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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Franz Bernard Heinrich Wilhelm Freiherr von Gaudy

Kurzbiografie

Franz Bernard Heinrich Wilhelm Freiherr von Gaudy (*19. April 1800 in Frankfurt a.O. – †5. Februar 1840 in Berlin), Sohn des Generalgouverneurs von Sachsen, entstammte einem schottischen Hause, das dem preußischen Militäradel zugehörig war. Ab 1810 besuchte er das Collège Français zu Berlin und ab 1815 die preußisch königliche Landesschule Schulpforta. Nachdem er 1818 in Potsdam dem preußischen Heer beigetreten war, folgte ein Jahr später die Beförderung zum Leutnant. Gaudys Militärlaufbahn endete 15 Jahre später, nachdem er mehrfach wegen der Anhäufung von Schulden, der Teilnahme an Duellen und der Verwicklung in Liebesaffären bestraft und zwangsversetzt worden war. Eine Rente durch den Kronprinz ermöglichte es Gaudy allerdings sich fortan als freier Literat in Berlin niederzulassen. Sein Romanzenepos „Kaiser-Lieder“ (1825), in dem er sich offen zu Napoleon bekannte, steigerte zwar den eigenen Bekanntheitsgrad, machte ihn allerdings zugleich zu einem „umstrittenen“ Schriftsteller. Nach der Publikation seines ersten Lyrikbandes „Erato“ (1829) konnte er Adelbert von Chamisso (1781-1838) als Förderer für sich gewinnen. Durch ihn wurde Gaudy Mitglied der so genannten „Mittwochsgesellschaft“, einem literarischen Kreis um Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857), Friedrich Freiherr de la Motte Fouqué (1777-1843), Willibald Alexis (1798-1871), August Kopisch (1799-1853) und Franz Kugler (1808-1858). Als er 1835 zusammen mit Kugler nach Italien reiste, trat er in Kontakt zur in Rom ansässigen Künstlergruppe „Ponte Molle“.
Zu den Frühwerken des Dichters und Novellisten gehören, neben dem Lyrikband „Erato“ (1829), die Aufsatzsammlung „Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen“ (1832), die „Schildsagen“ und die Gedichte „Korallen“ (1834). Die Erlebnisse der Italienreise werden in dem dreibändigen Werk „Mein Römerzug“ (1836) verarbeitet. Zudem publizierte er diverse Novellen wie „Desangaño“ (1834), „Aus dem Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen“ (1836) und „Venezianische Novellen“ (1838). Weitere Gedichte erschienen unter anderem in der Sammlung „Lieder und Romanzen“ (1837).
Gaudys Italiengedichte zeichnen schwermütige italienische Landschaften in ihrer verblichenen Glorie. Mittelpunkt in dieser Szenerie bleibt jedoch der Mensch.

Katharina Junk





[242]   

Auf dem Lago Maggiore.

Träumend schwanken die Kronen
Der Cypressen auf der Höh’,
Goldschimmernde Citronen
Glühn aus dem Laub am See.

Vom Berg und aus den Klüften
Quillt leiser Glockenklang,
Wie wenn hoch in den Lüften
Verhallt der Schwäne Sang.

Und wenn die Töne der Glocken
Hinsäuseln über die Flut,
Dann hebt von den schwarzen Locken
Der Steuermann den Hut:

Es murmeln seine Lippen
Halblaut eine Ave-Marie,
Er kreuzt vor den schroffen Klippen
Die Brust, und beugt das Knie.

Am Riff auf zack’gem Steine
Steht der Madonna Bild,
Umzirkelt von goldnem Scheine,
Und segnet den Schiffer mild.

Von ihrer Stirne glänzet
Die Krone von Flitter und Schmelz,
Und ihren Fuß umkränzet
Mit Epheu der starre Fels.

Im Spiegel des Seees zittern
Die zum Segen erhobene Hand,
Der Krone Silberflittern,
Die braune Felsenwand.

Mein Herz bebt wie in der Welle
Das Bild der Königin – –
Über Italiens Schwelle
Gleitet die Barke hin.



[286]   

Ex voto.

(Hinter Levana.)

Auf dem Hügel, hart am Wege, hell beglänzt von Morgensonne,
Steht das altersgraue Kirchlein der tieftrauernden Madonne,
Deren mildes Herz, erschüttert von der schwer Bedrängten Klagen,
Nie das Fürwort bei dem Sohne Gläubigfrommen wird versagen.

Ihre gnadenreichen Wunder kündet jeder dir im Volke:
Wie sie huldreich dem Bedrohten naht auf goldumsäumter Wolke,
Rossen in den Zügel greifend, eh’ der Abgrund sie verschlungen,
Und die Faust des Räubers lähmte, der den Dolch zum Mord geschwungen.

Carlo, den das Los getroffen, als Soldat zum Heer zu wandern,
Kehrte heim aus Rußlands Steppen, er allein von allen andern:
Trug er doch ihr Bild am Halse; und Aurelio, dem Armen,
Ließ im Traum der Terne Nummern sie entziffern voll Erbarmen.

[287]
Der Kamaldulenser Väter aus dem nahen Vallombrosa
Lesen zwei der Messen täglich vor der Mater Dolorosa.
Seht, so ruft der Vetturino, seht, schon ist das Kirchlein offen.
Wer sein Ave spricht des Morgens, darf auf günst’ge Reise hoffen.

Langsam über rauhe Stufen steigt der Fremde zur Kapelle,
Wo zwei düstere Cypressen stehn als Wächter auf der Schwelle,
Wo mit leerer Büchse klappernd ungestüm der Bettler kreischet,
Und um der Madonna willen eine milde Gabe heischet.

Volle Sonnenstrahlen leuchten durch der Fenster spitze Bogen,
Wo des Staubes duft’ge Wellen tanzend auf und nieder wogen.
Einsam sitzt der Knab’ im Chorhemd, der die Messe soll bedienen,
Schlummernd auf den Altarstufen – denn noch niemand ist erschienen.

Vor der Königin des Himmels Gnadenbild, in deren Herzen
Sieben scharfe Schwerter wühlen, brennen schon die bunten Kerzen,
Flimmern an der Strahlenkrone, der von frommer Hand geweihten,
Die sich glänzend um die Stirne zieht der Hochgebenedeiten.

Perlen- und Korallenschnüre wiegen sich am seidnem Bande
Neben Herzen, rein von Silber, auf der Dulderin Gewande:
Bilder sind’s der Frauenherzen, deren blut’ge Wunden schlossen,
Wenn der Beterinnen Thränen auf des Altars Schwelle flossen.

Mit dem Säugling auf dem Arme lauschet durch des Kirchleins Pforte
Jetzt ein Weib, mißtrauisch spähend – spricht nach außen leise Worte.
Zögernd folgt ein Mann. Sie netzen aus dem Becken, dem geweihten,
Sich bekreuzend Brust und Stirne, eh‘ sie durch die Halle schreiten.

Schweigend legt die Frau das Kindlein, das fest schlummernde, zur Seite,
Schweigend stellt der Mann die Büchse neben sich, die schußbereite,
Legt den Hut, um dessen Krempe Heil’genbilder bunt sich ziehen,
Auf den Stein, auf den die Gatten zum Gebete niederknieen.

Düster blickt der Mann zur Erde, wenn des Kranzes Perlen rollen,
Nur die Gattin hebt die Augen himmelan, die thränenvollen,
Nur die Gattin wagt’s, die Hände zu der Jungfrau zu erheben,
Nicht der Finstre, dessen bärt’ge Lippen im Gebete beben.

Auf springt er, und reißt vom Gürtel Terzerol und Dolch und Scheide,
Blickt noch einmal auf die blanken – reicht sie dann dem Weibe beide.
Und die Frau hängt die Gewaffen an den Pfeiler nah dem Bilde,
Drauf enteilen beide hastig. – – Sagt mir an, wer war der Wilde?

[288] Und der Fuhrmann legt den Finger tief bedeutsam auf das Auge:
Fraget nicht. Ich glaube schwerlich, daß ihm zu begegnen tauge
In den Bergen an der Grenze. Du, Patronin der Kapelle,
Lohn’ uns, daß als gute Christen wir betraten deine Schwelle!


   
[298]   

Narni.

Schwerfällig schleppt das Ochsengespann
Den Wagen steilen Berg hinan.
Dort oben winken Narnis Zinnen,
Die sich in Epheufäden spinnen.
Dort klettern die Mauern, Gemsen gleich,
An steilem Abhang keck hinauf,
Dort stürzen sie mit hast’gem Lauf
Hernieder, durch Gestrüpp und Eich‘,
Durch Schluchten, über den Felsenspalt –
Nachfolgendes Auge verliert sie bald.
Dort rollt, gleich starrer Lavawelle,
Thalwärts der Häuser Kaskatelle.
Es streckt der Riese der Apennin,
Bergzüge, Finger seiner Hand,
Raubgierig über das blühende Land,
Und eingefaßt in Olivengrün,
Glänzt Narnis Schloß, ein fester Zwinger
Als sonnigstrahlender Ring am Finger.

Du schwelgendes Auge, nimmersattes,
Wohl ließest du in deinem Stern,
Durch heimliche Nacht des Epheublattes,
Grau schimmernden Felsgesteines Kern,
Bemooste Ruine spiegeln gern,
Verfolgtest lange das zitternde Licht,
Das Bahn sich durch Kastanien bricht,
Und lauschtest gern des Nebels Qualm,
Der duftig entsteigt der Wiese Halm –
Von allen Schätzen reiße dich los.
Entzückt begrüßen, scheiden bange,
[299] Vorblicken hastig, nachblicken lange,
Dies ist unsteter Pilger Los.
Jetzt leit‘ ich dich der Nera Strand
Entlang, umbuscht von Weidenwand,
Dort wo der schmetternden Nachtigallen
Wegweiserstimmen lockend schallen.
Das Schönre eng vermählt dem Schönen
Soll rückwärts sehnenden Blick versöhnen.

Mit heimlichem Zittern schwebt die Flut
Der Nera, seit in stürmischer Glut
Sie der Velino Strom umfangen;
Und sonnig lächelnd irrt der Fluß,
Der Jungfrau gleich, auf deren Wangen
Der ersten Liebe erster Kuß
Bei wachen Träumen neu erblüht,
Bei träumendem Wachen neu erglüht.
Am gotischen Turm, an dem die Geiß
Die Ranken bewegt vom Brombeerreis,
Wo unter der Thür das freundliche Kind
Dir hold zunickend weiter spinnt,
Wo um die Zinnen Tauben schwirren,
Und in den Luken nisten und girren:
Dort, trunknes Auge, dort schau hinein
In die Wellen, glitzernd im Sonnenschein.
Verfolge die wähligen, murmelnden Wogen,
Umrieselnd, umplätschernd den Marmorbogen,
Den Heldenkraft altrömischer Hand
Seit zwei Jahrtausenden hält gespannt;
Und wo die Quader des Jochs zerbrach,
Schlingkraut und Feigenbaum hilft nach,
Und reichen von Pfeiler zu Pfeiler sich
Die grünenden Arme brüderlich.

Vom frommen Kloster die Glocke schallt.
Es zog der Klang von Wald zu Wald,
Die Wellen rauschten, die Taube girrte. –
Der Wandrer, der am Ufer irrte,
Blickt’ über die Fluren, über die Höhn,
Nach Herzen sich sehnend, eng verwandt,
Nach dem Druck sich sehnend der Freundeshand,
Nach Bruders Ruf: Wie schön, wie schön!
Er stand allein. – Da brach die Lust,
[300] Die sel’ge, im Liede aus der Brust:
Hell schallte der Jubel seiner Gesänge –
Bis Thränenstrom erstickt die Klänge.



[314]

Der Schäfer der Campagna.

Voll gießet die Mittagssonne
Hernieder die sengende Glut.
Erschlafft in trägem Schlummer
Die öde Campagna ruht.

Kein kühlend Lüftchen rieselt
Leis’ über Hügel und Au:
Selbst die Wölkchen sie halten Siesta
In der Himmelswiege so blau.

Eidechsen schlüpfen schwänzelnd
Zwischen Geröll und Blatt.
Aus falbem, welken Grase
Schwirrn die Cikaden matt.

Und auf dem nackten Hügel,
Da steht der König des Felds,
Überdacht vom breiten Hute,
Gehüllt in zottigen Pelz.

Gelehnt auf seine Keule
Schaut er hinaus aufs Feld
Und schwelgt im far niente –
Was kümmert ihn die Welt?

Die Herde umstellt von Netzen,
Entbehrt des Hirten Acht,
Wenn nur der Hunde einer
Mit schnuppernder Nase wacht.

Du sonnenbrauner Bursche,
Was liegt dir jetzt im Sinn?
Und deine pechschwarzen Augen
Wo starren sie träumerisch hin?

Betrachtest du am Wege
Den peitschenden Vetturin?
Die hyperboräischen Pilger,
Die jubelnd der Straße ziehn?

[315] All’ die kuriosen Fremden,
Die mit dem Skizzenbuch,
Strohhüten und Staubhemden
Rom machen den Besuch?

Du sonnenbrauner Bursche,
Bleib’ noch ein Weilchen stehn,
Dann wirst du in der Vettura
Auch mich passieren sehn.

In Mondenfrist schon tret’ ich
Altrömische Chaussee,
Dann grüß’ ich dich in der Heimat,
Und bis dahin: Ade!



[323]

Das Forum.

Wo des Korsos Menschenwogen an dem venetianschen Schlosse
Brechen, wo die Wagenlenker rückwärts wenden ihre Rosse,
Wo zum Flimmerpunkt der Lampen Glanz, der Sonnenheuchler, schwindet,
Dort ist’s, wo der Nachtdurchwandrer sich durch düstre Gassen windet.

Zu der Männer rohem Hadern, zu der Frauen gellem Jammern,
Zittern Mandolinenklänge aus den Spalten niedrer Kammern.
Hügel auf- und Hügel abwärts durch verfallner Hütten Reihe
Fliegt der Fuß, dem ungewissen Dämmerlichte nach ins Freie.

Gleich dem Wald, an dem der Riese Sturm unbänd’gen Ingrimm kühlte,
Wild den zähen Arm der Wurzel aus den Felsenklammern wühlte,
Starker Äste Bogen sprengte, und dem stolzen Eichenhaupte
In jahrhundertwier’gen Kämpfen fest bewahrte Kronen raubte:

So die Säulen, die vereinzelt aus dem Feld des Todes ragen,
Die verdammt, gebrochnen Stolzes Schmach Äonen lang zu tragen,
Die durchzuckt vom wilden Schmerze in den Mauerwurzeln beben,
Wenn die Seufzer: Romas Forum! jedes Wandrers Mund entschweben.

Jeder ruft die heil’gen Namen, sie der Lippe frühste Laute,
Nennt die Greise, deren Bilder schon des Kindes Aug’ erschaute,
Als sein schmeichelnd Flehn des Vaters lächelnd wiederholte Kunde
Von den fremden Wunderstädten, heischt’ in lausch’ger Dämmerstunde.

Wo gefangne Partherkön’ge trauern, durch den Siegesbogen
Ist der Kaiser mit den Söhnen auf das Kapitol gezogen.
Des Fortunatempels Säulen sind’s, die dort empor sich schwingen,
Des Kronions, die drei Grazien, welche zart den Arm verschlingen.

Jeder Zoll ’ne Königsleiche! – An dem Sarge sprühn die matten,
Dem Erlöschen nahen Ampeln durch der Trauerhülle Schatten.
All die Hüter sind entwichen, längst verscholl der Söhne Klage –
Nur der Fremdling sitzt als Wächter am verlassnen Sarkophage.



[355]

Fontana di Trevi.

Die Nacht schwebt durch den Himmelsraum,
Das müde Augenlid geschlossen,
Vom Wolkenschleier dicht umflossen,
Den Mond umglänzt als Silbersaum.
Die Zwillingsknospen Schlaf und Traum
Hold an der Mutter Brust geschmiegt,
Sanft von der Mutter Arm gewiegt,
Umkreisen die Welt. Im hast’gen Flug
Verfolgt das Käuzchen mit geller Klage:
Schon weiche Nacht dem siegenden Tage,
Der Göttin weich hingleitenden Zug.
Und durch der Straßen verschlungnen Knäul
Irrt noch der Fuß in banger Eil’,
Irrt bald zur Rechten, bald zur Linken,
Wo vor der Blende die Lampen blinken,
Und von gewelkten Blumen umkränzt
Das Bild der Mutter Gottes glänzt.
Unschlüssig bieg’ ich rechts hinein,
Verlockt vom goldnen Kreuzes Schein,
Das von der Kirche Kuppel schimmert,
Und matt im Schein des Mondes flimmert.
Vor der Basilika stockt der Lauf,
Zum Giebel späh’ ich lang hinauf,
An dem die Schrift im Zweifellicht
Des Mondes zittert – lesbar nicht.
Des Tempels Stufe, das Säulendach –
Lastträgers luft’ges Schlafgemach –
Der stolze Giebel, die Marmorschwelle,
Der Heil’gen Chor, die in der Zelle
Vergoldete Strahlenkrone umflicht,
[356] Und deren Marterinstrument
Des Glaubensopfers Namen nennt –
Sie lösen dem Wandrer die Frage nicht.
Vergeblich kehrt der prüfende Blick
Auf jüngst durchmessne Bahn zurück,
Ruht auf dem grauen Steinpalast,
Wo unter des Eisensöllers Last
Die Karyatiden schmerzlich stöhnen,
Und Löwen den Schild des Wappens krönen.
Mir deucht das Fürstenschloß vertraut,
Und hab’ es dennoch nie geschaut,
Betrat noch nie das Labyrinth,
Das tiefer und tiefer mich umspinnt.
Mondschimmer, der durch die Wolken flirrt,
Es ist es, der den Geist verwirrt,
Dem Fremden bekannte Züge leiht,
Und Wohlbekanntem fremdes Kleid,
Mit Gaukelschein das Auge neckt,
Das schlummermüde niedergleitet,
Dem Fuß, der widerstrebend schreitet,
Den Ausweg trügerisch versteckt.

        *

So, wüster Schwärmer, geschieht dir recht.
Wer sich dem Scepter der Nacht entzogen,
Um ihre Kränze sie betrogen,
Der duld’ es, wenn sie streng sich rächt.
Nachtwandler, wandelnd Nacht zu Tage,
Jetzt leide die Strafe sonder Klage.
Es mahnte die Glocke zwölfmal schon
Zur Heimkehr dich mit ernstem Ton,
Doch durch der Becher Läuten drang
Wohl nicht des Erzes warnender Klang.
Vom süßen Taumel der Rebe bethört,
Hast du die Mahnung leicht verhört,
Schmähst jetzt des Mondes Schein verwirrend
In dem Becher entdufteten Nebeln irrend.
Kann sein, daß leuchtendes Augenpaar
Das pfadableitende Irrlicht war,
Und du erst jetzt dem Netz entronnen,
Das Seidenhaar um dich gesponnen.
Nachtwandler, wandelnd Nacht zum Tage,
[357] Jetzt leide die Strafe sonder Klage.
Und wenn Beischlaf das Augenlid,
Das matt ankämpfende, niederzieht,
Wenn dir die wankenden Füße versagen,
Dich weiter im Zirkellauf zu tragen –
Sieh dort, die Kirchenhalle thut
Dir gastlich auf die weiten Räume.
Dort, wo der Bettler selig ruht,
Dort lege dich nieder, dort, Schwärmer, träume.
Den Bettelstab hat oftmals schon
Das Schicksal verschwistert dem Lorbeerbaume.
Heil dreimal dir, wenn nur im Traume
Du dulden mußt des Bundes Lohn.

So spottet leicht der Splitterrichter,
Belauscht er den unstet wandernden Dichter,
Der schwanken Schritts, die Stirne feucht,
Die Straßen auf- und abwärts keucht.

Verleumdung spricht er. Wüstem Klirren
Der Gläser entsproßte nie mein Irren.
Um aus den strohumflochtnen Flaschen
Des Lethe Taumelgift zu naschen,
Ward mir freiwill’ger Kerker nie
Rauchschwarze Wand der Osterie.
Den Dämon, welchen in Foglietten
Des Öles fesselnde Tropfen ketten,
Scheinheil’ger Sklave, bald Tyrann,
Erlöst’ ich nicht aus seinem Bann.
Auch nicht das Netz – unwürd’ger Verdacht! –
Hat mich umstrickt mit süßer Macht;
Die Schlinge gewebt aus seidner Flechte,
Der wonnige Zauber der Südlands Nächte –
Obwohl sie leicht den ernsteren Mann,
Den machtlos sträubenden, umspann:
Wie lockend auch der gleißende Schimmer
Der Frucht – den Dichter kirrte sie nimmer.
Wie schmelzend auch Sirenensang
Dem Ohr des nordischen Pilgers klang,
Mit doppelter Seile zähem Bast
Verflocht er den zuckenden Arm dem Mast.
Der Künstler jauchzt in dem holden Gespinst,
Verlust der Freiheit dünkt ihm Gewinst.
[358] Er preist der reizenden Blüte Schmelz,
Die ihm entquoll aus starrem Fels,
Und wie die Flor die Ruinen kröne,
Das Leben mit dem Tod versöhne.
Wohl liebt den Namen Roma, den hehren,
Der Jünger der Kunst im Scherz zu kehren,
Und freut sich, wenn aus ernstem Klang
Amor, der Schalk, entgegen sprang.
Nur Amor glätte der Stirne Falten
Der strengen Roma, der stolzen Alten,
Und zähmend lege Roma dann
Dem tändelnden Knaben Fesseln an.
So lehrt der Künstler. Doch wenn der Poet
Einschmeichelnden Wahn zu teilen verschmäht,
Wenn ihn der Greisin Herrschermienen,
Die Ehrfurcht gebietenden, nicht geschreckt,
Wenn er nie späht, ob Amorinen
Des Purpurs Faltenwurf versteckt,
Wenn flammender Augen Pfeilesspitze,
Wenn zuckenden Blickes sprühende Blitze
Von seinem Herzen glitten stumpf –
Wohl schwerlich war’s der Dogmen Frost,
Der ihm verleidet die Götterkost,
Und des Entsagens kühlen Triumph
Verdankt er nicht der Stoa Waffen,
Nur für den welken Greis geschaffen.
Längst eh’ des Gift Hesperiens sich,
Das süße, in mein Herz einschlich,
Hatt’ ich bereits am heim’schen Herd
Den Kelch des Gegengifts geleert.
Mild leuchtender Sonnen Augenpaar
Leitstern dem wogenden Schiffer war;
Das seidne Netz aus goldnen Haaren
Gewebt, umgarnte mich schon seit Jahren.
Vergeblich der Glimmer des Feldspats blitzt
Dem, der den Demant stolz besitzt.
Nach Tropfen Thaus, des schillernden, bückt
Sich nicht, wer die Perle ans Herz gedrückt,
Und achtlos über der Felder Blüte
Schreitet, für wen die Rose glühte.

Gern drängt’ ich prahlendes Wort zurück –
[359] Abhold Geschwätz’gem ist das Glück.
Durch kränkenden Verdacht geschmäht,
Ließ der Gereizte aus den Gattern
Der Liebe zartes Geheimnis flattern –
Es will sie schließen – es ist zu spät.

            *

Dort über die Walstatt heiliger Leichen,
Von denen die Marmelgebeine, die bleichen,
Halb schlummern in des Forums Gruft,
Und halb verwittern in der Luft,
Dort wandelt’ ich in der Nacht allein –
Genoß war nur des Mondes Schein –
Vorbei an Tempeln, deren Größe
Versteckt armsel’ger Kirchen Blöße,
Wo das geraubte Königsgewand
Zerlumpten Bettelmönch umspannt.
Dort wuchs mir der steinerne Koloß,
Den Mondenschimmer übergoß,
Entgegen in alter Herrlichkeit:
Der alte Riese, der Sturm und Zeit
Die Stirne bietet jugendstark.
Drei Söhne entsproßten seinem Mark,
Drei Söhne von riesigem Geschlecht –
Noch steht der Vater ungeschwächt,
Und in des Silberlichtes Schimmer
Gewahrst du die Furchen des Greises nimmer.

Im Rundgebäu, halb Nacht, halb Glanz,
Halb Totenkrone, halb Hochzeitskranz,
Wo heller Schein tiefdüsterm Schatten
Sich auf den Quaderpfeilern gatten,
Und Mondes wundersames Licht
Durch hochgewölbte Bogen bricht,
Wo Cypressenwipfel durch offne Fenster
Neugierig schaun, wie Nachtgespenster,
Und Blumen sich wiegen hin und her,
Gleich wie befangen von Träumen schwer –
Dort war es, wo ich niedersank,
Gestürzter Fries des Pilgers Bank.
Am Thor glimmt vor dem Heil’genschrein
Still vor sich hin der Ampel Schein.
Vom Sims herab das Käuzchen stöhnt,
[360] Im Wiederhall die Klage tönt,
Dann aber, kaum zerrissen, schwellen
Zurück des Schweigens düstre Wellen.

Da schlug auf fernem Lateran
Der Glockenhammer dröhnend an.
Ich ging.
            Der innern Wogen Brandung,
Der übermächt’gen, ein schwankend Spiel,
Irrt’ führerlos mein Schiff, dem Ziel
So nah, und doch so fern der Landung.

            *
Wie wenn auf sandverwehtem Weg
Das Berberroß, erschlafft und träg,
Gesenkten Haupts durchzieht die Wüste,
Sich plötzlich aufrafft neu belebt,
Als ob es heimische Wiesen grüßte,
Und Quellen ahnend vorwärts strebt –
So auch der Müde. Sein Ohr belauscht,
Wie fern in die Schale der Springborn rauscht.
Die Gass’ entlang – rechts beugt er ein –
Dort muß das murmelnde Wasser sein –
Dort sprudelt aus dem Stein die Welle –
Schon braust sie nah – er ist zur Stelle.
Die jungfräuliche Flut entspringt,
Wo Poseidon den Dreizack schwingt,
Stürzt nieder sich von Stein zu Stein,
Voll, silbern, funkelnd im Mondenschein,
Bis sie ins Becken niederfließt –
Fontana di Trevi, sei mir gegrüßt!

Schon taucht die Hand in den perlenden Strahl,
Sie schöpft zum zweiten-, zum drittenmal:
Der Mund schlürft Durst, nicht Labung ein,
Dem Kusse gleich, der, lang verweigert,
Gewährt, nur das Verlangen steigert –
Doch plötzlich zuckt und sinkt die Hand –
Rom, wär’ ich auf ewig an dich gebannt?
Wer aus dem Born, so raunt die Sage,
Geschlürft, den hält die Nymphe fest,
Und wenn er treulos sie verläßt,
So welken in Sehnsucht seine Tage.
Das Auge von Lebensfülle umstrickt,
[361] Gar freudig bei dem Urteil blickt,
Doch süßer Sehnsucht volles Herz,
Es lockt so zärtlich heimatwärts.
Magnet der Süd, Magnet der Nord,
Das Leben hier, die Liebe dort.
Jedwedem Zauber paaren sich Leiden,
Und welchem folg’ ich? –
                           Folge beiden.
Der Vogel mag den Sänger lehren
Im Lenz zu scheiden, im Herbst zu kehren.
Daheim das Nestchen, der Liebe Glück,
Und hier des Lebens Silberblick.
So koste hier, so nasche dort,
Unspannend brünstig Süd und Nord.



[372]

Die Piazza Barberini.

Auf der Piazza Barberini thronet auf Delphinennacken
Ein Triton, der in die Schnecke bläst mit windgeschwellten Backen.
Hauchend treibet er die Welle himmelan im Bogenstrahle,
Der zerstäubt, demanten-schimmernd niederplätschert in die Schale.

Auf geraubten Tempeltrümmern steht dort ein Palast gegründet,
Frech zermalmte Götterbilder sind der Kalk, der ihn verbindet,
Und der Wandrer ruft voll Ingrimms vor den Hallen des Bernini:
Wo Barbaren Mitleid fühlten, wüteten die Barberini.

Auf dem Platz steht halbzertrümmert ein mit Moos umflochtner Schuppen,
Doch die rohgefügten Sparren kreuzen über Göttergruppen:
Vor des Musengottes Wagen schwebt der Genius im Fluge,
Und die Helden des Gesanges folgen ernst im Feierzuge.

Aus Carraras Marmorblöcken taucht des Armes süße Fülle,
Webend um verschämte Glieder der Gewänder weiche Hülle.
Auf den Meißel dröhnt der Hammer, Splitter fliegen, Ecken fallen,
Und vom Druck des Steins entlastet, scheint der Busen frei zu wallen.

Nordlands Sohn ist’s, der den Hammer stark wie Thor den Miöllner schwinget,
Dessen klares, blaues Auge durch des Marmors Adern dringet,
Der dem Gott aus Felsenrippen an das Licht gebeut zu steigen,
Dessen Namen Steine jauchzen, wollten Menschenzungen schweigen.



[381]

Tivoleser Ständchen

Hart am Sturz des Teverone
Steht ein alt verräuchert Haus,
Und die hohe Pinienkrone
Ragt darüber weit hinaus.

Mondbeglänzte Zweige breitet
Übers Dach der düstre Baum,
Und durch seine Nadeln gleitet
Ein gebrochner Schimmer kaum.

Dort ist’s, bei des Schutzpatrones
Bild, vor dem das Lämpchen glimmt,
Wo ein Bursche leisen Tones
Der Guitarre Saiten stimmt.

Wo des Liebchens Fenster, rauschet
Seine Zither, tönt sein Lied.
Und er weiß, die Schelmin lauschet,
Wenn sie tags auch spröde flieht:

[382] „Liebes Mädchen, holde Taube,
Oleanderblütenmund,
Wie Olivenbaum die Traube,
Reich’ ich dir die Hand zum Bund.

„Zählst du gleich so viel als Finger
Freier hier in Tivoli,
Scheint mein Häuschen gleich geringer –
Mit den andern tausch’ ich nie.

„Keiner weiß in den Ruinen
Trefflicher Bescheid als ich.
Gilt es Fremde zu bedienen,
Keinen fordert man als mich.

„Von dem Tempel der Sibylla
Führe ich den Forestier’
In die alte Kaiservilla,
Durch die Trümmer Kreuz und Quer.

„Zeige ganz genau die Hecke,
Wo Horaz zur Leier sang;
Und mein Esel trabt die Strecke
Wie ein Berberpferd entlang.

„Und dann klingen in der Tasche
Paoli, kehr’ ich nach Haus,
Und bei neugefüllter Flasche
Lach’ ich all die Fremden aus.

„Zählst du gleich so viel als Finger
Freier hier in Tivoli,
Scheint mein Häuschen auch geringer –
Mit den andern tausch’ ich nie.“

Donnernd stürzt der Teverone
In den finstern Felsenschacht,
Und die klagende Kanzone
Tönt einförmig durch die Nacht.

Bis das Rauschen hast’ger Welle,
Bis der Klang der Melodien,
Wasserfall und Ritornelle
In den Traum hinüberziehn.



[411] 
  

Dolce far niente.

Im Hofe rieselt die Quelle
In den Sarg von Marmelstein,
Auf dem, von Löwenzähnen
Zermalmt, die Rosse schrein.

Die Trauerweide senket
Die schmachtenden Zweige matt,
Und taucht in die klaren Fluten
Nach Kühlung lechzendes Blatt.

Dort sitz’ ich volle Stunden
Versenkt in träge Ruh’,
Und schaue der Wellen Brodeln,
Dem Springen der Bläschen zu;

Und wie der Zweig der Weide
Sich tiefer und tiefer senkt,
Und wie sich jedes Blättchen
Zum Bade lüstern drängt.

Beim Rauschen murmelnder Wasser
Bekritzl’ ich das Papier
Mit trauten Namenszügen,
Mit Liedern wie dieses hier.

Und wenn kunstvolle Pointe
Dem losen Vers gebricht –
Beim sel’gen far niente
Hascht man nach Pointen nicht.



[419]

Allein.

Flock’ge Wolkenflöre spinnen
Still sich um den Abendstern,
Und nach weichem Kuß zerrinnen
Die vom Wind gewiegten fern.

Der Orangenblüten Düfte
Schweben gaukelnd um den Baum,
Schwingen jäh sich in die Lüfte
Und verflattern gleich dem Traum.

Aus der Urne strömt die Quelle,
Stürzt und schäumt von Stein zu Stein,
Bis im Becken sich die Welle
Zitternd lullt im Schlummer ein.

Leises Flüstern, holdes Kosen,
Glühnde Bitte, mattes Nein,
Lispeln seufzend aus den Rosen –
Nur der Fremdling steht allein.

Ringsum Rausch, nur er ist nüchtern,
Ringsum Glut, nur er von Eis –
Und da flüchtet er sich schüchtern
Aus unheimlich frohem Kreis.

Pinienwälder, Springquells Rauschen,
Sternenblühnde Myrtenwand –
Alles möchte’ er gern vertauschen
Gegen blöden Druck der Hand.

Über öde Flugsandhügel,
Wo der Wind die Wolfsmilch weht,
Und der Mühle träger Flügel
Sich im Schwunge klappernd dreht,

Wo die Kiefernadeln fallen,
In dem weichen, knarr’nden Sand,
Möchte gern der Ärmste wallen –
Ach! dort schlich er Hand in Hand.


               
[438]

Nachtklänge.

Schlaftrunken blinzeln die Sterne
Mir durch die Wolken zu,
Als stiegen sie so gerne
Ins kühle Bett zur Ruh.

Mir braucht ihr nicht zu schimmern –
Löscht aus euer zitternd Licht.
Ich sitz’ auf meinen Trümmern,
Brauch’ eures Glanzes nicht.

Schmerzliches Bangen und Sehnen
Sind finstre Blüten der Nacht,
Sie sprengen bethaut von Thränen
Die Knospenhülle mit Macht.

Da schlägt der Glockenhammer
In langen Pausen an,
Und klagt der Nacht den Jammer,
Daß einer nicht sterben kann.

Da klingen Saiten der Zither,
Da tönt sehnsüchtiges Lied,
Und ruft das Mädchen ans Gitter,
Das kalt und spröde flieht.

So zwischen Tod und Leben
Steh’ ich recht mitten inn’.
Zwei Sternlein sinken, schweben
Über die Dächer hin.

[439] Die rauschenden Saiten verstummen,
Das Mädchen tritt heraus.
Die Totenglocken summen
Leis’ über der Leiche aus.



[471]

Gewitter.

In dem schwarzen Wettermantel, der von Berg zu Berg sich dehnt,
Steht des Todes blasser Engel auf sein Flammenschwert gelehnt,
Seines glühnden Blickes Pfeile schleudernd auf Sankt Peters Dom,
Mit des Donners Warnungsstimme schreckend das entsetzte Rom.

Die Dämonen des Verderbens harren, dicht um ihn gereiht,
Ungeduldig des Gebotes: Jetzt, jetzt ist es an der Zeit.
Endlich tönt’s. Mit dumpfem Heulen stürzt der fessellose Bann
Thalwärts, und auf fahlem Rosse führt der Tod die Scharen an.

Kaum enteilet, schon zur Stelle – ihre Flügel trägt der Sturm.
Flammenpfeil‘ auf Flammenpfeile zucken nach dem stolzen Turm:
Wo die Größe Rache heischet, Hoheit als Verbrechen gilt,
Schirmen vor der bösen Geister Wüten weder Kreuz noch Bild.

Wie vorm blanken Henkersschwerte Sünder auf dem Hochgericht,
So erbleichen Marmorsäulen bei der Blitze falbem Licht.
Sprühnde Feuerschlangen züngeln mordbegierig durch die Nacht,
Und die grauen Mauern wanken vorm Gebrüll der Geisterschlacht.

Von der Zinne des Palastes stürzt der Blitz den Heidengott,
Schleudert dann den Kirchenheil’gen hinterdrein mit wildem Spott,
Schmilzt das Schwert des ehrnen Engels, der das Kaisergrab bewacht –
Die Girandola der Hölle lodert auf in dieser Nacht.

[472] Glocken wimmern von den Türmen: aus dem Giebel steigt der Brand,
Und des Rosenkranzes Perlen rollen aus des Bettlers Hand,
Und der Mund, der schreckensbleiche, der sinnlosen Spruch gelallt,
Kreischt gell auf, und auf der Stirne perlt der Schweiß des Todes kalt.

Wohin fliehn? Das Eisengitter lockt den Tod auf uns herab.
Des Gewölbes Pfeiler zittern, und der Keller wird zum Grab.
Durch die Märkte, durch die Straßen zischt der schwefelgelbe Strahl,
Reißt sein Opfer vom Altare, zeichnet es mit blauem Mal.

Gott! Erbarmen! Gnade! Gnade! heult ein ganzes Volk entsetzt.
Herr der Himmel! Unsrer Sünden wolle nicht gedenken jetzt!
Wende mild das Schwert der Rache, welches unser Haupt bedroht!
Löse der Vernichtung Grausen, gräßlicher noch als der Tod.

Zögernd lenkt der Todesengel ab zur Flucht sein weißes Roß,
Zögernd lockt er seine Scharen, schnellt noch weichend sein Geschoß.
Über die Campagna streifend, über das verdorrte Thal,
Splittert er der Pinien Wipfel, bricht der alten Gräber Mal.

Herden brüllen in den Hürden, und der bange Hirt entflieht,
Wenn der Schwarm der bösen Geister über seine Hütte zieht.
Nach dem Meere stürmt der Engel – hochauf rauscht zerriss’ne Flut,
Und in schaumgekrönten Wogen löscht der zack’gen Flamme Glut.

Furchtsam tauchen die Gestirne wieder aus der Wolken Schwall.
Aus den Myrtenhecken seufzet leisen Tons die Nachtigall.
Knie’nde springen auf vom Boden, schleudern Rosenkränze fort,
Und die Lippe, kaum gerötet, hascht nach freveln Spottes Wort.



[496]   

Was ich mitbringe?

Was ich aus Rom denn bringe?
So fragst du jetzt gespannt.
Du rätst auf Wunderdinge
Aus jenem Wunderland.

Wohl hab’ ich viel Antiken,
Und was antik getauft,
Kameen und Mosaiken
Gesehn – und nie gekauft.

Doch jedem Heiligtume
Entführt’ ich kecken Raub:
’ne unscheinbare Blume,
Ein welkes, dürft’ges Laub;

’nen Kranz von dürren Blättern,
Im Buche platt gedrückt,
Den beim Ruinenklettern
Süßträumend ich gepflückt.

Vertrocknete Trophäen
Bring’ ich. Schau’ selber her.
Willst du nach andern spähen –
Der Mantelsack ist leer.

Und fast möcht’ ich erliegen:
Trag’ ich doch heimatwärts,
Zu Blättern, die nichts wiegen,
Ein centnerschweres Herz.



[519]

Das Campo-Santo.

Auf schreckt’ ich aus dem Schlaf – ein blendend Licht
Durchglänzte die geschlossnen Augenlider –
Es war der Mond.
            In Pisas Campo-Santo
Auf griech’schem Sarkophage ruh’nd, das Auge
Bald auf die rohen Wappenbilder heftend,
An deren Stolz des Pilgers Fuß sich rächt,
Bald auf hetrurschen Dreifuß, dessen Schale
Der Greif mit zack’gem Kamm und Schwingen trägt,
Dann wieder auf die zauberhaften Blumen,
Die Feld an Feld mit süßem Farbenschmelz
Vierhundertjähr’gen Frühling schon durchleuchten,
Seit sie der Meister auf die Wand gesät –
Saß ich, heimlichem Sang der Traumesvögel,
Die mich im bunten Kreis umgaukelt, lauschend,
Und immer lauschend, bis den Liedbethörten
Der Schlaf verräterisch ums Haupt den Kranz
Von Mondlaub wand, von schnell in Tages Glut
Entfaltetem. Jetzt schlossen sich die Kelche
Im Schein des Monds, und jählings schreckt‘ ich auf.

Ich war allein. Dem Glockenerz entlockte
Tonwellen zitterten im weiten Kreis
Ersterbend aus, und wieder sank die Nacht
Zurück in weichen Schlaf. Geflüchtet war
Das Leben aus dem stummen Reich des Todes
In seine letzte Burg, in meine Brust:
Dort klammert’ es sich an mit scheuem Zagen.
Der Halm des Rasens senkte schlaff das Haupt,
Zu matt, den Tropfen Thaus von sich zu schütteln,
Den glänz’gen Spiegel von des Mondes Licht.
Die mit dem Totenkranz umwundne Stirn
Erhob mit finsterm Schweigen die Cypresse,
Vergeblich flehend schlang um ihren Stamm
Die weiße Rose ihre schlanken Arme –
Der starre Wipfel sah nicht erdenwärts,
Und Thränen perlten in dem Kelch der Blume.

Da überquoll der Rasen weißer Duft,
Gleich Nebeln wallend auf des Seees Spiegel;
Milchweißer Duft entstieg den Marmorplatten,
[520] Schwoll träg, zog langsam durch die Gänge hin,
Zerriß in Massen, anfangs formenlose,
Zerstob in Wölkchen, die sich zögernd dehnten,
Allmählich dann sich menschlicher Gestalt
Anschmiegten, luftgewebte Menschenbilder,
Von Schatten freie Schatten – Geister wurden.
Die Geister waren’s der Entschlafnen, die
In Campo-Santos heil’gem Boden ruhn,
Die unter Schollen, dem Kalvarienberg
Entführt von Pisas rotbekreuzten Rittern,
Der Ladung harren zu der Welt Gericht,
Und nächtlich aus den Modergrüften tauchen.

Und Schar auf Schar, als sollt’ es nimmer enden,
Entwinden sich dem Abgrund, der bereits
Ein halb Jahrtausend Pisas Volk verschlang.
Dicht ragt im innern Hofe Kopf an Kopf,
Dicht Kopf an Kopf so lang die Säulenhallen.
Ein zahllos Heer von Nullen – ihre Ziffer,
Das Leben, fehlt – erfüllt den Raum, und füllt
Ihn wieder nicht: was gilt den Geistern Raum,
Den wesenlosen, duft’gen Schaumgestalten?
Lautloser Klippenbrandung gleich, so quirlt
Die Geisterflut wildgärend durcheinander,
Ausbeugend nie, sich kreuzend wie die Strahlen
Des Lichts, verschmelzend scheinbar, stets getrennt.
Der Mond, der durch die spitzen Bogen strahlt,
Durchglänzt die lose, luft’ge Schemenwelt –
Nur wo in Schatten sich die Gänge hüllen,
Wo sich der schlanken Säulen schwarzes Bild
Auf Fliesen zeichnet, huscht der wolk’ge Schein
Auf nächt’ger Folie schimmernd still vorüber.

Im wirren, wunderseltsamen Gemisch
Entsenden sechs Jahrhundert’ ihre Völker
Zum mitternächt’gen Karneval der Geister.
Stolz zieht der Eisenritter durch den Schwall,
Der Bischof in der goldbestickten Stola,
Mit tiefgesenktem Blick der Mönch. Es rauscht
Der Nobile im purpurnen Gewande
Vorbei, gehüllt in der Matrone Schleier
Die Edelfrau, der Arzt in den Talar;
Der Kaufherr, dessen längst vermorschte Flotten
[521] Durch des Herakles Säulen sich gewagt;
Es gleitet gleich der weißen Rose Duft
Die Jungfrau durch den Gang.
                        Mit dämmerten
Aus manchem Antlitz wohlbekannte Züge
Entgegen, die bei Tag von starrer Wand
Mir zugenickt, Urbilder der gemalten:
Doch kaum erschaut, entschwanden sie dem Blick,
Und Mückenwolken gleich, die über Wiesen
Im Licht der Abendsonne tanzend drehn,
So wogten hier Gespenster durcheinander,
Dem Auge wehrend jede Sonderung.

Da schritt durch das Gedräng’ ein würd’ger Greis
Mit langhin wall’ndem Bart, die hohe Stirn
Mit dem Barett geschmückt, das Bleigewicht
Zur Hand. Langsam bedächtig zog der Alte
Durch die Arkaden, nahte sich den Pfeilern,
Und prüfte Quadern, Kitt und Ornament,
Und Sims und Bogen mit des Kenners Blick,
Mit lotbeschwerter Schnur der Wände Fläche:
Noch hatte sich der Sockel nicht gesenkt;
Noch ruhte Stein auf Stein in alter Fuge,
Just wie der Steinmetz richtend ihn getürmt,
Noch sproß des Schnörkels Kleeblatt voll und frisch,
Und schlank auf wuchs das Ebenmaß der Säule.
Da überflog ein heimlich stolzes Lächeln
Des Greises fahle Wange – wie ein Blitz
Durchzuckt es mich, und Giovann’ Pisano!
Rief ich halblaut, von freud’gem Schreck beklemmt.
Er hört’ es nicht, er ward mich nicht gewahr,
Kein Schatten ward es von den Tausenden,
Die gleich des Schneees Flocken hier sich drängten.

Und längs den Wänden schlich ein zweiter Geist,
Nachspiegelnd des vollkräft’gen Manns Gestalt,
Mit zögernden, oftmals gehemmten Schritten,
Und maß die Mauern kummervollen Blicks,
Mit der Gemälde langer Reihe wandelnd.
Und wo der Farben frischer Glanz gewelkt,
Wo ringelnd sich die bunte Decke rollte,
Wo nur des Rötels flüchtiger Kontur
Auf grauem Kalk zur klangeslosen Note
[522] Prachtvoller Farbenmelodien ward –
Dort schüttelte der Wandrer ernst das Haupt
Und wo der Spätern ungeweihte Hand
Verblichnes Heiligtum roh übertüncht –
Dort schien die Brust des Schattens aufzuschwellen,
Ein Segel, von der Seufzer Sturm gespannt.
So schritt der Trauernde von Bild zu Bild,
Und hielt zuletzt vor einer Marmorplatte,
Und musterte des Meißels Zeichenschrift:
Hier ist das Grab Benozzos von Florenz,
Kunstfert’gen Bildners heiliger Geschichten –
Und dankbar weiht ihm Pisa diesen Stein.
Eintausendviermalhundertachtundsiebzig.

Vor seinem eignen Grabstein stand der Maler
Benozzo Gozzoli, des Grames voll,
Daß Dankbarkeit die Wohlthat überdaure,
Im höhn’schen Widerspiel des Weltenlaufs.
Dann aber lahmer Schwermut Fesseln brechend,
Eilt er zurück zum ersten Meisterwerk.
Dort stand ein luftgezimmertes Gerüst
Bereit, ein Lehrling harrte an der Stufe,
Und reichte Pinsel ihm zur reicher Wahl,
Und die Palett’ – ein heller Spiegel war’s,
Auf dem in brillantierten Tropfen Thaus
Sich flimmernd badeten des Mondes Strahlen.
Mit Jünglingsglut ergriff der wackre Meister
Das Farbenbrett, den Pinsel, tauchte ihn
In flüss’gen Glanz, und zog lichtsprühnden Schwungs
Den Umriß der verwitternden Gestalten.

Den Liebreiz des jungfräulichen Gesichts,
Die Schulter, die der Hülle sich entwindet,
Das rosige Gewand, des Weinstocks Fülle,
Der Palme schwankend Fächerblatt, den Born,
Aus dessen Silberflut die Vögel schlürfen –
Umzieht verklärend zaubrisch blendend Licht.
Der Patriarch in seiner Enkel Kreis,
Der Jüngling, der den vollen Weinkorb reicht
[523] Und von der Leitersprosse klimmt, der Keltrer,
Um dessen Fuß der Gischt der Beere sprüht;
Das Hündlein, das mit zornigem Gekläff
Die Knaben scheucht, die an der Mutter Kleid
Sich ängstlich schmiegenden; der greise Vater,
Die Glieder von bethör’ndem Most gelöst,
Der häm’sche Cam, der zartverschämte Sem,
Der abgewandt mit seines Mantels Falten
Die Blöße deckt, das schamerglühnde Weib,
Das mit dem Säugling flieht, die Blinzelnde –
Erblühn in alter Pracht mit Zauberschnelle.

Und tiefer steigt der edle Meister jetzt,
Und überzieht mit überird’schem Glanz
Das andre Bild: den Fluch, der Cam erreicht.
Leicht fliegt der Pinsel durch des Himmels Bläue,
Leicht über all’ die rebengrünen Hügel
Des Arnothals, mit deren Paradies
Benozzo Kanaans Gefilde schmückte.
Er überströmt mit frischen, glänz’gen Tinten
Die Magd, die mit dem Krug vom Borne kehrt,
Das blühnde Weib, die Lockenflechterin
Des zarten Mägdleins. Schneller als das Wort
Fliegt über feuchtem Kalk der Wunderpinsel –
Schon eilt dem dritten Feld der Meister zu.
Dort strömt der Fröner sklavisch Volk herbei,
Im Bau des Turms die Himmel zu erreichen,
Der König, von der Zaubrer Schar umringt,
Drängt ungestüm, den Frevel zu vollenden.
Manch fürstlich Antlitz glänzt dort aus dem Bild:
Des Vaterlandes Vater, Cosimo
Di Medici, Piero des Greisen Sohn,
Giuliano, der prachtliebende Lorenzo,
Und Polician! Und häufig niederwärts
Beugt sich der Maler nach den Geisterzügen,
Faßt manch’ Gesicht Vorüberfliehnder auf,
Und fesselt es mit raschen, kecken Strichen,
Und eilt dem nächsten Kinde zu, den Kuß
Der Vaterlieb’ auf seine Stirn zu hauchen:
Denn viele harren des Erzeugers noch,
Der sie aus langem Todesschlaf erwecke.

[524] Da sinkt der Mond. Auf spiegelnder Palette
Versiegt der Glanz, das Holzgerüst verschwimmt –
Der Geister loses Bild verfließt wie Träume –
Ein neblicht Meer nur wälzt sich durch die Hallen,
Und senkt in weißem Duft sich erdenwärts,
Verzieht sich zögernd, schwindet unterm Halm
Der Rasendecke, in der Platten Fuge –
Ich war allein. –



 [564] 
  

Gondelfahrt.

Dort, wo die Marmorbank sich zieht
Um den Säulenschaft von grauem Granit,
Wo, als des Piedestales Zier,
Der Sklave kniet beim Fabeltier –
Mutwill’ und Zeit nagt’ an Kontur
Der rohgemeißelten Figur –
Dort ist’s, wo vor der Sonne Glut
Geborgen der Gondelführer ruht,
Geschloss’nen Aug’s auf den breiten Platten,
Sich dehnend in des Heil’gen Schatten.
Des Trittes Hall berührt sein Ohr,
Aus halben Schlummer fährt er empor,
Und schaut der Zecca Säulengang
Den Fremdling träumerisch wandeln entlang.
Der Fuß, der auf zweckloser Bahn
Nicht herrischer Dienstpflicht unterthan,
[565] Und über dessen läss’gen Gang
Nicht hat Gewalt der Glocke Klang,
Der oft vom graden Pfad gelockt,
Und oft in weicher Bewegung stockt;
Das Auge, das die Wunder alle
Ermißt der luftigen Dogenhalle,
Und bald auf sonnigglitzernder Flut,
Bald auf dem geflügelten Löwen ruht –
Sie künden den nordischen Pilgersmann
Dem lauernden Gondelführer an.
Und in der Hand die rote Mütze
Springt er rasch auf von steinernem Sitze,
Streicht aus der Stirn, von der Sonne verbrannt,
Das Kraushaar mit der nervigen Hand,
Und trägt mit heisrer Stimme dann
Dem Fremden das sichre Fahrzeug an:
Nach Lidos weinlaubschattigem Strande?
Nach Muran? Auf dem Canal-Grande?
Wohin Ihr heischt, ob nah, ob weit,
Ihr seht mich zu jeder Fahrt bereit. –

Wohlan, so führe mich hinaus
Auf den schwankenden Spiegel des Himmelblaus,
Auf die Straße, die von früh bis spät
Von goldigsonnigen Flimmern besät.
Die Silberschlange, die durch die Stadt
Im Bogen sich wälzt vor Alter matt,
Die zweimal im Lauf des Tages sinkt,
Und zweimal schwellend empor sich ringt,
Sie magst du – Paläste bezeichnen die Bahn –
Verfolgen mit sanft hingleitendem Kahn.

Und durch das Pförtchen, roh geschmückt
Mit Heil’gembilde, tritt gebückt
Rückwärts nach venetian’schem Brauch
Der Fremdling in der Gondel Bauch,
Dem Sarg an Farb’ und Enge gleich,
Und sinkt in die Daunenkissen weich.
Der Führer löst die Kett’ am Port –
Ein kräft’ger Stoß – das Boot fliegt fort.
In dünner Furche kräuselt kaum
Dem Kahn nachjagend quirlender Schaum,
Wenn Wellchen auf zum Schnabel spritzen,
[566] Von dem des Kammes Zinken blitzen.
Und wie der Blüte wolliges Blatt,
Das West dem Zweig entrissen hat,
Sich auf dem Wasser wiegend schaukelt,
Und über die silberne Fläche gaukelt,
So schwebt die Barke sanft und leis
Hin auf der Wogen verfließendem Gleis.

Eingreifend klatscht das Ruder kaum,
Als scheut’ es sich, aus dumpfem Traum
Die Marmorriesen aufzuschrecken,
Die ihre Glieder am Ufer strecken.
Jahrhunderte entschwanden schon,
Seit sie gelagert auf steinernem Thron;
Jahrhunderte schon leckt die Welle,
Die nimmermüde, an ihrer Schwelle;
Ob auch bespült von der Wogen Kamm,
Noch wurzelt starr ihr Fuß im Schlamm;
Wie zornig die Flut auch wühlt und gräbt,
Noch haben die Riesen nicht gebebt.
Jetzt ruhen sie, die stummen, bleichen,
In tiefem Schlaf, dem Tode gleichen –
Einlullend klagt des Schiffers Lied,
Das nächtlich den Kanal durchzieht,
Verflicht gleich weithinrankender Pflanze
Getrennte Böte das Band der Stanze –
Und träumen aus verwehter Zeit
Den Traum von Glanz und Herrlichkeit,
Wo beutebeladen die Galeeren
Zu ihnen gekehrt aus fremden Meeren,
Wo sich die adriatische Braut
Der stolze Herrscher angetraut.
Verdrängt belebenden Tages Schimmer
Dereinst den öden Traum? – Wohl nimmer.

Der Schiffer nennt bald links, bald rechts
Paläste adligen Geschlechts,
Wenn von der sehnigen Hand geleitet
Nachtschwarze Gondel vorüber gleitet.
Doch wo blutdunkle Porphyrplatten
Sich mit gebräuntem Marmor gatten,
Wo schlank der Bogen auf sich schwingt,
Und Arm mit Schwesterarm verschlingt,
[567] Wo liebend der Künstler starrem Stein
Gehaucht der Pflanze Leben ein,
Wo er der Abendsonne Brand
In den Wappenschild der Scheibe gebannt –
Dort bergen hinter verschränkten Latten
Sich traurig die wüsten Gemächer in Schatten,
Und lautlos in der dumpfigen Nacht
Verwittern die Trümmer einstiger Pracht.
Noch weist gebietend des Meeres Held
Aus spitzgewölbtem Marmorzelt,
Das aus gewundner Säule ruht,
Hinaus auf die bezwungne Flut.
Willst seiner Thaten Denkmal sehn:
Mußt in die Halle des Rates gehn –
Dort leuchtet der Seesieg von der Wand
Von Tintorettos Zauberhand,
Wo Glückverraten, Freiheitberaubt
Der Kaisersohn, gebeugt das Haupt,
Des Admirals Galeere besteigt,
Und vor dem Sieger die Stirne neigt.
Willst seiner Asche Denkmal sehn:
Mußt zu den Franziskanern gehn.
Helm, Wappenschild, Kommandostab,
Sie hängen am jaspisgemeißelten Grab.
Dort schaut er, in roten Samt gehüllt,
Ernst wie im Leben aus dem Bild.
Willst du des Helden Enkel sehn:
Mußt über beschneite Berge gehn.
Fern in den Hallen der Burg zu Wien
Siehst du ihn vor dem Kaiser knien.

Noch nenne mir, Schiffer, das Gebäu,
An Bauart alt, an Farbe neu,
Von dem hell schimmert im Sonnenglanz
Der Zinnen steingeflochtner Kranz.
Es hebt der Leu die Pranken wild
Auf dem gekrönten Wappenschild.
Des Fensters Seidenvorhang bläht,
Wenn meerwärts kühler Wind herweht.
Orangenzweig, von Goldfrucht schwer,
Nickt über durchsicht’gen Söller her,
Und gleich hellflammenden Zungen glühn
[568] Granatenblüten aus hellem Grün.
Aus den Blumen krächzt mit hellem Schrei
An goldner Kette der Papagei,
Spreizt in der Sonne das Samtgefieder,
Und klettert am Stänglein auf und nieder.
Leicht wie die Schwalbe über die Welle
Treiben Gondeln heran in Schnelle.
Der Diener Schwarm in Goldlivrei
Drängt sich in eifernder Hast herbei.
Den Namen nenne, Gondolier,
Des mächt’gen Venetianers mir,
Des edlen Schlosses edlen Herrn,
Der noch beglänzt von Glückes Stern?
Verödet trauern rings Paläste –
Hier alter Glanz, Geräusch der Feste.
Wie heißt er, der der Herrlichkeit,
Der angestammten, sich erfreut?
Vielleicht der einzige, dem von allen
Edlen Venedigs das Los gefallen,
Die Macht, das Erbe, wie sie der Ahn
Aus väterlicher Hand empfahn,
Füllreicher noch des Sohnes Händen,
Ein treuer Hüter, zuzuwenden.
Der Letzte, der gleich zack’gem Firn,
Wenn langsam sinkt des Tags Gestirn,
Und schon in Nacht die Erde ruht,
Noch strahlt in rosiggüldner Glut?
Wie heißt er, dessen Gastfreiheit
Die Pforten erschließt zu jeder Zeit,
Und der im fürstlichen Palast
Willkommen heißt jedweden Gast?

Willkommen? Ja, ich glaub’ es gern,
Ist auch der Fremdling des Hauses Herrn.
Schaut über der Pforte des Löwen Bild,
Einst Wappen – jetzt des Gasthofs Schild.

 



Quelle:
Franz Freiherrn v. Gaudys ausgewählte Werke. Herausgegeben und mit biographischer Einleitung versehen von Alice Freiin v. Gaudy. Zweiter Band. Leipzig: Reclam o. J. [1900].

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