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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Ferdinand Adolf Gregorovius

Kurzbiografie

Der auch unter dem Pseudonym F. Fuchsmund bekannte Schriftsteller und Historiker Ferdinand Adolf Gregorovius (*19. Januar 1821 in ostpreußischen Neidenburg – †1. Mai 1891 in München) war Sohn einer alt eingesessenen masurischen Pfarrers- und Juristenfamilie. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Gumbinnen studierte er ab 1838 in Königsberg Theologie und Philosophie und schloss sich der farbentragenden und pflichtschlagenden Studentenverbindung Corps Masovia an. Während der Studienzeit entdeckte er sein Interesse für Alte Geschichte und promovierte 1843 mit einer Arbeit zur Ästhetik Plotins bei dem Philosophen Karl Rosenkranz (1805-1879). Er verabschiedete sich von dem ursprünglichen Plan Pfarrer zu werden und widmete sich im Anschluss an das Studium dem Journalismus und der Schriftstellerei. Die Satire „Konrad Siebenhorn’s Höllenbriefe an seine lieben Freunde in Deutschland“ (1843) veröffentlichte er als erste literarische Arbeit. Neben der redaktionellen Anstellung bei der „Neuen Königsberger Zeitung“ war er zwei Jahre als Hauslehrer tätig und unterrichtete anschließend an einer Privatschule in Königsberg. Zeitgleich entstand das politische Pamphlet „Die Idee des Polenthum’s. Zwei Bücher polnischer Leidensgeschichte“ (1848), in dem er sich für die Freiheitsbewegung Polens ausspricht. 1852 legte er den Lehrberuf nieder und begab sich nach Italien. Die anfängliche Enttäuschung über die Reise wich bald einer Begeisterung. Er ließ sich nach Korsika übersetzen und durchwanderte drei Monate lang die Insel. Um seine Aufzeichnungen weiter auszuarbeiten reiste er nach Rom, wo er von der historischen Atmosphäre der Stadt angeregt etliche geschichtliche Beiträge verfasste. Zu diesen zählte unter anderem die achtbändige „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Vom V. bis zum XVI. Jahrhundert“ (1859-1872), die als klassisches Werk der deutschen Renaissance-Forschung im 19. Jahrhundert gilt. Die Veröffentlichungen der Reiseaufzeichnungen bedeuteten seinen Durchbruch als Schriftsteller. Für seine Forschungsarbeiten ernannte man ihn als ersten Deutschen zum Ehrenbürger der Stadt Rom. 1874 zog Gregorovius nach München, wurde dort in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und widmete sich auch hier ausschließlich der weiteren Forschung und Schriftstellerei. 1880 und 1882 brach er erneut zu Reisen nach Griechenland und in den Nahen Osten auf, auf die Arbeiten wie die Monographie „Athenaïs. Geschichte einer byzantinischen Kaiserin“ (1882) zurückgehen. Am 1. Mai 1891 verstarb Gregorovius in München.
Die Anzahl von Gregorovius’ Italiengedichten ist beträchtlich. In ihnen verbindet der Dichter Geschichtsschreibung und Mythos mit der Darstellung zeitgenössischen italienischen Lebensstils, um auf eine Parallele von antiker und gegenwärtiger Kunst zu verweisen.

Katharina Junk






[4]

Helios.

Wenn durch die blaue Nacht auf leisen Schwingen
Die müde Erde tragen Schlaf und Tod,
Ins Chaos heim den schönen Raub zu bringen,
Die Heimlichen, eh’ sie der Tag bedroht,

Dann weckt Orion schnell das Morgenrot
Am Himmel, daß die Flammentore springen,
Und Helios kommt – das Haupt von Zorn umloht,
Läßt er des Lichtes Rachepfeil erklingen.

Und lächelnd streut er in der Erde Schooß
Des Lebens Füllhorn, winkt den jungen Stunden,
Die sie umtanzen, Rosenkranzumwunden.

Aus Ohnmacht reißt die Bräutliche sich los,
Es wird ihr Herz so weit, so sonnengroß,
Wie in des Gottes Arm sie sich gefunden.
                                                   Rom, 24.Juli 1855.



[5]

Campagna-Abend.

Rosig glühen alle Berge,
Die erinnrungsvollen Häupter
Tief nachdenklich hingewendet
Auf das öde Feld von Rom.

An dem Saum des reinsten Himmels
Steht im Dämmer der Soracte,
Totenwächter der Campagna,
Schöne Gräbersphinx von Rom.

Und im heil’gen Eichenhaine
Der Egeria gelagert,
Blick’ ich nieder in die Wildniß,
Die der Anio durchzieht.

Schweigen ruht auf den Gefilden,
Und der Sonne letzte Stralen
Schweben zögernd und verweilend,
Auf der Via Appia.

Fernher seh’ ich Pilgerscharen,
Aufgereiht in langen Zügen;
Durch die stillen Fluren wandeln
Lautlos sie im Geisterschritt.

[6] Braune Mäntel, tiefzerfetzte
Hangen um die Riesenleiber,
Und sie tragen um die Häupter
Epheulaub und Lorbeerkranz.

Also ziehn sie hin in Reihen,
Aquäducte alter Kaiser,
Ueber Täler fort und Hügel,
Bogen, Pfeiler, dichtgedrängt;

Wie Cohorten, kampfzerhau’ne,
Die von Asiens Schlachtgefilden,
Im Triumfeszug geordnet,
Heimziehn in das alte Rom.

Alles pilgert zu dir, Roma,
Dort die Berge, ihre Ströme,
Die Ruinen, ihre Todten,
Alle ziehn sie heim nach Rom.

Horch! Die Glocken läuten Ave!
Geisterstille rings ergossen!
Und mein Herz, in seinen Tiefen
Bebt es, zieht es heim nach Rom.
                                                    Rom, 25. Juli 1855.



[17]

Der Turm Astura.

Fern in Latium, wo den Wellen
Seine sagenvollen hellen
Zinnen Circe’s Cap enthebt,
Steht Asturas Turm und schwebt
[18] Wie ein bleiches Heldenbildniß
Ob des Meers azurner Wildniß;
Schürt der Abend seine Gluten,
Flammt er auf im Schauerlichte,
Einsam warnend in den Fluten,
Schönster Leuchtturm der Geschichte.

An des Meers sandöder Düne
Steht vergessen die Ruine
Gleich der Gralburg hier und ruht
In sirenenstimm’ger Flut;
Wild umkreisen sie mit falben
Flügeln schrille Wasserschwalben;
Konradin! zu gellen scheinen
Wind und Vogel, und zu tragen
Auf den Schwingen dieses einen
Wehgeschreis angstheis’res Klagen.

Die romanzenvollen Lüfte,
Wellensang und Waldesdüfte
Schläfern ein gemach mein Herz,
Selbst zum Träumer wird hier Schmerz,
Und ein Heimweh macht mich weinen,
Läßt Erinnerung erscheinen
Mir im Turm der Ghibellinen
Geister hier in dieser Stunde,
Wie dem Dante sie erschienen
Und gezeigt die Heldenwunde.

[19] Die da sterbend rangen nieder
Romas giftgeschwoll’ne Hyder,
Friedrich, Manfred, Konradin,
Aber, Pfaffentum, entfliehn
Nimmer konnten deinen Schlingen
Und so schlangenstarken Ringen,
O wie strahlen sie im Lichte,
Ihres Tods verklärter Milde
Heller nun durch die Geschichte,
Ein Laokoon-Gebilde.

Riesenkraft hast du entfaltet,
Manfred, sterbend noch gespaltet
Mit des Schwertes letztem Streich
Petri Felsen, Roland gleich;
Und gefasst in ernstem Schweigen
Sah den Konradin man steigen
Aufs Schaffot; des Blutes Wellen
Sog die Erde gierig nieder,
Und aus tausend Rachequellen
Gab Sicilia sie wieder;

Deutschland wieder, als bestritten
Jenen Drachen die Hussiten,
Und von Wittenberg der Schwan
Hat durchbraust den Vatican
Und zerrupft Sanct-Petri Taube.
Doch das Reich – es liegt im Staube!
[20] Mit des Purpurs Fetzen schmückten
Dreißig mal sich, die zerbrachen
Friedrich’s Krone, und zerstückten
Dreißig mal den Stuhl von Aachen.

Abgeschirrt vom Siegeswagen
Sind die Rosse, die getragen
In dem Völkerlauf voran
Die jahrhundertlange Bahn
Dich, Europas Scepterführer,
Deutschland dich, der Welt Regierer;
Neuem Anjou nun den Bügel
Hältst du, dem verwog’nen Steurer,
Gibst der Weltgeschichte Zügel
Thatenlos dem Abenteurer.

Wie die Vögelschwärme reisen
Immerzu in wüsten Kreisen
Schrill und wild zu Häupten dir,
Also meine Klagen hier,
Turm Astura, lass’ ich steigen,
Heimatlose Seufzerreigen,
Deutsches Grenzmal, wo vom Herzen
Sich Germania der süßen
Schwester riß mit tiefen Schmerzen,
Die noch späte Enkel büßen.

Denn Geschwister sind sie beide,
Gleich an Ruhm und gleich an Leide.
[21] Aehnelt, Deutschland, dein Gesicht
Auch der schönern Schwester nicht,
Lorbern kränzen es nicht minder.
Der Geschichte Waisenkinder
Müßt die Sehnsucht ihr verhehlen,
Die euch ewig hält gebunden
Eure gleich zerriss’nen Seelen,
Die mitsammen nur gesunden.

Aber einst den Haß zu sühnen
Steigt herab die Apenninen
Waffenlos Germania frei
Durch die freie Lombardei
Zu der Römerfahrt hernieder.
Dann umarmen wird sie wieder
Heiß Italia, am Busen
Ruh’n sie sich, verschmerzter Zeiten
Froh gedenk – Europas Musen,
Werden sie die Welt durchschreiten;

Führerinnen dann der Heere
Wieder, freier Völkerchöre,
Die zum Tempel der Cultur
Festlich folgen ihrer Spur,
Wenn den Dom des Friedens gründen
Völker, und in Rom entzünden
Nord und Süd Versöhnungsflammen,
Und verbrennen jener alten
[22] Zwietracht Waffen dann mitsammen,
Die die Menschheit einst gespalten.

Sind es Träume, die ich dichte,
Ist es Zukunft der Geschichte
Und des Geistes Frühlingsweh’n,
Den ich schaudernd fühle geh’n
Auf des Ostens Dämmerungen?
Sieh’, ein Haupt vom Geist durchdrungen
Ward die Erde schon, Gedanken
Läßt sie, flügellose, gleiten,
Blitzen gleich, an tausend schwanken
Ketten durch den Raum der Zeiten.

Aber die Gedankengassen,
Diese geisterschnellen Straßen,
Die sich schlingen um die Welt,
Despotie hat sie bestellt.
Auf gebahnten Pfaden streben
Mord und Haß durchs Erdenleben:
Aber wandern in der Irre,
Durch die ungebahnte Trübe,
Allzuspät muß durch die wirre
Wildniß erst die Menschenliebe.

Und des Geistes Ritter schweifen
In der Wüste wir und streifen
Nach der Menschheit heil’gem Gral,
Wie der Pilger Parcival;
[23] Aber könnt’ ich ihn ereilen,
Wollt’ ich wandern tausend Meilen
In der Wildniß ohne Trauer,
Bis ich könnte sehen steigen,
Dom der Menschheit, deine Mauer,
Und mein Haupt anbetend neigen.



Nettuno.

Seid mir, lateinische Segel, gegrüßt, ihr Lüftchen des Meeres,
Seid mir wonnegegrüßt, und du Cap der Homerischen Circe!
Wollust ist es zu schau’n dich, Spiegel der himmlischen Sterne,
Heiliges, ewiges Meer, von dem Odem der Götter bewegtes,
Wieder zu wohnen im Hause des gastlichen Vaters Neptunus,
Wo er umbraust, volltönend, versunkene Städte und Völker,
Rollend im Sand mit den Muscheln gemengt die Paläste der Kaiser,
Antiums Pracht, jetzt Kies und verwaschene Splitter des Marmors.

[24] Aber es pranget um mich ein in Farben gemaleter Festsaal,
Mir Herberge des Meers in dem wirtlichen Städtchen Nettuno.
Wol nicht siebzig der Schritte, und achtzig sie reichten ihn ab nicht,
Schreit’ ich entlang die verwilderte Pracht schon gilbender Wände,
Einsam hier im Palaste; der Donna Olympia eh’mals
Lusthaus war er, so oft sie dem Hasse der Römer entzog sich,
Oder Pasquino’s Witze, die Messalina des Papsttums.
Und noch staun’ ich dem Bild, das zeitengeschwärzt in dem Saal hängt,
Wie hochfahrend das Haupt vorstolzt aus riesiger Krause,
Prunkend im Machtdiadem, und es starrt das brokatene Kleid ihr
Blitzend von Perlen, des Volks Blutstränen, von Zähren des Papsts auch,
Welchem, dem Schwächling, sie Sanct-Petri Schlüssel entwandte,
Gierig den Staat einscharrend in eigene Truhen, die Arge.
Doch nun gähnt schon öde die wölbende Pracht hier, hohnvoll
Stoßen die Wind’ in das Haus, die posaunenden Stöße der Fama,
Daß im gespenstigen Schreck ich des Nachts auffahre vom Lager.
[25] Dann wenn tosend das Meer zu den klirrenden Fenstern emporspritzt,
Oder die Thür’ aufklappt, kein Schloß ja schließet die lose,
Dann ach! rauscht es hervor, ja Donna Olympia mein’ ich
Wandeln zu seh’n, wie das Volk Trasteveres sie noch immer
Sieht umirren des Nachts, Macbethischer Lady so ähnlich.
Aber entschwinde du Geist, da hold mich Leben umgaukelt.

Glanzvoll prangen dir, Rom, stolzwandelnde Frauen im Corso,
Doch der Natur Todfeindin, der Zeit schamloseste Tochter,
Mode, sie hat des Gewands sie der Mütter entkleidet, der Zucht auch;
Beute den Galliern fiel ach! mehr als Mauer und Stadt dir.
Aber an Latiums Strand blüh’n still in der hegenden Wildniß,
Schön, Wildblumen sie selbst, wie die purpurnen Kinder der Flora,
Mädchen, in erblichen Schmuck seltsamer Gewänder sich kleidend,
Anmutsvoll, phantastisch wie Wesen entferntester Vorzeit.
Dich doch preis’ ich vor Allen, das schönste der Mädchen des Strandes
Bist du, würdig zu schmücken als Lotosblume das Lieb mir.
[26] Trittst du plötzlich hervor zu Gefallen dem staunenden Fremdling
Hoch in dem dämmernden Saal, aufrauschend in purpurner Seide,
Dann Prinzessin begrüßt er und Donna Olympia gleich dich,
Classischer dann dich Circe, die Göttin des bläulichen Bergs dort.
Denn nicht prächtiger wob die Ulyssische Zauberin vormals
Magisch Gewand, meerpurpurnes, schön sich mit tönendem Schiffchen,
Als um die Glieder dir’s fließt, holdseliges Mädchen; hinabwärts
Wallet der Sammt, wie Gewölk tiefflammenden Abends, am Saume
Strotzt viel künstliches Gold zu den rosig beschuheten Füßen.
Stolz um die Schulter, und neidisch gefaltet, das seidene Wamms auch
Blühet dir rot wie die Blume des feuerumknospten Granatbaums.
Doch mit zu vielen der goldenen Riegel versperrte den Busen
Amor. Ach! der gefangene Schalk aus gitternden Spangen
Lacht er hervor, und er rüttelt und zerrt an dem wohnlichsten Kerker.
Dreifach selige Kette, wie schlingt um den Hals sie sich dreifach
Dir von Korallen, es taumelt daran das geheiligte Bildniß
[27] Eines gemarterten Manns, der hier noch selber im Bilde
Ueber den Hals dir, o Pein! fortsetzt die unsterbliche Quälung.
Doch ums blühende Haupt, weit vor ums lachende Antlitz
Feierlich wölbt sich, brokaten, und silbergereifet das Kopftuch,
Fünfzehn kostet’s der Scudi! ein Tabernaculum dünkt mir’s,
Das der Madonna süßes Gesicht umschirmet, es reichen
Knieend die Liebenden ihr viel Blumen und Herzensgeseufz’ dar.

Glücklich das Männergeschlecht, dem hier in den Scherben der Häuser
Hold aufzieht die Natur so köstliche Blüte der Frauen,
Dem in der Eos Farben die Sitte der Mütter sie kleidet.
Nicht wie voreinst in der rauheren Zeit, sie meldet die Burg noch,
Wo im Gestrüppe des Ginsters die Eisenbombarde einschlief,
Raubt von dem Strand in das Schiff sich hier der Corsare die Jungfrau’n,
Lüstern, des Meers Satyr, fortschleppend die schreiende Schöne,
Haremsbeute für Tunis und Wonne des tanzenden Bagdad:
Sondern es blühet der Spiegel des Meers von lateinischen Segeln,
[28] Und von der schimmernden Frucht lacht rings das arkadische Ufer.
Herbst ist’s nun, es verblühen die Rosen, es schweigt Philomele,
Aber die Grille sie singt, die genügliche Freundin Apollo’s,
Unter dem Mastixstrauch, und es ragt der gewaltige Schaft noch
Später Agave hervor, den Sirenen ein blumiger Leuchtturm.
Schön dann wandelt es sich beim Gelispel der kreiselnden Welle
Ueber den weichlichen Sand, wenn rosiger Dämmer das Meer füllt.
Sieh’ dort Antium glüh’n! einst marmorne Wiege des Nero,
Tron einst jenes Apoll, des unsterblichen Lenzes der Bildkunst,
Welchem der Deutsche voreinst den bewundernden Hymnus aussann;
Tron auch dir, o du rasche Fortuna! es brachte Horaz hier
Köstlichen Lieds Weihguß in der goldenen Schale dir dar einst.
Doch schnell rollte das Rad, und die wuchtige Speiche zermalmte
Antium hier, dein eigenes Haus auch, ach! und Rom auch.
Endlos rauscht wie des Meers einförmige Rhythmen die Zeit fort,
Ewig im Gleichtakt fort, gleichgültig das Leben entrafft sie;
Dann hebt still aus ihr wehmüthiger Sage Gestalt sich,
Schön wie der Circe Gebirg, das dort in den Fluten, o seht es,
[29] Ein Amethyst aufsteigt mit den zauberisch stralenden Zinnen.
Seitwärts aber dem Berge, mit Schwermut schaut es der Deutsche,
Schwebt in der Flut einsam, wie in Wellen der sterbende Schwan schwimmt,
Flimmernd ein Schloß, Asturas Turm; du Deutscher bewein’ es:
Circe verlockte in Kerker und Tod dort Konradin vormals,
Als er von Scurcolas Feld in entsetzenbeflügelter Flucht her
Flatterte, Enkel des schwäbischen Aars; ihn griff an der blonden
Blutenden Schwinge der Feind sich hier, an Neapolis Golf dann
Schleppt’ er von dannen den Armen, das Haupt ihm warf in den Sand er.
Sieh’, nun glühet der Turm wie Blut, und es blutet das Meer nun
Tief; doch Helios wirft dort still von dem Haupte hinab sich
Lächelnd die Krone der Welt und das blitzende Scepter ins Meer schon.
Nacht wird’s nun: doch immer die Augen gewandt zur Circe
Sitz’ ich von Flügeln umwölbet des Traums und der herzlichen Sehnsucht.
Viele, Italia, zogst du in’s Grab hinunter, o Circe,
Zauberin, viele der Deutschen mit herzabschmeichelnder List dir.
[30] Aber ich schöpfe vom Meer mir fromm viel heiligen Weihguß,
Rückkehr hoffend, zur Spende den Todten, und dir, o Minerva,
Daß du mir sendest das Schiff, Ausrüsterin einstiger Heimkehr.

Nettuno, im September 1855, im Palast der Donna Olympia
Maldacchini, jetzt Borghese.




Die letzten Gothen.

Hohe Berge von Italia,
Ihr im wallenden Karmin,
Unsres Schlachtenruhmes Zeuge,
Sonnengoldner Apennin,
Lebet wohl! wir werden nimmer
Euer blühend Land durchziehn.

Kränzt die kampfzerhau’nen Helme,
Mit dem Lorbeer schmückt sie schön,
Wenn die Schlachttrommete rufet,
Daß zum Heldentod wir gehn,
Soll der Zweig der alten Roma
Als Trophäe uns umwehn.

[31] O, ihr Winde, die ihr klagend
Bang Hesperia durchzieht,
Und entfacht die Todesflamme,
Die in unsern Seelen glüht,
Traget fort auf euren Schwingen
Unser schwermutvolles Lied.

Dunkle Nornen seh ich schlingen
Um Ruinen ihren Tanz;
Es erlosch die Pracht Ravennas,
Aber, Roma, auch dein Glanz.
Düster scheint auf deine Trümmer
Bald die Fackel von Byzanz.

Von der Winilinger Lande
Droht der Langobarden Nah’n;
Rächend werden sie das Erbe
Aus der Gothen Hand empfah’n;
Und sie ziehen durch Italia
Ihre blutgetränkte Bahn.

Andre folgen, Volk um Völker
Wälzt sich fort der erz’ne Strom,
Bis sich deutsche Helden krönen
In Sanct-Peters hohem Dom,
Ihre Eisenfüße setzend
Auf den Nacken dir, o Rom.

[32] Horch! es tönt die Todestuba!
Narses, auf! wir sind bereit!
Schließt die dünnen Reihen, Brüder;
Heute gilt’s den letzten Streit,
Letztes Heldengrab den Gothen,
Und im Lied Unsterblichkeit.

Tejas, wenn des Todes Lanze
Dir das tapfere Herz durchstach,
Wenn der letzte Gothendegen
In des Feindes Haupt zerbrach,
Fliegen unsre Heldenseelen
Heimwärts frei den Vätern nach.

Wieder führt der alte Dietrich
Seines Volkes Wanderzug;
Ueber jene Alpenberge,
Die sein Reckenschwert durchschlug,
Zu dem Isterstrome nehmen
Wir den stillen Geisterflug.

Wo die Eichenforste brausen,
Werden unsere Seelen bald,
Fern im Land der alten Asen,
In der Kraniche Gestalt,
Um die hohen Wipfel rauschen
Durch den heimatlichen Wald.



[37]

Circe.

Die Winde schlafen all’, am abendhellen
Gestade schlummert ein das Meer und ruht;
Fern steigt verklärt von letzter Sonnenglut
Der Circe Cap, ein Märchen, aus den Wellen.

Ein Schiff! Ein Schiff! es läßt die Segel schwellen
Lichtstreifen ziehend durch die stille Flut;
Und seh’ ich’s an, so wird es mir zu Mut,
Als ob ihm Sehnsuchtsklänge süß entquellen.

Es schwebt so sanft, geheimnißvoll und leise,
Bald naht es sich, bald treibt es wieder fort,
Und schlingt um mich die stillen Geisterkreise.

Ein rosig Traumbild sitzt an seinem Bord,
Es singt auf sagenvollen Wellen dort
Frau Circe noch die alte Zauberweise.



Ustica.

Gen Palermo war gezogen
Auf den sanften Meereswogen
Von Neapolis mein Schiff.
Hinter mir so manches Riff
[38] Sank und sank, vom Lande nimmer
War zu sehn ein feiner Schimmer.
Wellen nur am Horizont
Hoben magisch übersonnt
Sich auf Irisstralenschwingen,
Wie den Himmmel zu umschlingen,
Und im Tanz zu tragen ihn.

Brausend fuhr der Dampfer hin,
Ließ die Räder rascher gleiten,
Ein Flamingo, der mit breiten
Feuerflügeln mächtig schwebt,
Wie als ob er sich bestrebt
Ein ersehntes Land zu finden,
Dessen Zauber ihm verkünden
Ueber Meer her lau und linde
Duftgetränkte Sommerwinde.

Schiffer, einmal wol im Leben
Eine Stelle wird es geben,
Wo das blütenschöne Land
Deinem trüben Blick entschwand,
Und die Inseln all’ hinab
Deiner Freuden in das Grab
Dunkler Wogen sind gestiegen;
Wo du läßt die Blicke fliegen
Spähend einsam hin und her,
Auf dem uferlosen Meer,
[39] Ob sich andre Küsten zeigen
In der Ferne; und entsteigen
Mag ein Hoffnungseiland dir.

Und zwei Frau’n am Borde mir
Gegenüber seh ich stehn,
Fremd und seltsam anzusehn,
Jene dunkel, ernst und bleich,
Jungem Morgen diese gleich.
Und sie blickten fort und fort
Wie zwei Ibisvögel dort
Südwärts spähend in die Ferne.
Ihrer Augen lichte Sterne
Standen lauschend auf der Wacht.
In der Wimpern schwarzer Nacht.

Mutter, sieh dort Ustica!
Rief das Mädchen freudig da,
Mit der Hand hinüberzeigend.
Gleich der Lotosblume steigend
Aus des Meeres blauem Flor
Tauchte jetzt ein Fels empor,
Höher, höher auf die Welle
Niederschimmernd wie das schnelle
Dampfschiff hin durch den Azur
Rauschend ihm entgegenfuhr,
Ringsum Meersirenen, die
Ihrer Lieder Harmonie
Sehnsuchtsvoll ihm rauschten zu.

[40] Glücklich, wem zum Sitze du
Wurdest, Eiland still und fern,
Wie des Abends sanfter Stern
In der weiten Flut verloren.
Geister, die der Haß geboren,
Stören nimmer neidisch dort
Deinen weltentlegnen Port.
Da wol möcht’ ich mich verschließen
In den schweigenden Verließen
Denkensfroher Einsamkeit,
Deren Himmel nie die Zeit
Teile und der Augenblick
Mir vergönnt vom Glück.
Aus der Vögel fremden Weisen,
Wenn zu uns daher sie reisen
Fern aus Libyens dunkelm Süd,
Aus Korallen meerentblüht,
Aus der Winde hohem Lied,
Und dem Donnersturz der Wellen,
Die am Muschelriff zerschellen,
Aus der Sterne reinem Licht,
Und dem Geist der in mir spricht,
Lernt’ verstehn ich dieses Lebens
Räthseldeutung, die vergebens
In der Bücher todten Zeichen
Sucht der Forscher zu erreichen.

Ernsthaft sprach die Mutter da:
Unsre Heimat Ustica
[41] Ist die Scholle, die uns nah;
Wohnen dort am Felsenstrande.
Zu dem lieben Vaterlande
O wie kummervoll und schwer
Ist die späte Wiederkehr!
Dieses Kindes Vater fand
An dem klippenstarren Strand
In den Wogen seinen Tod,
Auf zerschelltem Fischerboot.
Und der Leichnam mußte bleiben
Ohne Grab, und weiter treiben
In der trümmervollen See.
Doch es hat noch andres Weh
Jene Sturmflut ausgeschüttet,
Und den Frieden uns zerrüttet.
Denn der Insel Priester kamen,
Voll von Habbegier und nahmen
Alles, weil es Kloster-Gut,
Und als Pfand in fremde Hut
Nur verliehn vor grauen Jahren.
Und da war ich hingefahren
Nach Neapel mit dem Kinde,
Daß die Wege ich mir finde
Zu gewinnen solchen Streit.
Aber ach! das Recht ist weit,
Und wir sind vom Gut getrieben;
Nur die Hütte ist uns blieben
Auf dem nackten Fels allein,
Drin wir traurig ziehen ein,
[42] Zu verschließen unsern Jammer
In der ausgeräumten Kammer,
Wo das Salbkraut wuchs empor,
Und der Ginster Thür und Thor
Hat verriegelt und vermauert. –
Also sprach sie schmerzdurchschauert.

Wol auf feinen Geisterschwingen
Müssen die Dämonen dringen
In die Menschenseele immer;
Wenn so stilles Eiland nimmer
Kann dem Haß und Neide wehren
Ihren Friedenstraum zu stören.
Und der wilde Wehmutschmerz
Treibt die Wurzeln in das Herz.

Sprach das Mädchen hoffnungsfroh:
Dort wol mag Eustachio
Auf der Hafenklippe stehn,
Und vorüberfahren sehn
Unser Schiff, und zweifelnd fragen,
Ob es heim uns bringt getragen.
Und ein stillbewußtes Glück
Malte sich in ihrem Blick,
Wie den Freund sie schien zu grüßen.

Wird Eustachio nicht wissen,
Daß Ihr seid zu Schiff gekommen? –
Keine Botschaft ach! vernommen
[43] Hat er seit so mancher Zeit,
Denn das Eiland liegt so weit
In dem Meere, und es fahren
Dort von drüben kaum in Jahren
Fischer nach Neapel hin.
Ohne jede Kunde bin
Ich geblieben, ob er lebt
Ob die Meerflut ihn begräbt,
Wo sein Haus auf Klippen schwebt;
Weil nur einmal er geschrieben.
Weiß nicht, ob der Brief dem Lieben
Ist gekommen in die Hand,
Den ich letztes Jahr gesandt
Ihm durch fremde Schiffer, die
Auf der Fahrt nach Stromboli.
Eine Ahnung ward mir wach,
Plötzlich, als das Mädchen sprach:
Rollen sah das wilde Meer
Zu dem Inselstrom ich her
Eines schönen Jünglings bleiche
Meerkraut überwebte Leiche;
Und das Eiland stand verhüllt
Wie der Isis ernstes Bild
Auf der zaubervollen See.
Menschenglück, du schwankend Los,
Gleich der Barke, die sich los
Von dem Ankerseil gerissen,
Treibt dich in den Finsternissen
Pfadlos ungewisser Nacht
[44] Die geheimnisvolle Macht.
Bösen Zufalls Winde blasen
In die Wellen, daß sie rasen
Um das fortgerissne Boot.
An dem Steuer sitzt die Not,
Ruderknecht ist Schmerz und Tod.
Doch das Hoffnungseiland immer
Sendet aus den hellen Schimmer;
Als weitleuchtendes Fanal
Zündet Liebe ihren Stral,
Weit erhellend rings die Riffe.

Und es stieß zu unserm Schiffe
Von dem Strand kein Nachen ab.
Weiter ging’s, es taucht hinab
Jenes Eiland in die See.
Sprach die Mutter: Wol ein Weh
Ist es, daß wir müssen weichen
Von der Heimat, die erreichen
Wir im Boote konnten ja,
Unser nahes Ustica.
Aber wiß’ es, Fremdling, nur,
Wir gelobten einen Schwur
In Neapel, daß wir ziehn
Erst zum Monte Pellegrin
An Palermo’s fremdem Strand.
Mit Weihkerzen in der Hand
Wollen heut wir pilgern gehn
Auf die heil’gen Gotteshöhn,
[45] Und mit opferfrommen Händen
Dann uns hoffend heimwärts wenden.

Und das Eiland sank und sank
In den Wellenuntergang,
Wie ein Traum, den ich gesehn
Knospen, blühen und vergehn.
In der Frauen Blick versinken
Sah sein Bild ich und ertrinken
In der Träume sanfter Flut.
Aber mir war ernst zu Mut,
Bang und schwermutsvoll und weh,
Und ich sah mich überneigend
Von dem Borde wieder schweigend
In die märchenstille See.



[57]

Marmorata.

Mit dem kund’gen Meister stand ich
An dem Ufersaum des Tiber,
Wo an weißen Marmorblöcken
Seine Welle rauscht vorüber.

Und der Meister dort beschaute
Sorgsam die Carrara-Steine,
Ob für seine Künstlerwerkstatt
Der und dieser tauglich scheine.

Prüfend sie mit Kennerblicken,
Wie sie glänzen und ertönen,
Ob sie fleckenlos sich ließen
Wandeln in ein Werk des Schönen.

Sprach zu mir der kluge Meister:
Hier im rauhen Block versunken
Schlummert tief manch göttlich Bildniß
Harrend auf des Genius Funken.

[58] Amor ist es, der ihn aufweckt;
Folgen mög’ ihm nur der Meister;
Bei dem wählerischen Kaufe
Ihm die rechten Schätze weist er.

Naht er sich dem stummen Marmor,
Klingt es wie aus Memnons Steine,
Sehnt der Stoff sich nach dem Lichte,
Und dem Geist, der ihm sich eine.

Unter’m Meißel quillt das Leben,
Sieh’, da fällt die starre Hülle;
Aus dem Blocke springt die Charis,
Venus in der Jugendfülle.

Es entsteigt der Held Achilleus
Hoch und hehr dem Marmorgrabe,
Dort der Satyr und die Nymphe,
Und der flügelfrohe Knabe.

So auch schlummern dir, o Dichter,
In des Busens Nacht Gefühle,
Bis sie auferstehn als Lieder
Bei des Gottes Zauberspiele.

Kaum berührt von seinem Hauche,
Sprengen sie des Todes Banden.
Herz, sind offen deine Gräber,
Sind die Götter dir erstanden?



[59]

Schöpfungs-Mythe.

Einst sah ich zwei Mädchen schön
Vor eines Schmiedes Thüre stehn
Mit Mandolinen in den Armen.
Sie schlugen die Saiten und sangen,
Wie Funken den Citern entsprangen
Die Töne, die freudigen, warmen.

Und über dem Amboß saß
Der finstere Schmied und hämmerte baß
Aufs rote, glühende Eisen;
Ihm stoben im Takte geschwinder
Zum Spiele der lieblichen Kinder
Die Splitter in leuchtenden Kreisen.

Er schien die zersprühende Flucht
Der Funken mit sausender Wucht
Des Hammers zu spielen, des schweren.
Es sangen die Schönen, da flogen
In raschen, kreisenden Bogen
Ums Haupt ihm die feurigen Sphären.

Nun hab’ ich die Mythe gesehn,
Wie Welten und Sonnen entstehn,
Und froh im Raume sich treiben:
Der Liebe melodische Geister
Beseelen den sinnenden Meister,
So war es, und wird es auch bleiben.



[60]

Cholera-Quarantäne

zu Orbetello.

Auf Argentaro’s dunkelem Meercap tront
In Fiebergewölk pestspinnend der Mond,
Bescheint acht graue Türme, die unverwandt
In bleierner Woge sich spiegeln am Strand.

Ich sitze am Ufer und blick’ in die Flut,
In mir ist versiegt der lebendige Mut;
Es schlafen vom Wandern ermüdet im Busen
Erinnyen gleich, die himmlischen Musen.

Die Lieb’ ist gegangen – die Zeit ward stumpf;
Erinnerung schwebt ob der Geschichten Sumpf
Mit grauem Fittich, wie jene Möve dort,
Die umflattert das Haff, und sucht den Port.

Und blick’ ich hinab in die schilfige See,
Und schau ich empor zur felsigen Höh;
Es zeigt um die Ufer, versunken und leer,
Kein Licht sich, kein schwellendes Segel sich mehr.
                                                         Orbetello, 10. Sept. 1865.



[169]

Der Pinienbaum.

Ich sitze auf dämmerndem Hügel
Am duftigen, blühenden Hang;
Was rauschet mir zu den Häupten
Für seltsam melodischer Klang?

[170] Sind es die Schwäne, die wilden,
Die über die Länder fliehn?
Sind es die Stimmen der Glocken,
Die hallend die Lüfte durchziehn?

Ich blicke empor: da erglühet
Der alternde Pinienbaum;
Es rauscht und singt in den Zweigen,
Ein Lüftchen reget sie kaum.

Wie Harfen bricht es herunter,
Wie Flöten klingt es herein,
Ihm weckt die schmerzlichen Klänge
Des Abends verschwebender Schein.

Rings stehn zerfall’ne Paläste,
In Schleier von Epheu gehüllt,
Vergessen liegt unter Blumen
Ein trauerndes Marmorbild.

Ich weiß, was sie singet und klaget,
Die Pinie im einsamen Feld,
Die einzige, lebende Zeugin
Aus schöner, versunkener Welt.



Quelle:
Gedichte von Ferdinand Gregorovius. Hrsg. von A. F. Graf von Schack. Leipzig: F. A. Brockhaus 1892.

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