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Friederike Sophie Christiane Brun

Kurzbiografie

Friederike Sophie Christiane Brun, geb. Münter (*3. Juni 1765 in Gräfentonna/Thüringen – †25. März 1835 in Kopenhagen), Tochter des Predigers Balthasar Münter (1735-1793), wuchs in einem pietistisch geprägten deutschen Kreis heran. 1783 heiratete sie den dänischen Legationsrat Konstantin Brun (1746-1836), den sie nach St. Petersburg sowie auf mehreren Reisen durch die Schweiz, Südfrankreich und Italien begleitete. Der Dichter Friedrich Matthisson (1761-1831) veranlasste die erste Sammel-Publikation ihrer Gedichte. Ihr bekanntestes Gedicht „Ich denke dein“ wurde von Johann Wolfgang Goethe, den sie 1795 in Karlsbad kennen lernte, in sein Gedicht „Nähe des Geliebten“ umgeformt. Friederike Brun, die das Reisen liebte, hielt sich zwischen 1801 und 1810 vor allem in Südeuropa auf. In Rom verkehrte sie unter den deutschen Künstlern und war insbesondere mit der Malerin Angelika Kauffmann (1741-1807)befreundet. Seit 1810 lebte sie abwechselnd in Kopenhagen und auf ihrem Landsitz Sophienholm.

Ihre literarische Bedeutung hat Friederike Brun als Reiseschriftstellerin. Ihre zunächst in Almanachen veröffentlichten Gedichte („Gedichte. Hg. Friedrich von Matthisson“, 1795; „Neue Gedichte“, 1812; „Neueste Gedichte“, 1820) gehören zur Stilrichtung der „Empfindsamkeit“. Ihre Verse sind bei aller humanistisch-gelehrten Überladenheit von rhythmischer Beschwingtheit und besitzen wortschöpferische Qualität.

Gunter Grimm





[242]

DER ALBANER-SEE.

HERDERN UND SEINER GATTIN GEWEIHT.

Du, dessen tiefe Schattenwelle
Der dunklen Urzeit Spiegel ist;
Mit dessen abgesenkter Quelle
Der Vorzeit Kunde sich ergießt:
An deines hohlen Ufers Rande
Weilt sinnend meine Seele gern,
Und harrt dort überm Meeresstrande
Der Hofnung mildem Abendstern.

Albanus! deine Urgeschichte
Steigt tief aus Vesta’s grauem Schooß.
Als Aetna noch mit mattem Lichte
Den jüngern Flammenstrom ergoß,
Stieg lang’ aus deinen Feuerschlünden
Empor der finstern Tiefe Gluth;
Dir bebte rings in ihren Gründen
Ausonia und der Meere Fluth.

[243] Wo jetzt mit dunkelklaren Fluthen
Albano’s See sein Ufer füllt,
Entsprühten hochgeschleudert Gluthen,
Bis in der Sterne Lichtgefild.
Wo Pflugschaar nun und Winzer schaltet,
Am Hügel und im tiefen Thal,
Sind Lavaströme einst erkaltet,
Entstieg Vulkanus Flammenstrahl.

Nun ruht das Blachfeld dunstumschleiert,
Und Rom entsteigt dem Fernungsduft.
In ahndungsvoller Stille feiert
Gebirg und Thal und Meer und Luft!
Des Tibers gelbe Fluthen glänzen
Bis zum Tyrrhenerstrand hinab,
Und rings umhängt mit Epheukränzen
Steht, Venus, deines Enkels Grab.

Entschwunden und in Nacht versunken
Ist der Palläste Herrlichkeit,
Und ihrer Asch’ entsprüht kein Funken
Der thatenvollen Männlichkeit;
[244] Doch aus des Uferhaines Schauer
Weht’s mich, wie Geisterstimmen, an;
Es leuchtet mir durch trübe Trauer
Der großen Vorzeit Heldenbahn.

Der Teukrer Schaar entsteigt den Barken,
Wo Tiber still ins Meer sich senkt.
Die Schönheit lohnt dem Kampf des Starken;
Durch Weisheit wird die Kraft gelenkt.
Wo ist der Lorber, der im Raume,
Latinus, deiner Wohnung stand?
Es sank Laurentum mit dem Baume;
Und Oede deckt das alte Land.

Gegrüßt in deiner Felsennähe
Sei, Alba-Longa, meinem Geist;
O du, von deren Klippenjähe
Der Urquell der Geschichte fleußt!
Kamilla’s Bild steigt aus den Fluthen
Von Nemi’s See voll Stolz empor,
Und um des Abends Rosengluthen
Webt sich der Dichtung Zauberflor.

[245] O senke alle Wemuthsschleier [!],
Bethauter Hesper, sanft herab;
Ertön’ aus aller Haine Feier,
O Klage um der Edlen Grab!
An dieser Höhen weichem Saume,
An dieses Baches leisem Fluß
Entsteigt ihr, ach! dem Fabeltraume,
O Nisus und Euryalus!

Erhebe kühn den Wolkengipfel
Aus deinem Hain, o Algidus!
Aus deiner heilgen Buche Wipfel
Ertönt des Schicksals Endbeschluß. –
Der Altar flammt; aus allen Thalen
Steigt das Lateinervolk empor,
Zu unentweihten Opfermahlen,
Geführt vom hehren Priesterchor.

Es fließen Latiums Völkerstamme,
Wie Bäche, durch der Haine Nacht.
O biedres Volk der Einfalt, hemme
Der jungen Wölfe Obermacht. –
[246] O theile lang des Opferschmauses
Geweihten Stier voll Eintracht noch!
Der hehre Schirm des Jovishauses
Entferne dir der Knechtschaft Joch.

O Wunder jener guten Zeiten!
Rom siegt und ehrt den biedern Feind!
Nicht Ketten sehen wir bereiten;
Und Alba wird mit Rom vereint.
Und glänzender auf kühnern Flügeln
Schwebt Roma’s Adler, Gluth im Blick;
Fortuna hält mit straffen Zügeln
Das schnelle Siegsroß kaum zurück.

Die Kurier, die Cincinnaten
Entglühn am Pfluge für den Staat.
Im Schimmer ländlicher Penaten
Grünt alte Sitt’ und weiser Rath.
Kamill verjägt Barbarenhorden,
Es segnet Hellas Flaminin,
O Edler, frei durch dich geworden –
Amphiktyonen preisen ihn.

[247] O weile, goldne Zeit, verweile
Vor meinem hochentzückten Blick! –
Der Zeitstrom flieht mit Blitzeseile,
Mit ihm der hehren Einfalt Glück.
Marcellus ringt und Fabius zaudert,
Und zaudernd weichet Hannibal;
Der ahndungsvolle Weltkreis schaudert
Erwartend den Entscheidungsstrahl.

Der Kriegsruf schallt! – die Legionen
Ersteigen ernst des Berges Plan.
Seht Kato’s, seht der Scipionen,
Seht der Emile Weihungsbahn!
Albano’s Jupiter empfange
Das Opfer und der Helden Flehn;
Laß bald im lauten Siegsgesange
Sie deinen Tempel wiedersehn!

Was glänzt um Antiums Tempelhallen,
Und schimmert durch das weite Thal?
Seht die Triumphatoren wallen,
Und Beute glänzt im Abendstrahl. –
[248] Die von des Kapitoles Höhen
Der Neid entfernte, opfern hier;
Die Heeresfahnen, die Trophäen,
Und der Gefässe Tempelzier.

Die weitgedehnte Ebne decken
Demeters goldne Saaten nun;
Seht Marmortempel, Städte, Flecken;
In Ceres Schooß, seht Ares ruhn!
Doch nur in wachem Schlummer sinket
Mars unter Venus Enkeln hin,
Und zu erneuten Kämpfen winket
Roms siegumstrahlte Göttin ihn!

O alle Götter Roms erwachet!
Hemmt der Quiriten blinde Wuth! –
Des Staates feste Stütze krachet,
Und Bürgerblut heischt Bürgerblut.
Seht Marius und Sylla morden,
Verstummt erblassen den Senat;
Seht Katilina’s freche Horden;
Und Tullius rettet kaum den Staat!

[249] Und tiefer sinkt von seiner Höhe
Mit jedem Tage Rom herab –
Wie von der luft’gen Klippenjähe
Der greise Adler sinkt ins Grab.
O Cäsar, deinen hehren Namen
Hat lange dein Geschlecht entweiht;
Sie trugen nur den Herrschernamen,
Doch du des Herrschers Herrlichkeit.

Entsteigt Elysiums Schattenfluren,
Ihr edlen Söhne schlimmer Zeit;
Jhr, die der Tiger blut’ge Spuren
Umhülltet mit Vergessenheit!
Erschein’ auf deines Denkmals Spitze
Trajan, du weiser, guter Mann!
O segne mich vom Vatersitze,
Aurel, nimm meine Thränen an!

O du, Geschlecht der Antonine,
Um dich entblüht der Erdkreis neu!
Seht diese holde Vatermiene;
Seht Weisheit’, Einfalt, Kraft und Treu’!
[250] Ein Säculum steigt zu den Manen
Unwillig vom beglückten Rund.
Die Antoninen, die Trajanen
Die Titus preis’t der Schatten Mund.

Wo bin ich, wo? Hinabgesunken
Ist alles schnell vor meinem Blick!
Hab’ ich aus Lethe’s Strom getrunken?
Kehrt Mnemosyne nicht zurück? –
Ha! eine finstre Oede strecket
Sich trauernd bis ans Meer hinab,
Mit feuchten Nebeln überdecket,
Und ihrer Kinder frühes Grab.

Wo sind die Tempel, die Altäre?
Wer hat Demeters Gold gebleicht?
Wer hat verstummt die Opferchöre?
Die Siegesgöttin, wer verscheucht?
Was tönt aus diesen Marmortrümmern
Mich hohl, wie Geisterstimmen, an?
Seht kärglich dort ein Lämpchen flimmern;
Folgt der umrankten Elendsbahn!

[251] Die Armuth wohnt in Marmorhallen;
Der Hunger auf dem fetten Land!
Seht Säuglinge, wie Knospen fallen,
An bleicher Mütter dürrer Hand!
Zu eines harten Brodtes Krume
Rupft diese Gras dem Weinberg aus;
Die Jugend, welk in ihrer Blume,
Reift ach! nur für des Pluto Haus.

Der Hunger folgt des Wandrers Pfaden,
Und raubt wie ihm die Noth befiehlt;
Hier ist der Weihquell aller Gnaden;
Dem Ablaß, der vor Hunger stiehlt.
Doch wer wird helfen, wer erretten
Aus diesem harten Jammerstand?
Hört ihr die festgeschlungnen Ketten
Rings um des Mittelmeeres Strand?

Sie dehnen sich vom Alpenheere
Bis zu der Apenninen Schlund;
Sie fesseln beider Ufer Meere,
Bald fesseln sie das Erdenrund!
[252] Bei ihrem dumpfen Schall erwachen
Die Furien, ihre Fackel brennt;
Der Völker alte Stützen krachen,
Und Zwietracht alle Bande trennt.

Und jeder sorgt nur für das Seine,
Und für das Volk sorgt Keiner mehr!
Wer brächte Sklaven zum Vereine,
Die zittern vor der Dränger Heer?
Das alte Rom bezwang Barbaren,
Und gab Gesetz und Kunst dem Feind!
Wann haben Galliens Räuberschaaren
Es so mit einem Volk gemeint?

Helvetiens rauhe Felsen blühten
Froh unter Roma’s Zepter auf;
Des Lemans wildem Frost entglühten
Die Saaten, und des Rhodans Lauf
Strömt unter milden Traubenhöhen
In Galliens völkerreichen Schooß;
Der Belgen breite Ströme sehen
Beglückter Völker heitres Loos.

[253] Erkennt ihr euch in diesem Bilde,
Ihr, die man Volksbefreier heißt?
O sagt, wo blühet das Gefilde,
Das euch als seine Retter preist?
Wo duften euch des Danks Altäre?
Wo tönt euch froher Völker Chor?
Wo steigt, daß eure Obmacht währe,
Gebet zum Herrn der Welt empor?

Vom Rhein bis zu des Tibers Strande
Folgt’ ich des Siegers blut’ger Spur –
Gefesselt sah ich alle Lande,
Und Furcht erhielt die Herrschaft nur.
Es klagt der Hirt auf seinen Matten,
Der Winzer klagt im Rebenhain;
Es weint das Weib um seinen Gatten,
Und um den Vater Kindelein.

Erwach’ aus deinem Todesschlafe,
Germania, zu hoher That!
Dein großer Volksverein bestrafe
Kühn deines Ruhmes Hochverrath!
[254] Sieh von Walhalla’s Tafel neiget
Dir Hermann sein umstrahltes Haupt;
Der Roma’s Adler tief gebeuget,
Sieht sein Germanien glanzberaubt:

„Ich sah einst Roma’s Adler sinken;
„Und ihr erlagt den Galliern!
„Auf Blumenschilden Lanzen blinken,
„Sah furchtlos der Cherusker Kern.
„Doch  Z w i e t r a c h t  hat vom Adlersitze
„Des Kapitoles mich entfernt;
„Ich scheute nicht des Donnr’ers Blitze;
„Ihr sank ich! Sie zu meiden lernt!“ –

Er sprachs und zog ins Sterngeflimmer
Sein finsterlockicht Haupt zurück –
Ich sah den fernen Geisterschimmer,
Und dunkler wards vor meinem Blick.
Aus Alba’s tiefem Fluthenspiegel
Steigt matt des Neumonds Bild empor,
Und über Berg und Thal und Hügel
Sinkt schwarzer Nächte Trauerflor.



