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Friedrich Nietzsche

Kurzbiografie

Friedrich Nietzsche (*15. Oktober 1844 in Röcken − †25. August 1900 in Weimar) war Sohn des Pfarrers Carl Ludwig Nietzsche (1813-1849) und dessen Frau Franziska, geborene Oehler (1826-1897). Nach dem Tod des Vaters (1849) und des jüngsten Sohns zog seine Mutter mit Friedrich und dessen Schwester Elisabeth (1846-1935) zu ihrer Familie nach Naumburg. 1854 bis 1858 besuchte Friedrich Nietzsche das dortige Domgymnasium, 1858 erhielt er eine Freistelle in der Landesschule Pforta, wo er 1864 sein Abitur ablegte. Er studierte ein Semester an der theologischen Fakultät in Bonn und wechselte danach zur klassischen Philologie. 1865 führte er sein Studium in Leipzig fort, da sein Lehrer − der Altphilologe Friedrich Ritschl (1806-1876) − dorthin berufen wurde. In dem Haus des Orientalisten Hermann Brockhaus (1806-1877) lernte Nietzsche 1868 Richard Wagner (1813-1883) kennen. Auf Ritschls Empfehlung wurde er 1869 außerordentlicher und 1870 ordentlicher Professor für klassische Philologie in Basel. 1870/1871 nahm er freiwillig als Sanitäter am Deutsch-Französischen Krieg teil, wurde aber wegen einer Ruhrerkrankung bald darauf aus seinem Spitalzug entlassen. Ab 1873 verschlechterte sich Nietzsches Gesundheitszustand gravierend: Er litt u.a. an migräneähnlichen Kopfschmerzen und Augenschwäche, so dass die Basler Erziehungsbehörde ihn 1876 für ein Jahr beurlaubte. Bis Mai 1877 hielt er sich mit Malwida von Meysenbug (1816-1903) und dem Moralpsychologen Paul Rée (1849-1901) in der süd-italienischen Stadt Sorrent auf, wo er 1876 zum letzten Mal auf Wagner traf. Wegen seines sich rapide weiter verschlechternden Gesundheitszustandes bat er 1879 um Entlassung aus dem Basler Amt, welche ihm gewährt wurde. Er erhielt eine Pension für sechs Jahre, die 1885 verlängert wurde. Nietzsche lebte von da an nomadisch: Den Winter verbrachte er meistens in Italien, vor allem in Genua, Rapallo, dem italienischen Nizza, Turin, Venedig, Riva, Recoaro und Messina. Im Sommer hielt er sich ab 1881 bevorzugt ins Sils Maria, im schweizerischen Oberengadin, auf, zwischenzeitlich war er u.a. bei seiner Mutter in Naumburg, in Basel, Genf und Berlin. 1882 wurde sein nomadisches Leben unterbrochen: Zusammen mit Rée besuchte er von Meysenbug in Rom, wo er und Rée sich in die russische Schriftstellerin Lou von Salomé (1861-1937) verliebten und beide ihr jeweils erfolglos einen Heiratsantrag machten. 1889 wurde in Turin eine organische Hirnerkrankung bei ihm festgestellt, deren Folge eine fortschreitende Zerstörung des Bewusstseins war. Seine Mutter holte ihn nach Jena, wo man ihn bis 1890 in der psychiatrischen Universitätsklinik beobachtete (offizielle Diagnose: progressive Paralyse). Danach wurde er von ihr betreut und nach Jena zurückgebracht. Seine Schwester gründete 1894 im Haus der Mutter, ohne deren Erlaubnis, ein Nietzsche-Archiv. 1895 ließ sie sich die Rechte an dem Nachlass ihres Bruders übertragen und verlegte das Archiv 1896 nach Weimar. Nach dem Tod der Mutter 1897 brachte sie Nietzsche in das Archiv, wo er − aufbewahrt wie ein Kultobjekt − bis zu seinem Tod dahinvegitierte. Nietzsche war als Philosoph, Philologe, Lyriker und Komponist tätig. Sein erstes bedeutendes philosophisches Werk ist die 1872 erschienene „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ – eine Polemik gegen das gängige bildungsbürgerliche Verständnis der antiken griechischen Kultur. Ein weiteres wichtiges Werk ist „Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister“ (1878-1879), mit dem er sich vom Idealismus distanziert. In „Die fröhliche Wissenschaft“ (1882, erweitert 1887) geht es größtenteils um eine Kritik christlicher Moralvorstellungen. In diesem Werk sind auch im Anhang die Italiengedichte „Im Süden“ und „Mein Glück!“ enthalten. Nietzsches Hauptwerk ist das vierteilige „Also sprach Zarathustra. Ein Werk für alle und keinen“ (1886-1887), in dem er u.a. den Gedanken der „ewigen Wiederkunft des Gleichen“, den des (viel diskutierten) „Übermenschen“ und des „Willen zur Macht“ beschreibt. Die unterschiedlichen Kompilationen unter dem Titel „Der Wille zur Macht“ (1901, 1906) wurden u.a. von Nietzsches Schwester verfälscht und als sein ‚systematisches Hauptwerk’ ausgegeben, so dass es den ungerechtfertigten Anschein erweckte, er orientiere sich an einem die germanische Rasse idealisierenden, nationalistischen Mythos. In dem autobiographisch-philosophischen Werk „Ecce Homo. Wie man wird, was man ist“ (1908) ist das auch unter dem Namen „Venedig“ bekannte Gedicht mit dem Anfang „An der Brücke stand…“ zu finden.

Gerd Gruitrooy



[301]

An der Brücke stand
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang;
goldener Tropfen quoll’s
über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik –
trunken schwamm’s in die Dämmrung hinaus . . .

Meine Seele, ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu,
zitternd vor bunter Seligkeit.
– Hörte Jemand ihr zu?



Quelle:
Nietzsche’s Werke. Taschen-Ausgabe Band XI. Aus dem Nachlaß 1883/88. Der Fall Wagner. Nietzsche contra Wagner. Ecce Homo. Leipzig: Alfred Kröner Verlag 1913.

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[351]

Im Süden.

So häng’ ich denn auf krummem Aste
Und schaukle meine Müdigkeit.
Ein Vogel lud mich her zu Gaste,
Ein Vogelnest ist’s, drin ich raste.
Wo bin ich doch? Ach, weit! Ach, weit!

Das weisse Meer liegt eingeschlafen,
Und purpurn steht ein Segel drauf.
Fels, Feigenbäume, Thurm und Hafen,
Idylle rings, Geblök von Schafen, –
Unschuld des Südens, nimm mich auf!

Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben,
Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer.
Ich hiess den Wind mich aufwärts heben,
Ich lernte mit den Vögeln schweben, –
Nach Süden flog ich über’s Meer.

Vernunft! Verdriessliches Geschäfte!
Das bringt uns allzubald an’s Ziel!
[352] Im Fliegen lernt’ ich, was mich äffte, –
Schon fühl’ ich Muth und Blut und Säfte
Zu neuem Leben, neuem Spiel …

Einsam zu denken nenn’ ich weise,
Doch einsam singen – wäre dumm!
So hört ein Lied zu eurem Preise
Und setzt euch still um mich im Kreise,
Ihr schlimmen Vögelchen, herum!

So jung, so falsch, so umgetrieben
Scheint ganz ihr mir gemacht zum Lieben
Und jedem schönen Zeitvertreib?
Im Norden – ich gesteh’s mit Zaudern –
Liebt’ ich ein Weibchen, alt zum Schaudern:
„Die Wahrheit“ hiess diess alte Weib  . . .



[358]

„Mein Glück!“

Die Tauben von San Marco seh’ ich wieder:
Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf.
In sanfter Kühle schick’ ich müssig Lieder
Gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf –
Und locke sie zurück,
Noch einen Reim zu hängen in’s Gefieder
– mein Glück! Mein Glück!

Du stilles Himmels-Dach, blau-licht, von Seide,
Wie schwebst du schirmend ob des bunten Bau’s,
Den ich – was sag ich? – liebe, fürchte,  n e i d e  . . .
Die Seele wahrlich tränk’ ich gern ihm aus!
Gäb’ ich sie je zurück? –
Nein, still davon, du Augen-Wunderweide!
– mein Glück! Mein Glück!

[359] Du strenger Thurm, mit welchem Löwendrange
Stiegst du empor hier, siegreich, sonder Müh!
Du überklingst den Platz mit tiefem Klange – :
Französisch, wärst du sein accent aigu?
Blieb’ ich gleich dir zurück,
Ich wüsste, aus welch seidenweichem Zwange . . .
– mein Glück! Mein Glück!

Fort, fort, Musik! Lass erst die Schatten dunkeln
Und wachsen bis zur braunen lauen Nacht!
Zum Tone ist’s zu früh am Tag, noch funkeln
Die Gold-Zierathen nicht in Rosen-Pracht,
Noch blieb viel Tag zurück,
Viel Tag für Dichten, Schleichen, Einsam-Munkeln
– mein Glück! Mein Glück!



Quelle:
Nietzsche’s Werke. Erste Abtheilung. Band V. Die fröhliche Wissenschaft („la gaya scienza“). Leipzig: C. G. Naumann 1900.



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