109]

Ode.
An meine Sophia.

Schauet dein Auge von Sorento’s Felsen
Ueber Wogen des Meeres, trüb von Thränen,
Hin zur hohen Ischia, die im Schimmer
Purpurner Fluthen

Badet, und mit der Abendröthe Rosen
Ihre Scheitel umkränzet? Hauchen Weste
Dir der langen Stunden voll Angst, des herben
Jammers Erinnrung?

Ach! es erloschen dort die Augen unsers
Frühvollendeten Engels, schlossen dort sich
Nach dem ersten Lallen die Lippen unsrer
kleinen Sibylla!

[110] Hatten noch nicht den süßen Mutternamen
Ausgesprochen, nur Lieb’ und Lust gelächelt,
Und an deinem Busen gesogen! Keine
Küsse mit Küssen

Wiederbelohnet, nicht der Küsse kundig!
Nach dem Tode beredt! denn Ruh’ des Himmels
Schwebte sichtbar über der blassen Lippen
Freundlichem Lächeln!

Ruhe des Himmels und des Himmels Freude
Künftig unsre Gespielinn! Sagt, o saget,
(Wir bedürfen eurer Belehrung, eures
Göttlichen Trostes!)

Saget, auf welchen Flügeln schwebt ihr freundlich
hin zu Sterbenden? sagt, wie offenbaret
Ihr euch zarten Kindern, die nie der Zukunft
Schauer empfanden?

Weib, sie verstummen, wie das blasse Kindlein;
Wie des Kindes Verstummen ist das ihre,
Lächelnd, voll Belehrung und voll des großen,
Göttlichen Trostes!

[111] Siehe, du öffnest ihm das Herz, und richtest
Dich mit Thränen empor, und sinkest wieder,
Um, im Staube knieend, dem Menschenfreunde
Weinend zu danken!

„Lasset die Kindlein zu mir kommen, solcher
Ist der Himmel!“ Er sprach’s, und nahm die Kindlein
In den Arm, der Himmel erschuf, und herzte
Segnend die Kindlein!

Bruder der Menschen, Ewigvater, segne
Meine Kinder, die Mädchen und die Knaben!
Sei’s zum Leben oder zum Tode! Herze
Segnend sie alle!

                                   

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. Zweiter Band. Hamburg: Friedrich Perthes, 1827.

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