Quelle:
Gedichte von Friderike Brun geb. Münter. Vierte vermehrte Auflage. Zürich: Orell, Füssli und Compagnie 1806.

~~~~~~


[1]

ROMS GRÄBER.
oder
DIE VIA APPIA.

Den Manen meines unvergeßlichen Freundes,

Georg Zoega, geweiht.


1.
Oeffnet euch! brecht euer langes Schweigen,
Wahrheit red’ aus stiller Gräber Mund!
Seht, wir harren, ahndungsvolle Zeugen,
Und geweiht ist dieser heil’ge Grund!
[2] Laßt ertönen ew’gen Ruhmes Thaten,
Und das Laster sey nicht mehr geehrt;
Ungescheut darfst du den Herrn verrathen,
Denn das Grab giebt jedem seinen Werth!

2.
Ach ihr schweigt! in ew’ges Graun verschlungen
Ist die Stimme hohler Unterwelt:
Dort ist nie ein Laut emporgeklungen,
An das sternenhelle Himmelszelt!
Sprich denn da, aus dessen sanftem Munde
Mir der reinste Vorweltston erklang,
T r a u t e r  F r e u n d, dem ich in heil’ger Stunde
Manches Lied der Wonn’ und Wehmuth sang!

3.
Sey gegrüßt am Rand der Schattentiefen,
Der  S c i p i o n e n  sanft umgrüntes Grab!
Wo Jahrtausendlang die Helden schliefen,
Steig’ ich leis’ und schüchtern bang’ hinab!
[3] O wie duftend blüh’t an heil’ger Stelle
Rosmarin zum Opferkranz geweiht!
Leicht bethaut mit reiner Silberquelle,
Sey die Blüth’ ins finstre Grab gestreut!

4.
Flüstert’s in den tiefen Felsengängen?
Dringt nicht dort ein Schimmer durch die Nacht?
Schatten still und wesenlos sich drängen,
Doch es mangelt dieses Grabes Pracht!
„Mein im Leben unwerth, meiner Hülle
„Urn’, o Vaterland, versag’ ich dir!
„Und es red’ einst in der Zeiten Fülle
„Myrt’- und Lorbersprößling nur von mir!“

5.
Des Triumphes schöngezierter Bogen,
D r u s u s, gilt uns für dein frühes Grab!
Schnell ins düstre Schattenreich gezogen,
Stiegst unwillig du zum Dis hinab!
Ach, des grauen Kaisers späte Thräne
Rühret nicht der Altermutter Sinn!
Sein Geschlecht, die Reihe stolzer Söhne,
Sendet sie die dunkle Bahn dahin!

[4]

6.
Nun entläßt aus hochgewölktem Thore
Uns das ewig unerschöpfte Rom!
Stets durchhallt vom hehren Geisterchore,
Und durchrauschet von der Zeiten Strom.
Trümmer sich an Trümmern schaurig drängen.
Höhl’ auf Höhle gähnt uns grausig an!
Blumen sich mit Gräberscherben mengen.
O welch’ einzigwundervolle Bahn!

7.
Ruht hier  S y l l a s  fluchumtönte Hülle,
Wo sich thürmend diese Trümmer hebt?
Wo in lauer Lüfte reger Stille,
Sich umher des Epheus Teppich webt?
O wie tief ist deine Macht gesunken,
F r e u d’  ertönt aus deiner hohlen Gruft!
Wie von Blute du, von Weine trunken,
Füllt ihr heis’res Evoë die Luft.

8.
Weit eröffnet sich des Tod’s Gefilde,
Höh’ an Höhe schwellt der Grund empor!
Und die Fern’ umblüht mit heit’rer Milde,
Leicht Hesperiens heller Zauberflor.
[5] In die röthlich süßen Abendlüfte,
Hebt der Pinie luft’ge Insel sich,
Und es wallen rege Lebensdüfte
Und es schwebt der Geist so wonniglich!

9.
Herrlich prangt auf jener freien Höhe
Ferngesehn ein kühner Molo auf:
Rasch erklimmen wir die steile Höhe
Und das hohe Ziel hemmt bald den Lauf!
O  C ä c i l i a,  mit Flammenpfeilen,
Traf der Parther einst dein Mutterherz!
Nur der Tod kann solche Wunden heilen,
Und im Grabe nur verstummt der Scherz!

10.
Eine Mutter, froh an Sohnes Rechte,
Hat dir stille Thränen hier geweint!
Drangen sie bis in den Schoos der Nächte?
Bist du dort mit deinem Sohn vereint?
Frag’ an Frag’ entkeimet den Gedanken –
Doch die Antwort bleibet ewig aus!
Schatten selbst, wir unter Schatten wanken,
Denn für jeden wächst das lezte Haus!

[6]

11.
Seht die zierlich zirkelnde Rotunde,
Mit des Rasens Teppich sanft geschmückt!
Aus des Grabes aufgeborstnem Schlunde,
Heitre Zierd’ uns noch entgegenblickt!
Reizend wölben sich die tiefen Blenden,
Wo einst prangte stolzer Ahnen Bild,
Wo der Sarkophag an Marmorwänden,
Milder Weisheit Sinnbild uns enthüllt!

12.
Und im kleinern, traulich engen Raume,
Stand der Aschenkrüge leichter Reihn:
Leicht sind Schatten, gleich dem Morgentraume;
Nun so sey auch leicht der lezte Schrein!
O wie duftet’s rings – o brecht der Fülle
Von Violen und des Sinngrüns Glanz!
Gute schlummern hier in heil’ger Stille,
Es umblüht sie holder Anmuth Kranz!

13.
Stummer wird’s in hehrem Grabgedränge
Hier in diesem ernsten Todeshain!
Der Ruinen zahlenlose Menge
Steigt zu Hügeln, und das Feld wird Stein!
[7] Wie die Alpenthale Felsensplittern,
Decken Gräberscherben Roma’s Flur,
Und Vernichtungsschauer mich durchzittern
In Jahrtausend tiefer Todesspur!

14.
Obelisken gleich und Pyramiden,
Ragen sie zu beiden Seiten auf!
O wie ruhet ihr im tiefen Frieden,
Kein Triumphzug weckt die Schlummrer auf!
Nicht der Jubel jauchzender Cohorten,
Noch der kühnen Rosse Doppelschlag
Dringt bis an des Ais dunkle Pforten
Stürmet dort die müden Schläfer wach!

15.
Doch Natur mit liebendem Bestreben,
Streuet Blüthen in den Gräberhain;
Und in junges ahndungsvolles Leben,
Hüllet sie den Schattenvorhof ein!
Stolzer Lorber auf der hohen Trümmer,
Sprichst du nicht des Eigners Nahmen aus?
„Ja; mit ew’gen Nachruhms hehrem Schimmer
„Schmück’ ich hier Camillas leztes Haus!“

[8]

16.
Weilen wir auf diesen grünen Hügeln
Tief von Grabbewölben unterhöhlt?
O wie kühn hier die Gedanken flügeln!
Wie der Gräber Schatten neubeseelt!
Roma ruht im fernen Abendschimmer,
Herrschend, stolz im Norden aufgethürmt;
Und die ungeheure Thatentrümmer
Herrschender vom Zeitendrang bestürmt!

17.
Laßt uns eilen, denn die Sonne sinket,
Und wir sind noch nicht am Ziel der Bahn;
Sehet fern der große Steinkreis winket,
Und Vollendung schreitet nah heran!
Wie durchrieselt Schauer mich auf Schauer!
Schau, die Trümmerräthsel häufen sich,
Mich umwölket tiefumflorte Trauer,
Und des Todes Hand ergreifet mich!

18.
Nicht mehr sanft in lockenden Gebilden,
Spielt um uns des kalten Würgers Sinn!
Nein, ob weißgebleichten Grabgefilden,
Dehnt er seine mächt’ge Rechte hin!
[9] O hier öffnet sich des Abgrunds Pforte,
Schreckenslarven steigen dort empor!
Freund! entfliehen wir dem Schauerorte –
Uns erreicht der bleiche  Geisterchor!

19.
Stiller Freund! gieb mir die traute Rechte,
Leite mich aus diesem Gräberland,
Führ’ mich aus dem Labyrinth der Nächte,
Das ich nur an deiner Seite fand!
Weh mir weh! Er ist von mir geschieden,
Hier an des Avernus finsterm Thor!
Flohest du hinab zum ew’gen Frieden?
Steigst du nimmer mir ans Licht empor?

20.
Komm zurück, o kehre freundlich wieder,
Weise Zunge der verstummten Welt!
Ohne dich sinkt keine Hülle nieder,
Und verschlossen ist der Vorzeit Zelt!
Ach verstummt sind jene Sympathieen
Die der Mythus um die Wahrheit wand,
Und verhallt die leisen Harmonieen
Aus dem schimmerreichen Fabelland!

[10]

21.
Kommt, Gefährten, kommt! Es wird sich finden:
Wißt ihr doch er liebte eignen Weg!
Hier in diesen ernsten Grabgewinden
Finden wir ihn auf verlornem Steg! –
Seht, was glänzt im letzten Abendrothe?
Paros Marmor ist’s, zum Bild belebt.
Auf die Fackel lehnt des Friedens Bothe
Sich, vom stillen Wehmuthston umbebt!

22.
Sanfter Lehrer, sprich nicht so die Kunde,
Aus dem alten hei’gen Dichterhain?
Hör’ ich sie nicht mehr aus deinem Munde,
Bin ich noch im Mythenland allein?
Welch Geflüster rings? welch still Gewimmel!
Schaut, des Circus Pforten aufgethan!
Ein geräuschlos luftiges Getümmel,
Schwärmt im bleichen Neumondslicht heran!

23.
Luft’ge Bilder, hoch auf luft’gen Händen
Hergetragen, schweben sie heran!
Längs den matterhellten Spinawänden
Leuchten sie, im Mittelpunct der Bahn!
[11] Rings auf weißen Marmorsizen nehmen
Stille Schaaren ihre Stellen ein –
O ihr habet Plaz ihr leichten Schemen
Durchgeblickt vom goldnen Mondenschein!

24.
Leichte Renner schlagen grünen Boden,
Und die Führer schweben drüber her!
Leise flüstert nur der Schatten Oden,
Horch! kaum säuselt’s durch das Geisterheer!
Seh! die Hufe knicken keine Blume,
Auf Jahrtausendalt begrünter Spur –
Ach! den leichten Schatten fällt zum Ruhme
Selbst kein Blumenopfer der Natur!

25.
Mischen wir uns in die leichten Chöre?
Blutleer ist der Geister harmlos Spiel!
Still; daß nichts der Schatten Träume störe,
Denn mit ihnen sehn’ ich mich ans Ziel. –
Das Triumphthor öffnet seine Riegel!
Frühgekrönt erscheint ein Sieger dort –
Seht er eilt durch die offnen Flügel,
Stolz mit des Triumphzugs Kühnheit fort!

[12]

26.
Und die Palme strahlt in seiner Rechten!
Und der Oelzweig schmückt sein edles Haupt!
„Darnach strebtest du in langen Nächten?
„Rastlos und der süßen Ruh’ beraubt?
„Noch ein Blick! wir haben uns verstanden!
„Jenseits deute mir der Räthsel mehr,
„Wo Verwandte stets sich wieder fanden;
„Hier bleibt ewig deine Stätte leer.“



[31]

Rückkehr auf sich selbst

Meer, das hell den schimmernden Aether spiegelt,
Sanft die Wälder röthlicher Küsten gürtend,
Mich vergebens lockst du mit deinen süßen
     Schmeichelnden Tönen!
 
Vormals lauscht’ ich gerne den süßen Tönen,
Als noch Kraft und Hoffnung mich ringsumblühten,
Und die Rosenknospe der süßen Liebe
     Kränzte die Leier.
 
Ruhmeslieb’ und goldene Sternenkränze,
Lorbeerzweig’ und süßere Myrtenkronen,
Reiner Lieb’ und himmlischer Freundschaft Palmen,
     Winkten mir strahlend!
 
[32] Kühn entgegen dem hohen Ziele stürzt’ ich,
Daß mir Staub die bräunliche Lock’ umwallte!
Achtend nicht des niederen Hohnes trüber,
     Feindlicher Geister!
 
Meine Palmen hat mir des Freundes Untreu,
Lorber mir, und Myrtengesproß gewelket;
An die falbe Weide der Thränen hing ich
     Klagend die Leyer!
 
D’rum vergebens lockest du nun, o Meer, mich,
Und du holdumblüheter Hain der Wonne,
Wo die bunte Fülle der gold’nen Aepfel
     Trügerisch winket!
 
Mir gegrüßet seyd ihr, o grünen Thale,
Sanft durchwallt vom rieselnden Silberbache;
Wo im Schoos des Friedens mir tiefe Stille
     Hüllet den Busen!
 
Sanftgeneigter Oelbaum, in deinem Schatten
Wandelt ernst die Weisheit: dort wohnt der Frieden;
Und mir schöpf’ ich fürder aus eignem Busen
     Fülle des Lebens!



[38]
Zuruf an die Gegend von Rom
Sey mit stürzenden Thränen der Freude gegrüßt,
Was auch fern vor der Seele mir stand,
Wo sich kühner der Keim der Gedanken erschließt,
O du altes Saturnisches Land,
Wo die heilige Höh’ und die wallende Fluth,
Mir entzünden und kühlen die sehnende Gluth,
Die nach dir ich im Busen empfand.

Wem im Busen das Herz, in dem Herzen der Geist,
Sich erhebet zum höheren Seyn;
Wem sich tiefer der Quell der Gedanken ergeußt,
O wie fröhlich kann der hier gedeihn!
Stürzt die WeIt auch in stäubende Trümmer dahin,
Im Unendlichen schwebet der geistige Sinn,
Und verschmäht den betrüglichen Schein!

[39] Was da war, was noch ist, und was werden einst kann,
Das erscheinet dem sinnenden Blick!
Wenn sich löset der vielfach umkreisende Bann,
Und einst Nemesis kehret zurück!
Mit der Rechten schwingt sie die Geißel empor,
Treibt aus finsterer Nacht die Verbrecher hervor,
Und befreit das gefesselte Glück!


[41]

Die Gedanken

Am Albanersee.

Rings von Kühlung sanft umgossen,
  Ruhend in des Haines Schoos,
Von der heil’gen Fluth umflossen,
  Wieg’ ich mir Gedanken groß;
Töne schweben hin und wieder
  In dem leichten Blätterspiel,
Bilder tauchen auf und nieder
  Aus der Woge tief und kühl.
 
In der Grotte leicht umschleiert,
  Wo das Brünnlein perlend quillt,
Weilt die Schwermuth still und feiert
  Ihrer Sehnsucht holdes Bild!
In des hellen Aethers Räume
  Steigt des hehren Berges Haupt,
Und jahrtausendalte Bäume
  Halten ihm die Stirn umlaubt.
 
[42] Tief im grünen Uferkranze
  Ruht Albano’s dunkle Fluth,
In der Wolken leichtem Tanze
  Schwebt des Abends Purpurgluth;
Schimmer sinken leis’ hernieder
  In das tiefgesenkte Blau,
Und auf luftigem Gefieder
  Trinkt die Lerche Himmelsthau.
 
Aus der duftumglänzten Ferne
  Ragt Tiburnus’ Haupt empor,
Und es steigen gold’ne Sterne
  Aus des Meeres Schoos hervor;
Dort, wo nun das Höchste trauert,
  Was die Zeit hervorgebracht,
Sank von Wehmuth trüb umschauert
  Phöbos hin in Roma’s Nacht!
 
Steigen einst die Flammenrosse
  Aus Saturnus Burg herauf?
Bändigt mit dem Lichtgeschosse
  Er der Zeiten wilden Lauf?
Setzt er seinen Ahnherrn wieder
  Auf den alten Segensthron?
Kehrt Asträa siegreich wieder,
  Und vertheilet Straf’ und Lohn?
 
[43] Tönen frohe Hirtenflöten
  Wieder durch Evanders Wald?
Schwebt durch stille Abendröthen
  Numa’s heilige Gestalt?
An Camilla’s Sarkofage
  Trauert noch der Nymfen Lied?
Und ertönt Diana’s Klage
  Noch um ihren Hippolyt?
 
Hin und wieder sanft gezogen
  Schwebt Mnemosyne dahin,
An des alten Tibris Wogen,
  Mit erinn’rungsvollem Sinn;
Ihres Götterbusens Fülle
  Schwellt der Thaten Vollerguß;
Und in dieser heil’gen Stille
  Schöpfet ewig sie Genuß!
 


[63]

Phantasie auf Albano’s Höhen

Luftige Bläue!
Seelig dahin,
Schwebt auf der Weihe
Flügeln mein Sinn!
Ueber die Erde wohl über das Meer,
Trägt mich der stralende Fittig daher!
 
Fessellos Streben,
Himmlisches Seyn!
Du lohnst das Leben,
Du nur allein!
Tauchen den Fittig in Abendrothduft,
Trinken die reine die himmlische Luft!
 
Heiliger Fluthen
Schimmerndes Blau,
Pupurne Gluthen
Wolken voll Thau,
Kränzen und gürten Ausonia’s Strand,
Strahlen ums alte Saturnische Land!
 
Ewiger Frühling,
Ewiges Grün
Schattender Kühlung:
Schweben dahin,
Wonnige Tage im duftenden Kranz,
Und in der Horen sanftwallendem Tanz!
 


[65]

ERSCHEINUNGEN AN DER TIBER.

Rom im Frühling 1808.

Es rollt der goldene Zeitenstrom
Durch dunkelnde Lüfte so schaurig;
Er rollet durchs ewig unsterbliche Rom,
Es tönet sein Rauschen so traurig!
„Ich rollte Jahrtausend’ hinan und hinab,
„Der Menschengeschlechter stets wandelndes Grab,
„O strömte mir rückwärts die Quelle!“

„O hüllt’ ich stille mein graues Haupt
„Ins Dunkel der felsigten Grotte!
„Von des Bergwalds stachlichten Fichten umlaubt –
„Wer birgt sein Erröthen dem Gotte?
„O taucht’ ich tief in umnachtete Kluft!
„Sey Muttererde tief bergende Gruft!
„So flieh ich den Hohn bei den Schatten!“

[66] So sangs mir am goldnen Tibrißtrom,
Aus Abendrothglühendem Spiegel:
Es seufzete laut die gethürmete Rom,
Rings klagten die heiligen Hügel!
„Von Lorber und blühender Myrt umkränzt,
„Von Hesperus goldenen Früchten umglänzt
„Ach trauerst du jammernd im Staube!“

„Wie flattert, o Roma, dein Lockenhaar,
„Wie schweifet der Schleier im Staube!
„Wie bist du der göttlichen Reize so baar,
„Der Schand’ und dem Hohne zum Raube!
„Es jammern tief im entweiheten Schoos,
„Die Kinder das herbe verderbliche Loos –
„Du ringest die mächtigen Hände!“

Und rings auf dämmernde Hügel steigt,
In des Monds entglühenden Strahlen,
Die Schaar von den Vätern der Urzeit; es schweigt
Die Klag’ in den dunkelnden Thalen!
Seht! Janus schreitet aus Wolken daher!
Und Picus erschüttelt den mächtigen Speer,
Die goldene Hippe Saturnus!

[67] Und aus dem Strome steigen hervor,
Der Zwillinge drohende Schatten,
Sie steigen aus Rohrgesäusel empor,
Auf des Ufers grünende Matten:
Sie reichen den Schild, sie reichen den Speer,
Den stralenden Helm der Göttin daher –
„Nur Kühnheit siegt ob stets den Zeiten!“



[68]

Das Einzig-Bleibende

Ich steh’ an dem rauschenden Zeitenstrom,
  Er donnert und fluthet vorüber!
Der Zeiten Grab bist du ewiges Rom,
  Des Zeitstromes Bild, o du Tiber!
Es wanket rings das hesperische Land,
Von der Berge Höh’ bis zum Meeresstrand;
  Doch er tobt rastlos vorüber!
 
O felsengegründete Hügelstadt!
  O schauerumflüsterte Höhen!
Wer hemmt von den Hehren des Schicksals Rad?
  Wie sollt ihr dem Strome bestehen?
Der Donner aus finsterer Wolken Schoos,
Der zuckenden Blize Doppelgeschoß,
  Umschmettern die prangenden Höhen.
 
[69] Es stürzt hinab was dem Staube gehört,
  Denn ewig ist nur der Gedanke!
Was gebau’t kann werden, wird auch zerstört,
  Doch unsichtbar sey, was nicht kranke;
Es zerstöret die Zeit was die Zeit gebaut,
Wohl dem, der nur dem Unsterblichen traut,
  Er hat, wo sein Glaube nicht wanke.
 
 

[75]

DER ROSENSCHLEIER DES UNTERGANGS.

Am Golf von Neapel.

O Hesperus Bote, du rosiger Schleier,
Wer breitet dich hoch in die bläuliche Luft,
Wenn Meer und Gestad’ in entzückender Feier
Umschwebet des Abends sanftschimmernder Duft?

Erinnerung schwebet auf lispelnden Wogen,
Sie schwebt an der Felsen umwaldeter Höh,
Sie thaut von des Aethers umwölbendem Bogen,
Ins Herz uns der Zärtlichkeit schmelzendes Weh!

Der Gegenwart heitre geflügelte Stunde,
Weilt sanft vor der sinnenden Seherin Blick;
Sie träufelt dir Oel in die offene Wunde,
Ach, ruft auch vergessene Leiden zurück!

[76] Hier ruft sie an Stabiä’s grünendem Grabe,
Schwebt dort ob Pompejis halboffener Gruft:
Sie stüzet den Kummer am wankenden Stabe,
Sie heilet das Herz, welches liebend ihr ruft!

Wo Städte versanken, Gebirge sich hoben
Empor aus der Urkraft tiefgährendem Schoos,
Hat Eos den rosigen Schleier gewoben,
Der sanft der Erinnerung Scheitel umfloß!



[77]

DIE STIMME AUS DEM JUGENDLAND.

Neapel 1809.

Wie Harmonikaton aus der Ferne
Ertönet ein himmlischer Laut,
Er verhallt im Gewölbe der Sterne,
So lockt den Geliebten die Braut.

O sind es Sirenengesänge
Vom Wogendurchhalleten Strand?
Sinds fernher verwehete Klänge
Aus der Fabel hesperischem Land?

Ich kenn’ euch, o silberne Laute,
Ich kenne dich, winkende Hand –
O Liebling, des Herzens Vertraute,
An die meine Seele sich band!

Wie Aeolusharfen verschallen,
Gerührt von ätherischer Hand,
So tönts durch des Morgenroths Hallen
Aus der Kindheit elysischem Land!

[78] Entschwebe dem rosigen Schleier,
Du hehre geliebte Gestalt;
Sieh Meer und Gestade voll Feier,
Sie huldigen deiner Gewalt.

Die lodernde Gluth des Titanen
Steigt höher ins nächtliche Blau,
Es schweben sanftklagende Manen,
Auf mondlichen Strahlen voll Thau!

Du winkst, und in dichtere Falten
Verhüllst du dein holdes Gesicht?
Ach finstere Mächte, sie walten,
Ich seh, doch erreiche dich nicht!

Und immer tönets mir heller,
Obgleich du mir ferner entweichst;
Es klopfet im Busen mir schneller –
Du schwindest mir, ach du erbleichst!

Und: „kehr’ an den Busen der Treuen,
Und: „kehr’ an den meinen zurück!
„Laß Jugendzeit uns erneuen,
„Beleben entschlummertes Glück!“

[79] So tönt’s aus umnebelter Ferne
Noch tief mir ins innerste Herz,
Es verlöschen die winkenden Sterne,
Und machtvoll ergreift mich der Schmerz!

„O gält’ es seelig zu leben
„Nur Stunden, und sterben dann schnell:
„Wie wollt’ ich leicht zu dir schweben,
„Ein Aethergedanke so hell!“

„In deinen Armen mich wiegen
„Mit kindlich verjüngetem Sinn,
„An deinen Busen mich schmiegen,
„Und rinnen in Thränen dahin!“

„Doch leben nicht können, nicht sterben,
„Versinken der Geist und das Herz;
„O diesen unendlichen herben,
„Wer trägt den zermalmenden Schmerz?“



[82]

TROST AN JOHANNES MÜLLERS GRABE.

Für

SEINEN FREUND C.V. VON BONSTETTEN.

Schwand er dir in ungemeßne Fernen,
Den dein ganzes volles Herz geliebt?
Sucht dein Blick ihn unter jenen Sternen,
Den die Erde dir nicht wiedergiebt,
Sinkt dann trüb auf die verwaiste nieder,
Wo sein Herz nicht mehr für deines schlägt,
Und mit bangestrebendem Gefieder,
Sehnsucht nur den matten Fittig regt?

Was das Daseyn seelenvoll beweget
In des Lebens schönster Blüthenzeit,
Was der Größe Keim im Busen pfleget,
Hatte Müller seinem Freund geweiht.
Aus des Wissens tiefgesenkten Schachten,
Trug er dir die Silberblüthen zu;
Und der großen Seele höchstes Trachten,
War dein Beifall und sein Stolz warst du!

[83] Tausend zarte reine Liebesbande
Flochten sich um euer Wesen hin;
Fest wie Felsen eurer Heimathslande,
Daurend wie des Edlen hoher Sinn!
Aus des Lebens Stürmen kehrt’ es immer
Warm zu dir, das treue Herz zurück,
Also sucht des sichern Pharos Schimmer
Des Verstürmten matter Hoffnungsblick!

Und nun ist der Schleier abgesunken,
Hoch empor der kühne Geist geschwebt!
Ach entsteigt der Gruft kein Lebensfunken,
Der mit Glanz des Freundes Herz durchbebt?
Schweigst du ewig süßberedte Zunge,
Holder Worte reiche Spenderinn?
O wem floß im hohen Seelenschwunge
Suada so von Honiglippen hin!

Trösten wollt’ ich, und nur mit dir weinen,
Kann der Freundin tiefbewegtes Herz.
Wußtest du mir ihn nicht zu vereinen,
Ist nicht mein dein ganzer Seelenschmerz?
[84] Seltne Freuden, oft der Leiden Fülle,
Hab’ ich gern und treu mit dir getheilt;
Und in heil’ger hoher Seelenstille
Tiefe Wunden deiner Brust geheilt.

Also ruft, vom fernen Tiberstrande
Freundschaft dir aus ihren Hainen zu.
Hier in des Vergangnen hehrem Lande,
Wohnt bei Schatten tiefe Seelenruh!
Hier am offnen Grabe grauer Zeiten,
Steigen Adlern gleich Gedanken auf,
Und der Maasstab naher Künftigkeiten
Ist der Vorzeit schnellentschwundner Lauf.

Blick hinab ins düstre Thal der Zeiten,
Dort verschlingt sich euer Lebenspfad;
Vorzeit ist die Saat von Ewigkeiten
Der Gedanke reift aus ihr zur That.
Was du Müllern, was er dir gewesen,
Blühet zur Vollendung kühn empor:
Kann nicht mit ihm in der Gruft verwesen,
Was vom Licht kam, steigt ans Licht hervor!

[85] Dort wo Weltenbahnen sich vereinen,
Fließt auch in die deine seine Bahn;
Auch der stille Lebensbach der meinen
Rinnt, ein Tröpfen, in den Ocean!
Deren Seelen innig sich empfunden,
Bindet Zukunft fest und fester nur.
Ew’ger Ruhm ist Frucht von heil’gen Stunden,
Unvertilgbar hoher Geister Spur.

Gleich der Vorzeit hehren Zwillingssternen
Hoch am Freundschaftshimmel schwebet ihr!
Sehnend strebt in diese hellen Fernen,
Edler Jugend schüchterne Begier!
Und so lange deutsche Sprache tönet,
Nennt man Müllern auch, und seinen Freund!
Mit der Freundschaft Eichensproß gekrönet,
Leuchtet ihr zu einem Strahl vereint!



[93]

ABSCHIEDSGRUSS ANS PIANO DI SORRENTO.

Lebt wohl ihr Thäler, ihr umgrünten Höhen
   So anmuthsvoll!
Mein Auge soll euch nimmer wiedersehen,
   O lebet wohl!

Leb wohl du Plan mit deinen tiefen Grüften
   Voll goldner Frucht,
Ihr Pinien hoch verschwebt in milden Lüften,
   Du stille Bucht!

Ihr Grotten wo Vorzeit Stimme säuselt
   In klarer Nacht!
Wo sich am Fels die Purpurwoge kräuselt
   In wilder Pracht!

Du Goldfruchthain in tiefen Schauerthale
   Wo Echo hallt;
Begrüßet nun vom hohen Mittagsstrahle
   Vom Strom durchwallt!

[94] Hesperiens Hain voll süßer Balsamdüfte
   So zaubervoll,
Emporgewölbt in Rosenabendlüfte
   Leb ewig wohl!

Ihr Bergeshöh’n, bestrahlt von Himmelssternen,
   So sehnsuchtsvoll,
Grüß’ ich euch bald aus Nordens kalten Fernen,
   O lebt wohl!



[109]

DIE TODTENKRÄNZE AM PANTHEON.

Anmuthsvoll schwillet empor die raumumfangende Wölbung,
Und ins geöffnete Rund, strömet der Aether herab!
Mit den Jahrhunderten strebt ihr empor, gleich Greisen des Haines
Gaben des Nilus an Rom, Säulen voll herrlicher Kraft!
Feierlich dämmert es hier vor der schöngeziereten Pforte,
Wie’s im grünenden Hain dämmert, wann Helios sinkt!
Aber die Blenden sind leer, wo die Götterbilder einst prangten,
Und von dem Giebel verschwand Jupiters blizend Gespann!
[110] Stille wandl’ ich hinab, es glänzen Blumen und Kräuter,
Duftende Kränze sie blüh’n, frisch auf dem wimmelnden Markt.
Oft schon gieng ich vorbei, nie fehlten Blumen und Kränze;
Welchem Unsterblichen gilt, dieses gerüstete Fest?



Antwort der Kränzebinderinnen.

Alle Götter entfloh’n von der Oberwelt blutiger Fläche,
Traurend verstummet der Hain, traurend das öde Gefild!
E i n e r   nur herrschet mit Macht! ihm flechten wir traurende Kränze,
Aber den Altar erblickst über der Erde du nicht!
Was der blühenden Jungfrau die Lieb’, und dem lächelnden Kinde
Zagende Muttertreu weiht, Pilgerin schauest du hier!
[111] Kränze mit Thränen bethaut, sie sind des Aïdes Opfer,
Ach! den Entschlafenen sezt, weinende Hoffnung sie auf!



[117]

DIE VILLA MAECENAS ZU TIVOLI.

Sehet das Adlernest auf des Felsens Stirn sich erheben,
Wo du mit sinnender Ruh weiltest, o Liebling Augusts!
Lispelnd fließen die Locken der regen Nymphe hernieder,
Welche die waldige Kluft füllet mit hellem Gerausch.
Ach so töneten hier einst Flaccus goldene Lieder,
Und dem Venusichen [!] Schwan lauschten die Höhen umher!
Maro’s mächtige Harfe, die klang zu dem prachtvollen Epos,
Und dir, Octavia, rann leise die Thräne herab!
Zärtliche Klagen der Liebe verhauchte flötend Catullus,
Wo der silberne Quell Cynthia’s Grabmahl umrauscht.
[118] Ambos und Blasbalg ertönen anjezt durch die mächtigen Hallen,
Zischend als dienstbare Fluth kühlet der Bach das Metall:
Weit durchhallen des Hammers verdoppelte machtvolle Schläge,
Jezt den Tiburnischen Hain und der Albunen Gruft!
Nymphen und Götter entflohn, es trauren verödet die Tempel,
Schicksal, du nur allein, herrschest im Bild’ und der That!
Unerbittlich malmt auf dem Ambos der Hammer das Eisen.
Ach! unerbittlich ergreift uns die verborgene Macht!
Jener gehorchet dem Drange der regellos treibenden Welle,
Schicksal! wer leitet geheim, deinen verworrenen Gang?



[119]

DER TEMPEL DER VESTA ZU TIVOLI.

Luftig steigt er empor ob wogendurchdonnertem Abgrund,
Rings ums zierliche Rund ragen die Säulen empor!
Dich begrüßt von Catillus Rücken der thauige Morgen,
Traulich blicket auf dich Hesperus goldener Strahl!
Lange schon kannten sie dich, des Himmels freundliche Lichter,
Wir nur wissen es nicht, wem dich die Vorzeit geweiht:
Feierlich blickst du hinab in hallende Schlünde der Tiefe,
Bildung auf Bildung erstand dort im Schoose der Zeit!
[120] Ueberfluthete Thäler, bezeugen versteinerte Haine,
Und die rastlose Fluth bildet wechselnd und stürzt!
Welche Sibylle verkündet das ewigregende Wirken?
Schauet! die Blätter verwehn durch die gewundene Kluft!
Aber mächtig erschallt’s in des Abgrunds tosenden Wogen,
Und jahrtausendlang tönt’s, tief aus umdunkelter Kluft;
„Ewig bin ich! Mein Wirken geheim; mich nennet kein Nahmen!
„Ehre die Mutter des All’, hebe den Schleier nicht auf!“



[126]

REISE VON FLORENZ NACH ROM.

1.

DER STURM.

Hinter uns liegt schon das edle Florenz, und rauschet der Arno;
Freundliche Wiegen der Kunst, als sie Barbaren entrann!
Bald strömt Regen herab, tief sinket umwölkete Nacht ein,
Leuchtungen zucken, es brüllt laut die geschwollene Fluth!
Doch uns schüzet ein Gott und führt die Geretteten liebend,
Hin, wo von Hügeln umtanzt Siena die fröhliche thront.

[127]

2.

RADICOFANI.

Vor uns steigt Radicofani’s wolkenumgürtete Spize,
Dort wo der ewige Sturm heult um das öde Gestein!
Hier ist erloschener Gluth die starrendste Kälte gefolget;
Eiskalt starret der Fels, eiskalt strömet der Quell!
Dennoch hab’ ich dich stets als Scheidewand herzlich gesegnet –
Denn, Radicofani, du trennest den Süden vom Nord!

3.

DER KIRCHENSTAAT.

Staat der Kirch’, o sey mir gegrüßt in verödeter Schönheit!
Fröhlich mit üppigem Trieb waltet hier Mutter Natur.
[128] Mich umwehet Ausonische Luft und der mildere Himmel
Ruhet mit sanfterem Blau über der Fernungen Duft!
Staatsverständige zwar und Agronomen, sie finden
Vieles zu tadeln; doch hoch steiget dem Dichter der Geist!

4.

DIE CAMPAGNA.

Unter uns dehnt sie sich aus in stolz erhabener Oede,
Dünste duftig und hell wallen und wogen umher,
Dort entsteigen der Göttergebild’ und Erscheinungen viele,
Welche die Vorzeit sich schuf, welche sich schuf Phantasie!
Noch liegt Roma verdeckt von dem schimmernden Hüllen der Ferne,
Doch der Albanische Berg richtet aus Wolken sich auf:
[129] Sey mir gegrüßt, o heilige Höh! du Mutter der Thaten,
So die gesunkene Zeit kaum mit Erstaunen ermißt!
Fern am grauen Gestade dort bricht sich die strandende Welle;
Wonnevoll wiegt sich der Geist in der Vergangenheit Schoos.

5.

ROM.

Und nun steiget empor aus dem Schoose der wogenden Ebne,
Ewig dem Geist stets neu, prägend das herrliche Rom.
Kühn auf die Hügel gestüzt, die triumphierenden sieben,
Und mit unwelkbarem Grün, siegend, die Schläfe bekränzt!
Hohe Sonne, da schaust von des Aethers leuchtenden Bahnen,
Einzig und ewig gleich dir nur das unsterbliche Rom!



[164]

POMPEJI

Flüstern Schatten um mich? Wer trat die Spuren in Steine,
Wo die Wagen, die tief höhlten das sinkende Gleis?
Wo die Pfleger des Heerdes, des heiligen Heerds der Penaten,
Freundliches Salve wo ist, der dich dem Fremdling entbot?
Seht das Triclinium hier, es ladet zum gastlichen Schmause,
Hat das kühlende Bad schmachtende Glieder erfrischt.
Näher säuselts mich an, wie schwirrender Flug der Cikaden,
Weht’s um die Wangen mir her, klagend mit zirpendem Laut:
[165] „Unstet schweben wir hier, um halbgesprengete Grüfte,
„Doppelt verlieh sie Natur, Neugier verschonte sie nicht!
„Sängerin wölb’ uns ein Grab an der Ostsee grünenden Küsten,
„Friedlich schlummern wir dort, Schatten begehren nur Ruh!“



Quelle:
Neue Gedichte von Friederike Brun geb. Münter. Darmstadt bei Heyer und Leske, 1812.

                                                  ~~~~~~


[160]

Das Wiedersehn.

Fröhlicher eil’ ich hinab, in die südlichen Wonnegefilde;
Hinter mir bleibet der Frost, hinter mir Winter und Schnee;
Vor mir entfaltet sich mild Italiens ewige Blüthe;
Schimmernd grünet die Höh’, röthlich duftet das Thal;
Strahlend glüht noch im Osten die Purpurrose der Alpen
Duftig verklärend das Eis, himmelröthend den Schnee,
Leise dämmert’ es schon, da fliegt aus umdufteter Tiefe
Schaurig umraget ein See, bläulich spiegelnd und hold;
Mild wie das Antlitz der Ruh, von schlummernder Anmuth umgeben,
Lächelt er lieblich im Schooß mächtiger Berge versenkt:
[161] Pinien senken den Schirm hochab vom luftigen Felsen,
Und, dem Lorbeer vermählt, liebend die Mirthe sich schon!
Herrliches Land, wo, im Schutz der Eisgepanzerten Alpen,
Jedes blühende Kind südlicher Sonnen entsprießt!
Hier vom freien Balkon überblick’ ich die Breite des Seees;
Dämmernd versteckt sich sein Haupt, neben umnachtetem Fels.
Friedlich entsteiget der Mond des Waldbergs ragendem Rücken,
Und die Brücke voll Glanz baut aus den Fluthen sich auf.
Doch was erbebst du, mein Herz? wie faßt dich gewaltige Ahnung?
Nahet dir Freud’ oder Schmerz? Sag’ es, o klopfendes Herz!
Ach ein Nachen erscheint, auf der röthlich spiegelnden Fläche,
Still übergleitet er dort dämmernde Tiefen des See’s
[162] Schnell durchschneidet er nun mit blitzenden Rudern die Wogen …
Halt’, o zitterndes Herz, sprenge nicht angstvoll die Brust!
Schmerz der Freude! o laßt im süßen Leide mich sterben;
Wiedersehen, du bist selig und furchtbar zugleich!



[163]

Die Freunde.

Himmelentsunkener Kranz! Nur Hochbeglückte umstrahlet
Stundenbeflügelt dein Glanz, weilend bey Sterblichen nicht!
Höchste Fülle des Seyns, Verkünderin besserer Welten,
Wenn zu der Liebe sich sanft heilige Freundschaft gesellt!
Leis’ entschlummert war ich beim Gesange murmelnder Wellen,
Und Pommeranzengedüft zog zu den Fenstern herein.
Träumend wähnet’ ich mich, als, beim ersten Dämmern der Frühe,
Lieblich lächelnd sich mir Freundesgestalten genaht;
Schloß von neuem das Aug’ und wagt’ es nicht wieder zu öffnen,
Daß vor dem Morgenroth nicht selige Täuschung entflöh’!
[164] Aber um träumend ans Herz die theuren Gebilde zu schließen,
Streckt’ ich sehnend die Arm’ – ach, und sanken hinein!
„Schwind’, o Wirklichkeit! hin vor so seelig machenden Träumen,“
Rief ich, stammelnd vor Lust: „Nimmer erwacht’ ich doch mehr.
Flüsternd ertönte die Stimme, die wohlbekannte, der Freunde:
„Schließe die Augen doch auf, Friedchen, wir sind es ja selbst!“



[165]

Die Verzögerung.

Ueber des Alpenthals Kluft, wo den Schund durchtoset der Felsstrom,
Weilen wir Liebenden gern in der Verborgenheit Schooß.
Regen stürzet herab, er heult durch die Wipfel des Bergwalds
Sausend der Alpensturm; Trümmer schleudernd ins Thal.
Hoch in des Schneebergs Firn zerspalten eisige Mauren,
Und die Lavine, sie hüpft donnernd und wachsend herab.
Zagend standen wir schon am Abgrundsrande der Trennung,
Eingefangen hat uns herbstliche Alpennatur.
Jeder Pfad ist gesperrt, hinab in Italia’s Fluren,
Oder auch Alpen hinan in des Hochgebirgs Graun!
Fröhlich am traulichen Heerd’ ernähren wir häuslich die Flamme:
[166] Und wie Harfengesang tönt uns der Fluthen Gebrüll!
Eingeinselt sind wir, gesondert vom Menschengeschlechte,
Sind denn zwei Liebende sich stets nicht das Menschengeschlecht?
Ruhig wandeln wir hin, zu schau’n die wilde Verheerung,
Wo durchs Trümmergeklüft, donnernd sich stürzet die Fluth.
Blöcke der Felsen entrafft, und Jahrhundertaltrige Stämme,
Spielend ins offnere Thal, donnernder Wogen Geroll!
Brausend schwillet der Strom, er benagt schon die Gründung der Berge,
Dort wo die prangende Stadt, gegen uns über sich hebt.
Ganz schon füllet er nun die räumige Breite des Thales,
Trübe wogend bedeckt er schon Wiesen und Feld.
„Schwelle noch höher empor, ersteige die luftige Höhe,
[167] „Wo uns Liebende nur Tod der Trennung erschreckt!
„Arm im Arm erwarten wir dich, du Wiege des Schlummers,
„Die, so das Leben nur trennt, möge vereinen dein Schooß!“
Wehe! dort klärt sich die Luft! des Hochgebirgs Gipfel erscheinen,
Blendende Zacken voll Eis brechen durchs Nebelgewölk:
Ach schon verrinnet der Strom, die Thränen des Himmels versiegen.
Thränen der Lieb’, o strömt! Wehe! Die Trennung ist da!



[168]

Die Trennung.

Wehe! geschieden bin ich! bin von mir selber geschieden!
Ueber die Alpen empor, steiget mein besseres ich!
Felscatarakten entgegen, dem Hauchen eisiger Winde,
Wo die beseelte Natur traurend zu Felsen erstarrt!
Mich, ach! führen hinab, durch fröhlich blühende Thäler,
Pfade, üppig umgrünt, Früchte winken der Hand:
Honigfeigen, der Pfirsich mit männlichglühender Wange,
Und vom Geländer herab duftige Trauben voll Gold.
Thalauf ragt die Zipess’; mit dunkelem Laubobeliske
Hebt sie dem Sonnenstrahl sich, sehnend dem Aether sich zu;
[169] Ahnend hebt sich an ihr der wehmuthsvolle Gedanke:
„Ueber dem Lethe selbst schwebt die Treue noch hin!“
Nun erscheinet der See, im Schooße die prangenden Blumen,
S c h ö n s t e  d e r  I n s e l n, und dich,  M u t t e r i n s e l  voll Reiz!
Dunkelndem Laub entglänzt die Fülle goldener Aepfel,
Und es duftet im Gold Silberblüthe versteckt;
Ach! von Schönheit umstrahlt, von Wonnedüften umwoben,
Sucht mein Blick nur die Kluft, tief in des Hochgebirgs Schooß!
Dort entschwand er mir ja! dort glüht noch die Rose der Alpen:
Und selbst Italia’s Glanz dämmert zu Schatten dahin!



Quelle:
Gedichte von Friederike Brun gebornen Münter. Drittes Bändchen. Neueste Gedichte. Bonn 1820. Bey Adolph Marens.

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