Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Franz Emanuel August Geibel

Kurzbiografie

Franz Emanuel August Geibel (*17. Oktober 1815 in Lübeck – †6. April 1884 ebd.) gilt als Dichter der Spätromantik. Der Sohn eines reformierten Pfarrers besuchte das Katharineum zu Lübeck und studierte ab 1835 Theologie und Klassische Philologie erst in Bonn, dann ab 1836 in Berlin, wo Freundschaften zu Adelbert von Chamisso (1781-1838), Bettina von Armin (1785-1859) und Joseph von Eichendorff (1788-1857) entstanden. Er wurde als Hauslehrer beim russischen Gesandten in Athen angestellt. Trotz Zeitnot war es im möglich auf der Reise in die griechische Metropole einen kurzen Halt in Verona zu machen und mehrere Tage in Venedig zu verweilen. Zwischen Marmorpalästen und Kanälen fühlte sich Geibel gefesselt von der Stadt der Wunder, die ihm wie ein steinernes Märchen erscheint. Nach der Rückkehr veröffentlichte er 1840 seinen ersten Lyrikband „Gedichte“. Durch sie wurde der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) zu einem großen Bewunderer, so dass dieser ihm eine lebenslange Pension von 300 Talern gewährte. Er veröffentlichte „Gedichte“ (1840), „Zeitstimmen“ (1841), die Tragödie „König Roderich“ (1844) und „Juniuslieder“ (1848). Der von seinen Zeitgenossen hoch geschätzte Dichter schloss sich der „Jung-Lübeck“ genannten Erneuerungsbewegung an und folgte dem Ruf des bayerischen Königs Maximilians II. 1852 nach München, wo er bis 1868 die Ehrenprofessur für deutsche Literatur und Poetik übernahm. Im selben Jahr wurde er geadelt. Nachdem er aus politischen Gründen nach Lübeck zurückgekehrt war, distanzierte er sich sowohl vom Münchner Dichterkreis „Die Krokodile“ als auch von der „Königlichen Tafelrunde“, denen er 1852 beigetreten war. Geibel war einer der populärsten Dichter seiner Zeit. Besonders seine patriotischen Gedichte brachten dem bekennenden Franzosenhasser den Beinamen „Sänger des Reichs“ ein. Zu seinen Spätwerken zählen unter anderem die Lyrikbände „Heroldsrufe“ (1871) und „Spätherbstblätter“ (1877).
Geibel ist fasziniert von den antiken italienischen Stätten, die er in seiner Dichtung mit sentimentalischer Wehmut besingt.

Katharina Junk



[62]

Gondoliera

O komm zu mir, wenn durch die Nacht
Wandelt das Sternenheer!
Dann schwebt mit uns in Mondespracht
Die Gondel über’s Meer.
[63] Die Luft ist weich wie Liebesscherz,
Sanft spielt der goldne Schein,
Die Cither klingt, und zieht dein Herz
Mit in die Lust hinein.
O komm zu mir, wenn durch die Nacht
Wandelt das Sternenheer!
Dann schwebt mit uns in Mondespracht
Die Gondel über’s Meer.

Das ist für Liebende die Stund’,
Liebchen, wie ich und du;
So friedlich blaut des Himmels Rund,
Es schläft das Meer in Ruh.
Und wie es schläft, da sagt der Blick
Was keine Zunge spricht,
Die Lippe zieht sich nicht zurück,
Und wehrt dem Kusse nicht.
O komm zu mir, wenn durch die Nacht
Wandelt das Sternenheer!
Dann schwebt mit uns in Mondespracht
Die Gondel über’s Meer.



Abendfeier in Venedig.

Ave Maria! Meer und Himmel ruhn,
Von allen Thürmen hallt der Glocke Ton.
Ave Maria! Laßt vom ird’schen Thun,
Zur Jungfrau betet, zu der Jungfrau Sohn!
Des Himmels Schaaren selber knieen nun
Mit Lilienstäben vor des Vaters Thron,
Und durch die Rosenwolken wehn die Lieder
Der sel’gen Geister feierlich hernieder.

[64] O heil’ge Andacht, welche jedes Herz
Mit leisen Schauern wunderbar durchdringt!
O sel’ger Glaube, der sich himmelwärts
Auf des Gebetes weißem Fittich schwingt!
In milde Thränen löst sich da der Schmerz,
Indeß der Freude Jubel sanfter klingt.
Ave Maria! Wenn die Glocke tönet,
So lächeln Erd’ und Himmel mild versöhnet.



[211]

Italien.

Italia! oh Italia! thou, who hast
The fatal gift of beauty, which became
A funeral dower of present woes and past,
On thy sweet brow is sorrow plough’d by shame,
And annals graved in characters of flame.
Oh God! that thou wert in thy nakedness
Less lovely or more powerful, and couldst claim
Thy right, and awe the robbers back, who press
To shed thy blood and drink the tears of thy distress.
                                                     Childe Harold.

O wie eigen wird dem Wandrer, der, entflohn des Nordens Haft,
Nach dem heißersehnten Süden lenkt die frohe Pilgerschaft,
Wenn er von des Gotthards Gipfel, der in ew’gem Eise schweigt,
Langsam durch die Morgendämm’rung gen Italien niedersteigt.

Leise theilen sich die Nebel, und es wird so lau die Luft,
Aus der Tiefe wie ein Grüßen weht empor verlorner Duft;
Noch ein Vorsprung! – sieh und unten weit und blühend lacht das Thal,
Dichte Gärten, Silberseen überglänzt vom Morgenstrahl.

[212] Aus den Hügeln quellen Rosen, um die Ulmen rankt der Wein,
Schlanke Marmorsäulen schimmern winkend im Cypressenhain,
Dort die Berge lorbeerwaldig, hier das blaukrystallne Meer,
Und der Himmel wie ein liebend Mutterauge drüber her.

Und dazwischen buntgekleidet buntes Volk in Thal und Höhn,
Braune Buben, stolze Frauen, wie des Landes Rosen schön,
Winzertanz auf allen Bergen, in den Häusern Citherschall,
Lust’ge Lieder in den Barken, Klang und Jubel überall.

Wahrlich, solltest du nicht meinen, ausgestürzt auf dieses Land
Seiner Freuden vollsten Becher hab’ ein Gott mit trunkner Hand?
An dem Länderbaum Europens sei’s der blütenvollste Zweig,
Wie an grünen Laubgewinden, so an goldnen Früchten reich?

Aber ach, der bittern Täuschung! Unter diesem farb’gen Scherz,
Wie die Natter unter Blumen, lauscht ein tief verborgner Schmerz,
Jener Schmerz, der nimmer rastet, daß die alte Tugend starb,
Daß die Freiheit ging verloren, und ein Heldenvolk verdarb.

O Italien, du der Künste Mutter, stolzes schönes Weib,
Träg’rin einst der höchsten Kronen, siech und elend ward dein Leib,
Dieser holde Rosenschimmer, der so reizend dich umblüht,
Ach, es ist des Fiebers Hitze, das in deinen Adern glüht.

[213] Ja, es will mich oft gemahnen, aller deiner Blumen Glanz
Lieg’ um deine kranken Schläfe fertig schon als Todtenkranz.
Ja, als sei’n Vesuv und Aetna lodernd nur dahingestellt
Fackeln an dem Sterbelager einer Königin der Welt. –

Aber nein! Noch lebt die Hoffnung, ob auch tief versteckt im Weh;
Kennst du nicht das Lied vom herben Kummer der Penelope?
Schön wie du vor allen andern ward wie du sie vielumfreit
Und der Fremden Schwarm verpraßte frech des Hauses Herrlichkeit.

Zwanzig Jahr die Purpurwolle spann sie weinend auf dem Thron,
Zwanzig Jahr mit bangen Seufzern zog sie groß den theuern Sohn,
Zwanzig Jahr getreu dem Gatten blieb sie und getreu dem Gram,
Harrend, hoffend, Boten sendend – sieh, und ihr Odysseus kam.

Weh den übermüth’gen Freiern, als genaht des Rächers Gang,
Als von bittern Todespfeilen sein gewalt’ger Bogen klang!
Von dem rothen Blut der Frechen troffen Säul’ und Estrich da,
Und ein schrecklich Fest der Rache ward erfüllt auf Ithaka.

Kennst du jenes Lied, Italia? Hör’s und harre muthig aus,
Wie sich auch die Freierschwärme drängten in dein adlich Haus;
Deine Söhne zieh zu Männern unter Thränen früh und spat!
Wein’ und hoff'’! Es kommt die Stunde, wo auch dein Odysseus naht.



Quelle:
Emanuel Geibels Gesammelte Werke. In acht Bänden. Erster Band. Jugendgedichte. – Zeitstimmen. – Sonette. Zweite Auflage. Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1888.

~~~~~~



Elegien

[91]

V.

Nimmer vergess’ ich der Nacht, da ich leicht hinrollend im Wagen
Fast wie ein Trunkener dich, hohe Verona, verließ,
[92] Tief im Gemüth noch bewegt von der drängenden Fülle des Neuen,
Das du dem flüchtigen Gast, Schwelle des Südens, gezeigt.
Dietrichs Burg hoch über dem Strom und der grauen Paläste
Altehrwürdigen Prunk hatt’ ich mit Staunen begrüßt,
Hatt’ an Juliens Sarg, an der Scaliger ehernem Denkmal
Ernst in verschollener Zeit Wechselgeschick mich vertieft
Und im gigantischen Rund auf das Quadergestuf der Arena
Niedergeschaut, vom Hauch römischen Geistes umweht.
Aber dazwischen, wie blühte so reich der Frühling von heute!
Blumen auf jedem Altan, Sträußer auf jeglichem Markt!
Rings buntfarbig Gewühl, um die plätschernden Brunnen sich drängend,
Durch die Arkaden dahin flutend zu Kauf und Verkauf.
Reizende Mädchen im Schwarm, schwarzäugig mit wehenden Schleiern,
Weiber, den Korb auf dem Haupt, Hirten im zottigen Vließ,
Frisches Gebäck in den Hallen umher und Duft der Orangen,
Rosiger Wein und Musik, weich wie Italiens Luft!
Gern zur Neige geschlürft wohl hätt’ ich den winkenden Becher,
Doch nur flüchtig vom Schaum war mir zu kosten vergönnt.
Dreimal, eh’ ich’s gedacht, war hinter den Zinnen des Spätroths
Fackel verglüht und zur Fahrt lud mich die köstliche Nacht.
Und nun ging es hinaus in die weite lombardische Fläche,
Ostwärts, Padua zu, trug mich das leichte Gespann.
Thauiger Duft lag über der Flur, im sprossenden Kornfeld
Schlugen die Wachteln, von fern rauschte der blinkende Strom.
[93] Mondhell grüßten am Weg, reblaubumsponnen, die Ulmen,
Durch die Cypressen herab rieselte silbernes Licht.
Aber am dunkeln Gebirg still glommen die Feuer der Hirten
Und herüber gedämpft wehte der Ton der Schalmei.
Fremd war Alles umher und doch so traulich, dem stillen
Reichthum dieser Natur fühlt’ ich mich innig verwandt;
Diese Lüfte, wie lösten sie mir sanft schmeichelnd die Seele,
Daß sie in reinem Akkord leis’ in sich selber erklang!
Fern wie der Heimat Nebelgewölk lag jegliche Sorge,
Und zu leben allein schien mir, zu athmen, ein Glück,
Und zum Sternengezelt entzückt aufschauend empfand ich,
Daß du zum Gruß mir das Haupt, Muse des Südens, berührt.



VI.

Dich auch hab’ ich, Venedig, gesehn und keiner vergleichbar
An fremdartigem Reiz preis’ ich dich einzige Stadt.
Denn wie ein Purpur umfließt dich das Meer; zu dem Zauber des Ostens,
Der phantastisch dich schmückt, gab dir der Westen die Kunst,
Die zu stolzester Pracht sich entfaltend im Hauch der Lagune
Schön wie die Tochter des Schaums Seelen und Sinne berauscht.
Aber dazwischen verwebt sich der Nachhall deiner Geschichten,
Bald majestätisch und klar, schauerlich bald und gedämpft.
Jeglichem deiner Paläste verlieh die Erinn’rung ein Echo,
Leis’ aus jedem Kanal flüstert die Sage herauf.
Wieviel Siegesgepräng umschwoll San Marcos Altäre!
Wie viel Seufzer vernahm drüben der Brücke Gewölb!
Hier die bewimpelten Masten am Platz, sie zeugen noch immer,
Daß dem geflügelten Leu’n Cypern und Zante gehorcht,
[94] Diese Giganten erzählen vom blutigen Ende Marinos,
Jener moreske Balkon mahnt an Othellos Geschick.
Leben und Dichtung zerfließen in Eins und bunt wie im Märchen
Lauscht das Vergangene rings unter dem Heutigen vor.

                                * * *

Rosen fehlen dir zwar und Lilien, aber die Blüte
Schmückt dich noch immer der Frau’n, wie Tizian sie gemalt,
Wie sie mit ahnendem Geist der unsterbliche Brite geschaut hat,
Als er Bassanio’s Braut schuf und Brabantio’s Kind.
Unter der Schwärze des Schleiers hervor dringt krauses Geringel,
Das als Mantel von Gold prächtig den Nacken umwallt.
Wie durch Nebel ein Stern feucht schimmert das Auge, die schlanke
Fülle der edlen Gestalt trägt der bezaubernde Fuß.
Täglich sah ich die Herrlichen so durch’s rosige Spätlicht
Unter dem Vespergeläut wandeln am Dogenpalast,
Bis sie um Mondaufgang vom taubenumflatterten Platze
Leise die Gondel entführt’ über die schimmernde Flut.

                             * * *

Fern vom großen Canal einsiedlerisch wohnt’ ich nach hinten,
Doch ein erlesenes Bild bot mir das Fenster dafür
Schwermuthsvoll und reizend zugleich. Ein verwaister Palasthof
War’s, deß bröckelnden Schmuck Regen und Sonne gebräunt.
Zwischen den marmornen Fliesen des Estrichs sproßte das Gras auf,
An den Gesimsen umher bauten die Schwalben der See;
Drüben erhub sich der rostige Bau; die zerbrochnen Geländer
Seiner Arkaden umwob schattiges Epheugerank.
[95] Aber inmitten des Raums am vertrockneten Becken des Springborns
Stand ein Neptun und mit Harm dacht’ ich, Venetia, dein,
Denn dem verstümmelten Arm war längst der gebietende Dreizack
Traurig entsunken, wie dir, Fürstin, das Scepter des Meers.



Quelle:
Emanuel Geibels Gesammelte Werke. In acht Bänden. Fünfter Band. Judas Ischarioth. – Die Blutrache. – Dichtungen in antiker Form. – Classisches Liederbuch. Zweite Auflage. Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1888.

~~~~~~


Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit