Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Friedrich Matthisson

Kurzbiografie

Friedrich Matthisson (*23. Januar 1761 in Hohendodeleben bei Magdeburg – †12. März 1831 in Wörlitz) war deutscher Schriftsteller und Lyriker. 1778 bis 1781 studierte er Theologie, Philosophie und Literatur in Halle, 1781 bis 1783 war er Lehrer am Philantropium in Dessau, ging anschließend auf Reisen und war pädagogisch tätig. 1795 wurde er Vorleser und Reisebegleiter der Fürstin Luise von Anhalt-Dessau (1750-1811), mit der er erstmals nach Italien reiste, wo sie zahlreiche kulturell und historisch bedeutende Städte und deren Sehenswürdigkeiten besuchten. Im Sommer 1796 kehrten sie über Venedig, Triest und Wien nach Dessau zurück. Dem Italienaufenthalt widmete er poetische Werke in Distichen. Es folgten später Reisen mit der Fürstin in die Schweiz, nach Tirol und auch wieder Italien, das Erlebte schrieb er in seinen Reisebriefen nieder. Nach dem Tode der Fürstin trat er bis 1825 in die Dienste des Herzogs Friedrich II. von Württemberg. Ab 1827 verbrachte er seinen Lebensabend in Wörlitz.

Gerd Gruitrooy



[233]

DER GEMSENJÄGER.

Wer, mit herkulischer Stärke, der flüchtigen Gemse sich nachschwingt,
Scheint mir in Bettlergestalt noch ein Erkorner des Glücks.
Stürzt’ ihn auch feindlich Kronion in Tiefen des Jammers: Er bliebe
Doch durch den eisernen Arm selbst sich ein mächtiger Gott.



[235]

WUNSCH AM SALIS.

Du, mit dem kindlichen Herzen und männlichen Geiste, dein Leben
Halle noch Lenzmelodien, wann dir die Locke schon bleicht.
Einst, in der ländlichen Heimath, verleih’ seinen Lorber Apollon
Und ihren himmlischen Kranz Venus-Urania dir!



[236]

BONNET.

Wolken erheben sich nie bis zur Stirn dieses heiligen Greises,
Und in Aurorens Gestalt winkt ihm der lächelnde Tod:
Denn, wie der Hirt auf den Alpen in glänzender Heitre des Donners
Rollen aus nächtlichem Thal, hört er der Leidenschaft Sturm.



[237]

DIE FELSENQUELLE.

Tochter des Felsen! die silbern durch lachende Thäler sich windet,
Immer noch forsch’ ich umsonst, wie man im Lande dich nennt.
Ruhmlos tränkst du bald Blumen, bald Haine der Götter mit Segen,
Gleich dem bescheidnen Verdienst, nur im Olympus genannt.



[238]

VAUKLUSE.

1792.

Nebelgedüfte, von Sternen durchflimmert, wie Ossians Geister,
Schweben am Felsenkoloß, über der brausenden Fluth.
Also erschien hier den Träumen Petrarkas die Wolke des Todes
Mild von den Sternen durchstralt in der vollendeten Kranz.



[239]

DER GRANATAPFEL.

Hoch von des Weinbergs Gemäuer winkt röthlich Proserpinas Apfel,
Welcher nach Stürmen die Brust süß mit Vergessenheit labt.
Süßer doch labt es, beim Lächeln Aurorens der Stürme zu denken.
Schöne, feindselige Frucht! nein, ich berühre dich nicht!



[241]

LUGANO.

Heitres Lugano! du lachtest uns Pilgern des eisigen Gotthards,
Wie nach Orkanen der Port Schiffern im Abendroth lacht.
Einer Gondel gewahrten wir auf der bepurpurten Klarheit
Deines romantischen Sees; uferwärts wogte sich rasch.
Schneller durchgleitet Poseidons Gefild’, in der zierlichen Muschel
Mit dem Delphinengespann, Psyche, die Schiffende, kaum!
Und wir erkannten die nordische Sappho von fern an dem Schleier
Der in Luisiums Hain luftig die Stirn ihr umflog.



[242]

DIE LANDSCHAFT.

Hier in des Feigenbaums dunkler Umlaubung das friedliche Moosdach,
Jene Kaskade die wild über den Felsenhang schäumt,
Nah’, die mit Pinjen bekrönten, mit Lorbeern umgürteten Hügel,
Fern, die Ruinen der Burg, kühn in die Bläue gethürmt:
Herrlich vor Tausenden mußte dies heute dem Wandrer erscheinen,
Der sich auf Alpenschnee noch gestern im Nebel verlor.



[243]

VILLA PLINIANA.

Unter Zypressen und Lorbeern, am luftigen Sturze der Quelle,
Welche dir, Plinius, einst ländlichen Schlummer gerauscht,
Und wo du dankbar ein Wäldchen den Musen und Grazien weihtest,
Hatte zum fröhlichen Schmaus Komus die Freunde geschaart.
Und wir erhuben die Hände zur Speis’ und zum köstlichen Tranke,
Den uns die Quelle gekühlt, gleich den Heroen Homers.
Plinius machte den Wirth; doch keinem Gespenste des Kirchhofs
Oder dem steinernen Gast Don Juans glich die Gestalt.
Freundlich, in Agathons Bildung, vertheilt’ er des attischen Salzes,
[244] Vieles erzählt’ er von Rom, vieles vom weisen Trajan.
Schon war die Sonne gesunken; die Ruderer mahnten zur Heimfahrt;
Gleitend auf spiegelnder Fluth, sagen wir:  K e n n s t  d u  d a s  L a n d ?
Lustig begrüßte von Komos Gestad’ uns die gellende Syrinx:
Also beschloß noch Musik diesen harmonischen Tag.



[245]

HESPERIENS ZAUBER.

DER FREMDLING.

Ist’s ein elysischer Traum? Ein holdes, milesisches Mährchen,
Was, mit so warmer Magie, freundlich die Brust mir umfängt?

DIE MUSE.

Selbst in der Wirklichkeit sanften, dich brünstig umschlingenden Armen,
Ahnt, wie’s dem Sterblichen ziemt, Täuschung dein zweifelndes Herz.
Kein aus den Düften elysischer Blumen gewobenes Traumbild
Hat, unter Mirten am Quell, so dich mit Wonne berauscht.
Sieh! diese glänzende Reine des Aethers, dies ewig vermählte
[246] Zeitigen, Keimen und Blühn, diese so mild vom Olymp
Ueber die Schöpfung ergoßnen lebendigen Tinten der Jugend,
Und der Begeisterung Hauch glühend am Grabe der Zeit:
Fremdling! das ist’s, was den Menschen und selber den seligen Göttern
Hier mit so warmer Magie freundlich den Busen umfängt.



[247]

CAMPO VACCINO.

Seht! wie der bärtige Mönch zur Kanzel die Tonne sich aufstellt,
Dicht vom unendlichen Troß lungernder Bettler umdrängt,
Hier, wo die Rostra sich einst am Tempel Kronions erhuben
Und ihres Redners Triumph über den Erdkreis erscholl.
Ciceros Donner verhallten; es folgte die Kapuzinade:
Feldherrn, im Pompe des Siegs, wichen der Prozession
Märtyrerbilder, geweiht in Loretto, küßt gläubig der Pilger,
Wo dein bekränzter Altar, heitre Konkordia! stand.
Dort, um den Bogen Severs, wo Krüppel ihr Jammerlied heulen,
[248] Thürmten Jahrhunderte stets höher und höher den Schutt.
Dürftigkeit flickte das Obdach an trauernde Marmorportale,
So wie die Schwalb’ an den Sims klebte das luftige Nest.
Wo sich mit Wundern der Kunst, o Friede! dein Heiligthum schmückte,
Lagern, dem Fleischer zur Wahl, Stiere sich käuend umher.
Wo, vor dem Kaiserpallaste, die Prätorianer in stolzer
Herrlichkeit schimmerten, dreht einsam der Seiler das Rad.
Krähend nimmt Polischinell seinen Stand, wo, nach heiliger Sage,
In den flammenden Riß muthig sich Kurtius warf.
Ha! wie zum komischen Liebling des Markts die Gemeinde der Frommen,
Schnell sich vom tragischen kehrt, welcher die Tonne bestieg!



[249]

RAPHAELS VERKLÄRUNG.

Als er das Wunderbild kaum der hohen Verklärung vollendet,
Trug seine Seele zu Gott freundlich ein Seraph empor.
Göttlich das Göttliche lohnend, erhub in der Fülle des Lebens
Und in der Blüthe des Ruhms, ihn zur Verklärung der Herr.



[250]

SYMPOSIUM IN TIVOLI.

Hurtig, mein wackrer Francesco, den Tempel der Vesta zu schmücken!
Siehe! den Korb der des Mais holdeste Kinder bewahrt.
Flicht um die Säulen den Sprößling der Mirte mit silbernen Blüthen,
Und auf den Estrich ergeuß Purpur und Gold und Azur.
Dorthin die gastliche Tafel! so schirmt auch vor Helios Gluthen
Uns den gehenkelten Krug sichrer des Feigenbaums Zelt.
Lustig herbei nun, ihr Freunde! hier dampfen getupfte Forellen,
Die durch die Grotte Neptuns wagten den tödtlichen Sprung;
Hier, in bekränzten Pokalen, blinkt ächter horazischer Nektar;
[251] Dessen der Halbgott mit Lust noch im Olympus gedenkt.
Ihm, dem Unsterblichen, sprengen wir festlich des Trankes zum Opfer!
Dort, wo der Pfaffe nun plärrt, sang er, von Göttern belauscht:
„Heute verscheucht, o Genossen! mit Weine die Schmerzen der Seele;
Morgen aufs neue durchpflügt ihr das unendliche Meer“!



[252]

ANGELIKAS KRANZ.

Als, auf Apollons Gebot, Aglaja die Krone des Nachruhms
Flocht für Angelikas Haupt, sangen die Musen im Chor:
„Mögst du an Schöne die Blumen der lächelnden Hebe verdunkeln,
Du, die wir segnen und weihn, Zierde der edelsten Stirn“!
„Hauche, gleich Cypriens Kranz, ambrosische Düfte“! rief Pallas.
„Blüh’ unverwelklich durch mich“! sprach die Bescheidenheit sanft.



[253]

ANGELIKA.

Dreimal besucht’ ich nun schon Angelikas Wohnung; doch immer
Sah’ ich Angelika nur, ihrer Gemälde nicht eins.
Drum hab’ ich heute die Stunde, wo nach der borghesischen Villa
Oder zur Messe sie fährt, klüglich vom Diener erforscht.
Träf’ ich zum Tausendstenmal Angelika bei den Gemälden,
Würd’ ich zum Tausendstenmal doch nur Angelika sehn.



[254]

DER MALER.

Selig wie Götter, durchschweb’ ich den Himmel der Kunstideale,
Wo mit der Palme von fern Raphaels Genius winkt.
So muß die ärmlichste Kost sich mir in Ambrosia wandeln
Und mir die Nymphe des Borns reichen der Hebe Pokal.



[255]

HALCYNISCHE TAGE.

1796.

Recht halcyonische Zeiten erwarteten uns zu Neapel;
Ruhig blieb immer das Meer, still der erschöpfte Vesuv.
Warfst du da, murrend wie Jonas, dein Tagebuch nicht in den Winkel?
Aber die Menschlichkeit, Freund, opferte Kränze des Danks!



[256]

BAJÄ.

Neben der Aloe wuchern hier indische Feigen am Steinwall
Welcher des Kaiserpallasts glänzenden Portikus trug,
Und der misenische Golf noch schirmt er die Barke des Fischers
Wirthlich, so wie er einst Roms mächtige Flotten geschirmt.



[257]

DER LORBER AN VIRGILS GRABE.

Lange von Pilgern zerzaust verdorrte der heilige Lorber,
Welchen Kalliope zog, endlich am Grabe Virgils.
Aber so weißsagte Kumas erhabne Prophetin: Ein andrer
Grünt, von Apollon gepflegt, einst über Klopstocks Gebein.



[258]

DIE ZYPRESSEN IM WEINGARTEN.

Jenes dem Schooß’ Amphitritens entschwellende Thyrsusgefilde
Ladet vom stäubenden Pfad uns zur erquickenden Rast.
Seht! es gesellt sich der düstern Zypresse dort freundlich die Rebe,
Wie sich dem Schmerze die Lust freundlich im Leben gesellt.



[259]

DIE WEINBLÜTHE.

Nichts auf der Erde kann feiner, ätherischer, lieblicher duften,
Blüthe des Weinstocks, als du, die noch kein Dichter besang.
Wahrlich! des Holden das noch durch Lieder kein Sterblicher ehrte,
Ist wie des Nützlichen viel, das noch kein Sterblicher that.



[260]

STUMMES DULDEN.

Feige Sterbliche nur und aberwitzige Schwärmer
Schrein von den Dächern ihr Weh’, Mitleid erbettelnd vom Volk.
Klage geziemt nicht dem Starken. Im Kampf mit dem eisernen Schicksal
Siegt nur die rüstige That: Worte sind Beute des Sturms.
Schlägt ihm ein ähnliches Herz, so geb’ er sich ganz und auf ewig:
Bleibt ihm dieß Kleinod versagt: werd’ er sich selber die Welt.



[261]

PÄSTUM.

Nur im Gesange der Dichter blüht Pästums gefeierte Rose!
Traurig umwanken des Schilfs bräunliche Kolben ihr Grab.
Wallte nicht Opfergewölk, beim Jubel der Hymne, vom Altar
Hier wo der Asphodell nun Düfte des Orkus verhaucht?
Klangst du auf Marmor, o Münze! die tief den Ruinen der Landmann
Schwarz und gepräglos entgräbt, nicht in den Hallen des Markts?
Aber die mächtigen Tempel der poseidonischen Meerstadt
Boten Jahrtausende schon Trutz der verzweifelnden Zeit.



[262]

DIE QUELLE.

Quelle des einsamen Thals! von schirmenden Wipfeln umsäuselt,
Wenn auch kein Wandrer dich nennt, wenn auch kein Barde dich pries,
Bleibst du dennoch von allen Gewässern der Erde mir theuer,
Bis dein erbleichendes Bild sanft in die Lethe sich taucht.
Ach! in Hesperien selbst erklang dir die Laute der Wehmuth;
Dir auf Parthenopes Flur, dir am entbrannten Vesuv;
Dir in den Göttergefilden der poseidonischen Tempel,
Wo noch des scheidenden Jahrs Hora mit Blumen sich krönt;
[263] Dir auf den grauen Ruinen, am Grabe der heiligen Roma;
Dir an des Anio Sturz und am blandusischen Quell.
O daß die silbernen Alpen erst wieder im Süden mir glänzten!
Alles zieht mich zu dir unwiderstehlich zurück.


Quelle:
Gedichte von Matthisson. Fünfte vermehrte Auflage. Zürich: Orell, Füssli und Compagnie 1802.

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit