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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Friedrich Ludwig Zacharias Werner

Friedrich Ludwig Zacharias Werner (*18. November 1768 in Königsberg – †17. Januar 1823 in Wien), Sohn eines Professors der Geschichte und der Beredsamkeit in Königsberg und einer pietisti-schen, dem religiösen Wahnsinn verfallenen Mutter, studierte seit 1784 Philosophie, Rechts- und Ka-meralwissenschaften an der Universität Königsberg, brach das Studium jedoch ab und trat 1793 in den preußischen Staatsdienst ein, in dem er zehn Jahre lang auf untergeordneten Positionen (1793 Kam-mersekretär in Südpreußen, später in Warschau) aushielt. Er war mit dem Verleger Julius Eduard Hit-zig (1780-1843) und dem Schriftsteller E. T. A. Hoffmann (1776-1822) befreundet. Werner besaß ein so exzessives wie exzentrisches Gemüt, das sich im Leben wie im Dichten manifestierte. Hatte sein Dichten durchaus missionarische Züge –  und zwar im Sinne einer Verkündigung christlicher Tugen-den, so war sein Leben doch ziemlich triebgesteuert, wie zwei (seiner drei) Ehen mit wenig gut be-leumundeten Frauen und zahlreiche Affären ausweisen. In Warschau entstanden die beiden Schauspie-le „Die Söhne des Tals“ (1803-1804) und „Das Kreuz an der Ostsee“ (1806), die seine Fähigkeit zu effektvoller Dramaturgie belegen. In Berlin verhalf der berühmte Schauspieler Iffland dem Drama „Martin Luther oder die Weihe der Kraft“ (1806) zu großem Bühnenerfolg. 1807 lernte er auf einer Reise nach Weimar Goethe kennen, der seine Tragödie „Wanda, Königin der Sarmaten“ im folgenden Jahr aufführen ließ. Für Werner sollte das Theater geradezu Aufgaben des antiken Tempels erfüllen, das neue Drama einen idealisierten Katholizismus verkünden. Nach der Aufführung des einaktigen Schicksalsdramas „Der vierundzwanzigste Februar“ in Weimar (und zwar am 24. Februar 1810) reiste Werner nach Wien, Paris und zu Germaine de Staëls Wohnsitz Schloss Coppet. In Rom trat er am 19. April 1811 zum Katholizismus über und erreichte die päpstliche Annullierung seiner drei geschiede-nen Ehen. 1814 ließ er sich in Aschaffenburg zum Priester weihen und widerrief im Drama „Die Wei-he der Unkraft“ seine früheren Dichtungen. In Wien hielt er während des Wiener Kongresses Aufse-hen erregende Predigten und las der französischen Exkaiserin Marie Luise aus seinem Drama „Kune-gunde die Heilige“ vor. Nach Aufenthalten in Podolien beim Grafen Choloniewski (1816) und in Ka-mieniec lebte er von 1819 bis zu seinem Tod im Wiener Augustinerkloster. Werner hat zwischen 1808 und 1813 zahlreiche Italiengedichte verfasst, in denen die Spannung zwischen irdisch-derber Sinnen-lust und mystisch-religiösem Höhenflug spürbar ist. Seine Diktion ist nicht unverkrampft: Ein Meister der deutschen Sprache war er durchaus nicht, und seine Verse holpern oft mehr schlecht als recht da-hin.

Gunter Grimm



[171]

Eintritt in Italien.

(Am 25. August 1808.)

Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben;
Ach hätt’ ich früher euer Grün geschauet,
Als noch des Lebens Morgen mir gegrauet!
Ich kann nicht leben mehr! – ich kann nur glauben.
Hatt’ ich nicht ein Anrecht mich zu sonnen
Im Lebensstrahl, dem ich, wie Ihr, entsprossen;
Wie euch durchrieseln frisch die kühlen Bronnen,
So war auch ich vom Lebensquell durchflossen.
Warum hab’ ich nicht früher euch gewonnen,
Ihr meiner kindlich süßen Lust Genossen!
Ach hättet ihr sie wohl mir lassen rauben?
Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben! –
Und mich umgaukelten die süßen Träume,
Doch konnt’ ich nicht gleich euch die Unschuld hüten,
Denn sie erstarb mir schon im Frühen Keime;
Darum saust um mich er Stürme wildes Wüthen,
Vergebens winken wir die Sternenräume,
Der dumpfen Trauer bin ich angetrauet;
Ach hätt’ ich früher euer Grün geschauet.
Was wölbt ihr euch, ihr bräutlich grünen Auen,
[172] Was spreitet ihr euch, weiche Rasendecken?
Den Witwer laßt, den stillen, starren, jammern;
Könnt ihr die früherwürgten Freuden wecken?
Kann ich doch nie mein andres Ich umklammern!
Denn schon hab’ ich die Mitternacht geschauet,
Als noch des Lebens Morgen mir gegrauet.
D’rum will ich nur mit namenlosem Sehnen
Noch einmal Lebewohl dem Leben sagen!
Fließt noch zuletzt, ihr bittersüßen Thränen!
Du kindlich Herz, willst du noch einmal schlagen.
Jetzt trocknet, Thränen, schließt euch, helle Scenen,
Erstarre, Herz, wir scheiden sonder Klage!
Du blühtest, und die Blüthe muß zerstauben;
Ich kann nicht leben mehr, ich kann nur glauben!
Und doch – o daß ich, ewig junge Lauben,
Nicht früher euer duftend Grün geschauet!
Es ist zu spät! – der düstre Abend grauet!
Ich kann nicht leben mehr – werd’ ich noch glauben?



Isola madre.

(Auf dem Lago maggiore, den 26 August 1808.)

Pilger.

Du Riesenbischof, der vom Berge droben
Herunter schauet, segnend, auf die Tristen,
Einathmend Weihrauch von Citronendüften
In Tabernakeln von Azur gewoben.

Du, der der Fluth, die stürmisch sich erhoben,
Gebot, und Todte auferweckt in Grüften,
Ach, kannst du herrschen in des Herzens Klüften,
Gebeut dem todten Meer in mir zu toben.


[173] San Carlo Borromeo.

Ein Pilgrim zog auch ich von dieser Erde
Zum Muttereiland, um, was mir gestorben
Wie dir, zu suchen in den Träumen;

Da nahte, der das Leben uns erworben,
Im Säuseln mir von meinen Lorbeerbäumen,
Und sprach: Verlaßner, weide meine Heerde.



Kurze Biographie.

(Zwischen Sesto und Mailand, den 27. Aug. 1808.)

Ein Kindlein schläft auf mißbedeckten Kisten,
So kränklich klein; säht ihr es in der Wiegen,
Ihr würdet kaum es seh’n darinnen liegen,
Nicht glauben, daß es mag das Leben fristen.

Dann trägt es Muttertreu an ihren Brüsten
Und Leben saugt’s mit allzu gier’gen Zügen.
Ein ewig Kind, kann’s saugend nur sich fügen
Und weiß nicht, ach, zum Kampfe sich zu rüsten.

Die Weihnacht deckt das gräßliche Gebilde
Von seinen Folterwonnen, Sünden, Thränen;
Doch Orion ist ihm in Nacht erschienen,

Der Gletscher Eis zerschmilzt sein banges Sehnen,
Dann taumelt s durch elysische Gefilde,
Zum Grabe nun! wiegt freundlich es Lawinen!



[202]

Die steinernen Kirchenväter.

(Borgo San Domino, den 15. November 1809. Bei Gelegenheit von zweien steinernen Löwen, die dort die Säulen des Portals einer Kirche tragen.)

Zwei wüth’ge steinerne Leuparden tragen
Der Kirchenhalle schlanke kühne Säulen;
Die Grimm’gen hat des Künstlers Hand mit Keilen
Zu Piedestalen des Portals geschlagen.

Ha, wenn sie lebten, würden sie’s nicht wagen
Der allzukühnen Bürde zu enteilen?
Dann würd’ der Säulen Einklang schnell sich theilen,
Zertrümmern, was jetzt stolz empor darf ragen.

So dienet selbst das Böse der Erscheinung
Dem Künstler, drauf zu bau’n mit weisen Sinnen
Die Hallen, die zum Liebestempel führen.

Doch läßt er von des Bösen Lust sich rühren,
Dann fehlet seinem Baue die Vereinung,
Und seine Schöpferfreude muß zerrinnen.



[203]

Vor Rom.

(Den 9. December 1809, als am Morgen desselben Tages gedichtet, an dem ich zu Rom anlangte.)

Also heute soll ich dich erblicken,
Herrlichstes der Wunder dieser Erde,
Freistatt einst gewaltiger Dämonen,
Tempel Gottes jetzt, der nie sein Werde
Sprach mit so allmächtigem Entzücken,
Als da dich er schuf, auf dir zu thronen;
Heute soll ich wohnen,
[204] Wo die alten Weltenherrn gehauset,
Wo der Weltenretter Blut geflossen,
Wo, auf Gräbern heiliger Colossen,
Auferstehungsost durch Lorbeern sauset,
Heute soll ich Petrus Riesendom,
Dich erblicken, götterreiches Rom! –

Leih’ mir, Morgenröthe, deine Schöne,
Deinen ersten Strahl, erstandne Sonne,
Brautnacht, deine Schau’r, Gebet, dein Schauen,
Ihr Symbole höchster Liebeswonne,
Leiht euch mir anstatt der armen Töne,
Auszusprüh’n mein freudiges Vertrauen:
Daß auf diesen Auen,
Wo der Thron der Herrlichkeit gegründet,
Ich, der auch zur Herrlichkeit erkoren,
Sie durch Schuld und Schwäche hat verloren,
Wieder neu der reinen Kraft verbündet,
Rettung find’ aus dem Gewühl der Zeit,
Die auch mir vererbte Göttlichkeit

Ha, zersprengen will ich alle Ketten,
Nicht der Sünde bloß, nein, auch des frommen
Wahns, als sey im Traume nur der Friede;
Rom, du hast auch mir den Muth entglommen,
Um der Welt Palladium zu retten,
Zu bewahren es im ew’gen Liede!
Ob auch von mir schiede
Jugend, Unschuld, Himmelsblüthen,
Ich beweint’ euch, ich will nicht mehr weinen,
Eins nur blieb mir, will mir nun erscheinen,
Treu will ich’s, das einzig Treue hüten:
Die mir angestammte Schöpferkraft,
Die, wie Gott, durchs Wort die Welt erschafft!

[205] Jugend, mag dein Veilchenduft zerrinnen,
Unschuldlilie, mag dein Weiß zerstieben,
Rosenschmelz der Liebe, sey vergangen!
Gluth fühl’ ich, die ganze Welt zu lieben,
Muth, mich selbst als Kunstwerk zu beginnen,
Gier zum Kampf, wie Helden Gottes rangen!
Fleuch! ruf’ ich zum bangen
Schmerz. – Entschüttelnd mich dem Nebeltraume
Will in schöner Erd’ ich Wurzel schlagen,
Mich der Ceder anzuranken wagen,
Die den Wipfel schirmt vom Lorbeerbaume! –
Rom, da thront es! – Ueber Petrus Grab
Strahlt vom Petersdom des Glaubens Stab! –



Quelle: Zacharias Werner’s Sämmtliche Werke. Aus seinem handschriftlichen Nachlasse herausgege-ben von seinen Freunden. Erster Band. Poetische Werke- Gedichte bis zum Jahre 1810. Grimma: Ver-lags-Comptoir. O. O.

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[3]

Italien.

(Schon während des Verfassers Aufenthalt zu Rom im Jahr 1810 geschrieben und als Einleitung zu einer beträchtlichen Anzahl noch ungedruckter Gedichte bestimmt.


Eine Stiftshütte hat der Herr erbauet
Den Pilgern auf des Lebens Wüstenauen,
Daß, wer vermag ihr Inneres zu schauen,
Dem vor der Welt Sirokko nicht mehr grauet.

Ein armer Pilger hat sie angeschauet,
(Ein Sänger heil’ger Minne, hoher Frauen),
Will, was er sah, als Räthsel Euch vertrauen,
Daß dem, der jedes Räthsel lös’t, Ihr trauet! –

Den Vorhof hüten blitzende Giganten
Von Eis, Poseidon, Aphroditens Haine,
Das Thor des Heiligen Phöbos Lorbeerhügel,

Die Wiege kränzend seines Hierophanten;
Das Allerheiligste, daß d’rin erscheine
Der Eros, schirmen Michaels, Raphaels Flügel!

            _______


[4] Italia, auf deren heitern Fluren
Wie Feu’r- und Wolkensäul’, sich scheinbar trennen,
Im Seyn vereinigt sind die Dioskuren,
Die Heiden Schönheit, Christen Gnade nennen,
Italia, die Deinen Sinn erfuhren,
Sie lernen dieses Räthsels Deutung kennen;
In Demuth wandeln in der Wunder Mitte,
Befestigen, beschränken sie die Schritte.

Doch sonderlich die Pilger, die entsprungen
Dem Mutterlande sind, wo sie geboren,
Die, weil sie unstät hierhin, dorthin drungen,
Mit jedem Schritte mehr die Spur verloren,
Und einsam, nicht von Freundes Hand umschlungen,
Den einzig ihnen Uebrigen erkoren,
Den Schmerz – sie lassen unter Deinem klaren
Azur den düsteren Gesellen fahren!

So seh’n sie in den Gletschern, die, Giganten
Vergleichbar, jenseits Piemont sich thürmen,
Und in den mittelländ’schen, sonnentbrannten,
Meerwogen, die mit Liebeswuth bestürmen
Lombardia’s Myrthenhaine, nur Trabanten,
Die Deinen Vorhof, Friedenshütte, schirmen,
Auf daß in Dir, befreit vom Trüben, Kalten,
Die Opfergluth sich heiter mög’ entfalten.

Und wenn Piacenza’s Zinnen sie durchzogen,
Wo der Farnesen Erzgestalten glänzen,
Und Parma’s Weichbild, wo, bei Ceres Wogen,
Die trunk’nen Ulmen schlanke Reben kränzen,
Und Modena’s, Bologna’s Flur durchflogen,
Wo Marmorvillen schön den Blick begränzen,
Und überstiegen dann die Appenninen,
So ist das Thor des Heiligen erschienen!

[5] Denn heilig Land darf ich zu nennen wagen,
Wo die von Medicis das Licht erblicket;
Kann nied’re Demuth ihren Stolz verklagen,
Der wie den Panzer, den Talar geschmücket,
Des Geistes Flammen kühn hat angeschlagen?
Zwar sind an deren Dunst wir hier ersticket,
Jedoch ein Fürstenspiegel ist geblieben,
Der Medicäer fürstlich Schönheitslieben!

Doch, wenn ein weiser Fürst das Heil der Erde,
Wie Thau den Keim erweckt der Blüthenauen,
Weil Jeder kann am heil’gen eig’nen Heerde
Das Haus erbau’n und dem Gesetz vertrauen,
So ist doch heil’ger, wenn, wie Gott, das „Werde“
Ein Meister spricht, der Gottes Glori schauen
Und an sie deuten kann, sein Hierophante,
D’rum sey mir heilig, Vaterland des Dante!

Es hat der Herr, der immer auf uns wendet
Die Vateraugen und den Blick der Gnaden,
Wohl manchen ew’gen Meister uns gesendet,
Zumal, wenn wir von schwerer Zeit beladen,
Doch keinen hat er je der Welt gespendet,
Der kühner sich in seinen Strahlen baden
Und tauchen konnt’ in seine Schreckensgluthen,
Als jenen Riesengeist, den Schönen, Guten!

Denn wer der Meister, die im ew’gen Liede
Des Menschenseyns Unsterblichkeit bekunden,
Dieweil durch ihre Macht der Liebe Friede
Entfesselt und der Tod ward überwunden,
Hat, ob er noch so künstlich auch ihn miede,
Nicht endlich doch den dunkeln Punkt gefunden,
Den seines Geistes Leuchten nicht durchscheinen,
Bei dem er still steh’n muß, um still zu weinen? –

[6] Dem Archimed allein des Hochgesanges
Hat Christus selbst das Sternenthor erschlossen,
Hat ihm, auf Scnwingen seines goldnen Klanges,
Den Gnadenpfeil in’s kühne Herz geschossen,
Höll’, Reinungsfeuer, Paradies durchdrang es
Dieß Herz, ein Blitz deß, der das Heil ergossen,
Durchdrang und niederrang’s den Geometer
Als Lieb’, er Sonnen rollen sah am Aether!

Doch schweige, Lied, von dem, dem ich erliege!
Ihr aber wollt des Räthsels Wort verstehen,
Daß Dante’s bergumkränzte Lorbeerwiege
(Wo mir, am Dome, seines Geistes Wehen
Entgegensäuselnd Hoffnung gab zum Siege,
Sollt’ ich durch wilde Zeit auch untergehen,
Gleich ihm!) – daß ich Italiens Wundermitte,
Florenz, das Heil’ge hieß der Friedenshütte.

Doch Alles, was vom Alten und vom Neuen,
Wenn Ewiges wär’ alt und neu zu heißen,
Will zu Florenz des Menschen Herz erfreuen,
Aus seinen engen Schranken es will reißen,
Das Alles (noch muß ich’s zu künden scheuen,
Weil ich mich erst zu reinen muß befleißen!)
Das Heil’ge selbst, nur nicht sein Geist, muß sinken,
Seht Roma’s Allerheiligstes Ihr blinken! –

Vom Venusberg erzählt die Wunderkunde,
Daß, wenn von dort die fernen Töne klungen,
Der, welcher sie vernahm zu nächt’gen Stunde,
Urplötzlich ward von Sehnsucht ganz durchdrungen,
Und, daß er nie vom süßen Weh gesunde,
Es wie mit Zauberbanden ihn umschlungen,
[7] Gezogen habe fort durch Ström’ und Auen,
Wie er den Berg geschaut im Morgengrauen.

Und wenn erglommen er des Berges Pforten,
Sey Geistesgruß entgegen ihm geschwommen,
Hinunterlockend ihn zu stillen Orten,
Wo Diamant, Smaragd, Rubin entglommen;
Nur selten wer und wer auch sey von dorten
An’s dunkle Tageslicht zurück gekommen,
Doch immer wieder sey mit Zaubertönen
Er hingelockt zur Venusburg, der schönen! –

So tönte mir auch schon als zartem Knaben,
Am trüben Ostseestrand, verworr’ne Sage
Vom klaren Rom, das aller Götter Gaben
Geweiht zur hohen Freistatt würd’ger Klage;
Wie Sünde, Schmerz und Reue mich auch haben
Verfolgt, vom frühsten bis zu diesem Tage,
Doch stets, und selbst im wilden Wüstenwallen,
Hört’ ich der fernen Roma Glocken schallen!

Und als ich schier erlag trostlosen Schmerzen,
(Den Schmerzen, die verdammen, statt zu segnen!)
Als mir verbargen sich die Himmelskerzen,
Die Thränen selbst mir nicht mehr wollten regnen,
Und als allein ich stand mit meinem Herzen,
Allein! – (es möge Keinem das begegnen!) –
Da kam, als ich mich kaum mehr konnte regen,
Die Hohe mir mit Huld und Trost entgegen!

Und von der Peterskuppel höchsten Spitze
Flog Michel Angelo, mich loszubinden,
Im Vatikan, mit seinem Farbenblitze
Heilt’ Raphael die Augen mir, die blinden,
[8] Und niederschwebt vom goldnen Wolkensitze
D e r  Eros, der, mag er auch oft verschwinden,
Uns wieder naht, und selbst durch unsre Sinnen
Uns zu dem ew’gen Heile will gewinnen!

So sah aus Glauben, Hoffnung, Lieb’, den Dreien,
Ich den Demant, Smaragd, Rubin mir gleißen;
Als Räthsel nur konnt’ ich zu konterfeien,
Was selbst mir noch ein Räthsel, mich befleißen.
Der sich mir zeigte, mög’ er mich befreien,
Dem Schrei’n, dem Treiben, mich der Pein entreißen,
Der Friedensberg! Doch, müßt’ ich auch ihn meiden,
Nie wird von ihrem Eros Psyche scheiden! –

Das ist des Räthsels Wort. Wem es genüget
D a s  W o r t, der kann die Räthsel all’ erklären,
Und, was die Zeit auch über ihn verfüget,
Er weint sie nicht die hoffnungslosen Zähren.
Die Zeit, die falsche, nicht die Dichtung lüget.
Was Wolken thürmt, muß den Azur verklären:
Bald wird mir Flügeln, Köcher, Pfeil, den Reinen
(Sie kennen Ihn!) der reint und eint, erscheinen! –

Bis dahin nehmt, was ich mit treuem Sinnen
Euch aus des Heiles Heimath und des Schönen,
Wo immer noch die Lebensbäche rinnen,
Und immer noch die Friedenspsalmen tönen,
Wo Lebensmüde Stärkung sich gewinnen,
Und die mit sich Entzweiten sich versöhnen,
Nehmt gütig an das Oelblatt, das ich sende
Vom Lande, wo der Anfang und das Ende!

[9] Der aufgeregten Sündfluth wilden Wogen,
Der schwache Sang kann ihnen nicht gebieten,
Der Sänger wird von außen fortgezogen,
Denn ihn umstürmet auch der Wellen Wüthen
Doch wenn er schimmern sieht den Bundesbogen,
Das kann, mit Gott, im Innern ihn behüten,
Und wie zum Noah flog die fromme Taube,
Bringt er der Welt, was nicht der Fluth zum Raube! –

Zwar will der Dichtung schier die Kraft gebrechen,
Die Wirklichkeit, die hohe, zu erreichen,
Die jetzt, uns heilend von den sünd’gen Schwächen,
Sich offenbart in kühnen Wunderzeichen.
Empört ob vor’ger Nichtigkeit Erfrechen,
Ist jetzt dem nächt’gen Meersturm zu vergleichen
Die Zeit! – Und was wir Kunst und Weisheit nennen,
Sind Zwillingssterne, die im Dunkeln brennen.

Wenn Well’ an Welle sanft und leise gleitet
Wenn auf dem unbewegten Fluthenplane
Nicht mit dem Boreas Poseidon streitet,
Und Phöbus schwingt die goldne Friedensfahne,
Wenn Uranos, den Purpur ausgespreitet,
Mit Milde naht dem Vater Oceane;
Dann freut der Schiffer sich der Bahn, der weiten,
Vergessend oft der Sterne, welche leiten.

Doch wenn die Windsbraut brausend sich empöret
Und durch die Wogen schrei’t im Zornesfeuer,
Neptun, im Frieden seiner Burg gestöret,
Zum Kampfe ruft die Meeresungeheuer,
Wenn, statt des Strahls, nun Phöbos Blitz bethöret,
Die Nacht, sich einhüllt Uranos, sein Treuer,
Und Ocean erhebt die Riesenglieder;
Dann suchen wir die Zwillingssterne wieder!

[10] Woran könnt’ auch des Schiffers Blick sich halten?
Das Dunkel deckt ihn ja mit Rabenschwingen!
Am Tage sah er freundliche Gestalten,
Ein Meer von Funken in dem Weltmeer springen,
Jetzt, wo das Schiff am Felsen sich will spalten,
Jetzt kann er nicht die tiefe Nacht durchdringen,
Und Hoffnung kann mit thränenmüden Augen
Er nur aus jenen milden Sternen saugen! –

Italien, als Deine Prachtruinen,
Die zweier Welten Herrlichkeit begränzen,
Nach Winkelmanne’n, Göthe’n einst erschienen,
Und hin sie winkten zu den Lorbeerkränzen,
Als Stollberg, der, die Palme zu verdienen,
Sich würdig stolz entrang den Musentänzen,
Als jenes Meisterpaar und dieser Weise
Dich sah’n, da war das Weltmeer noch im Gleise!

Sie konnten Deiner Schöne sich erfreuen,
Und schwelgen in der Herrlichkeiten Mitte,
Die alten Weltenwunder und die neuen
Beschwingten jeden ihrer kühnen Schritte,
Und wollten sie, was unterging, bereuen,
Die lebensvolle Welt, die Vätersitte,
Doch hatte sich der Fülle, die verschwunden,
Ein Uebermuth der Sehnsucht schön entwunden!

Wie anders hab’ ich, Roma, Dich getroffen,
Dich, hehre Mutter alles Heiligschönen!
Ich rann zu Dir, mit dem gerechten Hoffen,
Du würdest mit dem Schicksal mich versöhnen,
Und was erblickt’ ich! – Nero’s Grabmahl offen,
Des alten Würgers Manen, die Dich höhnen:
Daß, vor des neuen Nero Frevlerblitzen,
Selbst Katakomben Deine Treu’n nicht schützen!

[11] Ach ich, dem Sterne, als ich ward geboren,
Die Freude nur zum Schmerzenleiter schenkten,
(D’rum auch in Allem, was ich je erkoren,
Sich meine Schritte stets zum Abgrund lenkten!)
Ich, dem die Lust, die volle, ging verloren,
Weil Schuld und Strafe sie in’s Grab mir senkten,
Mag And’re goldner Wein des Lebens kühlen,
Nach meinem Gold muß ich in Gräbern wühlen!

Doch wenn auch Roma’s Marmorbilder alle,
Und alle Tempel, Forums, Colisäen,
Wenn Pästo’s meerumspülte Säulenhalle,
Und die Triumphesbogen, die Trophäen,
Gewecket von der ew’gen Tuba Schalle,
Aus ihren Gräbern könnten auferstehen;
Wär’s jetzo Zeit nach Herrlichem zu fragen,
Jetzt, wo das Allerherrlichste will tagen?!

Wär’s Zeit, wenn auch im nächt’gen Sturmestosen
Der Blick uns noch für manches Eiland bliebe,
Für manche frische, manche welke Rosen,
Die, wenn nicht im Orkan das Schifflein triebe,
Und Tag es wär’, wir eilten liebzukosen,
Wär’s jetzo Zeit für eine ird’sche Liebe,
Sey’s auch die edelste der Menschenketten,
Jetzt, wo die ew’ge nur allein kann retten!

Nur Eins ist jetzo Noth und dieses Eine,
Ich darf, ich will, ich kann davon nicht weichen;
Die Vorzeit spiegelt es im Mondenscheine,
Die Zeit, die flammt’s in ernsten Feuerzeichen,
Die Folgezeit, wenn Phöbos Stahl, der reine,
Das Dunkle wird, das Starre wird erreichen,
Sie, welche näh’ ist, wird es offenbaren:
Ob alle wahren Meister Lügner waren! –

[12] Ich, unwerth, mich den Reinen zu gesellen,
Die durch das Wort die Räthsel alle lösen,
Ich strauchelte in’s Dunkel aus dem Hellen,
Vom Gut der Unschuld jagt’ ich zu dem Bösen,
Was warnend auch mir klang von Delphos Schwellen,
Ich hörte nur die Berggewässer tösen,
Und wähnte, sah ich plätschern die Najaden,
Dione käm’, um in der Fluth zu baden!

So hab’ ich Vieles unrecht dann berichtet,
Und, was noch schlimmer, unrecht mehr gelebet,
Bis sich mein Geist zu dem hat aufgerichtet,
Der, über allem Schein, im Urseyn schwebet!
Noch ist der Zwiespalt nicht in mir geschlichtet,
Weil noch die Nacht um manchen Punkt sich webet,
Doch hat die hohe Roma mir beschieden
(Deß dank’ ich Gott!) die Möglichkeit vom Frieden!

Und was ich bringe, diese dürft’gen Lieder,
Merkzeichen sind’s des Weges, den ich eilte,
Seitdem, nach vielen todten Jahren, wieder
Zum ersten Mal mein Blick am Leben weilte,
Seit ich es sah das Land, auf welches nieder
Die Gottheit sank und sich in ihm vertheilte.
Das, was ich in Italien empfunden,
Ich hab’ es mir um Leichenkranz gewunden! –

Denn auch die niedrigste der Sonnenwenden
Hat das vor allen Blüthen, Blumen, Früchten
Voraus, daß, eh’ sie muß ihr Daseyn enden,
Sie ihre Krone darf zur Sonne richten.
So darf, der seine Hoheit darf verschwenden,
Der Sünder, wenn er Christ, zum Kreuze flüchten,
Und dieß Asyl im Leben und im Sterben,
Das, gnäd’ge Roma, halfst du mir erwerben! –

[13] Es wird dich, Weltenherrin, von den Banden
Erretten, der in Dir den Fels begründet,
Der seiner Kirche nimmer kömmt abhanden;
Triumph im Trübsal hat er ihr verkündet,
Drum wurden immer alle noch zu Schanden,
Die gegen Deine heil’ge Macht verbündet;
Der den Maxenz that in die Tiber jagen,
Hat Julian, den Apostat, erschlagen!

Doch wenn Du wieder Freiheit hast erworben,
Zeuch groß, gerecht und rein die Sternenbahnen,
So wie die Heil’gen, die für Gott gestorben,
Und sterbend schwangen noch die Siegesfahnen!
Noch immer ist, was Gott geweiht, verdorben,
Sobald gebuhlt es hat mit dem Profanen;
Du, Herrin, sollst nur vor dem Herrn Dich neigen,
Doch groß, gerecht und rein der Welt Dich zeigen!

Dann werden meine Brüder, die Teutonen,
Die, großhaft selbst, was rein und recht verehren,
Auch, gleich den alten Heldenlegionen,
Zu dem lebend’gen Gotte wiederkehren;
Wir Alle sah’n ihn auf den Blitzen thronen,
Und niederschmettern falsche Lügenlehren,
Und in der Nacht der Greuel wir erfuhren,
Daß Glaub’ und Liebe sind die Dioskuren!



[14]

Sanges Allmacht.

(Ein Gespräch zwischen einem deutschen Pilger und der heiligen Cäcilia. Gehalten am Siegesfeste deutschen Gesanges zu Rom, den 15. März 1810.)

Pilger.

Will Rom den Lenz mit allen Wonnen krönen,
Verkünden seinen Zug die Nachtigallen.
Ertönt Triumphgesang aus Sternenhallen,
Und feiert Sphärenklang den Sieg des Schönen!

Der flücht’ge Lenz in diesen ew’gen Tönen? –
Der Engel Lieder sind’s die niederschallen!
Sie tödten mich – so süß! Hinüberwallen
Ich möcht’ es! – Töne, wollt ihr mich versöhnen.


Sancta Cäcilia.

Carlottens Seele ringt in sonnenreiner
Verklärung, darum dringt durch ihre Klänge
In dich ihr Gott! Das Schöne kommt von Oben!

Bet’ um ein reines Herz so wie es meiner
Genossin gab der Vater der Gesänge,
Bevor du wagst das Herrliche zu loben!



Rückkehr zur Heimath.

(Den 22. März 1810, in Wolffs Stammbuch.)

Wer eilt von Roma’s Lorbeerhügeln
Der weit entfernten Heimath zu,
Der muß den trägen Schritt beflügeln,
Und wandern sonder Rast noch Ruh.
[15] Doch hat nach treu durchwallten Stunden
Die Heimath wieder er gefunden,
Und wird er ihrer sich bewußt,
Dann kann er selbst sich Rom erbauen;
Es thront mit ihren Sternenauen
Die Götterstadt in seiner Brust.



[16]

Frühlingsnachtmahl.

(Neapel, in der Villa reale den 14. Mai 1810 in einer hellen Mitternacht.)

Die Maiennacht liegt in Gebet zerflossen,
Durch Blumenkelche ziehn die Mondesstrahlen,
Die leise in der duft’gen Opferschaalen
Smaragdne Pracht das goldne Blut ergossen.

In Silberflor jungfräulich eingeschlossen,
Wallen die Wellen unter Sternchoralen,
Sie, die auf flüssig blaukrystallnen Thalen
Pausilipps perlbekränzten Leib genossen!

Die Rieseninsel mit den Doppelspitzen
Schmückt den Vesuv; das Hochamt wird er halten
Wenn ihn die Stola von Rubin umkreist.

Da seh ich den saphirnen Dom sich spalten,
Des Blüthenaltars Diamantbild blitzen,
Und nah’n der Mutter mir versöhnten Geist.



Priesterweihe und Firmelung.

(Rom am merkwürdigen Trinitatisfeste den 17. Juni 1810. im Johann von Lateran.)

Im Tempel Sankt Johann des Lateranen
Stand ich, die Brust durch tiefen Schmerz zerrissen,
Zu sehn, gefesselt von den Finsternissen,
Das Heer, dem der gesandt, den Weg zu bahnen.

[17] Zwar frische Krieger schworen zu den Fahnen,
Eilten zum Kampf, dem blutigen, gerissen;
Selbst Kindelein, des Ahnenruhms beflissen,
Zu Ringern eingesalbt vom Veteranen.

Doch blieb der Schmerz. Da rief ich: Trost, erwache!
Ich rief, am Altar betend hingegossen,
Dreiein’ger, schleuß des Zorns verdienten Bronnen!

Da flog der Strahl! Johannes, lichtumflossen,
Blickt’ auf zum Weib, bekleidet mit der Sonnen,
Und, zischend, sank der siebenköpf’ge Drache.



Jungfräuliche Erde.

(Rom den 17. Juni 1810.)

Mit Pflügen, Ernten ist’s ein seltsam Wesen.
Es kann der Pflug sich in den Boden wagen,
Doch darum blos wird der nicht Früchte tragen,
Sey er auch sonsten noch so auserlesen.

Der Keim, er kann nur dann der Frucht genesen,
Wenn er in jungfräulicher Erd’ geschlagen
Die Wurzel hat, dann treibt er sonder Zagen
Den Halm, das Korn, bis daß er muß verwesen.

Drum sey gegrüßet, jungfräuliche Erde,
Du wirst, wenn auch in bittern Mutterwehen,
Uns bald die frischen reifen Früchte bringen.

[18] Den Keim wird spalten, der ihn kann durchdringen,
Der Phöbus, welcher peitscht die Sonnenpferde
Zum Untergang, doch auch zum Auferstehen.



Der Vorabend des Peter- und Paulsfestes.

(Rom den 28. Juni 1810.)

„Justus non, sed peccatorum desiderium peribit. –

Felix Roma!“

„Nein, der Gerechte wird nicht untergehen,
Nein, nur der Wunsch der Sünder wird vernichtet!“
Am Petrusfest sah ich den Spruch, gedichtet
Von Gott, am Dome Buonarotti’s stehen.

Und durch den Domkoloß empor zu sehen
Wagt’ ich, zur Ewigkeit! Und hoch geschichtet
Lag da der Sünder Last, und: „Nicht geschlichtet,
G e r i c h t e t  wird’s!“ hört’ ich die Donner wehen.

Es bebten in des Himmels mächt’ger Halle
Bei des Allmächt’gen Nah’n die Seraphinen.
„Gerecht! – Wer ist es?“ bebt’s vom Himmeldom.

Und Petrus, Paulus, Stephanus und alle
Blutzeugen flammten über Roms Ruinen.
„Gerecht ist Liebe!“ klang es. – Glücklich Rom?



[19]

Die pontinischen Sümpfe.

(Als ich sie am Morgen des heiligen Pfingstfestes den 9. Juli 1810 durchfuhr.)

Die Straße läuft gerade, schlank und heiter,
Es steh’n die schönen schnellen Lauf zu leiten
In Doppelreihen Bäum’ auf beiden Seiten,
Mit vollem Laub, wie grün gestählte Reiter.

Die Sonnenstrahlen flieh’n wie goldne Reiter,
Und wo durch meer- und bergumkränzte Weiten
Die junge Flur sich üppig aus will spreiten,
Zieh’n um sie leichte Nebel als Begleiter.

Doch gift’ge Sümpfe lauern tückisch unten;
Wer sich von ihnen läßt in Schlummer wiegen,
Dem spenden sie im Blüthenduft den Tod!

Den Tod, den reichumkränzten, freud’gen, bunten,
Ihr beide gabt mir Macht ihn zu besiegen:
Pfingstabend in mir, um mich Morgenroth!



Das Coliseum.

(Rom den 14. Juli 1810.)

An Fiorentinen.

Daß einem hohlen Zahne zu vergleichen
Des Coliseums ausgehohlte Trümmer,
Du sprachst es mir, als wir im Mondenschimmer
Es vor uns sah’n, das riesenhafte Zeichen.

[20] Und die geopfert dort, ich sah sie schleichen
Durch das Gemäuer, leuchtend bleich wie Flimmer,
Die Märtergeister raunten mir: Was immer
Der Zahn zermalmt hat, konnt’ er uns erreichen? –

Da sah mein Geist den hohlen Zahn der Zeiten,
Das Schicksal nagen an den Erdenblüthen,
Doch dir im Aug’ sah ich die Sternenbahn.

Wenn ihre Reinheit treu du magst behüten,
Du Blühende, dann mag das Schicksal streiten,
Sie siegt! – Er nah’ ihr nicht der hohle Zahn!



Der hohle Zahn.

(Rom den 15. Juli 1810.)

Durch reinen Kindermund spricht Gott, der reine;
Zum Beispiel: Gestern Nacht kam ich gegangen,
Wo leer des Coliseums Trümmer prangen,
Erfüllet waren sie vom Mondenscheine.

In solchem Falle bin ich gern alleine,
Um meinen eignen Träumen nachzuhangen.
Doch will ein Trosteswort zu mir gelangen,
Ich halt’ es fest, und wär’s auch noch so kleine.

So gestern sprach, als dort ich stand, gequälet
Vom Fall der Pracht, ein reinlich Kind mit Lächeln:
„Das Coliseum ist ein hohler Zahn.“

[21] Weissagend Wort! der Unschuld Sterberöcheln,
Das, Zahn, du einschlangst, hat dich ausgehöhlet,
Denn der Zermalmer muß sein Recht empfah’n!



Villa Este.

(Tivoli den 19. Juli 1810.)

An den E. P. von O.

Wo hohe Herrn und Frauen einst gegangen,
Beim Springquell, den Platanen und Cypressen,
Wo sie des niedern Wohls und Wehs vergessen,
Das Heil der Welt mit kühnem Geist umschlangen;

Hier, wo die hohen Meister Lieder sangen,
Wo Ariosto, dem Natur gesessen,
Der durch den Scherz den Ernst hat ausgemessen,
Den Preis errang, nach dem die Würd’gen rangen:

Hier sind die hohen Bäume noch und Quellen,
Die hohen Herren nur sie sind verschwunden,
Platzräumend einem niedrigen Geschlechte.

Du Sohn des Vaters, der gerecht erfunden,
Laß nicht von niederm Volk dir Garne stellen,
Gleich jenen Herren übe du das Rechte.



[22]

Der Herr und der Cyniker.

(Tivoli den 19. Juli 1810.)

An Colvina.

Es war ein Herr, der hatte einen Garten,
Und drin Bildsäulen, Quellen und Palläste,
Viel schöner noch als wie die Villa Este;
Und dieses Gartens that er täglich warten.

Ein schön Gemisch von Kräftigem und Zarten,
Sah man von jedem Guten dort das Beste,
Und immer freudig waren alle Gäste,
Die schön vereint sich dort zusammen schaarten.

Da kam ein kahler Cyniker gegangen;
Gegangen? Nein! – gerollt in seiner Tonnen;
„Sie“, krächzt’ er, „ist ein Garten, ein Pallast!“

Jedoch der Hausherr, zürnend ob dem Prangen
Der Winzigkeit, zertrümmert er den Brast,
Und sonnte sich in seines Gartens Wonnen!



Der breite Stein.

(Rom den 23. Juli 1810.)

A.

Wenn einem Pilger ist wie mir geschehen,
Daß Deutschlands Stolz er sah, und Roms Ruinen
Zur Hochzeit konnt’ er der Aldobrandinen,
So wie zu Helios, durch’s Salve gehen.

[23] (Die Herrn und Frau’n, die wieder nicht verstehen,
– Solch Herrn- und Frau’nvolk ist mir oft erschienen –
Bitt’ ich, weil ich mit Licht nicht mehr kann dienen,
Zu Rom und Weimar selber nachzusehen!)

Kurz: wo zu Rom die Hochzeit ist zu schauen,
Spielt’ ich ein Pfänderspiel im Lustvereine,
Gesellt mit guten Herr’n und güt’gen Frauen;

Ich stand, so traf sich’s, auf dem breiten Steine,
Und: „Wer mich liebet“, rief ich, „hol’ mich ein!“
Da kamen alle Lieben, Groß und Kleine!


B.

Salve Regina, darf mit Recht ich sagen,
Zur Königin, die nicht mich hat verlassen;
Zur Liebe, die, wollt’ ich sie flieh’n und hassen,
Doch nie geruht zu Salve mich zu jagen.

Als einmal ich das Salve that umfassen,
Hat es zu meinem Meister mich getragen,
Und wo die feste Burg hat aufgeschlagen
Das Heil, zu Rom, darf ich in Liebe prassen!

Euch, die auf breitem Stein ihr mich umschlungen,
Der einsam steht in jedem Lustverein,
Sey dankbar dieß mein Liebeslied gesungen!

Mein Lebenlang rief ich vom breiten Steine
Zur Magd: „Wer liebt mich, holt mich ein!“
Sie floh, die Herrin kam! – Bin ich alleine?



[24]

Die Wahlverwandtschaften.

(Rom im Juli 1810.)

Vorbei an Gräbern und an Leichensteinen,
Die, schön vermummt die sichre Beut’ erwarten,
Hinschlängelt sich der Weg nach Edens Garten,
Wo Jordan sich und Acheron vereinen.

Erbaut auf Triebsand will gethürmt erscheinen
Jerusalem; allein die gräßlich zarten
Meernixen, die sechstausend Jahr schon harrten,
Lechzen im See, durch Opfer sich zu reinen.

Da kommt ein heilig freches Kind gegangen,
Des Heiles Engel trägt’s, den Sohn der Sünden,
Der See schlingt Alles! Weh uns! – Es war Scherz!

Will Helios die Erde denn entzünden?
Er glüht ja nur sie liebend zu umfangen!
Du darfst den Halbgott lieben, zitternd Herz!



Werner’s Klagen

um seine Königin

L o u i s a  v o n  P r e u ß e n.

(Rom den 4. August 1810.)

Entfernt vom Vaterlande,
Hoch über’m Erdenlande,
[25] Bei Gräbern der Tyrannen,
Umringt von Roma’s Pracht,
Wo Lebensbäche rannen:
Da fleht’ ich um den Frieden;
Auch schien er mir beschieden,
Es schien der Schmerz vollbracht.
Da naht ein fernes Trauern
Sich mir durch Roma’s Mauern;
Wie heimisch klang die Klage,
Der Ton schien mir bekannt.
Was tön’st Du, Ton? ich frage;
Da hör’ ich’s deutlich tönen:
„Die Schönste hat der Schönen
Ihr Engel uns entwandt!“ –

Und was verschwand von Schmerzen
Dringt neu zu meinem Herzen,
Und seltsam faßt mich Wehmuth,
Weiß nicht, wie mir gescheh’n.
Sah ich in hoher Demuth
(So frag’ ich mich mit Grauen)
Die Schönste nicht der Frauen
Vor mir vorübergeh’n? –
Sie – ?! – Und mich ein will’s engen,
Will mir den Busen sprengen.
Weh’ mir! ruf ich in Aengsten;
„Weh!“ wiedertönt’s von fern! –
Beklemmt vom Schmerz, dem bängsten,
Blick’ ich nach Rom’s Ruinen,
Den klaren: auch aus ihnen
Säuselt’s: „Es schwand dein Stern!“ –

Ihr, denen meine Lieder
Im Busen klangen wieder!
[26] Hat meine Lust, mein Weinen
Getröstet Euren Sinn;
Wollt Eure Klage einen
Mit meinen, die, zu söhnen
Die Trauer, trostlos tönen
Um meine Königin! –
Ihr römischen Ruinen,
Vom warmen Strahl beschienen,
Die Pracht schwand Euch von hinnen,
Doch Eure Sonne nicht;
Der Zier der Königinnen,
Die allen Reiz verdunkelt,
Ach meiner Sonn’ entfunkelt
Nicht mehr das warme Licht. –

Ihr ewig Jungen Blüthen,
Die Roma’s Tempel hüten,
Euch hat erzeugt, verschlungen
Hat Sie der Erdenschlund;
Wie Euch, schien Ihr gelungen
Der Schmuck der ew’gen Jugend;
Da, neidend so viel Tugend,
Schlang sie der kalte Grund!
Du Petersdom, gegründet
Auf den, dem ich verbündet,
Der mir das eitle Grauen,
Den niedern Schmerz geraubt;
Euch ros’ge Marmorauen,
Die ob dem Weltthron scherzen,
Klag’ ich die würd’gen Schmerzen:
Daß meine Ros’ entlaubt!

Denn als mir ging verloren,
Was Jedem angeboren,
[27] Den hat das Heil getroffen,
Zu seyn ein Menschensohn;
Und als mein letztes Hoffen,
Mit meinem ersten Wähnen,
Als selbst der Quell der Thränen
Mir schien verrieselt schon:
Da sah im Sturmestoben
Ich, von der Nacht umwoben,
Die hohe Saronsrose
Wie fernes Morgenroth:
Ich dankte meinem Loose
Und, auch von Ihr vertrieben,
Ist treu ihr Duft mir blieben;
Auch den zerhaucht – der Tod! –

Doch was will ich noch klagen,
Wo so viel Herzen zagen,
Wo meines Volkes Jammer,
Wo jede Tugend klagt?
Des Grabes Riesenklammer
Kann Klage nicht zersprengen
Und nichts die Nacht verdrängen,
Bis daß der Morgen tagt! –
Auch schelt’ ich nicht das Schalten
Der himmlischen Gewalten,
Die das zurück verlangen,
Was ihnen ward entwandt.
Ich weiß: der Rose Prangen,
Es kam aus hoher Ferne:
Die Blume reift zum Sterne
Das ist mir wohl bekannt.

Nur Ein’s füllt mich mit Grämen
(Ich darf mich deß nicht schämen,
[28] Mir schenk’ ich nicht mehr Thränen!
Mich quält der Schönheit Schmerz! –
Warum denn stets Hyänen
Um jedes schöne Leben?
Und ihnen Preis gegeben
Dein Kleinod, armes Herz? –
Wahr sprach der edle Sänger,
Dem’s bang auch schlug und bänger,
Bis daß zum Quell der Wesen
Er durft’ hinübergeh’n;
Auch ich hab’ ihn gelesen
Den Spruch: „Zertreten werden,
Das ist, zum Loos auf Erden,
Der Schönheit auserseh’n!“

L u i s a, wie den Reinen
Die Seraphim erscheinen,
So rein, so schön, so milde,
Spiegel vom ew’gen Licht!
Wob Dir’s sich nicht zum Schilde.
Dich vor dem wilden Wüthen
Des Schicksals zu behüten,
Das nied’re Herzen bricht? –
L u i s a, Du, die Reine,
Wie mehr wie Du wohl Keine,
Der Himmelsköniginnen
An Huld und Qualen gleich;
Du mußtest Dir gewinnen
Wie  S i e, durch’s Schwert der Leiden;
Die Wollust, abzuscheiden
In Dein ursprüngliches Reich! –

So schmecke dann den Schlummer!
Es schäme sich der Kummer,
[29] Daß ihn Dein göttlich Dulden
Nicht früher trieb zur Ruh’.
Was Dir verblieb an Schulden,
Es wusch in blut’ger Laugen,
Der dir die Azuraugen,
Dein Heiland, drückte zu! –
Doch Deine Segensfluthen,
Sie wogen vor, Dir Guten,
Zum Quell, dem Du entsprungen,
Der nie versiegend ruht;
Und mir, der dieß gesungen
In mitternächt’gen Stunden,
Rufst Du, die überwunden:
„Vergebens floß kein Blut!“

Hör’s, Ihr Gemahl, mein König,
Ihr Sohn, mein künft’ger König;
(Nicht stirbt der Kön’ge König!
Habt Demuth, habet Muth!)
Die Gattin hat’s gesprochen,
Die Mutter hat’s gesprochen,
Gott, Kön’ge, hat’s gesprochen:
„Vergebens floß kein Blut!“ –
Ihr lerntet, Preußen, Brennen,
Den Kern des Schmerzes kennen,
Ich darf Euch Brüder nennen:
Habt Demuth, habet Muth!
Gluth muß das Gold bewähren,
Der Thau erfrischt die Aehren,
E s  z ä h l t, w e r  w ä g t, d i e  Z ä h r e n!!!
M ä c h t i g  i s t  M ä r t’ r e r b l u t!!! –



[30]

Omnia quae non aeterna, vana sunt.

(Rom den 14. August 1810.)

A.

Heut sind zwei Dutzend Jahre just verstrichen,
Seit, sonder Schärpe, Federhut und Orden,
Die, wie bekannt, sind invalid geworden,
Ein Großer, Friedrich, ist davon geschlichen.

Sein immorteller Freund ist auch verblichen,
Und jetzt Feldpred’ger der gehörnten Horden,
Doch geht’s noch frisch mit Lügen und mit Morden,
Es blüht die Kunst, wenn auch zwei Meister wichen.

Zwei große Weisen, und so bald vergessen,
Und all ihr Lärm! – Hab’ mal mich umgetrieben
Im Alpthal; da hat still, mit weißer Scheitel,

Ein kleiner dünner Pfaff am Fels gesessen,
Und dran gekratzt: „Was ewig nicht, ist eitel!“
Ein klein dumm Sprüchlein ists; nicht wahr Ew. Liebden? –



Erleuchtung der Peterskuppel.

(Rom den 15. August 1810.)

A.

Willkommen Wölbung, so wie die vollkommen,
Die höher sich, nicht schöner, ballt zusammen,
Die Himmelskuppel, der die Kreis’ entstammen,
Die der allmächt’ge Mensch ihr hat genommen!

Bist du von Gott zu uns herabgeschwommen,
Steinerner Himmel? Er rauscht auf in Flammen!
Luft, Licht beseligt, Stein und Gluth verdammen,
Nein, Stolzer, du bist nicht aus Gott entglommen!

Die Flammen löschen, und, der schon gespalten,
Der Dom, stürzt heute, morgen, ein mit Krachen!
Ich kann ihn nicht, ich möcht’ ihn auch nicht halten!

[32] Der Buonarotti selbst wird drüber lachen;
Sein Lichtdom ist mit ihm zu Gott gefahren,
Die Gluthkopei – umsummt sie, Mückenschaaren.


B.

Du Dom, nicht feste stehn? Du Pharus fallen?
Was stände fest denn? – Schönes auf dem Reinen!
Du Sternendom, so schön ist dein Erscheinen,
Mit Schamroth färbt es selbst die  Himmelshallen!

Und reiner? – Von den Sternenkreisen allen
Wer kann geründeter als du erscheinen,
Begränzter, klarer? O daß alle Meinen
Dich säh’n, die Sprache kann dich ja nur lallen!

So rief ich, wollte nicht vom Sternpalast,
Doch riß es mich, durch fremdes Glutgebrause,
Zum Trinitatisberg, wo ich zu Hause.

Ich sah herab; ab fiel der Flammenballast
Der Dom, er stand, und raunte mir: „Gespalten
Bin ich wie du, doch wird der Fels uns halten!“ –



Die Büste.

(Rom, den 22. August 1810.)

A.

Eh’ wird ein Bild in Marmor ausgehauen,
Muß es in Thon zuvor geformet werden:
In bildungsbarer, bildungslust’ger Erden,
Die Wasserkraft hat können überthauen.

[33] Doch eh’ im Thon das Bildniß ist zu schauen,
Da hat der arme Thon gar viel Beschwerden,
Durch vieles Kneten lernt er sich geberden,
Der formlos lag in grüner Heimath Auen.

Der Kopf ist angelegt und an den Rücken
Die Brust geknetet, da muß, abgegossen
In Gyps, das Weiche sich in Starres drücken!

Die Form ist fertig, Meister wirft es nieder,
Das Bild von Thon, und schafft es marmorn wieder!
Wir aufersteh’n in unserm Fleisch, Genossen! –


B.

Das Bild, als nun die Form war abgenommen
Dem thönernen, und, weil sein Zweck vollendet,
Der Thon vom Meister wiederum gesendet
Dem Staube ward, von dem er war genommen,

Das Bild schien sich im Winkel eingeklommen,
Wohin der Thon vom Meister war gespendet
Zum künft’gen Werk! „D’rum ward ich,“ klagt’s, „entwendet,
Ich Thon, der Au, wo Thauesfunken glommen!“ –

Da sah es sich in Marmor auferstehen,
Das Bild, und merkte nun mit freud’gem Grauen,
Daß es im Thone schon nur Bild gewesen.

„Heil mir, daß ich, der niedern Au genesen,
Ich Bild,“ so – jauchzt’ es, „darf zum Meister schauen!“ –
Ihr Jünger, Fleischeslust muß untergehen!



[34]

C.

In schmutz’ger Werkstatt ist es aufgestellet
(Die ganz jedoch dem Zweck ist angemessen),
Das Marmorbild, und hat den Thon vergessen,
Von innerm Marmorglanze schon erhellet.

Da steht es, herrlich, wie es ist entquellet
Dem Meisterhaupt, wo’s von Beginn gesessen;
Nicht ahnend, saß es, was es sey, noch wessen,
Des Meisters, der doch treu sich’s hielt gesellet! –

Jetzt sehnt sich zum Pallast sein freud’ges Bangen.
Wo es vom Meister soll erhoben werden,
Prachtvoll, kein Thon mehr, kein vom Kneten müder! –

Doch, würd’ es dort wohl glorreich können prangen,
Wär’s hier nicht schon aus bildungslust’ger Erden
Geformt? – O laßt uns hier schon aufsteh’n, Brüder! –



Aller guten Dinge sind drei.

(Rom, am 19. November 1810.)

Sich mit hoher Duldsamkeit
Wappnen gegen schwere Zeit;
Edles Seyn mit edlem Schein
Einen, um auch schön zu seyn;
Und den eignen edlen Sinn
Richten nur nach Edlem hin;
Kränzen Tisch, Altar und Schwert,
Ist der Jungfrau Amt und Werth.



[35]

Das versenkte Schloß.

(Angefangen den 5. October 1810.)

Morgenwind, der durch Cypressen rauschet,
Pinien, die ihr seinen Psalm belauschet,
Du, vom grünen Hügelkranz umschlossen,
Demantspiegel, von Kristall durchflossen,
Burg von Nami, die der Ahn gethürmet,
Die nicht mehr den schwachen Enkel schirmet,
Du Geflüster aus verwehten Tagen,
Was willst du mir klagen? –
Und, wie ferne Harfen und Posaunen,
Hör’ ich sie zu mir herüber raunen,
Töne aus des See’s kristallnen Tiefen,
Die im tausendjähr’gen Schlummer schliefen
Und ein Wechsellied hör’ ich erklingen,
So wie Mann und Männin sich umschlingen!
Laß vernehmen mich die Geisterweise!
Ostwind! Juble leise! –
„Sunamitis!“ – „„Laß mich süß noch träumen!““ –
„Hörst du oben dort die Perlen schäumen,
Ferne Klänge aus des Seees Gründen?
Wogende, was wollt ihr mir verkünden?“
„„Held von Salem!““ – „Ihr saphirnen Augen
Thut ihr auf euch? Laßt mich aus euch saugen!
Melodieen, wollt mit eurem Säuseln
Ihr mich auch umkräuseln?“ –
„„Hörst du den Verlaßnen oben girren,
Held von Salem, und die Ketten klirren?““ –
„Ja, denn von des Burgthurms Diamanten
Spiegelt sich das Antlitz des Verbannten!“ –
„„Held von Salem, laß uns Trost ihr tönen,
Eil’ ihn, Bräutigam, wie mich zu söhnen!““ –
    [36] „Sulamitis! dir sey es beschieden,
Bring’ du ihm den Frieden!“ –
Welch wollüstig ahnungsvolles Bangen! –
Will der Schlummer wachend mich umfangen?
Ostwind, wecke mich! – Er ist verschwunden!
Wie mit Schwanenarmen hält umwunden
Mich der See; die Klänge sich ergießen! –
Könnt’ in ihnen ich zerfließen! –
Und die Nixe lispelt: Dich zu trösten
Nah’ ich, der Erlösten!
Holde Herrin, sprich, wie ist dein Namen?
Als die Wasser noch mich auf nicht nahmen,
Als die Gluth noch nicht war ausgebrennet,
Ward „Fiordiana“ ich genennet! –
Hier, wo ewig rauhe Lüfte rinnen
Herrscht’ ich einst, die Zier der Königinnen,
Ob der goldnen Ritter freud’gen Schaaren;
Hier am See dem klaren!



[37]

Sonnenaufgang.

(15. October 1810.)

(Auf der Specula im Capuzinerklostergarten zu Albano.)

a.  G l o r i a.


Aurorens Fahne weht schon auf den Bergen,
Die stolz das Lager Hannibals begränzen,
Nur will noch, trotzend vor der Göttin Glänzen,
Der hohle Berg sich und die Welt verbergen.

Wie die Sabinen, seine blauen Schergen,
Erröthen! unterdeß mit Nebelkränzen
Im Flieh’n die nächt’gen Geister Gift kredenzen
Der Riesin Roma, schlummernd unter Zwergen!

Erbebt, Dämonen! Phöbus naht! Entzügelt
Mein Blick durch ihn, sieht schon, vom Meer umschlungen,
Geschützt, das Vorgebirg Felicita!

Den hohlen Berg hat Phöbus Pfeil durchdrungen,
Sein Strahlenheer die Schergen überflügelt,
In Blut verklärt liegt Zion Roma da.


[38]    b.  A g n u s  D e i.


Und unter mir von Bergen eingeschlossen
Liegt der Albanersee! die Strahlen dringen
Durch Meer und Land;  i h n  will noch Nacht umschlingen. –
Ja, dunkler See, dich nenn’ ich den Genossen.

Doch kannst, von innerer Klarheit du durchflossen,
Du Reiner, durch dich selbst die Nacht bezwingen;
Ich Sündensohn, wie soll ich mit ihr ringen?
Dein Gnadenquell hat mir sich nicht ergossen.

Euch, die mich Nachts im Klostergärtchen freuten,
Im Mondschein glüh’nd, wie Purpursammt mit Spangen,
Duftlose Velutelten, mag ich gleichen!

Duftlos konnt’ ich durch Scheingluth Glanz erbeuten,
Doch dürft als Opfer ihr des Altars prangen.
Kein Opfer bin ich, nur ein warnend Zeichen.


c.  A m e n.


Die Berge.

Wir Berge sind, wie du, noch Erdumgeben;
Doch raunt es uns aus mitternächt’gen Auen:
Im Fleisch sollst, Erde, du den Herren schauen,
Wenn nun er wird im Fleische niederschweben.


Der See.

Wir Wasser, ob wir auch in Klarheit weben,
Den tiefen Schlund, ihn birgt noch Nacht und Grauen
Doch klang Gesang prophetisch, den wir trauen
Dein Blut soll, Fluth, das Fleisch der Flur beleben.


[39] Die Blumen.

In dem, der uns gefärbt mit seinem Blute,
Grünst nun auch du vielleicht als Aronsruthe.


Die italienischen Morgenstrahlen.

Uns diamantne duft’ge Feuerwellen
Nennst dunkel du, will dich nie Licht erhellen?


Alle Elemente.

Drum wasche, Mensch, wie wir die Schuld in Thränen,
Und blick’ wie wir auf den, der kann versöhnen!



Gesang

über Michael Angelo’s jüngstes Gericht.

(Fragment.)

(Angefangen den 21. November 1810.)

„Tag des Zorns, du nahst im Stillen,
Wo das Feu’r wird überschwillen!“
Sangen David und Sibyllen.

Dieser Gesang, prophetisch helle,
Zischt mir entgegen auf der Schwelle
Von Michel Angelo’s Capelle.

Auge, du bebest dich aufzuschlagen,
Ha, welch’ ein Anblick, ich muß verzagen,
Schützt mich, ihr Engel und feurigen Wagen!

Da ist er da, mit dem Zorn, mit dem Grausen,
Da ist der Tag, wo die Rachfluthen brausen,
[40] Da ist er (Michael schrei’t es im Sausen
Messias, der richtende Zebaoth!

Welche Trau’r gebiert die Stunde,
Wenn nun aus des Richters Munde
Tönt des strengen Urtheils Kunde!

Und sie ertönt, die Riesenrechte
Zuckt er dem frevelnden Geschlechte
Entgegen, der Herr der Rächermächte.

Er schleudert den Rachfluch, die Heil’gen zittern,
Die Frevler, ereilt von des Fluchs Gewittern,
Hinstürzen, die Säulen der Welt zersplittern.

Der Richter erhebt sich vom wolkigen Throne,
Die Heil’gen, die Mutter vom ewigen Sohne,
Ihr Blick schrei’t verstummend, vergebens: Verschone
Verfluchte (Gott donnert’s in’s ewige Feu’r!

Die Drommet im Wundertone
Dröhnt bis in des Grabes Zone,
Treibend alles Fleisch zum Throne.



Villa Borghese.

(Den 12. Januar 1811.)

a. Ασκληπιω σωτηρι.

Am Sabbath war’s, nach der Erscheinung Feste,
Gesättigt ging ich in Borghesens Gängen,
Dem Mahl des großen Königs nachzuhängen,
Zu dem der Sternenherold lud die Gäste.

[41]Der Ostwind kräuselte die Lorbeeräste,
Die Vögel eiferten mit den Gesängen
Des Morgenlichts, zu dem sich wollten drängen
Die Wasser, Wein zu werden, Wein, der beste!

Im See, den Tempel bauend, die Najaden,
Sie blitzten auf, indeß gesenket blieben
Die Thränenweiden über Roma’s Grabe.

Da sah mein Aug’ am Tempelfrieß geschrieben:
„Aesklepios, Heiler,“ sah am Schlangenstabe
Den Gott im See, doch auch im Aether baden.


b. Epilogus galeatus.

„Den Tempel sah im See dein Auge bauen,
Allein verkehrt; so hast du’s gern, Verkehrter!“ –
Sprach einer vom Geschlechte Schriftgelehrter,
Die nur Begriffnes durch’s Begreifen schauen!

Zu retten mich aus seinen kritt’schen Klauen,
Versetzt’, ich drauf bescheidentlich: „Mein Werther
Fast mehr als deine Weisheit, macht, Verehrter,
Mir diesmal dennoch deine Dummheit Grauen!

Du construirst den Tempel, zum Exempel,
Im See verkehrt; kannst du umhin zu denken,
Daß der Reflex des Wassers um ihn kehret?

Wie wär’ es, wär’ dem Auge es gewähret
In auf die Beine wiederum zu stellen,
Wie deine Hand, den Hundestall, den Tempel?“ –



[42]

Pietro Montorio.

(Den 24. Januar 1811.)

Des Wunderthäters Moses Augen haben
Das heil’ge Land erblicket aus sich spreiten,
Von ferne nur, er durft’ es nicht beschreiten,
Drum hat ihn auf dem Berge Gott begraben.

Doch schöner that der Herr den Petrus laben,
Als er zum Martertod ihn that bereiten,
Der Wunderfels, der über Raum und Zeiten
Sprudelt den Quell der ew’gen Himmelsgaben!

Nicht vor, nein mitten in dem heil’gen Lande,
Dem herrlichsten, das je das Licht beschienen,
Stand Kaiphas, rief: Hier laßt uns Hütten bauen!

Da sprengt, mit seinem, er des Erdballs Bande;
Ein zweites, sein Rom, sprang aus Roms Ruinen,
Es stürzt! – Wer baut das dritte? – Habt Vertrauen!



Villa Pamphili.

(Den 24. Januar 1811. Am Tage St. Timothei.)

Honestum fecit illum Dominus, et dedit illi claritatem aeternam.

Von Pinien und Lorbeern eingeschlossen,
Umfaßt vom immergrünen Hügelkranze,
Liegt klar vor mir im freud’gen Sonnenglanze
Pamphili’s Wasserspiegel hingegossen.

[43] Du Grottenwerk von Quellen rings durchsprossen.
Es lockte, Quellen, euch zum Jubeltanze
Der Seraph Licht; er traf mit goldner Lanze
Der Erde Herz, dem liebend ihr entflossen.

Des klaren Scheines dürft ihr, ach! euch freuen,
Ihr Pinien, Lorbeern, diamantne Wellen,
Nur ich muß ziehn den dunklen Pfad zur Wahrheit.

Ihr Thränen, wollt ihr wieder mir entquellen;
Soll diese Thränen, Herr, ich auch bereuen?
„Sie trocknen,“ sprach der Herr, „in ew’ger Klarheit!“



Betrachtung.

(Rom, den 15. Februar 1811.)

Ich habe Rom gesehen,
Ich kann nun weiter gehen,
Ich hab’ genug gesehn;
Mehr als ich je begehret,
Hat mir das Glück bescheret,
Ich kann nach Haus nun gehn!
Ich war vom Haus entfernt,
Was hab’ ich d’raus gelernt?
Daß weit der Weg entfernt!
Den weiten Weg in Ehren,
Was Einen der kann lehren,
Das heißt nicht viel gelernt.
Ich jagte nach den Schmerzen,
Dann meint’ ich weg zu scherzen
[44] Den wilden Jäger Schmerz.
Durch manche Nacht im Regen,
Der Windsbraut wild entgegen;
Das war ein platter Scherz!
Ich drang zum Venusberge,
Doch zwang ich nicht die Zwerge,
D’rum schloß sich mir der Berg.
Ich sprang zu Meereswellen,
Es bäumten sich die schnellen,
Und schrieen: Weiche, Zwerg!
Da floh ich fort mit Beben,
Wo Lorbeern sich erheben,
Die Harfe golden schwebt.
Ihr Säuseln ward mir Wettern,
Wie vor der Lerche Schmettern
Der nächt’ge Flüchtling bebt
So mußt’ ich unstät rennen,
Bis ich den Schatz sah brennen,
Nach dem das Leben rennt.
Mit Thränen ihn zu netzen,
D’ran muß ich nun mich letzen,
Doch fühl’ ich, daß er brennt.
Ich habe Rom gesehen.
Gern möcht’ ich heim nun gehen,
Ich hab’ genug geseh’n,
Mehr als ich je begehret,
Hat mir das Heil bescheret.
Darf ich nach Haus nun gehn?



[46]

An Rosette R.

(Rom den 28. März 1811.)

Hier wo vorherrschen alle ird’schen Wunden,
Und hell erglühen alle Himmelskerzen,
Zu Rom, wo Lorbeern über Gräbern scherzen,
Hast du den Lorbeer mir ums Haupt gebunden.

Der Lorbeer ist, ich hab’ es oft empfunden,
Das Ziel der hohen Lust und süßen Schmerzen;
Doch wenn die Palme rauscht dem wunden Herzen,
Kann’s vom Gelüst des Lorbeers auch gesunden.

Die Nadel, die den Kranz hält angeknüpfet,
Man sieht an ihr das Haupt Medusa’s glänzen;
Du wähltest schön, was dir kann Trost gewähren. –

Dem Schmerze, dem versteinenden, entschlüpfet,
Heft’ an sein Bild die Schnur von deinen Kränzen,
Der Tochter – Schwester Pflicht, der Mutter Zähren.



[48]

Die Kolossen auf dem Monte Cavallo.

(Rom am 6. Mai 1811.)

Wie, mondbestrahlt die marmornen Giganten
Von dem saphirnen Sternendom umgeben,
Mit ihren Rossen himmelanwärts streben,
Als stürmten den Olymp sie, die Verbannten.

Gewölbt wie Wellen, sprüh’n die glutentbrannten
Muskeln, und ringen in Gestein um Leben;
Es will der Formen Einklang sich erheben
Zum Chor mit Sternen, seines Stamms Verwandten.

[49] Du lügest, Stein, erkenne deine Schranken,
Du  b i s t, das gnüge dir, du Traum der Erden;
Der Mensch allein, so rief ich stolz, kann  w e r d e n!

Und „D u  lügst“ hört’ ich Gott in mir ertönen!
Der Mensch, sein Werk, sie sind mir nur Gedanken;
Konnt’ ich dich Staub, kann ich den Stein versöhnen!



Mondschein - Transparent von Trinita die Monti.

(Rom den 6. Mai 1811.)

Wenn ich im Mondschein so im Fenster liege,
Und seh’ das große Rom so mit Vergnügen,
So vor mir liegen – Nein, das müßt’ ich lügen;
Sie liegt ja unter mir, die große Wiege.

Der großen Thaten und der großen Kriege! –
Die Zeit, so sagt man, sah auf ihren Zügen,
(Die Welt sie that zum Gottesacker pflügen!)
Sah Größres nichts als Rom und seine Siege! –

Wie kommt es denn, daß unter mir, dem Sünder,
Das hohe Rom, das vor mir sollte leuchten,
So tief liegt, ein verworrner Haufen Steine?

Ei, sagt Herr Stracks, der große Wortverkünder:
Daß es verworren, kommt von Mondenscheine!
Und ich: daß Hohes tief mir – ist vom Beichten! –



[50]

Aegyptische Basaltstatue.

(Rom den 24. Mai 1811.)

Christ.

Du stehst so steif und stramm, du dunkler Götze,
Mit falt’gem Schurz und breitem Mützenkragen,
Als stäckst du, Popanz, aus der Nacht der Klagen,
Noch eigeklemmt in dem basaltnen Flötze,
Wenn ich, im Morgen badend, mich ergötze,
Wagst du es über mich empor zu ragen,
Die Schulter, breit, scheint eine Welt zu tragen,
Und trägt doch Nichts! Ich hasse solche Klötze.

Götzenbild.

Ich trage, die Jahrtausende zu ringen
Mit mir verflucht, die Zeit!

Christ.

                                            Da trägst du wenig!

Götzenbild.

Die dich trägt, Staub von Gestern, Knecht der Zeit!

Christ.

Dämon! der Christ, Zeitfürst, kannst du’s erschwingen?
Trägt Licht im Blick, im Herzen Ewigkeit;
Bet’ an mich, Stein, dein, deiner Herrin König!



[51]

Der Pilger.

Romanze.

(Angefangen den 4. September 1811.)

Von des balt’schen Meeres dürrem Strande
Wallt zur Stadt des Herrn ein Pilgersmann;
Ihn verwies aus seinem Vaterlande
Ein verdienter aber schwerer Bann!
Und von Land zu Land
Jagt ihn dessen Hand,
Dem er zu entflieh’n vergebens rann! –

Abends langt er an mit müdem Schritte,
Wo die Tiber Roma’s Mark begränzt;
Da erblickt er eine Klausnerhütte,
Von der Rebe welkem Laub bekränzt;
Aus der Hüttenthür
Tritt ein Greis herfür,
Dem im Aug’ die Sonne scheidend glänzt.

„Heimathloser Fremdling, sey willkommen,“
Spricht der Alte, und es wirft sein Blick
In das Herz des Pilgers, das beklommen,
Der geschiednen Sonne Strahl zurück;
„Bist vom Laufe matt,
Eine Lagerstatt
Ist des müden Pilgers schönstes Glück!“ –

„Tritt herein und weile!“ – „„Nein, noch heute
Muß ich zu den Weltentrümmern hin;
An des Todes schönster Siegesbeute
Letzen mir den todesdürst’gen Sinn!
Hab’ ich sie geseh’n,
Will ich untergeh’n;
Sterben, Alter, ist der Schuld Gewinn!““ –

[52] Und er Alte hat indeß mit Lächeln
Wein und weißes Brod hereingebracht;
„Fühlst du, wie die Abendwinde fächeln,
Trüb und kühl ist die Decembernacht!“
„„Ha, du lügst, o Greis,
Denn die Nacht ist heiß,
Die des Sünders Gluth hat angefacht!““

Doch der Pilger mag sich noch so sträuben,
Stets der Alte freundlich in ihn dringt,
Daß er sanft gezogen wird, zu bleiben,
Bis das Todtenaveglöcklein klingt;
Das der Sternenpracht
Durch die schwarze Nacht,
Freundesgruß aus Klausnerhütte bringt! –



Stella matutina.

(Dieß Sonnet wurde geschrieben in der Freudigkeit meines Geistes den 18. October 1811 um 4 Uhr Nachmittags, eine Stunde nach C’s. Bekehrung. Mein Pathchen Pietro Rosa ist gekommen; ich hab’ es die Treppe hinauf getragen. Auch ihn hat mir Gott geschenkt.)

(18. October 1811.)

Als wollt’ er dich dem Wolkengürtel rauben,
Der liebend  d i c h  hält, wie du  G o t t  umwoben,
Blickt Lukas hin, Maria, nach dir oben! –
Sein Goldgewand glänzt, wie sein Auge, Glauben.

[53] „Wirst du mir auch, dem Sündigen, erlauben,“
– So steht sein Blick zu dir emporgehoben –
„Im Bilde dich, du Morgenstern, zu loben,
Der flammen wird, ob Welten auch zerstauben?“ –

Und durch ihn blitzest du zum Raphaele,
Der sinnend nur dein Bild, noch dich nicht, schauet,
Und aufgehst aus dem Weltmeer seiner Seele.

Du Stern des Meers, aus dem die Gnade thauet.
Des Meisters Schädel, mag er jetzt auch modern,
Wird, was er  d i r  gab, Leben von dir fodern.



[54]

Das Coliseum.

a. Beim Sonnenuntergange.

(Den 22. October 1811, eine Stunde nachher, als mein Br. C. vom heiligen Bischof Sakrista Minoccio die Firme-lung erhalten hatte. Geschrieben in der Freudigkeit meines Herzens.)

Der Wahrheit sollst du Lüge Zeit erliegen!
Dein Knecht, Kalender, wagt es Herbst zu nennen,
Wenn Frühlingslichter auf- und niederbrennen,
Zum  neuen Lenz die Vöglein freudig fliegen!

Das Coliseum prahlst du zu besiegen,
Weil sich die ros’gen glüh’nden Mauern trennen.
Du Dumme, kannst du das denn nicht erkennen,
Sie lüstet’s, sich der Klarheit anzuschmiegen!

Versinkt getrost, ihr blüthenreichen Mauern,
Ob auch stiefmütterlich die Zeit euch beuget!
Sie raubt die Form! Wollt ihr ein Nichts betrauern?

Im Schoos der Ewigkeit, vom Muth erzeuget
Lebt ihr! Ihr seyd! Was ist, das bleibt: das Leben!
Und jauchzt! Gott hat es ihm durch euch gegeben!



Die Tiber.

(Den 23. October 1811. Abends um 11 Uhr)

Dich, falbe Tiber, möcht’ ich  f a h l e  heißen,
Du dehnst dich gelb und träg und langsam weiter,
Um kriechend auf der alten Zeitenleiter,
Dich Schneckenschleichens schimpflich zu befleißen.

[55] Du, weil du thatst mit Thaten um dich schmeißen,
Machst breit dich, doch wirst selbst du drum nicht breiter!
Und tanzen deine Töchter schön und heiter,
Trittst trüb’ du aus dem Corso, zu zerreißen! –

Sieh mal den Rhein, was das ein rüst’ger Junge!
Zieht er von Köln so rührsam tüchtig; munter
Winkt ihm der greise Dom ein „Gott gesegne!“

Drum, Tiber, zieh mich nicht ins Grab hinunter,
Daß meinem Rhein ich einmal noch begegne,
Und meinem Volke sing’ mit Flammenzunge!



Roms Springwässer

(Den 23. Oktober 1811, als am nämlichen Vormittage, bei der Fontaine auf Pietro di Promontorio.)

Der Ströme Lust erfreut die Stadt des Herrn!
Drum sprüht auf Roma’s Plätzen mit Gebraus
Das Wasser seine freud’gen Geister aus,
Die glorreich drangen aus der Erde Kern!

Auch weilt’s auf Roma’s sieben Hügeln gern,
Um kühn zu schauen sein siderisch Haus,
Und sprudelnd lacht’s der Sterne Welten aus;
Denn nah ist Gott in Rom, die Sterne fern!

Dann tanzt es plätschernd bei den Pinienhainen
Pamphili’s; sonnt sich in Borghesens Spiegel,
Und tändelt an Albani’s Säulgewinden.

[56] Und ob auch Riesenpfeiler es umzäunen,
Schwingt’s über sie die diamantnen Flügel,
Wo Gott wollt’, auf den Fels, die Kirche gründen.



Das Coliseum.

b. Beim Sonnenuntergange.

(Den 23. Oktober 1811, als ich mit meinem Pathchen Pietro und der Familie Rosa, einen Herbstspaziergang in die Villa Pamphili veranstaltet hatte, und auf Skt. Pietro di Promontorio, im göttlichsten October-Vormittage, auf Pietro’s Vater, Luigi Rosa wartete, und des gestrigen Abends dachte.)

Wie herrlich ist es wenn aus Roms Ruinen
Im Herbst des Jahres Frühlingsblüthen sprießen,
Des Empyräums Lorbeerströme fließen
Auf jene Steine, die zu starren schienen!

Wie herrlich, daß die Lüge Zeit muß dienen
Der Ewigkeit, und daß der Mensch genießen
Das darf, noch eh’ er auf den Kerker schließen
Des Körpers, brechen kann die Qualmaschinen! –

O wunderherrlich Rom mit deinen Schätzen,
Du Grundstein, Richtmaaß, Senkblei der Gesunden,
Träuf’ auch uns Kranken Balsam, uns zu letzen!

Nur eines wird noch herrlicher erfunden
Mehr ist als Millionen Roms und Sonnen,
Ein Herz, ein einz’ges, hat es Gott gewonnen! –



[57]

Der schwere Reim.

(Den 31. October 1811. Abends.)

Wenn manches Mal ich reimen will auf „Goethe,“
So mag ich mich auch noch so sehr besinnen,
Dem Namen kann ich nichts mehr abgewinnen
Als immer d’rauf zu reimen „Morgenröthe!“

Und wenn den Reim ich so zusammen löthe,
Bis Mittags dann, von Roma’s stolzen Zinnen,
Die Sonnenstrahlen auf mich nieder rinnen,
So seh’ ich ihn, ihn selbst; und ob mich tödte –

(Der Blitz kann tödten!) – doch belebend nieder
Schwebt Helios! D’rum schau’ ich bis zum Abend
Ihn an; ist er so milde doch und labend!

Er flammt; ich wurzle in der heil’gen Erde!
Bis daß ich glaube, daß die Strahlenpferde
Zur Nacht er lenkt; dann lächelt Goethe wieder!



Der Immerdurstige.

(Den 31. October 1811. Nachts.)

Und mag auch Roma’s Herbst mit seinen Schätzen,
Nebst den Triumphesbogen, Coliseen,
Die, wenn auch Trümmer, blüthenreich, Trophäen
Der Ewigkeit, den trunknen Blick mir letzen;

[58] Und mögen mich die Nymphen Roma’s netzen,
Ja möchten auch mich selber die Camöen
Hinwinken, freundlich, zu den heitern Höhen,
Wo sich Homer und Helios ergötzen;

Und ob auch von dem hohen Vatikane,
(Zu dem Parnassus und Olymp, die Schwelle –)
Mir, dem gejagten Müden, Kühlung fächle

Der ew’ge Phöbus, mit der Siegesfahne:
Doch will sich immer zum Gebet gesellen
Das Lechzen, daß mir Goethe wieder lächle!



[59]

St. Stanislaus Kosska.

(Am 13. November 1811, am Tage, und mit Bezug auf die herrliche Marmorstatue des Heiligen bei der Kirche Sanct Andreas dei Gesuiti, wo ich mit Inbrunst gebetet hatte, im päpstlichen Garten auf Monte cavallo gedichtet.)

Unweit der rossezwingenden Kolossen,
Die herrlich zwar, jedoch umsonst sich bäumen,
Zu steigen auf zu den azurnen Räumen,
Erscheint ein Dom. Jungfräulich, schmuckumflossen,

Auf Marmorpfühl, der täuschend hingegossen
Von Künstlershand, ruht drin in sel’gen Träumen,
Der rang umsonst, mit Eis die Gluth zu zäumen;
Geschleift, ein Phaeton, von den Sonnenrossen! –

O Heil’ger, der, entfliehend jenem Lande,
Wo nordisch Eis im Schaum der Wollust gähret,
Zum Liebesopfer gab sein reines Leben:

Der Frühgereifte, der dort hat geleeret
Den Taumelkelch, fragt, büßend seine Schande,
Dich Knaben, schamroth, zitternd: Wird vergeben?



[60]

Antwort des Heiligen.

(Rom, den 13. November 1811, um 12 Uhr Nachmnittags.)

(„Cur quaeris quietem, cum natus sis ad laborem?“ Thomas a Kempis de imitat. Christi. Lib. II. Cap. X., welche Stelle ich aufschlug, als ich am Sarge des Heiligen desselben Vormittags gebetet hatte. Hallelujah!)

Vergebung wird dem Ruhenden in Frieden!
Doch darfst du Ruh’ zu suchen dich erkühnen?
Der Mensch, muß er durch Thun sie nicht verdienen?
Dein Thun war Lust, d’rum wird dir Schmerz beschieden.

Gleich dir, war ich ein Flüchtling auch hienieden,
Vielleicht wär’ wild Gelüst auch mir erschienen,
Doch rang ich, es durch Liebe zu versühnen.
So konnt’ ich durch das Licht die Gluth befrieden!

Mein heimisch Land, Sarmatien, zu schirmen,
Wo, wie in Roms Kolossen, siegreich ringet
Die Allmacht, mit der untern Kräfte Wüthen,

Darf ich, das stille Kind, die Hölle stürmen!
Wenn deinem Glauben stilles Thun gelinget,
Wird Kindessinn der Schuld den Trotz verbieten.



Ara coeli.

(Am 6. Januar 1812, am Feste der Erscheinung.)

Das Volk, es woget durch die Säulenhallen,
Die, schön staffirt, empor im Tempel ragen,
Wo, seinen ersten Altar aufzuschlagen,
Es hat dem Herrn der Herrlichkeit gefallen.

[61] Da hör’ ich festlicher Posaunen Schallen,
Glocken und Cymbeln, voll von freud’gem Zagen.
Und, vom Gedräng’ der Beter fortgetragen,
Muß ich durch’s Tempelthor zum Vorhof wallen.

Die Luft ist trüb, im Kranz der Bergesfernen
Sehn den Sirokko blauen Dunst wir weben,
Das Capitol, bedroht von Wolkenzähren.

Wir knie’n getrost, das Kind, gekrönt mit Sternen,
Das Priesterhände segnend jetzt erheben,
Wird Tod dem Tode, Leben uns gewähren!



[62]

Die beiden Springbrunnen auf dem Petersplatze.

(Rom, den 6. Januar 1812.)

Pilger.

Ihr mächt’gen, reinen zwei Okeaniden,
Die ihr, mit Diamanten reich geschmücket,
Durch euren Tanz die Säulenschaar entzücket,
Der des Palladiums Obhut ward beschieden!

Wie kommt’s, daß, himmelslust’ge Titaniden,
Ihr ab zum Azur goldne Pfeile drücket,
Und doch euch vor dem Obelisken bücket,
Der, steinern, schirmt den Thron vom ew’gen Frieden?

Die Springbrunnen.

Dionens Schwestern,, auch vom Schaum der Wellen
Erzeugt, muß uns des Steines Kraft erliegen,
Trug ihn doch her der Wogen Harmonie;

Doch trägt er dessen Thron jetzt, der zu siegen
Erschien, vor ihm muß alle Macht zerschellen! –

Pilger.

O lernet Demuth, Kunst und Poesie.



[63]

Bei dem Wasserfalle zu Terni.

(Zu Terni 20. April 1812, gegen Abend angefangen, wo ich an einem trüben Regentage den Wasserfall in Schlossers Gesellschaft besah.)

Ich bin der Huld nicht würdig, o Vater der Natur,
Zu schauen an dein Leben in deiner Creatur;
Doch ewig laß mich singen, und ewig benedei’n,
Daß ich dein Säuseln höre, und ihrer Sehnsucht Schrei’n.

Was rollst du da, Velino, hinunter in das Thal?
Spornt Uebermuth der Freude, peitscht ihn hinab die Quaal?
Du Creatur des Wassers, sag’ an und mach’ mir kund,
Was wälzt dich so gewaltsam hinab zum grausen Schlund?

Gleich einem Haargelocke, das dessen Schläf’ umwallt,
Der über uns den Himmel zu Osterglocke ballt;
Gleich Gottes Haar gekräuselt umflicht’st du, Bergstrom, mich,
Und Grauen – nein, ein Sehnen ergreift mich grauerlich.

Ein Sehnen? Nein! Begierde, Gelüsten gier’ger Drang,
Zum alten Fluthenabgrund, dem mich die Gnad’ entrang;
Bittet für mich, ihr Blüthen, denn mich ergreift der Schaum;
Halt’ mich, mein weis’rer Bruder, entfleuch, o Höllenraum!

Ihr Engel der Gewässer, laßt euern Sklaven nicht,
Die Fluth nicht den umgarnen, den Gottes Gnad’ umflicht;
[64] Nicht mich Erlösten werden auf’s Neu’ des Abgrunds Raub,
Mich, der ich eures Gleichen, zwingt gleich mich noch der Staub!

Während ich bebend bete, und unter mir im Grund
Das Wasser strömt, als gähnte nach mir der Hölle Schlund;
Ist über mir der Himmel, die Glocke, saphirblau,
Gewölbt um Petrus Kuppel, nun thränenreich und grau.

In Thränen träuft er nieder, und aus der Fluthen Kampf
Steigt auf zum Himmel wieder ein heller Thränendampf.
Nicht aus der Hölle stammet ihr Thränen, silberrein,
Was unter diesem Strudel, die Hölle kann’s nicht seyn!

Wir kennen längst uns, Thränen; denn wo ich hin mag zieh’n,
Wie ich im frohen Muthe euch immer möcht’ entflieh’n;
Doch seyd ihr als Gesellen, als Engel guter Art,
Stets, Thränen, treu mir blieben auf meiner Pilgerfahrt.

Nicht wie ihr untern träufelt, ein schaumerfüllter Raub,
Nein, wie ihr perlend blinket auf Blüthen und auf Laub,
Entquillt ihr meinen Augen; nicht wie ich sonst geweint,
Nicht Schaum, der stäubt, verstäubet – zu Perlen schon gereint!

Ob aschengrau der Aether, erdgelb der Wasserfall,
Doch sieht mein Blick, gereinigt, schon Blüthen überall
[65] Den fluthumspielten Hügeln rund um des Schlundes Rand
Entquillen; grün beflügelt beut mir der Lenz die Hand!

So wie Dione lächelnd dem Perlenschoos entschwebt,
Empor sich, mildumfächelt, der Engel Frühling hebt.
„Ich wog’ in diesen Wogen, ich walt’ in der Natur,
Auf daß sie werd’ erzogen zur Paradiesesflur.“ –

„Muß gleich ich die Erscheinung als Gottes Knecht erneu’n,
Doch kann mich nur Vereinung mit Zebaoth erfreu’n.
Ich web’ im Wandelbaren das Festgewand der Zeit,
Doch selbst wohn’ ich im Klaren beim Herrn der Ewigkeit!“ –

Der Engel sprach’s. Geträufel quoll dichter jetzt hinab;
Er schwand! befreit vom Zweifel griff ich zum Wanderstab.
Noch einen Blick hinunter, und wilder gohr die Fluth,
Die Blumen lachten bunter. Nun schied ich wohlgemuth.

Ade! sprach ich zum Lenzen; zum tobenden Gewässer,
Sprach’s zu den Blumenkränzen, Ade, ich kenn’ euch besser,
Ihr seyd die Unterthanen, und euer Herr bin ich,
Folgend der Siegesfahnen des Gottes ewiglich.

So zog ich thalwärts nieder; den Bruder sah ich lächeln,
Ich war ihm nicht zuwider; wir zog’n im Abendfächeln!
Als ich in’s Thal gekommen, verklang mir das Gebraus,
Ich schlief nicht mehr beklommen im stillen Herbergshaus.

[66] Und er erweckt’ in Fluthen durch mich den Jubellaut
Der Brautnacht; Perlen blühten, blühten um dich, die Braut
Des Heilands, auszuschmücken, entsühntes  Menschenkind,
Dem Grauen und Entzücken die Brautbewerber sind!

Doch Angst und Freude gleichen darf nicht dem Element!
Nicht ist des Kreuzes Zeichen, wie dir, ihm eingebrennt,
Drum hauche du, besonnen, gereinigt von der Pein,
Athem der ew’gen Wonnen, dem Schein entsagend, ein!



[79]

Der ewige Jude.

a. Sabbathsnacht

(Rom, Sonnabends den 12. Juni 1813 um 11 Uhr Nachts.)

Der Vollmond war heut’ wieder angekommen,
Ich schlendert’ auf dem Trinitatiberge,
Wo’s große Rom liegt wie ein Haufen Zwerge,
Die ferne Peterskuppel ausgenommen.

Die schwere Brust war wieder mir beklommen,
Für sie ist Vollmondschein so wie Latwerge,
Doch kommt in ihm, was Tags ich mir verberge,
Gewöhnlich Nachts mir wieder angeschwommen.

Jetzt, sprach er, peitscht dich’s wieder fort zu wandern
Von Rom nach Deutschland! Immer, immer rennen! –
Du bist wahrhaftig wie der ew’ge Jude!

[80] Auch du thatst  unserm Herrn kein Plätzchen gönnen,
D’rum giebt ein Gärtchen, Haus und Grab er Andern,
Und dir zum Schachern nicht mal eine Bude.


b. Sonntagsfrühe.

„Hat er dir eine Kirche nicht gegeben,
Du Thor!“ – so ruft, der heut’ zwar noch verborgen,
Der Sonnenstrahl; doch der, so Gott will, morgen
Zur krausen Welt recht glatt wird niederschweben.

„Willst du das Rennen lassen, laß das Beben!
Vor Allem laß das Schacherns eitle Sorgen,
Denn dazu mußt du Geld vom Teufel borgen,
Und wie  d e r  wuchert, weißt du, dächt’ ich, eben.

Das Haus hast du ja selbst in Wind geschlagen,
Mußt schon dich unter fremde Häuser ducken!
Ein Gärtchen? Pfui! den Garten sollst du wegen

Deß, der bei dir wohl mal noch einkehrt, pflegen!
Ein leichtes Grab? das schmeckt? – Nun laß die Mucken!“ –
Erhalt’ ich’s? – Strahl, das möcht’ ich dich wohl fragen!



[81]

Gierusalemme liberata.

(Rom, den 15. Juni 1813 um 12 1/4 Uhr, auch im Vollmond geschrieben! – Eben als ich das Sonett nieder-schrieb, und über den Titel „Gierusalemme liberata“ nachdenke, spielt man in einer Straßenserenate eine Arie aus Gierusalemme liberata; mag’s also so heißen dieß Sonet auf die „Tassogräber.“)

 

A.

Die Freunde waren ohne mich gegangen
Nach Sankt Onufrio zum Klostergarten,
Ich, unter’m Volk, muß an der Mauer warten;
Doch sah ich Rom beim Sonnenabschied prangen!

Dann dacht’ ich vor dem Sakrament mit Bangen
Jerusalems zerstörte Mauerscharten;
Auch sah ich, den die Sterne grausam narrten,
Des Tasso’s Bild an seinem Gräblein prangen. –

Die Freunde kamen! Vollmond, Stern’ und Blitze,
Erdsternlein fliegen, glüh’n am grünen Hügel,
Johanniswürmchen, die die Buben jagen;

Sie patschen drauf, am Hute sie zu tragen!
Ach, armer Tasso! Darum Sternenflügel
Zerquetscht, daß euch das Publikum besitze?


B.

(Rom, den 19. Juni, aber als Reminiszenz desselben Abends, wo ich das vorige gemacht hatte, niedergeschrieben.)

Die Freunde wollte gar nicht sich bequemen,
Die guten Seelen, (aber schlafesvollen),
Mit mir noch nach Sankt Peter hinzutrollen,
Doch ich ließ mir das einmal nun nicht nehmen.

[82] So oft ich schaute Luna’s bleichen Schemen
Neu aufersteh’n zum Sonnenbild, dem vollen,
Verkläret, Peters Dom ein Hochamt zollen:
So muß ich hin; wär’s auch nur mich zu schämen!

Und seh’ ich wie die Felsensäulen blitzen,
Die Quellen Strahlen sprüh’n dem Kreuz entgegen;
Dann denk’ ich: Ja, ihr Reinen dürft erfreuen!

Doch, trübe Pfütze, du willst blitzend nützen?
Du kannst dich selbst ja nicht im Strahle regen?
Dann, statt zu singen, möcht’ ich nur bereuen!



Schwarz und weiß.

(Den 29. Juni 1813, als am Feste des Apostels Petrus, zu Rom, das Gott mich zum dritten Mal gnädigst hat zu Rom erleben lassen! Er gebe, daß man dieß Gedicht, wenn es durch seine Gnade bekannt werden sollte, ja nicht mißverstehe, und etwas mehr als ich wollte darein legen möchte.)

Dort oben seht Sanct Petrus Bildniß prangen,
Von Edelsteinen funkelt die Tiare,
Auf kohlpechrabenschwarzem Haupt und Haare;
Der Purpur blitzt von Klunkern und von Spangen.

Doch kommt zur Grotte unter ihr gegangen,
Da sitzt er schmucklos da, der Hohe, Klare,
Als ob er sagen wollte: Gott bewahre,
Wer hat mich oben doch beschwärzt, behangen!

[83] Ganz anders ist es mit dem wahren Peter,
Der sitzt so schneeweiß, daß ihn Sonnen neiden,
Dort oben in dem lichten Himmelsorden;

Doch unten hier ist er durch falsche Beter
Erst angeschwärzt, beflittert dann. Entkleiden
Wird man ihn auch, nur nicht noch einmal morden!



Abschied von Rom.

(Angefangen zu Rom unter Gottes Beistand im Juli 1813; beschlossen zu Mailand Abends den 5. August, am Tage meiner Ankunft daselbst auf meiner Rückreise nach Deutschland.)

Ade, ade du herrlich Rom,
Ade du heil’ger Peters-Dom,
Ade ihr sieben Hügel!
Den Unruh zu euch hergezoh’n,
Treibt Unruh wieder weiter schon,
Doch leiht die Pflicht ihm Flügel.

Ein wüster Sünder kam ich her,
Doch sah ich deiner Gnaden Meer
Zu mir hernieder wallen;
Zwar sündig bin ich noch und schlecht,
Doch machtest du mich Sündenknecht
Zu Gottes Reichsvasallen!

Dir danken will ich ewiglich,
Und weinen werd’ ich bitterlich,
So oft ich dein gedenke,
[84] Und immer bitten werd’ ich ihn,
Daß, der die Schönheit hat verlieh’n,
Die Freude wieder schenke.

Und preisen werd’ ich mein Geschick,
Und segnen jeden Augenblick,
Wo ich an Petrus Grabe,
Der, wie die Bibel thut Bericht,
G e sunken, doch  v e r sunken nicht,
Zuerst gebetet habe!

Was dorten mir ward kund gethan
Künd’ ich, will’s Gott wohl einmal an
Durch Wort’ und Blick den Brüdern;
Denn, was der Herr uns kundig macht,
Das wandelt in des Busens Nacht,
Und singt sich nicht in Liedern.

Genug, ich ging getröstet fort,
Doch blieb die Schuld, so hier wie dort,
Den Paß mir zu verhauen.
Selbst in der sieben Hügel Schoos
War das Gelüst mein Taggenoß,
Mein Nachtgesell das Grauen!

Gehetzt, der alten Sünde treu,
Von Reu’ zur Gier, von Gier zur Reu’,
Selbst auf den heil’gen Bergen
Hab’ ich gesündigt freventlich;
Entwürdigt hab’ ich Rom und mich,
Das will ich nicht verbergen

Zertrümmert kam der Vorwelt Zier,
Und raunt’ „memento mori“ mir;
Umsonst! Mich hielt die Sünde!
[85] Das Paradies des Raphael
Stieg auf im Chaos meiner Seel’;
Umsonst! Ich blieb der Blinde! –

Der Peterskuppel heitre Pracht,
Der Märt’rergräber heil’ge Nacht
Winkten zum ew’gen Leben;
Doch meines todten Lebens Schmach
(Ich fühle tief sie!) riß mich nach,
Ich sündigte mit Beben!

Der röm’schen Alba Perlenheer,
Der Abendsonn’ Rubinenmeer
Am Bergkranz von Saphiren;
Und eine Welt von Diamant,
Rom, von des Vollmonds Brunst entbrannt,
Wollten zu Gott mich führen.

Vergebens! den die Schuld verstockt,
Den wird zum Abgrund hingelockt
Selbst durch der Schönheit Strahlen;
Kunst, Andacht reizten mein Gelüst,
Durch Roma’s Tempel rannt’ ich, wüst,
Genießen nach und Qualen! –

Da ließ der Herr den Blitz erglüh’n:
„Nur der Entsagung wird verzieh’n,“
Sprach Gott in Blitzesflimmer! –
Ottiliens erstarrter Schmerz
Schoß wie der Blitz in’s wunde Herz,
Und ich entsagt’ für immer!

Im Hornung achtzehnhundert zehn
Hatt’ ich  den Wunderblitz geseh’n;
Und noch im selben Jahre
[86] Am Tage vor des Herren Qual,
Als er fundirt sein Abendmahl,
Kniet’ ich am Sühnaltare!

Seitdem nahm, der die Schlang’ zertrat,
Den Willen mir zur Frevelthat
Doch Will’ und Sinn sich zanken!
Der Wille schwingt die Kreuzesfahn’,
Der Sinn, des Teufels Veteran,
Treibt jeden in die Schranken!

Doch weil des Herren Christi Blut
Geflossen ist auch mir zu gut,
Und weil die Kirche singet:
„Dem Menschen guten Willens Heil!“
So ward die Hoffnung mir zu Theil,
Daß Will’ den Sinn bezwinget;

Und daß vielleicht der Tag erscheint,
Noch eh’ mein Leben ausgeweint,
Wo mich vom sünd’gen Triebe
Losketten wird mit starker Hand,
Die niemals, ach! ich hab’ erkannt,
Und ahne jetzt – die Liebe!

Bis dahin harr’ ich in Geduld;
Doch fühl’ ich schwer, daß schwere Schuld
Das Leben sehr vergiftet!
Zum Leben hab’ ich nicht mehr Lust,
Das Sterben fürcht’ ich und die Brust
Ist selten nur gelüftet! –

Nehmt, Thoren, ein Exempel  d’ran,
Und wer mich etwa lieb gewann,
Mich, nun des Rennens Müden,
[87] Der bete, daß mir sey beschert,
Noch eh’ mich trifft das scharfe Schwert,
Ein Winkelchen mit Frieden! –

Für jetzt am morschen Wanderstab
Geht’s von der alten Roma Grab
Zu einem neuen Grabe!
Weil Roms Charfreitag ich geseh’n,
Bring’ ich des Ostermorgens Weh’n
Zur heil’gen Abendslabe! –



Quelle:
Zacharias Werner’s Sämmtliche Werke. Aus seinem handschriftlichen Nachlasse herausgegeben von seinen Freunden. Zweiter Band. Poetische Werke. Zweiter Band. Gedichte vom Jahre 1810 bis 1823. Grimma: Verlags-Comptoir. o. J.

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