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Detlev Freiherr von Liliencron

Kurzbiografie

Detlev (eigentlich Frederik Adolf Axel) Freiherr von Liliencron (*3. Juni 1844 in Kiel – 22. Juli 1909 Alt-Rahlstedt bei Hamburg) entstammte dem kleinadeligen Milieu. Der Sohn eines Zollverwalters und einer amerikanischen Generalstochter schlug zunächst eine militärische Laufbahn ein, kämpfte 1866 im Preußisch-Österreichischen Krieg, nahm 1870 am Deutsch-Französischen Krieg teil, wurde in den Gefechten verwundet und 1871 mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Erst mit dreißig Jahren begann Liliencron als Schriftsteller tätig zu werden und erwählte zu diesem Behuf den Künstlernamen „Detlev“, den ein standesstolzer Ahne einst trug. Schneidigkeit und Kastendenken – ein Potpourri preußischer Tugenden „pour le Roi de Prusse“ kompromittierte Liliencron durch seinen exzentrischen Lebenswandel. Im Grunde war er ein Vagabund und Abenteurer: Spielschulden, Frauengeschichten (diverse Verlobungen und drei Ehen), Auswanderung nach Amerika (1875). In Philadelphia, Chicago, Texas und New York boxte er sich als Pferdezureiter, Sprach- und Klavierlehrer, Anstreicher und Kneipenpianist durch und hätte ein treffliches Modell für den Anti-Helden des modernen Picaro-Romans abgegeben. 1877 kehrte Liliencron abgebrannt von seiner amerikanischen Odyssee nach Deutschland zurück und wurde preußischer Verwaltungsbeamter, der sich allerdings weiterhin kaum vor seinen Gläubigern zu retten wusste. 1901 unterstützte Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) den chronisch klammen Freiherrn mit einem großzügigen Ehrengehalt. Für Liliencron war das der Befreiungsschlag aus der würgenden Spirale der Schulden und Zwangsvollstreckungen. Zu einer literarischen Berühmtheit wurde Liliencron durch die Gedichtsammlung „Adjudantenritte“ (1883), der „Der Haidegänger“ (1890), „Neue Gedichte“ (1893) und „Bunte Beute“ (1903) folgten. Bereits seine ersten veröffentlichten Gedichte überraschen durch souveräne Virtuosität im Umgang mit schwierigen und exotischen Vers- und Gedichtformen wie Triolett, Rondeau, Ritornell, Siziliane und Ghasel. Inhaltlich jedoch zieht der begeisterte Verehrer von Kaiser und Vaterland bodenständige Themen vor. Das zeigt das Fazit seiner „Italienlyrik“: Die nebelige Ostseeküste ist ihm lieber als die italienische Schwüle. Dem zeitgenössischen Publikum des schneidigen und windigen Freiherrn behagten besonders die als wirklichkeitsnah und handfest gelobten Kriegserzählungen „Unter flatternden Fahnen“ (1888) und „Kriegsnovellen“ (1893). Ironie des Schicksals, dass in Friedenszeiten der Krieg zu Liliencrons Fatum werden sollte. 1909 zog er sich während eines Ausfluges zu den Schlachtfeldern von 1870/71 eine tödliche Lungenentzündung zu. Lebensgeschichtlich ein Grenzgänger zwischen borniertem Junkertum und ungenierter Antibürgerlichkeit, literaturhistorisch zwischen Naturalismus und Expressionismus situiert, ästhetisch an Heinrich Heines Ironie und philosophisch an Friedrich Nietzsches Kulturpessimismus anknüpfend, ist Liliencron einer der bedeutenden Repräsentanten der Moderne.

Yvonne-Patricia Alefeld





[262]

Italienische Nacht.

                        I.

Weit weg, im südlichen Italien war es.
Du schautest vom Altane in den Garten
Auf weiterhellte, festbelebte Wege.
[263] Dann hob dein Auge sich, und deine Seele
Verlor sich ins Geheimnis ferner Landschaft:
Im Meer des Mondenlichtes liegen still
Die weißen Schlösser, Schiffen gleich, vor Anker.
Es dunkeln, Inseln, die Zypressenhaine,
Wo Liebesworte und Gitarrenklang
Im gleichen Fall der Brunnen sich vermischen.
Wie lange willst du träumen, deutsche Frau,
Von glutdurchdrängter Nacht des Romeo?
Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder
Aus unbarmherzig strenger Winternacht,
Die mit gesenktem Augenlid umdämmert
Die Hünengräber deines rauhen Strandes?

                           II.

Im Nebelnorden, an der Ostseeküste,
Abseits den Städten und den großen Straßen,
Schläft einsam und vergessen, halb verweht
Im Schnee, von harten Stürmen oft gezaust,
Ein kleines Gut. Zwei ungeschlachte Riesen,
Uralte Tannen, strecken ihre Arme
Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauses.
Unhörbar, drinnen auf dem dicken Teppich,
Geht eine junge Dame auf und nieder.
Bisweilen bleibt sie stehn, schraubt an der Lampe,
Schiebt auf dem Bechstein an das Notenpult
Die schweren Bronzekandelaber näher,
Zupft im Vorübergehen an der Decke
Des Sofatisches, horcht, und wandert, horcht,
Die grauen Augen auf die Tür gerichtet.
Bis endlich ihre schwere Stirn ein Schwarm
Von Sommervögeln lustig überflattert.
Nun wandert langsam auf dem warmen Teppich
Ein Pärchen, angeschmiedet, auf und nieder.
Behaglichkeit, das Kätzchen, schnurrt im Zimmer,
[264] Indessen draußen in der Winternacht,
Ein Abglanz von den Schilden Schlachterschlagener,
Die fleißig in Walhall den Humpen schwingen,
Die blassen Strahlenbündel eines Nordlichts
Am strengen Himmel Odins sich ergießen.
Und auf der toten Haide bellt ein Fuchs.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gesammelte Werke. Zweiter Band: Gedichte. Stuttgart, Berlin und Leipzig 1923.

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[230]

Unvermutetes Zusammentreffen

Ein unerhörter Fall hat sich begeben:
Zwei Gondeln stießen im Canale Grande
Unsanft zusammen. Das war eine Schande;
Wer glaubte je, solch Plumpstück zu erleben.

Die Insassen, die just vor Wonne beben
Bei ihren Schönen, unter der Girlande,
Erwachen aus der Liebe seligem Brande,
Um ihre Stirnen zornig zu erheben.

Will heut das Schicksal einen Festtag feiern?
Sie drohn sich an und liegen auf der Lauer:
Wer wird sein Quidproquo zuerst entschleiern?

Es rieselt durch die Welt ein heiliger Schauer:
Cosi mi chiamo, well, Milordo Byron!
„Und ich, ich heiße Arthur Schopenhauer.“



[412]

Ricordo

Den Tannenwald verlöscht die Nebelwand,
Die weiße Birke schläft im Haidekraute;
Kein Zymbelklang erklingt und keine Laute,
Es schreit die Möwe nur an Odins Strand.

Hörst du es singen doch? siehst du das Land,
Wo klar in goldne Himmel Tizian schaute,
Wo Michelangelo Sankt Peter baute
Und Cäsar einst die Welt zum Kranze band!

Wir landen, von Orangen überdacht;
Was bleibst du kalt und ohne Interesse,
Sehnst du zurück die kimmerische Nacht?

O wüßtest du, wie gestern in der Messe,
Als du erschienst in venezianischer Pracht,
Ein Murmelsturm anschwoll: Die Dogaresse!


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gesammelte Werke. Dritter Band: Gedichte. Stuttgart, Berlin und Leipzig. 1923.

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