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Ferdinand Ludwig Adam von Saar

Kurzbiografie

Ferdinand Ludwig Adam von Saar (*30. September 1833 in Wien − †24. Juli 1906 in Wien-Döbling) stammte aus einer geadelten Beamtenfamilie. Sein Vater starb kurz nach seiner Geburt, worauf er mit seiner Mutter und seinem Vetter − dem späteren Maler August Pettenkofen (1822-1889) − in dem Haus des Vaters unter bescheidenen finanziellen Umständen lebte. Ab 1843 besuchte er das Wiener Gymnasium. 1849 schlug er eine militärische Laufbahn ein und nahm 1859 am Feldzug gegen Italien teil, der mit einer Niederlage endete. Im nächsten Jahr verließ von Saar das Militär, um als freier Schriftsteller zu leben. Kleinere Schulden aus der Militärszeit machten ihm die nächsten Jahre äußerst unangenehm, da er ständig von Gläubigern verfolgt und mehrfach in Haft gebracht wurde. Es folgte eine Schreibkrise und trotz einiger entstandener Werke spitzte sich die schlechte finanzielle Situation zu. Josephine von Wertheimstein (1820-1894) half ihm 1871 durch eine großzügige Geldzuwendung aus der Not. Durch sie bekam er Zugang zu reichen und kunstliebenden Salons in Wien. Eine weitere bedeutende Gönnerin war Altgräfin Elisabeth Salm-Reifferscheidt. 1873 unternahm von Saar eine Romreise. 1881 heiratete er Melanie Lederer, welche sich 1884 das Leben nahm. In den letzten Lebensjahren erkrankte er an Krebs, ohne Aussicht auf Heilung erschoss er sich 1906.
Saar verstand sich als Bindeglied zwischen den Ausläufern der Klassik und der österreichischen Moderne. Trotz seines Selbstverständnisses als Dramatiker fand er nicht als solcher, sondern ab den 1890er Jahren durch „Gedichte“ (1882, vermehrte Aufl. 1888) und „Wiener Elegien“ (1893) als Lyriker Anerkennung. Vor allem aber die erzählenden Werke „Novellen aus Österreich“ (Erstdruck 1877, 1893 mit allen bis dahin erschienen Novellen) sind sein bedeutendstes Vermächtnis. Neben Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) und Ludwig Anzengruber (1839-1889) ist von Saar einer der namhaften Vertreter des österreichischen bürgerlichen Realismus. Einen breiten Raum in seinen Novellen nimmt die Bedeutung der Armee in der österreichischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein („Innocens”, „Leutnant Burda”, „Ginevra”, „Schloß Kostenitz”, „Conte Gasparo”, „Außer Dienst”) und jene individuellen Schicksale, die in ihrer Verzweiflung und in ihrem Scheitern zu Seismographen des Zerfallsprozesses der Donaumonarchie werden. Der Feldzug gegen Italien, die Niederlage und ihre gesellschaftlichen Folgen spiegeln sich in Novellen und Gedichten wider. Die italienischen Sonette, die Schönheit, Sehnsucht und Verlust elegisch variieren, sind melancholische Stimmungsbilder einer untergehenden Epoche.

Gerd Gruitrooy



[58]

Italia.

(1880.)

I.

Früh hab’ ich deinen Boden schon betreten,
Noch eh’ du meinem Geiste konntest frommen,
Doch sahst du mich in Sehnsucht wiederkommen –
Und still den Mann zu deinen Wundern beten.

O, hehre Schauer, die mich da umwehten!
O, heil’ge Gluten, die mich da durchglommen,
Als deine Schönheit ganz ich aufgenommen
In Land und Stadt, in Meistern und Propheten!

[59] Doch allgemach beim ernsten Gang der Zeiten,
Wo es zu siegen galt in Kampfesstunden,
Sah ich dich ferner stets und ferner gleiten.

Und jetzt, da schon, zu Schwärmen rings verbunden,
Die Menschen eilen, laut dich zu beschreiten,
Bist du, verdämmernd, meinem Blick entschwunden.

 

II.

Ja, andre mögen deine Galerien
Durcheilen, deine Dome und Paläste
Bestaunen jetzt als red’gewandte Gäste,
Die ihrer eignen Leere gern entfliehen.

Zu jener Reife bin ich längst gediehen,
Die sich nicht kümmert mehr um neue Reste;
Was ich geschaut, das Höchste und das Beste,
Ward längst in mir zu ew’gen Harmonien.

Lebendig sind mir Raffaels Madonnen
Und Agnolos gewaltige Naturen:
Sie wandeln um mich her im Licht der Sonnen.

Wohin ich blicke, find’ ich Schönheitsspuren –
Und so beglücken mich Erkenntniswonnen
Bei jedem Tritt auf heimatlichen Fluren.



III.

Nach dir allein, du Zauberstadt im Meere,
Nach dir, Venezia, faßt mich noch ein Sehnen;
O, könnt’ ich still an deinen Brücken lehnen,
Du menschenvolle – und doch menschenleere!

Was deine Hoheit auch an Glanz entbehre
Vergangner Zeiten, nichtig muß ich’s wähnen;
Wie lieb’ ich dich mit deinen dunklen Kähnen,
Die heut noch des Genusses schönste Fähre!

[60] Du bist der Ort für müde Lebensschwingen,
Die gern in deinen märchenhaften Räumen
Zu leisem Fluge noch empor sich ringen.

Du bist der Ort für letztes Becherschäumen:
So möcht’ auch ich in dir ein Lied noch singen
Und einer letzten Liebe Traum noch träumen.



[121]

Dem italischen Dichter.

Glücklich bist du, hesperischer Sänger!
Ob in Venedigs Gondel du träumst,
Ob in Florenz du weilst oder im ernsten Rom –
Ob du wandelst am Gestad des blauen Tyrrhenermeers:
Überall lebt dir ein Volk,
Das unbefangen noch,
Empfänglich an Herz und Sinn,
Gern deinem Liede lauscht
Und nimmer dir vorwirft,
Daß du die eignen Gedanken großgezogen
An Dantes Geist,
Oder getränkt sie
Mit Petrarcas schmelzendem Wehmutslaut.
[122] Nicht verstellt es dem Nachgebornen
Des Ruhmes Pfad mit Standbildern der Vergangenheit,
Und wie stolz es auch ist
Auf der Vorzeit Größen:
Nicht minder stolz und neidlos
Blickt es auf den Sohn der Gegenwart. –
Ach, wie so anders beschieden es die Götter
Dem nordischen Sangesgenossen!
Taub bleibt ihm ein Volk von „Denkern“,
Das Tote feiert,
Um Lebendige einzusargen;
Ein Volk
Das seit jeher
Am liebsten fremden Klängen gelauscht,
An heimischen tadelnd, was es an jenen preist,
Und, schulmeisternd, beständig fordert,
Was es, stumpfsinnig,
Am Gebotenen nicht erkennt.
So, mehr und mehr in sich selbst gedrückt,
Verkümmert er,
Freudlos einsam,
Und lebt – wie sein Geist in ungelesenen Büchern –
Ein löschpapierenes Leben.



[183]

Italien.

Jetzt, da die Welt an des Jahrhunderts Wende,
Dem Erhabenen feind, dich gänzlich hingibt
Platter Gegenwart und Vergang’nes abweist
Schnöd mit Verachtung;

Jetzt, da der nord’sche Fyòrd des Südens Golfe
Aufwiegt – und selbst die Kunst nicht mehr in gläub’ger
Andacht hinstrebt zu den Gebilden deiner
Göttlichen Meister:

Jetzt, o Italien! faßt mich tiefe Sehnsucht
Nach dem sonnigen Adel deiner Landschaft,
Nach Zypressenwipfeln und nach umbüschtem
Blinkenden Marmor.

Wieder an meerbespülten Stufen möcht’ ich,
Halbversunk’nes Venedig, landen – möcht’ auf-
Schimmern seh’n im Strahle des Tags San Marco
Und die Salute.

[184] Oder, Florenz, vor deinem Dome weilen,
Herz und Sinn mir erheben an der alten
Stadtpaläste Kraft – und im lichten Grabbau
Der Medicäer.

Einmal auch noch in Rom geweihte Trümmer
Mit ehrfürchtigem Pilgerfuß beschreiten,
Still Sankt Peters Kuppel bewundern und die
Weite Campagna!

Denn, o Italien, selbst ergriffen bist du
Schon vom Zuge der Zeit, und kaum noch schonst du
Um des Schaugelds klingenden Pfennig deine
Heiligsten Reste.




Quelle:
Ferdinand von Saars sämtliche Werke in zwölf Bänden. Hrsg. von Jacob Minor. Zweiter Band. Gedichte. Leipzig o.J.

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