Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Felix Dahn

Kurzbiografie

Felix Dahn (*9. Februar 1834 in Hamburg – †3. Januar 1912 in Breslau), Sohn des bekannten Schauspielers und Regisseurs Friedrich Dahn (1810-1889) und seiner Bühnenkollegin Konstanze Le Gay (1814-1894), absolvierte in München und Berlin die Studien der Rechtswissenschaften und der Philosophie.  Dahn, der seit 1862 Deutsches Recht in München, Würzburg, Königsberg und Breslau lehrte, machte sich als Gelehrter durch die Veröffentlichung rechtsphilosophischer, rechtsgeschichtlicher, völkerrechtlicher, handelsrechtlicher und privatrechtlicher Schriften einen Namen in der juristischen Fachwelt. Seine eigentliche Passion jedoch galt historischen Studien mit den Schwerpunkten Spätantike („Prokopius von Cäsarea“, 1865) und Völkerwanderung (u.a. „Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, 1880-1889, 4 Bde.; „Die Könige der Germanen“, 1861–1909, 11 Bde.). Dahns umfangreiche geschichtswissenschaftliche Monographien, besessen von einer heute abstrusen Idealvorstellung germanischer Rasse, entsprachen der kulturchauvinistisch aufgeheizten Stimmung und dem Geschmack der Gründerzeit. Der Vielschreiber Dahn war auch dichterisch ambitioniert als treuer Hausautor der „Gartenlaube“, als Mitglied des „Münchner Dichterkreises“, als Angehöriger der von Moritz Saphir (1795-1858) ins Leben gerufenen literarischen Gesellschaft „Tunnel über der Spree“, als Verfasser von Gedichten, Balladen, Novellen und Romanen – auch in Kooperation mit seiner zweiten Frau Therese von Droste-Hülshoff. Dahns erster historischer Roman, und mit Abstand sein populärstes Werk, „Ein Kampf um Rom“ (1876, 4 Bde.), an dem er auch während seines Ravenna-Aufenthaltes schrieb, wurde von der zeitgenössischen Kritik enthusiastisch aufgenommen und als pädagogisch besonders wertvoll für die männliche Jugend gerühmt. Der Dauererfolg des spannenden und tendenziösen Monumentalepos ist auch der Verfilmung durch Robert Siodmak (1968) zu verdanken, in der Orson Welles Kaiser Justinian darstellte. Rom als Schauplatz des gewaltigen Historienspektakels über den Zusammenbruch des Ostgotenreiches wird zur anachronistischen Projektionsfläche für Wunschbilder und Zukunftsträume um 1880: kernige und redliche Germanen müssen sich durchtriebener Römer und verschlagener Byzantiner erwehren. Die fiktionale Stereotypisierung süd-östlicher Ethnien als dekadent und abgefeimt, um die historische Notwendigkeit eines homogenen und ausschließlich germanisch-deutschen Kulturraumes zu propagieren, wurde nicht nur im deutschen Kaiserreich, sondern auch von nationalsozialistischer Propaganda politisch instrumentalisiert. Dahns spätromantische Verherrlichung des Germanentums und die Herabwürdigung romanischer Kultur ist auch bezeichnend für seine Italiendichtung.


Yvonne-Patricia Alefeld





[62]

Aus Italien.

 

1. In Rom.

Heute laß die alten Helden ruh’n, die Römer wie die Goten:
An der Porta nomentana schenkt Rosetta jungen Roten.
Aber von den Heil’gen vollends will ich heute gar nichts hören!
Südlands Sonne soll mir selig dies mein heidnisch Herz betören.
Doch zum Schutz vor Bacchos soll mir Amethyst und Epheu dienen
Und die reife Frucht der Freude seien zierliche Quadrinen.



2. Im Sabinergebirg.

O, welcher Reiz euch Mädchen von Lavandola beseelte,
Wenn euch der Jungfrau’ntugenden erfreulichste nicht fehlte;
Die Liebesgötter würden selbst von euren Lippen naschen,
Ihr Jungfrau’n von Lavandola, wenn ihr euch wolltet: – – waschen!



3. In Lorega.

Jetzt drischt daheim im Cicero
Das alte, mürbgedrosch’ne Stroh
Manch’ fleißiger Collega:
Ich aber pflücke, ferienfroh,
Oliven zu Olevano
Und Lorbeer von Lorega.



[63]

4. In Amalfi.

Don Felice, Don Felice!
Immer leerer wird der Beutel,
Immer röter wird die Nase!
Erstere Naturerscheinung
Rühret her ganz unbestreitbar
Von den heißen, welschen Weinen: –
Doch die zweite, woll’n wir hoffen,
Einzig von der heißen Sonne!



5. Aus Rom nach Alzei.

Weil ich in der grauen Roma
Unter Altertümern wühle,
Kommt auf einmal aus der Heimat
Angeflogen, wie ein deutsches
Vöglein, von zwei jungen Mädchen
(– Unbekannten, nie geseh’nen –
Doch, die ich recht hübsch mir denke),
Ein höchst liebenswürdig Brieflein!
Dank, ihr jungen, deutschen Mädchen
(Die ich auch sehr hübsch mir denke!),
Für die warme Herzensfreude,
Die ihr habt dem deutschen Sänger
In das ferne Rom getragen.
Euch zum Dank will ich aufs Weihnacht-
Tischlein eine Freude legen. –
Euer
„Volker von Alzei“



[82]

An Genua.

Heil dir, herrliches Genua!
An dem Busen Italiens,
Den ligurischer Meeresflut
Rhythmisch wechselnder Atem schwellt,
Liegst du, schlummerndes Prachtgeschmeid,
Unvergleichliche Perle!
Was bewunder’ ich mehr? Der Vergangenheit Stolz,
Ob der Doria Ruhm, ob der Pesaro Glanz,
Und die säulengetragnen Paläste?
Ob den Himmel, das Land und der Linien Reiz
Und den segelbevölkerten Hafen?
[83] Schon des träumenden Knaben Sinn
Hat dein südliches Bild entzückt,
Wie es, der dich, ach! nie geschaut,
Nie dem nebligen Nord entkam,
Unser Schiller so glühend schuf
In dem Dämon Fiesco.
Vom umbrandeten Turm, wo der Kühne versank,
Sah leuchtend den Mond an dem Kap Mont Vin
Ich, die Flut versilbernd, empor geh’n:
O, da wünscht’ ich und rief: „Hätt’ Er dies doch geschaut,
Der Poet der germanischen Jugend!“
Ja, wer einmal von deinen Höh’n
Villa Pallavicini sah,
Rechtshin lachen das gold’ne Land,
Reben-, Lorbeer-, Oliven-reich,
Doch zur Linken das weite Meer,
Schön, in göttlicher Bläue:
Der hat Einen Moment sich dem Genius nah
Der Antike gefühlt und der Welt des Vergil
Und der seligen Heitre Homeros’:
Und es weht um sein Haupt wie ein wonniger Gruß
Von auf ewig versunkenen Göttern.
Doch mehr als um des Adels Ruhms,
Um den Kampf mit San Marcos Leu,
Um tunesischen Flottensieg
Und Natur, paradiesesgleich,
Preis’ ich um deiner Bürgerschaft
Freiheit atmenden Geist dich:
Der es nimmer vergaß, dass das Oberste sei
Für die Seele des Mann’s doch des Volkes Gestalt,
Von der Ehre gekrönt und der Freiheit!
Nie erlösche solch’ echt genuesischer Sinn
Und Italia lächelt der Feinde.



[338]

Rom.

Vom Monte Pincio sah ich auf die Stadt,
Die schimmernd vor mir lag im Mondesglanz:
Doch nicht allein die glänzenden Paläste,
Die Kirchen sah ich und die Säulenreih’n, –
Es stiegen aus den Gräbern vor mir auf
Die Toten, welche diese Straßen einst
Als Lebende mit Lust erfüllt und Leid. – –
Die ersten Boote sah ich, drauf die Hirten
Den gelben Tiber abwärts ihre Rinder
Vom triftenreich en Umbrien zum Markt
Des kleinen Dorfs im Gau der Ramner brachten. –
Dann sah ich Männer rauer Tugenden,
Des Pflugs nicht minder eifrig als des Schwerts,
Vom Rand des Abrgunds oft den jungen Staat
Abdrängen mit den angestemmten Schultern
Und ihn zum Herrn Italiens erheben.
Schon bringen vom besiegten Afrika
Karthagos Göttersäulen die Trieren,
Schon schreiten unter goldner Ketten Last
Bei Tubaklang zum Kapitol hinan
Die unterjochten Kön’ge Asias
Voraus des Triumphators goldnem Wagen.
[339] Und ungeheure Laster thronen bald
Auf allen sieben Hügeln dieser Stadt:
Das Übermaß der Lust, der Pracht, der Macht
Bricht aus im Größenwahnsinn der Cäsaren.
Entkrönet wird nur Roma: nach Ravenna
Und nach Byzantium hinüber gleitet
Vom müden Scheitel ihr das Diadem. –
Im Adlerhelm, die Streitaxt in der Rechten,
Auf’s Forum sprengt der blonde Alarich,
Und leise klinget im Sanct Peter schon
Der Hammerschlag, der bald ein neues Rom
Zur Weltherrschaft der Seelen auferbaut. –
Dann wirft in der Colonna stolzes Heim
Des Connetable’s Landsknecht seine Fackel:
Doch unvergänglich neben Jupiter
Wohnt und Apoll die holde Christengöttin,
Die jungfräuliche Mutter, und es strahlt
Durch ödes Dunkel drei Jahrhunderte
Der Schönheit lichte Himmelsherrlichkeit.
Roms einz’ger Schmuck und Trost, bis endlich sieghaft
Der neue Geist, der Geist des Vaterlands,
Des freien, einigen Italiens
Mit Trommelschlag und mit Kanonenschall
Durch Porta pia seinen Einzug hält. – –
So sah ich zwei ein halb Jahrtausende
Am Pincio vor mir vorüberziehn:
Doch nicht den Wehruf der Vergänglichkeit,
Wie Andre wohl, vernahm daraus mein Ohr:
O nein: der Ewigkeit Trompetenruf,
Der Weltgeschichte Tubaton von Erz.
Was einmal Heldentum und Kunst erschuf, –
Und mag’ in Trümmer der Barbar zerschlagen, –
Es  w a r  doch einst, war groß und schön und stolz:
Und ewig ist, was einmal ist gewesen,
Denn unvernichtbar bleibt es, daß es  w a r!  – – –



Quelle:
Felix Dahn: Gedichte. Leipzig o. J. (Felix Dahn: Gesammelte Werke. Erzählende und poetische Schriften. Neue wohlfeile Gesamtausgabe. Zweite Serie. Band 7)

~~~~~~


Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit